Aranysárkány fejléc kép
EIN PRODUKTIONSROMAN  
(ZWEI PRODUKTIONSROMANE)  
Wenn, dann ist es Zufall.  
 
I. (ODER KURZES) KAPITEL, in welchem der Genosse Generaldirektor die Szene betritt, derweil sich seine Persönlichkeit gerade spaltet, wofür sich ein weites Feld auftuty eingedenk, dass er Drillinge ist, welche Tatsache nur auf den ersten, oberflächlichen Blick amüsant ist, doch die Zahl der unausweichlichen Hemden, Krawatten, Krawattennadeln, Pantalons, Siegelringe und der Erzählweisen deuten schon jene kompakte Traurigkeit an, welche hier dem Leser zukommt  
  Wir finden keine Worte.
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Jegyzet
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Jegyzet Vgl. w.u. S. 145
Wie versteinert sind wir. Erschrocken blinzeln wir: Sollten wir dermaßen unserer Lust-und-Laune ausgeliefert sein? Wir kriegen zu wenig Luft, dabei ist genug da. Uns zittert der Magen vor Erregung; dadurch entsteht der Eindruck: als ob uns die Hose zu weit wäre. Fast hätten wir zum Gürtel (Riemen) gegriffen. Wir heben den Rand des Sakkos an, versenken die Hände in den Hosentaschen, kramen. Wir stellen uns auf die Zehenspitzen, alsdann lassen wir uns auf die Fersen zurückfallen. Unser Kopf erbebt; das Kramen übernimmt jeden auffindbaren Rhythmus: den unseres Schaukelns, des Kopfes, des Herzens.
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Jegyzet
Heißt das, wir können ab jetzt alles denken? Sollten wir unseren Verhältnissen dermaßen ausgeliefert sein?  
  Gerne würden wir die Richtung verfolgen, die wir eingeschlagen haben, und gerne würden wir zurückweichen. Zwischen Zweifel und Hoffnung sind wir hin und her geworfen. Sollen wir zu brüllen anfangen, ruhig, verantwortungsbewusst? Aber sind wir denn ein verknöcherter Vertreter der buchhalterischen Denkungsart?... Zu lange schon sehen wir die verschiedenfarbigen Telefone, die Mappen und den Ficus in der hinteren Ecke, um wegen so etwas beruhigt zu sein. Wir beruhigen uns auch nicht.  
  Während wir zum Fenster hinausschauen, haben wir die Hände in den Taschen und wir schaukeln; das ist so »jugendlich«. Wir sind jugendlich. Die Krähenfüße um unsere Augen sind jetzt nicht mehr nur dann zu sehen, wenn wir lachen. Die Menschen auf dem Hof erscheinen einigermaßen verkleinert.
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Jegyzet
Sie bewegen sich; das ist gut.  
  Wir denken an zu vieles. Langsam wissen wir nicht mehr, wie was wo. Lasst uns partikulär denken. Ein paar Perspektiven verlieren. Wir sind nicht die Firma, wir sind eine lebendige Person, und die Firma ist es nicht. Wir sind Mitteleuropäer: unser Nervenkostüm ist verschlissen, unser Klopapier hart.  
  Wir zittern nicht wie Espenlaub; wir hängen ab. Wir mögen uns nicht. So was gibt’s. Ein Jemand erblickt einen anderen Jemand, der hat ein Haar im Ohr, und schon ist’s vorbei! Dabei wäre man - der Jemand - unter Umständen sogar bereit, sich positiv über das Haar zu äußern! In unserem Ohr gibt es nicht ein einziges Haar; die menschliche Seele ist reich. Wie das Große so ist auch die Seele einfach; wir machen uns im Ministerium madig. Wenn wir darauf bestehen, können wir es ruhig wissen; wir sind der Mann des Ministeriums. Wir sind es eher des Planungsamts. Die Aktionen, die wir uns gegenüber anstrengen, taugten höchstens dazu, unsere Kraft zu demonstrieren, aber dafür taugen sie nicht.  
  Kühl legen wir die Zeitung beiseite: es gibt immer einen Jugendfreund, der beweisen kann — der sich gerne daran erinnert —, dass wir die Beine der Spinne geschient oder - autsch! - einzeln ausgerissen haben. Wir wenden uns bedächtig vom Fenster ab: human sind wir, klassenkämpferisch sind wir, selbstbewusst sind wir, jede Minute des Tages denken wir an die Bedürfnisse des Verbrauchers, an die Bedürfnisse der Volkswirtschaft, an die Devisenbilanz und an den RGW, an die Probleme und Ergebnisse des internationalen Sozialismus, an die Effektivität steigernden Bemühungen und an die dem gleichsam gegenüberstehenden Bedürfnisse der Arbeiter, und an »die Bedürfnisse der Arbeiter« müssen wir extra denken, wir denken an die Gewinne des Betriebs und sind nicht gewinnzentrisch, wir denken an unser Prestige, an unsere Eitelkeit, unsere Selbstverwirklichungsbestrebungen, an die Rolle, die wir spielen
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Jegyzet
, welche wir uns wählen und welche sich uns wählt, oh, und wir denken an die Kreisparteileitung, an diese denken wir auf jeden Fall, und wir denken an die Wirkung all jener gesellschaftlichen Schichten, Gruppen, Organisationen, von denen wir abstammen, deren Mitglied wir sind, in die wir aufgenommen werden möchten oder bei denen es sich empfiehlt, ihre Meinung für wichtig zu halten, und last but not least denken wir auch daran, dass bei der Kettenscheibenmontage die gleichen Produkte auf die gleiche Maschine kommen, wodurch - hier werfen wir einen Blick auf die eintretende, erschrocken dreinblickende Sekretärin - die Einfädelzeit, die man für die Führung der Kettenfäden durch den Schaft und die Lamellen benötigt, reduziert wird.  
  Die Sekretärin verstößt gegen die Gepflogenheiten, also schicken wir sie wieder hinaus. Launig blicken wir ihr hinterher: da ist einfach diese schwer zu beschreibende Neigung der Schenkel, der gegenüber wir machtlos sind, und eine gewisse Anzahl von Schenkeln (zwei), die uns gefangen nimmt.  
  Die »Zulässigkeit« betrachten wir - wegen der Rundungsfehler - mit einer gewissen Toleranz (z. B.: 10-6), wir klingeln. Mit dem halben Hintern setzen wir uns auf den Schreibtisch, welcher von der Delegation bis auf die Knochen abgeweidet.
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Jegyzet
Zerstreut blättern wir in einer Studie: abber, abber nach dem Semikolon - es sei denn ein Lajos folgt darauf - geht’;s klein weiter. Was ist das, fragen wir tadelnd die erneut eintretende Sekretärin. Die Züge des kleinen Fräuleins sind nun geordnet, auf den Lippen Lippenstift, die Hüften gewiegt, der Blick hart: es herrscht Demokratie. Na, wo drückt uns der Schuh, Genosse Generaldirektor? Trotzig wirft sie den Kopf zurück, auf ungarische Art, in ihrem Blute lodern uralte Hirtenfeuer, sie beginnt sich zu drehen, immer schneller, sie streckt ihr Kreuz, ihr Haar lodert in der Zugluft, sie stampft auf. Sie ist schön. Wir sprechen leise, damit sie zuhört. Wir sind unzufrieden, da wir lesen müssen, dass wir - und ausgerechnet wir — denjenigen auszeichnen, der von 100 Mutterschafen 136 Lämmer hat. Dabei könnte man auch zweimal ablammen lassen; bei unseren Verhältnissen. Dasselbe gilt für das zweifache Brünften der Säue, und für die Zusatzbrunft. Wir sinnen nach. Unser ehrliches Empfinden ist: Wehe dem Lamm, das der Wolf erblickt, die elende Bestie. Je schöner das Lamm, umso. Der Wolf, wie wir sehr wohl wissen, lässt nur ein einziges Argument wirklich gelten: den Knüttel, der in der muskulösen Hand des vierschrötigen Hirten schwingt.  
  Und der Wolf da heißt: Angst vor dem Neuen, Rückständigkeit, Unorganisiertheit, Faulheit, Indolenz.  
  Und der Hirte da heißt: Disziplin (sozialistische).  
  Und der Knüttel da heißt: kontinuierliche Materialversorgung, Reduktion der Stehzeiten, positive Ausnutzung der Arbeitszeit, integrierte Produktionsleitung, Verfahrensregelung mit Prozessorgraphen.  
  Und das Lamm da heißt: Volkswirtschaft, sich entwickelndes, wachsendes, gedeihendes, unserem Herzen teures sozialistisches Vaterland.  
  Die Sekretärin beendet plötzlich ihren Tanz, wendet sich uns zu, ihre Pupillen weiten sich. Wir untersuchen die Büschel in ihren Achselhöhlen. Wunsch ist der Vater des (kapitalistischen) Gedankens: wir wachen. Wir schälen die Sekretärin von uns herunter: wir haben kein Angebot gemacht. Noch und nicht: jetzt. Unsere Hände haben an so manchen Frauensteiß gegriffen, aber Blut klebt nicht an ihnen. Erwartungen gibt es wie Sand am Meer. W^ir haben eine Strategie, aber wir haben keine beste Strategie, wir haben hervorragende Kompromisse, darunter gibt es einen besten, den nennen wir die beste Strategie, welche — so! — geworden ist! Von den Himmlischen rufen wir Engels zu Hülfe: was jeder einzelne wollte, hat jeder andere verhindert, was geworden ist, wollte keiner. Trotz des Lippenstifts: die Sekretärin fängt schon wieder an, erschrocken zu werden. Und könnten wohl die verschiedenen offiziellen und halboffiziellen Materialien, Berichte, Protokolle, Rechenschaftsberichte als grundlegende Quelle unserer Orientierung dienen, obwohl wir selbst sie herstellen? In diesen nicht sehr viele Daten, welche, und viele, die nicht. Wir tragen auf.  
  Tja, also: nein.  
  Genosse Generaldirektor, lieber Genosse Generaldirektor, das Übel ist so arg, wir bitten um deine Hilfe. Wir beleben uns. Das sind doch nicht etwa die Genossen um den Genossen Tomcsányi? Die Sekretärin nickt stumm. Wir werden uns die Zeit nehmen, wir werden uns kümmern, hinwirken, handeln werden wir, das Blaue vom Himmel versprechen werden wir, unser Interesse auf Einzelpersonen aufschlüsseln werden wir, in der Feldflasche wird es frisches Wasser geben und trockenes Schießpulver im Pulverhorn und alles wird erleuchtet sein. Wir werfen uns hinter unseren Schreibtisch, wir schnaufen. Wir verlangen nach einem Rechenschieber und nach P. J. Probys Bergbaukunde. Werden sie gerettet werden, lieber guter Genosse Generaldirektor? Sie werden.  
  Damit wir ihn im zu erwartenden Chaos wiedererkennen, zerbrechen wir unseren Stift. Unsere Uhr, welche immer genauer, zeigt an.  
 
 
II. KAPITEL, in welchem der Helt
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Jegyzet sprich: Held; Bedeutung: Held
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Jegyzet
auftritt, Imre Tomcsányi, sowie der Wahrheit zum Siege verholfen wird; was auch in den anderen Kapiteln der Fall sein wird, aber hier ganz besonders
 
  Tomcsányi läuft aufgeregt auf dem Flur des Instituts auf und ab, wo sich erst vor kurzem der Nebel und der Kaffeegeruch verzogen haben. Am Ende des Korridors ein leises Geräusch. Was ist das? Er geht näher heran. Die Töne kommen aus einer offenen Tür. Imre bleibt stehen. Sapperlot. Er steckt den Kopf durch die Tür: da kämpft jemand mit seinem Pullover: versucht gerade, sich ihn über den Kopf zu ziehen. Anhand der vielen verräterischen Utensilien erkennt Imre: die Putzfrau. Küssdiehand, grüßt er sie respektvoll. Vor Schreck entledigt sie sich des Pullovers mit einem Ruck. Das ist es, was sie gewollt hat. Ach, Sie sind es, Imrulein. Sie sind vielleicht leise unterwegs, irgendwas nicht in Ordnung? Iwo, verneint der junge Rechentechnikspezialist. Die Frau fragt nicht weiter nach. Drehen Sie sich weg, sagt sie und greift nach dem blauen Kittel. Der junge Mann dreht sich weg. Die Frau lacht heiser auf. Ich sag das zu Ihnen, als wäre ich eine Frau. Dabei bin ich eine Greisin. Imre weiß nichts zu antworten, aber da er mit dem Rücken zu ihr steht, denkt er, braucht er das auch nicht. Stellen Sie sich vor, Imrulein, dieser besoffene Friedhofswärter ist gestern Nacht bis zum Brunnenring hereingeflogen. Das Gartentor hat ihn hineingewirbelt. Sie knöpft den Kittel zu. Na, jetzt können Sie sich wieder umdrehen. Das fette Vieh, wie gerne das bellt, aber diesmal kein Mucks. Ich erwache und sehe, da steht dieser Mensch am Fußende meines Betts. Hätten Sie das gedacht? Ich sag das wegen der Greisin. Und? Undund. Die Putzfrau winkt ab. Er sang furchtbar falsch etwas aus der Tschardaschfürstin. Das Eintrittslied des Miska. Dann hörte er auf zu singen und verputzte mein ganzes Brot. Sie können es sich vorstellen. Die Frau setzt sich auf einen Hocker. Ihre Beine ein wenig auseinander, wie bei den Männern. Gehen Sie dahin? Sie deutet mit dem Kopf Richtung Konferenzraum. Na, seien Sie bloß vorsichtig... Dem Miki Horváth können Sie vertrauen. Wir haben zusammen Flugblätter verteilt beim Herrn Weiss. Da war er noch ein kleiner Popel und ungeheuer draufgängerisch. Der ist sein Geld wert. Sie lacht, schüttelt den Kopf. Dieser Friedhofswärter hat kein Glück mit mir. Ich erinnere mich, als ob’s gestern gewesen wär’. Kommt so eine Armeepostkarte, da steht drauf: Die Sári Kovács soll endlich dem Berti schreiben, der geht schon ganz zugrund vor Verdummung. Wer ist der Berti? Na, der Friedhofswärter. Ums kurz zu machen, er kam nach Hause. Wir verabredeten das Rendezvous, das erste Rendezvous meines Lebens. In einer Kleinstadt. Sie können sich’s vorstellen, Imrulein. Ach was, können Sie nicht. Aber ich stand dazu. Irgendwie hatt’ ich mich darin verliebt, dass er ganz verdummt. Na, und dann verdummte er auch, aber so richtig. Wir saßen im Café, zwei Eis, zwei Cognac. Ich erinnere mich gut an die klebrigen Kreise, die die Gläser auf der glänzenden Tischplatte hinterlassen haben. Na und dann landeten auf einmal zwei Fliegen dort, Sie wissen schon wie ... und aus, auf einmal war’;s vorbei. Kann sein, ich war noch ein Kind, aber mir kam so das Lachen an ... Vielleicht nur vor Verlegenheit. Aber dem Tölpel noch viel mehr. Doppeldecker-Fliege, sagte er, dass wir es als Witz nehmen sollten. Aber für mich war das Ganze schon so lächerlich geworden. Der arme Friedhofswärter. Und, als würde sie die Geschichte fortsetzen: Passen Sie bloß auf da drin. Sie sind noch jung, sehr verständnisvoll. Je älter ich werde, umso gehässiger werde ich, umso weniger bin ich nachsichtig. Besonders, wissen Sie, mein Junge, die Dummheit... Ich muss gehen, Tante Sári.
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Jegyzet
Die Frau greift im Sit zen hinunter in eine ADIDAS-Sporttasche. Der junge Mann schaut von der Tür des Konferenzraums zurück. Das ist alles, was er übrig gelassen hat, jetzt stellen Sie sich das mal vor, ruft ihm die Frau zu und hält einen ziemlichen Brotkanten hoch. Tomcsányi hört zu ihr hin und horcht gleichzeitig. Was geht im Konferenzraum vor sich? Ein Lied erklingt von dort.
In unsrer Heimat sind die Himmel blau,
Das Gras ist grün, die Wiesen satt,
Tausend Schätze von Fabrik und Feld
Allein den Arbeitern gehör’n,
Tausend Schätze von Fabrik und Feld
Allein den Arbeitern gehör’n.
 
Eine kräftige, ruhige Stimme ertönt mit dem Ende des Lieds. Na, na, Genosslein, die Stimme kämpft sich durch die gepolsterte Tür, Tomcsányi kann nicht feststellen, wem sie gehört. Horváth? Oder Péter Baittrok? Na, na, Genosslein! Ihr seht die Welt zu rosarot. Dabei ist das gar nicht unsere Farbe: nicht das Rosa. Das ist eine verdünnte Version, nicht wahr? Imres Hand auf der Klinke. Tante Sári
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Jegyzet
fragt noch mal. Soll ich Ihnen ein bisschen Saures mitbringen? Aber Imre ist schon drin.  
  So viel Sehenswertes, so viel interessante und hervorragende Menschen! Gleich hier haben wir zwei äußerst interessante Persönlichkeiten, Giacomo und Kamerad Beverly, die beiden Wirtschaftsberater des Genossen Peck, zwei Goldhamster. Man hält sie in einem Topf, den man mit einer Zeitung ausgelegt hat, meistens mit der Népszabadság, was so viel wie Volksfreiheit bedeutet
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Jegyzet
; die beiden kleinen Hamster haben’s auch nicht so recht geschafft, da herauszuklettern. Jetzt nuffnuffen und murren sie, mucken auf, der dichte Rauch stört sie. Bei Sitzungen welchen Niveaus auch immer erschien Kamerad Beverlys zurückhaltende, wenngleich etwas eckige Klugheit verständlicherweise anziehend; Giacomo seinerseits konnte bezaubernd grinsen. Sofern die Genossen neben ihren mannigfaltigen Beschäftigungen die Zeit fanden, liebten sie sie. (Imre denkt mit Dankbarkeit an sie. Er hat sich Kamerad Beverlys einstige Worte gut eingeprägt. Damals stand er noch nicht lange im Dienste des Instituts und wurde jedes Mal rot, wenn er sprechen musste. Einmal musste er vor Polen - polnischen Genossen - einen Vortrag zu einem ihm ungewohnten Thema halten. Wirtschaftlicher Austausch. Er wusste nicht, was er tun sollte. Der kleine Goldhamster sagte: Schmeiß ein paar doppelte Integrale hin. Es kann passieren, dass einer eine Rückfrage stellt. Ein Stänkerer ist immer dabei. Kamerad Beverly schob die Körnchen in die andere Maultasche hinüber. Wenn also die Frage fällt, wartest du eilig auf die Übersetzung und sagst dann: Aber Nein. Keineswegs. Das ist doch Improprius. Du musst nicht lachen. Ernst, aber ein wenig bestürzt. Aber nein. Keineswegs. Das ist doch Improprius.)  
  Imres Blick schneidet eine Schneise durch den bläulichen Zigarettenrauch, und dieser hübsche Hiatus führt bis zum Genossen Gregory Peck, Imres Abteilungsleiter. Gregory Peck ist etwa zwei Zoll hoch, zu seinem mit Silberflitter verzierten schmalen, geschweiften Sakko trägt er elegante, karierte Hosen, und wie er so auf seinem gewohnten Platz sitzt, auf dem Tisch, den Rücken gegen den Glasaschenbecher gestützt, tanzen in seinem sonnengegerbten Gesicht fröhliche, männliche Falten, die graumelierten Locken spielen fast Fangen auf seinem Kopf. Die kleine Hose ist ihm schon die Waden hochgerutscht, sein Köpfchen ist von fahrigen Händen unverantwortlich mit Asche bestreut worden, die mit Schweiß vermengte glitschige Masse ist ihm in die Stirn gerutscht.  
  Er winkt seinem jungen Angestellten zu, dieser möge Platz nehmen. Imre setzt sich, den kleinen Finger legt er fachgerecht vor Gregory Pecks Fußsohlen, damit dieser sich an ihm abstützen kann. Später, wenn Imre im Eifer des Gefechts aufspringen wird, wird Genosse Peck nach vorne schlittern und sich die Birne stoßen, der Arme; aber bis dahin ist noch alles in Ordnung. Momentan ist nur Gerekel zu hören; die kleinen, vertrauten Geräusche der Stoffe und das Schnaufen sind so menschlich, dass sie verzeihlich sind. Imre, mein Lieber, lass uns in der Richtung des geringsten Widerstands Vordringen. Tomcsányi meint, sein Chef beliebt zu scherzen, und antwortet leise, lass uns unser Talent gegen Kleingeld tauschen. Gregory Peck antwortet mit all der Trauer und dem unausweichlichen Humor eines halberfolgreichen Menschen: Was ist die Einheit?  
  Aber es ist nicht so, wie die Putzfrau es gedacht/prophezeit hat. Imre Tomcsányi ist misstrauisch. Sogar Miklós Horváth, dem Parteisekretär gegenüber. Der den jungen Mann mit sonorer Stimme begrüßt. Wir freuen uns, mein Sohn, dass du hier bist. Tomcsányi erkennt nicht, was seine Interessen sind. Das kommt schon noch. So denkt er. Es gibt nicht vieles, das ich sein möchte. Aber am liebsten dein Sohn nicht. Aberaber, mein Sohn, schilt ihn der an großen Erfahrungen reiche Mann, was du denkst, ist unwahr. Obwohl verständlich. Tomcsányi wird rot. Unwahr?, Imre denkt scharf weiter, und die sowjetischen Turbinen? Der Fall der sowjetischen Turbinen ist folgender: Wir stellen aus eigener Kraft 200-MW-Turbinen für 144 MFt her. Nun aber - dabei - würde die Sowjetunion bereits bewährte Turbinen für 86 MFt verkaufen. Das Ministerium nahm sofort die Begründung an und gab sie gleich weiter, wonach die Turbinenfrage zuungunsten der Wirtschaftlichkeit, anhand von qualitativen und industriepolitischen Gesichtspunkten entschieden worden ist. Horváth hatte seine Finger da drin.  
  Horváth bricht in Lachen aus. Sehr gefällig, dass du das ausgerechnet von mir, dem Parteisekretär, denkst. Aber hier ist gar nicht der Bestattungsplatz des Hundes, sondern was bringt dich nun zu mir? Tomcsányi sieht allmählich ein, dass er zuvor vorschnell geurteilt hatte; er hebt etwas befangen an: Berge würde ich erklimmen. Hoho, mein junger Freund, nicht so schnell mit den jongen Pferden! Es ist ein Mann mit engem Blick, der hier dazwischenfunkt, Genosse József Brandhuber. Er ist blass. Schwer nur hält er seine Emotionen im Zaum. In Ordnung: es sind andere Zeiten, andere Zeiten sind gekommen. Aber dass wir mit so einem langhaarigen Depp so viel Zeit zubringen! Ich rede nicht gleich von »liquidieren«, aber lernen, wo der Herrgott wohnt, könnte er schon! Oppardon.  
  Sobald er Brandhuber hört, ballt Giacomo seine kleinen Blütenpfötchen zu Fäusten, dann lässt er wieder locker, aber nun ist’s zu spät: seine Pfote glänzt vor ekeligem Schweiß. Aberaber, Genossen, er schnauft wie ein Kulissenschieber, aberaber! Vergesst nicht, Genossen: zum Verneinen braucht es Hilfsverben! Nichtwahrrrrrr?! Beruhige dich, lieber Józsi, Horváth wendet sich mit erhobenen Händen an Brandhuber. Auf der Handfläche sieht man eine lange Narbe: Er ist 1950 aus der Partei ausgetreten. Brandhuber sieht die Narbe und senkt den Kopf.  
  Die schweren, schmerzlichen Minuten der Erinnerung werden von Giacomo aufgelöst, er springt aus der Népszabadság und pinnt mit Hilfe einer Reißzwecke ein (viehisch) großes, wenngleich etwas angenagtes Kohlblatt an die Wand. Sogar die Wände haben Ohren, ruft er aus. Miklós Horváth richtet das Wort heiter an Tomcsányi. Noch bezüglich der Turbinen. Die Frage, mein Freund, das brauche ich vielleicht gar nicht zu sagen, ist gut. Aber lass mich nicht jetzt darauf antworten. Trag deine Argumente vor, mein Guter; welche gefällig sein sollen und bis ins Mark gehend.  
  Ein Raunen geht durch den kleinen Saal. Nein, Genosse Brandhuber springt erbost auf; er tobt. Ich bin dagegen. Dafür. Dagegen. Hau drauf, ist dein Vater nicht!, fiept Giacomo. Kamerad Beverly lächelt unter seinem Bärtchen. Ich präzisiere. Hau deine Mutter: ist dein Vater nicht! Die Kraftlinien, welche kompliziert und sich selbst widersprechend sind, zeichnen sich sofort ab. Genosse Szervácpongrácbonifác ist wohlüberlegt. (Die Tatsache, dass er ein Drilling ist, macht sowohl psychologisch als auch soziologisch seine mal sanft, mal gewalttätig widersprüchlichen, genialen und katastrophalen Entscheidungen und Stummheiten glaubwürdig.) Die Politik!, ruft er. (Heiterkeit, Applaus.) Die Produktion!, ruft er. (Heiterkeit, Applaus.) Die Produktivität!, ruft er. (Heiterkeit, Applaus.)  
  Péter Baittrok steht, langsam, wie der Guano, auf. Sein Blick streift Miklós Horváths Blick. Zum Glück kämpfen zu der Zeit, da unsere Geschichte spielt, diese beiden, der süperbe, gottgläubige Fachmann alten Schlags und der neue, wahre, hagere Mann der neuen Zeit bereits Schulter an Schulter. (Uferlos.) Am liebsten mögen sie es, zu arbeiten, aber manchmal kämpfen sie auch.  
  An die Waffen, dröhnt der Fachmann
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Jegyzet Andere Schriftart für Deutsch im Original
von europäischem Rang. Die Fräuleins strömen herein, bringen erst einmal eine Runde Cognac - tschinn, tschinn! -, anschließend die Waffen: Lanzen, Spieße, Handschare (welche nicht zu verwechseln sind mit den Kindschalen), Äxte, Morgensterne, gerade Säbel und türkisch krumme, Brustharnische, Armbergen, Schenkeleisen, Helme, Eisenhandschuhe und Beinschienen mit herabhängenden Gurten. Als man Miklós Horváth den goldenen Helm überreicht, erwidert er: Bring mir den anderen, den aus Stahl.  
  Hurtig lösen sie die Tafel auf, werfen zwei Tische übereinander, das ist die Burg. Mir den Graben, dir die Burg, murmelt Kamerad Beverly weise und zart wie die Bittermandel. Wieder hat der Ärmste etwas verstanden. Auf der riesigen Ebene, die vor der Burg entstanden ist, stehen die »Männer vom Planungsamt« in Reih und Glied. (Natürlich ist das nicht so einfach.) Als wären es die Ackerkrumen, die sich regten. Die Oberfläche der Erde bewegt sich in schwarzen Wellen, in das anschwellende Grollen mischt sich vereinzeltes Schellengeläut, auch der eine oder andere leise Pfeifton. Genosse Brandhuber trägt ein Schild auf dem Kopf, in der einen Hand eine Flügellanze, im Mund hält er quer einen Krummsäbel. Die Leiter, ruft er. Gregory Peck, der gleichwohl ein Feind der Burgleute ist, zuckt bedauernd die schmalen, anmutigen Schultern, während er sich hinter dem Aschenbecher versteckt. Adäquate Teile des Genossen Szervácpongrácbonifác können auch nicht helfen, denn er trägt einen Extrakampf mit einem seiner inadäquaten Teile aus. Baldigst blutet er aus mehreren Wunden; Unkraut vergeht nicht.  
  Es herrscht Stille in der Burg. Miklós Horváth, Péter Baittrok, der kleine Tomcsányi und alle, die eher zum Bannkreis des Ministeriums gehören, sind da: ihre Worte, ihre Wirkung und ihre Abhängigkeit, sie bereiten sich ruhig vor. Doch sobald die Sturmleitern krachend auf Stein, Eisen, Balken aufschlagen und sich das ergrimmte Gebrüll erhebt Allah akbar! Regelung der Arbeitsnormen! Ja fettah!, werden auch sie lebendig. Tomcsányi ruft heraus: Hui, hui, vorwärts. Die Tür geht auf, drei Tippfräulein in rot-weiß-grünen Hauben kommen hereingetanzt. Sie weinen (oder beweinen), der Pulverrauch brennt ihnen in den Augen. Sie verbeugen sich fernab des Gewirrs und singen mit uralter (pentatonischer) Melodieführung:
Jajj,jajj,jajj,jajj ung
Nicht geeignet
Für parametrische
Programmierung.
 
Sie verbeugen sich, die obere Wölbung ihres kleinen, festen, riesigen, hängenden, weichen, apfelförmigen, birnenförmigen Busens lugt aufreizend hervor. Die Männer verharren für einen Moment in Stille. Voilá, Tomcsányi verbeugt sich müde, bescheiden. Horváth rückt nervös den Harnisch an sich zurecht. Mein Sohn, hol dich der Dachdecker! Konkret, linear! Giacomo, weiter hinten im Schutz des Topfes, fiept auf: Grünkret. Kamerad Beverly fletscht die Zähne. Das Niveau, das Niveau, und schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. Das Erste sind jetzt die Feuerbälle und der Spieß. Die Bälle liegen in großen Pyramiden in der Nähe der Trümmerwände. Tomcsányi hat sie zusätzlich füllen lassen. Die Methode, der junge Fachmann übertönt den gigantischen Schlachtlärm, die Methode arbeitet mit einem Modell, das die Wirklichkeit - Giacomo johlt los und auch Kamerad Beverly nickt offen, ältlich die wirtschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt, und auf diese Weise vereinfacht es zwangsläufig: das Modell berücksichtigt nur die linearen Beziehungen, die Schranken (Markt, Kapazität etc.) behandelt es als Konstanten, das Modell ist statisch, beinhaltet nur Zusammenhänge, die sich auf einen konkreten Zeitpunkt beziehen; die durchzuführende Berechnung ist eine Extremwertberechnung, was zur Instabilität führt, das heißt: es kann passieren, dass eine geringfügige Veränderung der eingehenden Daten (Input) zu großen Abweichungen in der optimalen Lösung führen kann - oder führt! man muss also umsichtig vorgehen.  
  Die Kraft der Bälle verdoppelt sich. Deswegen, fährt der junge Mann gnadenlos fort, sind die sog. Empfindlichkeitsuntersuchungen unvermeidlich. Die Bälle feuern das erste Mal, wenn sie von der Burgzinne geworfen werden; das zweite Mal, wenn ihr Kern herausgefallen ist. Ein unverzichtbares Mittel der Empfindlichkeitsuntersuchungen ist die parametrische Programmierung. Neben Imre metzelt Baittrok in riesigen Schwüngen. Sein kleines Bärtlein tänzelt überlegen. Sein Säbel trieft vor Blut. Tomcsányi fährt schwungvoll fort. Und das Programmpaket, das zurzeit an unserem Institut zur Anwendung kommt, ist zurzeit nicht, ich wiederhole: nicht geeignet für parametrische Programmierung. Da der Kern herausgefallen ist, sprühen minutenlang brennende große weiße Funken hervor, und wer sie auf die Kleidung, ins Gesicht bekommt, sieht zu, dass er beiseitespringt. Ich sehe dich, mein Sohn, Imre Tomcsányi, ruft aus einem fernen Ringen Miklós Horváth freudig herüber.  
  Na und, was soll’;s?! Es ging bisher, es wird auch in Zukunft gehen. Man braucht eine wissenschaftliche Analyse, natürlich braucht man eine. Aber wir — hier richtet sich Genosse Brandhuber auf, die Knöpfe auf seinem in der Kleiderfabrik Roter Oktober fabrizierten Sakko verwandeln sich urplötzlich in rote Sterne, fallen wie leichter Flaum hernieder, springen vom breiten Brustkorb —, aber wir wissen auch ohne das genau, was man in diesem Land machen muss. Das haben wir alles ausgearbeitet. Tomcsányi wischt sich die verschwitzte Stirn. Darf ich was fragen, ruft er. Nein, aber nein. Das geht nicht so aus dem Stegreif. Das muss man vorbereiten. Denn, wenn wir es nicht vorbereiten, sage ich, eventuell, hahaha, etwas anderes, als was meine Meinung ist. Ich kann auch nicht immer alles wissen. Und wissen Sie, junger Kollege, Brandhuber schaut Tomcsányi scharf an, wissen Sie, Ihrer Frau können Sie was anderes sagen.  
  Hi-hi, johlt Giacomo. Na, man muss den Typen nicht gering schätzen, zischelt Kamerad Beverly zwischen den Zähnen. Sie nagen vor sich hin.  
  Hoch mit den Balken, ruft Abteilungsleiter Tamás Fólya (dessen jüngere Schwester im Ministerium et cetera, mehr noch, angeblich et cetera). Die Burgleute stehen stumm. Sie haben Angst. Eine große Schießerei ist im Gange. Habt keine Angst, ruft Fólya und tritt an den Platz. Die Hämmer krachen, die Kette, mit der man die Balken verbunden hat, rasselt und scheppert. Habt keine Angst, ruft der Fólya- Junge. Und keiner wagt es, Angst zu haben. Eine Kugel prallt am Helm des Abt.lt.s ab und schlägt den silbernen Federhalter herunter. Tamás, komm da weg. Sofort. Und er bückt sich noch, um zu helfen, einen Balken hochzuheben. Er bleibt gebückt, wie zu Stein erstarrt. Tamás, ruft Baittrok erschüttert. Tamás ist auf ein Knie gesunken. Der Helm gleitet ihm vom Kopf, sein langes, graues Haar fällt nach vorne. Baittrok rennt hinauf und hebt Tamás, ihn umhalsend, aus der Scharte des Abbruchs. Er legt ihn in einem Winkel im Inneren ab. Licht her. Tamás Fólyas Gesicht ist wachsweiß. Blut läuft ihm über den Bart, tropft auf den Tisch und die Decke durchweichend weiter auf den Boden, auf den mit der Decke (farblich) harmonisierenden Teppich. Tamás, ruft Baittrok, kannst du sprechen, und sieht ihn mit feuchten Augen an. Ja, stammelt Tamás. Kämpft bis zum ... er sackt zusammen, fällt.  
  Was ist das hier, ruft Horváth. Genosse, sagt jemand mit zitternder Stimme, diese Minute ist der Genosse Abteilungsleiter Fólya gefallen. Er wird gerade gebracht, auf einem Schragen, auf dem man die Steine fährt. Seine Beine hängen herunter. Seine Hände unbehandschuht verschlungen auf dem Brustharnisch. Baittrok trägt ihm den Helm hinterher. Ist es aus mit ihm?, fragt Horváth. Aus, sagt der andere traurig. Kämpft weiter, ruft der Parteisekretär aus. Er setzt seinen Stahlhelm ab. Er tritt an den Abt.lt. heran und schaut ihn wortlos, gramgebeugt an. Gott sei mit dir, Tamás Fólya! Bleib stehen vor dem Herrn: zeige auf deine blutende Wunde und zeige auf diese Burg! Er schaut ihnen barhäuptig, traurig hinterher, bis die Laterne hinter einem Mauervorsprung verschwunden ist. Tomcsányi müht sich gerade mit einer Seilrolle. Genossen! Das ist von Vorteil. In Zimmer 903 gibt es angeblich einen Schrank, das heißt, es gibt einen Schrank, in dem sich angeblich sehr wertvolle Materialien bezüglich der parametrischen Programmierung verbergen. Verberge-hen? Verbergen. Genosse Peck hält sich am Aschenbecher fest. Imre, mein Lieber. Wenn ich ein Kätzzchen wär’;, würde ich vor Freude meinem Schwanz nachjagen. Horváth schaut nur und schaut und spricht schließlich den sich plagenden Jüngling an. Hab keine Angst vor dem Seil: ist keine Wurst nicht. Pack’;s, Imre, Teufel nochmal! Zieh, als würdest du den ... den türkischen Kaiser hängen. Kamerad Beverly fiept dazwischen. (Provoziert ein kleines bisschen.) Glauben Sie mir, Genossen, Carter macht auch nur das, was ihm das Großkapital diktiert.  
  Die Burgleute eilen mit geröteten Wangen in den Sturm im tosenden Gewitter. Die Sturmleitern sind schon rutschig vor Blut, im Bezirk der Leiter ist die Wand purpurn. Unten die zuckenden, blutigen Stücke der Toten und Sterbenden. Im mörderischen Gerangel findet man sich kaum zurecht, die Beziehungssysteme verkomplizieren sich, und es passiert zum Beispiel, dass zwei, die zum selben Lager gehören, übereinander herfallen, dass, während Baittrok auf den Verdammten einschlägt, -sticht, -säbelt, mit dem Fokosch in der Linken Richtung Horváth schlägt; ob wir hier die notwendige Auseinandersetzung zwischen einem politischen und einem wirtschaftlichen Führer sehen, oder ist es nur eine enge Privatfehde? (Frauen?) Und wie die Zusammengehörenden aufeinander aufmerken, so nähern sich auch die Gegner an. Genosse Brandhuber sprengt nun mit einem leichten, runden, aus Schilf geflochtenen Schild herauf, lässt hinter dem Schild das Weiße seiner Augen hervorblitzen. Sobald er auf einen Klafter heran ist, dringt er zu einer Kugel zusammengeschmuckt weiter vor. Komm nur, lass mich deine feine Kalbsfresse knutschen, spricht ihm Horváth zu. Und der Panther hüpft weiter herauf. Der Parteisekretär lässt sein Visier fallen. Gerade rechtzeitig. Brandhuber, wie eine Feder, streckt sich, sticht mit der Lanze hinauf und bricht die Spitze am Kinnknopf ab. Was jetzt? Die Pike knallt und der Angreifer lehnt sich von der Leiter in die Luft und fällt Kopf voran - oder ohne diesen? - hinunter.  
  Vereint sind wir stark, Miklós, flüstert Genosse Brandhuber. Lasst uns denselben Fehler nicht noch einmal begehen, und er zeigt auf die Wunde in der Handfläche des Parteisekretärs, Schmieren gut zwanzig vor. Der Parteisekretär senkt den Kopf; gerade er weiß sehr gut, dass man mit politischen Verbindungen dasselbe erreichen kann wie mit wirtschaftlichen Verbindungen; es gibt keinen Leiter, der sich die politischen Komponenten nicht vor Augen halten würde. Weiter weg breitet sich in einer Wolke der Rauch des Schwefelgeruchs aus. Horváth hebt den Kopf. Sein Blick ist klar, geradeheraus. Nach vorne mit den Talenten, ruft er, die uns vertrauen, uns nutzen, aber nicht von uns abhängig sind, selbstständig sind, und doch unsere Leute. In seinem Gesicht ein Streifen geronnenen Bluts. Von wegen, sie sind nicht abhängig, wundert sich Genosse Brandhuber. Geh, der eine Held stößt den anderen gegen die Brust, welche Bewegung von freundschaftlichem Boxen bis lebensgefährlicher Bedrohung interpretiert werden kann.  
  Doch immer neue Gruppen steigen brüllend auf die Gefallenen. Die Horne tönen, die Trommeln dröhnen, Befehlsworte mengen sich mit Kampfgeschrei, Kanonenheulen, Gewehrdonner, das Knallen von Bomben, das Wiehern der Rösser, das Röcheln der Sterbenden, das Knarren der Leiter. Rauch verdeckt den Kronleuchter. Giacomo, und später leider auch Kamerad Beverly, brüllen durcheinander. Der Stopfen am Palast ist gebrochen! Die Sicherheit der Produktion! Managersystem! Nur auf den Kopf, Jungs. Ja kerim! Die Sicherung des Volumens! Ja rahim! Entwicklung! Maximaler Gewinn! Krämergeist! Defraudant! Meine Hochachtung deinem Propheten! Die Controller! Übergebt die Burg! Ich bring dich um. Voluntaristen! Kapitalisten! Grenadiere, schießt in die Mitte!  
  Die Schlacht trat in eine entscheidende Phase. Die Rede wurde relativ geradeheraus, die Katze aus dem Sack gelassen, jedermann gab seine Macht zu, sowie seine Beeinflussbarkeit und seinen Einfluss, jeder versuchte, sich der Rolle anzupassen, die ihm zugeteilt worden war, der Kampf trat in jenes zugespitzte Stadium der Statuskämpfe, in dem jede wirtschaftliche Frage: eine politische Frage ist. Kamerad Beverly zieht sich am Rand des Topfes hoch, blinzelt klug heraus. Die Wirtschaftlichkeit, das Interesse der Volkswirtschaft, die Politik, die technische Entwicklung, die Produktionssicherheit sowie die Ausnutzung der Kapazitäten sind eher Vorwände denn Gegenstände der Auseinandersetzung zwischen den Leitern. Der kleine Goldhamster schnauft. Fällt müde neben Giacomo zurück. Der Spitzbube entleert sich gerade.  
  Genosse Brandhuber trägt eine große, flatternde rote Fahne zwischen den Zähnen, um diese an der Zinne des Turms zu hissen. Er hat die Fahnenstange im Mund, deswegen lispelt er ein wenig. Die Intejessen dej Ajbeitej, brüllt er. Die Intejessen dej Ajbeitej! Optimiejung?! Wat denn noch. Jenossen! Wij optimiejen nicht, wij ajbeiten, Jenossen. Fast hat er den Turm erreicht. Die Gesichter werden blass, entsetztes Rumoren liegt in der Luft. Feuer, ruft der Parteisekretär. Tausende fallende- donnernde-knallende Blitze. Gekreisch, Gebrüll, Rauch, Detonationen, Schwefelgestank. An den Krampen der Leiter krachen die Äxte, die Piken, die Beile. Der Turm schwankt, fällt mit großem Krach. Der Kalkstaub stiebt wie eine Wolke aus den Trümmern herauf; und aus den Steinen quillt Blut wie aus der Kelter der Wein.  
  Langsam flauen überall am Tisch die Kämpfe ab. Überall rußigblutige Menschenstücke, die Luft zittert von ununterbrochenen ej wab!- und meded!-Rufen. Der Konferenzraum ist voll mit Verwundeten. Bader und Weiber sind dort mit Wasserschüsseln zugange, mit Zupflinnen, Alaun und Kraftwurz. Janka Dorogi reicht Tomcsányi ihr Tuch. Doch sie steht auf der falschen Seite, der junge Mann sieht sie nicht. Mein Gott, mein Gott, Tomcsányi bricht in Tränen aus, sie ha ben mir ein Auge ausgeschossen.
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Und bedeckt sein blutiges Gesicht mit dem Ärmel seines angebrannten Hemds. Horváth sitzt auf einem mit einem Bauernpelz abgedeckten Strohsitz zwischen den anderen. An der Wade hat er eine Wunde, dass sich das Blut in einer Pfütze unter dem Stuhl sammelt. Heul nicht, Tomi, ruft er ihm zu. Lieber mit einem Auge linientreu als mit zwei Augen ... Und duldet mit zusammengebissenen Zähnen, dass der Bader die furchtbare Wunde an seinem Bein mit Alaun wäscht.  
  Auslandsreisen, Versetzungen in die Provinz, Nach-oben-Fallen, Prestigeverluste, Prämien und kleine Prämien - das bescheidene Umrangieren der Macht; wie Ruß, Schlamm, Ziegel, Stein und die Toten: blutig, zerlumpt, verrußt, unbewegt. Rindviech, schreit Genosse Peck eine helfende, jedoch ungeschickte Hand an. Gregory Peck nahm seiner Statur folgend nur schwerfällig am Kampf teil. Er besorgte sich zwar einen Säbel, ein paar Sporen, dies und das, aber nachdem er ein paarmal durch die Luft geschwippt hatte, verzog er sich mit seinem charakteristisch zur Seite und nach vorne gehaltenen Kopf, nah an der Wand, diese fast streifend, unter die Népszabadság, neben seine beiden treuen Hamster, um sich die klugen Ratschläge zu Herzen zu nehmen. Als er sah, dass das Gemetzel abebbte, zerriss er ein wenig seine Kleidung (runter mit dem Flitter!) und biss sich auf die Lippe, damit sein Blut spross. Dennoch sah man ihm dieses »Außenvorsein« an. Wie gerne möchte ich mich einmal mit gepunztem Kragen einer Wagenburg anschließen. Das ist ja auch was Feines, mümmelt Giacomo.  
  Die Fräuleins bringen eine neue Runde Importcognac. (Ein paar von ihnen sind von den Helden gepflügt worden.) Der Genosse Generaldirektor erhebt sich und ergreift das Wort. Er blutet aus mehreren, einander diametral widersprechenden Wunden. Natürlich wird es für jede auch einen Balsam geben - oberhalb eines gewissen Niveaus läuft das eben so. Seine Lider zittern, man sieht ihm an: der Kampf war hart, männlich, seine Existenz betrachtet notwend-, was seinen Ausgang anbelangt, zufällig. Ich genehmige es, seufzt er. Genosse Brandhuber fällt in Ohnmacht. Tomcsányi schluchzt mit dankerfülltem Herzen. Na, du, na!, dämpft ihn jemand Erfahrenes.  
 
 
III. KAPITEL, in welchem sich die Schwierigkeiten einstellen, welche vorübergehend sind
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  Imre Tomcsányis schlanker, muskulöser Körper neigt sich wagemutig aus dem grauen Block des Instituts heraus. Mit einer Hand hält er sich am Rand des Panoramafensters fest, mit der anderen balanciert er. Er schaut nicht nach unten, er schaut hinauf. Die frühe Sonne wiederholt sich blässlich in der Fensterreihe. Er schickt sich gerade an, sich in das Zimmerchen zurückzuziehen, wo das Fachkollektiv Tag auf Tag in Freud und Leid, bei Stürmen, Ergebnissen und vergänglichen Misserfolgen zusammenlebt, als sich schräg oben etwas rührt. Erst ist nur die Bewegung des Lichts wahrnehmbar, dann gut zu sehen: man hat ein Fenster geöffnet. Auf dem Fensterbrett erscheint eine leichte, kleine Hand. Sie kommt, ruft Tomcsányi hinter sich, zurück ins Zimmer. Doch es war überflüssig, dass er rief, denn allesamt standen sie bereits in einem engen Halbkreis vor dem Fenster.  
  Tomcsányi wartet angespannt, als ginge es um sein Leben. Die Hand - dort droben - verschwindet, um gleich wieder zu erscheinen: sie hält eine Taube. Eine Taube! Ein Raunen geht durch die Reihen. Aufgeregt und ein wenig kindisch raten sie: Eine Lütticher? Bagdetta? Biset-Fuyard? Die Hand streicht über die Taube, als würde sie ihr sagen: Auf, Kamerad, Glück auf den Weg. Wer seine Stimme für Biset- Fuyard abgegeben hatte, war nah an der Wahrheit, die Taube, die nun mit ruhigen, sicheren Flügelschlägen die Obhut des Fensters verlässt, ist eine Antwerpener Brieftaube und zeigt als solche, obwohl vom Dragoner-Typ, erkennbar auch Charakteristika des Biset-Fuyards; auf den ersten Blick ist die Kraft zu erkennen, die Leistungsfähigkeit; ein in seiner ganzen Erscheinung lebhaftes Tier mit feurigen Augen; auch die Geschlechtsmerkmale kommen gut zur Geltung. Das Männchen soll nicht wie ein Weibchen aussehen und das Weibchen nicht wie ein Männchen - diese Grundvoraussetzung ist hier erfüllt. Die Farbe des Gefieders ist blau, gehämmert.  
  Da ist sie, ruft Tomcsányi, der bislang geschwiegen hat. Das auf mikroskop-fotografischem Wege verkleinerte Telegramm, in eine Federspule gesteckt und mit einem wachsdurchtränkten Seidenzwirn unter einem der Schwanzfederkiele befestigt - das ist jetzt aufgeblitzt. Die Menschen umarmen einander. Nicht dass Tomcsányi der Erfahrenste wäre, schließlich gibt es noch den alten Tibi Tóth, der schon 45 Rechentechniker gewesen ist, und Andris Békési, den KlSZ-Sekretär, aber dieser ist auch derjenige, der vielleicht am meisten an die Sache glaubt, der am vehementesten wünscht, dass aus dieser gewissen Studie auch was wird, sie nicht nur geschriebene Gnade bleibt, also ist er der Vorsichtigste, er ist derjenige, der - wie man zu sagen pflegt - nicht die Haut des Bären vertrinkt, er winkt ein Psst, belässt den Zeigefinger als Ermahnung in der Luft.  
  Das Tier oben dreht noch eine Runde,»winkt zum Abschied«. Hält auf sie zu. Imre schaut angespannt, aber hinter ihm löst sich die Gesellschaft schon auf. Kinder, der Kaffee ist fertig! Ja: so wie aus dem Traum Wirklichkeit geworden ist, ist auch die Magie verflogen. Mehr noch: Lajos Ádám, dieser untersetzte, immer unzufriedene Mensch, der aber auch die Arbeit anpacken kann, wenn es sein muss, und der auch weiß, wo man diese anpacken muss, macht sogar noch eine skeptische Bemerkung. Wir werden ranklotzen, und die Schütte ... Er vollführt eine unmissverständliche Geste, die man allerdings auf vielfache Weise interpretieren kann.  
  Die Taube nähert sich. - Eine genaue Erklärung für ihre Rückkehr haben wir bis heute nicht. Vielleicht die Liebe zum Zuhause. (Das ist wichtig.) Jedenfalls hat Thauseis bewiesen, dass die Erinnerung an das Landschaftsbild nicht die Triebfeder bei der Heimkehr der Brieftauben sein kann. - Man kann schon die lange, gebogene Linie des Kopfes und den langen, schwarzen Schnabel genau erkennen.  
  Jaj, schreit der junge Rechentechniker spitz auf. Das Zimmer erstarrt. Irgendwo hat sich mit einem selbstsicheren Knall ein Fenster geöffnet, und Imre sieht, wie mit furchteinflößender Geschwindigkeit ein Schatten über das Gebäude - dieses Wunder aus Eisenbeton und Glas - huscht. Ja: es ist der Schatten eines Jagdfalken. Wie ein schwerer Bomber oder wie die Bombe selbst stürzt der wilde Vogel auf das Opfer. Jenes erahnt die lauernde Gefahr; es kippt zur Seite, vorbei ist’;s mit der harmonischen Bewegung, es folgen hastige, verkrampfte Flügelschläge, als wären es die letzten Bewegungen eines Ertrinkenden, der noch von der Hoffnung am Leben erhalten wird.  
  Tomcsányi lässt den Fensterrahmen los - kein Grund zu großer Sorge: selbst in dieser zugespitzten Situation tut er nichts Unüberlegtes -, von drinnen hält András Békési seine Hand, und er neigt sich hinaus, so weit es ihm möglich ist und er sich traut, und streckt der Taube eine helfende Hand entgegen, die beinahe schon bedeckt ist vom Schatten des gnadenlosen Falken. Gerettet, seufzt im Zimmer drin Marilyn Monroe. Eine blonde, attraktive Person mit Volkswirtschaftsuniabschluss; berühmt für ihren Kaffee. Neben den roten Augen, den breiten, weißen Augenringen fällt die starke Entwicklung der Nasenhaut auf- jetzt sind es tatsächlich nur noch wenige»Schritte«!  
  Aber nein. Wie eine Lawine stürzt sich das reißende Tier auf den kleinen Boten. Die entsetzliche Szene spielt sich vor den Augen der Abteilung ab. (Sie lernen daraus.) Imre ist immer noch in der vorangegangenen Positur: eine Hand in der des KISZ-Sekretärs, die andere hilfsbereit ausgestreckt. Aus dem kreiselnden-wirbelnden Federagglomerat löst sich scharfes Gekreisch und beinahe menschliche Seufzer; die abgelösten Federn trudeln nach unten. Das tierische Duo aber verschwindet wie ein Stein in der neun Stockwerke tiefen Tiefe, keiner, der ihnen nachschauen könnte. Tomcsányi greift sich ein Stück Feder. Sie fühlt sich glatt, seidig, weich, samten und nicht rau, hart, trocken an. Ausreichend bepudert. Diese Vollkommenheit des Gefieders ist jetzt verständlicherweise grotesk. In der gehämmerten Farbe schmiert braunes Blut. Tomcsányi schaut die Feder an, rührt sich nicht. Er rührt sich nicht. Es ist still, nur fern knattert eine Schreibmaschine. Wer muss einen Abgabetermin einhalten? Oder ist es nur ein Festbericht? Auch dafür gibt es Abgabetermine.  
  Komm rein, sagt jemand, komm rein, alter Junge. Der junge Mann nickt, zieht sich aus dem Außenraum zurück. Jetzt erst spürt er, was für ein Wind dort draußen geweht hat, jetzt, da ihm die verschlafene Wärme drinnen entgegenschlägt, der angenehme Morgen. Sein Gesicht wird rotbäckig (was im Allgemeinen ein Zeichen für Frohsinn und Gesundheit ist). Die kleine Gruppe ist ein wenig niedergeschlagen. Marilyn Monroe zieht ein Gesicht; ewig zieht sie ein Gesicht. Das Zimmer ist erfüllt von den zutiefst naturhaften Geräuschen der Kaffeemaschine. (Imres Mutter kann aus drittklassiger Ware einen hervorragenden Kaffee kochen; daran denkt der junge Mann.)  
  Tomcsányi setzt sich an seinen Tisch. In der glänzenden Politur ein paar Zeichnungen: von Tassen, Vasen, Kratzer. Er bückt sich, holt einen Literschlauch Milch hervor. Packt ihn, dreht und wendet ihn, prüft die Ecken. Doch eine Ecke ist wie die andere. Er wählt zufällig eine aus, an welcher er zu nagen anhebt. Er kann sie nicht zerreißen, er macht mit seinen scharfen Zähnen bloß Löcherchen hinein. (Wie das Frettchen ins Hühnerei, sagte ein Kollege einmal. Er lachte, schüttelte den Kopf.) Der alte Tibor verliert die Geduld, langt überlegen in sein Sakko, aus dem er ein ansehnliches Klappmesser hervorzieht, und schneidet die fragliche Ecke ab, jene, die der junge Mann zuvor so brutal angenagt hat. Das war mit mir am Don, der Alte lässt das Messer zuschnappen.  
  Imrulein, der Kaffee, sagt die blonde Marilyn. Auf den Berg-Hügeln ihres Pullovers verweilt das Auge. Tu keinen Zucker rein, ist schon welcher drin. Zwei sind drin. Soviel ich weiß, trinkst du ihn mit zweien. Stimmt. Tomcsányi hat sich immer noch nicht ganz beruhigt, ist nicht in Ordnung, er hält blass die Milchtüte. Jancsika Tobiás erklärt Imre mit einer gewissen Schärfe, wie dieser die Tüte absetzen soll (hochkant, ein wenig»geknickt«). Tomcsányi bedankt sich unaufmerksam. (Er mag Tobiás nicht;»er hat eine gewisse Geneigtheit«, denkt er vorurteilsvoll über ihn.) Er trinkt den Kaffee. Füllt Milch nach, die Mischung wird immer dünner, aus einem regulären Kapuziner zu einer etwas trüben (und vor allem süßen!) Milch.  
  Würdest du mir die Sport geben, er wendet sich an Ádám, der prompt und laut antwortet. Bedien dich. Die Zeitung ist nicht zerknittert; sie ist benutzt. In der Mitte mancher Blätter ist entlang der Faltung die Druckerfarbe verschmiert. Gerade an so einer Faltung liest er - noch über dem Tisch, während der Kollege sie ihm reicht der finnische Linienrichter zeigte an. Die Zeitungsblätter folgen ziemlich ungeordnet aufeinander; zum Beispiel: die erste Seite ist weiter nach hinten geraten und wurde zur vorletzten, die dritte Seite ist zur ersten geworden. Ob jedes Blatt seinen Platz gewechselt hat? Oder gibt es Konstanten? Er blättert. Gubányi mit Knorpelverdacht. Palotai vor großen Aufgaben. Jeck, der alte Haudegen. Der verleidigte Ausputzer.  
  Er stellt die Kaffeetasse ab, der Löffel hängt aus ihr heraus wie eine ausgekugelte Extremität. Marilyn Monroe richtet sich den Rock, dabei zieht sie den Bauch ein. Sie macht sich bereit, dem Genossen Abteilungsleiter einen Kaffee zu bringen. Der Kaffa des Genossen Peck, sagt sie gesichterschneidend zur Erklärung, denn die Stimmung ist so (so gesund), dass sie das tun muss. Sie geht hinaus. Der ist doch schon lauwarm, sagt Békési, und alle lachen. Imre langt in seine Tasche. Er spürt die Feuchte innen drin, die die Milch verursacht hat. Genauer: die Tüte. Ist nicht ausgelaufen, und trotzdem. Er holt einen Stift hervor, ein Buch (P. J. Probys Bergbaukunde), Schreibpapier.  
  Imre Tomcsányi, die junge Fachkraft, beugt sich über seine Arbeit. Er ist in seine Arbeit vertieft, hebt den Kopf erst,  
  als in großer Eile Janka Dorogi eintritt, die Kleine aus der Verwaltung. Habt ihr’;s bekommen, fragt sie. Tomcsányi senkt den Kopf, nein, antwortet der alte Onkel Tibi. Das ist unmöglich, das zarte Persönchen schaut auf die Uhr. Diese, diese Taube kann 85 Kilometer pro Stunde. Sie konnte, murmelt Imre - für alle anderen unverständlich - vor sich hin. Das Gesicht der jungen Frau ist streng, einfach. Nur das zarte Rot auf den Wangen zeigt vielleicht ein wenig ihre Unsicherheit an, die sie nicht wegen der Geschwindigkeitsangaben verspürt, eher wegen der vielen Männer. Einmal ist sie sogar aus dem Ministerium wieder»nach Hause« gekommen, fügt sie noch hinzu. Laut der Zeitschrift American Pigeon Journal liegt der Weltrekord bei Fernflügen bei 1685 Meilen, das heißt bei 2700 Kilometer, sagt Jancsika. Zur Orientierung: die Entfernung zwischen Ajaccio und Paris beträgt 1100 Kilometer. Békési hat genug davon, wie sie hier drum herum reden. Der Falke hat sie gerissen, sagt er ohne Umschweife, und zeigt auf die blutige, gerupfte Feder, die auf Imres Tisch liegt. Janka Dorogi erschrickt. Warum hast du sie nicht heruntergebracht, fragt Tomcsányi unfreundlich. Janka schickt sich gerade an zu antworten, Békési winkt ab. Man muss den Amtsweg einhalten, Unterschrift, Registratur, Unterschrift, Taube. Janka nickt, schaut dankbar zum KISZ-Sekretär, die Belegdisziplin, seufzt sie. Ich schicke noch eine, sagt sie sofort, engagiert. Tomcsányi schaut das Mädchen durchdringend an, sie missversteht es und fängt mit gesuchter Leichtigkeit ein Gespräch an. Sie zeigt auf die Kaffeetasse, die unabgewaschen auf der Ecke von Imres Tisch steht. (Er wäscht sie erst am Ende des Tages ab; weicht sie lange in warmes Wasser ein.) Lacht nicht über mich, aber ich trinke ihn mit 6 Würfeln Zucker. Imre bemerkt wütend, dass das Mädchen zu ihm spricht. Mit sechsen, wirklich. Sie kichert verstört. Die anderen hören nicht mehr hin. Und aus dem Zucker baue ich einen Turm, und meiner Meinung nach ist nur das an dem ganzen Kaffeetrinken was wert, wie dieser Turm umfällt. Tomcsányi hebt gereizt den Stift. Der Frosch. Fällt in sich zusammen wie die Zeit, sagt das Mädelchen noch, wie eine kleine Philosophin. Tomcsányi räuspert sich hilflos, dann, um auch was Persönliches zu sagen, sagt er: Kau nicht an den Fingernägeln;  
  als er (um drei viertel zehn) fragt: Wie spät ist es? Zwei Minuten nach drei viertel zehn, antwortet Tibor Tóth. Imre wirft einen Blick auf seine Uhr. Geht sie pünktlich, fragt er. Habe sie heute früh gestellt. Ja, das verstehe ich, aber geht sie pünktlich? Ja. Woraufhin er die Zeiger um 3 Minuten vorstellt. Sie soll lieber vorgehen als nach, murmelt er;  
  als er Lajos bittet, er möge das Radio anschalten, das heißt einschalten, und den Sucher auf Petőfi stellen. Wer spielt? Nichts, es fängt bloß Auf den Wellenlängen der Musik an. Als die genaue Zeit angesagt wird, um zehn, wirft er Onkel Tibi einen vorwurfsvollen Blick zu (ein wenig hysterisch oder theatralisch) und stellt die Uhr um zwei Minuten zurück; der kleine, aber verlässliche sowjetische Apparat, der Sokol, fängt an, das Programm auszustrahlen;  
  als das Stefanovits
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-Quartett an die Reihe kommt. Stefanovits ist der Mann der Zukunft. Lajos Ádám sagt: In der Grundschule ging er zwei Klassen unter mir. Dann drei, dann vier. Ihr versteht. Ein netter Junge, überhaupt nicht eingebildet. Jetzt singt er von der Brigadebewegung, zu frischer, rhythmischer Gitarrenbegleitung. Mein Gott, er ist so alt wie ich, sagt Tomcsányi. Aber er hat eine Hühnerbrust, setzt Lajos fort. Was ist eine Hühnerbrust? Mach dir keine Sorgen, Monroe, sagt der KISZ-Sekretär;  
  als Jancsi Tóbiás mit hoher Stimme sagt oder antwortet: Die fünf Lenin’;schen Kriterien. Was sind Kriterien? Verheb dich nicht. Marilyn wendet sich turtelnd zum Alten. Sehen Sie, Onkel Tibi, sehen Sie, wie die sind. Dabei trage ich gar keinen BH. Sie schmollt, zieht ein Gesicht. Du hast einen Haufen Probleme, beschäftige dich damit, sagt Békési;  
  als eine schielende Frau (wer ist das?, wie ist sie hierhergekommen?) in der Mitte des Zimmers steht und aufgeregt sagt: Habt ihr gehört? Tamás Fólya hat Unzucht getrieben. Und schon ist sie weg;  
  als aus dem Telefonhörer, nachdem er diesen hochgehoben hatte, eine Stimme dringt. Am Montag gehe ich zum Oberst. Es ist eine weibliche Stimme, und es hört sich eher so an: Am Montag gehe ich zum Oberst;  
  als Jancsi Tóbiás Folgendes sagt: Ich verstehe dich, Miklós, mein Lieber. Ich werde dementsprechend handeln. (Nach J. T. zu telefonieren ist so gut. Der Hörer ist so frisch.) Ich verstehe dich. Aber ich stehe sowieso im Ruf (Lachen), ein diskreter Mensch zu sein. Ihr Mann, also, der ist ein Fachidiot, mein lieber Miklós. Ein guter Fachmann, aber sonst nichts. Über eine fachliche Frage debattiert der Tag und Nacht, bis zum Umfallen ... natürlich, ja, du hast recht, das ist wichtig, schließlich, hä-hä-hä, bekommt er dafür sein Gehalt... aber wenn wir ihn wegen gerade aktueller Jahrestage ansprechen, hat er gleich keine Zeit. Nein. Nichts. Kein bisschen Zeit hat er dann. Servus;  
  als Marilyn Monroe mit ihrer schneidenden Stimme loskreischt. Zoli! Was ist der Code für die Spule? (Welcher lebende Mensch könnte hier Zoli heißen?);  
  als er aus mehreren winzigen Zeichen (Geräuschen und anderen Fragmenten) zu dem Schluss kommt, dass Lajos Ádám ein Gespräch mit ihm anzufangen gedenkt. Den formalen Grund dafür liefert die Sportzeitung. Tomcsányi spürt, dass Ádáms Blick den seinen sucht, und wenn er nicht aufpasst, wird er rasch erfahren: was Baróti nicht kann, wieso und inwiefern der eine oder andere Halbstürmer einen Fehler gemacht hat, wie viel Geld sie für den Sieg eingestrichen haben  
  für die Niederlage  
  wer im Hintergrund stand denn Tomcsányi solle keine minute lang denken dass das nicht abgekartet war wie zum beispiel gegen die russen weil hier wird es so lange nichts geben das solle sich Tomcsányi hinter die ohren schreiben und auch dass er Ádám das gesagt hat hier wird es so lange nichts geben bis nicht der Öcsi Puskás der kapitän wird wer wie blöd ist und in welchem ausmaße und Verhältnis wie blöd der schiri war soll er eine ziege leiten oder ström aber kein fußballspiel wie blöd der Picasso ist dabei kann er auch anständig malen er hat es gesehen wie blöd die neue chefin in der schwesterabteilung ist die hundertprozentig deswegen so ein ekel ist was er vollkommen verstehe noch nicht einmal für geld schon allein der ohren wegen die sonne scheint durch die hindurch und sie trinkt ständig terpentin weil das angeblich dem urin den geruch nimmt wer jude ist ob das gut für uns ist oder schlecht aber es ist gar nicht sicher ob er es überhaupt ist und ob das gut für uns ist oder schlecht und Tomcsányi solle nicht vergessen der Fräsier der kann viehisch Schläge einstecken nicht wie der Stiewensn der ein kinn aus glas hat gegen den Ali wäre er nirgends alter nirgends die polen lieben die ungarn wir sind ein brudervolk und wer im rückstand mit dem kaffeegeld ist und um wie viel und um wie viel mehr das zusammen mit dem vom letzten monat ist dass natürlich der genosse Peck der Spitzenreiter darin ist aber man wird ihm das noch ins gesicht sagen mit seinem sechser pro monat und wer schwul ist trotz dass er ein großer künstler ist aber man muss sich nur anschauen wie er die hand hält die oberhand und es kann zwar sein dass der Thomas Mann kein schwuler ist obwohl aber egal aber ein kohlköpfiger doitscher und ein kulturpojaz und von der gehaltserhöhung sprechen wir besser ausgesprochen nicht stechen uns mit 60 forint fleischgeld die äugen aus 5 millionen blindschieichen das zieh dir mal rein der blanke hohn ... Tomcsányi spürt die Gefahr, er springt auf. (Könnte sicher ein paar Kulissen schieben, sich strecken. Bin schläfrig. Alter, gestern war Sándor- Tag. Sei nicht sauer. Jeden Tag ist irgendein Tag. Aber wie lange kann man das wohl treiben?) Geschwind springt er zur Tafel, von der der Kreidestaub später sowieso in seinen Nacken rieseln würde, und zeichnet: Menge A, Menge B. Ádáms Lippen öffnen sich fast unbewusst, er flüstert leise: Menge A, Menge B. Imre fühlt sich obenauf. Er nimmt die Zeitung, um sie (ohne Betonung, und doch nicht unbemerkt) zurückzugeben. Doch hier unterläuft ihm ein Fehler. Der kleine Finger dreht sich - befreit von den Verbindlichkeiten des Zupackens - zur Seite, und herausgerissen aus dem Zusammenhang der anderen Finger sieht es so aus, als würde er auf etwas zeigen (was man dann kommentieren müsste). Lajos fährt auf;  
  als Marilyn Monroe Folgendes sagt: Die fünf Kriterien. Na klar, die Lenin’;schen. Und dann heirate ich entweder meinen ehemaligen Verlobten oder auch nicht. Sie schaut Tomcsányi an, hält den Hörer ab. Nur ein Witz, flüstert sie dem jungen Mann zu und senkt für einen Moment ihre Wimpern. Nein, nein, niemand, sie fährt fort. Also, wir sind gerade den Fall durchgegangen, dass ich von links komme und ich weiß nicht mehr wohin in großem Bogen abbiege, und rechts steht ein Fernlaster, vollgepackt mit wichtiger Außenhandelsware, da ist er aufgestanden, da habe ich gesehen, dass er einen kleinen Bauch hat, nicht groß, und, weißt du, mehr so die muskulöse Sorte, und er sagt, langsam, überlegt nach jedem Wort, sagt, dass, angenommen, aber nicht zugegeben, ja, das war göttlich, tatsächlich so, angenommen, aber nicht zugegeben, dass diese Information für die Teilnehmer des Kurses wichtig ist, was dürfen wir darunter verstehen: mit Außenhandelsware. Es war göttlich. Die Hände legte er auf die Lehne des Stuhls vor ihm. Seinen Schlips hatte er sich in die Hose gestopft. Das war die einzige brenzlige;  
  als von draußen erneut ohrenbetäubende Laute von elementarer Kraft ertönen, alle stürzen ans Fenster und sehen den vorbeihuschenden Falken und herabsteigend den blutigen, zerzausten Federklumpen. Fällt genau in die Haltestelle der 33, sagt der alte Tibi. Wenig später erscheint Janka Dorogi. Versteht alles sofort. Ich kann nichts tun, sie ringt die Hände; ihre Finger knacken entnervend. Ádám hält nicht hinterm Berg. Man müsste es mit einem Moskauer Grauen Tumbler versuchen. Tomcsányi winkt ab. Das ist nur eine Tumblertaube, wie schon der Name sagt; ist in der Lage, über einen runden Parcours ausdauernd und ohne Unterbrechung 2-8 Stunden zu fliegen, aber ... Lajos fährt dazwischen. Kann sein. Kann sein, dass wir sie aus den Augen verlieren, kann sein, dass sie auf der Erde wirbeln um die Längsachse ihres Körpers von rechts nach links oder von links nach rechts mit sehr hoher Geschwindigkeit. All das kann sein. Aber dass sie sich nicht trauen würden, dem Moskauer Grauen Tumbler den Falken an den Hals zu schicken, so viel ist fix. Darüber lachen sie gehemmt und traurig;  
  als Onkel Tibor zu flüstern anfängt. Ich habe nichts gegen Marilyn. Ein nettes Mädel, eine gute Programmiererin. Obwohl in PL/1... Aber das ist es gar nicht. András fällt ein. Lassen wir das,
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Onkel Tibor. Das hat keinen Sinn. Machen wir weiter, wenn Marilyn zurückgekommen ist, schlägt Imre vor. Ihr seid vielleicht obenauf, sagt der Alte scharf. Ihr seid vielleicht obenauf! Wenn sie mich jetzt nehmen, dann wird mir vor der Rente noch das Gehalt erhöht. Und? Und, und! Die triezen mich da eine halbe Stunde, Lenin hier, Lenin da, ich war ganz erschrocken, dass sie mich auch noch zu Stalin fragen, und beim anderen Tisch kommt die Marilyn Monroe angeschwebt, davor freilich Küssdiehand, Onkel Tibi, wie geht’;s Ihnen, Onkel Tibi, als ob sies nicht gesehen hätte ... Dialektisch, johlt Lajos dazwischen. Und am anderen Tisch
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Jegyzet es gibt immer zwei Tische
Genossin hier, Genossin da zur kleinen Monroe, schaffst du das neben der Arbeit, Genossin, wir hoffen, du nutzt es gut, Genossin. Als ob ich kein Genosse wär’; Sie werden dich auch nehmen, wenn du den Stoff intus hattest, flicht Jancsika ein. Tomcsányi und Békési springen zugleich auf. Und der Alte singt, ein bisschen knarrend zwar, doch temporeich.
Jancsi, dein Gretelein, ist ein fauls Schlamperlein,
wird nichts beschaffen,
Mutter, was denket ihr, grad so gefallets mir,
kann ich lang.
 
Die Jungs sitzen schnaufend da, János Tóbiás schweigt beleidigt. Den Kapitalismus wusste ich, nur den Sozialismus nicht. Der ist tierisch schwer. Die beiden jungen Männer mit dem offenen Geist lachen darüber herzhaft. Lajos Ádám macht sich bereit für einen seiner gewohnten Scherze. Diese Scherze sind ungehobelt, eine gewisse rohe Geradlinigkeit ist ihnen jedoch nicht abzusprechen; sie sind zugleich Verwandte der Unschuld und der Rohheit. Zuerst macht er eine Bemerkung zum Gelächter. Ah, ah, Onkel Tibi. Sieh an. Du hast so ein mauschliges Lachen. Könnte es sein, moschno, dass du auf das Ganze pfeifst? Und ist es gut, solche Kapriolen zu schlagen, so kurz vor der Rente? Das Lachen erlischt, doch die Papiere auf dem Tisch des Alten haben bereits geflattert. Ihre Bewegung ist nun dissonant. (Onkel Tibis Tisch ist immer voll: mit Papieren, Tableauplänen, Schriftbildern. Nicht, dass er von den Jungen abhinge, und nicht, dass die Jungen von ihm abhingen; nein: sie sind unabhängig voneinander, nichtsdestotrotz mag es Onkel Tibi, wenn alle wissen, dass er schon um sieben drin ist und die Arbeit auf seinem Tische nur so spritzt. Wisst ihr, Jungs, sagte er bei einer Gelegenheit vertrauensvoll, bei den Fliegern gewöhnt man sich ans frühe Aufstehen. Dort ist der Spruch im Umlauf: Sonne auf: zum Pferde lauf! Unter einem Pferd versteht man, das muss ich nicht extra erwähnen, kein echtes Pferd, sondern die Maschine. Die Macchina, wie wir sie nannten. Der arme Horthy junior.) Lajos senkt die Stimme, als plante er intime, beschwichtigende Worte. (Das ist bereits der Scherz.) Ich möchte nicht, dass du mich missverstehst, Onkel Tibi. Ich bin noch jung, vieles kenne ich nur vom Hörensagen. Ich bin alt und kenne vieles auch nur vom Hörensagen, der Alte Tibi lacht. Seine braune Haut hat einen gesunden Glanz. (Ein Liebhaber des Skifahrens.) Schau, ich möchte nicht, dass du mich missverstehst, aber sag, wäre es nicht möglich, dass wir heute die Deutschen etwas einseitig beurteilen? Und erzählt, dass er konkret an Hitler denke, erwähnt die Autobahnen, die noch immer Autobahnen seien, auch in der DDR!, er sehe ein, es sei eine hässliche Sache gewesen mit den J...n, eines Gentlemans unwürdig, man hätte daraus überhaupt keinen Kasus machen müssen, dabei waren das gute Soldaten, wenn es das Benzin der Amerikaner nicht gegeben hätte, wären Grisa und seine Leute nicht weit gekommen, echte Soldaten, kaltblütige Fachleute, und mal ehrlich, was konnte man nach dem Frieden erwarten, den die Franzosen zusammengeschustert hatten, stellt der junge Mann schließlich die Frage, anschließend distanziert er sich vom Vertrag von Versailles, darüber solle man gar nicht reden, denn er wolle nicht politisch werden, aber um zurück auf die Deutschen zu kommen, die wussten noch, was Disziplin ist, da gäbe es Ordnung hier, ho-hoo, aber wie. Er verstummt. Ich weiß nicht, ob ich das richtig sehe, Onkel Tibor! Tibor Tóth geht los Richtung Tür. Als würde er nicken. Seine Hand schleift an Lajos’; Schulter entlang. Sobald er draußen ist, johlt Lajos grausam los. Der alte Faschist! Wenn er sich erregt, geht er immer aufs Klo, sagt Tomcsányi sachlich;  
  als Lajos Ádám ausruft: Die Homogenisierung bei der Materialausführung werde ich denen noch mal in die Fresse schmeißen!;  
  als er den Telefonhörer abhebt und Schwefel, Blitz und Donner aus diesem herausschlagen. Die Kollegen verstecken sich unter den Tischen. Ei, du Lausbengel, darf man denn so ein hübsches Mädel zum Weinen bringen? Der Alte bietet Marilyn eine Semmel mit Fleischwurst an, sie ihrerseits hält dem Mann eine Tüte mit Neapolitanerschnitten hin. Das braune Papier der Tüte ist von Fett durchdrungen. Aus dem Knistern im Telefonhörer dringt eine schöne Männerstimme. Ein seelisches Erfrischungsbad war das für mich, eine Luftkur, der Genuss von Höhenluft nach dem permanenten Einatmen der schwülen Luft der Tagespolitik. Die Parsifal-Vorstellungen muss ich extra hervorheben, ein Werk, das jenen Ort niemals hätte verlassen dürfen. Ich hatte früher schon, im Jahre 76, die Gelegenheit, die Skizze der erhabenen Dichtung kennenzulernen; später sandte mir der Meister auch den fertigen Text zu, mit einigen empfehlenden Zeilen. Ich muss zugeben, bei der ersten Aufführung wirkte sie so fremd auf mich, dass ich nicht sofort bis zum Verstehen gelangen konnte. Ich zog mich in meine Loge zurück, zwischen die Tüchlein und Parfümerien und sagte immer wieder zu mir: Albert, Albert, wie dumm du doch bist. Doch in der zweiten Vorstellung hob sich der Schleier und alle Dämme brachen. Die Seelen waren von beispielloser Inspiration erfasst. Sein Ohr am Telefonhörer: hoffnungsvolles Knacken folgt auf hoffnungsvolles Knacken;  
  als Gregory Peck eintritt, er hat eine Brille auf, seine Hand ist tintenfleckig. Er macht den Eindruck eines Intellektuellen. Eines gebildeten Chefs. Er nimmt die Anwesenheitsliste zur Hand, schaut sie sich an (hat sie in der Früh schon gesehen), legt sie wieder hin, geht hinaus;  
  als er András zumurmelt: Diese Studie ist irgendwie so bürgerlich humanistisch. Schau dir zum Beispiel das hier an: wenn der erforderliche Materialbedarf gewährleistbar ist; oder das: auf diese Weise ist es vorstellbar, dass der Produktionsplan. Andris Békési kichert, versteht nicht ganz;  
  als Tánya, die Kranführerin, eintritt. Katzenschnäuzchen. Ihr Lippenstift ist frisch aufgetragen, ostentativ. Was schauen Sie, Imrilein? Sie, flüstert der Junge geschickt, so, dass alle lachen, nur Tánya nicht. Die Nasenflügel derselben erbeben. Jemand hat sich die Zähne geputzt. (Tobiás. Seine Zähne blitzen und glitzern wie die der Ustaschas.) Ja, das ist eine geistreiche Antwort. Wenn also überhaupt, dann kann man jetzt mit ihm zungenküssen. Im Wattemantel des Mädchens ist ein Loch;  
  als ihn Jancsika fragt, ob er die Novelle Mein Bruder, der Klarinettist gelesen habe? Nein.  
  Bevor sie gemeinsam zum Mittagessen hinuntergehen - die Zeit dafür ist gekommen -, treiben sie einen Spaß mit Imre. Was ist los, Alter, sie zeigen auf die lange, zerzauste, blutige Taubenfeder, ist das der neue Parker? Da ist nichts witzig daran, sagt Tomcsányi niedergeschlagen. Der KISZ-Sekretär freut sich auch nicht gerade wie ein Schneekönig. In der Kantine stehen sie lange Schlange. In der Kurve bemerkt Tomcsányi, dass am Kittel der vor ihm stehenden Kollegin, in Höhe der Bauchgegend, ein Knopf fehlt, wodurch sich das weiße Leinen von seinem Gegenstück löst und ein Spalt entsteht. Imre legt den Kopf zur Seite, kann aber nicht feststellen, ob er den Bauch sieht oder nur die Kombinage. Später wird seine Aufmerksamkeit vom Menü gefesselt, vom Menü A und dem Menü B. Die Frau im Kittel sagt durch das kleine Fenster zur immer giftigen Köchin mit dem verschwitzten Gesicht: Mein tiefstes Beileid, Icuka. Danke, sagt die Köchin. Ihre Augen sind verweint. Icuka, da kann man nichts machen, nicht vom Wiener Schnitzel, Teuerste, so grausam ist das Leben. Imre fasst Mut und verlangt Wiener Schnitzel für den grünen Bon. Geht nicht, Ordnung muss sein. Vor lauter Ärger nimmt er keine Salzgurken mit, dabei stünden die ihm zu.  
  Ihr Mann ist gestorben; hat Selbstmord verübt, weil ihn diese Pritsche rausgeschmissen hat. Die Icuka? Um Gottes willen, nein. Tomcsányi kämpft mit den Röhrennudeln; er würde sie gerne ansaugen, wie die Makkaroni, aber die Luft pfeift durch die Röhrennudel - wie schon der Name sagt. Seine Geliebte hat ihn rausgeschmissen. Ach so. Kein Mensch verurteilt Icu, dass sie ihre menschliche Würde aufgegeben hat. Da ist Logik drin, sagt die dicke Frau, während sich ein Tropfen der ungesalzenen Kohlrabisuppe aus ihrem Mundwinkel auf den Weg hinab macht. Aber hier geht es nicht weiter: er bleibt an einem Muttermal hängen. Da ist Logik drin, wiederholt sie; tauscht den Teller. Drüben stellt sich Janka Dorogi ungeschickt an, balanciert charmantlinkisch mit dem Tablett. Kein Platz, murrt Imre sie an. Das Mädchen in ihrem Ehrgefühl wird rot. Ich habe kleine Pfeifchen an den Schwanzfedern befestigt, sagt sie, und ich habe auch eine stark riechende Flüssigkeit verwendet. Tomcsányi winkt ab. Der ständige Abschuss der Greifvögel erweist sich als wirkungsvoller, sagt er laut, einigermaßen herausfordernd. Genosse Brandhuber winkt ihm aus der Ferne zu, mit vollem Mund. Hast eine schöne Stimme, junger Freund. Békési packt den sprungbereiten Tomcsányi am Arm. Mach keinen Blödsinn. Wir sind nicht im Wald. Janka Dorogis Augen sind auf den jungen Mann geheftet. Marilyn Monroe beäugt sie leutselig. Dieses fipsige Mädel mit den Zöpfen ist doch keine Konkurrenz. Die Augen vielleicht. Die blitzen, schwarz, feurig. Wart ein bisschen, sagt sie zu Janka, während sie die Esswerkzeuge einander scheinbar ohne Logik näher bringt, wart ein Weilchen, ich überlasse dir meinen Platz. Danke, ich finde schon woanders einen. Was für ein angriffslustiges Persönchen, sagt Monroe und kassiert die huldigenden Blicke ein. Aber in Tomcsányis Mund ist das Linzer Kränzchen (Menü A) so oder so schon bitter geworden.  
  Sie kehren in ihr Zimmerchen zurück, zum Schauplatz der Positiva und Negativa. Vorher macht Imre einen kleinen Umweg. Im ersten Raum hat er kein Glück. Dort brechen aus dem Pissoir Kolumbácser Fliegen (simulia columbacensis) hervor. An diesem Pissoir hat der heiliche Georg mit dem höllisch Drachen gekämpft noch zu Zeiten der Koalition oder des Dualismus, hat ihm den Kopf abgehackt und ihn in die Schüssel geworfen. Aus dem Kopf des Ungeheuers kommen die schädlichen Fliegen daher.  
  Er wirft einen fragenden Blick auf einen neben ihm stehenden älteren Kollegen. Sie machen dasselbe. Schau mal, du bist noch nicht lange in unserem Betrieb. Nun wäre es aber gut, wenn du und deine Sorte immer mehr und mehr über die Kolumbácser Fliegen undsoweiter wüsstet. Aber, weißt du, und paradoxerweise wäre eine Unterhaltung darüber umso besser, unsere Generation kann darüber ebenso wenig reden wie über eine Liebesnacht.
n
Jegyzet
(Aus dem auseinandergeris senen Pferdekadaver schlüpfen Wespen, aus dem Rinderkadaver Bienen.) Man muss bei der Verwaltung Bescheid geben, sagt er bereits drinnen, während er sich die Hände wäscht. Klaut jemand Papier?, fragt Lajos. (Er denkt an Tóth.) Nein. Imrulein, der Kaffee. Tun Sie keinen Zucker rein, es ist schon welcher drin. Zwei Würfel. Danke. Aber da steht auch schon streng-scherzhaft Lajos Ádám, um das Kaffeegeld einzukassieren. Tomcsányi polkt es heraus - chargiert ein bisschen, das Mittagessen und der Kaffee haben seine Stimmung gelöst -; der»Schatzmeister« legt das erhaltene Geld in ein riesiges, klobiges Blechkästchen. Auf dem Deckel ist ein Relief, das einen Soldaten und eine Fahne darstellt; die Aufschrift lautet: Ausgezeichnetes Bataillon. (Die Fahne weht siegestrunken, die Darstellung des Soldaten ist primitiv, sein Gesicht ist selbst so noch entschlossen.)  
  Marilyn Monroe bringt dem Genossen Peck eine Portion hinein. Listiges Häschen trumpft groß auf. Tomcsányi schaut sich das blutige Memento auf seinem Schreibtisch an. Rührt nachdenklich in seinem Kaffee. Marilyn kommt hereingeschwebt, richtet sich die Frisur. Imre, zum Rapport. Der junge Mann springt auf, als wäre er geschlagen worden. Mach bloß keine Dummheiten. András Békési schaut ihn voller Wärme an. Ádám zählt das Geld. Von der Tür wirft Tomcsányi einen Blick zurück. Was geschieht jetzt?  
  Servus, grüßt er drin mit fester Stimme. Servus, antwortet Gregory Peck und rückt ein Blatt Papier vor sich zurecht. Er kramt etwas. Es ist mir ganz recht, dass du mich hast rufen lassen, sagt Tomcsányi angriffslustig. Gregory Peck bekommt ganz runde Augen und spricht mit der Schwermut eines Fünfzigjährigen: Mögen dir Haare auf deinem Rechte wachsen!  
 
 
IV. KAPITEL. in welchem wir Aug in Auge mit einem zwiefachen Intermezzo stehen  
  Tomcsányi zieht sich zusammen wie der Stahl. Seine geistigen Muskeln sind sprungbereit! Kontert alles aus dem Stand! Alles, was gegen die Studie spräche, alles, was die Falken bestätigte. Bleib locker. Du bist angespannt wie eine Jungfrau auf ihrem ersten Ball. Stimmt es etwa nicht?! Genosse Peck kneift freundschaftlich die Augen zusammen. Nein, es stimmt nicht, Tomcsányi bezieht Stellung. Gregory Peck lässt die Finger über den Tisch laufen, als wäre er ein Piano. (Erklingt er? Nein. Kein Beethoven, kein Bartók (ein Ungar!), kein Haydn.) Mir ist zur Kenntnis gebracht worden, sagt er. Dann lenkt er ein. Spricht ins Telefon. Liebe Marilyn. Zwei Kaffee, wenn Sie so nett sein wollen. Ja, wieder. Ein nettes, gescheites Mädchen. Tomcsányi nickt. Gregory Peck räuspert sich und sagt dann, als wäre es ein flüchtiger Einfall, ein bedauerlicher Zufall: Ich habe dich bei der Maidemonstration nicht gesehen. Tomcsányi läuft rot an. Damit hat er nicht gerechnet. Giacomo johlt laut heraus, Kamerad Beverly nickt vielsagend. Wenn ich Chef wär’, fiept Giacomo leichtfertig, und die Backentasche des kleinen Hamsters verebbt, fällt fast ein, wie die Wangen der Asketen oder der Heiligen. Ja, antwortet Imre subtil auf die »Ich habe dich bei der Maidemonstration nicht gesehen «-Frage. Gregory Peck nickt - er hält keine Standpauke, die Zeit der Standpauken ist vorbei er hat angemerkt, was er anmerken wollte, und das war genau das, was es gebraucht hat.  
  Hoho, Freundchen, sagt Imre zu sich, du möchtest, dass ich vom Plan zurücktrete. Komm, Alter. Gib doch nach. Lass in dieser Kleinigkeit nach. Davon wird noch nichts weniger. Oder mehr, wenn man’s, hähähä, von der anderen Seite betrachtet, nicht wahr. Und du siehst ja, die Falken ... Das sind Kräfte, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Hoho, Freundchen, würde ich darauf sagen, aber warum soll ich nachlassen? Es gibt keinen Grund für so eine Umständlichkeit! Verstehst du, keinen! Schau, mein junger Freund, jeder tut einen Schritt machen. Ich mache einen, mach du auch einen!  
  Marilyn Monroe tritt ein! Pahhh! Der Peck und die Monroe! Tomcsányi reagiert das nicht ab, er setzt den hitzigen Dialog in seinem Inneren fort, manchmal nickt er, schüttelt den Kopf; wenn es einen gäbe, der ihn beobachtete, würde dieser ziemlich den Kopf darüber schütteln. (Ein interessantes Gedankenexperiment wäre es, sich jemanden vorzustellen, der wiederum diesen Beobachter beobachtete ... Aber lassen wir das.) Hoho, Kumpel, flüstert Giacomo, wenn ich der Chef wär’, wüsste ich, was provozierendes Verhalten ist, und die weiblichen Angestellten wüssten es auch! Eine ziemliche Erscheinung, gibt der zurückhaltendere Kamerad Beverly zu: Marilyns roter Rock windet sich wie eine Siegesfahne um den prächtigen Unterleib; strafft und lockert sich raffiniert. Was wollen Sie, schnauft Marilyn, und ihr gewölbter Schenkel stemmt sich gegen den Schreibtisch. Ein Papier verrutscht. Gregory Peck greift danach. Sein Händchen nah am Stoff des Rocks. Kommt er ran? Kommt er nicht ran? Die Wirtschaftsberater schmatzen, Tomcsányi ringt. Du wärst Gruppenleiter. Der Grupleit. Das würde selbstverständlich auch fürs Gehalt Änderungen mit sich bringen. Versuche bitte nicht, mich zu bestechen! Du irrst dich, mein junger Freund. So wichtig bist du nicht! Das Geld ist kein Geschenk und keine Korruption! Das bitte ich mir aus. Ich wäre beleidigt, hätte ich Lust dazu. Das Geld würdest du verdient haben!! Wir brauchen dein Talent sehr. Der Kaffee schwappt über. Die Nerven werden angespannt. Gregory Peck drückt sein Händchen heftig auf die Tischplatte. Sein Blut pulst: in seiner Handfläche wechseln sich rote und blasse Streifen ab. Marilyn sitzt. Sie seufzt; Peck hält sich schon mit beiden Händen fest: damit ihn der Wind nicht davonträgt, dieser nach Menthol riechende, warme, abgestanden-warme Lufthauch. Doch auch die Monroe wird nun vom schweren Männerparfum gestreift. Sie atmet es selbstquälerisch ein. Saugt, saugt, saugt es auf. Genosse Peck schaut wütend auf den Kaffeefleck. Er hält sich zurück. Marilyns Beine sind übereinandergeschlagen. Sie wippt mit ihnen. Am Aufstützungspunkt legt sich die Haut wieder und wieder in Falten. Ein wenig schwitzt sie dort auch. Der Pfennigabsatz auf und ab. Wie ein Dolch. Wer wird diese Stille brechen. Die Hamster rascheln. Sie sind nicht in Verlegenheit und tun auch nicht so, als wären sie es. Dein Talent brauchen wir sehr. Du bekommst den Auftrag für eine kurzfristige, quasi zwei Jahre in Anspruch nehmende Forschungsarbeit. Wenn ihr damit fertig seid, präsentiert ihr die Studie. Was für eine Studie. Mach keine Witze; na die Studie. Aber die ist ja schon fertig! Fertig, fertig. Papperlapapp. Das sind diese jugendlichen Übertreibungen, von wegen fertig. Von wegen los geht’s! Hand aufs Herz: gibt es an dieser Studie nichts zu verbessern? Könnte man sie nicht weiterentwickeln? Nehmen wir zum Beispiel die Trägheit in der Ausnutzung der Speicherkapazität. Das ist, um es, mein junger Freund, mit einem Beispiel zu beleuchten, wie wenn aus Konfektionsware ein Taylor-Mantel wird. Entschuldige, aber Vergleiche kann ich auch anstellen.
n
Jegyzet
Neben der Weiterentwicklung gibt es noch etwas, das dafür spricht, vorsichtig zu sein. Das ist keine Vorsicht, das ist Verschleppung. Reiten wir nicht auf Worten herum. Es ginge um eine einfache und notwendige Fristverlängerung. Aufschub. Sabotage. Aber, aber, teurer Freund. Ach ja. Und noch eine »Kleinigkeit«. Pass auf. Mit dieser Mehreinnahme würden wir unsere Plattform überschreiten, womit wir in einen anderen Prozentsatz fallen würden. Mehr ist also in diesem Fall weniger. Auf Betriebsebene gesehen. Imre murmelt: Argument auf Argument und darauf ein Gegenargument.  
  Der Peck und die Monroe! Zerfleischen sie sich vielleicht schon wie die wilden Tiere? Nein. Nichts löst sich. Gregory Pecks braunes Profil glänzt. Seine Augenwinkel heben zu einem winzigen Tanz an: man sieht, er hat die Entscheidung getroffen. Seine Lippen schwellen erotisch an. Hier aber springt Marilyn auf. Der Stuhl schlittert kreischend nach hinten. Gegen Tomcsányis Knie. Hihi, johlt Giacomo, wenn ich Chef wär’;, spinnt Kamerad Beverly seine Träume weiter, eingemummelt in die Népszabadság.  
  Wem gehört dieses Büstenhalterlein?, fragt der eine Hamster. Und wem dieses Unterhöschen, rümpft der andere die Nase. Von der Wand, aus einem goldenen Rahmen, schaut Bunuel streng und spröde herunter, sowie ein Bild des Genossen Szervácpongrácbonifác aus jüngeren Jahren. Was wollen Sie von mir? Pfui, Sie alter Ziegenbock, Sie. Gregory Peck erhebt sich unheilschwanger. In ihm kämpft der Wirtschaftsführer mit dem Manne. Sein winziger Schlips baumelt frei. Na, na, fängt er drohend an, doch das Mädchen ist, wie ein (forscher) Wirbelwind!, bereits hinfort! Na so was, sagt der Mann verwirrt. Entschuldige bitte, und er fängt an, hurtig die Dossiers auf dem Tisch hin und her zu legen. Die einzelnen Dossiers der Reihe nach mit A, B bzw. C bezeichnend (wobei es zwischen A, B, C keinerlei benennbare Ordnung gibt), entstehen auf dem Tisch blitzschnell folgende Konstellationen:  
  A  
  B  
  C  
  Ausgangsposition  
  A  
  BC  
   
  BC: B unten, C oben (d.h.: darauf)  
   
  A  
  BC  
   
   
  A  
  CB  
   
  B  
  A  
  C  
   
   
  A  
   
  Endposition; , : B und C um 180° gedreht  
  Sobald die Endposition erreicht ist, springt Gregory Peck von seinem Spezialstühlchen. Entschuldige, ich bitte dich, du siehst ja, ich komme sofort. Und schon ist er verschwunden, spurlos.  
  Tomcsányi ist allein geblieben. Wenn er auch nicht von Zweifeln übermannt ist, aber ... Er ist müde. Anders die beiden Wirtschaftsberater! (Kaum ahnen sie ihr Scheitern.
n
Jegyzet
Sie fiepen, murrmurren, kratzen, zwitscheln. Das Zeitungspapier raschelt drohend unter ihnen. Sie schauen sich an, Kamerad Beverly nickt. Er gibt das Zeichen. Nuffnuff, ihr trauriges Winseln ist ein charakteristischer Farbfleck. Aufwääärmäään, dröhnt Giacomo. Aufwärmen. Sie grabbeln zwischen den Salatblättern; Kamerad Beverly hängt sich an den Rand des Topfs. Seine Krallen dringen ratschend in die Zeitung. Er neigt den Kopf. Schneewittchen und die sieben Zwerge. Bearbeitung, flüstert ihm Giacomo zu. Bearbeitung. Und wer hat mein Volksfreiheitchen genommen?  
  Jessas. Wo lernst denn du so was, kreischt der kleine Giacomo. An die Arbeit, sagt der andere und lässt sich zurückplumpsen. Wenn ich. Giacomo verzieht sich verschämt zwischen die übrig gebliebenen Fetzen. Hab keine Angst, fang an. Wenn ich, tönt eine zaghafte Stimme von drinnen. Kamerad Beverly, der Ärmste, ahnt schon etwas. Wenn ich. Weiter kommt auch er nicht. Giacomo gickert respektlos. Nuffnuff, sprechen sie sich gemeinsam zu, verneigen wir uns, spucken wir die Körner aus, die wir in der Backentasche haben, lass uns beherzt sein, unsere Stimme soll verständlich sein, klar, nuff. Wenn ich. Wenn ich! Wenn ich!! Peinliche kleine Pause. Giacomo wird von Wissensdurst erfasst. Lieber Kamerad Beverly! Warum führen wir unser Können nicht vor? Warum tragen wir das Herz nicht auf der Zunge? So Giacomo. Kamerad Beverlys Antwort ist traurig, trotz des scheinbar »belehrenden« Charakters. Deswegen, Genosse Giacomo, weil uns zwar die Informationen zur Verfügung stehen, aber wir brauchen sie nicht miss. Aber nein. Denn zwar passiert es noch, dass wir uns festfahren im Fortschritt, aber das führt zu keinen Konflikten. Es gibt keine Konflikte. Es gibt schöpferische Debatten, es gibt Meinungsunterschiede oder Meinungsabweichungen, die gibt es. Es gibt auch einen gemeinsamen Nenner. Nach innen debattieren wir, Genosse Giacomo, geben die Ansichten nicht preis, nach außen vertreten wir einen einheitlichen Standpunkt. Giacomo sagt: Ja. Mein Gott. Wenn ich Chef wär’, wo nehm’ ich gar ein Kittelchen her.  
  Tomcsányi hievt sich beschwerlich aus seinem klebrigen Stuhl hoch, das Kunstleder gibt einen ekelerregenden Ton von sich. In der Tür stößt er mit Gregory Peck zusammen, der hastig herbeigeeilt ist. Sie begrüßen einander und treten beide nach hinten, dann erkennen sie den Humor der Situation, lachen und treten nach vorne. Imre macht von einer plötzlichen Idee geleitet eine Grätsche, die enge Jeans spannt sich an den Schenkeln, dort, wo der Stoff schon gebrochen ist, langsam muss man ihn stopfen. Gregory Peck läuft glücklich unter den gespreizten Beinen hindurch, wie unter einem Triumphbogen. Imre schickt sich an zu gehen.  
  Imre, mein Lieber, bis deine Angelegenheit geregelt ist, weswegen du dir kein bisschen Sorgen zu machen brauchst, stehe ich, meinen Möglichkeiten gemäß, hinter dir, und, du hast es sehen können im Konferenzraum, auch Miklós denkt mit Wohlwollen an dein Problem, solange möchte ich dich mit einer kleinen Extraaufgabe betrauen. Auf den ersten Blick mag sie vielleicht bizarr erscheinen, aber ich weiß, du irrst dich, wenn du die Nase rümpfst. Die Arbeit erfordert Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Mut, Geistesgegenwart, lauter + Eigenschaften. Eure Generation ermangelt sowieso solcher den ganzen Menschen fordernden Situationen. Genosse Peck macht eine Bewegung in die Richtung der Hamster, so, dass diese sie nicht bemerken; sie wären am Ende noch beleidigt. Sie ziehen die Fliegen an, flüstert er. Imre nickt, ssss, nickt. Wenn du diese fangen könntest. Der junge Mann antwortet diszipliniert. Das ist keine fachliche Aufgabe im engsten Sinne. Nein, sagt Gregory Peck breitwandig und beginnt, seine Dossiers hin und her zu legen.  
   
  A  
   
   
  B  
  A  
  C
n
Jegyzet
 
   
  A  
  B  
  C  
  Endposition.  
 
 
V. KAPITEL. in welchem die beiden Goldhamster - nachdem sie entschieden haben, was: nach innen hin und was:
n
Jegyzet Siehe Seite 46
nach außen hin ist - den Leser mit einem unerwarteten Geschenk überraschen  
Wenn die Welt ein Vöglein wär
Trüg’ ich sie im Kittelchen her
Nachts wie tags säng sie hell
Wenn die Welt ein Vöglein wär
 
Doch wenn die Welt ein Vöglein war
passt’ sie in kein Säcklern mehr
wo nehm’ ich gar ein Kittelchen her
wenn die ganze Welt ein Vöglein wär. (Sándor Weöres)
 
  Wenn ich Chef wär’,  
  - wachte ich mit den Hähnen auf,  
  - sänge ich den ganzen Tag,  
  - finge ich den frühen Wurm,  
  - und bäte um 5 vor 1/2 8 um den Anwesenheitsbogen,  
  - ginge ich stolz einher,  
  - wünschte ich Kaffee,  
  - ehrte ich die Frauen und passte während der Ehrung (ha, ha, ha) auf,  
  - hätte ich ein Haus, ein Äffchen und ein Pferd,  
  - hätte ich recht,  
  - hätte ich einen Schlips und bände ihn selbst,  
  - ließe ich mir das Haar richten, die Hose bügeln, wäre mein Pullover neutral, aber teuer, meine Frisur traditionell, aber makellos,  
  - putzte ich mir das Näschen und  
  - malte große, rote Fragezeichen an die Stelle der fehlenden Unterschriften,  
  - ließe ich zum Appell blasen und überprüfte persönlich den Abstand und die Deckung. (Eine »Deckung« ist dann vollzogen, wenn der Subalterne mit seinem Auge, das in Richtung Einheitsführer zeigt, nur seinen Vordermann sieht und mit dem anderen Auge nur die imaginäre Linie der Front, ausgenommen die Gräfin Hahn-Hahn, die einäugig ist.)  
  Wenn ich Chef wär’,  
  - hielte ich mir Zeithunde und fütterte sie mit blutigem Fleisch,  
  - würden die zu spät Kommenden Froschhüpfen auf dem Flur machen,  
  -dürfte sich der, der mich »Großmütterchen« nennt, glücklich schätzen, nichtsdestotrotz würde ich weder die Gesetze des guten Benehmens noch der Grammatik verletzen, aber dies würde mir nur um den Preis einer gewissen Steifheit gelingen,  
  - würde ich auszeichnen, einen Kieker haben, ein schlechtes Licht werfen,  
  - würde ich klauen, betrügen, lügen,  
  - würde ich jedem Feuer unterm Hintern machen. (Es würde nach der Pfeife getanzt; und: die Pfeife würde schön geblasen.)  
  Wenn ich Chef wär’, wäre ich unerbittlich all jenen gegenüber,  
  - die aussagen, ausrufen, wünschen, auffordern, fragen,  
  - die untergeordnet und die beigeordnet sind,  
  - die personal, die possessiv, die reflexiv, die reziprok, die demonstrativ, die relativ, die unbestimmt und die bestimmt sind,  
  - die tatsächlich, modal, unimorph, polymorph, die Raum, Zeit, Zustand, Modus, die konstant, die Dativobjekt, die zusammengesetzt, die abweichend gebeugt, die unvollständig sind,  
  - die sonstige strittige Fragen sind; denn eine Beleidigung ist in Form einer Frage genauso gut zu begehen wie in Form eines Aussage- oder eines anderen Satzes.  
  Wenn ich Chef wäre,  
  – dürfte den Kreidekreis, den ich um meinen Schreibtisch gezogen habe, keiner übertreten, nur ich und die Putzfrau,  
  – ließe ich mich nicht mit »Genosse« anreden, sondern mit »Herr Chef«, und ich würde jeden Anwesenden Genosse nennen, nur Tante Sári
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Jegyzet
, die Putzfrau, nicht,  
  - hätte ich 7 Liebchen, 7 x 7 Chefs, ich wäre Mitglied in 7 Korporationen: Plenum des Gewerkschaftsbunds, Zentralkomitee der Gewerkschaft, Gewerkschaftsvorstand, Gewerkschaftsleitung, Exekutivkomitee der Gewerkschaft etc.,  
  - aber ich riefe schon zur frühesten Frühe, noch bevor ich meinen Morgenkaffee getrunken hätte, via Telefongerät den Sekretär des Herrschaftsorgans
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Jegyzet den Parteisekretär
an, welcher meine kleine Schwester wäre, mein Freund, mit dem wir damals Hand in Hand die arglistigen Banden ausgeräuchert haben, die versucht haben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, der mein Onkel wäre, mein Schwager, mein Altvorderer, mein Sohn, mein Pfleger, mein Putzmann, mein süßes Einundalles, aber ich würde gelassen bleiben,  
  - Schmieren gut zwanzig vor,  
  - und wenn das harte Schicksal es verlangte, würde ich schweigen und reden, wäre ich mutig wie Mischka der Bär, würde ich auch meine Gegenmeinung nicht verschweigen, wenn das harte Schicksal es verlangte.  
  Wenn ich Chef wär’,  
  - würde ich ein Messer im Stiefelschaft tragen,  
  - würde ich schikanieren, gegen die Jagdordnung verstoßen, mit »Abspalten « und »Einwecken« drohen,  
  - würde ich mich vom Magazinverwalter schmieren lassen, würde ich in den leer gebliebenen Lieferkisten einiger Rechner (Computer!) Kaninchen halten, Chinchillas,  
  - würde ich Kaution leisten bis zum Abwinken,  
  - würde ich veruntreuen, tendenziös schweigen, würde der Stempel fehlen,  
  - würde ich obwalten, kleine Brote backen,  
  - würde ich in Kompetenzbereichen walten,  
  - würde ich das Weiderecht verletzen,  
  - würde ich Bücher verbrennen und falschen Feueralarm auslösen,  
  - würde ich Hindernisse auf Schienenstränge legen, unter Straßenbahnräder Würfelsteine werfen, dem Kraftwagenführer auf den Gasfuß treten, Szilveszter Matuska hinten, wo im Sonnenschein golden der Flaum aufglänzt, auf den Hals küssen,  
  - würde ich entsprungenen Sträflingen Butterbrote geben,  
  - mit Paprika,  
  - rattatattattata,  
  - würde ich die Briefmarken ablösen, Einfluss auf die Abläufe nehmen,  
  - würde meine eine Hand meine andere waschen,  
  - würde ich erzwingen,  
  - würde ich desertieren, meutern, aufwiegeln,  
  - würde ich im Falle von Feindseligkeiten betrübte Worte verlieren,  
  - würde ich schmieden, Schreckensnachrichten fingieren, Ehrennadeln tragen,  
  - würde ich Gras für meine hasenzähnigen Kaninchen schneiden (den laufenden Hasen würde ich in den Kopf schießen, würde mich nicht mit dem ganzen verdammten Schrot herumärgern),  
  - würde ich Mitleid empfinden.  
  Ich, wenn ich Chef wäre, wüsste, was provokantes Verhalten ist. Die weiblichen Angestellten nicht minder, ha, ha, ha. Ich wäre angemessen, seidig und wohlgenährt, denn irgendeiner meiner Subalternen würde zwar auf dem Wege einer Pressemitteilung ein namentlich nennbares Wirtschaftssystem und im Zusammenhang damit das Verhalten der Staatsmacht gegenüber diesem System zum Gegenstand der Kritik machen, und der Tonfall der Mitteilung wäre nicht sachlich, sondern sogar ziemlich scharf, nichtsdestotrotz würde sie sich nicht so sehr gegen die Klasse richten, die das System aufrechterhält, sondern eher die falsche Arbeiter- und-Bauern- (oder Marktwirtschafts-) Politik der Regierung angreifen, indem sie erwähnte, was für horrende Summen manche für eine Schachtel Zigarren oder für eine nächtliche »Fete« zum Fenster hinauswerfen - über all diesem drückte ich die Augen zu, denn meine Augen wären geschlossen: die Lider berührten sich!  
  Ei, wenn ich Chef wär’,  
  - würde ich mich in Ausschnitten vergraben,  
  - dürften die Knöpfe nicht lose hängen, selbst die Knöpfe der Frauen dürften nicht lose hängen, aber sie dürften frei geöffnet sein,  
  - nichtsdestotrotz würde ich die Freiheit weder mit Füßen noch mit Worten treten: Flachbrüstige - diese zu bestimmen ist eine schöne Aufgabe - dürften sich bis ans Kinn zuknöpfen,  
  - würde ich meine Schönheit niederringen,  
  - und wenn eine Genossin behauptete, ein Genosse oder eine Genossin hätte ihr die Hände festgehalten und ihr auf ihren Protest hin gesagt: »Das muss geschehen, so unumgänglich wie der Tod«, würden mich, selbst wenn ich es gesagt hätte, diese Umstände nicht erweichen, daraus kann weder Gewalt noch eine Drohung abgeleitet werden, damit kann keine Angst erzeugt werden,  
  - wäre selbst ein Bordell ein Geschäftslokal, fünf Personen sind keine Versammlung, drei Personen sind keine Gruppe, zwei Brandstiftungen sind nicht »mehrere« Brandstiftungen, ein Zeuge ist kein Zeuge,  
  - würde ich meine Vaterschaft anerkennen, würde ich herumferkeln,  
  - würde ich den erhobenen Einspruch meiner Frau, als sie noch ein Mädchen war, unter Berücksichtigung des Volksbrauchs als scheinbar erachten, ich würde sie von hinten um die Taille fassen, sie auf den an Ort und Stelle bereitstehenden Sandläufer werfen und mit ihr davonstürmen,  
  - würde ich meinem Kutscher die Anweisung geben, »hart einzupeitschen «, und würde er sich infolgedessen der pflichtgemäßen Sorgfalt und der wegen der Umfahrung der eventuell auftauchenden Hindernisse und Gefahren notwendigen Aufmerksamkeit entziehen, dürfte mein Kutscher keinen Kuss auf die Stirn erwarten,  
  - würde mein 5-jähriger Sohn Russisch-Extrastunden nehmen und Deutschunterricht nehmen und Französisch- und Solfeggiounterricht und Schwedenbitter nehmen, und er würde ganz passable Verse im Stile der sog. »Westler« (z. B. Dezső Kosztolányi, Milán Füst usw.) schmieden,  
  - später würde ich bei meiner Gattin, nachdem ich sie fortgejagt hätte, mit Hilfe einer an das Fenster gelehnten Leiter einbrechen und würde ihr, da ich sie dort zusammen mit ihrem Liebchen anträfe, in den Bauch treten, damit sie augenblicklich blutüberströmt wäre, anschließend würde ich, unter permanenten Misshandlungen, das neue Paar mit Hilfe eines zerrissenen Büstenhalters aneinanderfesseln und sie dazu zwingen, die staatliche Mietwohnung nach Mitternacht und in der winterlichen Kälte, bekleidet nur mit einem Hemd sowie barfuß zu verlassen; ich würde es nicht für ausgeschlossen halten, dass die Frau, meine Gattin, infolge der erlittenen Bauchmisshandlungen an Bauchfellentzündung dahinscheiden würde, wenn ich Chef wäre,  
  - aber ansonsten würden wir uns gut verstehen, zu ihrem Namenstag würde ich sie mit Terpentin überraschen, wir würden zusammen zu den Luftschutzübungen gehen, ich würde bei der sonntagvormittäglichen großen Wäsche helfen und würde am Nachmittag, während sie ihre geplagten Glieder lange einweicht usw. (daran würde sie seit 20 Jahren unter allen Umständen festhalten), in der Népsport lesen,  
  - würde ich schöne Literatur lieben, vor dem Einschlafen 15-20 Seiten schöne Literatur lesen (Afghanistan ohne Schleier z. B.), die Strapazen gut ertragen, wäre ich gesund, gäbe es mit meinem Gemüt keine Probleme, hätte ich in den letzten 15 Jahren nur Schnupfen gehabt.  
  Wenn ich Chef wär’,  
  - würde ich gegen die Rückseite der Röhre stoßen, aber ich würde nicht nur auf den Schnapper schlagen, sondern am Rand bzw. an der Nut der Scheide hängen bleiben,  
  - würde ich meine Untergebenen alle halbe Stunde zum Rapport befehlen, würde ich die Beinarbeit der Frauen als für unter aller Kanone befinden,  
  – wäre ich solidarisch und  
  - wohlwollend streitbar,  
  - aber keiner dürfte sagen: »es war kalt«, nur, dass wir »dufte Kerls waren«,  
  - würde ich manchmal weich werden und mich an der Hand streicheln,  
  - würde ich mich nicht verwöhnen, nicht in Milch und Honig baden, aber wer mir zu Gefallen sein wollte, sollte wissen, was eine: Wolfsschlinge (Abb. 1) und was ein: Weberknoten (Abb. 2) ist,  
   
  - und wenn dann einer aus reiner Begeisterung, d. h. umsonst, die ganze Nacht Kohlen schippen würde, wobei der Schweiß seinen Rücken herunterlaufen würde (welch Schweiß die Zeichnung der Donau, des Ob oder anderer Flüsse annehmen könnte), während er vor lauter Kälte das Gefühl hätte, seine Hände wären aus Stein, der zerschlissene Stoff des Handschuhs habe sich mit der aufgeschürften Hand vermischt, und von überall her würde der übelkeiterregende Gestank des Diesels herbeiströmen, während es ihm tagelang so vorkäme, als würde der Rand seiner Nasenlöcher mit Kohlestaub bedeckt sein, und der Grund seiner Augen blauschwarz wäre wie bei den schönen Frauen, dann sei ein jeder verpflichtet zu johlen, auch er selbst, wenn er geht,  
  - und wenn dann einer auf dem Boden herumkröche wie der rechte Verteidiger des SC Volán, und an seinen Lippen wären Gras und Schlamm, dann soll dieser mich nicht verfluchen, sondern sich lieber harmonisch verhalten, der Stolz eines ungarischen Untergebenen soll ihm anzusehen sein,  
  - denn andernfalls würde ich ihn antreiben, wenn ich Chef wäre, wie Singer die Nähmaschine, der Schinder sein Pferd, der Teufel seine Großmutter,  
  - du Läuseherd,  
  - seht,  
  - und wenn dann einer unter Umgehung des Themenführers mich finden würde, und ich unter Umgehung des Themenführers ihm eine zum Rotwerden konkrete Aufgabe und eine Prämie in Aussicht stellen würde, und nachdem der Themenführer sauer auf den wäre, der ihn umgangen hat, und auf alle, die ihn umgangen haben, wäre ich auch sauer mit dem, der mich gefunden hat.  
  Wenn ich Chef wär’,  
  - wäre mein Sinn für Humor unergründlich,  
  - wären meine Brauen dicht, das Gras auf meinen Weiden fett und gebraucht,  
  - würde ich unsere 6oer Preiserhöhung auf 20 zurückschrauben, wodurch wir den 4er Lohnmultiplikator herausbekämen,  
  - na, und hier wären die Regler,  
  - und ich hätte Kaderprobleme, aber ich würde einige aus dem technischen Bestand zu physischen (Arbeitern) erklären und am Schopfe packen,  
  - wären meine Kaninchen guter Laune,  
  - hätte ich einen Arbeiterausweis, einen Jagdschein, einen Rinderpass, ein Eilfrachtformular, ein Erscheinungsbild, eine Teilbefreiungsklausel, eine Ermäßigung für Bahnfahrten,  
  - würde ich Einfluss auf die Abläufe nehmen,  
  - hätte meine Diensteigenschaft Auswirkungen,  
  - würde ich G. G. aufgrund von Fehlinformationen einen Brief unwahren Inhalts in deutscher Sprache verfassen lassen, wonach er ein florierendes Unternehmen betreibe und in seinem eigenen Haus wohne (+ 2037 Schillinge),  
  - würde ich die Fußbodendielen aufreißen und mich den dahinschnellenden Tausendfüßlern hinterherwerfen,  
  - würde ich mich mit den Holzdieben einigen und bescheiden sowie solide am Ast sägen, auf dem ich sitze,  
  - würde ich im Interesse der Berufung meines Neffen einen Brief schreiben, in dem ich damit drohen würde, dass ich, wenn man meiner Bitte nicht nachkäme, den Ministerpräsidenten davon unterrichten würde, dass alles mit aufgeblasenen Taugenichtsen und deren degenerierten Abkömmlingen vollgestopft wird,  
  - würde ich die Seele der dörflichen Bevölkerung sowie ihre Vorstellungsgabe ausnutzen,  
  - würde ich abwälzen, zurückfallen, Verstoß sein, Feldfrevel und Wiederholungstat, Hacke und Spitze, Begünstigung einer Straftat, rechtliche Einheit.  
  Wenn ich Chef wär’,  
  - würde ich mich selbstverständlich an die Zeiten erinnern, als ich noch nicht Chef war,  
  - würde ich mich an die gestoppten Investitionen erinnern, die damals jeder für gut und wichtig gehalten hätte, und auch wenn die Leitung ein wenig an Gigantomanie gelitten habe, sei die Stimmung damals gut gewesen, man habe sogar Picksalami bekommen,  
  - würde ich mich erinnern, wie gerne ich gearbeitet habe,  
  - wären das schöne Zeiten gewesen,  
  - würde ich mich an meine frühe Mitgliedschaft bei den Jungen Kommunisten erinnern; heute hingegen sind die von der KISZ zu ernsthaft, zu erwachsen, ihnen fehlt der verspielte, jugendliche Elan,  
  - würde ich mich erinnern, aber von Erinnerungen kann man nicht leben, so  
  - würde ich mein Interesse auf Personen dissimilieren,  
  - würde ich mir Zeit nehmen,  
  - würde ich tätlich beeindrucken,  
  - würde ich einige stärkende, kreislaufanregende, erfrischende Bewegungen ausführen und ausführen lassen, wovon mich weder Schnee noch Matsch noch Nieselregen abhalten könnten; das kameradschaftliche Mitgefühl würde ich mit Spielen fördern, wie dem Kolbenspiel, dem Bockspringen, dem Werbetanz, dem Kavallerieangriff, der Lauschübung, dem Seilspringen, dem Handball, dem Volleyball (aber wir würden nur »ein bisschen herumbaggern«), dem Schleuderball; die Heiterkeit würde mir am Herzen liegen, aber die Naivität würde ich zu vermeiden suchen; ich würde »Hoch mit den Knien! Hüpfen! « mögen.  
  Wenn ich Chef wär’,  
  - würde ich Verständnis gegenüber den letzten Dingen zeigen,  
  - aber wenn jemand im Laufe eines spielerischen Ringens, während das Durchschlagpapier durch die Lüfte fliegt, das Blaupapier segelt, die Schreibmaschine knattert, das Telefon explodiert, dem anderen den Hals so zudrückte, dass dieser an einem Gehirnschlag als Folge von Erstickung auf der Stelle verstürbe, würde dieser Jemand keinen Stirnkuss von mir erwarten können,  
  - ebenso wenig derjenige, der seine stößig veranlagte Kuh in die Herde hinaustreibt,  
  - hätte ich meine Probleme, ich hätte ernsthafte Probleme: namentlich : innere Probleme und äußere Probleme, Erstere namentlich objektive Probleme und subjektive Probleme,  
  - würde es mich, obwohl ich nicht spürte, dass ich verloren wäre, nicht erfreuen, wenn meine Angestellten meinen durch sie zerstochenen und ohnmächtigen Körper in das Wasser des kaum zwei Klafter tiefen Sajó werfen würden, doch ich würde infolge des kalten Wassers sogleich mein Bewusstsein wiedererlangen, und ich hätte genug körperliche Kraft und seelische Gesammeltheit, so dass ich nicht zögerte, mich aus den strömenden Fluten des Flusses zu befreien; damit hätten meine Untergebenen aber nicht gerechnet, und ich würde schmollen.  
  Und wenn ich aber Chef wär’,  
  - würde sich die Situation früher oder später verbessern oder verschlechtern,  
  - aber noch bevor ich anfinge, mich gottlos zu fürchten,  
  - und zähneklappernd die Briefe zu beschlagnahmen,  
  - würde ich mich, bitte, in den Schutz von Sonnenschirmen flüchten,  
  - an meinen Ohren würden Goldringe hängen, jeweils zwei, welche bei jedem meiner Schritte sängen und klängen,  
  - würde ich mit meinem Detektorenempfänger die Sendung Auf der Wellenlänge der Musik hören, würde mich freuen, wenn Hédi Salánki die Redaktorin wäre, und würde vor allem aus den Melodien des Stefanovits-Quartetts neue Kraft schöpfen,  
  - würde ich schwelgen,  
  - würde ich Stein und Bein schwören (Überstunden, Höchstlohnbefreiung, Lohnmenge, Zielaufgabe, Subbotnik, Sonntagnik, Sanktnimmerlein),  
  - würde  
  - Beweise  
  - schmieden,  
  - aber ich würde den Jahresplan laut den Parametern erfüllen (einschließlich des Devisensaldos).  
  Wenn denn dann der Tag käme, und ich, das muss ich nicht extra erwähnen, Chef wäre,  
  - würde ich bei Besuchen glänzen,  
  - würden wir das Hauptgewicht auf ein strammes, untergebenenmäßiges, begeisterndes Erscheinungsbild legen,  
  - doch dann würden wir unter furchterregendem Hurra-Gebrüll übereinander herfallen (hier könnte man nur siegen oder sterben),  
  - wäre in der Feldflasche frisches Wasser und im Pulverhorn trockenes Schießpulver,  
  - würde ich frostige Telefonate abwickeln, während ich dem stolzen Flug der Falken hinterherblickte,  
  - wären wir ein Leib und eine Seele, und wer mit uns wäre, wäre nicht gegen uns, wer nicht mit uns wäre, wäre gegen uns, nix Pardon für Jozef Veverka (dem Ungarn muss das Raufen nicht beigebracht werden, dem ist das angeboren!),  
  - würde ich in die verschlungenen Gräben unserer Stellungen Reisig schleppen und würde mich dort auskennen,  
  - würde ich nicht mehr auffällig roden,  
  - würde ich die Ungarn beleidigende rohe Ausdrücke vermeiden,  
  - scht,  
  - würde ich das Plumpsklosett jeden Tag mit Erde bestreuen, wöchentlich desinfizieren,  
  - würde ich beiläufig verblümen, irreführend schlaumeiern (eine an der Seite hinausgehängte Mütze!, ohne Kopf!),  
  - hätten wir die Tendenz zur Tarnung im Blut, wir würden uns an das Gelände anschmiegen (das kostet: Zeit und Mühe, aber: fruchtet reich),  
  - würde ich das Geheimnis des Erfolgs im Erzeugen nächtlicher Panik sehen, in diesem Fall würde ich nicht husten, aber wenn Schnee läge, würde ich einen Schneemantel tragen, welcher weiß wäre wie der Schnee,  
  - würde ich das »Aufrollen« durch »Abschirmen« verhindern,  
  - wäre ich die Seele der Hauptabteilung, ihr entschlossenster Kämpfer, lauthals würde ich anfeuern, mich mit einem für meine Heimat typischen Schneid schlagen, würde mich auf Herz- und Bauchstöße sowie Kopfschnitte spezialisieren (ich wäre ein »Spezialist«, und das wäre meine »Spezialität«), würde mich flink bewegen, draufspringen, zurückspringen, abwehren, beiseitespringen, Fuß fassen, würde die Nacht zum Tage machen und trainieren: aus ungedeckter, freier Stellung, aus der Deckung usw.,  
  - würde ich eine Fachgruppensitzung abhalten,  
  - doch wenn das Pferd mit mir durchginge und ich mich mit ihm außerhalb der Sichtweite entfernte, verwundet würde, gottgebsnicht fiele, würden meine Untergebenen dies ohne Verzug meinem Stellvertreter melden, der mit lauten Worten meinen Platz einnehmen und seinen eigenen Stellvertreter benennen würde.  
  Wenn ich Chef wär’,  
  - würde ich mich über einem gewissen Niveau nicht unter ein gewisses Niveau begeben,  
  - aber wenn sich meine Wangen röteten und livide würden, würde man meinen Kopf und meinen Oberkörper mit Kissen stützen,  
  - würde man mir Luft zufächeln,  
  - mich tätscheln,  
  - meine Fingernägel hübsch feilen,  
  - mich mit nassen Fetzen schlagen,  
  - mich an der Nase kitzeln, meine Sohlen mit Essig einreiben,  
  - aua Finger,  
  - würde ich mit den Nerven am Ende sein, zuerst mit dem Verdacht auf eine Thrombose, aber nein: »nur die Nerven«,  
  - würde ich den Trommler zu mir befehlen, den Euphonisten, die Flügelhornisten, die Pfeifer (»Es«-Pfeifer, »B«-Pfeifer), den Helikonisten, den Tubaspieler, die Trombonisten, den Basstrompeter, den Posaunisten, sie mögen mir mein Lied spielen, das Kommmeinhundhasso,  
  - würde ich leise und unenergisch ein Fass aufmachen, mit dem Ziel, dass die Spitze der Fahne schräg nach oben und nach vorne zeigt,  
  - würde ich auf meinem strengen Bett liegen, dem man sich nur im »Schritt« oder im »Lauf« nähern dürfte (Schrittlänge bei »Schritt«: 75 cm, bei »Lauf«: 90 cm),  
  - und ich würde mich trösten lassen, mich verstehen, mich würdigen lassen,  
  - würde ich mich über die Zeitungen freuen, über gute Bücher, über Kompott,  
  - würde ich mein Herz ohne jede Gewalt für das Gute gewinnen, liebevoll mit mir umgehen, wäre ich das Augenlicht der apostolischen Seelen,  
  - würde ich weltliche Eitelkeit meiden,  
  - würde ich mit starker Hand die geschmacklosen Nachrufe vor der Ausartung bewahren, vor der Lobrede auf die Verwandten, der Aufzählung der Verdienste; ich würde das Volk langsam, aber sukzessive dazu erziehen,  
  - würden mir noch zwei Sachen einfallen: dass der Stand der von der Hauptabteilung Rechentechnik geschenkten Pferde zum Zwecke der Entwässerung nach hinten abfallen soll, und gleichwie würde ich verbieten, dass die Angestellten weder bei der rattenartigen Flucht, noch weil die Arbeitszeit zu Ende gegangen ist, den Paternoster in Anspruch nehmen, ich würde mir ausbitten, dass sie sich per Fahrrad fortbewegen, die Mitte der Lenkstange im Vogelgriff umfassend, während des ungezwungenen Sitzens mit weichen Händen und ebensolchem Rückgrat die Schwankungen des Zweirads auffangend, ihre Köpfe würden sie charakterfest hochhalten,  
  -wenn ich sagte »Zum Gebet!«, würden alle kuschen, wenn ich Chef wär’,  
  - und das Ewige Licht leuchte mir ...  
  Ja. Mein Gott. Wenn ich Chef wär’, wo nehm’ ich gar ein Kittelchen her.
n
Jegyzet
 
 
 
VI. KAPITEL, in welchem  
  Der Blick fällt, sofern er nicht verschämt ist (und diesen Luxus könnte man sich nicht erlauben), als Erstes auf die Kuhlen des niedergesackten Fleisches. Die rosafarbenen Wollstrümpfe, die stellenweise schmutzig zerfasert sind, reichen bis zur Schenkelmitte; die starke Gummierung hat rundherum einen dünnen Einschnitt ergeben. Dies gilt allerdings nur für das eine Bein. Am anderen ist der Strumpf heruntergerollt, die beiden starken, charakteristischen Sehnen und das Netz der Krampfadern in der Kniebeuge sind zu sehen.  
  Weiter oben münden die Beine in einen Hintern von ungeheurer Größe. Es ist Tante Sári
n
Jegyzet
. Die Putzfrau wischt nach vorne gebeugt, in gleichmäßigem Tempo, die Fliesen. Tomcsányi lehnt sich an, verspürt leichte Gewissensbisse wegen des Flurs; denn leider trieft dieser vor Blut, in den kleinen Blutbächen, denen die fehlerhafte Fliesung eine Rinne bietet, hat sich Ruß mit Ziegelstaub vermischt, wie Papierschiffe im Andersen’schen Märchen schwimmen menschliche Glieder darin, eine Nase, Wimpern, Daumen. Die Frau murrt, aber sie tut ihre Arbeit. Übereinander hergefallen wie die Sau über die Appelkrotze, sie deutet mit dem Kopf Richtung Konferenzraum, während sie das Aufwaschtuch in reichlich Wasser lange spült. Übereinander her, sagt Imre Tomcsányi zartbitter. Und, wird das Gehalt erhöht ? Warum sollte es, der junge Mann ist von der Frage überrascht. Die Frau richtet sich auf, lässt das Kreuz knacken. Weil’s niedrig ist, Goldstück. Der junge Mann nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette der populären Marke Schwalbe. Aber wie ich sehe, haben sie sich ganz schön geschunden, Tante Sári
n
Jegyzet
deutet auf ein davonschwebendes Ohrläppchen. Es blieb kein Genosse auf dem anderen. Passen Sie nur auf, widerspricht der junge Mann. Wenn wir die Studie finden und sie brauchbar ist und sie sie anwenden, wird es hier nächstes Jahr eine Prämie geben, wie man sie noch nie gesehen hat.  
  Die betagte Frau dreht sich ein wenig, andeutungsweise, zur Seite, kratzt sich vorne am Schenkel. Für wen, Goldstück? Die Frage ist, für wen. Bevor sie die Arbeit fortsetzt, schaut sie den jungen Mann lange an. Dieser läuft rot an. Sehen Sie, Imrulein. Denken Sie nicht, dass man es vom Kübel aus nicht sieht. Man sieht es. (Sie spielt auf die Falken an ...) Sie beugt sich über den Lappen, lässt sich mit ihrem Gewicht auf ihn nieder, an den Rändern des Lappens tritt schmutzige, blutige Brühe aus.  
  Hier tritt Graf Albert Apponyi
n
Jegyzet
an Imre Tomcsányi heran und fragt ihn, wie spät es sei
n
Jegyzet
. Genauer gesagt fragt er, ob es denn schon ein Uhr sei. Ich habe vorgestern um zehn Uhr zwanzig meine Uhr der Uhr des Polytechnikums angeglichen, aber es hat sich schon gestern Mittag um elf Uhr eine Differenz von neun Minuten gezeigt. In der kirchengleichen Stille klingt seine schöne, sonore Stimme wie eine Glocke. Sein Kopf, welcher einem namhaften englischen Pferd ähnlich ist, streckt sich würdevoll, ruhig aus seinem langen Hals. Stellen Sie sich doch bitte ein bisschen beiseite, sagt die Reinemachefrau und ächzt ausgiebig. Die schlanke, silfide Figur des Grafen vollführt eine subtile Bewegung. Obwohl die Chancen, die ominöse Studie aufzuspüren, nicht die besten sind, lächelt Tomcsányi, als er die Aktionen und die Reaktionen von Putzfrau und Graf sieht, welche auf der Gleichheit der Menschen basieren. Eine erinnerungswürdige Parteigruppensitzung kommt ihm in den Sinn. Er, wie es seinem Alter angemessen ist, schwieg und beobachtete. In der großen Stille rief auf einmal Miklós Horváth mit hoher Kopfstimme: Die Betriebsdemokratie ist kein Werk des Parteisekretärs, Gott verdamm mich!  
  Tomcsányi zieht an seiner Schwalbe, die Zigarette glimmt ein letztes Mal auf. Wohin soll ich sie werfen, fragt er listig die Putzfrau. Was interessiert’s mich, sagt die Frau mürrisch und beugt sich schützend über ihren Eimer. Der Graf erahnt etwas von der Spannung zwischen den beiden Menschen, welche sich aus ihren gegensätzlichen Interessen ergeben hat, und zieht sich angemessen zurück. Ein schöner, hochgewachsener Mann, wie die Oppositionellen im Allgemeinen. Aus dem Zimmer Nr. 903 tritt Marilyn Monroe mit einer Akte unterm Arm, fast rennt sie den Grafen um. Ihre Braue - der Mann wundert sich. Und wie üppig ihre Achselbehaarung ist. Tatsächlich: die Oberkante der Papiere verschwindet partiell dort, was ein Zeichen für eine gewisse Undiszipliniertheit am Arbeitsplatz ist; es ist nicht wahrscheinlich, dass jenes Nass den Papieren guttut. Ohne ein Lächeln geht Marilyn um den Mann, den Anführer der Opposition, herum. Der macht einen unsicheren Schritt, der blonden Frau hinterher. Er ist noch ledig. Die Köpfchen der Damengalerie neigen sich neugierig nach unten, wenn sein feines, nicht schönes, aber verlässliches Gesicht sich erhebt. Die Frauen sind, da kann man machen, was man will, alle Oppositionelle. Ein wundervolles Bild entspringt dort oben manchmal. Die reiche Farbenpracht, gute Laune, Lebendigkeit, die vielsagenden Fächer, die stets in Bewegung sind, auf ihre Bewegung hin entsteht ein richtiger kleiner Wirbelsturm. Außer der Tatsache, dass Herzog Gyula Odescalchy - ein Freund der Rosen - und seine Partei ihre bare Freude an der Damengalerie haben, hat diese auch einen praktischen Nutzen. Während der einen oder anderen langen Rede kann man sich verheiraten. (Seit Jahrzehnten frequentierte ein wunderschönes Geschöpf die Galerie. Eine schöne, hochgewachsene Frau von stolzer Haltung, mit einem würdevollen, edlen Gesicht. Ein paar schelmische Abgeordnete gaben ihr den Namen Hungaria. Im Verlaufe von zwanzig Jahren ist die schöne Frau natürlich älter geworden, hat viel von ihren Reizen eingebüßt, aber sie ist immer noch regelmäßig auf der Galerie. Ein paar noch schelmischere Abgeordnete fügen ihrem Namen nun hinzu: Hungaria, nach dem Tatareneinfall.)  
  Die junge Frau hat die Tür des Genossen Peck erreicht, schaut grimassierend, verschwörerisch zu Imre Tomcsányi zurück, der noch nicht herausgefunden hat, wie sein Gespräch mit Tante Sári
n
Jegyzet
zu beenden ist. Tante Sári
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Jegyzet
wird es finden: Gehen Sie, Imrulein, tun Sie Ihre Arbeit. Sie müssen hier keine Ehrenwache halten. Tomcsányi wird grundlos verlegen, was selbst die erfahrene Frau missversteht: Oder sind Sie von der Kontrolle?  
  Marilyn Monroe richtet ihren Rock, dreht ihn sozusagen um ihre Taille, holt Luft, streicht sich über die Rippen. Visite, denkt Apponyi, mehr oder weniger in zutreffender Weise. Er steht ziemlich nahe bei Tomcsányi: bezieht den Blick der jungen Frau auf sich. Mit seinen großen, schwankenden Schritten, wie eine elegante Schaluppe, eilt er den Flur hinunter.  
  Marilyn lässt die Akte auf den Tisch fallen; vorsichtig, nicht dass der entstehende Lufthauch den gesamten Gregory Peck davonweht. Erneut beginnt ihrer beider schweres Gefecht. Marilyn drückt ihr Knie gegen den Unterarm ihres Chefs. Madame, flüstert Giacomo aus seinem schützenden Körbchen, während er vor sich hin nagt, Madame, Ihr Arsch ist wie das Edelweiß. Marilyn blättert nervös durch das Material. Hier, bitte, Genosse Peck. Danke, Marilyn, und er drückt seinen behaarten Unterarm gegen die Kniescheibe. Schnaufen, Fiepen.  
  Hier kommt Albert Apponyi herein. Was wollen Sie, schrillt Genosse Peck, rot angelaufen. Pardon, meine Herren, sagt der Graf mit der Diskretion von Jahrhunderten und geht rückwärts wieder hinaus. Brett ran,’s zieht, Kumpelfreundchen, ruft ihm Giacomo hinterher. Sein Bärtchen zittert vor gespielter Erregung, dieser Rüpel.  
  Der Graf, als hätte man ihn auf die Nase gehauen, steht verdutzt da. Aber das Leben zieht weiter
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Jegyzet
. Die Nasenflügel des Grafen er zittern. Der Blick ist frei, fliegt wie der Geiervogel und ist ein winziges bisschen manipuliert. Quelle finesse!
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Jegyzet Franz.: Was für eine Finesse!
 
  Hinaus nur, hinaus! Die Donau. Über der alten Donau kann man gen Abend wie am Morgen den Nebel beinahe beißen. Schiffe sind auf dem großen, fürstlichen Fluss nicht zu sehen, doch man hört sie. Die vielen Propeller knattern und pfeifen, zur Erheiterung des Publikums. Schwache Sonnenstrahlen mühen sich, diesen bitteren, grauen, großen Schleier Gottes zu trocknen. Der Sonnenstrahl ist: ein Funken, ein Versprechen, ein vorauseilender Bote, der die starren Wiesen anhaucht, starre Herzen zu wecken sucht und vergeht wie ein Traum.  
  Also, was die Donau anbelangt, weilt sie in ihrem alten Zustand, nicht einmal der Krach auf ihr hat sich verändert. Langsam, würdevoll wälzt sie sich dahin, wie die »ewige Uhr«, der »die Zeit nur eine Dienerin ist«. Dass sie von zwei neuen Kettenbrücken gesattelt wird und dass sie die Ungarische Dampfschifffahrtsgesellschaft nicht mehr auf dem Rücken trägt, kümmert sie nicht. Wasser ist ein unempfindliches Element. Beidseitig betrachten sich prächtige Paläste im Spiegel des Flusses, und weit, weit weg, so weit das Auge reicht, sind überall Türme, Kuppeln und Schlösser.  
  Groß ist das Getön und das Brausen, das die Menschheit hier vollführt, dieser ewig eilige Schwarm, der sich fremdlich kreuzt, aneinander vorbeirauscht, einer wie der andere ein unlösbares Rätsel.  
  Wohin eilt er, was für Wege beschreitet er, wonach strebt er, wer könnte es sagen. Ein Comfortable ruckt vor das Bahnwärterhaus der Österreichischen Staatsbahn, auf dem Holzbelag der Sugár-Straße stampfen stolz die Hufe der Pferde, Simon Holzers Warenhaus für Damenüberzieher ist schon geöffnet, Hunde verschwinden in dem einen oder anderen rätselhaften Hof, der Parapluie dreht sich, der Parapluie dreht sich ...  
  An der Ecke zur Petőfi-Straße sitzt ein alter Bettler in asiatischer Bequemlichkeit auf der Erde, hält seinen Hut in der Rechten vor das umherschlendernde s. g. Publikum, so, dass der darin liegende gedruckte Zettel folgenden Inhalts auch von weitem noch gut zu lesen ist: EIN ARMER TAUBER MANN BITTET 1 KR .; wie es aussieht, ist diese Drucksache recht einträglich. Es ist eine sehr schöne und beruhigende Sache, dass dieses »große Dorf« sich so schnell zu einem New York herauswächst - zumindest auf dem Gebiete des Humbugs.  
  Am besten aber hat es der Damenschuster. Wovon verträumte Dichter, schwärmerische Verliebte nur selbstvergessen phantasieren: von winzigen, biskuitgroßen Füßchen - vor ihnen zeigt sich diese göttliche Wirklichkeit ohne den Schleier von Sais. Sie können sie sich anschauen, sich an ihnen erfreuen, können mit schmalen, langen Papierstreifen ihre Länge, Breite und Rundlichkeit abmessen. Gemeinhin ist es der alte Majster, der die feinen Strümpfe streichelt, während der junge Bursche sich mit dem Schauen begnügen muss - und das auch nur, wenn er dazu kommt. Er wünschte sich, er selbst dürfte die 2r jenes anmutigen Fußes konstatieren (der Umfang des Fußes: der Radius mal zwei mal die Ludolf’sche Zahl), mit dem der Alte so gleichgültig umgeht und den seine Besitzerin dennoch so ängstlich zu verstecken sucht! Hei, wenn er selbst einmal Majster wird!  
  Die Budapester Schaufenster sind wahre Stundenzeiger der Zukunft (es ist immer die Händlerwelt, die die Gegenwart am treuesten widerspiegelt): Reiherfedern, Adlerfedern zeigen sich in den Blumenhandlungen, glänzende Agraffen, diamantene Spangen, antike Fangschnuren funkeln in den Auslagen der Juweliere.  
  Vor Monaszterlys Schaufenster ist ein regelrechter Volksauflauf, wo das Publikum über die Toilette der Grafen Károlyis staunt, welche ein Vermögen wert.  
  Die besten Hosenträger sind die Argosy-braces. Laut der Statistik des Hl.-Rókus -Krankenhauses sind nach der Behandlung mit der bei Gicht, Gelenkrheuma, rheumatischen Kopf-, Zahn- und Ohrenschmerzen sowie bei Verstauchungen und Schlagschwellungen außergewöhnlich wirksamen Medizin namens Reparator von 136 Patienten 129 geheilt und 7 in gebessertem Zustand entlassen worden. In Dr. Leitners mit allen Hilfsmitteln ausgestatteter Ordination (Dob- Str. Nr. 18) werden geheime Krankheiten, sämtliche Folgen der Selbstbefleckung, Unvermögen, Strikturen, weißer Ausfluss und alle Frauenkrankheiten gründlich und schnell geheilt, auch brieflich, ohne dass der Patient in seiner Berufsausübung behindert wäre. Gummi! Mit Garantie echte Pariser »Spezialitäten« Gummis und Fischblasen 3 Frt-6 Frt das Dutzend. Bouts americains (Capotes) 3 bis 5 Frt. Neu! Pely porus Präservativ für Frauen 2 Frt. Pariser Damenschwämmchen 2. bis 5 Frt. Discretio!!!  
  Man sieht: Scherze, Heiterkeit, Lebendigkeit allerorts. Alle sind eine große Familie, welche lediglich ein Haustier souteniert. Nicht den zweiköpfigen Adler, sondern die »Blaue Katze«. Langsam - jedoch - ändert sich alles (nur Aldzsi Beöthy ändert sich nicht). Unter die gemütlichen patriarchalen Figuren mischen sich nach und nach kleine Herren modernen Futters, die keine Zeit haben, am weißen Tisch zu sitzen, die nächtens zu Hause bei sanftem Lampenschein Spencer und Bluntschil lesen, oder welche, die umherrennen, hetzen, Geschäften nachjagen, Eisenbahnen bauen. Diese können sich nicht verlustieren, ihr Kopf ist mit Zahlen voll. Alsdann kommen die Streber, in allen möglichen Formen und Genres. Und der Streber, der klammert nur, aber er lacht nicht. Der Streber hat einen geschlossenen Mund und eine aufgehaltene Hand. Überall wimmelt und wuselt es, in den Druckereien wird der Text der Alben gesetzt, die Poeten reimen, eingeschlossen in ihren Zellen, an festlichen Oden, die Delegationsleiter komponieren ihre Reden, die Damen schärfen ihre Zungen.  
  Und bei euch dort treiben während dieser Zeit Szápárys Männer bitterlich die Steuer ein.  
  Hach: aber hinauf mit der Zahnradbahn in die Burg! Vor sich hin pfeifen, sorglos umherwandeln auf dem stillen Pflaster der Burg und die Augen schließen, nicht dass der Blick noch auf die Hentzi-Statue fällt ... Aber beiseite mit der Politik; bereiten wir uns keine Unannehmlichkeiten; überflüssig, viel darüber zu schreiben, langweilig, viel darüber zu reden, es schmerzt einen das Haupt, denkt man viel darüber nach. Wehmutsvoll erinnern wir uns der Zeiten, als Politik und Literatur im nämlichen Feuer garten, an demselben Feuer. Wunderbar war damals der Politiker und Dichter gemacht - gleichsam aus einem Stoff, wie der damalige Sechser und der Zwanziger, in beiden waren sowohl Kupfer als auch Silber, nur dass in dem einen das Kupfer überwog und in dem anderen das Silber ... Was einst Gewicht war, ist heute eine Last. Und die derzeitige Generation wird von Erinnerungen in die Stagnation niedergedrückt. Heute geraten Bartträger nicht mehr in den Verdacht, für Kossuth zu empfinden, die Gendarmen halten einen nicht auf der Straße an und geleiten einen nicht zur Wache (manchmal die »Träger« des Herrn Oberstadthauptmanns Elek Thaisz; doch der Arme hat selbst mehr Kopfschmerzen davon als der, den er hineinbegleiten lässt), endlich sind die schlimmen Zeiten vorbei: wir bleiben von allein stehen, und die Schaufenster, wie gesagt, glänzen ... Das eine Wort, das an der Spitze der Heere mit blitzendem Schwerte gedonnert hatte, jenes eine Wort - »Vorwärts!« - bedeutet heute nur mehr friedlichen Fortschritt. Die Fahne von einst flattert frei, gelöst im Wind, und Gewehrgeknatter gegen das Ehemalige hört man nur mehr, wenn es zur Jagd geht. Aber davor fürchtet sich jetzt keiner mehr! Höchstens so viel bemerkt der pflügende, aussäende Gödöllőer Bauer, wenn er es hört: Der König ist wieder »daheim«.  
  Wir dürfen nun nichts mehr verlieren, nicht, dass die Verhältnisse allmählich sich mit unserer eigenen Schussbartelei vereinigen und uns endgültig die Matte unter den Füßen wegziehen. Die Nation ist zur Räson gekommen, ist es leid, nach unerreichbaren Momenten zu greifen, kaum, dass der Frost im Finanzwesen etwas nachlässt, schon entstehen haufenweise neue Gründungen. Das Volk kennt seine wahren Freunde, wenn auch nicht zu jeder Zeit, doch stets in den Momenten der Krise. Die Nation ist von neuem Herr über ihren eigenen Willen. Soll sie es offen, frei aussprechen. Es lebe die öffentliche Meinung!  
  Unseren Handwerkern und Kaufleuten wünschen wir Ausdauer und eifriges Streben, so wird die Zeit den Lohn ihrer Ausdauer und ihres eifrigen Strebens erbringen.  
  Und sämtlichen Einwohnern unseres ungarischen Vaterlands möge der Herr die Segnung des gegenseitigen Verständnisses und des Zusammenhalts zuteilwerden lassen, denn nur dies vermag unser geliebtes Vaterland der während unseres mit Frieden gesegneten konstitutionellen Lebens eingetretenen Wirren zu entheben.  
  Und schließlich und endlich möge der Herr über die Herzen all jener kommen, die die Regierung unseres Vaterlandes verrichten, damit sie nicht mehr nur wünschen, dass wir dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, sondern auch sie dem Volke geben, was des Volkes ist. So wird der bittere Kelch der Revokation von uns weichen, und unser schönes, ungarisches Vaterland wird glücklich sein und in konstitutioneller Freiheit blühen!  
  Geb’s Gott, dass es so sei.  
  (Selbstverständlich sind wir auf der Seite der Partei. Wir sind an sie gebunden, durch die gemeinsame Zeit. Wir wollen, was diese sich auf die Fahnen geschrieben hat. Und kann es einen auf ungarischem Boden geben, der nicht dasselbe will? - Wir haben mit Personen nichts zu schaffen. Wir werden nur die Taten sehen und nach diesen urteilen. Lasst uns unter einer Flagge stehen; die Zeit der Scherze und der Leichtsinnigkeiten ist vorbei, zu opponieren zeugte nur den Deutschen gegenüber von Schneid; heute hat sich die Welt mächtig gedreht, und von nun an soll es Schneid sein, dass ein jeder mit Anstand das weiterführe, was ihm seine bürgerliche Stellung aufgetragen hat: der Lehrer möge lehren, der Gewerbetreibende möge sein Gewerbe betreiben, der Anwalt das Gesetz verteidigen, der Richter Gerechtigkeit walten lassen, und keiner mische sich in den Wirkungsbereich des anderen.  
  Der Abonnementspreis für ein l/4 Jahr beträgt 1 Frt 50, für ein 1/2 Jahr 3 Frt. Wir bitten um die baldmöglichste Erneuerung des Abonnementspreises, damit sich in der Versendung keine Verspätung einstellt.)  
  Wir treten Seit an Seit mit den Sonnenstrahlen zurück in den Flur. Der Sonnenschein fällt in breiten Streifen durch die großen Glasplatten herein, tanzt schelmisch über die dicken, grauen Teppiche, durchschneidet an mehreren Stellen in einzelnen Goldbändchen auch die in der Höhe schwirrenden Rauchwolken. Einst war hier ein fröhliches Leben. (Als die Menschen noch nicht so ermüdet waren von der Verfassung.) Es gab weniger Eitelkeit und mehr Laune. Ehemals gab es einen großen Unterschied zwischen dem linken und dem rechten Flurabschnitt. Ein »Tiger« wäre um nichts in der Welt in den Flur auf der anderen Seite gegangen, denn gleich wäre er in Verdacht genommen, er würde dissidieren, und auch den Mamelucken verschlug es nur höchst selten linksseits, nur, wenn er wegen des »roten Zimmers« gezwungen war. (Denn das rote Zimmer, wo die Minister ihre Zylinder und ihre Obergewänder ablegen, wo sie flüchtige Audienzen geben und Beratungen abhalten, befindet sich auf dem linken Flur.)  
  Die Menschen können sich weder ärgern noch freuen wie früher, sie sind weder warm noch kalt, innen drin sind selbst gute Freunde Feinde, außen sind auch die Feinde gute Freunde; mehr noch, hier, zwischen den freundlichen Rauchwolken, dem betulichen Gewimmel, stecken sogar die Journalisten, diese zerzausten, zotteligen Figuren, die angeblich von hier aus der öffentlichen Meinung dienen, die Köpfe zusammen zu einem vertraulichen Geflüster. Der vorbeikommende Csernátony sagt ihnen auch: So, so! Habt euch nur lieb, Jungs, andere lieben euch sowieso nicht!  
  Hier und da erklingt fröhliches Gelächter. Auch aus dem Buffet sind Stimmen der Heiterkeit zu vernehmen. Das wird entweder Gyula Odescalchy sein oder der Aldzsi. Schau, hier rollt auch Väterchen Göndöcs vorbei. Hurtig, man muss sich seine Hand anschauen, wenn er den großen Diamantring trägt, heißt es, dass er reden wird. - Selbst unter den herausragenden Rednern gibt es eine strenge Benotung: die Zigarette für einen Groschen kann man schon für Horánszky wegwerfen, Istóczy ist eine Kabanos weht, Grünwald eine Kuba, für Szilágyi sah ich die Leute unzählige Male halb aufgerauchte Britannias wegwerfen, für Apponyi, Tisza, Jókai werden prächtig ziehende Regalitas fortgeschleudert, doch einen Orator, der es bis zu einem Bock gebracht hätte, hat diese stiefmütterliche Zeit keinen hervorgebracht. - Dort neckt sich Mór Jókai mit den Oppositionellen. Ihr habt es leicht, ihr legt euch immer mit reinem Gewissen nieder; wenn ihr was Gutes beantragt habt, dann deswegen, weil ihr euch was Gutes ausgedacht habt, wenn was Schlechtes, dann, weil sowieso nichts daraus wird.  
  Dénes Pázmándy hat eine besondere Antiquität mitgebracht, einen Stock, über und über mit wundersamen Krickelkrakel-Schnitzereien bedeckt! Papa Pulszky schaut ihn sich mit kunstverständigem Gesicht an. Das ist Bambus! Nein, das ist Safranbaum, sagt der Besitzer. Ja, ja, tatsächlich Safranbaum, räumt Pulszky ein, das sind aber hindische Schnitzereien darauf. Nein, das sind chinesische Buchstaben! Währenddessen tritt Pál Hoitsy an sie heran und fragt: Was machen Sie da, Onkel Feri? Ich habe diesen Stock für die hier bestimmt, sagt der Alte mit Grandezza.  
  Über den mit rotem Samt bezogenen schmalen Pritschen webten die Spinnen nach Laune ihre Netze vom Plafond. Der naturliebende János Paloczay ergötzte sich gerne an der Arbeit einer solchen Spinne, und als ein Diener diese einmal herunterfegte, gab es ein großes Anfahren: Wie konnte Er es wagen, Hand an diese Spinne zu legen? An die Spinne des Grafen Paloczay! Was soll ich jetzt dem Paloczay sagen, wo sie hin ist?  
  Ich gebe zu, Apponyi lacht vor sich hin, dass sowohl die Bezeichnung Vereinigte Opposition als auch Gemäßigte Opposition offenkundig verfehlt ist, nicht nur, weil sie beide farblos sind, sondern weil sie kein Prinzip und keine Richtung anzeigen, lediglich eine Lage. Eine ernsthafte Partei kann nicht per se Regierungspartei oder Opposition sein, sondern mal das eine und mal das andere, je nachdem, ob ihre Prinzipien sich in der Regierung verwirklichen oder nicht.  
  Die Anwesenden zerstreuen sich, in Gruppen oder Paaren, in irgendwelche Ecken der Säle. Wer sich hier vollkommen unwissend hingesetzt hat, ist eine Stunde später au fait in allem, was in den Theatern, den Bureaux, den Klubs, den Redaktionen, den Boudoirs und in der »Blauen Katze« geschehen ist. Aber das alte Frohgemüt, die Heiterkeit, die Ehrlichkeit, von denen die greisen Abgeordneten erzählen, ist vorbei: nichts ist davon geblieben, außer dem »per Du«. Aber wie leer, wie öde ist dieses Wort jetzt! Hajh, die modernen Zeiten, diese bösen, modernen Zeiten! — Alles zerfällt in seine chemischen Elemente. Es wird wie die Kronprinzenstraße zu Mittag, wo sich alle umdrehen, aber man nicht alle sehen und erkennen muss. Es bilden sich kleine Coterien, die Zusammenhalten und die anderen als nichtexistent betrachten. Die Großherren stecken die Köpfe separat zusammen, und extra diskursiert das Heer der Lateiner, spinnt seine eigenen Kinderträume von einem Rechtsstaat.  
  Die ehemaligen Nationalparteiler schmiegen sich mit rührender Zärtlichkeit aneinander, wie die von einem Huhn angeführten Entenküken im Hühnerlager. Die alte Mamelucken-Garde wechselt meist nur untereinander ein ehrliches Wort - wenn sie sich vorher umgeschaut haben. Noch nie gab es so viele Alte auf einem Fleck! Aber es gab auch allabendlich ein Gehuste, dass man das eigene Wort nicht verstand. Äch! Diese heutige Generation denkt, das sei immer so gewesen. Aber auf wie viele Sandbänke sind wir schon gelaufen! Mit was für einer bangen Sorgfalt musste das gute Verhältnis zwischen König und Nation gepflegt werden, besonders anfangs, als noch alles frisch war, sozusagen gallertartig. Hja, da bedarf es großer Umsicht, bevor es sich zu Stein verdichtet! Die heutige Generation weiß nichts mehr davon und kann ihre Dankbarkeit jenen Männern nicht mehr erweisen, die mit geflissentlicher Wachsamkeit und weitblickender Vorsicht über das Schicksal des Vaterlandes wachten, die auf einem Fundament, das wie ein zerbrechliches Experiment schien, an der Angelegenheit des Gemeinwesens bastelten.  
  Oh , was für ein trügerisches Komödienspiel! Jeder Mensch bestand aus zwei Menschen. In festlicher Pose waren sie moderne Menschen, vor heiligem Idealismus glühend, die, mit den Ideen des Freisinns imprägniert, mit der leuchtenden Fackel der freien Presse, des Humanismus in der Hand, fähig sind, ihr Leben und ihr Blut zu opfern, um den göttlichen Lehren zum Triumph zu verhelfen; und zu Hause im Schlafrock Blutsverwandte der alten Tafelrichter! Die Klauzáls, die Gorovs, die Mikós, und alle, alle, wie sie da waren! Die Fahne, die sie hochhielten, war ein großer Selbstbetrug. Aber eine heilige Lüge, an die alle glaubten! - Irgendwo in Padua, erzählt man sich, habe es einen Turm mit vier gemeißelten Tauben gegeben. Der Aberglaube sagt nun, dass, wer der leibliche Sohn seines Vaters ist, dort fünf Tauben sieht. Daher hielt ein jeder Bewohner Paduas, der etwas auf sich gab, stur an der Behauptung fest, fünf Tauben zu sehen.  
  Ein halbes Menschenleben: das ist viel Zeit; selbst die Erinnerung ruht sich ein wenig aus, bis sie so weit zurückgegangen ist; aus den Kindern, die es damals nicht verstanden haben, sind seitdem Männer geworden, aus den Männern entweder stille, sich um nichts mehr kümmernde Tote oder vergreiste alte Männer, die wiederum jetzt nicht mehr verstehen, was damals ihre Herzen höher schlagen ließ. Und auch die veränderte Vaterlandsliebe hat sich seitdem eine neue Mode ausgedacht und bedeckt ihren eigenen ausgebluteten Körper mit dem »Schleier des Vergessens«. Wenn sie es aus Schamhaftigkeit getan hat, dann ist der Schleier ein recht dünnes Gewand nur, und wenn sie es getan hat, um sich nicht mehr an die Zeit zu erinnern, als sie am »glücklosesten « gewesen ist, kann sie leicht auch jene Zeit vergessen, als sie »am größten« gewesen ist.  
  Am zwielichtigen Scheideweg, wo der Weg zwischen Bücherschränken von einem Flur in den anderen führt, brennt mit einer schmutzigen, rötlichen Flamme ein ewiges Gaslicht. Von hier aus gelangt man in das zumeist leere Lesezimmer. Die zwielichtige Gasse ist gut für Flüsterer. (Es gibt keine Geheimnisse. Wir wissen über alles gleicherweise Bescheid, weil keiner von uns in irgendetwas eingeweiht ist.) Es sei denn, sie werden auch hier gestört durch sich nähernde Schritte, Tipp-topp, Tipp-topp. Der brave Kőrössy hinkt mit Vorliebe durch diese Gegend. Es gibt eingefleischte Kombinierer, die selbst bei den Worten des harmlosen Ervin Cseh denken, hinter ihnen luge die Zukunft hervor. Ein großes Rätselraten ist im Gange: Wer wird? Was wird? (Wer wessen Wolf?) Diensteifrige Galoppinos rennen erschrocken. Die Blätter sind voll mit Kombinationen. Die »starke Hand« bereitet sich auf die Wahlen vor, sagt man, und vervielfältigt sich. So viele Namen werden lanciert. Ich habe heute Wlassics gesehen, und ich kann sagen, seine Stirn war düster. Hm. Sapristi, das ist interessant. Wir teilen deine Ansicht nicht. Es ist mir nicht möglich, den General in dieser Frage zu unterstützen. Szilágyi ...! Szilágyi wird reden. Szilágyi hat sich von der Tafel wischen lassen. Wo ist Szilágyi? Der General ist wütend. Eine große Sache ist im Werden, der General stopft seine Kanonen ... stopft sie kräftig. Wir teilen deine Ansicht nicht. Ich werde nicht dafür stimmen. Es klappt, das klappt!  
  Niemals, rufen einige, niemals, niemals. (Ach, wie fürchterlich klingt das, als würde Poes Rabe es sagen.) An unser Ohr, wie an das des Kálmán Thaly, beugt sich Bercsényi, um rohe Wahrheiten zu flüstern (und wenn wir Kolonics auf der anderen Seite sehen, bekommen wir vor Zorn blutige Augen). Neben unserem Vater Kossuth toastieren, das können wir. Kurutzen sind wir bis zum letzten Blutstropfen, und umsonst ruft einer: Deine Hosen haben ein Loch! - mit einem Labantzen- Flicken lässt sich das niemals flicken! Mitbürger! Traurige Tage sind für uns angebrochen, schändliche Zeiten, die wir erleben müssen; weniger geworden sind wir an der Zahl, weniger im Glauben aneinander, weniger in der Liebe, in der Hoffnung, aber lasst uns nicht verzagen! Oh, »tapferer Führer«
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Jegyzet Kálmán Tisza - wenn auch ironisch (» die Red.« )
der ehemaligen »Mitte links«! Waffenniederlegung damals wie heute, die Tatsache ist dieselbe, nur die Personen sind andere! Ein schmachvoller Anblick, von dem sich jeder echte Ungar, der die Heiligkeit eines gegebenen Wortes nicht á la mode zu verstehen pflegt, schamgerötet abwendet.  
  Wir haben wenige Tenöre, sagte jemand besorgt.  
  Na, na, na, na. Es wird nicht so heiß gegessen wie gekocht. Wir sagen ja auch, dass Vaterlandsliebe eine schöne Sache ist. Alles ist schön und gut, was die 48er wollen. Aber es ist nicht erreichbar! Die Mutter, die ihr Kind vor lauter Liebe erwürgt, mag zwar vor Gott, der die Gefühle kennt, entschuldbar sein, aber sündig ist sie vor den Menschen.  
  Wir sind Menschen.  
  Wenn sie das Vaterland lieben, sollen sie nicht am Zeuge derer flicken, die für dessen Wohlergehen ihren Standpunkt opfern: man soll sie wirken lassen, und man soll ihnen die schwere Arbeit, zu der man selbst unfähig wäre, nicht noch bitterer machen.  
  Wir sind die stillen Gesellschafter ein und derselben Firma.  
  Geruhen Sie zu glauben, was die politische Freiheit bei uns angeht, eine größere Freiheit wäre gar nicht vorstellbar als die, die wir hier haben. Was darf man denn hier alles nicht? Alles. Man kann jeden Regierungsmenschen einen Halunken schimpfen, man braucht nicht einmal Courage dazu, jeder kann sich großtun, da er weiß, dass kein Hund ihn dafür anbellt!  
  Nun, sagt dazu der, der nachdenkt, wo selbst ein Mensch mit so einer Logik frei herumläuft, muss die Freiheit wirklich groß sein.  
  Ich habe Szilágyi heute gesehen, und ich kann sagen, seine Stirn war düster. Er wird reden. - Szilágyi hat das Trikot angezogen, sagt man hier dazu. - Er wird wenig Schwung haben, wenig Kolorit; doch einer, der über große Macht verfügt, ist gefährlich, denn aus den Sophismen kann er Folgerungen ziehen, wie es ihm gefällt. Bringt seine Partei auf, zerbricht seinen Gegner; wie der Schwarze Milan. Zwickt oder pickt mit dem Schnabel in einem fort. Schnappt sich ein Mamelucken- Küken, hebt es in die Luft und lässt es in der Höhe los. Hei, seine gewaltige Figur, seine gewölbte Brust, sein Löwenkopf! Groß, unabhängig, kühn und frei ist er, wie es sich für das Gewissen der Nation gehört. Und wenn er
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Jegyzet in der Chambre séparée des Erzherzog-Stephan-Hotels
sich abends, erschöpft, in der Gesellschaft von Freunden, da das Thema ausgegangen ist und die bekannte, drückende Stille sich eingestellt hat, wie sie häufig ist am weißen Tisch, wie ein Adler, der auf Beute lauert, an Darányi wendet: Náczi, mein Lieber, komm, behaupte etwas. (Was so viel heißt, Náczi, mein Lieber, du kannst alles auf der Welt behaupten, was du willst, mir ist das ganz egal, ich werde deine Behauptung in einem eine Stunde dauernden, interessanten, genüsslichen Diskurs zerschmettern.)  
  Oben in der Höhe denkt Apponyi nach. Mein Betragen ist ruhig, meine Bewegungen sind gemessen und malerisch, mein Vortrag fließend und ersichtlich, ich bin ein Meister der Modulationen, und meine Gedanken gruppiere ich auf abwechslungsreiche Weise. Ich habe eine vornehme, feine, wenngleich ein wenig unungarische Sprache für mich herausgearbeitet. Ich bin glänzend, behandschuht, distinguiert und feierlich; ich bin auch in Mode, auf meine zaubrischen Worte hin entsteht ein Blumenwald oben auf der Galerie, meine Rede habe ich sorgfältig vorbereitet und ausgefeilt - in der Opposition hat man Zeit für so etwas -, das Assentieren scheint mich kein bisschen zu erhitzen, ich bleibe ruhig, kühl bis zum Schluss, in meinem blassen, länglichen Gesicht entflammt keine Röte, meine Augen funkeln nicht feurig, nur meine großen Nasenflügel scheinen rascher zu beben und der Stift bewegt sich flinker in meiner Hand - die Rhetorgeneration ahmt dennoch meinen großen und talentierten Widersacher, Tisza, nach ... Unbegreiflich.  
  Denn man kann es sich leicht vorstellen, dass eine große Gesellschaft die Toilette, die Bewegungen, den Tonfall des anmutigsten, feinsten Geschöpfs kopiert, seine Art, den Kopf zu halten, das ist doch auch kein Wunder, aber wenn eine Frau, die nicht hübsch genug, ja sogar ziemlich schlampert ist, das allgemeine Begehren, ihr ähnlich zu sein, entfacht, dann muss diese über ein außergewöhnliches Temperament und andere große Reichtümer verfügen.  
  Der Sonnenschein bei dem einen Fenster, klingeling, herein, bei dem anderen eilig, wie die Hexen, husch, hinaus, und wir, als sein Gefährte, sind weder drinnen noch draußen; wankend ist die Stimme des Kornél Ábrányi zu hören: Die Vergangenheit kann nicht sterben, die Zukunft kann nicht geboren werden. Mit einem Fuß betreten wir bereits die kleinen Wege, die die Bänke auf der Erzsébet-Promenade umfließen, als uns dort noch eine kleine Unruhe, ein Flüstern erreicht. Szilágyi intrigiert. Szilágyi trachtet nach der Führung. Apponyis reinblauer catholicus-Blick zuckt, aber er sagt es sachlich: Oh nein. In ihm ist das Licht stärker als der Schatten, die großen Eigenschaften überwiegen die Petitessen. Der Graf streicht mit seinen langen »Klavierspielerfingern « über die Wand. Er schaut sie sich an, als wären sie staubig. Mit lebhaftem Augenspiel sucht er nach einem Zuhörer-Publikum. Wissen Sie, sagt er zurückgenommen, in mir hätte er einen echten, tiefen, bleibenden Freund gefunden. Kurz vor seinem Tode sagte er ganz bewegt zu mir, er trauere um all jene Jahre seines Lebens, in denen er mit mir nicht auf gutem Fuße stand. Auch ich trauere um sie. In einer vergifteten Atmosphäre gedeihen ganz notwendig Verdächtigung und Verleumdung. Wegen des vermeintlichen oder des echten Staubs reibt er den Daumen gegen den Zeigefinger, so wie man »Geld« anzeigt. Tisza spekuliert auf die schlechten Eigenschaften der Nation, deswegen ist er so stark, ich möchte ihre guten Eigenschaften aufpeitschen.  
  Aber wir begeistern uns bereits auf der Erzsébet-Promenade! Die vielen Kindermädchen! Aber es sind mehr Grenadiere denn Kindermädchen! Ei, für die Begeisterung ist ein Táde Prileszky am geeignetsten: seine große Stirn erfüllt sich mit Glanz und in seinen Augen gehen Lichter an - wann immer er will.  
  Die Wände sind in den Nationalfarben angemalt, in der Mitte des Saals das Wappen Ungarns und Siebenbürgens, daneben ist das Bildnis Kossuths, und, auf der anderen Seite, das Deáks gehängt; Letzteres vielleicht deswegen, damit er sich an diesem glücklich durchgebrachten Dualismus erfreue. An den Tischen servieren ungarische Kellner ungarische Speisen, das Aer ist erfüllt von ungarischen Jauchzern. - Die schönsten Beleuchtungsapparate sind am Hotel Hungária, am Stadthaus und an der Synagoge in der Dohány-Straße zu sehen, wo auf Hebräisch und Ungarisch »Es lebe das Vaterland! « zu lesen ist. Aus der Kirche tritt eine Jüdin. Oiweh, der Mieder drickt sie. Moritzel, du bist übertroffen . Wohin? Wohin? Auf den Geldmarkt. Um diese Zeit? No ja: zum Ball des israelitischen Frauenvereins ... En gordisch Knotten sollns di um dön Hols bendn! Soll dei Frau trei Monat lang strajkn un zwonzig Stondn Vorgnügen van di vorlangn! An Adelstitl sullst kriegn! Un dei Predikat soll sei: gewesener.  
  Hja, die »saison morte«, was kann man machen! Vergeblich sind die schönen Damen der Haute Creme lediglich auf Visiten beschränkt! Sobald die mit Gassternen bestickte Garderobe der Nacht sich über die Zwillingshauptstädte breitet, legen sie sogleich das Korsett des Tages ab und zeigen ihr wahres Gesicht, welches so feengleich ist, so betörend für das vollblütige Patriotenherz. Vergnügen und Vergänglichkeit gibt es genug.  
  Fröhlich sprudelt die Polka, der Galopp, die Philister, Landesväter und Demi-Mondes tanzen zu einem großen Knäuel geballt, in wahnwitziger Geschwindigkeit. Oh, die Demi-Mondes! Da ist Miss Turtin, Lillancs Mányoki, da ist Anne Pepita, Tilli Fehér, die einmal zu küssen, um welchen Preis auch immer, zum bon ton gehört! Verdeckt eure Augen, ihr keuschen Jungfrauen, und schaut nicht auf diese Zeilen. Ich schreibe über Frauen, aber nicht für Frauen.  
  Denn was ist passiert? Die schöne brünette Vilma hat ihr Kleid nämlich an der Seite aufgeschlitzt, die Röcke, und nur der Himmel weiß, wie weit, und wer ihr seine Stimme gab (denn zur Eintrittskarte bekam jeder Mann einen Stimmzettel), erhielt das Recht, in die magische Tasche hineinzulangen. Die Nachricht über diese raffinierte Sache verbreitete sich schnell im Heer der edlen Männer, ein Geflüster hob an. Wie, die Vilma? Und man kann also ganz hineinlangen? Eine goldige Idee. Und die Männer, die erfahren waren, wie die Frauen bei Balzac, eilten zu Vilma. Ein wahres Getümmel entstand um sie herum. Fi donc, was für ein Geschmack herrscht in diesem Pest.  
  Der alte Andrássy sagte in seiner gewohnten hapernden Manier halb im Scherze: Oft ist ein blondes Zimmermädchen mehr wert als eine brünette Königin, und tätschelte das Gesicht der feschen Dienstbotin. Gyula, Gyula, mahnen wir ihn ehrerbietig.  
  Die Dämonen mit dem Engelsgesicht springen um dich herum, trinken ihren Rum, ihren Wein, ein feuriges Auge zwinkert dich an, rot gemalte, genussversprechende Lippen werfen dir einen Kuss zu, im Tanzsaal drinnen ertönt ein frivoles Musikstück, die Damen springen von ihren Plätzen auf und laufen zum Herz und Auge schwindlig machenden Tanz. Auf! Es leben der Lustrausch und das Verderben! Deine Tänzerin haftet an dir, im heftigen Drehen wird der Rock bis auf deine Schulter geschleudert, und die Beine deiner Partnerin erzählen vielversprechend von jenen Freuden, zu dessen Sklaven du dich gemacht hast. Noch einmal drücken, dann lässt du sie matt davon, wo immer, ohne sie an ihren Platz zurückzubegleiten. Du Gimpel, du Mistvieh ! Wenn er wenigstens die Farbe bezahlen würde, die er mir vom Gesicht geleckt hat!  
  Na, und der Zirkus Renz! (Ich frequentiere ihn auch fleißig.) Hier herrscht großer Lärm und Pferdegetrappel. Die Musik spielt, die Horne schmettern - und die Frauen sind nur nackt schön. Applaus und Geschrei erklingen, auf einem wilden Rosse sprengt Flóra daher, wie eine Göttin in der Manege. Die Augen der Masse hängen lusttrunken an ihren Formen. Wie viel Anreiz, wie viel Huld! Wie sie sich über den Hals ihres Rosses beugt und ihr goldfarbener Rock sich öffnet und zu Flügeln wird, ich weiß, die Engel würden gern das Äußere mit ihr tauschen. Die verschwenderische Pracht, die das Ballettpersonal entfaltet, würde selbst die Pariser hinreißen! Und uns anspruchslose Budapester? Uns raubt sie den Verstand.  
  Die schöne Katinka Renz - o Schmerz - gibt es nicht mehr, und auch Óceánia ist nicht wieder zurückgekommen. Dabei hat sie hier einst schöne Tage verlebt. Graf E. B. hat ihr für ein Lächeln ein Geschmeide für zwanzigtausend Forint geschickt. Und es ist, wie man sagt, bei einem Lächeln geblieben. Der Graf war ihr zu wenig. Sie wartete auf einen Fürsten. Sie bekam auch den Fürsten. Selbstverständlich war es ein russischer Fürst. Er hat sie verlassen. So sind die russischen Fürsten. Die arme Óceánia. Jetzt ist sie die Geliebte eines armen Kaufmanns in Amerika und trägt unechte Armreifen.  
  Doch nun zu einer anderen Sehenswürdigkeit: zu einem vier Zentner schweren Mädchen aus dem Eisass, das in Buda für ein Entrée von zwei Sechsern und ebenso viel Trinkgeld hergezeigt wird. Ein wahrhaft splendides Exemplar. Ihre Waden sind so dick wie die Taille des alten Sramkó. Eine hervorragende Partie! Jeden Tag kann man 50 Frt mit ihr verdienen. Ich empfehle sie dem jungen Béla! Wie viel Personalsteuer sie wohl zahlen muss? Ich werde Bakcsi Bescheid geben, er soll beim Finanzminister interpellieren. Er ist sowieso gerade auf »Tour«. Nicht der Finanzminister, der Bakcsi.  
  Und was Sáfránys Dienststelle anbelangt, in der Úri-Straße, war dort immer der Lieblingsgaffplatz für so ein halbelegantes Publikum, wie wir eins sind. Un bon mot! Charmant! Dieser Pepi hat Witz. Es gibt ein Getümmel vor der Auslage, wo die Damen mit den schönsten Gesichtern zur Schau gestellt werden - natürlich nicht in echt, sondern nur fotografiert. Ein ernsthafterer Mensch findet natürlich kein Amüsement bei so etwas. (Ich zum Beispiel, und wenn ich eine Million Gesichter sehe, halte immer noch Laura Helvey für die Schönste.
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Jegyzet
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  Ah, charmant! Mir gefallen die volkstümlichen ... diese beiden, wie noch mal, was für Namen, mein Freund, was für Namen! Aha, Erzsike Fluck, Malvin Kelemen, Gizella Abafi... Es leben die volkstümlichen! Oh, ah! Aber das sind doch auch nur Mädchen! Des yeux de Szegedin!
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Jegyzet Die Augen der Mädchen aus Szeged!
Pikante Zulu-Sachen. Ah, liebe Freunde ... mon Dieu! Die größte Erfindung des Jahrhunderts sind das gepunktete Tuch und die Strümpfe mit Tupfen! Ich habe heute ein Dutzend bei Brachfeld gekauft...  
  Der Fiskal Sramko hat dafür ein großes Ölgemälde einer nackten Frau in seinem Bureau aufgehängt (zur Entrüstung einer jeden niedergehenden Moral, denn die niedergehende Moral liebt es, sich vor anderen ins Mäntelchen der Jungfräulichkeit zu hüllen).  
  Auch das neue Zichy-Bild ist zu sehen - wenn auch nicht bei Onkel Sramkó. Die Regierung hat wirklich eine redliche Sache getan, die Hervorbringung eines solchen Werkes anzuvisieren. Dies unserer eigenen Partei anzurechnen sind wir unabhängig genug. Diese traurige und doch erhebende Scene wird nie an Belang verlieren, solange die Ungarn noch Ungarn sind ... aber von Zichy denken wir, dass es ein großer Fehler war, zuungunsten der Wahrheit, der künstlerischen Gesinnung zu huldigen, denn man hätte die Wirkung des Bildes weniger auf die künstlerische Konzeption verlegen sollen als vielmehr auf die an sich schon genügende großartige Wirklichkeit.  
  Trotz dieser unserer Überzeugung gehören wir nicht zu denjenigen, die es für angebracht halten, die Grenzen der künstlerischen Licenz einzuschränken, denn hätte Zichy die ganze trockene Wirklichkeit malen müssen, wäre als Beigabe zur prachtvollen Gruppe statt der beiden Engel die Figur zweier sanfter (!) Drabanten entstanden.  
  Doch es sei uns im Interesse der gesamten Literatur erlaubt, zu beklagen, dass die Flugschriften der jungen Autoren nichts anderes darstellen als vermittels ihrer Stimme und ihrer Gnadenlosigkeit »das Hinuntersinken in den Morast« (Grimm und Horovicz).  
  Wäre doch die Nation ein einziges Ohr und ein einziges Herz. Und ich wäre die Stimme, die sich in dieses Herz und in dieses Ohr einschleicht und Wurzeln schlägt. Geben wir es ohne Umschweife zu: der Ungar hat eine instinktive Neigung zu Kálmán Tisza,
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Jegyzet
auch dann noch, wenn er von ihm glaubt, dass dieser seine Prinzipien aufgegeben, sein gegebenes Versprechen gebrochen hat und sein Ausgleich mit Österreich ein empfindlicher Schlag für den materiellen Wohlstand des Landes ist. Er schimpft auf ihn, hasst ihn vielleicht auch, und dennoch - er hängt an ihm.  
  Er hängt an ihm. Und die Nation verharrt lieber in ihrer gleichgültigen Zurückgezogenheit; vermeidet, sich in die Bewegungen des politischen Lebens hineintreiben zu lassen, schweigt, nur zu Hause, im Kreise der Seinen oder im Casino lässt er seine Schmähungen gegen den Kabinettschef und seine Partei los. Liest in den Zeitungen, nickt ab und an, wenn die Napló, die Közvélemény oder die Kelet Népe Kálmán Tiszas Ehre in Fetzen zerreißt oder wenn Samu Róth über die »Veränderung der Verteilung der Meere« einen Fachartikel schreibt; dennoch tritt er nicht mit jener Offenheit auf, mit der die Nation ihr verdammendes Urteil zu sprechen pflegt. Darin zeigt sich der nüchterne politische Instinkt der ungarischen Nation, den man ihr nicht streitig machen kann.  
  Wir machen eine affektive Politik: wir glauben blind und verdächtigen jene blind, denen wir glauben. Denn unsere Seele ist wie ein Meeresauge.
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Jegyzet
Unser Vertrauen ist die bodenlose Tiefe, unser leicht entstehender Verdacht der stürmische Aufruhr der Oberfläche, welcher sich danach legt, der Wasserspiegel wird wieder glatt und die Tiefe darunter wieder uneinsehbar.  
  Heute haben sich die Wellen der Verleumdung gelegt, das Meeresauge ist wieder klar. Denn das ist das Schicksal der affektiven Politik. Oft reicht eine Phrase aus, um uns in Gefahr zu bringen, in den Sturm zu treiben. Nach einer Weile allerdings schläft der Argwohn ein, das alte Vertrauen stellt sich wieder ein, und wer an den Verdacht glaubte, wird nicht einmal rot, denn er disputiert sich zurecht, dass er nur das weitergesagt hat, was er von anderen gehört hat, ohne das, was er gehört hat, geglaubt zu haben.  
  Niemand verbannt Kálmán Tisza aus dem Herzen der Nation, so wie auch er niemals die Nation aus seinem Herzen verbannt. Kálmán Tiszas Politik ist doch die Politik der ungarischen Nation, und wenn es welche gäbe, die seinen Weg nicht mit ihm beschreiten wollten, könnten diese sich keinem der existierenden Gegner anschließen, denn eine Opposition zur Politik der ungarischen Nation kann nur eine Politik der ungarischen Nation bilden.  
  Wir sind keine Freunde der vielen Phrasen und der leeren, funkelnden Reden, wir lieben selbst die Freiheit nur dann, wenn diese in ihrem eigenen, ernsten Becken dahinfließt und nicht nach allen Seiten ausschlagend wie ein aufgewühlter Strom, dessen Wellen zwar kühn und majestätisch sich dahinwälzen, aber jeden Moment die Dämme brechen können. Nationen, wenn sie auch nicht überheblich sein dürfen, müssen ein Selbstgefühl haben, eine Würde und eine gewisse Mäßigung: denn aus diesen Komponenten entsteht die Kraft. Es stimmt zwar, dass so eine nationale Kraft oft, um es so zu sagen, eine optische Täuschung, ein Schein ist: aber unter gewissen Umständen ist auch der Schein nicht zu verachten, denn er ist der Schatten der Wirklichkeit. Und wo viele den Schatten sehen, dort muss nach ihrem Glauben auch ein Körper sein.  
  Der Kalvinistenpapst, der Großmeister der haarsträubenden Logik, die Sphinx, der große Mogul, der Tartuffe, der durchtriebene Lateiner, der ungarische Mephisto, der Komödiant, dessen »Gewissen ein Sumpf«, kommt aus dem Ratssaal, nimmt in der Tür ein Zigarettl aus seinem Etui und eilt zum ersten Zigarrenraucher, um nach Feuer zu fragen, doch auch im Vorbeilaufen verwaltet er die Angelegenheiten des Landes; er erblickt Csávolszky. Woher hat der Herr Redaktor die Nachricht, Budapest würde verstärkt, ich kann versichern, das ist ganz haltlos.  
  Mit dem funkensprühenden Zigarettl hinkt er über den Flur, sucht mit den Augen nach Csernátony. Und während er hinüberspaziert
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Jegyzet Äldzsi Beöthy sagt: Unter Tisza war der Weg so schlüpfrig , dass, wenn er einen Schritt nach vorne getan hat, er zwei nach hinten gerutscht ist. Unter diesen Umständen musste er, obwohl (?) ein Diplomat, so tun, als ob er sich umdrehte, und dorthin gehen, wohin er nicht gelangen wollte, damit er hinkam, wohin er wollte.
, spricht er unterwegs mit sechs, sieben Leuten, die alle in Aktion zu treten scheinen, nachdem sie Worte mit dem Ministerpräsidenten gewechselt haben. Als würde er, wo er entlanggeht, überall stecken gebliebene Angelegenheiten weiterrollen und Knoten mit einem Wort lösen. Er hat für alles Zeit, alles fällt ihm auf. Der eine oder andere hungrig gewordene Mameluck schleicht sich vorsichtig Richtung Garderobe. Du willst doch nicht schon gehen, Pali?, sagt Tisza mit der ihm eigenen einfachen, trockenen Freundlichkeit (vorausgesetzt natürlich, dass der Mameluck Pali heißt).  
  Der Mameluck hört auf die Freundlichkeit und setzt sich mit einer Entschlossenheit in einen Armstuhl auf dem Flur, dass er sich, wenn es sein muss, bis Ostern nicht von dort fortbewegt. Er drückt Helfy die Hand, zupft selbst in seinen sorgenvollen Minuten Imre Szalay an der Nase, die Kavaliere fragt er nach dem Erfolg des gestrigen Opernballs, Wahrmann nach dem Stand der heutigen Börse.  
  Boldizsär Horváth (»Fräulein Bódi«, wie ihn seinerzeit der zynische Lónyai nannte), Boldizsár Horváth, den wir uns eher als traurigen, feierlichen Menschen vorstellen, dessen Seele ständig in höheren Regionen unterwegs ist, man kann also getrost überrascht sein, dass er der liebenswürdigste Causeur ist, den man sich nur vorstellen kann, und es gibt keinen lüsternen Franzosenmarquis, der seine männlichen Gäste feiner und pikanter unterhalten könnte, Boldizsár Horváth, dessen Laufbahn im Übrigen ein harmonisches Ganzes bildet, sagt, während Tränen aus seinen damals noch klaren blauen Augen bersten, mehrfach hintereinander: Hauptsache, es weht ein liberaler Wind. Hauptsache, es weht ein liberaler Wind. Hauptsache, es weht ein liberaler Wind. Die Luft, die man atmet. Der Rest ist nebensächlicher. Tisza schließlich sucht so lange nach Csernátony, bis er ihn auf einmal findet, umso mehr, da Csernátony seinerseits auch ihn sucht. Die beiden Zylinderhüte verschwinden Seite an Seite in vertraulicher Nähe ...  
  Irányi wird reden (er organisiert ein Tugendkomitee und rezitiert seine edlen Chriae), Ugron wird reden (er tätigt einen vehementen Ausfall, aus medizinischen Gründen, damit er ein wenig ins Schwitzen kommt), Szilágyi wird reden (er analysiert, schält heraus, argumentiert, verbindet, schlägt kurz und klein), Apponyi wird reden (ernst, würdevoll, mit mächtigen Schritten, glatt dringt er auf seiner »englischen Promenade« vorwärts, es gibt auch Blumen auf dem Weg, aber in Maßen, auch Dornen, aber nur zur Dekoration), Tisza redet, zerbricht die Eier des Gegners, aber er brät keine Eierspeise oder Omelett aus ihnen, um seinen Braten damit zu garnieren. Er zerbricht sie nur. (Ivor Kaas hat gesagt: eine Lüge. Wir sagen dasselbe wie Ivor Kaas. So wie Groß und Klein im Hause weiß, alle wissen sehr wohl, dass es eine Lüge ist ... aber sie haben dafür gestimmt. Und keiner wurde rot dabei ... keiner. Was können wir tun? Legen wir die Feder aus der Hand.)  
  Hohes Haus! (Hört! Hört!) Da ich jetzt nach erschöpfenden Verhandlungen und von allen Seiten kommenden Angriffen bezüglich der wichtigen Frage, die auf dem Tapet ist, das Wort ergreife, halte ich es für wichtig, vor allen Dingen zwei Bemerkungen vorauszuschicken.  
  Die eine ist, dass ich die Beschuldigung nicht hinnehmen kann, die man denen gegenüber, die die Anträge im Haus befürworten, von mehreren Seiten erhoben hat, dass das, was hier zur Verteidigung der Anträge gesagt wird, zu sagen nicht richtig ist, weil diese nicht ungarischen, sondern österreichischen Interessen dienten. Und zwar kann ich dies deswegen nicht hinnehmen, weil ich einerseits der Meinung bin, dass vom Blickwinkel der Schließung der Allianz das Interesse von beiden Seiten besteht, aber ich kann sie auch deswegen nicht hinnehmen, weil es unmöglich ist, Forderungen angemessen einzubringen, wenn irgendwelche Anträge angegriffen werden: nun aber, da diese vor dem Haus liegen, das, was man zu ihrer Verteidigung sagen muss und kann, nicht sagen darf; mehr noch, ich bin der Ansicht, dass die Nation, egal wie das zu Sagende auch sei, das volle Recht hat, dass die Frage von allen Seiten beleuchtet wird. Und so muss auch die Regierung das Recht haben, das zu tun, denn wenn die Anträge verworfen werden und das Land eventuell in unangenehme Lagen gerät, wird gerade die Regierung bezichtigt werden, schuld daran zu sein, da sie versäumt hat, das Haus und die Nation vor den Konsequenzen zu warnen. (Zustimmung in der Mitte.) Und gerade, da ich dieser Überzeugung bin, kann ich es auch nicht hinnehmen, dass man, wenn wir von unserer Seite auf die möglichen Konsequenzen der Verwerfung der Anträge hinweisen, dieses Drohung, Intimidatio genannt wird, denn wenn es keine Drohung und keine Intimidatio, sondern die gerechtfertigte Begründung der Meinungen ist, was Sie, zwar fälschlich, doch ich glaube es: Ihrer Überzeugung gemäß, jeden Tag verlauten lassen, dass Ungarn bei diesen Anträgen materiell, geistig und politisch zugrunde gehen würde (Bewegung bei der Linken), dann ist es auch von Seiten der Andersdenkenden, die Ihre Ansicht nicht annehmen können, eine Waffe, nicht der Drohung und nicht der Pression, sondern der gerechtfertigten Begründung, auf all jene Gefahren hinzuweisen, die unserem Glauben nach im Falle der Ablehnung sich einstellen werden. (Bewegung bei der Linken.)  
  Und weiter, h. Haus, versage ich mir eine sehr bequeme und sehr amüsante Aufgabe (Hört!), ich versage mir, wie gesagt, die Freude, die These der einen Minderheitenmeinung der anderen gegenüberzustellen (Hört!, von links). Dabei wäre das, glauben Sie mir, eine leichte, dankbare und amüsante Aufgabe (Hört!, von links), denn ich glaube nicht, dass es häufig vorkommt, dass in einer an ein und demselben Tag eingereichten Arbeit so viele Widersprüche zusammenstehen (Hört!, von links). Wenn es mir gefällt, tue ich es ein anderes Mal; heute wünsche ich über etwas anderes zu sprechen.  
  Was die persönlichen Angriffe anbelangt, auf diese antworte ich nicht. (Rege Zustimmung in der Mitte.) Ich möchte aber denen gegenüber, die im Laufe dieser persönlichen Angriffe wiederholt erwähnt haben, um wie viel besser der Absolutismus, das sog. Bach-System, war, anmerken, dass ich hoffe, nein, ich bin überzeugt, dass dieser Zeitpunkt - und vielleicht seufzen sie ihm deswegen hinterher, weil auch sie dasselbe glauben - in unserem Vaterland nie wieder hereinbrechen wird; und wenn doch, würden wir sehr eigentümliche Veränderungen in den Standpunkten erleben! (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.) 1850 hielt sich der größte Teil jener, denen heute keine Freiheit groß genug ist - es gibt einige Ausnahmen -, entweder im Ausland auf Nummer sicher oder hier zu Hause auf, aber so versteckt, dass man nicht einmal ihre Namen vernehmen konnte (Beifall in der Mitte, Bewegung auf der Linken), während wir anderen, die wir heute für Mäßigung eintreten, dafür, mit einer dem möglichen Grad der Entwicklung angemessenen Freiheit zufrieden zu sein, zu jenen Zeiten, als es mit Gefahren verbunden war, nicht so still verborgen gelebt haben (Wie wahr!, so ist es!, in der Mitte), und glauben Sie mir, wenn diese Zeiten wiederkämen, die nicht kommen sollen und nicht kommen werden, würde wieder dasselbe mit Ihnen und mit uns geschehen. (Bewegung auf der Linken, Zustimmung in der Mitte.)  
  Auch, dass unsere Aufbauarbeit unter friedlichen Verhältnissen vorangeht, hat seinen Preis. Wir sind leicht, wie auf Schienen vorangekommen. Aus diesem Nährboden keimte die Theorie auf, bei uns würde alles wie am Schnürchen laufen. Diese Erfolge haben auch wir selbst, und nicht nur einmal, allzu sehr unterstrichen, wir brüsteten uns mit ihnen und haben somit dazu beigetragen, dass der Eindruck entstand, nun sei in jedem Haus Hochzeit, nun laufe bei uns alles wie am Schnürchen, und wir könnten ab jetzt leben wie Gott in Frankreich. (Beifall.) Warum sind solche Stimmungen gefährlich? Solche Stimmungen sind deswegen gefährlich, weil sie die Sicht des Volkes verschleiern, es daran hindern, seine Feinde zu erkennen, es wird mit eitlen Reden in Sicherheit ob der Schwäche seiner Feinde gewogen, und der Kampfwille des Volkes wird untergraben. Ich geißle aufs härteste jede Erscheinung der Selbstzufriedenheit, der Maulafferei und des Paradierens mit Scheinerfolgen! (Rhythmisches Klatschen.)  
  Ich bin ein Freund der Democratie, des sukzessiven democratischen Fortschritts, und von diesem Weg kann mich nicht einmal abbringen, was ich gestern von einem Herrn Abgeordneten gehört habe, worauf ich noch zurückkommen werde, und was ich nicht für die Darlegung der Konsequenzen der Democratie halte, sondern für die Verleumdung der Democratie (lebhafte Zustimmung). Ich werde mich in keine theoretische Debatte über Ideen begeben, ich werde dem Herrn Abgeordneten nur ein einziges Zitat nahelegen, ein Zitat, das ich einem Brief des weltweit bekannten großen politischen Autors Tocqueville entnehme: Mein Freund - schreibt Tocqueville an einen Freund -, lass uns nicht darüber streiten, ob die Democratie für die Freiheit gefährlich oder aber wünschenswert sei. Das ist keine theoretische Idee mehr, darüber zu streiten lohnt sich nicht mehr, das ist eine Tatsache; die Aufgabe ist nun nicht mehr, zu untersuchen: ob es denn im Interesse der Freiheit und der Staatlichkeit besser ist, dass sich Democratie eingestellt hat oder nicht, sondern die Aufgabe ist es, die Democratie so zu führen, dass sie der Freiheit und der Staatlichkeit zum Nutzen ist. (Langanhaltender, lebhafter Beifall.)  
  Was aber nun unseren Gegenstand anbelangt: ich würde es für keinen guten Tausch halten, für einen erhofften Gewinn einen positiven finanziellen Rückstand zu riskieren. Aber dass es zwischen den Dingen einen logischen Zusammenhang gibt, davon zeugt auch die Rede jener Herren Abgeordneten, die, in Kenntnis der Prämissen, in Kenntnis der Verhältnisse durch die Logik selbst dorthin geführt worden sind, dass sie statt einer Quote von 30 % eine von 40-42 % provoziert haben.  
  Und was kommt dabei heraus?  
  Dabei kommt heraus, dass die Compensation unsbezüglich nicht vollständig ist, aber teilweise in jenem jetzt von mir erwähnten Verhältnis einerseits vorhanden ist, und andererseits, ich spreche es ganz entschieden aus, kommt heraus, dass das Geschrei, das auf der anderen Seite erhoben wird, Ungarn zahle 30 % und genieße 50 % Rechte, äußerst unbegründet ist, denn Ungarn zahlt in bar 30 %, der Rest wird durch die Vorteile des gemeinsamen Zollgebiets beglichen.  
  Ich kann gleich hinzufügen, dass wir anstatt der Einführung von Regulativen es für ungleich wichtiger halten, dass sich eine Atmosphäre des Selbstbewusstseins und der Disziplin herausbildet und erstarkt, die die Säumigen, die Faulen, die Drückeberger von sich aus brandmarkt, in der die Verletzung der Disziplin, das unerlaubte Fernbleiben und das Produzieren von Ausschuss ein Spott und eine Schande ist.  
  Der Herr Abgeordnete Nándor Horánszky war so freundlich, auch noch zu sagen, der Ministerpräsident habe die Nation der Demütigung preisgegeben. Unsere Rechnung wäre tatsächlich nicht vollständig, wenn wir unsere Schwierigkeiten verschwiegen. Der Weg zum Sieg ist nicht nur von Erfolgen, sondern auch von Schwierigkeiten flankiert. Infolge der Dürre im vergangenen Jahr hatten wir einen schlechten Futtermittelertrag, was seine Auswirkung auf unsere gesamte Lebensmittelversorgung hatte. Doch die Klassenfeinde
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Jegyzet
, die Kulaken und die Spekulanten, sind auf diesem Gebiet sofort zum Angriff übergegangen (das konnten wir zum Beispiel erfahren, als ein Teil des Brotes eine braunere Farbe annahm - ohne dass die Qualität nachgelassen hätte ...), und da wir es beizeiten versäumten, achtsam zu sein, erhöhten sie unsere Schwierigkeiten, welche, wie wir wissen, vorübergehend sind, und wir werden sie in Kürze und bleibend lösen. So, wie uns der Erfolg nicht betäubt hat, so werden uns auch die Schwierigkeiten nicht abschrecken.  
  Ich erzähle von einem konkreten Fall, der mir widerfahren ist. Vor einigen Tagen hat jemand in Dorog zu mir gesagt, wenn sie zweimal so viel Schmalz und Speck bekämen, würden sie die Ernte verdoppeln, also wäre auch diese zweimal so viel. Ich habe sofort daran gedacht, dass man ihn beim Wort nehmen müsste (Heiterkeit), diesen Genossen (Heiterkeit).  
  Die Genossen wissen bereits aus Erfahrung, dass, wenn wir unsere Kräfte auf eine Aufgabe konzentrieren, wir diese Aufgabe auch lösen werden. Dies gilt auch für den infolge der letztjährigen Dürre entstandenen Fleisch- und Schmalzmangel. Die Genossen können zur Verwirklichung der Lösung dieser Frage beitragen, indem sie diszipliniert die nicht lange Zeit abwarten, nach der wir auch diese Frage gelöst haben werden.  
  Es handelt sich um vorübergehende Schwierigkeiten. So, wie wenn jemand aus einer schlechten, alten Wohnung in eine neue, gute Wohnung zieht. Zwar ist die Wohnung unbedingt besser, doch so lange, bis sich der Bewohner an sie gewöhnt hat oder die Möbel einrichtet, sich daran gewöhnt hat, dass die neue Schwelle anders ist, als es die alte war - stolpert er ein paarmal (Heiterkeit), und das Geschirr geht leichter zu Bruch. Das versteht ein jeder. Bringt die Zweifler nach vorne, palavert weniger, arbeitet mehr, und eure Sache wird von sicherem Erfolg gekrönt werden (rhythmischer, stürmischer Applaus, es lebe Kannibal, nieder mit Hase!).  
  Vor einigen Tagen hat mir im Zala eine junge Traktoristin erzählt, womit man sie davon hatte abschrecken wollen, sich auf einen Traktor zu setzen. Du wirst herunterfallen und dir alle Knochen brechen, hat ihr ihre Mutter gesagt. Du wirst dich an der harten Arbeit übernehmen, wurde ihr prophezeit. Sie selbst aber sagte: Davor war ich Schwadenmacherin oder ich habe gehackt, abends dacht’ ich, mein Kreuz bringt mich um, und jetzt, wenn ich von meinem Traktor steige, spüre ich kaum Müdigkeit. Im Sozialismus, ich wiederhole es, ist die Maschine endlich kein Ausbeuter des Arbeiters mehr, sondern seine Hilfe, sein Diener.  
  Ich kann hinzufügen, dass das überall auf der Welt, wo der Sozialismus aufgebaut wird, so ist. Ich habe die Geschichte des Stalinpreisträgers Bortkevitsch gelesen, eines Schnellarbeitsstahldreher-Jungarbeiters. Als ihr Betrieb eine neue Drehbank bekommen hat, haben die jungen Arbeiter mit glänzenden Augen um sie herum gestanden und sie sich angesehen, wie der Künstler das neue Instrument, dem er neue Töne und neue Melodien entlocken wird ... Als Bortkevitsch seine ersten Erfolge mit dem Schnellarbeitsstahl errungen hatte, kamen ihm sofort die besten Ingenieure des Betriebs zu Hilfe. Sie halfen ihm festzustellen, in welchem Winkel er das Messer einstellen soll, gaben ihm Ratschläge für die Beschleifung, suchten die geeignete Fachliteratur für ihn heraus, bezogen die Professoren der Technischen Universität Leningrad mit ein. Sie selbst lernten auch von ihm.  
  Mehr als ein Genosse hat hier die Frage aufgeworfen, ob wir den jetzigen obligatorischen Durchschnitt von 80 nicht auf 120, sondern auf 150 erhöhen sollten. So gut die Absicht auch ist, die diesen Vorschlag nahelegt, müssen sich die Genossen dennoch vor Augen halten, dass es nicht nur Starke, sondern auch Schwache gibt. Deswegen schlage ich vor, dass wir vorerst bei 120 bleiben, respektive auf 120 übergehen. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass dort, wo die Disziplin, der Gemeinschaftssinn gut sind, vielleicht sogar ein Durchschnitt von 180 entsteht, aber als Pflicht sollten wir bei 120 bleiben. Ich glaube, das ist gesünder.  
  Die Entwicklung unserer Industrie zeigt, dass unser erhöhter Plan realistisch und, trotz aller Skepsis und aller Beckmesserei unserer Feinde, durchführbar ist. Aber wir dürfen auch die 0,7 % Rückstand nicht vergessen, und auch nicht, dass es im Dezember 7 Feiertage gibt und 24 Arbeitstage.  
  Die Genossen stimmen mir zu.  
  Die richtige Durchsetzung dieser Regularien wird das Bündnis der Arbeiter und Bauern innerhalb der Volksdemokratie weiter konsolidieren, noch enger knüpfen, wird die Friedensfront weiter festigen, deren treue Soldaten wir sind und der jeder unserer Erfolge neue Kraft verleiht. (Beifall.)  
  Was die - (Lärm von links) es wird nicht mehr lange dauern - (Hört! Hört!) , was die politischen Folgen anbelangt, darüber möchte ich mich nur sehr begrenzt äußern. Doch man muss sich sehr wundern, dass, während mein geschätzter Abgeordnetenkollege Jókai darauf hinwies, welche Wirkung es für die gegenseitigen Gefühle der Völker der Monarchie haben kann, wenn diese Fragen nicht gelöst werden, das heißt, eine unsichere Konstellation herbeigeführt wird - wie gesagt, ich wunderte mich sehr, als es hieß, dies sei Poesie.  
  Dezső Szilágyi: Ich habe das nicht darüber gesagt, es war etwas anderes! (Widerspruch aus der Mitte.)  
  Mit Verlaub, Sie haben es darüber gesagt, ich habe es mir gemerkt. Es kann im Übrigen sein, dass ich mich falsch erinnere, es ist also keine Poesie, nur, dass Sie es nicht für wahrscheinlich halten, und dass Sie es nicht für wahr halten.  
  Übrigens, nebenbei sei bemerkt, dass man aus den Passiva oder Aktiva der Handelsbilanz keine Schlüsse ziehen kann, ob das Land verarmt oder reicher wird (Zustimmung von der Mitte), sondern dabei spielen noch viele Factoren eine Rolle, und es ist möglich, dass der Wohlstand des Landes bei einer passiven Handelsbilanz wächst, und es ist ebenso möglich, dass es bei scheinbar aktiver Handelsbilanz verarmt.  
  Der Herr Abgeordnete Graf Albert Apponyi erklärte in seiner - ich gebe zu: sehr schönen und sehr wirkungsvollen - Rede, und darin stimme ich mit ihm vollkommen überein, dass es sehr schwierig ist, eine theoretische Grenze zu ziehen. Aber wenn Sie in Richtung Freihandel gehen wollen (János Paloczay ruft dazwischen: Das nicht!), mit Verlaub, ein Teil von Ihnen behauptet das, ich räume die Möglichkeit ein, dass der Herr Abgeordnete János Paloczay diese Richtung nicht einschlagen will. (Heiterkeit.)  
  Nicht nur Nándor Horánszky, sondern, wenn ich mich richtig entsinne, auch Herr Dezső Szilágyi hat, wenn auch nicht in diesem Sinne, zu mehr oder weniger Factoren der Gesetzgebung gesprochen.  
  Dezső Szilágyi: Zu sämtlichen Factoren!  
  Zu sämtlichen Factoren also. Gerade dieses Wortes »sämtlich« bedarf ich sehr. (Heiterkeit.) Die Gesetzgebung hat hier 3 Factoren und dort 3 Factoren. Nach der Mathesis macht 2 mal 3 = 6; doch bei uns ergibt 2 mal 3 zufälligerweise = 5; wenn nun also drei Factoren der ungarischen Gesetzgebung es akzeptiert haben, dann hat ein Factor der anderen Gesetzgebung es akzeptiert. Ich setze das nicht weiter auseinander, aber daraus ist zu ersehen, dass wir in dieser Richtung politisch im Vorteil sind. (Lebhafte Zustimmung und Beifall in der Mitte.)  
  Hohes Haus! Die Sache ist gebührend diskutiert worden, jedermann konnte sich, denke ich, seine Meinung bilden.  
  Wenn aber dann die von einigen bestrittenen, von mir gesehenen Probleme eintreten sollten, deren Nichteintreten, wenn einmal das Land diesen Weg eingeschlagen hat, keiner sehnlicher erhofft, sollten sie aber dennoch eintreten, wird das Leiden darüber ein gemeinsames sein; bedenken Sie also, was das Schicksal eines jeden Bruderkampfes in diesem Land gewesen ist, bedenken Sie, dass wer uns in diesem unseren Vaterland Schaden zufügt, der Freiheit selbst Schaden zufügt, und wer unsere Ketten schmiedet, sich selbst in Fesseln schlägt. (Auf Kálmán Tiszas abschließende Worte folgt ein dröhnender Beifallssturm. Sämtliche Teilnehmer der Sitzung stehen auf. Hochrufe erklingen von allen Seiten des Saales. Ein Jungarbeiter ruft heraus: Hurra Kálmán Tisza! Sämtliche Teilnehmer der Sitzung rufen mit ihm unter geballten Fäusten dreimal das begeisterte Hurra. Es lebe Kannibal, nieder mit Haaase!)  
  Tisza sitzt im einfallenden Licht auf dem Flur. Er blinzelt vor sich hin, lehnt sich in seinem Stuhl zurück wie eine riesige Klapperschlange beim Verdauen. Er ist ein wenig zur Seite gebeugt und sieht aus, als wäre er ständig zum Sprung bereit, und wenn er plötzlich aufsteht oder sich hinsetzt, ist er wie ein aufgehendes oder zuklappendes Klappmesser. Er setzt sein frisches Augenglas
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Jegyzet Der Ministerpräsident hat nämlich immer zwei Augengläser dabei und setzt sich mal das eine, mal das andere auf die Nase. Einmal hat er eins zu Hause vergessen (» ist in der Wäsche «, sagten die Spötter scherzhaft) und hatte während der gesamten Sitzung keinen einzigen Einfall, bewegte sich verlegen, unbequem auf seinem Stuhl hin und her.
ab, reibt sich - wie die Intellektuellen - die Nasenwurzel. Er sitzt. (Setzen Sie sich, Sie mit Ihrem schlechten Bein, lieber Tisza, sagte einmal der Kaiser und König zu ihm.) Wie der schwere Eber sprengt aus der Öffnung einer leutseligen Tür der treffliche Szilágyi. Apponyi hält inne. Das Zwiegestirn der Oppositionsführung begrüßt einander heftig.  
  Dezső. Mein Lieber!  
  Mein lieber. Albert!  
  Zwei seltsame Hickser; in dem Augenblick der Pause, in der nach Luft und nach dem nächsten Buchstaben geschnappt wird, schmuggelt sich auch der Zweifel ein, das Misstrauen. Aber sichtbar gibt es kein Problem, Hände schlagen auf Schultern auf.  
  Nach der wichtigen und unverzichtbaren wortmeldung Kálmán - tiszas ist meine wortmeldung leider vollkommen verfehlt unsicher nebulös pseudowissenschaftlich abgehalftert sein genialer untrüglicher epochaler und weiser blick welcher wie ein riesiger scheinwerfer die wege beleuchtet wird uns zweifellos zu tausenden zu neuer und energischer arbeit anspornen die beharrliche forderung nach seiner führenden wegweisung ist die einzige methode die aus der kraftlosen stagnation herausführt ( fortwursteln , wie Taaffe sagt).  
  Indem sich die beiden Männer hinunterbeugen, verheddern sich die krausen, lockigen, verspielten Härchen ihrer Bärte - Apponyis seidiger und Szilágyis drahtiger - familiär, um bei der Trennung der beiden Gesichter hinfällig und schmerzhaft an der Gesichtshaut zu zerren. Oi, sagen sie. Der Graf lächelt milde. Genosse Brandhuber rennt den Flur entlang. Ein schwarzer Wind erhebt sich. Apponyi setzt zu einer brüderlichen Umarmung an; er ist ein freundschaftlicher Geselle, wie die Oppositionellen allgemein. Sijtschaß, wirft ihm Brandhuber hin. (Mit wem mag der Graf den Genossen Brandhuber verwechselt haben? Vielleicht mit Imre Hódossy oder mit Graf Sándor Károlyi?) Die Hand in der Luft, auf halbem Wege, senkt er die Stimme, flüstert: Es gibt Persönlichkeiten, die die Schwierigkeiten des Regierens so sehr nachempfinden, dass sie infolgedessen nicht streng mit den Männern sein können, die sich damit abmühen, sondern ständig eine gewisse heimliche Zuneigung für sie empfinden; es gibt jedoch welche, die nur Oppositionelle zu sein vermögen; beide Typen bedeuten ein persönliches Manko. Apponyi geht auf den Fahrstuhl zu, sucht die Kapelle. Tante Sári
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Jegyzet
schaut Tomcsányi an. Oder sind Sie von der Kontrolle? Der junge Fachmann versteht die Frage nicht, sagt aus unerfahrener Huscheligkeit, was er sagt; der Frau wie dem fliegenden Grafen: Der Lift ist kaputt.  
  Dezső Szilágyi springt schwungvoll über den Wischlappen, walzt ins Zimmer des Genossen Peck. Ei, das Händchen des Genossen Peck hat gerade eben einen Knopf am Hemd der Marilyn Monroe geöffnet, und seine angespannte kleine Handfläche hat die Gürtellinie des gelockerten Rockes bereits unterschritten. Kamerad Beverly schaut zwischen seinen Salatblättern hoch. Ja, er nickt ältlich, man sieht, der Arme hat wieder etwas verstanden. Ja. Die Mode der Französinnen, die ihre Formen dort, wo sich gewisse Mängel zeigen, mit künstlichen Artikeln ersetzt. Zwischen Giacomos Zähnen kracht das Salatblatt. Hja, wer von Natur aus über jene betörenden Formen verfügt, steht weit über dem künstlich Runden und dem natürlich Flachen.  
  Die Fingerchen schleichen schon geduckt vorwärts und haben den Rand des Schlüpfers noch nicht erreicht, als sie auf einen kitzeligen Vorposten stoßen, auf einige harte, einzelne - krause, gelockte, verspielte - Haare. Während unser Blick streng auf dem fachlichen Material verweilt und unser Keuchen sich verstärkt, löst sich Marilyns Höschen infolge der winzigen, jedoch zweckmäßigen Wellenbewegungen der Fingerenden von dem nicht gerade flachen Bauch. Durch den entstandenen Spalt springt, mit der Panik der gestandenen Männer, schwupp, das Händchen hinein. Stülpt sich über das dort Vorgefundene Hügelchen. Wie ein Grabhügel, dichtet Giacomo. Und die geschmacklose Fachgerechtheit des Kameraden Beverly: Aber wo ist das Holzkreuz? Die Handfläche spürt die etwas abgestandene, doch heiße Feuchte. Ob Gregory Peck Marilyn Monroe so lange dreht und wendet, bis die Hüllen gefallen sind: und der Steiß, diese wilde Brandung dort prangt, ohne Übertragung? Und Marilyn tut vielleicht - auf die einzige Weise, die die Größenverhältnisse erlauben - das, was so wenigen Männern ...  
  Hier Auftritt Szilágyi. Szilágyi in floribus. Marilyn rührt sich träge, Gregory Peck bleibt das Wort im Halse stecken, er würde es gerne herausziehen, aber seine Hand verheddert sich im schlingengleich spannenden Schlüpfergummi. Er zerrt daran. Mitgefangen, sagt der eine Wirtschaftsberater. Mitgehangen, sagt der andere. Albernheiten, sagt Szilágyi, stampft mit dem Fuß auf und verschwindet.  
  Und die Tür, Kumpelfreundchen?, donnert Giacomo Dezső Szilágyi (1840-1901) dem Politiker, Strafrechtler und herausragenden Redner hinterher. Der kleine Goldhamster schüttelt unzufrieden den Kopf. Ach, wenn ich nur einmal den Rhythmus träfe. Ganz offenbar kannte er bereits am Anfang die Fortsetzung, der Kulissenreißer. Na, aber lasst es uns umdrehen: was ich treffe, soll Rhythmus heißen ...  
  Die Zeit zieht dahin, allein auf Wekerles Lippen steht das unI abreißbare Lächeln.
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VII. KAPITEL in welchem, oh weh, oh weh
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, das Unheil geschieht
 
  Die fesche Marilyn Monroe kommt. Ihr Volkswirtschaftsdiplom hängt jetzt nicht heraus; ihre Lippen sind gerötet: Lippenstift und Durchblutung. Tomcsányi, hinter Bollwerken aus Fachliteratur, stützt sich mit beiden Ellbogen auf den Schreibtisch und singt eine traurige Weise. Ahnt auch er nicht, dass die Wege der jungen Frau anderswohin führen werden? Nach oben. Der junge Mann fängt apathisch an, ein Blockdiagramm zu zeichnen. Draußen erzittert die nachmittägliche Luft über dem Westbahnhof. Das befreite Volk, welches das Vaterland aufbaut, hat das Singen gelernt und liebt es. Imres Stimme klingt erzen. Er fängt mit einer Naturbeschreibung an:  
 
Auf den Fluss fällt langsam schon der Nebel
im Tau glitzern Baum und Strauch.
 
 
  In der glitzernden Grundfarbe taucht nun ein schönes Bild auf:  
 
Ein rotes Tuch liegt auf meiner Schulter,
und rote Beeren trage ich nach Haus.
 
 
  In der Abteilung wird es still. Beim Warten fühlen sie den ehrlichen Schmerz des jungen Mannes mit. Ein wenig langweilen sie sich. (Ob es wohl vermeidbar wäre, dass die Momente der Stagnation so gewaltsam von denen der Stoßarbeit abgelöst werden, und all das: in der Panikstimmung vor der drohenden Lawine der Materialknappheit?) Doch all das ist nur der Hintergrund des Bildes, aus dem die auf ihre Arbeit stolze Arbeiterin hervortritt:  
 
Voran geh’ ich mit heitrem Mut,
Trauer verfliegt, kommt nicht mehr zurück!
Auf meine Arbeit bin ich oh wie stolz,
eine Arbeiterin bin ich, eine arbeitende Frau.
 
 
  Marilyn Monroe steht da und hält die Luft an. Na so was! Könnte es sein, dass Tomcsányi, diese ausschließlich für seine Arbeit lebende Person, deren Leben, sozusagen, zwischen zwei Nullbefehlen und einer Endlosschleife ablief, könnte es sein, dass dieser Tomcsányi nun die Augen geöffnet hat? Und sie, Marilyn, erblickt? Im Lied treten jetzt die auf, die das neue Leben geschaffen haben:  
 
Eine Straße führt durchs Dorf,
glänzt, funkelt in hellem Licht,
zwischen Blumen läuft sie gerade fort,
und führt zum endlichen Sieg.
 
 
  Der junge Mann singt nur und singt vor sich hin, allein, beinahe ausgeliefert.  
 
Wer hat den stolzen Weg der Fabrik gebahnt,
wer hat den Pfad breitgetreten?
Bunuel war es, der den Weg gebahnt!
Und breitgetreten hat ihn Bezerédj!
 
 
  Das Lied hat mit einem tiefen Ton angefangen und gipfelt in einem hohen, von innerer Spannung erfüllten Ton, die ruhige, gemessene Bewegung ist zu einem flink ansteigenden Höhenflug geworden. Die Akkorde klingen immer voller, um am Ende der Strophe zur üppigen Vollendung zu finden. Das Lied muss tatsächlich so gesungen werden, wie es am Anfang der Noten steht: »mit Würde«.  
  Marilyn zaubert von irgendwoher ein großes Stück Apfelkuchen herbei und reicht es Imre. Meine Mama hat ihn gebacken. Die starken, jungen weißlichen Zähne des jungen Mannes blitzen spöttisch hervor. Summe i geht von eins bis n, sagt er, leise den Kuchen zerfleischend. (Jemand mit einem scharfen Verstand könnte einwerfen: Jede Maximumaufgabe ist auf eine Minimumaufgabe zurückführbar! Das stimmt. Doch Liebe und Hass entspringen derselben Quelle, wie Dick und Doof, i geht von eins ... Brrr! Weibliche Rücken läuft es kalt herunter.) Sieh zu, dass du Land gewinnst, sagt der junge Mann, um reinen Wein einzuschenken. Die junge Frau denkt, er macht Scherze, und lüpft mit einer Hüftbewegung den Rocksaum, antwortet kokett. Lass uns, Jungchen, erforschen, wo der Pfeffer wächst. Und zeigt an, welche Stelle sie meint. Imre tut so, als würde er denken, dass Marilyn scherzt.  
  Während er so tut, tritt gerade Janka Dorogi ein. Ihre kleinen Zöpfchen hängen beleidigt herunter. Ihr Blick auf Imre. Marilyn springt auf. Oh, meine Süße! Die kleine Kröte, denkt sie. Doch in Imre wird es plötzlich hell. Er ist nicht mehr die zaudernde, vergrämte, fahle Gestalt, die er soeben noch zu sein schien. Was konnte das ausgelöst haben? Irgendeine komplexe Sache. Seine Stimme schallt.  
 
Auf, Brigade, Arbeitsbrigade,
gespannte Muskeln, spannt euch jetzt,
ein gut’ Plan erbaut der Proletarier Land,
auf, Brigade, steh deinen Mann!
 
 
  Langsam heben sich die Köpfe. Guter Plan, guter Plan, brummt der alte Tibi Tóth, gibt es denn schon eine Erlaubnis? Janka Dorogi schüttelt stumm den Kopf. Aber Tomcsányi kann man nicht mehr aufhalten! Ein richtiger Teufelsbraten! Soll doch langsam schleichen, wer Erdbeeren pflückt! Doch wir bauen den Sozialismus auf. Und schon steht er an der Tafel, die Kreide in der Hand. Von Zeit zu Zeit - um die Anspannung zu lösen, die durch die Freude und das Hoffen und den ihnen auf dem Fuße folgenden Neid entsteht - hebt er die Kreide an den Mund und zieht kräftig an ihr, als wäre sie eine Zigarre, eine kubanische. Seine Stimme ist feierlich.  
  Unser Land, unsere Volkswirtschaft wird immer schöner, immer reicher. Ausladender. Wo früher Sumpf war, Salzboden oder Sand, steht heute goldener Weizen, sattgrüner Kukuruz, strecken sich die Sonnenblumen und hebt die Baumwolle ihre weißen Köpfe. Das Band einer betonierten Straße schlängelt sich. Wo das Volk früher traurig, zerlumpt, krank und hungrig war, erklingen heute Lachen und Heiterkeit in der morgendlichen Stille, die Gesichter werden runder, farbiger, und die Menschen fröhlicher.  
  Aber konkret, sagt András Békési, der KISZ-Sekretär, ungeduldig, konkret, Imrulein. Imre nickt, perfekt, und schon tanzen Pfeile und Summenzeichen über die Tafel, schlittern Plusse und Minusse, Epsilons und Betas hin und her. Lajos Ádám flüstert skeptisch Tibor Tóth zu: Dafür muss man 20 000 Karten lochen. Wenn sie sich davon nicht auf den Kopf stellen, dann weiß ich auch nicht. Am Baume bängt der Buñuel, fügt er noch mit (vorübergehendem) Zynismus hinzu (denn, in geringem Maße, gibt es auch solchen). Das warte ich noch ab, der Alte nickt.  
  Tomcsányi skizziert die Zukunft. Und wenn das die Zukunft ist, dann ist die Zukunft wunderbar! Speicherkapazitäten, Konverter, Peripherien, die in Reih und Glied in der lupenreinen Maschinenhalle stehen. Die blendende Beleuchtung - als wären wir in einem Ballsaal. Marilyn Monroe schaut ergriffen an den Männern entlang. Ein Abschnitt ihres Lebens ist zu Ende gegangen. Békési missversteht sie und erzählt ihr, wie schön und farbenfroh das Leben sei! Doch die klugen Worte des KISZ-Sekretärs nützen nichts: die Tränen in den Augen bleiben Tränen in den Augen ... Doch Vorsicht! Vor sich hin zu träumen ist gefährlich. Ein Wagen des SL K4 Telex bricht aus der Führung aus. Eselkaviers Hand, Kopf und Fuß! - so geht das blutige Lied. Und vorneweg Marilyn! Der Unfall scheint unvermeidbar zu sein. Doch Jancsika Tóbiás tritt vor, sein weißer Kittel weht, er stemmt sich gegen den Wagen der Telexschreibmaschine, bringt ihn fürchterlich zum Stehen. (Tomcsányi darf sich freuen: ihm ist es am besten ergangen: für ihn blieb nur der Kuchen!)  
  Tóbiás schaut die junge Frau an, wie Romeo auf dem Ball der Capulets die junge Julia. Auch Janka Dorogi wirft Tomcsányi einen Blick zu, der jedoch enthusiastisch in der von Kreidestaub schwangeren Luft wedelt. Jancsika bemerkt, dass der Wagen die junge Frau trotz allem an den Lippen verletzt hat. Keine große Sache - ein Kratzer -, aber Gott bewahre, dass sie ihn aus dem vorhandenen Rotkreuzkasten verbinden! Die Frau Mutter des Jancsika wohnt nur wenige Schritte vom Eingang des Instituts entfernt, Marilyn solle mitkommen, die Mama wird sie verbinden ... Und er ist schon dabei, die sich liebenswürdig zierende Marilyn von der Gruppe loszureißen, um sie in das winzige, mit allem Komfort ausgestattete Einzimmerhäuschen (+4 Zimmer) seiner Familie mitzunehmen und sie seiner Frau Mutter vorzuführen. Jancsika Tóbiás ist ganz aufgeregt, pispert neben dem Ohrläppchen der jungen Frau, die mit großen Kälbchen-Augen in die Welt blickt. Tomcsányi ist derweil schon dabei, Doppelintegrale (!) aufzuzeichnen. Du wirst sehen, Marilyn, bei meiner lieben Mutter, in der Atmosphäre der Liebe, mit der dich die Familie umgeben wird, und in der Atmosphäre von fachlichem Ruhm und Reputation, welche durch die Armada der Ehrenurkunden an der Wand, die »Sozialistische Brigade « Auszeichnungen, sowie dem Märtyrer-Attest meines Vaters selig angezeigt wird, wirst du glücklich sein, du wirst sehen! Dieses Leben ist: schön. Marilyn Monroe ist glücklich. Du! Du ..., faucht Békési. Er mag Tóbiás nicht, und vielleicht schmerzt ihn auch Marilyn. Aber wen - Tomcsányi in einem gewissen Sinn ausgenommen - schmerzt Marilyn Monroe nicht?  
  Tomcsányi befindet sich mittlerweile in dem sich senkenden Bogen seines Gedankengangs. Die Lösung einer Mathematikaufgabe ist gemeinhin eine einfache Sache. Einen Aufsatz über die Erlebnisse im Zeltlager zu schreiben ist eine ernsthafte, aber ebenfalls nicht schwere Aufgabe. Wenn du aber deine Zeit mit Bolzen und Tratschen vertust, dann - o Wunder, bleibt selbst die einfachste Mathematikaufgabe ungelöst, selbst das leichteste »Klausürchen« ungeschrieben. Das geht nicht von selbst. Nichts geht von selbst. Hiermit nehme ich mein Herz in die Hand, denn mehr als sterben kann ich nicht. Ich versuche es. Ein anerkennendes Raunen geht durch die Kollektive, flink, wie die Kosaken durch den Birkenhain. Ohne schriftliche Erlaubnis? Tomcsányis Gesicht ist ernst. Vorwärts! Jancsika Tóbiás hat die Hand auf Marilyn gelegt, während er psalmodiert:  
O Morgen, Morgen,
schöner, roter Morgen,
sie rufen mich zum Gastmahl,
doch ich gehe nicht,
ich schicke mein Schaudern dahin.
 
  Du! Du ... nachgeborener Kommunist!, faucht der puritanische KISZSekretär erneut. Imre nickt. In Ordnung. Das sind klare Worte. Dann also los! Es gehen die beiden Freunde, Imre und András, nach hinten ins Dunkle, wo die Fachliteratur steht. Die Zimmertür sperrangelweit offen. Die Kunde von der großen Prüfung hat sich verbreitet. Auch Békésis schwangere Frau von der Lohnabrech ist hier. Als hätten sie Schmerzen heimgesucht, hat sie sich ein Schultertuch umgeworfen und ist dahin gekommen, wo ihr Mann jetzt ist. Jetzt ist auch sie dort, wo ihr Mann jetzt ist.  
  Tomcsányi hält vor einem Schrank inne, der wie alle anderen ist. Hier müsst ihr bohren, er winkt. Zeit vergeht, immer noch waten sie durch wertloses Material. Lasst uns sie einmal nicht beim Namen nennen. Dabei muss sie hier sein! Sie arbeiten verzweifelt...  
  Und da plötzlich quiekst die Spitze des Bohrers auf - eine hoffnungslos vorgestreckte, stöbernde Hand - und Tomcsányi brüllt ein »Halt«, dass der Bohrer sofort innehält. Er beugt sich in den Schrank hinein! Er hatte das richtige Gespür! Er hält sie in der Hand! Schlanke Lettern auf wundervollem, holzfreiem Papier: Die Studie. Tomcsányi schnappt sich das erste Blatt, läuft hinaus in den Vorraum. Die, die dort stehen, schauen es sich an, drehen und wenden es. Man muss ehrlich zugeben: sie glauben nicht so richtig daran. Die Studie.  
  Marilyn hebt verschämt zu singen an, aber dann gibt es doch welche, die einfallen, wie denn auch nicht!  
 
Oh, wie schön ist der Salbei am Morgen,
erheb dich, junges Volk, vergiss deine Sorgen.
Dem Arbeitervolk nun nichts mehr fehlt,
es hat jemanden, der zu ihm hält,
oh, wie schön ist der Salbei am Morgen.
 
 
  Imi läuft zurück, Békési dreht sich um, sieht seine Frau dort stehen. Die junge Frau sieht ihren Mann. Tomcsányi schiebt gerade taubes Gestein beiseite, hat schon Sprengstoff ins Loch getan und hat auch schon die Schnur gezündet.  
  Jetzt erst wird sich das wundervolle Wissen ergießen!  
  Doch bis dahin - bis dahin darf man der Explosion nicht zu nahe kommen. Passt auf, Sprengung!!! Da erzittert aber auf dem oberen Regalboden eine Akte!  
  Vorsicht!, brüllt Tomcsányi, der das Unglück kommen sieht. Doch es ist zu spät.  
  In einem riesigen Strahl bricht Papier hervor. Tomcsányi und die schwangere Frau werden von der Flut nach außen geschwemmt, andere - wie der KISZ-Sekretär, Onkel Tibi etc. - nach innen. Die herabstürzende Papierflut trennt in Sekundenbruchteilen Ehemänner von Ehefrauen etc. Das Papier ergießt sich dröhnend, schwillt an, wirbelt.  
  Draußen rennt Tomcsányi immer und immer wieder gegen die Flut an. Man will ihn zurückhalten. Vergebens. Er hält seine Rechentechnikerlampe hoch und steht bis zur Taille, später bis zum Hals in Papier. Er kann die Menschen drinnen noch sehen! Vielleicht ist es gerade Marilyn Monroe oder Békési. Doch dann schwappt das Papier noch höher, erreicht die Decke. Die Hand Tomcsányis, in der er die Lampe gehalten hat, fällt.  
  Es ist vollbracht...
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VIII. KAPITEL,
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in welchem wir so tun, wie wenn wir jemanden unter dem Vorwand zu uns locken, ihm ein Geheimnis ins Ohr zu flüstern, doch sobald wir an sein Ohr herangekommen sind, pusten wir hinein; währenddessen wir fälschlicherweise glauben, das ungarische Publikum gierte förmlich nach allem, was roh, derb und anstößig ist
 
  Die Elemente toben; die Papiermasse nimmt immer noch zu. Abschriften tauchen auf, Aufschriften, wie Wellenkämme die leichten Zweitschriften von Aktennotizen und Anträgen, Studien, Genehmigungen, Konzeptionen, Konzeptionen. Sie werden sich auf die Stühle stellen, dann auf den Tisch, dann werden sie die Hälse recken (die Wirbel entfernen sich voneinander wie die Sterne im Universum). Eine Rettung gibt es nicht. Jetzt sagt keiner etwas. Mit einem Mal spricht jemand den unausgesprochenen Gedanken vieler aus. Wir werden umkommen.  
  Keine Antwort. Aber man sieht es in den Gesichtern, den vielen jungen und alten Rechentechnikergesichtern, dass manch einer sich genau davor fürchtet.  
  Sie schauen Békési an.  
  Den KISZ-Sekretär. Doch Békési ist jetzt kein KISZ-Sekretär - er ist ein Schmerzgebeugter, der seinesgleichen sucht und nicht findet, der seine bessere Hälfte verloren hat. Er neigt langsam den Kopf. Er kann nichts sagen, nichts tun. Weg hier. Die letzten Minuten des Lebens allein verbringen ...  
  In Marilyn Monroe rast der Lebenswille. Und die hier sprechen vom Sterben. Nein, das darf nicht wahr sein.
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Draußen wartet das Leben. Sie können nicht sterben, sie müssen leben! Sie geht dem Sekretär hinterher. Sieht seinen gekrümmten Rücken, seine Traurigkeit. Der Sekretär ist traurig? Daran hat Marilyn bis jetzt gar nicht gedacht... Dass der Sekretär auch ein Mensch ist... Ein Ehemann - ein Freund - eine empfindsame Seele.  
  Sie holt den Mann ein. (Brrr: Marilyn Monroe holt den Mann ein.) Und nun hält sie ihre Angst, ihre Trauer, ihre Besorgnis auch nicht länger zurück, sie hängt sich an Békésis Schulter und bricht in Tränen aus. Békési wundert sich. Sie kommen ans Ufer der bedrohlichen Papierflut. Als die junge Frau das Papier Aug in Auge erblickt, schreit sie auf: Halb zieht es mich, halb sink ich hin, Genosse Sekretär. Es ist sehr gut, dass Monroe Békési jetzt Genosse Sekretär genannt hat, Letzterer sammelt sich langsam. (Schöpft Kraft aus dem Vertrauen, das die junge Frau ihm entgegenbringt.)  
  Sie setzen sich. Morgen, hebt er leichthin an ... Doch die junge Frau fährt dazwischen. Wb werden wir morgen sein? Wenn wir klug sind: draußen. Wir müssen uns nur klug verhalten. Verstehst du, Mädchen? ... Klug verhalten...  
  Klug verhalten?  
  Klug verhalten. Wir müssen eine »kluge Politik« betreiben. Ich hätte dir das Ganze gerne ... unter anderen Umständen ... Aber es scheint mir ... Also ... Wie soll ich anfangen ...  
  Und er fängt zu reden an. (Seine Handfläche, dies unendliche Ding, höhlt sich, wölbt sich.)  
  Onkel Tibi kommt. Als er den offenen Schrank sieht, schreit er auf. Jesus, es ist aus mit uns! Marilyn versucht ungeschickt, ihn zu beruhigen. Warum sollte es aus sein mit uns? Horch doch! Es kommt näher! Weißt du, was näher kommt? Der Tod, der kommt näher. Sie werden uns retten. Uns? Sie wissen nicht einmal, ob wir leben oder schon tot sind. Wir werden ersticken, wie die Ratten.  
  Und das will ich nicht, nicht so.  
  Békési. Du gibst mir sofort den Schlüssel zur Dynamitkammer. Onkel Tibi, lieber Onkel Tibi..., greint Marilyn. Békési gemahnt sie zur Ruhe. Pst, pst. Sie horchen. Man hört dasselbe wie bisher auch: das Brausen des Papiers und aus der Ferne die musikalische Sendung Für Beatfreunde. Békési lächelt. Marilyn, hörst du’s? Marilyn hört nichts. J... ja. Ich höre es. Pst. Man hört es deutlich. Pst. Ja. Ganz deutlich, Genosse Sekretär. Was? Wovon redet ihr? Was? Janis Joplin? Pst, sagt wieder Békési. Die Pumpen. Und ... pst ... die Bohrer?, ... pst ... die Bohrer? Die Bohrer, ruft Marilyn Monroe glücklich. Ihr blondes Haar wie der Blitz. Der alte Rechentechniker schwankt (auch) zwischen Zweifel und Hoffnung. Er schöpft Verdacht. Ich höre nichts.  
  Das Mädchen lacht in ihrer Verzweiflung laut heraus. Natürlich nicht. Onkel Tibi war immer schon leicht schwerhörig. Was? Hm ... Na und? Ich bin schwerhörig ... Deswegen ist der Rechentechniker Rechentechniker. Ich höre schon, was ich hören muss. Békési. Bei deiner aufrichtigen Seele. Hörst du sie? Ja, ich höre sie. Puch-schi, Puch-schi, machen die Pumpen. Und der Bohrer macht: iu, iu, iu. Irgendwie so, nicht, Marilyn? Nein. Eher so: fu-fu-fu. Onkel Tibi lacht bereits. Békési zwinkert dem »Frauenzimmer« zu. Du machst dich gut im »Politisieren «, Mädchen.  
  Leute, die Bergung hat begonnen, der Alte kommt angerasselt. Die ersten, scheuen Strahlen der Hoffnung leuchten in den Gesichtern auf. Das gibt’s nicht. Das gibt’s nicht?! Onkel Tibi gestikuliert heftig. Der Bohrer macht: Schrrr! Schrrr! Lajos Ádám wechselt scheele Blicke. Aber Onkel Tibi ist doch stocktaub! Alle schauen Békési an. Was sagt der Sekretär. Und ich sage, sagt er, dass Onkel Tibi die besten Ohren von uns allen hat. Es entsteht Bewegung.  
  Die besten?  
  Die besten. Lajos atmet schwer. Sein Vater war auch schon Rechentechniker. Und einmal, es ist schon lange her ... aber lassen wir das, es ist eine uralte Geschichte, vorbei. Damals hat der damalige Besitzer - pro forma das Volk - seinen Vater ... hat seinen Vater nicht... Und das hat Lajos Ádám skeptisch gemacht. Er tritt an Békési heran. Schlägt zu. Ihr habt gelogen, schreit er Békési ins Gesicht. Ihr habt gelogen!! Alles strömt in alle Richtungen. Ádám packt Békési am Mantelrevers.  
  Genug von den Märchen!  
  Aber damit ist das Maß voll. Marilyn Monroe reißt den einen Mann vom Körper des anderen herunter, dreht Ádám mit einem Ruck zu sich und gibt ihm eine schallende Ohrfeige.  
  Willst du draufgehen? Aber wir nicht! Aus allen Kehlen bricht ein befreiter Ruf hervor. Leben ... Wir wollen leben! Männa. Wir wern leben, sagt Békési.  
 
  Das Gesicht des Genossen Generaldirektor Szervácpongrácbonifác ist ruhig, ausgeglichen. Mit raumgreifenden Schritten eilt er auf das Flachdach des Instituts hinauf, um von dort aus umso effektiver Anweisungen geben zu können. Er schreitet über die gut ausgetretenen Pfade bekannter Flure fort, hinter ihm der Anhang: Führungspersönlichkeiten aus Partei und Wirtschaft, die bekannte Hierarchie: die Arbeiter - der physische Bestand, der technische Bestand, der administrative Bestand sowie die vielen Fachleute - säumen den Weg mit gezogenen Hüten. Die Pelerinen, die weichen, breitkrempigen Hüte, einige Borsalinos werden zum Gruße geschwungen.  
  Sie sehen, spüren die verantwortliche Kraft. Husch hinein, an die Arbeit, ruft ihnen aus der Schleppe Péter Baittrok zu, dem man bei solchen Gelegenheiten ansieht, dass er vom alten Schlag ist. Er geht ran wie ein Kapitalist, heißt es über ihn. Das doppelte Spalier hebt - mit einer kleinen Übertreibung: wie aus Daffke - zu singen an.  
 
  (mündliche Überlieferung)  
Geht der Bercsényi zum Rat
Kind und Kegel an der Hand
Hebt den starken Arm zum Gruße
Arbeiter, Bauern folgen auf dem Fuße
Seine Stimme tönt wie die Totenglocke
Über seinem Kopfe eine Friedenstaube
 
 
  Tatsächlich kreist eine Orlow’sche Tumblertaube dort (langer, gestreckter, schlanker Körper und niedriger Stand). Ein besser informier- ter Kern ruft der Führungsschicht sogar noch hinterher, während diese sich anschickt, hinter der Flurbeugung zu verschwinden.  
 
Befiehl den Übeln
ins Fleisch nicht zu fahren,
ins Bein nicht zu fahren,
in keinerlei Leichname nicht zu fahren.
 
 
  Genosse Szervácpongrácbonifác dreht sich um. Der Zug hält inne. Aus dem Spalier ist gedrungenes Fluchen zu vernehmen ... ins Knie!  
 
Erde gebar Anna,
Anna gebar Maria,
Maria gebar Erlöser der Welt,
wer einen Größeren gebiert als ihn,
der mag uns schaden können.
 
 
  Die Menschen atmen auf, gehen rückwärts in ihre Zimmer zurück, erhobenen Haupts, wie es ihre Gewohnheit ist. Der Flur vor dem Umzug buchtet sich aus, eine Art Vorraum oder noch eher ein Innenhof entsteht. In den dunklen Ecken überflüssige Verpackungen: die Transportkisten einiger Rechner (Computer!), riesige, splitternde Holzlatten, zwischen ihnen fustelt zurzeit eine große Gruppe Chinchillas. Weiter oben demonstrieren Rundgänge ihre offenen, schönen Proportionen. Einige antike Steinkrüge. Die schwungvolle Treppe ist an einer Stelle gesprungen, und der hineingeratene Boden hat sich als fruchtbar erwiesen: eine knorrige Staude zerteilt die karge Geometrie. Die Gruppe kommt schnaufend an der rostigen Falltür an. Genosse Brandhuber drängt sich vor und schiebt zuvorkommend die Eisenplatte mit der Stirn hoch, geht dann beiseite und befreit seine Stirn mit Hilfe eines kleinen, weichselroten Taschentuchs vom Eisenstaub. Die Umgebung des Aufgangs zieren nach Erdbeere duftende winterharte Jasminsträucher. Oben schlägt ihnen die schwere, würzige Luft entgegen. Imre Tomcsányi steht bescheiden am Rand des Flachdachs. Beugt sich über die dichte, schöne Buxushecke nach außen, sieht unten die 33er Straßenbahn in die Haltestelle auf der Aktivistenbrücke rollen. Ein Hornsignal ertönt.  
 
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  Doch umsonst die Begeisterung, wenn die Luft knapp ist, oder nicht knapp, aber von schlechter Qualität! Doch das wird sich später erst heraussteilen. Vorerst charakterisiert sie die Vorsicht. Sie legen sich auf den kühlen und klebrigen Linoleumboden, um ihre Chancen mit diszipliniertem Atmen zu verbessern. Sie sind bis an das große Panoramafenster zurückgedrängt worden.  
  Das Leben ist sehr schwer jetzt. Alle liegen, spinnen wach ihre Träume weiter. Békési führt das Wort. Und dann ... dann passiert... Ich sag’s euch. Was immer passiert. Wir stellen uns hübsch um ihn auf, im Kreis ... und dann ... spricht er uns an ... Na, ihr ... wird er sagen ... ihr habt dem Vaterland ... wird er sagen ... einen großen Dienst... erwiesen.  
  Marilyn Monroe fällt aufgeregt ein. (Wo sind das Rot und die Frische des kleinen roten Röckchens geblieben?) Darauf sagen wir ... das ist doch nichts ... Genosse Szervácpongrácbonifác ... nichts ... das war unsere Pflicht... Genosse Szervácpongrácbonifác. Nein, nein, wird der Genosse Szervácpongrácbonifác sagen ... Damit, dass ihr sie gefunden und sie ihrem Papiergrab enthoben habt... damit habt ihr dem Volk ... viel Gutes getan. Und dann fängt er an, sich zu verabschieden und ... Warte mal. Davor noch, was er über das Essen sagt... Ja, ja. Mit einem Wort, der Genosse Szervácpongrácbonifác sagt... ihr habt gut durchgehalten ohne Speis ...  
  Es ist überhaupt nicht sicher, dass er das sagt... Er hat es im Gefängnis ... bis zu zwei Wochen ... ohne Speis durchgehalten. (Ja, hier haben alle früher oder später einmal gesessen: man musste nur Kommunist sein oder Nichtkommunist sein. Oder nein: es reichte schon, wenn man Kommunist war.)  
  Deswegen kann er’s noch sagen.  
  Er kann’s sagen ... das Rehpaté, gute Herren, das Rehpaté ... das wird der Genosse Generaldirektor sagen, sagt Békési. Na siehst du, sagt Marilyn. Und dann ... schüttelt er jedem ... die Hand ... der Genosse Szervácpongrácbonifác. Als Erstes Onkel Tibi, das Mädchen versucht zu lachen, und auch der Alte versucht zurückzulächeln. Rührend, wie das Monroe-Mädel aufpasst, wann sie an die Reihe kommt. Und mir? Und mir? Dir auch, Marilyn. Der Reihe nach ... allen. Das Mädchen wendet sich schamhaft ab. Hier keucht papierüberströmt Ádám los. Zum Teufel mit dem, der das schluckt... Ich will nicht ersticken. Es wird sowieso keiner antworten ...  
  Békési steht auf. Du bist nicht an der Reihe, was den Telefondienst anbelangt. Wenn ihr erlaubt, sagt er bescheiden, werde ich jetzt ... außer der Reihe ... Er geht hin. Er watet ins Papier hinein, eine harte, gerippte Schriftenmappe schlägt ihm gegen das Schienbein. Das tut weh. Er findet den Hörer in der Tiefe, schüttelt ihn, spricht hinein. Hallo, hallo, hallo. Plötzlich erstarrt er zu Stein. Ja!! Wir leben, brüllt er. Reißt sich aber gleich zusammen. Aus dem Hörer tönt eine elegante Stimme. Ar ju Genosse Kovács? Békési weiß vor lauter Glück gar nicht, was er redet.Jässaiäm. Dabei ist er gar nicht der Genosse Kovács! Allo, lieber Kovács? Hörst tu mich? Allo, ich bin hier in Visegrád, Weiterbilding! Suche den Szegediner Dom ... Beruhige dich, lieber Kovács, ich finde ihn nicht...  
  Jetzt planschen alle hier um den Apparat herum. Bis zur Taille in Papier liegen sie sich weinend in den Armen. Tränen und Hoffnung standen noch nie so Seit an Seit im Karpaten-Becken. Auch Békési weint, schaut sich seine Mannen an. Männa. Was ist mit der Luft. Marilyn Monroe antwortet also. Auf diese Freude genehmigen wir uns einen Kubikmeter!  
 
  Das Wetter, jetzt, ist ideal. Man kann es nicht einen der schönsten, wärmsten Herbsttage nennen, aber bei trockenem, warmem Wetter gibt es ja auch keine gute Fährte; und es gibt auch keinen starken Nebel oder bereiften Tau, bei dem die plötzlich herauskommende Sonne sehr schnell die oberste Feuchtigkeitsschicht verdunsten lässt und mit ihr die Fährte. Es ist dieses gewisse moderat - 4-10 Grad - kühle und windstille
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, beste Wetter, mit feuchtem Boden, wenn die Fährte »heiß« ist, die Meute folgt ihr wie auf Schienen, es kommt kaum vor, dass sie die Spur verfehlt, der meiste Kill ist bei so einem Wetter zu machen.  
  Man kann das Beste hoffen.  
  Die Meute besteht aus 15*
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»Koppeln«. Was wiederum ideal ist. Weniger als 10 Paar ist zu ärmlich, mehr als 20 sind schwer anzuleiten. Der Jagdleiter ist Péter Baittrok, dieser namhafte Ingenieur. Er ist ein unabhängiger Gentleman von hohem Ansehen: das ist eine notwendige Voraussetzung, um Master zu werden. Baittrok verfügt über ausreichende Konditionen: er ist ein hervorragender Reiter, kennt alle Finessen der Parforcejagd. Ein besonnener Mann, der aber auch nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg hält.  
  Ein einziges Mal hat er die Selbstkontrolle verloren. Auf der kleinen, intimen Zusammenkunft, die man zu Ehren seiner Ernennung zum Chefingenieur ausgerichtet hatte, hielt ihm János Tóbiás flüsternderweise vor, warum der Genosse Chefingenieur denn die neue Schrankwand und den Philodendron zurückgewiesen habe, da doch die Anschaffung beider notwendig und umständlich gewesen sei. In dieser harmlos erscheinenden, beiläufigen Situation zwirbelte Baittrok an seinem Bart und fing zu brüllen an, seine Augen blitzten, sein Gesicht lief rot an, sein wohlproportionierter Kopf bebte. Du Götterdämmerung, du! Du quatschst mich an, was sich gehört und was nicht, du elender Laffe, was man für die Macht braucht, mir, der ich in deinem Alter im Majorsrang gedient habe in irgend so einem Loch, es gab noch nicht einmal ein Kruzifix an der Wand, weil ich ein Reformierter bin?! Der Herr Ingenieur Baittrok tobte. Du, Alter, erzählte er seinem Cousin, die Herren Genossen schämen sich meiner, ich bin ihnen zu lumpig. Die rechte Hand des Jagdleiters ist der Huntsman oder Hundeführer, der sozusagen Tag und Nacht mit den Jagdhunden zusammenlebt und jeden mit Namen kennt - und sie ihn auch. (Na, die Hunde haben’s da leichter!) Er kennt sich auch mit der Natur, den Gewohnheiten des Wildes aus; ein verständiger, flinker Mensch, dabei ein leichter und guter Reiter. Die zwei, drei Piköre, auch Whippers-in genannt, die sich ebenfalls an der Verschlagtür aufhalten, kennen die Meute und verstehen etwas von Hund und Pferd, sie werden sich auch hier darum kümmern, dass einzelne Hunde nicht aus der Reihe tanzen, sich nicht zurückfallen lassen etc. etc.  
  Es sei hier eingefügt: es ist klar, dass all diese Fachleute recht anspruchsvoll sind, sowohl was die Bezahlung als auch was die Lebensweise anbelangt, wodurch die Personalkosten regelmäßig satter sind als der Unterhalt der Meute, die Grütze, das Pferdefleisch.  
  Auf ein Hornsignal hin geht der Hundeführer mit dem einen Pikör los; der andere flankiert ein wenig das Dickicht, um die zurückgebliebenen Hunde mitzubringen, danach erst geht der Jagdleiter los, Genosse Baittrok - und erst dahinter die anderen Reiter: also ja keine Raserei und kein Wetteifern, bitte!  
  Hier ist keiner ungezogen: keiner, der den Jagdleiter überholte; keiner begeht einen Verstoß, dessen angemessene Konsequenz der Ausschluss von der Jagd wäre: keiner, der einen Hund anreitet; keiner ist unhöflich: es gibt kein »Überkreuzen«, alle beherrschen ihr Pferd (es ist ein hässliches Bild, wenn der Reiter von seinem Rosse davongerissen wird wie ein Ferkel von der Flut).  
 
  Drinnen tritt tödliche Stille
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an die Stelle des dröhnenden Lärms. Ist das das Ende? Schließlich kann man jetzt nicht einmal mehr atmen. Jancsika, der bis jetzt still an der Wand saß, fährt auf. Nein ... Ich kann nicht mehr. Békési kommt zu ihm. Hier gibt es nichts mehr zu reden - mit Worten ist diesem Menschen kein Glauben mehr einzuflößen. Er gießt - mit ruhiger, nicht zitternder Hand - einen Deckel halbvoll mit schönem, sauberem, frischem, trinkbarem, wundervollem Wasser. Reicht es ihm. János Tóbiás dreht sich weg, während er das Wasser austrinkt. Auch András Békési dreht sich weg, während Tóbiás trinkt.  
 
  Das Wild hat einen beträchtlichen Ausweg, den es auch weidlich nutzt; doch die Meute, die für diesen Zweck trainiert worden ist, ist ausdauernder und rückt immer näher an das langsam müde werdende, atemlose Wild heran. Doch die Hunde verlieren jetzt die Fährte, was einen kurzen Check zum Ergebnis hat. Den armen Pferden ist das nicht unlieb. Ihr Rücken dampft, die Nüstern zittern angespannt.  
  Es ist eine glückliche und vielversprechende Geste seitens des Genossen Szervácpongrácbonifác, dass er als einfacher Reiter unterwegs ist. Hier gibt es keine Vorrechte (Adelstitel, Majoratsgut etc.); eine gewisse Ordnung ergibt sich natürlich unwillkürlich. Neben Gregory Pecks winzigem Pony tritt leise die riesige Fuchsstute des Genossen Brandhuber. Die Pferde stampfen auf, wiehern. Gratuliere, zischelt Brandhuber Peck zu. Ich muss schon sagen, alles läuft hervorragend. Ein paar Stunden, und sie sind draußen. Genosse Peck lächelt. Ein paar Stunden, das ist vielleicht doch eine Übertreibung. Aber die Situation wird pausenlos besser. Das Lächeln bleibt bei Peck. Pausenlos ist auch übertrieben. Der andere schaut den Abteilungsleiter an.  
  Du hast Angst!  
  Aber nur in zweiter Linie! Jawohl! Nur in zweiter Linie, sagt fuchtelnd der liebenswürdige, sonnengebräunte Mensch. Du, Genosse Brandhuber, solltest die Wissenschaft mehr respektieren. Ich habe ein Hindernis errichtet... Ein Hindernis? Genosse Peck lacht. Der Jagdleiter mustert seltsam-lange das Duo.  
  Der Leithund gibt Laut, und die Spürhunde begrüßen mit einem plötzlich erstarkenden Konzert den erneut erblickten Reinecke. Die Steigeisen klingen. Tomcsányi sitzt wieder auf und spürt ein fast erfrischtes Pferd unter sich. - Sein Pferd hat er beizeiten und gründlich daran gewöhnt, beim Aufsitzen auch dann ruhig zu stehen, wenn um ihn herum Bewegung ist, galoppiert wird, was natürlich beileibe nicht so einfach ist, wie es hierherzuschreiben; denken wir nur an den Marx- Platz zu Stoßzeiten! Imrus Tomcsányi weiß, wenn er als einer der Ersten am Kill ankommen will, muss er zu Beginn der Hetz Kräfte sparend, bescheiden in der »Nachhut« reiten, wo man einen guten Teil der Kehren abschneiden und sich den leichteren Boden aussuchen kann (z. B. statt des gepflügten Ackers den daneben verlaufenden Stoppelfeldstreifen). Baittroks Pferd startet neben dem Tomcsányis. Der junge Mann fragt mit niedergeschlagenen Augen: Schaffen wir es? Baittrok schweigt erfahren. Muss gebohrt werden? Sie gehen los. Hügelan spornt er das Pferd nicht besonders an, der Anstieg nimmt ihm sowieso genug Puste weg.  
  Ja, es muss. Erinnere dich an die Falken, mein junger Freund. Und es wird sowieso eine Gegenbohrung sein. Tomcsányi hebt seinen klaren Blick. Die Sonnenstrahlen tanzen, er hält die Zügel mit harter Hand. Aber die Gegenbohrung einer Gegenbohrung - ist eine glatte Bohrung, sagt er. Philosophiere nicht so viel, Alter; es geht um Leben und Tod, vorwärts. Tomcsányi reitet mutig hinab: der Boden ist gut, die Beine des Pferds sind gut, und er hat das Herz am rechten Fleck, er weiß genau, dass es eine Ehre ist, immer an den Hunden zu reiten (»up to hounds«), aber bei sich denkt er: Dazu braucht es ganz erstklassige, eventuell während der Hetz gewechselte Pferde; wenn mir dazu die Möglichkeit fehlt, mag ich es mehr, zum Schluss der Hetz vorne zu reiten, als gleich am Anfang den größten Teil der Kraft aus dem Pferd herauszuholen.  
  Während des Galopps holt Gregory Peck ein kleines Büchlein aus seinem Stiefelschaft. Eine Szene mit nicht geringem Schwierigkeitsgrad. Peck lächelt erneut. Notiert etwas aufs Buch. Das ist meine kleine Bibel. P. J. Probys Bergbaukunde. Er lächelt selbstsicher. Genosse Brandhuber
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schaut den über das Buch gebeugten Wirtschaftsführer verächtlich an. Herr Wissenschaftler, presst er zwischen den Zähnen hervor, wie seltsam Ihr doch seid ... Brrr. Der Blick des Jagdleiters fegt über die Landschaft. Sein Bart ist charakteristisch.  
  Der Boden ist nicht gefroren, die Spuren der Pferdehufe sind zu sehen. Reitet man über das Gut eines anderen Jägers, gibt es auch keine Klagen. Heute du, morgen ich. Aber wenn der Trab über die kleinen Gemüsegärten der sozialistischen Brigaden, durch die Pfeffer-, Bohnen-, Paprika-, Schwarzwurz- und Wallwurzreihen geht, durch die Setzlinge des Meerkohls und die gelben Blätter des Würgels, wird nicht selten (manchmal zu laut und nicht ganz angemessen) Schadensersatzanspruch angemeldet. Die sozialistischen Brigaden bekommen pro Hufabdruck 1 Forint. Vom so errungenen Geld leben und lernen sie auf sozialistische Weise: sie gehen ins Kino, kaufen Theaterkarten und schenken einander Bücher (z. B.: Vasarely - ungarischer Herkunft). Wir selbst sind auch Ackerwirte, pflegt Genosse Szervácpongrácbonifác im Freundeskreis zu sagen, und wir stehen, natürlich, zum arbeitenden Volk, aber wenn’s danach ginge, könnte ich jeden Herbst mit Freuden ganze Kavallerieregimenter über die Saat reiten lassen; das ist eine gesichertere Einkommensquelle als die heutigen Ernten, gewürzt mit den heutigen Verhältnissen. (Die herbstlichen Hufabdrücke sind im Frühjahr gar nicht mehr zu sehen.)  
  Die Meute macht dem Wild den Garaus: kill! Den erwürgten Fuchs nimmt der Jagdleiter für einen Moment dem Rudel weg, schneidet den großen, roten, buschigen Schwanz ab, anschließend wirft er den Gevatter Fuchs hoch, der somit »genossen gegeben« ist, woraufhin ihn die Meute innerhalb von Augenblicken auseinandernimmt und verspeist.  
  Langsam kommen alle an, Ross und Reiter schnaufen.  
  Das war schön. Das war’s. Eichentische kommen zum Vorschein und rustikale Bänke; geschmackvolle Gedecke - und nicht zuletzt: ein hervorragender, leichter Gartenwein. Tomcsányi sitzt verklemmt am Ende der Bank. Genosse Brandhuber erzählt. Und wisst ihr, wo ich ihn angeschossen habe? Darauf sind alle neugierig. Genosse Baittrok streicht über seinen herzbrecherischen Bart und wendet sich mit schlecht verborgener Abneigung an den Erzähler. Na, sprich es schon aus, genau dort, wo die Tánya ihre Linsen hat! Dann wissen es wenigstens alle! Die Nachbarn biegen sich noch vor Lachen und schlagen einander auf den Rücken, als Tomcsányi auf die Bank hüpft, schon sehr aufgeregt, wie die Jungen im Allgemeinen, er legt seine Schwippe vor sich ab, um zu sprechen. Hier fällt eine sehr ruhige Stimme, die von Miklós Horváth, ein. Rede, mein Junge. Wir brauchen die Klarsichtigkeit einer jungfräulichen Stimme. Dies löst von neuem Gejohle aus, aber Tomcsányi ist nicht mehr aufzuhalten.  
  Genossen! Im fernen Norden sagt man über das Rentier, es sei das nützlichste Tier, denn man kann alles von ihm verwenden: Fleisch, Haut, Knochen gleichermaßen. Genossen! Die lineare Programmierung: ist das Rentier der Rechentechnik. - Genosse Szervácpongrácbonifác steht turbulent auf und gibt einige energische, richtige wie falsche Anweisungen. Das Personal macht sich emsig an die Arbeit, die einzelnen Mitglieder tragen Mützen mit goldenen Quasten (es sind sämtlich mit dem goldenen Kranz ausgezeichnete Brigademitglieder), und nur noch die Reste des Kranzkuchens krümeln in den riesigen Rissen der Tischplatte. Tomcsányi umreißt plastisch die Notwendigkeit und die moralischen Höhen der Rettung. Was den Kranzkuchen anbelangt, hätte nicht einmal jener gewisse Wendler einen besseren backen können. Der Teig ist schön mürbe und die Füllung
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großartig, besonders die mit Nuss, in der Nüsse, Zitronat, Datteln, Äpfel, Rosinen, Schokolade, Quittenkäse, Marillenmarmelade, Vanille, Eischnee und die gezuckerte oder mit Honig gesüßte Milch ein famoses Ensemble bilden. Mag sein, er kommt ein wenig teuer, aber er ist unschlagbar.  
  Genossen! Die Rettung würde in hohem Tempo, durchorganisiert und unter Aufbietung all unserer Kräfte vonstattengehen. Die Daten über die Rettung - die Lage der Papiere, die Atmosphäre in der Abteilung, die Bohrungen, pro Person aufgeschlüsselt, etc. - würden beim Genossen Generaldirektor zusammenlaufen, auf einem Display. Nicht auf dem Display, flüstert jemand. Der Genosse Generaldirektor würde die Nacht durchwachen und sorgenvoll in seinem Arbeitszimmer auf und ab gehen. Auf seinem Tisch viele Bücher, Papiere, ein Rechenschieber. Zuoberst P. J. Probys Bergbaukunde. Aus dem Radio würde Musik tönen, sich ergießen, sanft wie die Lüftchen über den heimat- liehen Wiesen, und kraftvoll wie das Blut in den heißen ungarischen Arbeiterherzen. Genosse Szervácpongrácbonifác würde arbeiten ...  
  Auf den grob gezimmerten Holzbänken erhebt sich Applaus, Pfiffe schrillen. Miklós Horváth nickt aufmunternd. Genossen! Danach würde Genosse Horváth über die Treppen sausen. Er würde sich mit Lkws und Jeeps treffen, der Motor würde aufheulen bei der »Geländefahrt «. In einer Biegung würde ein schlammverschmiertes junges Mädchen stehen - dort, wo wir, die Jugend der KISZ, natürlich streng nach der Arbeitszeit, manchmal Pingpong spielen - und würde die Faust schütteln und auf jemanden schimpfen. Ich glaub, mich tritt ein Pferd, würde das Administratormädel, selbst in dieser schweren Lage geistreich, sagen; und erzählen, sie sei wütend, weil man eine nichtsnutzige, schwächliche kleine italienische Maschine zur Rettung nimmt. Warum nimmt man nicht ihre riesige sowjetische Maschine? Dabei könnte sie es in fünf Stunden erledigt haben. Und in vier Stunden? Könnte sie das? Die junge Frau würde Genossen Horváth erstaunt ansehen. Bitte um Verzeihung. Sie dächte nach. Könnte ich, würde sie schließlich herausrufen. Halten Sie sich bereit. Die junge Frau würde verwundert Genossen Horváth hinterherschauen, der nunmehr jede zweite, dritte Treppenstufe überspränge.  
  Na, na, du, na! Bring uns, verdiente Männer des Systems, doch nicht zum Heulen. Nichtsdestotrotz ergreift nun ein Mann mit finsterem Blick das Wort. Sein Gesicht ist von einer Narbe zweigeteilt, doch seine Rede ist schlüpfrig, seidig, wie die Achselhöhle der Schlangen. Ohne Fischereigenehmigung im Trüben fischen: das ist Genosse Brandhuber. Oho, Freundchen. Nicht wahr. Soll doch der Schweiß fließen oder das Blut, ist doch gleich. Sie wollen dem Arbeiter doch nur immer mehr abpressen! Soll doch der Mensch, der arbeitende Mensch, verschleißen?! Wen kümmert’s?  
  Immer mit der Ruhe, lieber Józsi. Gregory Peck ist auf seinem gewohnten Platz, mit dem Rücken an den Aschenbecher gelehnt. Immer mit der Ruhe, flüstert er Brandhuber ruhig zu. 240 Aufstellungen stehen in der Hauptstrecke. Zusammengestürzt, verschmutzt - unüber- windbar. Und das weiß keiner: nur du und ich. Ach ja, Pardon: und »das Buch der fortschrittlichen Wissenschaft«, der P. J. Proby. Genosse Brandhuber setzt sich mit knackendem Knie zurück auf die Bank. Ist das sicher? Mehr Respekt für die Wissenschaft, Genosse Brandhuber! Wissenschaft? Brrr.  
  Miklós Horváth winkt dem jungen Mann zu, er möge fortfahren. Auch der Genosse Generaldirektor winkt. (Einer von ihnen widerstrebt gewohnheitsgemäß für eine kurze Weile.) Genossen! Die Lage derjenigen dort drinnen würde immer schwieriger werden. Eine töd- liche Stille
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Jegyzet
würde an die Stelle des dröhnenden Lärms treten. Sollte es zu Ende sein mit der Hoffnung? Zu Ende? Die Rettung verliefe unter großen Anstrengungen. Keine Zeit wäre zum Maulaffenfeilhalten! Die sowjetische Maschine wäre hier! Genosse Brandhuber stutzt. Mein Herz, er zeigt darauf. Gregory Peck legt seine Hand auf den Ringfinger des anderen. Ruhig Blut. Das Zwischenspiel ist Baittroks Aufmerksamkeit nicht entgangen. Genossen! Genosse Horváth würde die Eingeschlossenen anrufen. Er würde ihnen mitteilen, dass das letzte Kapitel der Rettung angefangen habe. Das Ganze wird nicht mehr gewesen sein als ein schlechter Traum, das Leben wird dort weitergehen, wo es so schmerzlich und furchterregend abgerissen ist. Er würde mit jedem reden. Auch mit Marilyn Monroe. Er würde ihr sagen, dass er viel an sie gedacht hat. Ein Mädchen - das ist eine große Sache, eine hehre Sache. Wie sie wohl aussieht? Ist sie vielleicht sogar schön? Ist sie jung? Welche Farbe haben ihre Augen? Blau? Und ihr Haar? Die Eingeschlossenen würden tief in der Bredouille stecken. Wegen des Luftraums; und auch sie würden - plaudern. Nicht, dass dieser redliche, aufopfernde Leiter noch denkt, dass sie jetzt, in der Stunde des Todes, ungeduldig sind. Marilyn würde ihre Haarfarbe preisgeben: sie wäre blond. Ich wäre unglaublich aufgeregt, würde Genossen Horváth fast den Hörer vom Ohr reißen. Aber er würde nur reden, lächeln, lächeln, wie eine kleine Schauspielerin. Später würde er die Sprechmuschel mit der Hand zudecken. Geh zum Riesenventilator! Ich würde hingehen. Fräulein, riecht es bei Ihnen nicht irgendwie merkwürdig? Marilyn würde kurz husten. Ein wenig ... ein kleines bisschen. Kein Problem, würde Genosse Horváth mit gezwungener Fröhlichkeit in der Stimme sagen. Nichts Schlimmes. Njitschewo. Meinen Berechnungen zufolge wird in 2 Minuten der Wind durch die Strecke brausen. In 2 Minuten und 1 Sekunde wird ein Orkan an ihrem Kleidchen zerren, ihr schönes, blondes Haar zerzausen. Zwei Minuten. Sagen Sie Bescheid, wenn, hier würde Genosse Horváth auflachen, wenn der Orkan losbricht.  
  Genossen! Jetzt würde jeder, der am Leben wäre: horchen und warten. Genosse Horváth würde warten: auf seiner Stirn säße in dichten Furchen die Sorge, in seinen Augen loderte die Hoffnung. Auch ich würde warten, wie eine zusammengedrückte Stahlfeder. Und Gregory Peck würde warten - in fürchterlicher Ruhe. Und noch jemand würde warten, ein seltsamer »Retter« mit einem sehr bekannten Gesicht. Wäre das nicht Genosse Brandhuber
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, dieser Mann mit dem berußten Gesicht? Duuu! Doch, sagt der junge Mann mit klarer Entschlossenheit. Und noch jemand würde hier warten. Angespannt horchen. Genosse Baittrok. Er würde jeden sehen - würde sich jeden anschauen. Es wäre ihm anzusehen, dass ihn nicht nur das Telefonieren interessiert. Es wäre noch etwas anderes.  
  Eine kleine Unruhe entsteht, einige Gesichter sind rot, andere blass. Jeder, der lebt
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, horcht und wartet. Horváth wartet: auf seiner Stirn sitzt in dichten Furchen die Sorge, in seinen Augen lodert die Hoffnung. Tomcsányi wartet wie eine zusammengedrückte Stahlfeder. Und Gregory Peck wartet - in fürchterlicher Ruhe. Und Genosse Brandhuber wartet und wendet den Blick nicht ab, weder won Gregory Peck noch von Tomcsányi. Dem Genossen Baittrok ist ein Hauch Verwirrung anzusehen; aber natürlich wartet auch er.  
  Ei, wei, Genosse Szervácpongrácbonifác springt auf. Er hat den Fuchsschwanz in der Hand, den brush; er schwenkt ihn. Freunde! Wir, ungarische Jäger, haben einiges, woran wir uns zurückerinnern können. Damit meine ich meine eigene Generation, die um die fünfzig ... Wir sind schon »Väterchen « geworden, aber noch sind wir nicht alt; wenn auf dem steilen Grat der Hirschbock röhrt, sind wir noch in null Komma nichts oben, wir reiten noch das rassigste Fohlen - wie wir auch sonst nicht verschmähen, was es Gutes gibt auf dieser Schattenwelt. Doch vergebens, unser Haar ist schon von Raureif bedeckt, eine neue Jagdgeneration ist herangewachsen, und manchmal, besonders an dunklen, klammen Novembertagen, müssen wir daran denken, wie lange wir wohl noch mitmachen können. Die Zeiten, meine Freunde, wandeln sich, und wir wandeln uns mit ihnen.  
  Genosse Gregory Peck zieht sich zurück auf die andere Seite des Aschenbechers. Aus seinem Stiefelschaft holt er die bibliographische Rarität hervor, den Mini-P.-J.-Proby. Und, was geschieht nun? Hier erhebt sich Lärm am Aufgang. Lassen Sie mich hoch! Sofort! Pfui! Und schon fliegt eine Mütze mit goldenen Quasten durch die Gegend. Zwischen den winterharten Jasminen steht, kämpferisch, ängstlich- erschrocken mit ihren Zöpfen, die Janka Dorogi. Imre Tomcsányi schaut sie an. Er ist ruhig, aber etwas in ihm schmerzt jetzt doch. Warum? Verzeihung, er springt auf. Baittroks Blick lässt nicht ab von Gregory Peck. Sollte er sich mit seinem Verdacht geirrt haben? Und handelte es sich um Anständigkeit? Der Abteilungsleiter blättert fieberhaft im »Pidschäjprobi«. Er hat die gesuchte Seite gefunden, die er mit einer einzigen Bewegung...  
  Baittrok packt seine Hand. Was willst du von mir?! Ich weiß noch nicht, was ich will... Aber dass ich etwas will, ist sicher.  
 
  Das Mädchen schweigt mit niedergeschlagenen Augen. Imre schaut sie durchdringend an. Blind ist er bis jetzt gewesen, und wie! Das flachsgelbe Haar des Mädchens ist von der Sonne vergoldet, es flattert, fegt über ihre Schulter. Ihr Gesicht ist blässlich und mager, aber ihre blauen Augen blinken mutig. Ihr Kittel, der von einem schmalen Gürtel zusammengehalten wird, funkelt schneeweiß in der Sonne. Janka ist ernst und für ihr Alter unpassend sorgenvoll. So ist also dieses Mädchen, diese Janka, denkt Imre. Mit so einer sollte ich mich anfreunden. Sie hat viel gesehen, weiß viel. Er schaut sich das Gesicht des Mäd- chens an, in dem die Spuren von Erfrierungen zu sehen sind, er schaut die dunkle Ader unter dem goldenen Flaum ihrer linken Schläfe an, und sein Blick spiegelt Respekt und Zärtlichkeit wider. So viele neue Gefühle und Gedanken schwirren dem jungen Mann durch den Kopf, dass es ihm schwerfällt, den wichtigsten auszuwählen. Wie so oft, hilft auch diesmal die Musik, das Lied, der Gesang, diese keuscheste Kunstart aller Gefühle.  
 
  (Tango)  
Glicklich ist der Mann
der dich li-ieben darf,
der dir zulächeln darf,
der mit di-hir sein darf.
Glicklich ist der Mann,
der mit dir le-heben darf,
für dich arbeiten darf,
den dein He-herz li-hiebt.
Ich hab in meinem Leben vieles erlebt,
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Jegyzet
bis ich das Glick gefunden hab.
Verzeih mir, dass ich
So viel gere-hedet hab,
doch ich sah in mein Herz,
Und sa-hah dich darin.
 
 
  Hand in Hand. Hoch oben treiben langsam, kaum merklich, spärliche weiße Schäfchenwolken vorbei, glänzend und sauber wie gelöste Leinenbündel, verschleiern sanft die Sonne. Im zitternden, dünnen Nebel schillern kurvig die Váci-Straße und die Lehel-Straße. Auf der kleinen Wiese vor der Kirche wiegen sich Pusteblumen wie das Meer. Ein sanftes Lüftchen bringt den Honigduft der Gräser herüber. Die Hügel und die kleinen Täler strecken sich dahin, als wären sie gerade entschlummert. In der Ferne hat sich der Westbahnhof eine grauweiße Mütze aus dem Rauch der Lokomotiven aufgesetzt. Die Aktivistenbrücke legt sich wie ein spitzenbesetzter Gürtel über den breiten Schienenkörper.  
  Plötzlich hat Imre das Gefühl, alles hier zu lieben, sich über alles zu freuen: über Jankas Nähe, die Gräser, den Platz, die verblassten Zebrastreifen, die versifften Toiletteneingänge, die blassen Feuerwehrautos, den Sieg der Osmanen bei Mohács, die Kapitulation bei Kápolna, die einsamen Telefonzellen, die Grimmigkeit der Passanten und die wei- ßen Schäfchenwolken am Horizont.
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Jegyzet
 
  Taktvoll ermahnt Janka den jungen Mann. Es wartet Arbeit auf sie, deswegen ist sie hier. Der junge Mann hat das Gefühl, hier oben hat er seine Pflicht getan, seine anfachende Rolle ist zu Ende. Sie rennen auch schon in größter Hast durch die Eisenfalltür, die denkwürdigen Stufen hinunter. Auf dem Korridor stoßen sie mit Tante Sári
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Jegyzet
zusammen. Ihre fürchterlichen Wollstrümpfe leuchten hervor. Ich hab’s eilig, mein Junge. Ich muss noch die Kühe melken und mein Zug fährt. Das Saure, was ich versprochen habe, bring ich rein, wenn ich abdanke. Das Einmachglas können Sie behalten. Sie gehen also wirklich, Tante Sári
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? Ja.
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Ich bekomme 300 mehr und habe immer Morgenschicht. Und eine Poliklinik ist doch eine saubere Stelle. Sie gehen zur Poliklinik? Ja. Die Frau bittet den jungen Mann, er möge die Schlüssel beim Einlass aufhängen, und drückt ihm einige Schlüssel in die Hand. Die Aluminiumblättchen sind schauerlich fettig. Der 906er und der 609er Schlüssel ist auch dabei. Man muss sich auf den Kopf stellen, sagt Tomcsányi scherzeshalber zum Mädchen. Los!  
  Und schon stehen sie keuchend, lufthungrig vor dem abebbenden Papier. Schauen sich den Rückgang an. Jemand sagt, es braucht einen Rückgang von 12 Zentimetern, dann kann man rein. Imre flüstert Janka zu: Mir werden fünf reichen ... (Aber werden sie auch für das Mädchen reichen?) Tomcsányi lacht optimistisch: er ist jung, er ist kräftig. Janka lacht nicht, sie lächelt still, schaut sich Imre an. Ich werde dich nie vergessen, flüstert sie leise. Ich dich auch nicht. Wir beide ...  
  Tomcsányi stürzt sich ins Papier. Geh, ruft er dem Mädchen zu, kümmere dich um Békésis Frau. Das braucht sie jetzt. Janka läuft in die Lohnabrech, beide Hände ringend, träumend. Bevor sie die Tür öffnet, zwingt sie Ruhe in ihr Gesicht. Sie kann sogar lächeln! Die kreißende Frau liegt da, ihr Kissen ist Blaupapier, ihre Decke Durchschlagpapier, Radex ihre Erquickung; auch sie kann noch lächeln, also lächelt sie zurück. Janka ist mit einem Satz bei der unbekannten, leidenden Genossin, streicht ihr das nasse Haar aus dem Gesicht und spricht jenes Wort aus, das seit langer Zeit unwiderstehlich auf ihren Lippen brennt: Meine Liebe ... (Dieses Wort hat sie seit langem Imre zugedacht.) Frau Békési - versucht, weiter zu lächeln. Janka - streichelt sie. Meine Liebe ... Ein paar Minuten noch ... nur noch ein paar Minuten ...  
  Aber auch das Leben der anderen währt nur noch wenige Minuten. Tomcsányi nähert sich mit großer Geschwindigkeit. Wird es gelingen? Es muss gelingen!!! Wortlos weiter. Da erblickt er etwas, eine seltsame, dunkle Masse. Aber das sind doch die Aufstellungen! Alle auf die Dämme! Er zieht und zerrt an den Aufstellungen, die äußeren gehen leicht, weiter innen wird es schwerer. Mit einem langen Stock sprengt er die Büroklammern ab. Drei, vier bleiben zurück, übereinandergefallen. Dorthin kommt man mit dem Stock nicht. Was nun? Man muss sich hindurchzwängen. Tomcsányi zwängt sich hindurch. Schon steckt er mitten in den vielen Aufstellungen, Zahlen, Worten, Diagrammen, Formeln, über Menschen, über Maschinen - über uns. Er streckt die Hand aus. Aber die Armlänge, die menschliche Armlänge ist zu kurz. Die Klammer - zu weit. Tomcsányi verlängert seinen kurzen Arm mit einem schicksalsvollen, erhabenen Schritt.
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Erreicht das oberste Dos- sier, stößt es hinunter.  
 
  Genosse Baittrok wendet sich vom Genossen Peck ab und tritt an den Genossen Horváth heran. Genosse Horváth nimmt gemessen den Mini-P.-J.-Proby in die Hand. Schaut sich die aufgekritzelten Zahlen an. 240 ... 240 ... Er schlägt sich auf die Stirn: Aber das sind doch die Aufstellungen! In der Hauptstrecke! Gregory Peck zittert wie Espenlaub. Baittrok packt mit zwei Fingern, als würde er den Henkel einer Kaffeetasse zusammenkneifen, das Hemd des Genossen Peck am Kragen. Du elende Missgeburt! Genosse Szervácpongrácbonifác unterstützt die Szene. Aus einer erhaltenden Kraft, mein Lieber, ein Ver- räter!
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Dennoch fragt er den Abteilungsleiter bezüglich seines Hemds, das gerade gepackt wird: Aus Indien? Und wo gekauft? Doch Horváth lässt nicht zu, dass die Verantwortung in andere Kanäle umgeleitet wird. Er schaut auf seine Uhr, schüttelt missbilligend den Kopf, und langsam übernehmen alle das Schütteln. Er hebt die Hand, seiner Hand entströmt Licht, die Dunkelheit weicht dem Licht. Diese Beleuchtung ist richtig, denn sie ist: - angemessen stark, - blendfrei, - der Lichtstrom verteilt sich gleichmäßig im Raum (richtige Lichtführung, gute Schattenwirkung), - die Farbwirkung ist gut, - wirtschaftlich, - erfüllt die ästhetischen Erfordernisse, - betriebssicher.
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  Miklós Horváth schüttelt unverändert den Kopf, während er erzählt: Der Fuß ist ein wichtiger Körperteil. Man muss auf ihn achten. Dass man ihn sich nicht verrenkt undsoweiter. Aber wenn der Fuß wichtig ist, wie wichtig ist das Auge? Johann Sebastian Bach, eines der größten musikalischen Genies der Welt, ist an seinem Lebensabend vollständig erblindet. Doch wenn Bach und seine Zeitgenossen auch in Dunkelheit leben mussten, wir müssen es nicht mehr. Einem Freund habe ich empfohlen, er solle für 6,50 einen Milchglasschirm kaufen, er würde besser sehen können. Warum sollte ich besser sehen, sagt mein Freund. Weil dir so die Sonne in die Augen scheint, sage ich. Das hat keine Bedeutung, sagt mein Freund. Wenn ich mal fragen darf, sage ich etwas schärfer, warum beschattest du dann deine Augen mit der Hand, wenn die Sonne stark scheint?  
  Mein Freund antwortete nicht, er tauschte sofort den Lampenschirm aus.  
 
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  Licht strömt. Die gesenkten Häupter heben sich, man hört glückliches Lärmen. Unsere Freunde erheben sich vom klebrigen Linoleumboden, Tomcsányi kämpft sich hinter den Dossiers hervor. Der KISZ-Sekretär dankt allen für die Hilfsbereitschaft, die zahlreichen neuen Ideen, die spontanen Initiativen, die Möglichkeiten zu umweltformenden und selbsterzieherischen Tätigkeiten eröffnet und ein Beispiel für die s. Denkungsart gegenüber dem Egoismus, dem materialistischen Denken und der Nach-innen-Gekehrtheit gegeben haben. Tomcsányi beugt sich über seinen Schreibtisch. Er sucht etwas im Softwarehandbuch. Drei viertel vier!
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Es gehen auch gleich alle los: manch einer, um das Kind aus dem Kindergarten abzuholen, manch einer zum Kartenspielen, manch einer/eine zu seiner/ihrem Geliebten, manch einer hat Karten für den Film Die Rockmusik alter Zeiten, und manch einer macht sich einfach nur auf den Weg, und dann (eines) spät Abends, wenn er todmüde nach Hause kommt und sich in seinen großen Fauteuil fallen lässt (aus dem der Himbeersaftfleck schon längst entfernt ist) und an seinem Whisky ohne Eis nippt, weil er keine Kraft mehr hat, sich bis zum Kühlschrank zu schleppen, beim Nachbarn summt leise der Fernseher, jemand lacht laut auf, und er hat die Schuhe von sich getreten und bewegt gerade ein wenig die Zehen, da bemerkt er trotz der beträchtlichen Dunkelheit, dass er ein Loch in der Socke hat, und davon rastet er auf der Stelle aus und fragt sich: Ist denn das so in Ordnung, wie es ist? - und er beantwortet es mit einem Nein und gibt sich selbst die Schuld dafür.  
  Jancsi Tóbiás putzt sich die Zähne, der alte Tibi Tóth hilft Marilyn Monroe in den Mantel. Die junge Frau verströmt frischen Kaffeegeruch. Music Boy oder Konzert Boy, führt Lajos Ádám ausdauernd fort. Sie sind sehr putzig; ich bin mir sicher, entweder Music Boy oder Konzert Boy. Onkel Tibi schnuppert an Marilyns Haar. Rümpft die Nase wie ein Gigolo; vorne rümpft natürlich Marilyn die Nase. Dazu sagt ein polischer Kumpel von mir, sagt Onkel Tibi zu Lajos, übrigens lst er auf der Lusitania geboren, ist auch gar kein ungarischer Staatsbürger, sie haben keinen Platz mehr auf der Titanic bekommen, die hatten vielleicht Massel, er sagt dazu, was für eine aus den Angeln ge- ratene Welt ist denn das
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, wo die Juden kämpfen und die Deutschen Geschäfte machen. Hitler hat den Krieg verloren, aber den Frieden gewonnen. Nach der Reihe unterzeichnen sie den Anwesenheitsbogen. Der Bogen ist, aus ergonomischen Gründen, am Stock eines Edelweißes versteckt. (Hebt die Moral der Arbeiter. Die künstliche Bestäubung des Edelweißes übernimmt, mädchenhaft errötend, Marilyn Monroe.) Kinder, der Arbeitsplatz ist keine Kneipe, damit wir ewig hierbleiben, sagt Ádám und ist schon aus der Tür. Beeilt sich, seine Töchter aus dem Kindergarten abzuholen: sie sind eineiige Zwillinge. Er kleidet sie vollkommen gleich. Andras Békési schiebt den Bogen Imre zu. Beeilung. Tomcsányi schaut sich das Papier an, dann András’ freundliches Gesicht, und sagt aufgebracht, Békési möge den verdammten Anwesenheitsbogen sofort zuklappen, dieser sei nämlich wie ein offener Bauch, und als der KISZ-Sekretär seine gutmütige, asymmetrische Braue einer Erklärung wegen hochzieht, fügt er erklärend hinzu: Die Unterschriften sind die Gedärme.
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IX. (ODER LETZTES) KAPITEL,in welchem der Genosse Generaldirektor den Blick schweifen lässt  
  Unsere Situation ist rosig. (Unsere Situation ist rosig. Unsere Situation ist rosig.) Es gibt einen Vordergrund und es gibt einen Hintergrund. Zudem ist, wie uns zur Kenntnis gekommen ist, die Fliesung der Sanitärräume hervorragend, ihr Luftraum sauber und gesund; das Wasser sprudelt, die aus feinen Gliedern zusammengesetzte Kette erfüllt, also, ihren Zweck, ihr Gerassel kann unseren Nerven, die wie Drahtseile sind, nichts anhaben. Die Bewegung der Fliege an unserem Hals belebt unser Erscheinungsbild: unser Doppelkinn verschwindet unerwartet oder taucht ebenso auf, ganz wie ein Industriespion. Kein Wunder also, wenn einer der Kellner, ein Kellner, sich zu uns treiben lässt. Er kommt im lockeren Lauf. (Versucht nicht, »mehr« zu hecheln.) Wir schicken ihn seine Mutter begatten und bitten sogleich um Vergebung und uns wird vergeben.  
  Es ist drollig, dass auch er eine Fliege trägt. Das sagen wir ihm, ungezwungen. Oh, mein Herr, seufzt er ernst, undiszipliniert. Trinken Sie Rotwein, es ist ein prächtiger Jahrgang. Der granatrote aus VágÚjhely schlägt jeden Tropfen des Burgunds. Er ist blutbildend, sagen wir neutral. Der Kellner missversteht unsere missverständliche Zurückhaltung. Machen Sie sich darum keine Sorgen, sagt er und winkt ab. Dafür ist Platz genug. Wir bestellen einen 73er Volnay Clos des Chênes. Aus unserer Ziertaschentuchtasche ziehen wir unser Thermometer hervor. Es zeigt 20 Grad an. Es müssten 16 sein, also lehnen wir den Wein ab. Man probiert Verschiedenes aus. Als Champagner serviert man uns einen Moët Chandon, das köstliche Bukett des hell- grünen Chablis taucht alles in einen feenhaften Glanz, der blonde Château Yquem wirkt, als würde man Glut trinken.  
  Wir stellen das letzte leere Glas auf das große Silbertablett. Der Winkel, den unser kleiner Finger mit dem Ringfinger einschließt, ist beruhigend. Unsere Beruhigung löst ein Lächeln aus. Wir haben Glück: zum Lächeln findet sich kein Gesicht. - Auf einer anderen Ebene der Macht wird das so formuliert, dass jenes Gesicht von Glück sagen kann, wir schnipsen mit dem Finger: und von was für einem! Doch wenn wir jetzt auf unsere Hand schauen, auf den gerade vom Daumen abperlenden Ringfinger, vergessen wir, worum es gerade gegangen ist, nur der Mangel an einem Anlass, die Gereiztheit, bleibt. Das ist überlegenswert; womit wir nicht viel gesagt haben.  
  Wir versammeln uns zum Fest. Hurra. Die erhebende Arbeit der Vorbereitung
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haben wir selbst in die Hand genommen. Wir besorgen Wein, Weib und Gesang und lassen es ein bisschen krachen. Bereits in dieser Phase sähen wir es gerne, wenn Groß und Klein der Firma erschiene, die Führungspersönlichkeiten aus Partei und Wirtschaft bis auf den letzten Mann, um den Tribut ihrer Anerkennung zu entrichten. Wir sähen es gerne, wenn die Begrüßungsansprachen Tränen in die Augen der Anwesenden lockten und man anschließend eine gut gelungene Büste enthüllte. Eine Kranzniederlegung könnte es auch geben. Wir sähen es gerne, wenn auf das Fallen der verhüllenden Hülle ein einfaches, kameradschaftliches, üppiges Gastmahl in freundschaftlicher Atmosphäre folgte, bei dem es keinen Mangel an Tischreden gäbe, während die braunen Jungs eine schöne Melodie nach der anderen geigten.  
  Wir schlugen unserer vorbeiziehenden Sekretärin, Marilyn Monroe, auf den Hintern und baten den Genossen Peck zu uns. Schau, Genosse Peck. Wir reden jetzt zu dir wie ein Genosse zum anderen. Wie ein Genosse zum anderen? Ja. Marilyn kicherte los. Fröhlich sang sie vor sich hin:  
 
Genosse, Genosse,
rundherum, Genosse.
 
 
  Na, na, aber wir sehen darüber hinweg. In Gregory Pecks wettergegerbtem Gesicht verweilte Aufmerksamkeit. Ich bin ein Anhänger der offenen Worte, Genosse Peck.  
  Du wirst der Mixer! Genosse Peck sprang auf, wir nahmen ihn in die eine Hand, mit dem Zeigefinger der anderen umfassten wir seine Taille, so fingen wir zu tanzen an!  
 
Oh der Mixer,
was ein Gixer,
ein Wunderding,
ein Wunderding!
 
 
  Genosse Gregory Peck geriet außer sich. Er stand auf, steckte die Hände in die Taschen und lehnte sich gegen den Aschenbecher, der auf dem Tisch stand. Für einen Moment senkte er den Kopf, dann hob er ihn und sagte mit einer ganz anderen Stimme, leise und sehr ernst: Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat, und vor allem weiß ich nicht, wer einen Nutzen davon hat oder haben wird! Besonders nicht, wer einen haben wird! Ich weiß nur ... zum Landverteilen war ich gut genug, die Partei zu organisieren war ich gut genug, die Kooperativen zu organisieren, Friedensanleihen zeichnen zu lassen, bei Schnee und Matsch zu Fuß zu gehen, ein Magenleiden vom ständigen kalten Essen zu bekommen - für all das war ich gut genug. Jetzt - bin ich nicht mehr gut genug.
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  Wir verstehen dich, Genosse Peck. Aber die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen. Genosse Peck, bitte, denke nicht, dass deine Aufgabe etwa nicht wichtig wäre. Sie ist wichtig. Wir stellten uns auf Zehenspitzen und ließen uns wieder auf die Fersen zurückfallen. Wir schürzten unsere furchterregenden Lippen: das Gefühl unserer Macht bahnt sich manchmal seinen Weg, wir wissen das. Und du solltest nach all dem, was passiert ist, sowieso keine dicke Lippe riskieren! Weine nicht. Na, na, nicht doch, na: mein süßer Kleiner.  
  Genosse Peck. Ziere dich nicht. Die Revolution besteht nicht nur daraus, die Herren fortzujagen, es geht viel mehr darum, die Faulheit aus uns zu vertreiben, die Anspruchslosigkeit, das Oblomow’sche Erbe. Du, mein lieber Freund und Bruder, wirst auf dem rechten oder linken Flügel der Bar die Bestellungen der Kellner ausführen, du wirst zielbewusst sein mit deinem kleinen roten Schlips! Deine Arbeit wirst du in aller Sicherheit ausführen. Auf dem Tresen der Bar, für den ein imposantes, gefälliges Äußeres von eminenter Wichtigkeit ist, wird die größte Ordnung herrschen. Dein Make-up wird diskret sein, mein Freund, das Tragen falschen Schmucks wirst du vermeiden. Wir hoffen, dein distinguiertes Auftreten, deine geistreiche Konversation werden einen guten Eindruck bei den Gästen hinterlassen. Pass auf, jeder deiner Sätze wird aufmerksam verfolgt werden. Die begründete Reklamation des Gastes musst du mit Geduld und Gelassenheit ertragen, denn die Menschen sind verschieden.  
  Du kriegst dein Mädchen für alles. Und es wird Trockeneis geben, und einen dreiteiligen Schüttelzylinder, einen Rührbecher, einen langstieligen Rührlöffel, ein Drahtsieb, einen perforierten Seiher, eine Eiswürfelzange, ein Eissieb, eine Eisschaufel, einen Eishammer, eine Zitruspresse, ein säurebeständiges Obstmesser mit schmaler Klinge, ein Schneidebrett, ein Tropfglas, geeichte Messgläser, eine Pfeffermühle, einen Paprikastreuer, einen Ölspender, einen Puderzuckerhalter, einen Trockeneishalter, einen kompletten (!) Korkenzieher, verschließbare Gießverschlüsse, einen Trichter, einen Schneebesen, einen Standmixer, einen Sprudelbereiter, eine Preisliste und ein Programmheft.  
  Vorerst schreiten wir noch ohne Aufsehen zu erregen auf dem »Flachdach« unseres Instituts einher. Tief atmen wir die schwere, würzige Luft ein. Unsere Feier ist groß angelegt. Wir heben den Blick. Die Auenlandschaft mit ihren terrassenartigen Ausformungen, den verschlungenen Pfaden im üppigen Unterholz, den länglichen Zypressen und den Eichen, welch letztere die Natürlichkeit repräsentieren, mit den Kakteen und den Tamarisken, mit den glänzenden, fleischigen Blättern - ist wie immer. Es herrscht große Betriebsamkeit, es sind Buden aufgestellt worden, lange Tische, ein Ringelspiel, Schießbuden.  
  Die Polizisten salutieren freundlich. Sie lachen, mit ihren Sonnenbrillen blitzen sie die Frauen an. Wenn sich einer verirrt, sind sie behilflich und sagen ihm, wo es ist; oder, wenn derjenige es weiß, nur nicht, wie er dahin kommen soll, dann das. Den Angetrunkenen halten sie den Kopf, damit sich diese erleichtern können, und wenn sie sehen, dass einer sich nicht wohl fühlt - wir sagen dem ungarischen Volk die Wahrheit, so wie sie ist: es gibt solche; aber es sind wenige, die so sind –; dann gehen sie zu demjenigen hin und vertreiben ihm angenehm die Zeit. So haben wir es bestimmt. Scherzhaft salutieren wir zurück.  
  Alle sind hier; die Arbeiter, die Bauern, die Intellektuellen, wie es sich gehört. Hier ist - last but not least - gleich als Erster Genosse Gregory Peck. Die Getränke sind vorzüglich, der Tresen steht dominiert. Die Beleuchtung ist freundlich. Pfiffigerweise hat er kalte Lichteffekte ganz und gar vermieden, denn diese beeinflussen den Gemütszustand negativ und verändern unvorteilhaft die Farbe und den Charakter der Gesichter der Anwesenden.  
  János Tóbiás ist hier, der vom Vertrauen Gebrauch gemacht und es nicht missbraucht hat, und der sich so vertraut bewegt in seinem Jeansanzug. Für unseren Geschmack ist seine Hose ein wenig zu eng, uns würden an seiner Stelle die Hoden schmerzen. Aber das ist seine Sache. Wir müssen uns nicht in jede Detailfrage einmischen. Er grüßt uns, und wir grüßen ihn, mit dem gewisse Parameter erfüllt worden sind, zurück. Die Jugend! Ihr gehört die Zukunft, und ihr gehört unser Herz! Dafür schämen wir uns nicht!  
  Hier ist Genosse Horváth, Servus, mein Lieber. Er lässt für einen Dürstenden gerade Cola aus dem Steingarten sprudeln. Unsere engsten Mitarbeiter und die gefeierte Abteilung, die, zu der auch Tóbiás gehört, versammeln sich langsam um uns herum.  
  Die Ereignisse der Trauerfeier fügen sich organisch in unsere Festivität ein. Wir verheimlichen nicht, dass es auch Verluste gibt. Dies ist eine Niederlage für uns alle. (Wir haben die geschmacklosen Nachrufe mit starker Hand von Ausartungen gesäubert, der Lobrede auf die Verwandten, der Aufzählung der Verdienste, von allen Schnörkeleien.)  
  Das Administratorfräulein schluchzt immer wieder auf. Dorogi? Mutig ist er …; sagt sie. Die anderen umarmen und trösten sie. Die Szene zieht sich ein wenig in die Länge. Wir treten an die Bahre. Dort liegt also Imre Tomcsányi. Sein Blut malt im Sonnenlicht hellpurpurne Flecke. In der Tasche seines Sakkos stecken zwei knospende Zweiglein: eine Alber und eine Pappel. Wir riechen an den duftenden Alberknospen und sagen, mit einem Blick auf die silbrigen Knospen der Pappel: Genosse Tomcsányi hat das Leben geliebt. Die Stimme des Administratormädchens ist unangenehm, grell. Möge er Lajos Kossuths Rechentechniker werden. So sei es, raunt die Brigade. Möge er auf uns herunterschauen, von dort, wo er über seine Nation wacht. Und wenn ich zehn Liebste hätte, ruft sie, keinem wünschte ich etwas Schöneres. Lasst uns singen. Die Füße in Habachtstellung, die Hände an der Hosennaht. Unser Lied erklingt.  
 
Oh, mein Petrow, Petrow mein,
wie schön wird’s an der Wolga sein,
in einer Troika zu fliegen heim,
durch den Schnee,
oh, den tiefen Schnee.
Heia Brodsky, hei Tschaikowski,
das Leben hier ist famoski,
sag’s frei heraus,
am besten ist’s zu Haus.
 
 
  Unserem KISZ-Sekretär laufen die Tränen über die Wangen. Es sind die Tränen der Trauer und gleichzeitig der Freude. Er hält sein kleines Kind in die Höh’. Aus ihm wird auch mal ein Rechentechniker! Békésis heisere, unsichere Stimme beginnt die neue Strophe.  
 
Ich geh nicht weg, ich geh nicht aus,
ich bleib mit der Tschechowa zu Haus,
gemeinsam spielen wir die Balalaika.
Wie der Samowar da summt und summt,
die Tschechowa zu mir kummt,
und schon brennt mein Kuss auf ihrer Wangelaika.
Mit einem bisschen Wodki im Leib,
ei, ei uchnjem,
keine Frau mir widersteiht,
ei, ei uchnjem,
Ich geh nicht weg etc.
 
 
  Leider, leider kann die kleine Administratorin ihre Trauer nicht beherrschen. Sie wirft sich Miklös zu Füßen. Ihr schluchzendes Weinen ist zu hören; geschmacklos. Genosse Horváth, geh und besprich ihn:  
 
Fleisch zu Fleisch,
Blut zu Blut,
Bein zu Bein,
werde wieder heil.
 
  Wir schauen den Parteisekretär an. Sein finstres Gesicht begünstigt uns nicht. Das geht nicht. Er streichelt über ihr kümmerliches Blondhaar.  
  Wir tun unsere Arbeit, unter dem Druck der Parameter. Wir haben uns hier zu einem Fest versammelt. Es kann Verluste geben, aber unser Unternehmen arbeitet mit Gewinn. Unsere Stimme wird entschlossen und entschieden sein. Wir gratulieren, Männa. Der KISZ-Sekretär antwortet hart. Dafür gibt es keinen Grund, wir haben die Goldgrube nicht gefunden. Die Menschen pflichten ihm bei. Wir lächeln, aber wir freuen uns nicht so sehr, wie wir es anzeigen. Hmm. Sie sagen, sie hätten sie nicht gefunden. Und wir sagen, zum Teufel mit der »Wunder-Studie«. Sie haben dort drin in der Zeit etwas viel Wertvolleres gefunden. Sie haben den Mut in sich entdeckt, den Glauben - Sie sind zu ungarischen Rechentechnikern neuen Schlags geworden, zu Menschen der Zukunft. Solcher Schätze bedürfen Wir tun unsere Arbeit, unter dem Druck der Parameter. Wir haben uns hier zu einem Fest versammelt. Es kann Verluste geben, aber unser Unternehmen arbeitet mit Gewinn. Unsere Stimme wird entschlossen und entschieden sein. Wir gratulieren, Männa. Der KISZSekretär antwortet hart. Dafür gibt es keinen Grund, wir haben die Goldgrube nicht gefunden. Die Menschen pflichten ihm bei. Wir lächeln, aber wir freuen uns nicht so sehr, wie wir es anzeigen. Hmm. Sie sagen, sie hätten sie nicht gefunden. Und wir sagen, zum Teufel mit der »Wunder-Studie«. Sie haben dort drin in der Zeit etwas viel Wertvolleres gefunden. Sie haben den Mut in sich entdeckt, den Glauben - Sie sind zu ungarischen Rechentechnikern neuen Schlags geworden, zu Menschen der Zukunft. Solcher Schätze bedürfen wir, das sind unsere teuersten Schätze, das ist unsere wahre Goldgrube.  
  Unsere Leute schauen uns mit der entsprechenden Rührung an. Sie stehen beieinander und jetzt fassen sie sich an den Händen. Ein Kollektiv. Wir sind zufrieden. Oh diese Jugend, was sind Sie doch nur für Leute, sagen wir heiter und versonnen. Wir langen in die Innentasche unseres Sakkos und holen ein geknittertes Papier hervor. Wir warten, welche Wirkung das macht. Sehen Sie, das haben wir in einem anderen Schrank gefunden. Eine Studie. Diese Menschen hier sind nicht eben erst mit dem 6.20er gekommen, sie schauen sich das Papier an, drehen und wenden es, in manchem erwacht sogar der Verdacht. Doch der KISZ-Sekretär findet, unserem zeigenden Finger folgend, das kleine »verräterische« Zeichen. Unten auf dem Blatt steht: Seite 57.  
  Békési nimmt das Papier in die Hand, zerknüllt es zerstreut und mit Leidenschaft. Sein kühnes, von Verlangen und Triumph erfülltes Gesicht blickt über Hügel, Straßenbahnhaltestelle, Rauch und Wolken hinweg auf den fernen Horizont. In Ordnung, sagen wir, wir wünschen weiter viel Vergnügen, essen Sie, trinken Sie - das Rehpaté, gute Herren, das Rehpaté -, und wir hoffen, dass unser Freund Tomcsányi auch in seiner neuen Lage seinen Mann steht. Ein Zuckerwatteverkäufer nimmt den Platz der Bahre ein, Luftballons huschen über den Arbeiterbezirk. Genossen, Genossinnen, Frauen von Rákospalota! Was wir wollen, sind nicht aufsehenerregende Ergebnisse, repräsentable Statistiken, obwohl wir nicht behaupten, dass es so etwas bei uns nicht gibt, sondern wir gründen den Erfolg auf den harten Alltag. Herbei also mit den Jungen! Burschen und Mädchen mit harten Fäusten, angespannten Muskeln, mutig und tatbereit. In ihren Händen soll siegestrunken das Terminal, die Waffe des Rechentechnikers, flattern, sie sollen es sein, die sich sorgenvoll über die Zeilendrucker beugen, auf ihre beseelte Arbeit hin ziehe das schwere Gewicht der zahllosen Informationen die unermüdlich laufenden Lochstreifen bis zum Bersten.  
  Die Dossiers und Mappen sollen sich füllen, die Daten sollen sich ergießen in alle Ecken und Enden des im Aufbau befindlichen, er- starkenden Vaterlands, mit den Tausenden und Abertausenden Tonnen der Munition des Friedens. Genossen, Genossinnen, Frauen von Rákospalota! Heute steht die Erde vielerorts in Flammen und das Leben verwelkt! Lasst uns Zusammenhalten und lasst uns nicht zulassen, dass sich die verheerende Flamme ausbreitet, lasst uns ihren Weg mit dem Graben der Liebe durchkreuzen und lasst uns hoffen, dass Gott auch dieses Feuer löschen wird!  
  Erneut beginnt der Trubel, und wir mischen uns demokratisch unters Volk. (Wir forcieren die Demokratie.) Manch einer wollte Spanferkel essen, ein anderer gefüllte Pilze und Erbsen in Mayonnaise; manch einer beides, wir aber haben keinen Hunger. Mit Bändern geschmückte Gespanne rollen vorbei, Blumensträuße fliegen wie die Vögel durch die Luft; man kann sich nur schwer vorstellen, dass es einer der in Jeans gekleideten jungen Menschen auf den Wägen sein wird, an dessen Messerklinge bald das tierische Blut sprudelt. Es ist schwer. Aber es ist so. Lämmer, Ochsen, Schweine brutzeln auf Rosten und auf Spießen, weiße Fleischer drehen sie.  
  Am Ringelspiel ist das Gedränge groß. Wir bitten Miklós Csáki, angelernter Arbeiter aus Szeged, die erste Geivinnzahl zu ziehen. Neben dem Glücksrad steht ein Klavier, mit Stahlrahmen. Die beiden Wirtschaftsberater schalten und walten, Giacomo spielt vierhändig mit Kamerad Beverly. Miserabel. Die Kunstblumentöne und der dickbäuchige Rhythmus! Was war wo? Auf dem Klavier zwei große Silbertabletts: auf dem einen Sandwiches - mit Salami, Lachs, weißem Braten, Lungenbraten, mit Kaviar, Sardinen, Eiern, Schinken und Butter –; auf dem anderen die leeren Gläser. Kamerad Beverly beugt sich aus der Melodie heraus, er berichtet über die Einstellung von Facharbeitern. In Ordnung, sie werden gedeichselt werden. Dank dir schön. Wie man sieht, haben wir gleitende Arbeitszeit.  
  Wir schnuppern interessiert zwischen die Speisen. Das Schmalz zischt, die Speckstücke tanzen. Mit Freuden sehen wir, das Zonenpörkölt ist: Zonenpörkölt. Denn oft ist zwar die Zone noch eine Zone, aber das Pörkölt lange kein Pörkölt mehr. Aus der Keule - und wenn es das teuerste Fleisch ist - wird das Pörkölt nie richtig würzig und gehaltvoll, es sei denn, ein bisschen flechsiges, fetziges, knorpeliges, knochiges Wammen-Kopf-und-Fuß-Fleisch kommt ihm zu Hilfe, ein Stück Herz und die Herzwurzel.
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Jegyzet
 
  Denn zum Beispiel wird schon mit den Gewürzen viel Schindluder in unseren Küchen getrieben. Phänomenal
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, wie viel Zwiebeln man in der Lage ist in einen Topf Pörkölt hineinzuwerfen. Phänomenal.  
  Hier haben wir dieses von feinen Fettadern reich durchzogene, hellrote Mastochsenfleisch, schön elastisch anzufassen, das man sich nicht zu schade ist, 5 bis 6 Tage vor dem Verkauf auf Eis zu lagern, damit es mürbe ist, wenn wir es auf unsere Gabel spießen und unserem begierigen Mund zuführen.  
  Jemand ruft mit großem Enthusiasmus. Genosse Generaldirektor, was isst du? So was isst du aber nicht! Wir schlucken von Herzen: das gezeigte panierte Huhn ist eine ungarische Landrasse, kein steirisches. Denn das steirische Huhn ist als steirisches Brathändel vorzüglich, jedoch paniert: ist es nur eine fad blutige, harte, geschmacklose Parodie des Originals. Herzhaft lachen wir über den Spaß: wir, die aus Arbeitern gewordenen Intellektuellen, und sie, die aus Arbeitern gewordenen Arbeiter. Wir denken, sagen wir und zeigen auf einen Fasan, der, wie allgemein bekannt, einer der dümmsten Vögel überhaupt ist, wir denken, und dem leihen wir auf verschiedenen gesellschaftlichen Foren auch unsere Stimme, dass es eine geschmackliche Verirrung wäre, zu warten, bis der Fasan vom Knochen fällt: dazu neigt heutzutage selbst der raffinierteste französische Gourmet (Marchais etc.); es reicht, wenn der Geruch des Fasans (der haut goût) ein wenig stärker wird und das Brustfleisch sich ein bisschen verfärbt hat.  
  Von den grünen, üppigen Lauben her kommt jemand gelaufen. Großes Gejohle begleitet ihn. Er hält sich das Geweih des neulich von uns geschossenen Hirschbocks an den Kopf. Aberaber. Er brüllt aus voller Kehle. Den haben sie auch festgebunden für den alten Arsch! Den haben sie auch festgebunden für den alten Arsch! Das wären wir. In unserer Umgebung erschrecken einige, was jetzt wohl geschieht, meine ölig-schmutzigen Arbeiterbrüder johlen zwischen den Buden. Wir johlen mit ihnen, lassen aber den Spaßmacher zu uns kommen. Freundlich legen wir unsere Hand an sein rotbäckiges Arbeitergesicht, vorsichtig, nicht dass unsere Siegelringe ein Geräusch auf seinen eigenwilligen Jochbeinen machen: wir sind Blut von eurem Blute!  
  Auf dem Konsoltischchen neben dem Apfelbaum steht eine Mahagoni
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- Schachtel offen, darin kauern ein paar Virginias, in trauriger Gesellschaft einiger billiger Spezialität-Zigarren. Sie entsprechen nicht den Erfordernissen. Wir, die wir große Freunde der Virginias waren, solange es uns unsere Ärzte erlaubten, zünden uns nun eine schwache Puertoricanische an und beginnen mit den im Halbkreis Aufgestellten das Cercle. Eine schwere Kunst. (Ihre Frau Mutter war eine Mohrin, nicht wahr? Jawohl, Herr Präsident, ich bin ein Mulatte. Sehr richtig, mein Herr; machen Sie weiter so.) Doch wir sind weise. Wir wappnen uns mit erprobten Schablonen und lassen uns hinter diesen, wie aus starken Burgen, nicht hervorlocken, so geschickt der, mit dem wir uns abgeben, die Worte auch melieren mag.  
  Das sanfte, laue Licht, die Freundlichkeit in unserem Gesicht, der gesellig kulminierende bläuliche Rauch, der sich mit dem Blumenduft des Raum-Stücks mischt, füllen sozusagen das furchtbare Vakuum aus, das zwischen ihnen und uns klafft, so dass die Unterhaltung recht ungezwungen und mutig ist; aber gemeinhin doch nicht das, was am nächsten Tag in den Blättern reproduziert wird. Farbige kleine Komplimente, spitze Epigramme, weise politische Sprüche entstehen in den Köpfen - im Nachhinein! Dabei sind die wirklichen Fragen, aber vor allem die Antworten: nicht interessant. Denn wir sind vorsichtig.  
  Sollte es doch einen geben, der, elektrisiert im rosaroten Nebel, der aus der Magie des Anlasses herausdunstet, unter dem Einfluss der neckischen Kobolde, die aus Noahs wunderbaren Reben hervorkommen, seine Antworten so geschickt auf die Politik oder ein interessantes Dilemma lenkt, dass unser Diskurs nun das relevante Feld betreten müsste - dann gehen wir einen Schritt weiter, zur nächsten Figur, und machen so Schluss damit.  
  Ah, ah, Genosse Brandhuber, gehen wir, in Ermangelung eines Besseren, zur nächsten Figur weiter. Genosse Brandhuber ist ein erfahrener Genosse mit einer reinen Seele und einem harten Gewissen. Die Übergriffe der fünfziger Jahre haben - abgesehen von einigen Todesfällen - ihn selbst am meisten mitgenommen. Genosse Brandhuber klappern die Zähne vor Geehrtsein. Einen Mantel für Tisza, werfen wir beiläufig hin. Die Bediensteten lungern fachgerecht herum. Lauter gut genährte, muskulöse, martialische alte Diener, streng nach Statur und Gesicht ausgewählt, wie die langen Kerls des Alten Fritz.  
  Wir schlagen einen höheren Ton an. Unsere Zeit ist die Zeit des Lichts und der Helligkeit. Der ungarische Führer von heute kann aus der Höhe der Zukunft ins Heute blicken: überall sieht er die Großartigkeit, die unbesiegbare Kraft des Neuen. Umso leidenschaftlicher muss man also für diese geplante Zukunft den Kampf aufnehmen mit allem, was überholt ist. Umso leidenschaftlicher muss man die Dämme stürmen, die den Lauf der Geschichte bremsen möchten. Umso mehr muss er wissen, dass ein echter Wirtschaftsführer kein Inventarist der geschehenen Dinge ist, sondern dabei hilft, sein Volk zu großen Aufgaben zu erziehen.  
  Sein Volk, flüstert Genosse Brandhuber. Das - logisch! - lässt uns an ein paar Kerben auf seinem genannten Kerbholz denken. Wir zie- hen ihn am Ohr.
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  Der Bucskaer Wein lässt die gute Laune aufleben. Wir sind Teil eines farbenfrohen Umzugs. Das Haargeflecht und die Kleider der administrativen Arbeiterinnen sind mit Silbergeld geschmückt, und mit einfachen - Volks- - Instrumenten wird großes Getöse veranstaltet. Anschließend spielt das Stefanovits-Quartett einige Polbeat-Nummern (Lieder von heute), sehr populär. Stefanovits ist ein Mann der Zukunft. Phänomenale
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weißkrempige Hüte rühren sich, verziert mit wunderprächtigen künstlichen Maßliebchen. Wir überschreiten die heutigen Kneipen, wenden uns zur Erholung der Natur zu, der uralten, unverdorbenen Natur. So weit das Auge reicht, reihen sich die Ge- müsegärten der sozialistischen Brigaden einer an den anderen. Es gibt sogar welche, die ihren freien Samstag dafür opfern.  
  Und die vielen Mehrjährigen! Wie der lilablaue Schirm der Anemonen der mit dem goldenen Kranz ausgezeichneten Brigade »Luis Buñuel« überraschend zwischen den kaninchenlöffelgleichen behaarten Blättern herausschlüpft! Die Gladiolen begleiten mit blauen Akkorden die Musik der weißen Köpfchen der Schneeglöckchen; auch die verschlafenen Blattvolants der Farne haben sich aus ihren schneckenförmigen Anlagen befreit, und wie eine südliche Pflanze bricht das faustgroße Blattauge von Kleopatras Lanze aus der Erde hervor: kaum zu glauben, dass dieses wunderbare Gebilde ein Kind des kalten Sibiriens ist. Das Gemskraut sieht von weitem wie ein aufgespanntes gelbes Tischtuch aus. Die goldenen Kugeln der Trollblume daneben stehen Wache. Die prächtigen japanischen Glockenblumen mit den geöffneten Tellern schicken ihre Komplimente, und im Halbschatten antwortet der Eisenhut darauf.  
  Einen Ausschnitt des Raumes kombinieren wir mit einer Person: da schau, der Gärtner. Er räuspert sich, macht sich nur langsam ans Werk.  
  Zu dieser Zeit des Jahres steht nur das Jäteisen wirklich hoch im Kurs, sagt er vorsichtig. Hammer und Jäteisen, antworten wir heiter. Jetzt spricht er aber aus, was ihm am Herzen liegt. Ach, süßer Genosse Generaldirektor, großes Ungemach ist über uns gekommen.  
  Mein Sohn, mein Sohn, mein heller Stern, warum hast du dich an Kreuzwege gestellt?
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  Das ist es gar nicht, Genosse Generaldirektor, sondern der Rübenderbrüssler. Da grinsen wir bis über beide Ohren. Zur Bekämpfung des gemeinen Rübenderbrüsslers empfehlen wir eine sehr einfache, aber auf tiefen theoretischen Grundlagen beruhende Methode, welche in der Erkenntnis der zwischen den Tierarten bestehenden komplizierten antagonistischen Beziehungen wurzelt. Benutzen wir Hühner. Die Hühner nämlich, unser Zeigefinger schwankt wie das Schilfrohr, die essen nämlich den Rübenderbrüssler. Den dankbaren Handkuss des Gärtners lassen wir kopfschüttelnd über uns ergehen.  
  Von den Buden winken uns Garköche zu. Wir sehen eine rote Aufschrift:  
 
Große Zeit! Das Wort erfüllt sich:
Eine Herde nun sind wir!
Einz’ger Glaube ist die Freiheit.
Brüder auf zur Côte d’Azir!
 
 
  Dazu sagen wir und lösen damit großes Gelächter aus, wenn du keine 100 Rubel hast, sollst du 100 Freunde haben. Der Leiter der Schießbude ist ein Genosse mit welschem Gesicht, im Muskelhemd. Er sitzt auf einem einfachen Stuhl und spielt die Trompete, das Ilsilenzio. Er spielt, sagt jemand, wie einer, in dem kein Gott zu Hause ist. Daraufhin werden sie handgemein, aber beim Kampf geht es um nichts. Drüben können wir Zeuge eines interessanten Wettstreits werden. Die soz. Brig.n Wettstreiten. Kommen Sie näher, kommen Sie heran! Das Gesicht des Ausrufers ist rot. Der große Wettkampf! Der Erstplatzierte 2 Tage Prämienurlaub! Versuchen Sie es! Haben Sie keine Angst! Was würden Sie? Was würden Sie? Was würden Sie kochen?  
  Was würden Sie für unsere Partei- und Regierungsführer kochen, wenn Sie sie zum Nachtmahl bewirten dürften?  
  Der Andrang ist groß, viele versuchen ihr Glück, die leichte Herbe der Olive greift um sich, Champignons mit Artischocken rollen durch eine Basis aus Béchamel. Kommen Sie heran! Werr wagt, derr gewwinnt. Aber. Wir machen die Wettkampfteilnehmer darauf aufmerksam, dass der Hummor derr Macht labbil und unnerrgründlich ist, man möge also Abstand nehmen von verlotterten Späßen! Braten Sie, kochen Sie, aber witzeln Sie nicht. Arbeit gibt es genug! Sie sollten sich in Ihren Turnierlösungen also nicht auf Ergebnisse der------------------ *
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Küche stützen!  
  Wir sind gerade dabei, die Varianten zu beschnuppern, als Baittrok in neckischer Laune an ein Mädel im Hof herantritt, es an der Taille packt und anfängt, den Csárdás zu tanzen, jugendlich, schneidig, so wie ihm »Gott das Tanzen gegeben hat«. Es entsteht auch sofort ein großer Rummel, in dem wir jemandem in die Eier latschen. Milpardon.  
  Wir winken Marilyn Monroe, dass wir die Schuhe ausziehen möchten. Es wird uns ein Feldstuhl untergeschoben, wir heben einen Fuß, Marilyn Monroe nimmt ihn zwischen ihre straffen Schenkel, hält den Schuh, die Gewohnheit ölt die Manöver, wir stoßen uns mit dem anderen Fuß kräftig an ihrem Steiß ab, wie das seit Jahrhunderten Sitte ist. Das zarte Frauchen auf dem Rasen, gefetzt, mit unserem Schuhwerk im Schoß. Wir danken, Engelchen.  
  Doch Marilyn Monroe verzieht den Mund. Wir sind gezwungen, uns mit Tánya, der Kranführerin, zu trösten. Tányas Charme, ihre lebendigen, klugen Augen haben nicht nur das Gefallen der Freunde, sondern auch das der Feinde erregt. - Dieses heißblütige Geschöpf hat häufig unter einer Decke mit den Abteilungsleitern, den Drehern, den Ingenieuren, den Hirten gesteckt. Der hochgestellte Brunnenschwengel, ein ins Fenster gestellter Milchkrug, Blaupapier oder ein Rock auf dem Zaun haben den freien Weg angezeigt. Der vorsichtige Abteilungsleiter ging als Erstes an den Brunnen. Der durstige Mann fiel keinem auf. Trinkwasser gibt man guten Herzens einem jeden. Das Frauchen, das sich mit einem Simperl oder einem Besen in die Tür stellte, verlieh ihrem Alleinsein extra Nachdruck. Der Mann sagte seinem Partner nur so viel, als er losging: Ich geh auf einen guten Schluck Wasser auf die Kate der täppischen Tánya. Der andere zwinkerte dazu nur verschmitzt mit dem Auge; Schmieren gut zwanzig vor! Unstetes Mensch mit Wespentaille!  
  Als wir sie erblicken, transportiert sie Hafer auf einer Zeltplane und verscheucht von Zeit zu Zeit die hartnäckigen Perlhühner. So viel Anmut, so viele Reize! Die Augen der Menge kleben lusttrunken an ihren Formen. Applaus und Gewimmel ertönen. Die Musik spielt, die Horne schmettern - und die Frauen sind nur nackt schön! Wie die sich schwingen, wie die es beben lassen kann, gütiger Gott! All ihre Muskeln bewegen sich, kitzeln das männliche Auge. Hoch und gerade ist sie wie die Lilie und dennoch rund geformt, wie von einem Piktor gemalt. Ihre Taille biegt sich wie die der Schlange, und vielleicht zischt sie auch; ihr Busen bebt, dass die angesteckte Nelke fast vibriert zwischen den beiden Äpfeln.  
  Doch sie vibriert nicht lange, sie pflückt sie herunter und steckt sie kokett in unser Knopfloch. Um dann, losgelassen, schelmisch die Hüften zu rütteln und zu schütteln, sie sprengt los, dreht sich wie ein Kreisel, und dabei macht ihre zischelnde Seidenschaube einen Wind, dass, wer von ihm getroffen, betäubt wird und trunken; ihre goldenen Schläppchen wirft sie in die Höhe, die dann mit irgendeinem Zaubertrick im Herunterfallen wieder auf ihre winzigen Füßchen rutschen.  
  Wir führen sie an die kalten Platten, versammeln alle Tänzer und Tänzerinnen um uns, geben dem Stefanovits-Quartett ein Zeichen und führen die Gesellschaft in einer »Farandole«, einem huldigenden Marsch, vor Tánya hin. Wir nehmen von den Trüffeln und dem Roastbeef. Wir haben einen teuflischen Plan ersonnen. Die Trüffel wären für sich allein genommen schon das eine oder andere wert, doch für uns sind jetzt die beiden übereinanderliegenden Gabeln wertvoll. Sehen Sie, sagen wir zur Kranführerin, indem wir auf das Silber zeigen, was von dort aus gesehen ein stumpfer Winkel ist, ist von hier aus gesehen ein spitzer. Ja, Tánya lächelt müde, ja, und sie ergänzen einander zu 180 Grad.  
  Wir verstricken uns in einen einfachen Scherz: wir küssen ihr die Hand:  
   
  : darüber freut sie sich. Unser Organ ist starr.
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Tüchtig sind wir.
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