EIN PRODUKTIONSROMAN
(ZWEI PRODUKTIONSROMANE)
Wenn, dann ist es Zufall.
I. (ODER KURZES) KAPITEL, in welchem der Genosse
Generaldirektor die Szene betritt, derweil sich seine Persönlichkeit gerade
spaltet, wofür sich ein weites Feld auftuty eingedenk, dass er Drillinge ist,
welche Tatsache nur auf den ersten, oberflächlichen Blick amüsant ist, doch die
Zahl der unausweichlichen Hemden, Krawatten, Krawattennadeln, Pantalons,
Siegelringe und der Erzählweisen deuten schon jene kompakte Traurigkeit an,
welche hier dem Leser zukommt
Wir finden keine Worte.
n
Wie versteinert sind wir. Erschrocken
blinzeln
wir: Sollten wir dermaßen unserer Lust-und-Laune ausgeliefert
sein? Wir kriegen zu wenig Luft, dabei ist genug da. Uns zittert der Magen vor
Erregung; dadurch entsteht der Eindruck: als ob uns die Hose zu weit wäre. Fast
hätten wir zum Gürtel (Riemen) gegriffen. Wir heben den Rand des Sakkos an, versenken
die Hände in den Hosentaschen, kramen. Wir stellen uns auf die Zehenspitzen, alsdann
lassen wir uns auf die Fersen zurückfallen. Unser Kopf erbebt; das Kramen übernimmt
jeden auffindbaren Rhythmus: den unseres Schaukelns, des Kopfes, des Herzens. Heißt das, wir können ab jetzt alles
denken? Sollten wir
unseren Verhältnissen dermaßen ausgeliefert sein?
Jegyzet Vgl. w.u. S. 145
Gerne würden wir die Richtung verfolgen, die wir eingeschlagen haben,
und gerne würden wir zurückweichen. Zwischen Zweifel und Hoffnung sind wir hin und
her geworfen. Sollen wir zu brüllen anfangen, ruhig, verantwortungsbewusst? Aber sind
wir denn ein verknöcherter Vertreter der buchhalterischen Denkungsart?... Zu lange
schon sehen wir die verschiedenfarbigen Telefone, die Mappen und den Ficus in der
hinteren Ecke, um wegen so etwas beruhigt zu sein. Wir beruhigen uns auch nicht.
Während wir zum Fenster hinausschauen, haben wir die Hände in den
Taschen und wir schaukeln; das ist so »jugendlich«. Wir sind jugendlich. Die
Krähenfüße um unsere Augen sind jetzt nicht mehr nur dann zu sehen, wenn wir lachen.
Die Menschen auf dem Hof erscheinen
einigermaßen verkleinert. Sie bewegen sich; das ist gut.
Wir denken an zu vieles. Langsam wissen wir nicht mehr, wie was wo.
Lasst uns partikulär denken. Ein paar Perspektiven verlieren. Wir sind nicht die
Firma, wir sind eine lebendige Person, und die Firma ist es nicht. Wir sind
Mitteleuropäer: unser Nervenkostüm ist verschlissen, unser Klopapier hart.
Wir zittern nicht wie Espenlaub; wir hängen ab. Wir mögen uns nicht. So
was gibt’s. Ein Jemand erblickt einen anderen Jemand, der hat ein Haar im Ohr, und
schon ist’s vorbei! Dabei wäre man - der Jemand - unter Umständen sogar bereit, sich
positiv über das Haar zu äußern! In unserem Ohr gibt es nicht ein einziges Haar; die
menschliche Seele ist reich. Wie das Große so ist auch die Seele einfach; wir machen
uns im Ministerium madig. Wenn wir darauf bestehen, können wir es ruhig wissen; wir
sind der Mann des Ministeriums. Wir sind es eher des Planungsamts. Die Aktionen, die
wir uns gegenüber anstrengen, taugten höchstens dazu, unsere Kraft zu demonstrieren,
aber dafür taugen sie nicht.
Kühl legen wir die Zeitung beiseite: es gibt immer einen Jugendfreund,
der beweisen kann — der sich gerne daran erinnert —, dass wir die Beine der Spinne
geschient oder - autsch! - einzeln ausgerissen haben. Wir wenden uns bedächtig vom
Fenster ab: human sind wir, klassenkämpferisch sind wir, selbstbewusst sind wir, jede
Minute des Tages denken wir an die Bedürfnisse des Verbrauchers, an die Bedürfnisse
der Volkswirtschaft, an die Devisenbilanz und an den RGW,
an die Probleme und Ergebnisse des internationalen Sozialismus, an die Effektivität
steigernden Bemühungen und an die dem gleichsam gegenüberstehenden Bedürfnisse der
Arbeiter, und an »die Bedürfnisse der Arbeiter« müssen wir extra denken, wir denken
an die Gewinne des Betriebs und sind nicht gewinnzentrisch, wir denken an unser
Prestige, an unsere Eitelkeit, unsere Selbstverwirklichungsbestrebungen, an die
Rolle, die wir spielen, welche wir uns wählen und welche
sich uns wählt, oh, und wir
denken an die Kreisparteileitung, an diese denken wir auf jeden Fall, und wir denken
an die Wirkung all jener gesellschaftlichen Schichten, Gruppen, Organisationen, von
denen wir abstammen, deren Mitglied wir sind, in die wir aufgenommen werden möchten
oder bei denen es sich empfiehlt, ihre Meinung für wichtig zu halten, und last but
not least denken wir auch daran, dass bei der Kettenscheibenmontage die gleichen
Produkte auf die gleiche Maschine kommen, wodurch - hier werfen wir einen Blick auf
die eintretende, erschrocken dreinblickende Sekretärin - die Einfädelzeit, die man
für die Führung der Kettenfäden durch den Schaft und die Lamellen benötigt, reduziert
wird.
Die Sekretärin verstößt gegen die Gepflogenheiten, also schicken wir sie
wieder hinaus. Launig blicken wir ihr hinterher: da ist einfach diese schwer zu
beschreibende Neigung der Schenkel, der gegenüber wir machtlos sind, und eine gewisse
Anzahl von Schenkeln (zwei), die uns gefangen nimmt.
Die »Zulässigkeit« betrachten wir - wegen der Rundungsfehler - mit einer
gewissen Toleranz (z. B.: 10-6), wir klingeln. Mit dem halben
Hintern setzen wir uns auf den Schreibtisch, welcher von der
Delegation bis auf die Knochen abgeweidet. Zerstreut blättern wir in einer
Studie: abber, abber nach dem
Semikolon - es sei denn ein Lajos folgt darauf - geht’;s klein weiter. Was ist das,
fragen wir tadelnd die erneut eintretende Sekretärin. Die Züge des kleinen Fräuleins
sind nun geordnet, auf den Lippen Lippenstift, die Hüften gewiegt, der Blick hart: es
herrscht Demokratie. Na, wo drückt uns der Schuh, Genosse Generaldirektor? Trotzig
wirft sie den Kopf zurück, auf ungarische Art, in ihrem Blute lodern uralte
Hirtenfeuer, sie beginnt sich zu drehen, immer schneller, sie streckt ihr Kreuz, ihr
Haar lodert in der Zugluft, sie stampft auf. Sie ist schön. Wir sprechen leise, damit
sie zuhört. Wir sind unzufrieden, da wir lesen müssen, dass wir - und ausgerechnet
wir — denjenigen auszeichnen, der von 100 Mutterschafen 136 Lämmer hat. Dabei könnte
man auch zweimal ablammen lassen; bei unseren Verhältnissen. Dasselbe gilt für das
zweifache Brünften der Säue, und für die Zusatzbrunft. Wir sinnen nach. Unser
ehrliches Empfinden ist: Wehe dem Lamm, das der Wolf erblickt, die elende Bestie. Je
schöner das Lamm, umso. Der Wolf, wie wir sehr wohl wissen, lässt nur ein einziges
Argument wirklich gelten: den Knüttel, der in der muskulösen Hand des vierschrötigen
Hirten schwingt.
Und der Knüttel da heißt: kontinuierliche Materialversorgung, Reduktion
der Stehzeiten, positive Ausnutzung der Arbeitszeit,
integrierte Produktionsleitung, Verfahrensregelung mit Prozessorgraphen.
Und das Lamm da heißt: Volkswirtschaft, sich entwickelndes, wachsendes,
gedeihendes, unserem Herzen teures sozialistisches Vaterland.
Die Sekretärin beendet plötzlich ihren Tanz, wendet sich uns zu, ihre
Pupillen weiten sich. Wir untersuchen die Büschel in ihren Achselhöhlen. Wunsch ist
der Vater des (kapitalistischen) Gedankens: wir wachen. Wir schälen die Sekretärin
von uns herunter: wir haben kein Angebot gemacht. Noch und nicht: jetzt. Unsere Hände
haben an so manchen Frauensteiß gegriffen, aber Blut klebt nicht an ihnen.
Erwartungen gibt es wie Sand am Meer. W^ir haben eine Strategie, aber wir haben keine
beste Strategie, wir haben hervorragende Kompromisse, darunter gibt es einen besten,
den nennen wir die beste Strategie, welche — so! — geworden ist! Von den Himmlischen
rufen wir Engels zu Hülfe: was jeder einzelne wollte, hat jeder andere verhindert,
was geworden ist, wollte keiner. Trotz des Lippenstifts: die Sekretärin fängt schon
wieder an, erschrocken zu werden. Und könnten wohl die verschiedenen offiziellen und
halboffiziellen Materialien, Berichte, Protokolle, Rechenschaftsberichte als
grundlegende Quelle unserer Orientierung dienen, obwohl wir selbst sie herstellen? In
diesen nicht sehr viele Daten, welche, und viele, die nicht. Wir tragen auf.
Genosse Generaldirektor, lieber Genosse Generaldirektor, das Übel ist
so arg, wir bitten um deine Hilfe. Wir beleben uns. Das sind doch nicht etwa die
Genossen um den Genossen Tomcsányi? Die Sekretärin nickt stumm. Wir werden uns die
Zeit nehmen, wir werden uns kümmern, hinwirken, handeln werden wir, das Blaue vom
Himmel versprechen werden wir, unser Interesse auf Einzelpersonen aufschlüsseln
werden wir, in der Feldflasche wird es frisches Wasser geben und trockenes
Schießpulver im Pulverhorn und alles wird erleuchtet sein. Wir werfen uns hinter
unseren Schreibtisch, wir schnaufen. Wir verlangen nach einem Rechenschieber und nach
P. J. Probys Bergbaukunde. Werden sie gerettet werden, lieber
guter Genosse Generaldirektor? Sie werden.
II. KAPITEL, in welchem
der Helt
n
auftritt, Imre Tomcsányi, sowie der Wahrheit zum Siege verholfen wird;
was auch in den anderen Kapiteln der Fall sein wird, aber hier ganz
besonders
Jegyzet sprich: Held; Bedeutung: Held
Tomcsányi läuft aufgeregt auf dem Flur des Instituts auf und ab, wo
sich erst vor kurzem der Nebel und der Kaffeegeruch verzogen haben. Am Ende des
Korridors ein leises Geräusch. Was ist das? Er geht näher heran. Die Töne kommen aus
einer offenen Tür. Imre bleibt stehen. Sapperlot. Er steckt den Kopf durch die Tür:
da kämpft jemand mit seinem Pullover: versucht gerade, sich ihn über den Kopf zu
ziehen. Anhand der vielen verräterischen Utensilien erkennt Imre: die Putzfrau.
Küssdiehand, grüßt er sie respektvoll. Vor Schreck entledigt sie sich des Pullovers
mit einem Ruck. Das ist es, was sie gewollt hat. Ach, Sie sind es, Imrulein. Sie sind
vielleicht leise unterwegs, irgendwas nicht in Ordnung? Iwo, verneint der junge
Rechentechnikspezialist. Die Frau fragt nicht weiter nach. Drehen Sie sich weg, sagt
sie und greift nach dem blauen Kittel. Der junge Mann dreht sich weg. Die Frau lacht
heiser auf. Ich sag das zu Ihnen, als wäre ich eine Frau. Dabei bin ich eine Greisin.
Imre weiß nichts zu antworten, aber da er mit dem Rücken zu ihr steht, denkt er,
braucht er das auch nicht. Stellen Sie sich vor, Imrulein, dieser besoffene
Friedhofswärter ist gestern Nacht bis zum Brunnenring hereingeflogen. Das Gartentor
hat ihn hineingewirbelt. Sie knöpft den Kittel zu. Na, jetzt können Sie sich wieder
umdrehen. Das fette Vieh, wie gerne das bellt, aber diesmal kein Mucks. Ich erwache
und sehe, da steht dieser Mensch am Fußende meines Betts. Hätten Sie das gedacht? Ich
sag das wegen der Greisin. Und? Undund. Die Putzfrau winkt ab. Er sang furchtbar
falsch etwas aus der Tschardaschfürstin. Das Eintrittslied des Miska. Dann hörte er
auf zu singen und verputzte mein ganzes Brot. Sie können es sich vorstellen. Die Frau
setzt sich auf einen Hocker. Ihre Beine ein wenig auseinander, wie bei den Männern.
Gehen Sie dahin? Sie deutet mit dem Kopf Richtung Konferenzraum. Na, seien Sie bloß
vorsichtig... Dem Miki Horváth können Sie vertrauen. Wir haben zusammen Flugblätter
verteilt beim Herrn Weiss. Da war er noch ein kleiner Popel und ungeheuer
draufgängerisch. Der ist sein Geld wert. Sie lacht, schüttelt den Kopf. Dieser
Friedhofswärter hat kein Glück mit mir. Ich erinnere mich, als ob’s gestern gewesen
wär’. Kommt so eine Armeepostkarte, da steht drauf: Die Sári Kovács soll endlich dem
Berti schreiben, der geht schon ganz zugrund vor Verdummung. Wer ist der Berti? Na,
der Friedhofswärter. Ums kurz zu machen, er kam nach Hause. Wir verabredeten das
Rendezvous, das erste Rendezvous meines Lebens. In einer Kleinstadt. Sie können
sich’s vorstellen, Imrulein. Ach was, können Sie nicht. Aber ich stand dazu.
Irgendwie hatt’ ich mich darin verliebt, dass er ganz verdummt. Na, und dann
verdummte er auch, aber so richtig. Wir saßen im Café, zwei Eis, zwei Cognac. Ich
erinnere mich gut an die klebrigen Kreise, die die Gläser auf der glänzenden
Tischplatte hinterlassen haben. Na und dann landeten auf einmal zwei Fliegen dort,
Sie wissen schon wie ... und aus, auf einmal war’;s vorbei. Kann sein, ich war noch
ein Kind, aber mir kam so das Lachen an ... Vielleicht nur vor Verlegenheit. Aber dem
Tölpel noch viel mehr. Doppeldecker-Fliege, sagte er, dass wir es als Witz nehmen
sollten. Aber für mich war das Ganze schon so lächerlich geworden. Der arme
Friedhofswärter. Und, als würde sie die Geschichte fortsetzen: Passen Sie bloß auf da
drin. Sie sind noch jung, sehr verständnisvoll. Je älter ich werde, umso gehässiger
werde ich, umso weniger bin ich nachsichtig. Besonders, wissen Sie, mein Junge, die
Dummheit... Ich muss gehen, Tante Sári. Die Frau greift im Sit
zen hinunter in eine ADIDAS-Sporttasche. Der junge Mann schaut von der Tür des Konferenzraums
zurück. Das ist alles, was er übrig gelassen hat, jetzt stellen Sie sich das mal vor,
ruft ihm die Frau zu und hält einen ziemlichen Brotkanten hoch. Tomcsányi hört zu ihr
hin und horcht gleichzeitig. Was geht im Konferenzraum vor sich? Ein Lied erklingt
von dort.
Eine kräftige, ruhige Stimme ertönt mit dem Ende des Lieds. Na, na, Genosslein,
die Stimme kämpft sich durch die gepolsterte Tür, Tomcsányi kann nicht feststellen,
wem sie gehört. Horváth? Oder Péter Baittrok? Na, na, Genosslein! Ihr seht die Welt
zu rosarot. Dabei ist das gar nicht unsere Farbe: nicht das Rosa. Das ist eine
verdünnte
Version, nicht wahr? Imres Hand auf der Klinke. Tante
Sári fragt noch mal. Soll ich Ihnen ein bisschen Saures
mitbringen? Aber Imre ist schon drin.
In unsrer Heimat sind die Himmel blau,
Das Gras ist grün, die Wiesen satt,
Tausend Schätze von Fabrik und Feld
Allein den Arbeitern gehör’n,
Tausend Schätze von Fabrik und Feld
Allein den Arbeitern gehör’n.
So viel Sehenswertes, so viel interessante und hervorragende Menschen!
Gleich hier haben wir zwei äußerst interessante Persönlichkeiten, Giacomo und Kamerad
Beverly, die beiden Wirtschaftsberater des Genossen Peck, zwei Goldhamster. Man hält
sie in einem Topf, den man mit einer Zeitung ausgelegt hat, meistens mit der Népszabadság,
was so viel wie Volksfreiheit bedeutet; die beiden kleinen Hamster haben’s auch nicht so recht geschafft, da
herauszuklettern. Jetzt nuffnuffen und murren sie, mucken auf, der dichte Rauch stört
sie. Bei Sitzungen welchen Niveaus auch immer erschien Kamerad Beverlys
zurückhaltende, wenngleich etwas eckige Klugheit verständlicherweise anziehend;
Giacomo seinerseits konnte bezaubernd grinsen. Sofern die Genossen neben ihren
mannigfaltigen Beschäftigungen die Zeit fanden, liebten sie sie. (Imre denkt mit
Dankbarkeit an sie. Er hat sich Kamerad Beverlys einstige Worte gut eingeprägt.
Damals stand er noch nicht lange im Dienste des Instituts und wurde jedes Mal rot,
wenn er sprechen musste. Einmal musste er vor Polen - polnischen Genossen - einen
Vortrag zu einem ihm ungewohnten Thema halten. Wirtschaftlicher Austausch. Er wusste
nicht, was er tun sollte. Der kleine Goldhamster sagte: Schmeiß ein paar doppelte
Integrale hin. Es kann passieren, dass einer eine Rückfrage stellt. Ein Stänkerer ist
immer dabei. Kamerad Beverly schob die Körnchen in die andere Maultasche hinüber.
Wenn also die Frage fällt, wartest du eilig auf die
Übersetzung und sagst dann: Aber Nein. Keineswegs. Das ist doch
Improprius. Du musst nicht lachen. Ernst, aber ein wenig bestürzt. Aber nein.
Keineswegs. Das ist doch Improprius.)
Imres Blick schneidet eine Schneise durch den bläulichen
Zigarettenrauch, und dieser hübsche Hiatus führt bis zum Genossen Gregory Peck, Imres
Abteilungsleiter. Gregory Peck ist etwa zwei Zoll hoch, zu seinem mit Silberflitter
verzierten schmalen, geschweiften Sakko trägt er elegante, karierte Hosen, und wie er
so auf seinem gewohnten Platz sitzt, auf dem Tisch, den Rücken gegen den
Glasaschenbecher gestützt, tanzen in seinem sonnengegerbten Gesicht fröhliche,
männliche Falten, die graumelierten Locken spielen fast Fangen auf seinem Kopf. Die
kleine Hose ist ihm schon die Waden hochgerutscht, sein Köpfchen ist von fahrigen
Händen unverantwortlich mit Asche bestreut worden, die mit Schweiß vermengte
glitschige Masse ist ihm in die Stirn gerutscht.
Er winkt seinem jungen Angestellten zu, dieser möge Platz nehmen. Imre
setzt sich, den kleinen Finger legt er fachgerecht vor Gregory Pecks Fußsohlen, damit
dieser sich an ihm abstützen kann. Später, wenn Imre im Eifer des Gefechts
aufspringen wird, wird Genosse Peck nach vorne schlittern und sich die Birne stoßen,
der Arme; aber bis dahin ist noch alles in Ordnung. Momentan ist nur Gerekel zu
hören; die kleinen, vertrauten Geräusche der Stoffe und das Schnaufen sind so
menschlich, dass sie verzeihlich sind. Imre, mein Lieber, lass uns in der Richtung
des geringsten Widerstands Vordringen. Tomcsányi meint, sein Chef beliebt zu
scherzen, und antwortet leise, lass uns unser Talent gegen Kleingeld tauschen.
Gregory Peck antwortet mit all der Trauer und dem unausweichlichen Humor eines
halberfolgreichen Menschen: Was ist die Einheit?
Aber es ist nicht so, wie die Putzfrau es gedacht/prophezeit hat. Imre
Tomcsányi ist misstrauisch. Sogar Miklós Horváth, dem Parteisekretär gegenüber. Der
den jungen Mann mit sonorer Stimme begrüßt. Wir freuen uns, mein Sohn, dass du hier
bist. Tomcsányi erkennt nicht, was seine Interessen sind. Das kommt schon noch. So
denkt er. Es gibt nicht vieles, das ich sein möchte. Aber am liebsten dein Sohn nicht. Aberaber, mein Sohn, schilt
ihn der an großen Erfahrungen reiche Mann, was du denkst, ist unwahr. Obwohl
verständlich. Tomcsányi wird rot. Unwahr?, Imre denkt scharf weiter, und die
sowjetischen Turbinen? Der Fall der sowjetischen Turbinen ist folgender: Wir stellen
aus eigener Kraft 200-MW-Turbinen für 144 MFt her. Nun aber - dabei - würde die Sowjetunion bereits
bewährte Turbinen für 86 MFt verkaufen. Das Ministerium
nahm sofort die Begründung an und gab sie gleich weiter, wonach die Turbinenfrage
zuungunsten der Wirtschaftlichkeit, anhand von qualitativen und industriepolitischen
Gesichtspunkten entschieden worden ist. Horváth hatte seine Finger da drin.
Horváth bricht in Lachen aus. Sehr gefällig, dass du das ausgerechnet
von mir, dem Parteisekretär, denkst. Aber hier ist gar nicht der Bestattungsplatz des
Hundes, sondern was bringt dich nun zu mir? Tomcsányi sieht allmählich ein, dass er
zuvor vorschnell geurteilt hatte; er hebt etwas befangen an: Berge würde ich
erklimmen. Hoho, mein junger Freund, nicht so schnell mit den jongen Pferden! Es ist
ein Mann mit engem Blick, der hier dazwischenfunkt, Genosse József Brandhuber. Er ist
blass. Schwer nur hält er seine Emotionen im Zaum. In Ordnung: es sind andere Zeiten, andere Zeiten sind gekommen. Aber dass wir mit so einem
langhaarigen Depp so viel Zeit zubringen! Ich rede nicht gleich von »liquidieren«,
aber lernen, wo der Herrgott wohnt, könnte er schon! Oppardon.
Sobald er Brandhuber hört, ballt Giacomo seine kleinen Blütenpfötchen
zu Fäusten, dann lässt er wieder locker, aber nun ist’s zu spät: seine Pfote glänzt
vor ekeligem Schweiß. Aberaber, Genossen, er schnauft wie ein Kulissenschieber,
aberaber! Vergesst nicht, Genossen: zum Verneinen braucht es
Hilfsverben! Nichtwahrrrrrr?! Beruhige dich, lieber Józsi, Horváth wendet
sich mit erhobenen Händen an Brandhuber. Auf der Handfläche sieht man eine lange
Narbe: Er ist 1950 aus der Partei ausgetreten. Brandhuber sieht die Narbe und senkt
den Kopf.
Die schweren, schmerzlichen Minuten der Erinnerung werden von Giacomo
aufgelöst, er springt aus der Népszabadság und pinnt mit Hilfe
einer Reißzwecke ein (viehisch) großes, wenngleich etwas angenagtes Kohlblatt an die
Wand. Sogar die Wände haben Ohren, ruft er aus. Miklós Horváth richtet das Wort
heiter an Tomcsányi. Noch bezüglich der Turbinen. Die Frage, mein Freund, das brauche
ich vielleicht gar nicht zu sagen, ist gut. Aber lass mich nicht jetzt darauf antworten. Trag deine Argumente vor, mein Guter; welche
gefällig sein sollen und bis ins Mark gehend.
Ein Raunen geht durch den kleinen Saal. Nein, Genosse Brandhuber
springt erbost auf; er tobt. Ich bin dagegen. Dafür. Dagegen. Hau drauf, ist dein
Vater nicht!, fiept Giacomo. Kamerad Beverly lächelt unter seinem Bärtchen. Ich
präzisiere. Hau deine Mutter: ist dein Vater nicht! Die Kraftlinien, welche
kompliziert und sich selbst widersprechend sind, zeichnen sich sofort ab. Genosse
Szervácpongrácbonifác ist wohlüberlegt. (Die Tatsache, dass er ein Drilling ist,
macht sowohl psychologisch als auch soziologisch seine mal sanft, mal gewalttätig
widersprüchlichen, genialen und katastrophalen Entscheidungen und Stummheiten
glaubwürdig.) Die Politik!, ruft er. (Heiterkeit, Applaus.) Die Produktion!, ruft er.
(Heiterkeit, Applaus.) Die Produktivität!, ruft er. (Heiterkeit, Applaus.)
Péter Baittrok steht, langsam, wie der Guano,
auf. Sein Blick streift Miklós Horváths Blick. Zum Glück kämpfen zu der Zeit, da
unsere Geschichte spielt, diese beiden, der süperbe, gottgläubige Fachmann alten
Schlags und der neue, wahre, hagere Mann der neuen Zeit bereits Schulter an Schulter.
(Uferlos.) Am liebsten mögen sie es, zu arbeiten, aber manchmal kämpfen sie auch.
An die Waffen, dröhnt der
Fachmann
n
von europäischem
Rang. Die Fräuleins strömen herein, bringen erst einmal eine Runde Cognac - tschinn,
tschinn! -, anschließend die Waffen: Lanzen, Spieße, Handschare (welche nicht zu
verwechseln sind mit den Kindschalen), Äxte, Morgensterne, gerade Säbel und türkisch
krumme, Brustharnische, Armbergen, Schenkeleisen, Helme, Eisenhandschuhe und
Beinschienen mit herabhängenden Gurten. Als man Miklós Horváth den goldenen Helm
überreicht, erwidert er: Bring mir den anderen, den aus Stahl.
Jegyzet Andere Schriftart für Deutsch im Original
Hurtig lösen sie die Tafel auf, werfen zwei Tische übereinander, das
ist die Burg. Mir den Graben, dir die Burg, murmelt Kamerad Beverly weise und zart
wie die Bittermandel. Wieder hat der Ärmste etwas verstanden. Auf der riesigen Ebene,
die vor der Burg entstanden ist, stehen die »Männer vom
Planungsamt« in Reih und Glied. (Natürlich ist das nicht so
einfach.) Als wären es die Ackerkrumen, die sich regten. Die Oberfläche der Erde
bewegt sich in schwarzen Wellen, in das anschwellende Grollen mischt sich
vereinzeltes Schellengeläut, auch der eine oder andere leise Pfeifton. Genosse
Brandhuber trägt ein Schild auf dem Kopf, in der einen Hand eine Flügellanze, im Mund
hält er quer einen Krummsäbel. Die Leiter, ruft er. Gregory Peck, der gleichwohl ein
Feind der Burgleute ist, zuckt bedauernd die schmalen, anmutigen Schultern, während
er sich hinter dem Aschenbecher versteckt. Adäquate Teile des Genossen
Szervácpongrácbonifác können auch nicht helfen, denn er trägt einen Extrakampf mit
einem seiner inadäquaten Teile aus. Baldigst blutet er aus mehreren Wunden; Unkraut
vergeht nicht.
Es herrscht Stille in der Burg. Miklós Horváth, Péter Baittrok, der
kleine Tomcsányi und alle, die eher zum Bannkreis des Ministeriums gehören, sind da:
ihre Worte, ihre Wirkung und ihre Abhängigkeit, sie bereiten sich ruhig vor. Doch
sobald die Sturmleitern krachend auf Stein, Eisen, Balken aufschlagen und sich das
ergrimmte Gebrüll erhebt Allah akbar! Regelung der Arbeitsnormen!
Ja fettah!, werden auch sie lebendig. Tomcsányi ruft heraus: Hui, hui,
vorwärts. Die Tür geht auf, drei Tippfräulein in rot-weiß-grünen Hauben kommen
hereingetanzt. Sie weinen (oder beweinen), der Pulverrauch brennt ihnen in den Augen.
Sie verbeugen sich fernab des Gewirrs und singen mit uralter (pentatonischer)
Melodieführung:
Sie verbeugen sich, die obere Wölbung ihres kleinen, festen, riesigen,
hängenden, weichen, apfelförmigen, birnenförmigen Busens lugt aufreizend hervor. Die
Männer verharren für einen Moment in Stille. Voilá, Tomcsányi verbeugt sich müde,
bescheiden. Horváth rückt nervös den Harnisch an sich zurecht. Mein Sohn, hol dich
der Dachdecker! Konkret, linear! Giacomo, weiter hinten im Schutz des Topfes, fiept
auf: Grünkret. Kamerad Beverly fletscht die Zähne. Das Niveau,
das Niveau, und schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. Das Erste
sind jetzt die Feuerbälle und der Spieß. Die Bälle liegen in großen Pyramiden in der
Nähe der Trümmerwände. Tomcsányi hat sie zusätzlich füllen lassen. Die Methode, der
junge Fachmann übertönt den gigantischen Schlachtlärm, die Methode arbeitet mit einem
Modell, das die Wirklichkeit - Giacomo johlt los und auch Kamerad Beverly nickt
offen, ältlich die wirtschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt, und auf diese Weise
vereinfacht es zwangsläufig: das Modell berücksichtigt nur die linearen Beziehungen,
die Schranken (Markt, Kapazität etc.) behandelt es als Konstanten, das Modell ist
statisch, beinhaltet nur Zusammenhänge, die sich auf einen konkreten Zeitpunkt
beziehen; die durchzuführende Berechnung ist eine Extremwertberechnung, was zur
Instabilität führt, das heißt: es kann passieren, dass eine geringfügige Veränderung
der eingehenden Daten (Input) zu großen Abweichungen in der optimalen Lösung führen
kann - oder führt! man muss also umsichtig vorgehen.
Jajj,jajj,jajj,jajj ung
Nicht geeignet
Für parametrische
Programmierung.
Die Kraft der Bälle verdoppelt sich. Deswegen, fährt der junge Mann
gnadenlos fort, sind die sog. Empfindlichkeitsuntersuchungen unvermeidlich. Die Bälle
feuern das erste Mal, wenn sie von der Burgzinne geworfen werden; das zweite Mal,
wenn ihr Kern herausgefallen ist. Ein unverzichtbares Mittel der
Empfindlichkeitsuntersuchungen ist die parametrische Programmierung. Neben Imre
metzelt Baittrok in riesigen Schwüngen. Sein kleines Bärtlein tänzelt überlegen. Sein
Säbel trieft vor Blut. Tomcsányi fährt schwungvoll fort. Und das Programmpaket, das
zurzeit an unserem Institut zur Anwendung kommt, ist zurzeit nicht, ich wiederhole:
nicht geeignet für parametrische Programmierung. Da der Kern herausgefallen ist,
sprühen minutenlang brennende große weiße Funken hervor, und wer sie auf die
Kleidung, ins Gesicht bekommt, sieht zu, dass er beiseitespringt. Ich sehe dich, mein
Sohn, Imre Tomcsányi, ruft aus einem fernen Ringen Miklós Horváth freudig
herüber.
Na und, was soll’;s?! Es ging bisher, es wird auch in Zukunft gehen.
Man braucht eine wissenschaftliche Analyse, natürlich braucht man eine. Aber wir —
hier richtet sich Genosse Brandhuber auf, die Knöpfe auf seinem in der Kleiderfabrik
Roter Oktober fabrizierten Sakko verwandeln sich urplötzlich in rote Sterne, fallen
wie leichter Flaum hernieder, springen vom breiten Brustkorb —, aber wir wissen auch
ohne das genau, was man in diesem Land machen muss. Das haben wir alles
ausgearbeitet. Tomcsányi wischt sich die verschwitzte Stirn. Darf ich was fragen,
ruft er. Nein, aber nein. Das geht nicht so aus dem Stegreif.
Das muss man vorbereiten. Denn, wenn wir es nicht vorbereiten, sage ich, eventuell, hahaha, etwas anderes, als
was meine Meinung ist. Ich kann auch nicht immer alles wissen.
Und wissen Sie, junger Kollege, Brandhuber schaut Tomcsányi scharf an, wissen Sie,
Ihrer Frau können Sie was anderes sagen.
Hi-hi, johlt Giacomo. Na, man muss den Typen nicht gering schätzen,
zischelt Kamerad Beverly zwischen den Zähnen. Sie nagen vor sich hin.
Hoch mit den Balken, ruft Abteilungsleiter Tamás Fólya (dessen jüngere
Schwester im Ministerium et cetera, mehr noch, angeblich et cetera). Die Burgleute
stehen stumm. Sie haben Angst. Eine große Schießerei ist im Gange. Habt keine Angst,
ruft Fólya und tritt an den Platz. Die Hämmer krachen, die Kette, mit der man die
Balken verbunden hat, rasselt und scheppert. Habt keine Angst, ruft der Fólya- Junge.
Und keiner wagt es, Angst zu haben. Eine Kugel prallt am Helm des Abt.lt.s ab und
schlägt den silbernen Federhalter herunter. Tamás, komm da weg. Sofort. Und er bückt
sich noch, um zu helfen, einen Balken hochzuheben. Er bleibt gebückt, wie zu Stein
erstarrt. Tamás, ruft Baittrok erschüttert. Tamás ist auf ein Knie gesunken. Der Helm
gleitet ihm vom Kopf, sein langes, graues Haar fällt nach vorne. Baittrok rennt
hinauf und hebt Tamás, ihn umhalsend, aus der Scharte des Abbruchs. Er legt ihn in
einem Winkel im Inneren ab. Licht her. Tamás Fólyas Gesicht ist wachsweiß. Blut läuft
ihm über den Bart, tropft auf den Tisch und die Decke durchweichend weiter auf den
Boden, auf den mit der Decke (farblich) harmonisierenden Teppich. Tamás, ruft
Baittrok, kannst du sprechen, und sieht ihn mit feuchten Augen an. Ja, stammelt
Tamás. Kämpft bis zum ... er sackt zusammen, fällt.
Was ist das hier, ruft Horváth. Genosse, sagt jemand mit zitternder
Stimme, diese Minute ist der Genosse Abteilungsleiter Fólya gefallen. Er wird gerade
gebracht, auf einem Schragen, auf dem man die Steine fährt. Seine Beine hängen
herunter. Seine Hände unbehandschuht verschlungen auf dem Brustharnisch. Baittrok
trägt ihm den Helm hinterher. Ist es aus mit ihm?, fragt Horváth. Aus, sagt der
andere traurig. Kämpft weiter, ruft der Parteisekretär aus. Er setzt seinen Stahlhelm
ab. Er tritt an den Abt.lt. heran und schaut ihn wortlos, gramgebeugt an. Gott sei
mit dir, Tamás Fólya! Bleib stehen vor dem Herrn: zeige auf deine blutende Wunde und
zeige auf diese Burg! Er schaut ihnen barhäuptig, traurig hinterher, bis die Laterne
hinter einem Mauervorsprung verschwunden ist. Tomcsányi müht sich gerade mit einer
Seilrolle. Genossen! Das ist von Vorteil. In Zimmer 903 gibt es angeblich einen
Schrank, das heißt, es gibt einen Schrank, in dem sich angeblich sehr wertvolle
Materialien bezüglich der parametrischen Programmierung verbergen. Verberge-hen? Verbergen. Genosse Peck hält sich am Aschenbecher
fest. Imre, mein Lieber. Wenn ich ein Kätzzchen wär’;, würde
ich vor Freude meinem Schwanz nachjagen. Horváth schaut nur und schaut und spricht
schließlich den sich plagenden Jüngling an. Hab keine Angst vor dem Seil: ist keine
Wurst nicht. Pack’;s, Imre, Teufel nochmal! Zieh, als würdest du den ... den
türkischen Kaiser hängen. Kamerad Beverly fiept dazwischen. (Provoziert ein kleines
bisschen.) Glauben Sie mir, Genossen, Carter macht auch nur das, was ihm das
Großkapital diktiert.
Die Burgleute eilen mit geröteten Wangen in den Sturm im tosenden
Gewitter. Die Sturmleitern sind schon rutschig vor Blut, im Bezirk der Leiter ist die
Wand purpurn. Unten die zuckenden, blutigen Stücke der Toten und Sterbenden. Im
mörderischen Gerangel findet man sich kaum zurecht, die Beziehungssysteme
verkomplizieren sich, und es passiert zum Beispiel, dass zwei, die zum selben Lager
gehören, übereinander herfallen, dass, während Baittrok auf den Verdammten
einschlägt, -sticht, -säbelt, mit dem Fokosch in der Linken Richtung Horváth schlägt;
ob wir hier die notwendige Auseinandersetzung zwischen einem politischen und einem
wirtschaftlichen Führer sehen, oder ist es nur eine enge Privatfehde? (Frauen?) Und
wie die Zusammengehörenden aufeinander aufmerken, so nähern sich auch die Gegner an.
Genosse Brandhuber sprengt nun mit einem leichten, runden, aus Schilf geflochtenen
Schild herauf, lässt hinter dem Schild das Weiße seiner Augen hervorblitzen. Sobald
er auf einen Klafter heran ist, dringt er zu einer Kugel zusammengeschmuckt weiter
vor. Komm nur, lass mich deine feine Kalbsfresse knutschen, spricht ihm Horváth zu.
Und der Panther hüpft weiter herauf. Der Parteisekretär lässt sein Visier fallen.
Gerade rechtzeitig. Brandhuber, wie eine Feder, streckt sich, sticht mit der Lanze
hinauf und bricht die Spitze am Kinnknopf ab. Was jetzt? Die Pike knallt und der
Angreifer lehnt sich von der Leiter in die Luft und fällt Kopf voran - oder ohne
diesen? - hinunter.
Vereint sind wir stark, Miklós, flüstert Genosse Brandhuber. Lasst uns
denselben Fehler nicht noch einmal begehen, und er zeigt auf die Wunde in der
Handfläche des Parteisekretärs, Schmieren gut zwanzig vor. Der
Parteisekretär senkt den Kopf; gerade er weiß sehr gut, dass man mit politischen
Verbindungen dasselbe erreichen kann wie mit wirtschaftlichen Verbindungen; es gibt
keinen Leiter, der sich die politischen Komponenten nicht vor
Augen halten würde. Weiter weg breitet sich in einer Wolke der Rauch des
Schwefelgeruchs aus. Horváth hebt den Kopf. Sein Blick ist klar, geradeheraus. Nach
vorne mit den Talenten, ruft er, die uns vertrauen, uns nutzen, aber nicht von uns
abhängig sind, selbstständig sind, und doch unsere Leute. In seinem Gesicht ein
Streifen geronnenen Bluts. Von wegen, sie sind nicht abhängig, wundert sich Genosse
Brandhuber. Geh, der eine Held stößt den anderen gegen die Brust, welche Bewegung von
freundschaftlichem Boxen bis lebensgefährlicher Bedrohung interpretiert werden
kann.
Doch immer neue Gruppen steigen brüllend auf die Gefallenen. Die Horne
tönen, die Trommeln dröhnen, Befehlsworte mengen sich mit Kampfgeschrei,
Kanonenheulen, Gewehrdonner, das Knallen von Bomben, das Wiehern der Rösser, das
Röcheln der Sterbenden, das Knarren der Leiter. Rauch verdeckt den Kronleuchter.
Giacomo, und später leider auch Kamerad Beverly, brüllen durcheinander. Der Stopfen
am Palast ist gebrochen! Die Sicherheit der Produktion! Managersystem! Nur auf den
Kopf, Jungs. Ja kerim! Die Sicherung des Volumens! Ja rahim! Entwicklung! Maximaler
Gewinn! Krämergeist! Defraudant! Meine Hochachtung deinem Propheten! Die Controller!
Übergebt die Burg! Ich bring dich um. Voluntaristen! Kapitalisten! Grenadiere,
schießt in die Mitte!
Die Schlacht trat in eine entscheidende Phase. Die Rede wurde relativ
geradeheraus, die Katze aus dem Sack gelassen, jedermann gab seine Macht zu, sowie
seine Beeinflussbarkeit und seinen Einfluss, jeder versuchte, sich der Rolle
anzupassen, die ihm zugeteilt worden war, der Kampf trat in jenes zugespitzte Stadium
der Statuskämpfe, in dem jede wirtschaftliche Frage: eine politische Frage ist.
Kamerad Beverly zieht sich am Rand des Topfes hoch, blinzelt klug heraus. Die
Wirtschaftlichkeit, das Interesse der Volkswirtschaft, die Politik, die technische
Entwicklung, die Produktionssicherheit sowie die Ausnutzung der Kapazitäten sind eher
Vorwände denn Gegenstände der
Auseinandersetzung zwischen den Leitern. Der kleine Goldhamster schnauft. Fällt müde
neben Giacomo zurück. Der Spitzbube entleert sich gerade.
Genosse Brandhuber trägt eine große, flatternde rote Fahne zwischen den
Zähnen, um diese an der Zinne des Turms zu hissen. Er hat die Fahnenstange im Mund,
deswegen lispelt er ein wenig. Die Intejessen dej Ajbeitej, brüllt er. Die Intejessen
dej Ajbeitej! Optimiejung?! Wat denn noch. Jenossen! Wij optimiejen nicht, wij
ajbeiten, Jenossen. Fast hat er den Turm erreicht. Die Gesichter werden blass,
entsetztes Rumoren liegt in der Luft. Feuer, ruft der Parteisekretär. Tausende
fallende- donnernde-knallende Blitze. Gekreisch, Gebrüll, Rauch, Detonationen,
Schwefelgestank. An den Krampen der Leiter krachen die Äxte, die Piken, die Beile.
Der Turm schwankt, fällt mit großem Krach. Der Kalkstaub stiebt wie eine Wolke aus
den Trümmern herauf; und aus den Steinen quillt Blut wie aus der Kelter der Wein.
Langsam flauen überall am Tisch die Kämpfe ab. Überall rußigblutige
Menschenstücke, die Luft zittert von ununterbrochenen ej wab!-
und meded!-Rufen. Der Konferenzraum ist voll mit Verwundeten.
Bader und Weiber sind dort mit Wasserschüsseln zugange, mit Zupflinnen, Alaun und
Kraftwurz. Janka Dorogi reicht Tomcsányi ihr Tuch. Doch sie steht auf der falschen
Seite, der junge Mann sieht sie nicht. Mein Gott, mein Gott, Tomcsányi bricht in
Tränen aus, sie ha
ben mir ein Auge ausgeschossen. Und bedeckt sein blutiges Gesicht mit dem Ärmel seines angebrannten Hemds.
Horváth sitzt auf einem mit einem Bauernpelz abgedeckten Strohsitz zwischen den
anderen. An der Wade hat er eine Wunde, dass sich das Blut in einer Pfütze unter dem
Stuhl sammelt. Heul nicht, Tomi, ruft er ihm zu. Lieber mit einem Auge linientreu als
mit zwei Augen ... Und duldet mit zusammengebissenen Zähnen, dass der Bader die
furchtbare Wunde an seinem Bein mit Alaun wäscht.
Auslandsreisen, Versetzungen in die Provinz, Nach-oben-Fallen,
Prestigeverluste, Prämien und kleine Prämien - das bescheidene Umrangieren der Macht;
wie Ruß, Schlamm, Ziegel, Stein und die Toten: blutig, zerlumpt, verrußt, unbewegt.
Rindviech, schreit Genosse Peck eine helfende, jedoch ungeschickte Hand an. Gregory
Peck nahm seiner Statur folgend nur schwerfällig am Kampf teil. Er besorgte sich zwar
einen Säbel, ein paar Sporen, dies und das, aber nachdem er ein paarmal durch die
Luft geschwippt hatte, verzog er sich mit seinem charakteristisch zur Seite und nach
vorne gehaltenen Kopf, nah an der Wand, diese fast streifend, unter die Népszabadság, neben seine beiden treuen Hamster, um sich die
klugen Ratschläge zu Herzen zu nehmen. Als er sah, dass das Gemetzel abebbte, zerriss
er ein wenig seine Kleidung (runter mit dem Flitter!) und biss sich auf die Lippe,
damit sein Blut spross. Dennoch sah man ihm dieses »Außenvorsein« an. Wie gerne
möchte ich mich einmal mit gepunztem Kragen einer Wagenburg anschließen. Das ist ja
auch was Feines, mümmelt Giacomo.
Die Fräuleins bringen eine neue Runde Importcognac. (Ein paar von ihnen
sind von den Helden gepflügt worden.) Der Genosse Generaldirektor erhebt sich und
ergreift das Wort. Er blutet aus mehreren, einander diametral widersprechenden
Wunden. Natürlich wird es für jede auch einen Balsam geben -
oberhalb eines gewissen Niveaus läuft das eben so. Seine Lider zittern, man sieht ihm
an: der Kampf war hart, männlich, seine Existenz betrachtet notwend-, was seinen
Ausgang anbelangt, zufällig. Ich genehmige es, seufzt er. Genosse Brandhuber fällt in
Ohnmacht. Tomcsányi schluchzt mit dankerfülltem Herzen. Na, du, na!, dämpft ihn
jemand Erfahrenes.
Imre Tomcsányis schlanker, muskulöser Körper neigt sich wagemutig aus
dem grauen Block des Instituts heraus. Mit einer Hand hält er sich am Rand des
Panoramafensters fest, mit der anderen balanciert er. Er schaut nicht nach unten, er
schaut hinauf. Die frühe Sonne wiederholt sich blässlich in der Fensterreihe. Er
schickt sich gerade an, sich in das Zimmerchen zurückzuziehen, wo das Fachkollektiv
Tag auf Tag in Freud und Leid, bei Stürmen, Ergebnissen und vergänglichen
Misserfolgen zusammenlebt, als sich schräg oben etwas rührt. Erst ist nur die
Bewegung des Lichts wahrnehmbar, dann gut zu sehen: man hat ein Fenster geöffnet. Auf
dem Fensterbrett erscheint eine leichte, kleine Hand. Sie kommt, ruft Tomcsányi
hinter sich, zurück ins Zimmer. Doch es war überflüssig, dass er rief, denn allesamt
standen sie bereits in einem engen Halbkreis vor dem Fenster.
Tomcsányi wartet angespannt, als ginge es um sein Leben. Die Hand -
dort droben - verschwindet, um gleich wieder zu erscheinen: sie hält eine Taube. Eine
Taube! Ein Raunen geht durch die Reihen. Aufgeregt und ein wenig kindisch raten sie:
Eine Lütticher? Bagdetta? Biset-Fuyard? Die Hand streicht über die Taube, als würde
sie ihr sagen: Auf, Kamerad, Glück auf den Weg. Wer seine Stimme für Biset- Fuyard
abgegeben hatte, war nah an der Wahrheit, die Taube, die nun mit ruhigen, sicheren
Flügelschlägen die Obhut des Fensters verlässt, ist eine Antwerpener Brieftaube und
zeigt als solche, obwohl vom Dragoner-Typ, erkennbar auch Charakteristika des
Biset-Fuyards; auf den ersten Blick ist die Kraft zu erkennen, die
Leistungsfähigkeit; ein in seiner ganzen Erscheinung lebhaftes Tier mit feurigen
Augen; auch die Geschlechtsmerkmale kommen gut zur Geltung. Das Männchen soll nicht
wie ein Weibchen aussehen und das Weibchen nicht wie ein Männchen - diese
Grundvoraussetzung ist hier erfüllt. Die Farbe des Gefieders ist blau, gehämmert.
Da ist sie, ruft Tomcsányi, der bislang geschwiegen hat. Das auf
mikroskop-fotografischem Wege verkleinerte Telegramm, in eine Federspule gesteckt und
mit einem wachsdurchtränkten Seidenzwirn unter einem der Schwanzfederkiele befestigt
- das ist jetzt aufgeblitzt. Die Menschen umarmen einander. Nicht dass Tomcsányi der
Erfahrenste wäre, schließlich gibt es noch den alten Tibi Tóth, der schon 45
Rechentechniker gewesen ist, und Andris Békési, den KlSZ-Sekretär, aber dieser ist auch derjenige, der vielleicht am meisten an die
Sache glaubt, der am vehementesten wünscht, dass aus dieser gewissen Studie auch was
wird, sie nicht nur geschriebene Gnade bleibt, also ist er der Vorsichtigste, er ist
derjenige, der - wie man zu sagen pflegt - nicht die Haut des Bären vertrinkt, er
winkt ein Psst, belässt den Zeigefinger als Ermahnung in der Luft.
Das Tier oben dreht noch eine Runde,»winkt zum Abschied«. Hält auf sie
zu. Imre schaut angespannt, aber hinter ihm löst sich die Gesellschaft schon auf.
Kinder, der Kaffee ist fertig! Ja: so wie aus dem Traum Wirklichkeit geworden ist,
ist auch die Magie verflogen. Mehr noch: Lajos Ádám, dieser untersetzte, immer
unzufriedene Mensch, der aber auch die Arbeit anpacken kann, wenn es sein muss, und
der auch weiß, wo man diese anpacken muss, macht sogar noch eine skeptische
Bemerkung. Wir werden ranklotzen, und die Schütte ... Er vollführt eine
unmissverständliche Geste, die man allerdings auf vielfache Weise interpretieren
kann.
Die Taube nähert sich. - Eine genaue Erklärung für ihre Rückkehr haben
wir bis heute nicht. Vielleicht die Liebe zum Zuhause. (Das ist wichtig.) Jedenfalls
hat Thauseis bewiesen, dass die Erinnerung an das
Landschaftsbild nicht die Triebfeder bei der Heimkehr der Brieftauben sein kann. -
Man kann schon die lange, gebogene Linie des Kopfes und den langen, schwarzen
Schnabel genau erkennen.
Jaj, schreit der junge Rechentechniker spitz auf. Das Zimmer erstarrt.
Irgendwo hat sich mit einem selbstsicheren Knall ein Fenster geöffnet, und Imre
sieht, wie mit furchteinflößender Geschwindigkeit ein Schatten über das Gebäude -
dieses Wunder aus Eisenbeton und Glas - huscht. Ja: es ist der Schatten eines
Jagdfalken. Wie ein schwerer Bomber oder wie die Bombe selbst stürzt der wilde Vogel
auf das Opfer. Jenes erahnt die lauernde Gefahr; es kippt zur Seite, vorbei ist’;s
mit der harmonischen Bewegung, es folgen hastige, verkrampfte Flügelschläge, als
wären es die letzten Bewegungen eines Ertrinkenden, der noch von der Hoffnung am
Leben erhalten wird.
Tomcsányi lässt den Fensterrahmen los - kein Grund zu großer Sorge:
selbst in dieser zugespitzten Situation tut er nichts Unüberlegtes -, von drinnen
hält András Békési seine Hand, und er neigt sich hinaus, so weit es ihm möglich ist
und er sich traut, und streckt der Taube eine helfende Hand entgegen, die beinahe
schon bedeckt ist vom Schatten des gnadenlosen Falken. Gerettet, seufzt im Zimmer
drin Marilyn Monroe. Eine blonde, attraktive Person mit Volkswirtschaftsuniabschluss;
berühmt für ihren Kaffee. Neben den roten Augen, den breiten, weißen Augenringen
fällt die starke Entwicklung der Nasenhaut auf- jetzt sind es tatsächlich nur noch
wenige»Schritte«!
Aber nein. Wie eine Lawine stürzt sich das reißende Tier auf den
kleinen Boten. Die entsetzliche Szene spielt sich vor den Augen der Abteilung ab.
(Sie lernen daraus.) Imre ist immer noch in der vorangegangenen Positur: eine Hand in
der des KISZ-Sekretärs, die andere hilfsbereit
ausgestreckt. Aus dem kreiselnden-wirbelnden Federagglomerat löst sich scharfes
Gekreisch und beinahe menschliche Seufzer; die abgelösten Federn trudeln nach unten.
Das tierische Duo aber verschwindet wie ein Stein in der neun
Stockwerke tiefen Tiefe, keiner, der ihnen nachschauen könnte. Tomcsányi greift sich
ein Stück Feder. Sie fühlt sich glatt, seidig, weich, samten und nicht rau, hart,
trocken an. Ausreichend bepudert. Diese Vollkommenheit des Gefieders ist jetzt
verständlicherweise grotesk. In der gehämmerten Farbe schmiert braunes Blut.
Tomcsányi schaut die Feder an, rührt sich nicht. Er rührt sich nicht. Es ist still,
nur fern knattert eine Schreibmaschine. Wer muss einen Abgabetermin einhalten? Oder
ist es nur ein Festbericht? Auch dafür gibt es Abgabetermine.
Komm rein, sagt jemand, komm rein, alter Junge. Der junge Mann nickt,
zieht sich aus dem Außenraum zurück. Jetzt erst spürt er, was für ein Wind dort
draußen geweht hat, jetzt, da ihm die verschlafene Wärme drinnen entgegenschlägt, der
angenehme Morgen. Sein Gesicht wird rotbäckig (was im Allgemeinen ein Zeichen für
Frohsinn und Gesundheit ist). Die kleine Gruppe ist ein wenig niedergeschlagen.
Marilyn Monroe zieht ein Gesicht; ewig zieht sie ein Gesicht. Das Zimmer ist erfüllt
von den zutiefst naturhaften Geräuschen der Kaffeemaschine. (Imres Mutter kann aus
drittklassiger Ware einen hervorragenden Kaffee kochen; daran denkt der junge
Mann.)
Tomcsányi setzt sich an seinen Tisch. In der glänzenden Politur ein
paar Zeichnungen: von Tassen, Vasen, Kratzer. Er bückt sich, holt einen Literschlauch
Milch hervor. Packt ihn, dreht und wendet ihn, prüft die Ecken. Doch eine Ecke ist
wie die andere. Er wählt zufällig eine aus, an welcher er zu nagen anhebt. Er kann
sie nicht zerreißen, er macht mit seinen scharfen Zähnen bloß Löcherchen hinein. (Wie
das Frettchen ins Hühnerei, sagte ein Kollege einmal. Er lachte, schüttelte den
Kopf.) Der alte Tibor verliert die Geduld, langt überlegen in sein Sakko, aus dem er
ein ansehnliches Klappmesser hervorzieht, und schneidet die fragliche Ecke ab, jene,
die der junge Mann zuvor so brutal angenagt hat. Das war mit mir am Don, der Alte
lässt das Messer zuschnappen.
Imrulein, der Kaffee, sagt die blonde Marilyn. Auf den Berg-Hügeln
ihres Pullovers verweilt das Auge. Tu keinen Zucker rein, ist schon welcher drin.
Zwei sind drin. Soviel ich weiß, trinkst du ihn mit zweien. Stimmt. Tomcsányi hat
sich immer noch nicht ganz beruhigt, ist nicht in Ordnung, er hält blass die
Milchtüte. Jancsika Tobiás erklärt Imre mit einer gewissen Schärfe, wie dieser die
Tüte absetzen soll (hochkant, ein wenig»geknickt«). Tomcsányi bedankt sich
unaufmerksam. (Er mag Tobiás nicht;»er hat eine gewisse Geneigtheit«, denkt er
vorurteilsvoll über ihn.) Er trinkt den Kaffee. Füllt Milch nach, die Mischung wird
immer dünner, aus einem regulären Kapuziner zu einer etwas trüben (und vor allem
süßen!) Milch.
Würdest du mir die Sport geben, er wendet sich
an Ádám, der prompt und laut antwortet. Bedien dich. Die Zeitung ist nicht
zerknittert; sie ist benutzt. In der Mitte mancher Blätter ist entlang der Faltung
die Druckerfarbe verschmiert. Gerade an so einer Faltung liest er - noch über dem
Tisch, während der Kollege sie ihm reicht der finnische Linienrichter zeigte an. Die
Zeitungsblätter folgen ziemlich ungeordnet aufeinander; zum Beispiel: die erste Seite
ist weiter nach hinten geraten und wurde zur vorletzten, die dritte Seite ist zur
ersten geworden. Ob jedes Blatt seinen Platz gewechselt hat? Oder gibt es Konstanten?
Er blättert. Gubányi mit Knorpelverdacht. Palotai vor großen Aufgaben. Jeck, der alte
Haudegen. Der verleidigte Ausputzer.
Er stellt die Kaffeetasse ab, der Löffel hängt aus ihr heraus wie eine
ausgekugelte Extremität. Marilyn Monroe richtet sich den Rock, dabei zieht sie den
Bauch ein. Sie macht sich bereit, dem Genossen Abteilungsleiter einen Kaffee zu
bringen. Der Kaffa des Genossen Peck, sagt sie gesichterschneidend zur Erklärung,
denn die Stimmung ist so (so gesund), dass sie das tun muss. Sie geht hinaus. Der ist
doch schon lauwarm, sagt Békési, und alle lachen. Imre langt in seine Tasche. Er
spürt die Feuchte innen drin, die die Milch verursacht hat. Genauer: die Tüte. Ist
nicht ausgelaufen, und trotzdem. Er holt einen Stift hervor, ein Buch (P. J. Probys
Bergbaukunde), Schreibpapier.
Imre Tomcsányi, die junge Fachkraft, beugt sich über seine Arbeit. Er
ist in seine Arbeit vertieft, hebt den Kopf erst,
als in großer Eile Janka Dorogi eintritt, die Kleine aus der
Verwaltung. Habt ihr’;s bekommen, fragt sie. Tomcsányi senkt den Kopf, nein,
antwortet der alte Onkel Tibi. Das ist unmöglich, das zarte Persönchen schaut auf die
Uhr. Diese, diese Taube kann 85 Kilometer pro Stunde. Sie konnte, murmelt Imre - für
alle anderen unverständlich - vor sich hin. Das Gesicht der jungen Frau ist streng,
einfach. Nur das zarte Rot auf den Wangen zeigt vielleicht ein wenig ihre
Unsicherheit an, die sie nicht wegen der Geschwindigkeitsangaben verspürt, eher wegen
der vielen Männer. Einmal ist sie sogar aus dem Ministerium wieder»nach Hause«
gekommen, fügt sie noch hinzu. Laut der Zeitschrift American Pigeon
Journal liegt der Weltrekord bei Fernflügen bei 1685 Meilen, das heißt bei
2700 Kilometer, sagt Jancsika. Zur Orientierung: die Entfernung zwischen Ajaccio und
Paris beträgt 1100 Kilometer. Békési hat genug davon, wie sie hier drum herum reden.
Der Falke hat sie gerissen, sagt er ohne Umschweife, und zeigt auf die blutige,
gerupfte Feder, die auf Imres Tisch liegt. Janka Dorogi erschrickt. Warum hast du sie
nicht heruntergebracht, fragt Tomcsányi unfreundlich. Janka schickt sich gerade an zu
antworten, Békési winkt ab. Man muss den Amtsweg einhalten, Unterschrift,
Registratur, Unterschrift, Taube. Janka nickt, schaut dankbar zum KISZ-Sekretär, die Belegdisziplin, seufzt sie. Ich schicke
noch eine, sagt sie sofort, engagiert. Tomcsányi schaut das Mädchen durchdringend an,
sie missversteht es und fängt mit gesuchter Leichtigkeit ein Gespräch an. Sie zeigt
auf die Kaffeetasse, die unabgewaschen auf der Ecke von Imres Tisch steht. (Er wäscht
sie erst am Ende des Tages ab; weicht sie lange in warmes Wasser ein.) Lacht nicht
über mich, aber ich trinke ihn mit 6 Würfeln Zucker. Imre bemerkt wütend, dass das
Mädchen zu ihm spricht. Mit sechsen, wirklich. Sie kichert verstört. Die anderen
hören nicht mehr hin. Und aus dem Zucker baue ich einen Turm, und meiner Meinung nach
ist nur das an dem ganzen Kaffeetrinken was wert, wie dieser Turm umfällt. Tomcsányi
hebt gereizt den Stift. Der Frosch. Fällt in sich zusammen wie die Zeit, sagt das
Mädelchen noch, wie eine kleine Philosophin. Tomcsányi räuspert sich hilflos, dann,
um auch was Persönliches zu sagen, sagt er: Kau nicht an den Fingernägeln;
als er (um drei viertel zehn) fragt: Wie spät ist es? Zwei Minuten nach
drei viertel zehn, antwortet Tibor Tóth. Imre wirft einen Blick auf seine Uhr. Geht
sie pünktlich, fragt er. Habe sie heute früh gestellt. Ja, das verstehe ich, aber
geht sie pünktlich? Ja. Woraufhin er die Zeiger um 3 Minuten vorstellt. Sie soll
lieber vorgehen als nach, murmelt er;
als er Lajos bittet, er möge das Radio anschalten, das heißt
einschalten, und den Sucher auf Petőfi stellen. Wer spielt? Nichts, es fängt bloß Auf den Wellenlängen der Musik an. Als die genaue Zeit angesagt
wird, um zehn, wirft er Onkel Tibi einen vorwurfsvollen Blick zu (ein wenig
hysterisch oder theatralisch) und stellt die Uhr um zwei Minuten zurück; der kleine,
aber verlässliche sowjetische Apparat, der Sokol, fängt an, das Programm
auszustrahlen;
als das Stefanovits-Quartett an die Reihe kommt. Stefanovits ist der Mann der Zukunft. Lajos Ádám
sagt: In der Grundschule ging er zwei Klassen unter mir. Dann drei, dann vier. Ihr
versteht. Ein netter Junge, überhaupt nicht eingebildet. Jetzt singt er von der
Brigadebewegung, zu frischer, rhythmischer Gitarrenbegleitung. Mein Gott, er ist so
alt wie ich, sagt Tomcsányi. Aber er hat eine Hühnerbrust, setzt Lajos fort. Was ist
eine Hühnerbrust? Mach dir keine Sorgen, Monroe, sagt der KISZ-Sekretär;
als Jancsi Tóbiás mit hoher Stimme sagt oder antwortet: Die fünf
Lenin’;schen Kriterien. Was sind Kriterien? Verheb dich nicht.
Marilyn wendet sich turtelnd zum Alten. Sehen Sie, Onkel Tibi, sehen Sie, wie die
sind. Dabei trage ich gar keinen BH. Sie schmollt, zieht
ein Gesicht. Du hast einen Haufen Probleme, beschäftige dich damit, sagt Békési;
als eine schielende Frau (wer ist das?, wie ist sie hierhergekommen?)
in der Mitte des Zimmers steht und aufgeregt sagt: Habt ihr gehört? Tamás Fólya hat
Unzucht getrieben. Und schon ist sie weg;
als aus dem Telefonhörer, nachdem er diesen hochgehoben hatte, eine
Stimme dringt. Am Montag gehe ich zum Oberst. Es ist eine weibliche Stimme, und es
hört sich eher so an: Am Montag gehe ich zum Oberst;
als Jancsi Tóbiás Folgendes sagt: Ich verstehe dich, Miklós, mein
Lieber. Ich werde dementsprechend handeln. (Nach J. T. zu telefonieren ist so gut.
Der Hörer ist so frisch.) Ich verstehe dich. Aber ich stehe sowieso im Ruf (Lachen),
ein diskreter Mensch zu sein. Ihr Mann, also, der ist ein Fachidiot, mein lieber
Miklós. Ein guter Fachmann, aber sonst nichts. Über eine fachliche Frage debattiert
der Tag und Nacht, bis zum Umfallen ... natürlich, ja, du hast recht, das ist
wichtig, schließlich, hä-hä-hä, bekommt er dafür sein Gehalt... aber wenn wir ihn
wegen gerade aktueller Jahrestage ansprechen, hat er gleich keine Zeit. Nein. Nichts.
Kein bisschen Zeit hat er dann. Servus;
als Marilyn Monroe mit ihrer schneidenden Stimme loskreischt. Zoli! Was
ist der Code für die Spule? (Welcher lebende Mensch könnte hier Zoli heißen?);
als er aus mehreren winzigen Zeichen (Geräuschen und anderen
Fragmenten) zu dem Schluss kommt, dass Lajos Ádám ein Gespräch mit ihm anzufangen
gedenkt. Den formalen Grund dafür liefert die Sportzeitung. Tomcsányi spürt, dass
Ádáms Blick den seinen sucht, und wenn er nicht aufpasst, wird er rasch erfahren: was
Baróti nicht kann, wieso und inwiefern der eine oder andere Halbstürmer einen Fehler
gemacht hat, wie viel Geld sie für den Sieg eingestrichen haben
wer im Hintergrund stand denn Tomcsányi solle keine minute lang denken
dass das nicht abgekartet war wie zum beispiel gegen die russen weil hier wird es so
lange nichts geben das solle sich Tomcsányi hinter die ohren schreiben und auch dass
er Ádám das gesagt hat hier wird es so lange nichts geben bis nicht der Öcsi Puskás
der kapitän wird wer wie blöd ist und in welchem ausmaße und Verhältnis wie blöd der
schiri war soll er eine ziege leiten oder ström aber kein fußballspiel wie blöd der
Picasso ist dabei kann er auch anständig malen er hat es gesehen wie blöd die neue
chefin in der schwesterabteilung ist die hundertprozentig deswegen so ein ekel ist was er vollkommen verstehe noch nicht einmal für
geld schon allein der ohren wegen die sonne scheint durch die hindurch und sie trinkt
ständig terpentin weil das angeblich dem urin den geruch nimmt wer jude ist ob das
gut für uns ist oder schlecht aber es ist gar nicht sicher ob er es überhaupt ist und
ob das gut für uns ist oder schlecht und Tomcsányi solle nicht vergessen der Fräsier
der kann viehisch Schläge einstecken nicht wie der Stiewensn der ein kinn aus glas
hat gegen den Ali wäre er nirgends alter nirgends die polen lieben die ungarn wir
sind ein brudervolk und wer im rückstand mit dem kaffeegeld ist und um wie viel und
um wie viel mehr das zusammen mit dem vom letzten monat ist dass natürlich der
genosse Peck der Spitzenreiter darin ist aber man wird ihm das noch ins gesicht sagen
mit seinem sechser pro monat und wer schwul ist trotz dass er ein großer künstler ist
aber man muss sich nur anschauen wie er die hand hält die oberhand und es kann zwar
sein dass der Thomas Mann kein schwuler ist obwohl aber egal aber ein kohlköpfiger
doitscher und ein kulturpojaz und von der gehaltserhöhung sprechen wir besser
ausgesprochen nicht stechen uns mit 60 forint fleischgeld die äugen aus 5 millionen
blindschieichen das zieh dir mal rein der blanke hohn ... Tomcsányi spürt die Gefahr,
er springt auf. (Könnte sicher ein paar Kulissen schieben, sich strecken. Bin
schläfrig. Alter, gestern war Sándor- Tag. Sei nicht sauer. Jeden Tag ist irgendein
Tag. Aber wie lange kann man das wohl treiben?) Geschwind springt er zur Tafel, von
der der Kreidestaub später sowieso in seinen Nacken rieseln würde, und zeichnet:
Menge A, Menge B. Ádáms Lippen öffnen sich fast unbewusst, er flüstert leise: Menge
A, Menge B. Imre fühlt sich obenauf. Er nimmt die Zeitung, um sie (ohne Betonung, und
doch nicht unbemerkt) zurückzugeben. Doch hier unterläuft ihm ein Fehler. Der kleine
Finger dreht sich - befreit von den Verbindlichkeiten des Zupackens - zur Seite, und
herausgerissen aus dem Zusammenhang der anderen Finger sieht es so aus, als würde er
auf etwas zeigen (was man dann kommentieren müsste). Lajos fährt auf;
als Marilyn Monroe Folgendes sagt: Die fünf Kriterien. Na klar, die
Lenin’;schen. Und dann heirate ich entweder meinen ehemaligen Verlobten oder auch
nicht. Sie schaut Tomcsányi an, hält den Hörer ab. Nur ein Witz, flüstert sie dem
jungen Mann zu und senkt für einen Moment ihre Wimpern. Nein, nein, niemand, sie
fährt fort. Also, wir sind gerade den Fall durchgegangen, dass ich von links komme
und ich weiß nicht mehr wohin in großem Bogen abbiege, und rechts steht ein
Fernlaster, vollgepackt mit wichtiger Außenhandelsware, da ist er aufgestanden, da
habe ich gesehen, dass er einen kleinen Bauch hat, nicht groß, und, weißt du, mehr so
die muskulöse Sorte, und er sagt, langsam, überlegt nach jedem Wort, sagt, dass,
angenommen, aber nicht zugegeben, ja, das war göttlich, tatsächlich so, angenommen,
aber nicht zugegeben, dass diese Information für die Teilnehmer des Kurses wichtig
ist, was dürfen wir darunter verstehen: mit Außenhandelsware. Es war göttlich. Die
Hände legte er auf die Lehne des Stuhls vor ihm. Seinen Schlips hatte er sich in die
Hose gestopft. Das war die einzige brenzlige;
als von draußen erneut ohrenbetäubende Laute von elementarer Kraft
ertönen, alle stürzen ans Fenster und sehen den vorbeihuschenden Falken und
herabsteigend den blutigen, zerzausten Federklumpen. Fällt genau in die Haltestelle
der 33, sagt der alte Tibi. Wenig später erscheint Janka Dorogi. Versteht alles
sofort. Ich kann nichts tun, sie ringt die Hände; ihre Finger knacken entnervend.
Ádám hält nicht hinterm Berg. Man müsste es mit einem Moskauer Grauen Tumbler
versuchen. Tomcsányi winkt ab. Das ist nur eine Tumblertaube, wie schon der Name
sagt; ist in der Lage, über einen runden Parcours ausdauernd und ohne Unterbrechung
2-8 Stunden zu fliegen, aber ... Lajos fährt dazwischen. Kann sein. Kann sein, dass
wir sie aus den Augen verlieren, kann sein, dass sie auf der Erde wirbeln um die
Längsachse ihres Körpers von rechts nach links oder von links nach rechts mit sehr
hoher Geschwindigkeit. All das kann sein. Aber dass sie sich nicht trauen würden, dem
Moskauer Grauen Tumbler den Falken an den Hals zu schicken, so viel ist fix. Darüber
lachen sie gehemmt und traurig;
als Onkel Tibor zu flüstern anfängt. Ich habe nichts gegen Marilyn. Ein
nettes Mädel, eine gute Programmiererin. Obwohl in PL/1... Aber das ist es gar nicht.
András fällt ein. Lassen wir das, Onkel Tibor. Das
hat keinen Sinn. Machen wir weiter, wenn
Marilyn zurückgekommen ist, schlägt Imre vor. Ihr seid vielleicht obenauf, sagt der
Alte scharf. Ihr seid vielleicht obenauf! Wenn sie mich jetzt nehmen, dann wird mir
vor der Rente noch das Gehalt erhöht. Und? Und, und! Die triezen mich da eine halbe
Stunde, Lenin hier, Lenin da, ich war ganz erschrocken, dass sie mich auch noch zu
Stalin fragen, und beim anderen Tisch kommt die Marilyn Monroe angeschwebt, davor
freilich Küssdiehand, Onkel Tibi, wie geht’;s Ihnen, Onkel Tibi, als ob sies nicht
gesehen hätte ... Dialektisch, johlt Lajos dazwischen. Und am anderen Tisch
Die Jungs sitzen schnaufend da, János Tóbiás schweigt beleidigt. Den
Kapitalismus wusste ich, nur den Sozialismus nicht. Der ist tierisch schwer. Die
beiden jungen Männer mit dem offenen Geist lachen darüber herzhaft. Lajos Ádám macht
sich bereit für einen seiner gewohnten Scherze. Diese Scherze sind ungehobelt, eine
gewisse rohe Geradlinigkeit ist ihnen jedoch nicht abzusprechen; sie sind zugleich
Verwandte der Unschuld und der Rohheit. Zuerst macht er eine Bemerkung zum Gelächter.
Ah, ah, Onkel Tibi. Sieh an. Du hast so ein mauschliges Lachen. Könnte es sein,
moschno, dass du auf das Ganze pfeifst? Und ist es gut, solche Kapriolen zu schlagen,
so kurz vor der Rente? Das Lachen erlischt, doch die Papiere auf dem Tisch des Alten
haben bereits geflattert. Ihre Bewegung ist nun dissonant. (Onkel Tibis Tisch ist
immer voll: mit Papieren, Tableauplänen, Schriftbildern. Nicht, dass er von den
Jungen abhinge, und nicht, dass die Jungen von ihm abhingen; nein: sie sind
unabhängig voneinander, nichtsdestotrotz mag es Onkel Tibi, wenn alle wissen, dass er
schon um sieben drin ist und die Arbeit auf seinem Tische nur so spritzt. Wisst ihr,
Jungs, sagte er bei einer Gelegenheit vertrauensvoll, bei den Fliegern gewöhnt man
sich ans frühe Aufstehen. Dort ist der Spruch im Umlauf: Sonne auf: zum Pferde lauf!
Unter einem Pferd versteht man, das muss ich nicht extra erwähnen, kein echtes Pferd,
sondern die Maschine. Die Macchina, wie wir sie nannten. Der arme Horthy junior.)
Lajos senkt die Stimme, als plante er intime, beschwichtigende Worte. (Das ist
bereits der Scherz.) Ich möchte nicht, dass du mich missverstehst, Onkel Tibi. Ich
bin noch jung, vieles kenne ich nur vom Hörensagen. Ich bin alt und kenne vieles auch
nur vom Hörensagen, der Alte Tibi lacht. Seine braune Haut hat einen gesunden Glanz.
(Ein Liebhaber des Skifahrens.) Schau, ich möchte nicht, dass du mich missverstehst,
aber sag, wäre es nicht möglich, dass wir heute die Deutschen
etwas einseitig beurteilen? Und erzählt, dass er konkret an Hitler denke, erwähnt die
Autobahnen, die noch immer Autobahnen seien, auch in der DDR!, er sehe ein, es sei eine hässliche Sache gewesen mit den J...n, eines
Gentlemans unwürdig, man hätte daraus überhaupt keinen Kasus machen müssen, dabei
waren das gute Soldaten, wenn es das Benzin der Amerikaner nicht gegeben hätte, wären
Grisa und seine Leute nicht weit gekommen, echte Soldaten, kaltblütige Fachleute, und
mal ehrlich, was konnte man nach dem Frieden erwarten, den die Franzosen
zusammengeschustert hatten, stellt der junge Mann schließlich die Frage, anschließend
distanziert er sich vom Vertrag von Versailles, darüber solle man gar nicht reden,
denn er wolle nicht politisch werden, aber um zurück auf die Deutschen zu kommen, die
wussten noch, was Disziplin ist, da gäbe es Ordnung hier, ho-hoo, aber wie. Er
verstummt. Ich weiß nicht, ob ich das richtig sehe, Onkel Tibor! Tibor Tóth geht los
Richtung Tür. Als würde er nicken. Seine Hand schleift an Lajos’; Schulter entlang.
Sobald er draußen ist, johlt Lajos grausam los. Der alte Faschist! Wenn er sich
erregt, geht er immer aufs Klo, sagt Tomcsányi sachlich;
n
Genossin hier, Genossin da zur
kleinen Monroe, schaffst du das neben der Arbeit, Genossin, wir hoffen, du nutzt es
gut, Genossin. Als ob ich kein Genosse wär’; Sie werden dich auch nehmen, wenn du den
Stoff intus hattest, flicht Jancsika ein. Tomcsányi und Békési springen zugleich auf.
Und der Alte singt, ein bisschen knarrend zwar, doch temporeich. Jegyzet es gibt immer zwei Tische
Jancsi, dein Gretelein, ist ein fauls Schlamperlein,
wird nichts beschaffen,
Mutter, was denket ihr, grad so gefallets mir,
kann ich lang.
als Lajos Ádám ausruft: Die Homogenisierung bei der Materialausführung
werde ich denen noch mal in die Fresse schmeißen!;
als er den Telefonhörer abhebt und Schwefel, Blitz und Donner aus
diesem herausschlagen. Die Kollegen verstecken sich unter den Tischen. Ei, du
Lausbengel, darf man denn so ein hübsches Mädel zum Weinen
bringen? Der Alte bietet Marilyn eine Semmel mit Fleischwurst an, sie ihrerseits hält
dem Mann eine Tüte mit Neapolitanerschnitten hin. Das braune Papier der Tüte ist von
Fett durchdrungen. Aus dem Knistern im Telefonhörer dringt eine schöne Männerstimme.
Ein seelisches Erfrischungsbad war das für mich, eine Luftkur, der Genuss von
Höhenluft nach dem permanenten Einatmen der schwülen Luft der Tagespolitik. Die Parsifal-Vorstellungen muss ich extra hervorheben, ein Werk,
das jenen Ort niemals hätte verlassen dürfen. Ich hatte früher schon, im Jahre 76,
die Gelegenheit, die Skizze der erhabenen Dichtung kennenzulernen; später sandte mir
der Meister auch den fertigen Text zu, mit einigen empfehlenden Zeilen. Ich muss
zugeben, bei der ersten Aufführung wirkte sie so fremd auf mich, dass ich nicht
sofort bis zum Verstehen gelangen konnte. Ich zog mich in meine Loge zurück, zwischen
die Tüchlein und Parfümerien und sagte immer wieder zu mir: Albert, Albert, wie dumm
du doch bist. Doch in der zweiten Vorstellung hob sich der Schleier und alle Dämme
brachen. Die Seelen waren von beispielloser Inspiration erfasst. Sein Ohr am
Telefonhörer: hoffnungsvolles Knacken folgt auf hoffnungsvolles Knacken;
als Gregory Peck eintritt, er hat eine Brille auf, seine Hand ist
tintenfleckig. Er macht den Eindruck eines Intellektuellen. Eines gebildeten Chefs.
Er nimmt die Anwesenheitsliste zur Hand, schaut sie sich an (hat sie in der Früh
schon gesehen), legt sie wieder hin, geht hinaus;
als er András zumurmelt: Diese Studie ist irgendwie so bürgerlich humanistisch. Schau dir zum Beispiel das hier an:
wenn der erforderliche Materialbedarf gewährleistbar ist;
oder das: auf diese Weise ist es vorstellbar, dass der Produktionsplan. Andris Békési kichert, versteht nicht
ganz;
als Tánya, die Kranführerin, eintritt. Katzenschnäuzchen. Ihr
Lippenstift ist frisch aufgetragen, ostentativ. Was schauen Sie, Imrilein? Sie,
flüstert der Junge geschickt, so, dass alle lachen, nur Tánya nicht. Die Nasenflügel
derselben erbeben. Jemand hat sich die Zähne geputzt. (Tobiás. Seine Zähne blitzen
und glitzern wie die der Ustaschas.) Ja, das ist eine geistreiche Antwort. Wenn also
überhaupt, dann kann man jetzt mit ihm zungenküssen. Im Wattemantel des Mädchens ist
ein Loch;
Bevor sie gemeinsam zum Mittagessen hinuntergehen - die Zeit dafür ist
gekommen -, treiben sie einen Spaß mit Imre. Was ist los, Alter, sie zeigen auf die
lange, zerzauste, blutige Taubenfeder, ist das der neue Parker? Da ist nichts witzig
daran, sagt Tomcsányi niedergeschlagen. Der KISZ-Sekretär
freut sich auch nicht gerade wie ein Schneekönig. In der Kantine stehen sie lange
Schlange. In der Kurve bemerkt Tomcsányi, dass am Kittel der vor ihm stehenden
Kollegin, in Höhe der Bauchgegend, ein Knopf fehlt, wodurch sich das weiße Leinen von
seinem Gegenstück löst und ein Spalt entsteht. Imre legt den Kopf zur Seite, kann
aber nicht feststellen, ob er den Bauch sieht oder nur die Kombinage. Später wird
seine Aufmerksamkeit vom Menü gefesselt, vom Menü A und dem Menü B. Die Frau im
Kittel sagt durch das kleine Fenster zur immer giftigen Köchin mit dem verschwitzten
Gesicht: Mein tiefstes Beileid, Icuka. Danke, sagt die Köchin. Ihre Augen sind
verweint. Icuka, da kann man nichts machen, nicht vom Wiener Schnitzel, Teuerste, so
grausam ist das Leben. Imre fasst Mut und verlangt Wiener Schnitzel für den grünen
Bon. Geht nicht, Ordnung muss sein. Vor lauter Ärger nimmt er keine Salzgurken mit,
dabei stünden die ihm zu.
Ihr Mann ist gestorben; hat Selbstmord verübt, weil ihn diese Pritsche
rausgeschmissen hat. Die Icuka? Um Gottes willen, nein. Tomcsányi kämpft mit den
Röhrennudeln; er würde sie gerne ansaugen, wie die Makkaroni, aber die Luft pfeift
durch die Röhrennudel - wie schon der Name sagt. Seine Geliebte hat ihn
rausgeschmissen. Ach so. Kein Mensch verurteilt Icu, dass sie ihre menschliche Würde aufgegeben hat. Da ist Logik drin, sagt die dicke Frau,
während sich ein Tropfen der ungesalzenen Kohlrabisuppe aus ihrem Mundwinkel auf den
Weg hinab macht. Aber hier geht es nicht weiter: er bleibt an einem Muttermal hängen.
Da ist Logik drin, wiederholt sie; tauscht den Teller. Drüben stellt sich Janka
Dorogi ungeschickt an, balanciert charmantlinkisch mit dem Tablett. Kein Platz, murrt
Imre sie an. Das Mädchen in ihrem Ehrgefühl wird rot. Ich habe kleine Pfeifchen an
den Schwanzfedern befestigt, sagt sie, und ich habe auch eine stark riechende
Flüssigkeit verwendet. Tomcsányi winkt ab. Der ständige Abschuss der Greifvögel
erweist sich als wirkungsvoller, sagt er laut, einigermaßen herausfordernd. Genosse
Brandhuber winkt ihm aus der Ferne zu, mit vollem Mund. Hast eine schöne Stimme,
junger Freund. Békési packt den sprungbereiten Tomcsányi am Arm. Mach keinen
Blödsinn. Wir sind nicht im Wald. Janka Dorogis Augen sind auf den jungen Mann
geheftet. Marilyn Monroe beäugt sie leutselig. Dieses fipsige Mädel mit den Zöpfen
ist doch keine Konkurrenz. Die Augen vielleicht. Die blitzen, schwarz, feurig. Wart
ein bisschen, sagt sie zu Janka, während sie die Esswerkzeuge einander scheinbar ohne
Logik näher bringt, wart ein Weilchen, ich überlasse dir meinen Platz. Danke, ich
finde schon woanders einen. Was für ein angriffslustiges Persönchen, sagt Monroe und kassiert die huldigenden Blicke ein. Aber in
Tomcsányis Mund ist das Linzer Kränzchen (Menü A) so oder so schon bitter
geworden.
Sie kehren in ihr Zimmerchen zurück, zum Schauplatz der Positiva und
Negativa. Vorher macht Imre einen kleinen Umweg. Im ersten Raum hat er kein Glück.
Dort brechen aus dem Pissoir Kolumbácser Fliegen (simulia columbacensis) hervor. An
diesem Pissoir hat der
heiliche Georg
mit dem
höllisch Drachen gekämpft noch zu Zeiten
der Koalition oder des Dualismus, hat ihm den Kopf abgehackt und ihn in die Schüssel
geworfen. Aus dem Kopf des Ungeheuers kommen die schädlichen Fliegen daher.
Er wirft einen fragenden Blick auf einen neben ihm stehenden älteren
Kollegen. Sie machen dasselbe. Schau mal, du bist noch nicht lange in unserem
Betrieb. Nun wäre es aber gut, wenn du und deine Sorte immer mehr und mehr über die
Kolumbácser Fliegen undsoweiter wüsstet. Aber, weißt du, und paradoxerweise wäre eine
Unterhaltung darüber umso besser, unsere Generation kann darüber ebenso wenig reden
wie über eine Liebesnacht. (Aus dem auseinandergeris
senen Pferdekadaver schlüpfen Wespen, aus dem Rinderkadaver
Bienen.) Man muss bei der Verwaltung Bescheid geben, sagt er bereits drinnen, während
er sich die Hände wäscht. Klaut jemand Papier?, fragt Lajos. (Er denkt an Tóth.)
Nein. Imrulein, der Kaffee. Tun Sie keinen Zucker rein, es ist schon welcher drin.
Zwei Würfel. Danke. Aber da steht auch schon streng-scherzhaft Lajos Ádám, um das
Kaffeegeld einzukassieren. Tomcsányi polkt es heraus - chargiert ein bisschen, das
Mittagessen und der Kaffee haben seine Stimmung gelöst -; der»Schatzmeister« legt das
erhaltene Geld in ein riesiges, klobiges Blechkästchen. Auf dem Deckel ist ein
Relief, das einen Soldaten und eine Fahne darstellt; die Aufschrift lautet:
Ausgezeichnetes Bataillon. (Die Fahne weht siegestrunken, die Darstellung des
Soldaten ist primitiv, sein Gesicht ist selbst so noch entschlossen.)
Marilyn Monroe bringt dem Genossen Peck eine Portion hinein. Listiges
Häschen trumpft groß auf. Tomcsányi schaut sich das blutige Memento auf seinem
Schreibtisch an. Rührt nachdenklich in seinem Kaffee. Marilyn kommt hereingeschwebt,
richtet sich die Frisur. Imre, zum Rapport. Der junge Mann springt auf, als wäre er
geschlagen worden. Mach bloß keine Dummheiten. András Békési schaut ihn voller Wärme
an. Ádám zählt das Geld. Von der Tür wirft Tomcsányi einen Blick zurück. Was
geschieht jetzt?
Servus, grüßt er drin mit fester Stimme. Servus, antwortet Gregory Peck
und rückt ein Blatt Papier vor sich zurecht. Er kramt etwas. Es ist mir ganz recht,
dass du mich hast rufen lassen, sagt Tomcsányi angriffslustig. Gregory Peck bekommt
ganz runde Augen und spricht mit der Schwermut eines Fünfzigjährigen: Mögen dir Haare
auf deinem Rechte wachsen!
IV. KAPITEL. in welchem wir Aug in Auge mit einem zwiefachen
Intermezzo stehen
Tomcsányi zieht sich zusammen wie der Stahl. Seine geistigen Muskeln
sind sprungbereit! Kontert alles aus dem Stand! Alles, was gegen die Studie spräche,
alles, was die Falken bestätigte. Bleib locker. Du bist angespannt wie eine Jungfrau
auf ihrem ersten Ball. Stimmt es etwa nicht?! Genosse Peck kneift freundschaftlich
die Augen zusammen. Nein, es stimmt nicht, Tomcsányi bezieht Stellung. Gregory Peck
lässt die Finger über den Tisch laufen, als wäre er ein Piano. (Erklingt er? Nein.
Kein Beethoven, kein Bartók (ein Ungar!), kein Haydn.) Mir ist zur
Kenntnis gebracht worden, sagt er. Dann lenkt er ein. Spricht ins Telefon.
Liebe Marilyn. Zwei Kaffee, wenn Sie so nett sein wollen. Ja, wieder. Ein nettes,
gescheites Mädchen. Tomcsányi nickt. Gregory Peck räuspert sich und sagt dann, als
wäre es ein flüchtiger Einfall, ein bedauerlicher Zufall: Ich habe dich bei der
Maidemonstration nicht gesehen. Tomcsányi läuft rot an. Damit hat er nicht gerechnet.
Giacomo johlt laut heraus, Kamerad Beverly nickt vielsagend. Wenn ich Chef wär’,
fiept Giacomo leichtfertig, und die Backentasche des kleinen Hamsters verebbt, fällt
fast ein, wie die Wangen der Asketen oder der Heiligen. Ja, antwortet Imre subtil auf
die »Ich habe dich bei der Maidemonstration nicht gesehen «-Frage. Gregory Peck nickt
- er hält keine Standpauke, die Zeit der Standpauken ist vorbei er hat angemerkt, was
er anmerken wollte, und das war genau das, was es gebraucht hat.
Hoho, Freundchen, sagt Imre zu sich, du möchtest, dass ich vom Plan
zurücktrete. Komm, Alter. Gib doch nach. Lass in dieser Kleinigkeit nach. Davon wird
noch nichts weniger. Oder mehr, wenn man’s, hähähä, von der anderen Seite betrachtet,
nicht wahr. Und du siehst ja, die Falken ... Das sind Kräfte, auf die wir keinen
Einfluss mehr haben. Hoho, Freundchen, würde ich darauf sagen, aber warum soll ich
nachlassen? Es gibt keinen Grund für so eine Umständlichkeit! Verstehst du, keinen!
Schau, mein junger Freund, jeder tut einen Schritt machen. Ich mache einen, mach du
auch einen!
Marilyn Monroe tritt ein! Pahhh! Der Peck und die Monroe! Tomcsányi
reagiert das nicht ab, er setzt den hitzigen Dialog in seinem Inneren fort, manchmal
nickt er, schüttelt den Kopf; wenn es einen gäbe, der ihn beobachtete, würde dieser
ziemlich den Kopf darüber schütteln. (Ein interessantes Gedankenexperiment wäre es,
sich jemanden vorzustellen, der wiederum diesen Beobachter beobachtete ... Aber
lassen wir das.) Hoho, Kumpel, flüstert Giacomo, wenn ich der Chef wär’, wüsste ich,
was provozierendes Verhalten ist, und die weiblichen Angestellten wüssten es auch!
Eine ziemliche Erscheinung, gibt der zurückhaltendere Kamerad Beverly zu: Marilyns
roter Rock windet sich wie eine Siegesfahne um den prächtigen Unterleib; strafft und
lockert sich raffiniert. Was wollen Sie, schnauft Marilyn, und ihr gewölbter Schenkel
stemmt sich gegen den Schreibtisch. Ein Papier verrutscht. Gregory Peck greift
danach. Sein Händchen nah am Stoff des Rocks. Kommt er ran? Kommt er nicht ran? Die
Wirtschaftsberater schmatzen, Tomcsányi ringt. Du wärst Gruppenleiter. Der Grupleit. Das würde selbstverständlich auch fürs Gehalt
Änderungen mit sich bringen. Versuche bitte nicht, mich zu bestechen! Du irrst dich,
mein junger Freund. So wichtig bist du nicht! Das Geld ist kein Geschenk und keine
Korruption! Das bitte ich mir aus. Ich wäre beleidigt, hätte ich Lust dazu. Das Geld
würdest du verdient haben!! Wir brauchen dein Talent sehr. Der Kaffee schwappt über.
Die Nerven werden angespannt. Gregory Peck drückt sein Händchen heftig auf die
Tischplatte. Sein Blut pulst: in seiner Handfläche wechseln sich rote und blasse
Streifen ab. Marilyn sitzt. Sie seufzt; Peck hält sich schon
mit beiden Händen fest: damit ihn der Wind nicht davonträgt, dieser nach Menthol
riechende, warme, abgestanden-warme Lufthauch. Doch auch die Monroe wird nun vom
schweren Männerparfum gestreift. Sie atmet es selbstquälerisch ein. Saugt, saugt,
saugt es auf. Genosse Peck schaut wütend auf den Kaffeefleck. Er hält sich zurück.
Marilyns Beine sind übereinandergeschlagen. Sie wippt mit ihnen. Am Aufstützungspunkt
legt sich die Haut wieder und wieder in Falten. Ein wenig schwitzt sie dort auch. Der
Pfennigabsatz auf und ab. Wie ein Dolch. Wer wird diese Stille brechen. Die Hamster
rascheln. Sie sind nicht in Verlegenheit und tun auch nicht so, als wären sie es.
Dein Talent brauchen wir sehr. Du bekommst den Auftrag für eine kurzfristige, quasi zwei Jahre in Anspruch nehmende Forschungsarbeit. Wenn
ihr damit fertig seid, präsentiert ihr die Studie. Was für eine Studie. Mach keine
Witze; na die Studie. Aber die ist ja schon fertig! Fertig, fertig. Papperlapapp. Das
sind diese jugendlichen Übertreibungen, von wegen fertig. Von wegen los geht’s! Hand
aufs Herz: gibt es an dieser Studie nichts zu verbessern? Könnte man sie nicht weiterentwickeln? Nehmen wir zum Beispiel die Trägheit in der
Ausnutzung der Speicherkapazität. Das ist, um es, mein junger Freund, mit einem
Beispiel zu beleuchten, wie wenn aus Konfektionsware ein Taylor-Mantel wird.
Entschuldige, aber
Vergleiche
kann ich auch anstellen. Neben der Weiterentwicklung gibt es noch etwas, das dafür spricht, vorsichtig
zu sein. Das ist keine Vorsicht, das ist Verschleppung. Reiten wir nicht auf Worten
herum. Es ginge um eine einfache und notwendige Fristverlängerung. Aufschub.
Sabotage. Aber, aber, teurer Freund. Ach ja. Und noch eine »Kleinigkeit«. Pass auf.
Mit dieser Mehreinnahme würden wir unsere Plattform überschreiten, womit wir in einen
anderen Prozentsatz fallen würden. Mehr ist also in diesem
Fall weniger. Auf Betriebsebene gesehen. Imre murmelt: Argument auf Argument und
darauf ein Gegenargument.
Der Peck und die Monroe! Zerfleischen sie sich vielleicht schon wie die
wilden Tiere? Nein. Nichts löst sich. Gregory Pecks braunes Profil glänzt. Seine
Augenwinkel heben zu einem winzigen Tanz an: man sieht, er hat die Entscheidung
getroffen. Seine Lippen schwellen erotisch an. Hier aber springt Marilyn auf. Der
Stuhl schlittert kreischend nach hinten. Gegen Tomcsányis Knie. Hihi, johlt Giacomo,
wenn ich Chef wär’;, spinnt Kamerad Beverly seine Träume weiter, eingemummelt in die
Népszabadság.
Wem gehört dieses Büstenhalterlein?, fragt der eine Hamster. Und wem
dieses Unterhöschen, rümpft der andere die Nase. Von der Wand, aus einem goldenen
Rahmen, schaut Bunuel streng und spröde herunter, sowie ein Bild des Genossen
Szervácpongrácbonifác aus jüngeren Jahren. Was wollen Sie von mir? Pfui, Sie alter
Ziegenbock, Sie. Gregory Peck erhebt sich unheilschwanger. In ihm kämpft der
Wirtschaftsführer mit dem Manne. Sein winziger Schlips baumelt frei. Na, na, fängt er
drohend an, doch das Mädchen ist, wie ein (forscher) Wirbelwind!, bereits hinfort! Na
so was, sagt der Mann verwirrt. Entschuldige bitte, und er fängt an, hurtig die
Dossiers auf dem Tisch hin und her zu legen. Die einzelnen Dossiers der Reihe nach
mit A, B bzw. C bezeichnend (wobei es zwischen A, B, C keinerlei benennbare Ordnung
gibt), entstehen auf dem Tisch blitzschnell folgende Konstellationen:
Sobald die Endposition erreicht ist, springt Gregory Peck von seinem
Spezialstühlchen. Entschuldige, ich bitte dich, du siehst ja, ich komme sofort. Und
schon ist er verschwunden, spurlos.
Tomcsányi ist allein geblieben. Wenn er auch nicht von Zweifeln
übermannt ist, aber ... Er ist müde. Anders die beiden Wirtschaftsberater! (Kaum
ahnen sie ihr Scheitern. Sie fiepen, murrmurren,
kratzen,
zwitscheln. Das Zeitungspapier raschelt drohend unter ihnen. Sie schauen sich an,
Kamerad Beverly nickt. Er gibt das Zeichen. Nuffnuff, ihr trauriges Winseln ist ein
charakteristischer Farbfleck. Aufwääärmäään, dröhnt Giacomo. Aufwärmen. Sie grabbeln
zwischen den Salatblättern; Kamerad Beverly hängt sich an den Rand des Topfs. Seine
Krallen dringen ratschend in die Zeitung. Er neigt den Kopf. Schneewittchen und die
sieben Zwerge. Bearbeitung, flüstert ihm Giacomo zu. Bearbeitung. Und wer hat mein
Volksfreiheitchen genommen?
Jessas. Wo lernst denn du so was, kreischt der kleine Giacomo. An die
Arbeit, sagt der andere und lässt sich zurückplumpsen. Wenn ich. Giacomo verzieht
sich verschämt zwischen die übrig gebliebenen Fetzen. Hab keine Angst, fang an. Wenn
ich, tönt eine zaghafte Stimme von drinnen. Kamerad Beverly, der Ärmste, ahnt schon
etwas. Wenn ich. Weiter kommt auch er nicht. Giacomo gickert respektlos. Nuffnuff,
sprechen sie sich gemeinsam zu, verneigen wir uns, spucken wir die Körner aus, die
wir in der Backentasche haben, lass uns beherzt sein, unsere Stimme soll verständlich
sein, klar, nuff. Wenn ich. Wenn ich! Wenn ich!! Peinliche kleine Pause. Giacomo wird
von Wissensdurst erfasst. Lieber Kamerad Beverly! Warum führen wir unser Können nicht
vor? Warum tragen wir das Herz nicht auf der Zunge? So Giacomo. Kamerad Beverlys
Antwort ist traurig, trotz des scheinbar »belehrenden« Charakters. Deswegen, Genosse
Giacomo, weil uns zwar die Informationen zur Verfügung stehen, aber wir brauchen sie
nicht miss. Aber nein. Denn zwar passiert es noch, dass wir uns festfahren im
Fortschritt, aber das führt zu keinen Konflikten. Es gibt keine Konflikte. Es gibt
schöpferische Debatten, es gibt Meinungsunterschiede oder Meinungsabweichungen, die
gibt es. Es gibt auch einen gemeinsamen Nenner. Nach innen
debattieren wir, Genosse Giacomo, geben die Ansichten nicht preis, nach außen vertreten wir einen einheitlichen Standpunkt. Giacomo sagt: Ja.
Mein Gott. Wenn ich Chef wär’, wo nehm’ ich gar ein Kittelchen her.
Tomcsányi hievt sich beschwerlich aus seinem klebrigen Stuhl hoch, das
Kunstleder gibt einen ekelerregenden Ton von sich. In der Tür stößt er mit Gregory
Peck zusammen, der hastig herbeigeeilt ist. Sie begrüßen einander und treten beide
nach hinten, dann erkennen sie den Humor der Situation, lachen und treten nach vorne.
Imre macht von einer plötzlichen Idee geleitet eine Grätsche, die enge Jeans spannt
sich an den Schenkeln, dort, wo der Stoff schon gebrochen ist, langsam muss man ihn
stopfen. Gregory Peck läuft glücklich unter den gespreizten Beinen hindurch, wie
unter einem Triumphbogen. Imre schickt sich an zu gehen.
Imre, mein Lieber, bis deine Angelegenheit geregelt
ist, weswegen du dir kein bisschen Sorgen zu machen
brauchst, stehe ich, meinen Möglichkeiten gemäß, hinter dir, und, du hast es sehen
können im Konferenzraum, auch Miklós denkt mit Wohlwollen an dein Problem, solange
möchte ich dich mit einer kleinen Extraaufgabe betrauen. Auf den ersten Blick mag sie
vielleicht bizarr erscheinen, aber ich weiß, du irrst dich, wenn du die Nase rümpfst.
Die Arbeit erfordert Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Mut, Geistesgegenwart, lauter +
Eigenschaften. Eure Generation ermangelt sowieso solcher den ganzen Menschen
fordernden Situationen. Genosse Peck macht eine Bewegung in die Richtung der Hamster,
so, dass diese sie nicht bemerken; sie wären am Ende noch beleidigt. Sie ziehen die
Fliegen an, flüstert er. Imre nickt, ssss, nickt. Wenn du diese fangen könntest. Der
junge Mann antwortet diszipliniert. Das ist keine fachliche Aufgabe im engsten Sinne.
Nein, sagt Gregory Peck breitwandig und beginnt, seine Dossiers hin und her zu
legen.
V. KAPITEL. in welchem die beiden Goldhamster - nachdem sie
entschieden haben, was: nach innen hin und was:
n
nach außen hin ist -
den Leser mit einem unerwarteten Geschenk überraschen
Jegyzet Siehe Seite 46
Wenn die Welt ein Vöglein wär
Trüg’ ich sie im Kittelchen her
Nachts wie tags säng sie hell
Wenn die Welt ein Vöglein wär
Doch wenn die Welt ein Vöglein war
passt’ sie in kein Säcklern mehr
wo nehm’ ich gar ein Kittelchen her
wenn die ganze Welt ein Vöglein wär. (Sándor Weöres)
- ließe ich mir das Haar richten, die Hose bügeln, wäre mein Pullover
neutral, aber teuer, meine Frisur traditionell, aber makellos,
- ließe ich zum Appell blasen und überprüfte persönlich den Abstand
und die Deckung. (Eine »Deckung« ist dann vollzogen, wenn der Subalterne mit seinem
Auge, das in Richtung Einheitsführer zeigt, nur seinen Vordermann sieht und mit dem
anderen Auge nur die imaginäre Linie der Front, ausgenommen
die Gräfin Hahn-Hahn, die einäugig ist.)
-dürfte sich der, der mich »Großmütterchen« nennt, glücklich schätzen,
nichtsdestotrotz würde ich weder die Gesetze des guten Benehmens noch der Grammatik
verletzen, aber dies würde mir nur um den Preis einer gewissen Steifheit
gelingen,
- würde ich jedem Feuer unterm Hintern machen. (Es würde nach der
Pfeife getanzt; und: die Pfeife würde schön geblasen.)
- die personal, die possessiv, die reflexiv, die reziprok, die
demonstrativ, die relativ, die unbestimmt und die bestimmt sind,
- die tatsächlich, modal, unimorph, polymorph, die Raum, Zeit,
Zustand, Modus, die konstant, die Dativobjekt, die zusammengesetzt, die abweichend
gebeugt, die unvollständig sind,
- die sonstige strittige Fragen sind; denn eine Beleidigung ist in
Form einer Frage genauso gut zu begehen wie in Form eines Aussage- oder eines anderen
Satzes.
– dürfte den Kreidekreis, den ich um meinen Schreibtisch gezogen habe,
keiner übertreten, nur ich und die Putzfrau,
– ließe ich mich nicht mit »Genosse« anreden, sondern mit »Herr Chef«,
und ich würde jeden Anwesenden Genosse nennen, nur
Tante
Sári, die Putzfrau, nicht,
- hätte ich 7 Liebchen, 7 x 7 Chefs, ich wäre Mitglied in 7
Korporationen: Plenum des Gewerkschaftsbunds, Zentralkomitee der Gewerkschaft,
Gewerkschaftsvorstand, Gewerkschaftsleitung, Exekutivkomitee der Gewerkschaft
etc.,
- aber ich riefe schon zur frühesten Frühe, noch bevor ich meinen
Morgenkaffee getrunken hätte, via Telefongerät den Sekretär des
Herrschaftsorgans
n
an, welcher meine
kleine Schwester wäre, mein Freund, mit dem wir damals Hand in Hand die arglistigen
Banden ausgeräuchert haben, die versucht haben, das Rad der Geschichte
zurückzudrehen, der mein Onkel wäre, mein Schwager, mein Altvorderer, mein Sohn, mein
Pfleger, mein Putzmann, mein süßes Einundalles, aber ich würde gelassen bleiben,
Jegyzet den Parteisekretär
- und wenn das harte Schicksal es verlangte, würde ich schweigen und
reden, wäre ich mutig wie Mischka der Bär, würde ich auch meine Gegenmeinung nicht
verschweigen, wenn das harte Schicksal es verlangte.
- würde ich mich vom Magazinverwalter schmieren lassen, würde ich in
den leer gebliebenen Lieferkisten einiger Rechner (Computer!) Kaninchen halten,
Chinchillas,
- würde ich Hindernisse auf Schienenstränge legen, unter
Straßenbahnräder Würfelsteine werfen, dem Kraftwagenführer auf den Gasfuß treten,
Szilveszter Matuska hinten, wo im Sonnenschein golden der Flaum aufglänzt, auf den
Hals küssen,
- würde ich Gras für meine hasenzähnigen Kaninchen schneiden (den
laufenden Hasen würde ich in den Kopf schießen, würde mich nicht mit dem ganzen
verdammten Schrot herumärgern),
Ich, wenn ich Chef wäre, wüsste, was provokantes Verhalten ist. Die
weiblichen Angestellten nicht minder, ha, ha, ha. Ich wäre angemessen, seidig und
wohlgenährt, denn irgendeiner meiner Subalternen würde zwar auf dem Wege einer
Pressemitteilung ein namentlich nennbares Wirtschaftssystem und im Zusammenhang damit
das Verhalten der Staatsmacht gegenüber diesem System zum Gegenstand der Kritik
machen, und der Tonfall der Mitteilung wäre nicht sachlich, sondern sogar ziemlich
scharf, nichtsdestotrotz würde sie sich nicht so sehr gegen die Klasse richten, die
das System aufrechterhält, sondern eher die falsche Arbeiter- und-Bauern- (oder
Marktwirtschafts-) Politik der Regierung angreifen, indem sie erwähnte, was für
horrende Summen manche für eine Schachtel Zigarren oder für eine nächtliche »Fete«
zum Fenster hinauswerfen - über all diesem drückte ich die Augen zu, denn meine Augen
wären geschlossen: die Lider berührten sich!
- dürften die Knöpfe nicht lose hängen, selbst die Knöpfe der Frauen
dürften nicht lose hängen, aber sie dürften frei geöffnet sein,
- nichtsdestotrotz würde ich die Freiheit weder mit Füßen noch mit
Worten treten: Flachbrüstige - diese zu bestimmen ist eine schöne Aufgabe - dürften
sich bis ans Kinn zuknöpfen,
- und wenn eine Genossin behauptete, ein Genosse oder eine Genossin
hätte ihr die Hände festgehalten und ihr auf ihren Protest hin gesagt: »Das muss
geschehen, so unumgänglich wie der Tod«, würden mich, selbst wenn ich es gesagt
hätte, diese Umstände nicht erweichen, daraus kann weder Gewalt noch eine Drohung
abgeleitet werden, damit kann keine Angst erzeugt werden,
- wäre selbst ein Bordell ein Geschäftslokal, fünf Personen sind keine
Versammlung, drei Personen sind keine Gruppe, zwei Brandstiftungen sind nicht
»mehrere« Brandstiftungen, ein Zeuge ist kein Zeuge,
- würde ich den erhobenen Einspruch meiner Frau, als sie noch ein
Mädchen war, unter Berücksichtigung des Volksbrauchs als scheinbar erachten, ich
würde sie von hinten um die Taille fassen, sie auf den an Ort und Stelle
bereitstehenden Sandläufer werfen und mit ihr davonstürmen,
- würde ich meinem Kutscher die Anweisung geben, »hart einzupeitschen
«, und würde er sich infolgedessen der pflichtgemäßen Sorgfalt und der wegen der
Umfahrung der eventuell auftauchenden Hindernisse und Gefahren notwendigen
Aufmerksamkeit entziehen, dürfte mein Kutscher keinen Kuss auf die Stirn
erwarten,
- würde mein 5-jähriger Sohn Russisch-Extrastunden nehmen und
Deutschunterricht nehmen und Französisch- und Solfeggiounterricht und Schwedenbitter
nehmen, und er würde ganz passable Verse im Stile der sog. »Westler« (z. B. Dezső
Kosztolányi, Milán Füst usw.) schmieden,
- später würde ich bei meiner Gattin, nachdem ich sie fortgejagt
hätte, mit Hilfe einer an das Fenster gelehnten Leiter einbrechen und würde ihr, da
ich sie dort zusammen mit ihrem Liebchen anträfe, in den Bauch treten, damit sie
augenblicklich blutüberströmt wäre, anschließend würde ich, unter permanenten
Misshandlungen, das neue Paar mit Hilfe eines zerrissenen Büstenhalters
aneinanderfesseln und sie dazu zwingen, die staatliche Mietwohnung nach Mitternacht
und in der winterlichen Kälte, bekleidet nur mit einem Hemd sowie barfuß zu
verlassen; ich würde es nicht für ausgeschlossen halten, dass die Frau, meine Gattin,
infolge der erlittenen Bauchmisshandlungen an Bauchfellentzündung dahinscheiden
würde, wenn ich Chef wäre,
- aber ansonsten würden wir uns gut verstehen, zu ihrem Namenstag
würde ich sie mit Terpentin überraschen, wir würden zusammen zu den Luftschutzübungen
gehen, ich würde bei der sonntagvormittäglichen großen Wäsche helfen und würde am
Nachmittag, während sie ihre geplagten Glieder lange einweicht usw. (daran würde sie
seit 20 Jahren unter allen Umständen festhalten), in der Népsport lesen,
- würde ich schöne Literatur lieben, vor dem Einschlafen 15-20 Seiten
schöne Literatur lesen (Afghanistan ohne Schleier z. B.), die Strapazen gut ertragen,
wäre ich gesund, gäbe es mit meinem Gemüt keine Probleme, hätte ich in den letzten 15
Jahren nur Schnupfen gehabt.
- würde ich gegen die Rückseite der Röhre stoßen, aber ich würde nicht
nur auf den Schnapper schlagen, sondern am Rand bzw. an der Nut der Scheide hängen
bleiben,
- würde ich meine Untergebenen alle halbe Stunde zum Rapport befehlen,
würde ich die Beinarbeit der Frauen als für unter aller Kanone befinden,
- würde ich mich nicht verwöhnen, nicht in Milch und Honig baden, aber
wer mir zu Gefallen sein wollte, sollte wissen, was eine: Wolfsschlinge (Abb. 1) und
was ein: Weberknoten (Abb. 2) ist,
- und wenn dann einer aus reiner Begeisterung, d. h. umsonst, die
ganze Nacht Kohlen schippen würde, wobei der Schweiß seinen Rücken herunterlaufen
würde (welch Schweiß die Zeichnung der Donau, des Ob oder anderer Flüsse annehmen
könnte), während er vor lauter Kälte das Gefühl hätte, seine Hände wären aus Stein,
der zerschlissene Stoff des Handschuhs habe sich mit der aufgeschürften Hand
vermischt, und von überall her würde der übelkeiterregende Gestank des Diesels
herbeiströmen, während es ihm tagelang so vorkäme, als würde der Rand seiner
Nasenlöcher mit Kohlestaub bedeckt sein, und der Grund seiner Augen blauschwarz wäre
wie bei den schönen Frauen, dann sei ein jeder verpflichtet zu johlen, auch er
selbst, wenn er geht,
- und wenn dann einer auf dem Boden herumkröche wie der rechte
Verteidiger des SC Volán, und an seinen Lippen wären Gras und Schlamm, dann soll
dieser mich nicht verfluchen, sondern sich lieber harmonisch verhalten, der Stolz
eines ungarischen Untergebenen soll ihm anzusehen sein,
- denn andernfalls würde ich ihn antreiben, wenn ich Chef wäre, wie
Singer die Nähmaschine, der Schinder sein Pferd, der Teufel seine Großmutter,
- und wenn dann einer unter Umgehung des Themenführers mich finden
würde, und ich unter Umgehung des Themenführers ihm eine zum Rotwerden konkrete
Aufgabe und eine Prämie in Aussicht stellen würde, und nachdem der Themenführer sauer
auf den wäre, der ihn umgangen hat, und auf alle, die ihn umgangen haben, wäre ich
auch sauer mit dem, der mich gefunden hat.
- würde ich unsere 6oer Preiserhöhung auf 20 zurückschrauben, wodurch
wir den 4er Lohnmultiplikator herausbekämen,
- und ich hätte Kaderprobleme, aber ich würde einige aus dem
technischen Bestand zu physischen (Arbeitern) erklären und am Schopfe packen,
- hätte ich einen Arbeiterausweis, einen Jagdschein, einen Rinderpass,
ein Eilfrachtformular, ein Erscheinungsbild, eine Teilbefreiungsklausel, eine
Ermäßigung für Bahnfahrten,
- würde ich G. G. aufgrund von Fehlinformationen einen Brief unwahren
Inhalts in deutscher Sprache verfassen lassen, wonach er ein florierendes Unternehmen
betreibe und in seinem eigenen Haus wohne (+ 2037 Schillinge),
- würde ich die Fußbodendielen aufreißen und mich den
dahinschnellenden Tausendfüßlern hinterherwerfen,
- würde ich mich mit den Holzdieben einigen und bescheiden sowie
solide am Ast sägen, auf dem ich sitze,
- würde ich im Interesse der Berufung meines Neffen einen Brief
schreiben, in dem ich damit drohen würde, dass ich, wenn man meiner Bitte nicht
nachkäme, den Ministerpräsidenten davon unterrichten würde, dass alles mit
aufgeblasenen Taugenichtsen und deren degenerierten Abkömmlingen vollgestopft
wird,
- würde ich abwälzen, zurückfallen, Verstoß sein, Feldfrevel und
Wiederholungstat, Hacke und Spitze, Begünstigung einer Straftat, rechtliche
Einheit.
- würde ich mich an die gestoppten Investitionen erinnern, die damals
jeder für gut und wichtig gehalten hätte, und auch wenn die Leitung ein wenig an
Gigantomanie gelitten habe, sei die Stimmung damals gut gewesen, man habe sogar
Picksalami bekommen,
- würde ich mich an meine frühe Mitgliedschaft bei den Jungen
Kommunisten erinnern; heute hingegen sind die von der KISZ
zu ernsthaft, zu erwachsen, ihnen fehlt der verspielte, jugendliche Elan,
- würde ich einige stärkende, kreislaufanregende, erfrischende
Bewegungen ausführen und ausführen lassen, wovon mich weder Schnee noch Matsch noch
Nieselregen abhalten könnten; das kameradschaftliche Mitgefühl würde ich mit Spielen
fördern, wie dem Kolbenspiel, dem Bockspringen, dem Werbetanz, dem Kavallerieangriff,
der Lauschübung, dem Seilspringen, dem Handball, dem Volleyball (aber wir würden nur
»ein bisschen herumbaggern«), dem Schleuderball; die Heiterkeit würde mir am Herzen
liegen, aber die Naivität würde ich zu vermeiden suchen; ich würde »Hoch mit den
Knien! Hüpfen! « mögen.
- aber wenn jemand im Laufe eines spielerischen Ringens, während das
Durchschlagpapier durch die Lüfte fliegt, das Blaupapier segelt, die Schreibmaschine
knattert, das Telefon explodiert, dem anderen den Hals so zudrückte, dass dieser an
einem Gehirnschlag als Folge von Erstickung auf der Stelle verstürbe, würde dieser
Jemand keinen Stirnkuss von mir erwarten können,
- hätte ich meine Probleme, ich hätte ernsthafte Probleme: namentlich
: innere Probleme und äußere Probleme, Erstere namentlich objektive Probleme und
subjektive Probleme,
- würde es mich, obwohl ich nicht spürte, dass ich verloren wäre,
nicht erfreuen, wenn meine Angestellten meinen durch sie zerstochenen und
ohnmächtigen Körper in das Wasser des kaum zwei Klafter tiefen Sajó werfen würden,
doch ich würde infolge des kalten Wassers sogleich mein Bewusstsein wiedererlangen,
und ich hätte genug körperliche Kraft und seelische Gesammeltheit, so dass ich nicht
zögerte, mich aus den strömenden Fluten des Flusses zu befreien; damit hätten meine
Untergebenen aber nicht gerechnet, und ich würde schmollen.
- an meinen Ohren würden Goldringe hängen, jeweils zwei, welche bei
jedem meiner Schritte sängen und klängen,
- würde ich mit meinem Detektorenempfänger die Sendung Auf der Wellenlänge der Musik hören, würde mich freuen, wenn
Hédi Salánki die Redaktorin wäre, und würde vor allem aus den Melodien des
Stefanovits-Quartetts neue Kraft schöpfen,
- würde ich Stein und Bein schwören (Überstunden, Höchstlohnbefreiung,
Lohnmenge, Zielaufgabe, Subbotnik, Sonntagnik, Sanktnimmerlein),
- würden wir das Hauptgewicht auf ein strammes, untergebenenmäßiges,
begeisterndes Erscheinungsbild legen,
- doch dann würden wir unter furchterregendem Hurra-Gebrüll
übereinander herfallen (hier könnte man nur siegen oder sterben),
- würde ich frostige Telefonate abwickeln, während ich dem stolzen
Flug der Falken hinterherblickte,
- wären wir ein Leib und eine Seele, und wer mit uns wäre, wäre nicht
gegen uns, wer nicht mit uns wäre, wäre gegen uns, nix Pardon für Jozef Veverka (dem
Ungarn muss das Raufen nicht beigebracht werden, dem ist das angeboren!),
- würde ich in die verschlungenen Gräben unserer Stellungen Reisig
schleppen und würde mich dort auskennen,
- würde ich beiläufig verblümen, irreführend schlaumeiern (eine an der
Seite hinausgehängte Mütze!, ohne Kopf!),
- hätten wir die Tendenz zur Tarnung im Blut, wir würden uns an das
Gelände anschmiegen (das kostet: Zeit und Mühe, aber: fruchtet
reich),
- würde ich das Geheimnis des Erfolgs im Erzeugen nächtlicher Panik
sehen, in diesem Fall würde ich nicht husten, aber wenn Schnee läge, würde ich einen
Schneemantel tragen, welcher weiß wäre wie der Schnee,
- wäre ich die Seele der Hauptabteilung, ihr entschlossenster Kämpfer,
lauthals würde ich anfeuern, mich mit einem für meine Heimat typischen Schneid
schlagen, würde mich auf Herz- und Bauchstöße sowie Kopfschnitte spezialisieren (ich
wäre ein »Spezialist«, und das wäre meine »Spezialität«), würde mich flink bewegen,
draufspringen, zurückspringen, abwehren, beiseitespringen, Fuß fassen, würde die
Nacht zum Tage machen und trainieren: aus ungedeckter, freier Stellung, aus der
Deckung usw.,
- doch wenn das Pferd mit mir durchginge und ich mich mit ihm
außerhalb der Sichtweite entfernte, verwundet würde, gottgebsnicht fiele, würden
meine Untergebenen dies ohne Verzug meinem Stellvertreter melden, der mit lauten
Worten meinen Platz einnehmen und seinen eigenen Stellvertreter benennen würde.
- aber wenn sich meine Wangen röteten und livide würden, würde man
meinen Kopf und meinen Oberkörper mit Kissen stützen,
- würde ich mit den Nerven am Ende sein, zuerst mit dem Verdacht auf
eine Thrombose, aber nein: »nur die Nerven«,
- würde ich den Trommler zu mir befehlen, den Euphonisten, die
Flügelhornisten, die Pfeifer (»Es«-Pfeifer, »B«-Pfeifer), den Helikonisten, den
Tubaspieler, die Trombonisten, den Basstrompeter, den Posaunisten, sie mögen mir mein
Lied spielen, das Kommmeinhundhasso,
- würde ich leise und unenergisch ein Fass aufmachen, mit dem Ziel,
dass die Spitze der Fahne schräg nach oben und nach vorne zeigt,
- würde ich auf meinem strengen Bett liegen, dem man sich nur im
»Schritt« oder im »Lauf« nähern dürfte (Schrittlänge bei »Schritt«: 75 cm, bei
»Lauf«: 90 cm),
- würde ich mein Herz ohne jede Gewalt für das Gute gewinnen,
liebevoll mit mir umgehen, wäre ich das Augenlicht der apostolischen Seelen,
- würde ich mit starker Hand die geschmacklosen Nachrufe vor der
Ausartung bewahren, vor der Lobrede auf die Verwandten, der Aufzählung der
Verdienste; ich würde das Volk langsam, aber sukzessive dazu erziehen,
- würden mir noch zwei Sachen einfallen: dass der Stand der von der
Hauptabteilung Rechentechnik geschenkten Pferde zum Zwecke der Entwässerung nach
hinten abfallen soll, und gleichwie würde ich verbieten, dass die Angestellten weder
bei der rattenartigen Flucht, noch weil die Arbeitszeit zu Ende gegangen ist, den
Paternoster in Anspruch nehmen, ich würde mir ausbitten, dass sie sich per Fahrrad
fortbewegen, die Mitte der Lenkstange im Vogelgriff umfassend,
während des ungezwungenen Sitzens mit weichen Händen und ebensolchem Rückgrat die
Schwankungen des Zweirads auffangend, ihre Köpfe würden sie charakterfest
hochhalten,
VI. KAPITEL, in welchem
Der Blick fällt, sofern er nicht verschämt ist (und diesen Luxus
könnte man sich nicht erlauben), als Erstes auf die Kuhlen des niedergesackten
Fleisches. Die rosafarbenen Wollstrümpfe, die stellenweise schmutzig zerfasert sind,
reichen bis zur Schenkelmitte; die starke Gummierung hat rundherum einen dünnen
Einschnitt ergeben. Dies gilt allerdings nur für das eine Bein. Am anderen ist der
Strumpf heruntergerollt, die beiden starken, charakteristischen Sehnen und das Netz
der Krampfadern in der Kniebeuge sind zu sehen.
Weiter oben münden die Beine in einen Hintern von ungeheurer
Größe. Es ist Tante Sári. Die Putzfrau wischt nach vorne gebeugt, in gleichmäßigem Tempo, die Fliesen.
Tomcsányi lehnt sich an, verspürt leichte Gewissensbisse wegen des Flurs; denn leider
trieft dieser vor Blut, in den kleinen Blutbächen, denen die fehlerhafte Fliesung
eine Rinne bietet, hat sich Ruß mit Ziegelstaub vermischt, wie Papierschiffe im
Andersen’schen Märchen schwimmen menschliche Glieder darin, eine Nase, Wimpern,
Daumen. Die Frau murrt, aber sie tut ihre Arbeit. Übereinander hergefallen wie die
Sau über die Appelkrotze, sie deutet mit dem Kopf Richtung Konferenzraum, während sie
das Aufwaschtuch in reichlich Wasser lange spült. Übereinander her, sagt Imre
Tomcsányi zartbitter. Und, wird das Gehalt erhöht ? Warum sollte es, der junge Mann
ist von der Frage überrascht. Die Frau richtet sich auf, lässt das Kreuz knacken.
Weil’s niedrig ist, Goldstück. Der junge Mann nimmt einen tiefen Zug aus seiner
Zigarette der populären Marke Schwalbe. Aber wie ich sehe,
haben sie sich ganz schön geschunden,
Tante Sári deutet auf ein davonschwebendes Ohrläppchen. Es blieb kein Genosse auf dem
anderen. Passen Sie nur auf, widerspricht der junge Mann. Wenn wir die Studie finden
und sie brauchbar ist und sie sie anwenden, wird es hier nächstes Jahr eine Prämie
geben, wie man sie noch nie gesehen hat.
Die betagte Frau dreht sich ein wenig, andeutungsweise, zur Seite,
kratzt sich vorne am Schenkel. Für wen, Goldstück? Die Frage ist, für wen. Bevor sie
die Arbeit fortsetzt, schaut sie den jungen Mann lange an. Dieser läuft rot an. Sehen
Sie, Imrulein. Denken Sie nicht, dass man es vom Kübel aus nicht sieht. Man sieht es.
(Sie spielt auf die Falken an ...) Sie beugt sich über den Lappen, lässt sich mit
ihrem Gewicht auf ihn nieder, an den Rändern des Lappens tritt schmutzige, blutige
Brühe aus.
Hier tritt Graf Albert Apponyi an Imre Tomcsányi heran und
fragt ihn, wie spät es sei. Genauer gesagt fragt er, ob es denn schon
ein Uhr sei. Ich
habe vorgestern um zehn Uhr zwanzig meine Uhr der Uhr des Polytechnikums angeglichen,
aber es hat sich schon gestern Mittag um elf Uhr eine Differenz von neun Minuten
gezeigt. In der kirchengleichen Stille klingt seine schöne, sonore Stimme wie eine
Glocke. Sein Kopf, welcher einem namhaften englischen Pferd ähnlich ist, streckt sich
würdevoll, ruhig aus seinem langen Hals. Stellen Sie sich doch bitte ein bisschen
beiseite, sagt die Reinemachefrau und ächzt ausgiebig. Die schlanke, silfide Figur
des Grafen vollführt eine subtile Bewegung. Obwohl die Chancen, die ominöse Studie
aufzuspüren, nicht die besten sind, lächelt Tomcsányi, als er die Aktionen und die
Reaktionen von Putzfrau und Graf sieht, welche auf der Gleichheit der Menschen
basieren. Eine erinnerungswürdige Parteigruppensitzung kommt ihm in den Sinn. Er, wie
es seinem Alter angemessen ist, schwieg und beobachtete. In der großen Stille rief
auf einmal Miklós Horváth mit hoher Kopfstimme: Die Betriebsdemokratie ist kein Werk
des Parteisekretärs, Gott verdamm mich!
Tomcsányi zieht an seiner Schwalbe, die
Zigarette glimmt ein letztes Mal auf. Wohin soll ich sie werfen, fragt er listig die
Putzfrau. Was interessiert’s mich, sagt die Frau mürrisch und beugt sich schützend
über ihren Eimer. Der Graf erahnt etwas von der Spannung zwischen den beiden
Menschen, welche sich aus ihren gegensätzlichen Interessen ergeben hat, und zieht
sich angemessen zurück. Ein schöner, hochgewachsener Mann, wie die Oppositionellen im
Allgemeinen. Aus dem Zimmer Nr. 903 tritt Marilyn Monroe mit einer Akte unterm Arm,
fast rennt sie den Grafen um. Ihre Braue - der Mann wundert sich. Und wie üppig ihre
Achselbehaarung ist. Tatsächlich: die Oberkante der Papiere verschwindet partiell
dort, was ein Zeichen für eine gewisse Undiszipliniertheit am Arbeitsplatz ist; es
ist nicht wahrscheinlich, dass jenes Nass den Papieren guttut. Ohne ein Lächeln geht
Marilyn um den Mann, den Anführer der Opposition, herum. Der macht einen unsicheren
Schritt, der blonden Frau hinterher. Er ist noch ledig. Die Köpfchen der Damengalerie
neigen sich neugierig nach unten, wenn sein feines, nicht schönes, aber verlässliches
Gesicht sich erhebt. Die Frauen sind, da kann man machen, was man will, alle
Oppositionelle. Ein wundervolles Bild entspringt dort oben manchmal. Die reiche
Farbenpracht, gute Laune, Lebendigkeit, die vielsagenden Fächer, die stets in
Bewegung sind, auf ihre Bewegung hin entsteht ein richtiger kleiner Wirbelsturm.
Außer der Tatsache, dass Herzog Gyula Odescalchy - ein Freund der Rosen - und seine
Partei ihre bare Freude an der Damengalerie haben, hat diese auch einen praktischen
Nutzen. Während der einen oder anderen langen Rede kann man sich verheiraten. (Seit
Jahrzehnten frequentierte ein wunderschönes Geschöpf die Galerie. Eine schöne,
hochgewachsene Frau von stolzer Haltung, mit einem würdevollen, edlen Gesicht. Ein
paar schelmische Abgeordnete gaben ihr den Namen Hungaria. Im Verlaufe von zwanzig
Jahren ist die schöne Frau natürlich älter geworden, hat viel von ihren Reizen
eingebüßt, aber sie ist immer noch regelmäßig auf der Galerie. Ein paar noch
schelmischere Abgeordnete fügen ihrem Namen nun hinzu: Hungaria, nach dem
Tatareneinfall.)
Die junge Frau hat die Tür des Genossen Peck erreicht, schaut
grimassierend, verschwörerisch zu Imre Tomcsányi zurück, der noch nicht
herausgefunden hat, wie sein Gespräch mit Tante Sári zu beenden ist.
Tante Sári wird es finden: Gehen Sie, Imrulein, tun Sie Ihre Arbeit. Sie müssen hier
keine Ehrenwache halten. Tomcsányi wird grundlos verlegen, was selbst die erfahrene
Frau missversteht: Oder sind Sie von der Kontrolle?
Marilyn Monroe richtet ihren Rock, dreht ihn sozusagen um ihre Taille,
holt Luft, streicht sich über die Rippen. Visite, denkt Apponyi, mehr oder weniger in
zutreffender Weise. Er steht ziemlich nahe bei Tomcsányi: bezieht den Blick der
jungen Frau auf sich. Mit seinen großen, schwankenden Schritten, wie eine elegante
Schaluppe, eilt er den Flur hinunter.
Marilyn lässt die Akte auf den Tisch fallen; vorsichtig, nicht dass
der entstehende Lufthauch den gesamten Gregory Peck davonweht. Erneut beginnt ihrer
beider schweres Gefecht. Marilyn drückt ihr Knie gegen den Unterarm ihres Chefs.
Madame, flüstert Giacomo aus seinem schützenden Körbchen, während er vor sich hin
nagt, Madame, Ihr Arsch ist wie das Edelweiß. Marilyn blättert nervös durch das
Material. Hier, bitte, Genosse Peck. Danke, Marilyn, und er drückt seinen behaarten
Unterarm gegen die Kniescheibe. Schnaufen, Fiepen.
Hier kommt Albert Apponyi herein. Was wollen Sie, schrillt Genosse
Peck, rot angelaufen. Pardon, meine Herren, sagt der Graf mit
der Diskretion von Jahrhunderten und geht rückwärts wieder hinaus. Brett ran,’s
zieht, Kumpelfreundchen, ruft ihm Giacomo hinterher. Sein Bärtchen zittert vor
gespielter Erregung, dieser Rüpel.
Der Graf, als hätte man ihn auf die Nase gehauen, steht verdutzt da.
Aber das Leben zieht weiter. Die Nasenflügel des Grafen er
zittern. Der Blick ist frei,
fliegt wie der Geiervogel und ist ein winziges bisschen manipuliert. Quelle
finesse!
n
Jegyzet Franz.: Was für eine Finesse!
Hinaus nur, hinaus! Die Donau. Über der alten Donau kann man gen Abend
wie am Morgen den Nebel beinahe beißen. Schiffe sind auf dem großen, fürstlichen
Fluss nicht zu sehen, doch man hört sie. Die vielen Propeller knattern und pfeifen,
zur Erheiterung des Publikums. Schwache Sonnenstrahlen mühen sich, diesen bitteren,
grauen, großen Schleier Gottes zu trocknen. Der Sonnenstrahl ist: ein Funken, ein
Versprechen, ein vorauseilender Bote, der die starren Wiesen anhaucht, starre Herzen
zu wecken sucht und vergeht wie ein Traum.
Also, was die Donau anbelangt, weilt sie in ihrem alten Zustand, nicht
einmal der
Krach
auf ihr hat sich verändert. Langsam,
würdevoll wälzt sie sich dahin, wie die »ewige Uhr«, der »die Zeit nur eine Dienerin
ist«. Dass sie von zwei neuen Kettenbrücken gesattelt wird und dass sie die
Ungarische Dampfschifffahrtsgesellschaft nicht mehr auf dem Rücken trägt, kümmert sie
nicht. Wasser ist ein unempfindliches Element. Beidseitig betrachten sich prächtige
Paläste im Spiegel des Flusses, und weit, weit weg, so weit das Auge reicht, sind überall Türme, Kuppeln und Schlösser.
Groß ist das Getön und das Brausen, das die Menschheit hier vollführt,
dieser ewig eilige Schwarm, der sich fremdlich kreuzt, aneinander vorbeirauscht,
einer wie der andere ein unlösbares Rätsel.
Wohin eilt er, was für Wege beschreitet er, wonach strebt er, wer
könnte es sagen. Ein Comfortable ruckt vor das Bahnwärterhaus der Österreichischen
Staatsbahn, auf dem Holzbelag der Sugár-Straße stampfen stolz die Hufe der Pferde,
Simon Holzers Warenhaus für Damenüberzieher ist schon geöffnet, Hunde verschwinden in
dem einen oder anderen rätselhaften Hof, der Parapluie dreht sich, der Parapluie
dreht sich ...
An der Ecke zur Petőfi-Straße sitzt ein alter Bettler in asiatischer
Bequemlichkeit auf der Erde, hält seinen Hut in der Rechten vor das umherschlendernde
s. g. Publikum, so, dass der darin liegende gedruckte Zettel folgenden Inhalts auch
von weitem noch gut zu lesen ist: EIN ARMER TAUBER MANN BITTET 1
KR
.; wie es aussieht, ist diese Drucksache recht einträglich. Es
ist eine sehr schöne und beruhigende Sache, dass dieses »große Dorf« sich so schnell
zu einem New York herauswächst - zumindest auf dem Gebiete des Humbugs.
Am besten aber hat es der Damenschuster. Wovon verträumte Dichter,
schwärmerische Verliebte nur selbstvergessen phantasieren: von winzigen,
biskuitgroßen Füßchen - vor ihnen zeigt sich diese göttliche Wirklichkeit ohne den
Schleier von Sais. Sie können sie sich anschauen, sich an ihnen erfreuen, können mit
schmalen, langen Papierstreifen ihre Länge, Breite und Rundlichkeit abmessen.
Gemeinhin ist es der alte Majster, der die feinen Strümpfe streichelt, während der
junge Bursche sich mit dem Schauen begnügen muss - und das auch nur, wenn er dazu
kommt. Er wünschte sich, er selbst dürfte die 2r
jenes anmutigen
Fußes konstatieren (der Umfang des Fußes: der Radius mal zwei mal die Ludolf’sche
Zahl), mit dem der Alte so gleichgültig umgeht und den seine Besitzerin dennoch so
ängstlich zu verstecken sucht! Hei, wenn er selbst einmal Majster wird!
Die Budapester Schaufenster sind wahre Stundenzeiger der Zukunft (es
ist immer die Händlerwelt, die die Gegenwart am treuesten widerspiegelt):
Reiherfedern, Adlerfedern zeigen sich in den Blumenhandlungen, glänzende Agraffen,
diamantene Spangen, antike Fangschnuren funkeln in den Auslagen der Juweliere.
Vor Monaszterlys Schaufenster ist ein regelrechter Volksauflauf, wo
das Publikum über die Toilette der Grafen Károlyis staunt, welche ein Vermögen
wert.
Die besten Hosenträger sind die Argosy-braces. Laut der Statistik des Hl.-Rókus -Krankenhauses sind nach der
Behandlung mit der bei Gicht, Gelenkrheuma, rheumatischen Kopf-, Zahn- und
Ohrenschmerzen sowie bei Verstauchungen und Schlagschwellungen außergewöhnlich
wirksamen Medizin namens Reparator von 136 Patienten 129
geheilt und 7 in gebessertem Zustand entlassen worden. In Dr.
Leitners mit allen Hilfsmitteln ausgestatteter Ordination
(Dob- Str. Nr. 18) werden geheime Krankheiten, sämtliche
Folgen der Selbstbefleckung, Unvermögen, Strikturen, weißer
Ausfluss und alle Frauenkrankheiten gründlich und schnell geheilt, auch brieflich,
ohne dass der Patient in seiner Berufsausübung behindert wäre. Gummi! Mit Garantie echte Pariser »Spezialitäten«
Gummis und Fischblasen 3 Frt-6 Frt das Dutzend. Bouts americains
(Capotes) 3 bis 5 Frt. Neu! Pely porus Präservativ für Frauen 2
Frt. Pariser Damenschwämmchen 2. bis 5 Frt. Discretio!!!
Man sieht: Scherze, Heiterkeit, Lebendigkeit allerorts. Alle sind eine
große Familie, welche lediglich ein Haustier souteniert. Nicht den zweiköpfigen
Adler, sondern die »Blaue Katze«. Langsam - jedoch - ändert sich alles (nur Aldzsi
Beöthy ändert sich nicht). Unter die gemütlichen patriarchalen Figuren mischen sich
nach und nach kleine Herren modernen Futters, die keine Zeit haben, am weißen Tisch
zu sitzen, die nächtens zu Hause bei sanftem Lampenschein Spencer und Bluntschil
lesen, oder welche, die umherrennen, hetzen, Geschäften nachjagen, Eisenbahnen bauen.
Diese können sich nicht verlustieren, ihr Kopf ist mit Zahlen voll. Alsdann kommen
die Streber, in allen möglichen Formen und Genres. Und der Streber, der klammert nur,
aber er lacht nicht. Der Streber hat einen geschlossenen Mund und eine aufgehaltene
Hand. Überall wimmelt und wuselt es, in den Druckereien wird der Text der Alben
gesetzt, die Poeten reimen, eingeschlossen in ihren Zellen, an festlichen Oden, die
Delegationsleiter komponieren ihre Reden, die Damen schärfen ihre Zungen.
Hach: aber hinauf mit der Zahnradbahn in die Burg! Vor sich hin
pfeifen, sorglos umherwandeln auf dem stillen Pflaster der Burg und die Augen
schließen, nicht dass der Blick noch auf die Hentzi-Statue fällt ... Aber beiseite
mit der Politik; bereiten wir uns keine Unannehmlichkeiten; überflüssig, viel darüber
zu schreiben, langweilig, viel darüber zu reden, es schmerzt einen das Haupt, denkt
man viel darüber nach. Wehmutsvoll erinnern wir uns der Zeiten, als Politik und
Literatur im nämlichen Feuer garten, an demselben Feuer. Wunderbar war damals der
Politiker und Dichter gemacht - gleichsam aus einem Stoff, wie der damalige Sechser
und der Zwanziger, in beiden waren sowohl Kupfer als auch Silber, nur dass in dem
einen das Kupfer überwog und in dem anderen das Silber ... Was einst Gewicht war, ist
heute eine Last. Und die derzeitige Generation wird von Erinnerungen in die
Stagnation niedergedrückt. Heute geraten Bartträger nicht mehr in den Verdacht, für
Kossuth zu empfinden, die Gendarmen halten einen nicht auf der Straße an und geleiten
einen nicht zur Wache (manchmal die »Träger« des Herrn Oberstadthauptmanns Elek
Thaisz; doch der Arme hat selbst mehr Kopfschmerzen davon als der, den er
hineinbegleiten lässt), endlich sind die schlimmen Zeiten vorbei: wir bleiben von
allein stehen, und die Schaufenster, wie gesagt, glänzen ... Das eine Wort, das an
der Spitze der Heere mit blitzendem Schwerte gedonnert hatte, jenes eine Wort -
»Vorwärts!« - bedeutet heute nur mehr friedlichen Fortschritt. Die Fahne von einst
flattert frei, gelöst im Wind, und Gewehrgeknatter gegen das Ehemalige hört man nur
mehr, wenn es zur Jagd geht. Aber davor fürchtet sich jetzt keiner mehr! Höchstens so
viel bemerkt der pflügende, aussäende Gödöllőer Bauer, wenn er es hört: Der König ist
wieder »daheim«.
Wir dürfen nun nichts mehr verlieren, nicht, dass die Verhältnisse
allmählich sich mit unserer eigenen Schussbartelei vereinigen und uns endgültig die
Matte unter den Füßen wegziehen. Die Nation ist zur Räson gekommen, ist es leid, nach
unerreichbaren Momenten zu greifen, kaum, dass der Frost im Finanzwesen etwas
nachlässt, schon entstehen haufenweise neue Gründungen. Das Volk kennt seine wahren
Freunde, wenn auch nicht zu jeder Zeit, doch stets in den Momenten der Krise. Die
Nation ist von neuem Herr über ihren eigenen Willen. Soll sie es offen, frei
aussprechen. Es lebe die öffentliche Meinung!
Unseren Handwerkern und Kaufleuten wünschen wir Ausdauer und eifriges
Streben, so wird die Zeit den Lohn ihrer Ausdauer und ihres eifrigen Strebens
erbringen.
Und sämtlichen Einwohnern unseres ungarischen Vaterlands möge der Herr
die Segnung des gegenseitigen Verständnisses und des Zusammenhalts zuteilwerden
lassen, denn nur dies vermag unser geliebtes Vaterland der während unseres mit
Frieden gesegneten konstitutionellen Lebens eingetretenen Wirren zu entheben.
Und schließlich und endlich möge der Herr über die Herzen all jener
kommen, die die Regierung unseres Vaterlandes verrichten, damit sie nicht mehr nur
wünschen, dass wir dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, sondern auch sie dem Volke
geben, was des Volkes ist. So wird der bittere Kelch der Revokation von uns weichen,
und unser schönes, ungarisches Vaterland wird glücklich sein und in konstitutioneller
Freiheit blühen!
(Selbstverständlich sind wir auf der Seite der Partei. Wir sind an sie
gebunden, durch die gemeinsame Zeit. Wir wollen, was diese sich auf die Fahnen
geschrieben hat. Und kann es einen auf ungarischem Boden geben, der nicht dasselbe
will? - Wir haben mit Personen nichts zu schaffen. Wir werden nur die Taten sehen und
nach diesen urteilen. Lasst uns unter einer Flagge stehen; die Zeit der Scherze und
der Leichtsinnigkeiten ist vorbei, zu opponieren zeugte nur den Deutschen gegenüber
von Schneid; heute hat sich die Welt mächtig gedreht, und von nun an soll es Schneid
sein, dass ein jeder mit Anstand das weiterführe, was ihm seine bürgerliche Stellung
aufgetragen hat: der Lehrer möge lehren, der Gewerbetreibende möge sein Gewerbe
betreiben, der Anwalt das Gesetz verteidigen, der Richter Gerechtigkeit walten
lassen, und keiner mische sich in den Wirkungsbereich des anderen.
Der Abonnementspreis für ein l/4 Jahr beträgt 1 Frt 50, für ein 1/2
Jahr 3 Frt. Wir bitten um die baldmöglichste Erneuerung des Abonnementspreises, damit
sich in der Versendung keine Verspätung einstellt.)
Wir treten Seit an Seit mit den Sonnenstrahlen zurück in den Flur. Der
Sonnenschein fällt in breiten Streifen durch die großen Glasplatten herein, tanzt
schelmisch über die dicken, grauen Teppiche, durchschneidet an mehreren Stellen in
einzelnen Goldbändchen auch die in der Höhe schwirrenden Rauchwolken. Einst war hier
ein fröhliches Leben. (Als die Menschen noch nicht so ermüdet waren von der
Verfassung.) Es gab weniger Eitelkeit und mehr Laune. Ehemals gab es einen großen
Unterschied zwischen dem linken und dem rechten Flurabschnitt. Ein »Tiger« wäre um
nichts in der Welt in den Flur auf der anderen Seite gegangen, denn gleich wäre er in
Verdacht genommen, er würde dissidieren, und auch den Mamelucken verschlug es nur
höchst selten linksseits, nur, wenn er wegen des »roten Zimmers« gezwungen war. (Denn
das rote Zimmer, wo die Minister ihre Zylinder und ihre Obergewänder ablegen, wo sie
flüchtige Audienzen geben und Beratungen abhalten, befindet sich auf dem linken
Flur.)
Die Menschen können sich weder ärgern noch freuen wie früher, sie sind
weder warm noch kalt, innen drin sind selbst gute Freunde Feinde, außen sind auch die
Feinde gute Freunde; mehr noch, hier, zwischen den freundlichen Rauchwolken, dem
betulichen Gewimmel, stecken sogar die Journalisten, diese zerzausten, zotteligen
Figuren, die angeblich von hier aus der öffentlichen Meinung dienen, die Köpfe
zusammen zu einem vertraulichen Geflüster. Der vorbeikommende Csernátony sagt ihnen
auch: So, so! Habt euch nur lieb, Jungs, andere lieben euch sowieso nicht!
Hier und da erklingt fröhliches Gelächter. Auch aus dem Buffet sind
Stimmen der Heiterkeit zu vernehmen. Das wird entweder Gyula Odescalchy sein oder der
Aldzsi. Schau, hier rollt auch Väterchen Göndöcs vorbei. Hurtig, man muss sich seine
Hand anschauen, wenn er den großen Diamantring trägt, heißt es, dass er reden wird. -
Selbst unter den herausragenden Rednern gibt es eine strenge Benotung: die Zigarette
für einen Groschen kann man schon für Horánszky wegwerfen, Istóczy ist eine Kabanos
weht, Grünwald eine Kuba, für Szilágyi sah ich die Leute unzählige Male halb
aufgerauchte Britannias wegwerfen, für Apponyi, Tisza, Jókai
werden prächtig ziehende Regalitas fortgeschleudert, doch
einen Orator, der es bis zu einem Bock gebracht hätte, hat
diese stiefmütterliche Zeit keinen hervorgebracht. - Dort neckt sich Mór Jókai mit
den Oppositionellen. Ihr habt es leicht, ihr legt euch immer mit reinem Gewissen
nieder; wenn ihr was Gutes beantragt habt, dann deswegen, weil ihr euch was Gutes
ausgedacht habt, wenn was Schlechtes, dann, weil sowieso nichts daraus wird.
Dénes Pázmándy hat eine besondere Antiquität mitgebracht, einen Stock,
über und über mit wundersamen Krickelkrakel-Schnitzereien bedeckt! Papa Pulszky
schaut ihn sich mit kunstverständigem Gesicht an. Das ist Bambus! Nein, das ist
Safranbaum, sagt der Besitzer. Ja, ja, tatsächlich Safranbaum, räumt Pulszky ein, das
sind aber hindische Schnitzereien darauf. Nein, das sind chinesische Buchstaben!
Währenddessen tritt Pál Hoitsy an sie heran und fragt: Was machen Sie da, Onkel Feri?
Ich habe diesen Stock für die hier bestimmt, sagt der Alte mit Grandezza.
Über den mit rotem Samt bezogenen schmalen Pritschen webten die
Spinnen nach Laune ihre Netze vom Plafond. Der naturliebende János Paloczay ergötzte
sich gerne an der Arbeit einer solchen Spinne, und als ein Diener diese einmal
herunterfegte, gab es ein großes Anfahren: Wie konnte Er es wagen, Hand an diese
Spinne zu legen? An die Spinne des Grafen Paloczay! Was soll ich jetzt dem Paloczay
sagen, wo sie hin ist?
Ich gebe zu, Apponyi lacht vor sich hin, dass
sowohl die Bezeichnung Vereinigte Opposition als auch Gemäßigte Opposition
offenkundig verfehlt ist, nicht nur, weil sie beide farblos sind, sondern weil sie
kein Prinzip und keine Richtung anzeigen, lediglich eine Lage. Eine ernsthafte Partei
kann nicht per se Regierungspartei oder Opposition sein, sondern mal das eine und mal das andere, je nachdem, ob
ihre Prinzipien sich in der Regierung verwirklichen oder nicht.
Die Anwesenden zerstreuen sich, in Gruppen oder Paaren, in
irgendwelche Ecken der Säle. Wer sich hier vollkommen unwissend hingesetzt hat, ist
eine Stunde später au fait in allem, was in den Theatern, den Bureaux, den Klubs, den
Redaktionen, den Boudoirs und in der »Blauen Katze« geschehen ist. Aber das alte
Frohgemüt, die Heiterkeit, die Ehrlichkeit, von denen die greisen Abgeordneten
erzählen, ist vorbei: nichts ist davon geblieben, außer dem »per Du«. Aber wie leer,
wie öde ist dieses Wort jetzt! Hajh, die modernen Zeiten, diese bösen, modernen
Zeiten! — Alles zerfällt in seine chemischen Elemente. Es wird wie die
Kronprinzenstraße zu Mittag, wo sich alle umdrehen, aber man nicht alle sehen und
erkennen muss. Es bilden sich kleine Coterien, die Zusammenhalten und die anderen als
nichtexistent betrachten. Die Großherren stecken die Köpfe separat zusammen, und
extra diskursiert das Heer der Lateiner, spinnt seine eigenen Kinderträume von einem
Rechtsstaat.
Die ehemaligen Nationalparteiler schmiegen sich mit rührender
Zärtlichkeit aneinander, wie die von einem Huhn angeführten Entenküken im
Hühnerlager. Die alte Mamelucken-Garde wechselt meist nur untereinander ein ehrliches
Wort - wenn sie sich vorher umgeschaut haben. Noch nie gab es so
viele Alte auf einem Fleck! Aber es gab auch allabendlich ein Gehuste, dass
man das eigene Wort nicht verstand. Äch! Diese heutige Generation denkt, das sei
immer so gewesen. Aber auf wie viele Sandbänke sind wir schon gelaufen! Mit was für
einer bangen Sorgfalt musste das gute Verhältnis zwischen König und Nation gepflegt
werden, besonders anfangs, als noch alles frisch war, sozusagen gallertartig. Hja, da
bedarf es großer Umsicht, bevor es sich zu Stein verdichtet! Die heutige Generation
weiß nichts mehr davon und kann ihre Dankbarkeit jenen Männern nicht mehr erweisen,
die mit geflissentlicher Wachsamkeit und weitblickender Vorsicht über das Schicksal
des Vaterlandes wachten, die auf einem Fundament, das wie ein zerbrechliches
Experiment schien, an der Angelegenheit des Gemeinwesens bastelten.
Oh , was für ein trügerisches Komödienspiel! Jeder Mensch bestand aus
zwei Menschen. In festlicher Pose waren sie moderne Menschen, vor heiligem Idealismus
glühend, die, mit den Ideen des Freisinns imprägniert, mit der leuchtenden Fackel der
freien Presse, des Humanismus in der Hand, fähig sind, ihr Leben und ihr Blut zu
opfern, um den göttlichen Lehren zum Triumph zu verhelfen; und zu Hause im Schlafrock
Blutsverwandte der alten Tafelrichter! Die Klauzáls, die Gorovs, die Mikós, und alle,
alle, wie sie da waren! Die Fahne, die sie hochhielten, war ein großer Selbstbetrug.
Aber eine heilige Lüge, an die alle glaubten! - Irgendwo in Padua, erzählt man sich,
habe es einen Turm mit vier gemeißelten Tauben gegeben. Der Aberglaube sagt nun,
dass, wer der leibliche Sohn seines Vaters ist, dort fünf Tauben sieht. Daher hielt
ein jeder Bewohner Paduas, der etwas auf sich gab, stur an der Behauptung fest, fünf
Tauben zu sehen.
Ein halbes Menschenleben: das ist viel Zeit; selbst die Erinnerung
ruht sich ein wenig aus, bis sie so weit zurückgegangen ist; aus den Kindern, die es
damals nicht verstanden haben, sind seitdem Männer geworden, aus den Männern entweder
stille, sich um nichts mehr kümmernde Tote oder vergreiste alte Männer, die wiederum
jetzt nicht mehr verstehen, was damals ihre Herzen höher schlagen ließ. Und auch die
veränderte Vaterlandsliebe hat sich seitdem eine neue Mode ausgedacht und bedeckt
ihren eigenen ausgebluteten Körper mit dem »Schleier des Vergessens«. Wenn sie es aus
Schamhaftigkeit getan hat, dann ist der Schleier ein recht dünnes Gewand nur, und
wenn sie es getan hat, um sich nicht mehr an die Zeit zu erinnern, als sie am
»glücklosesten « gewesen ist, kann sie leicht auch jene Zeit vergessen, als sie »am
größten« gewesen ist.
Am zwielichtigen Scheideweg, wo der Weg
zwischen Bücherschränken von einem Flur in den anderen führt, brennt mit einer
schmutzigen, rötlichen Flamme ein ewiges Gaslicht. Von hier aus gelangt man in das
zumeist leere Lesezimmer. Die zwielichtige Gasse ist gut für Flüsterer. (Es gibt
keine Geheimnisse. Wir wissen über alles gleicherweise Bescheid, weil keiner von uns
in irgendetwas eingeweiht ist.) Es sei denn, sie werden auch hier gestört durch sich
nähernde Schritte, Tipp-topp, Tipp-topp. Der brave Kőrössy hinkt mit Vorliebe durch
diese Gegend. Es gibt eingefleischte Kombinierer, die selbst bei den Worten des
harmlosen Ervin Cseh denken, hinter ihnen luge die Zukunft hervor. Ein großes
Rätselraten ist im Gange: Wer wird? Was wird? (Wer wessen Wolf?) Diensteifrige
Galoppinos rennen erschrocken. Die Blätter sind voll mit Kombinationen. Die »starke
Hand« bereitet sich auf die Wahlen vor, sagt man, und vervielfältigt sich. So viele
Namen werden lanciert. Ich habe heute Wlassics gesehen, und ich kann sagen, seine
Stirn war düster. Hm. Sapristi, das ist interessant. Wir teilen deine Ansicht nicht.
Es ist mir nicht möglich, den General in dieser Frage zu
unterstützen. Szilágyi ...! Szilágyi wird reden. Szilágyi hat
sich von der Tafel wischen lassen. Wo ist Szilágyi? Der General ist wütend. Eine
große Sache ist im Werden, der General stopft seine Kanonen ... stopft sie kräftig.
Wir teilen deine Ansicht nicht. Ich werde nicht dafür stimmen. Es klappt, das
klappt!
Niemals, rufen einige, niemals, niemals. (Ach, wie fürchterlich klingt
das, als würde Poes Rabe es sagen.) An unser Ohr, wie an das des Kálmán Thaly, beugt
sich Bercsényi, um rohe Wahrheiten zu flüstern (und wenn wir Kolonics auf der anderen
Seite sehen, bekommen wir vor Zorn blutige Augen). Neben unserem Vater Kossuth
toastieren, das können wir. Kurutzen sind wir bis zum letzten Blutstropfen, und
umsonst ruft einer: Deine Hosen haben ein Loch! - mit einem Labantzen- Flicken lässt
sich das niemals flicken! Mitbürger! Traurige Tage sind für uns angebrochen,
schändliche Zeiten, die wir erleben müssen; weniger geworden sind wir an der Zahl,
weniger im Glauben aneinander, weniger in der Liebe, in der Hoffnung, aber lasst uns
nicht verzagen! Oh, »tapferer Führer«
n
der ehemaligen »Mitte links«! Waffenniederlegung
damals wie heute, die Tatsache ist dieselbe, nur die Personen sind andere! Ein
schmachvoller Anblick, von dem sich jeder echte Ungar, der die Heiligkeit eines
gegebenen Wortes nicht á la mode zu verstehen pflegt,
schamgerötet abwendet.
Jegyzet Kálmán Tisza - wenn auch
ironisch (» die Red.« )
Na, na, na, na. Es wird nicht so heiß gegessen wie gekocht. Wir sagen
ja auch, dass Vaterlandsliebe eine schöne Sache ist. Alles ist schön und gut, was die
48er wollen. Aber es ist nicht erreichbar! Die Mutter, die ihr Kind vor lauter Liebe
erwürgt, mag zwar vor Gott, der die Gefühle kennt, entschuldbar sein, aber sündig ist
sie vor den Menschen.
Wenn sie das Vaterland lieben, sollen sie nicht am Zeuge derer
flicken, die für dessen Wohlergehen ihren Standpunkt opfern: man soll sie wirken
lassen, und man soll ihnen die schwere Arbeit, zu der man selbst unfähig wäre, nicht
noch bitterer machen.
Geruhen Sie zu glauben, was die politische Freiheit bei uns angeht,
eine größere Freiheit wäre gar nicht vorstellbar als die, die wir hier haben. Was
darf man denn hier alles nicht? Alles. Man kann jeden Regierungsmenschen einen
Halunken schimpfen, man braucht nicht einmal Courage dazu, jeder kann sich großtun,
da er weiß, dass kein Hund ihn dafür anbellt!
Nun, sagt dazu der, der nachdenkt, wo selbst ein Mensch mit so einer
Logik frei herumläuft, muss die Freiheit wirklich groß sein.
Ich habe Szilágyi heute gesehen, und ich kann sagen, seine Stirn war
düster. Er wird reden. - Szilágyi hat das Trikot angezogen, sagt man hier dazu. - Er
wird wenig Schwung haben, wenig Kolorit; doch einer, der über große Macht verfügt,
ist gefährlich, denn aus den Sophismen kann er Folgerungen ziehen, wie es ihm
gefällt. Bringt seine Partei auf, zerbricht seinen Gegner; wie der Schwarze Milan.
Zwickt oder pickt mit dem Schnabel in einem fort. Schnappt sich ein Mamelucken-
Küken, hebt es in die Luft und lässt es in der Höhe los. Hei, seine gewaltige Figur,
seine gewölbte Brust, sein Löwenkopf! Groß, unabhängig, kühn und frei ist er, wie es
sich für das Gewissen der Nation gehört. Und wenn er
n
sich abends, erschöpft, in der
Gesellschaft von Freunden, da das Thema ausgegangen ist und die bekannte, drückende
Stille sich eingestellt hat, wie sie häufig ist am weißen Tisch, wie ein Adler, der
auf Beute lauert, an Darányi wendet: Náczi, mein Lieber, komm,
behaupte etwas. (Was so viel heißt, Náczi, mein Lieber, du kannst alles auf
der Welt behaupten, was du willst, mir ist das ganz egal, ich werde deine Behauptung
in einem eine Stunde dauernden, interessanten, genüsslichen Diskurs
zerschmettern.)
Jegyzet in der
Chambre séparée des Erzherzog-Stephan-Hotels
Oben in der Höhe denkt Apponyi nach. Mein Betragen ist ruhig, meine
Bewegungen sind gemessen und malerisch, mein Vortrag fließend und ersichtlich, ich
bin ein Meister der Modulationen, und meine Gedanken gruppiere ich auf
abwechslungsreiche Weise. Ich habe eine vornehme, feine, wenngleich ein wenig
unungarische Sprache für mich herausgearbeitet. Ich bin glänzend, behandschuht,
distinguiert und feierlich; ich bin auch in Mode, auf meine zaubrischen Worte hin
entsteht ein Blumenwald oben auf der Galerie, meine Rede habe ich sorgfältig
vorbereitet und ausgefeilt - in der Opposition hat man Zeit für so
etwas -, das Assentieren scheint mich kein bisschen zu erhitzen, ich bleibe
ruhig, kühl bis zum Schluss, in meinem blassen, länglichen Gesicht entflammt keine
Röte, meine Augen funkeln nicht feurig, nur meine großen Nasenflügel scheinen rascher
zu beben und der Stift bewegt sich flinker in meiner Hand - die Rhetorgeneration ahmt
dennoch meinen großen und talentierten Widersacher, Tisza, nach ...
Unbegreiflich.
Denn man kann es sich leicht vorstellen, dass eine große Gesellschaft
die Toilette, die Bewegungen, den Tonfall des anmutigsten, feinsten Geschöpfs
kopiert, seine Art, den Kopf zu halten, das ist doch auch kein Wunder, aber wenn eine
Frau, die nicht hübsch genug, ja sogar ziemlich schlampert ist, das allgemeine
Begehren, ihr ähnlich zu sein, entfacht, dann muss diese über ein außergewöhnliches
Temperament und andere große Reichtümer verfügen.
Der Sonnenschein bei dem einen Fenster, klingeling, herein, bei dem
anderen eilig, wie die Hexen, husch, hinaus, und wir, als sein Gefährte, sind weder
drinnen noch draußen; wankend ist die Stimme des Kornél Ábrányi zu hören: Die
Vergangenheit kann nicht sterben, die Zukunft kann nicht geboren werden. Mit einem
Fuß betreten wir bereits die kleinen Wege, die die Bänke auf der Erzsébet-Promenade
umfließen, als uns dort noch eine kleine Unruhe, ein Flüstern erreicht. Szilágyi
intrigiert. Szilágyi trachtet nach der Führung. Apponyis reinblauer catholicus-Blick
zuckt, aber er sagt es sachlich: Oh nein. In ihm ist das Licht stärker als der
Schatten, die großen Eigenschaften überwiegen die Petitessen. Der Graf streicht mit
seinen langen »Klavierspielerfingern « über die Wand. Er schaut sie sich an, als
wären sie staubig. Mit lebhaftem Augenspiel sucht er nach einem Zuhörer-Publikum.
Wissen Sie, sagt er zurückgenommen, in mir hätte er einen echten, tiefen, bleibenden
Freund gefunden. Kurz vor seinem Tode sagte er ganz bewegt zu mir, er trauere um all
jene Jahre seines Lebens, in denen er mit mir nicht auf gutem Fuße stand. Auch ich
trauere um sie. In einer vergifteten Atmosphäre gedeihen ganz notwendig Verdächtigung
und Verleumdung. Wegen des vermeintlichen oder des echten Staubs reibt er den Daumen
gegen den Zeigefinger, so wie man »Geld« anzeigt. Tisza spekuliert auf die schlechten
Eigenschaften der Nation, deswegen ist er so stark, ich möchte ihre guten
Eigenschaften aufpeitschen.
Aber wir begeistern uns bereits auf der Erzsébet-Promenade! Die vielen
Kindermädchen! Aber es sind mehr Grenadiere denn Kindermädchen! Ei, für die
Begeisterung ist ein Táde Prileszky am geeignetsten: seine große Stirn erfüllt sich
mit Glanz und in seinen Augen gehen Lichter an - wann immer er will.
Die Wände sind in den Nationalfarben angemalt, in der Mitte des Saals
das Wappen Ungarns und Siebenbürgens, daneben ist das Bildnis Kossuths, und, auf der
anderen Seite, das Deáks gehängt; Letzteres vielleicht deswegen, damit er sich an
diesem glücklich durchgebrachten Dualismus erfreue. An den Tischen servieren
ungarische
Kellner
ungarische Speisen, das Aer ist
erfüllt von ungarischen Jauchzern. - Die schönsten Beleuchtungsapparate sind am Hotel
Hungária, am Stadthaus und an der Synagoge in der Dohány-Straße zu sehen, wo auf
Hebräisch und Ungarisch »Es lebe das Vaterland! « zu lesen
ist. Aus der Kirche tritt eine Jüdin. Oiweh, der Mieder drickt sie.
Moritzel, du bist übertroffen
. Wohin? Wohin? Auf den
Geldmarkt. Um diese Zeit? No ja: zum Ball des israelitischen Frauenvereins ... En
gordisch Knotten sollns di um dön Hols bendn! Soll dei Frau trei Monat lang strajkn
un zwonzig Stondn Vorgnügen van di vorlangn! An Adelstitl sullst kriegn! Un dei
Predikat soll sei: gewesener.
Hja, die »saison morte«, was kann man machen! Vergeblich sind die
schönen Damen der Haute Creme lediglich auf Visiten beschränkt! Sobald die mit
Gassternen bestickte Garderobe der Nacht sich über die Zwillingshauptstädte breitet,
legen sie sogleich das Korsett des Tages ab und zeigen ihr wahres Gesicht, welches so
feengleich ist, so betörend für das vollblütige Patriotenherz. Vergnügen und
Vergänglichkeit gibt es genug.
Fröhlich sprudelt die Polka, der Galopp, die Philister, Landesväter
und Demi-Mondes tanzen zu einem großen Knäuel geballt, in wahnwitziger
Geschwindigkeit. Oh, die Demi-Mondes! Da ist Miss Turtin, Lillancs Mányoki, da ist
Anne Pepita, Tilli Fehér, die einmal zu küssen, um welchen
Preis auch immer, zum bon ton gehört! Verdeckt eure Augen, ihr keuschen Jungfrauen,
und schaut nicht auf diese Zeilen. Ich schreibe über Frauen, aber nicht für
Frauen.
Denn was ist passiert? Die schöne brünette Vilma hat ihr Kleid nämlich
an der Seite aufgeschlitzt, die Röcke, und nur der Himmel weiß, wie weit, und wer ihr
seine Stimme gab (denn zur Eintrittskarte bekam jeder Mann einen Stimmzettel),
erhielt das Recht, in die magische Tasche hineinzulangen. Die Nachricht über diese
raffinierte Sache verbreitete sich schnell im Heer der edlen Männer, ein Geflüster
hob an. Wie, die Vilma? Und man kann also ganz hineinlangen? Eine goldige Idee. Und
die Männer, die erfahren waren, wie die Frauen bei Balzac, eilten zu Vilma. Ein
wahres Getümmel entstand um sie herum. Fi donc, was für ein Geschmack herrscht in
diesem Pest.
Der alte Andrássy sagte in seiner gewohnten hapernden Manier halb im
Scherze: Oft ist ein blondes Zimmermädchen mehr wert als eine brünette Königin, und
tätschelte das Gesicht der feschen Dienstbotin. Gyula, Gyula, mahnen wir ihn
ehrerbietig.
Die Dämonen mit dem Engelsgesicht springen um dich herum, trinken
ihren Rum, ihren Wein, ein feuriges Auge zwinkert dich an, rot gemalte,
genussversprechende Lippen werfen dir einen Kuss zu, im Tanzsaal drinnen ertönt ein
frivoles Musikstück, die Damen springen von ihren Plätzen auf und laufen zum Herz und
Auge schwindlig machenden Tanz. Auf! Es leben der Lustrausch und das Verderben! Deine
Tänzerin haftet an dir, im heftigen Drehen wird der Rock bis auf deine Schulter
geschleudert, und die Beine deiner Partnerin erzählen vielversprechend von jenen
Freuden, zu dessen Sklaven du dich gemacht hast. Noch einmal drücken, dann lässt du
sie matt davon, wo immer, ohne sie an ihren Platz zurückzubegleiten. Du Gimpel, du
Mistvieh
! Wenn er wenigstens die Farbe bezahlen würde,
die er mir vom Gesicht geleckt hat!
Na, und der Zirkus Renz! (Ich frequentiere ihn auch fleißig.) Hier
herrscht großer Lärm und Pferdegetrappel. Die Musik spielt, die Horne schmettern -
und die Frauen sind nur nackt schön. Applaus und Geschrei erklingen, auf einem wilden
Rosse sprengt Flóra daher, wie eine Göttin in der Manege. Die
Augen der Masse hängen lusttrunken an ihren Formen. Wie viel Anreiz, wie viel Huld!
Wie sie sich über den Hals ihres Rosses beugt und ihr goldfarbener Rock sich öffnet
und zu Flügeln wird, ich weiß, die Engel würden gern das Äußere mit ihr tauschen. Die
verschwenderische Pracht, die das Ballettpersonal entfaltet, würde selbst die Pariser
hinreißen! Und uns anspruchslose Budapester? Uns raubt sie den Verstand.
Die schöne Katinka Renz - o Schmerz - gibt es nicht mehr, und auch
Óceánia ist nicht wieder zurückgekommen. Dabei hat sie hier einst schöne Tage
verlebt. Graf E. B. hat ihr für ein Lächeln ein Geschmeide für zwanzigtausend Forint
geschickt. Und es ist, wie man sagt, bei einem Lächeln geblieben. Der Graf war ihr zu
wenig. Sie wartete auf einen Fürsten. Sie bekam auch den Fürsten. Selbstverständlich
war es ein russischer Fürst. Er hat sie verlassen. So sind die russischen Fürsten.
Die arme Óceánia. Jetzt ist sie die Geliebte eines armen Kaufmanns in Amerika und
trägt unechte Armreifen.
Doch nun zu einer anderen Sehenswürdigkeit: zu einem vier Zentner
schweren Mädchen aus dem Eisass, das in Buda für ein Entrée von zwei Sechsern und
ebenso viel Trinkgeld hergezeigt wird. Ein wahrhaft splendides Exemplar. Ihre Waden
sind so dick wie die Taille des alten Sramkó. Eine hervorragende Partie! Jeden Tag
kann man 50 Frt mit ihr verdienen. Ich empfehle sie dem jungen Béla! Wie viel
Personalsteuer sie wohl zahlen muss? Ich werde Bakcsi Bescheid geben, er soll beim
Finanzminister interpellieren. Er ist sowieso gerade auf »Tour«. Nicht der
Finanzminister, der Bakcsi.
Und was Sáfránys Dienststelle anbelangt, in der Úri-Straße, war dort
immer der Lieblingsgaffplatz für so ein halbelegantes Publikum, wie wir eins sind. Un
bon mot! Charmant! Dieser Pepi hat Witz. Es gibt ein Getümmel vor der Auslage, wo die
Damen mit den schönsten Gesichtern zur Schau gestellt werden - natürlich nicht in
echt, sondern nur fotografiert. Ein ernsthafterer Mensch findet natürlich kein
Amüsement bei so etwas. (Ich zum Beispiel, und wenn ich eine Million Gesichter sehe,
halte immer noch Laura Helvey für die Schönste.)
Ah, charmant! Mir gefallen die volkstümlichen ... diese beiden, wie
noch mal, was für Namen, mein Freund, was für Namen! Aha, Erzsike Fluck, Malvin
Kelemen, Gizella Abafi... Es leben die volkstümlichen! Oh, ah! Aber das sind doch
auch nur Mädchen! Des yeux de Szegedin!
n
Pikante Zulu-Sachen. Ah, liebe Freunde ... mon Dieu! Die größte
Erfindung des Jahrhunderts sind das gepunktete Tuch und die Strümpfe mit Tupfen! Ich
habe heute ein Dutzend bei Brachfeld gekauft...
Jegyzet Die Augen der Mädchen aus
Szeged!
Der Fiskal Sramko hat dafür ein großes Ölgemälde einer nackten Frau in
seinem Bureau aufgehängt (zur Entrüstung einer jeden niedergehenden Moral, denn die
niedergehende Moral liebt es, sich vor anderen ins Mäntelchen der Jungfräulichkeit zu
hüllen).
Auch das neue Zichy-Bild ist zu sehen - wenn auch nicht bei Onkel
Sramkó. Die Regierung hat wirklich eine redliche Sache getan, die Hervorbringung
eines solchen Werkes anzuvisieren. Dies unserer eigenen Partei anzurechnen sind wir
unabhängig genug. Diese traurige und doch erhebende Scene wird nie an Belang
verlieren, solange die Ungarn noch Ungarn sind ... aber von Zichy denken wir, dass es
ein großer Fehler war, zuungunsten der Wahrheit, der künstlerischen Gesinnung zu
huldigen, denn man hätte die Wirkung des Bildes weniger auf die künstlerische
Konzeption verlegen sollen als vielmehr auf die an sich schon genügende großartige
Wirklichkeit.
Trotz dieser unserer Überzeugung gehören wir nicht zu denjenigen, die
es für angebracht halten, die Grenzen der künstlerischen Licenz einzuschränken, denn
hätte Zichy die ganze trockene Wirklichkeit malen müssen, wäre als Beigabe zur
prachtvollen Gruppe statt der beiden Engel die Figur zweier sanfter (!) Drabanten
entstanden.
Doch es sei uns im Interesse der gesamten Literatur erlaubt, zu
beklagen, dass die Flugschriften der jungen Autoren nichts anderes darstellen als
vermittels ihrer Stimme und ihrer Gnadenlosigkeit »das Hinuntersinken in den Morast«
(Grimm und Horovicz).
Wäre doch die Nation ein einziges Ohr und ein einziges Herz. Und ich
wäre die Stimme, die sich in dieses Herz und in dieses Ohr einschleicht und Wurzeln
schlägt. Geben wir es ohne Umschweife zu:
der Ungar hat eine
instinktive Neigung zu Kálmán Tisza, auch dann noch, wenn er von ihm glaubt, dass dieser seine Prinzipien
aufgegeben, sein gegebenes Versprechen gebrochen hat und sein Ausgleich mit
Österreich ein empfindlicher Schlag für den materiellen Wohlstand des Landes ist. Er
schimpft auf ihn, hasst ihn vielleicht auch, und dennoch - er hängt an ihm.
Er hängt an ihm. Und die Nation verharrt lieber in ihrer
gleichgültigen Zurückgezogenheit; vermeidet, sich in die Bewegungen des politischen
Lebens hineintreiben zu lassen, schweigt, nur zu Hause, im Kreise der Seinen oder im
Casino lässt er seine Schmähungen gegen den Kabinettschef und seine Partei los. Liest
in den Zeitungen, nickt ab und an, wenn die Napló, die Közvélemény oder die Kelet Népe Kálmán
Tiszas Ehre in Fetzen zerreißt oder wenn Samu Róth über die »Veränderung der
Verteilung der Meere« einen Fachartikel schreibt; dennoch tritt er nicht mit jener
Offenheit auf, mit der die Nation ihr verdammendes Urteil zu sprechen pflegt. Darin
zeigt sich der nüchterne politische Instinkt der ungarischen Nation, den man ihr
nicht streitig machen kann.
Wir machen eine affektive Politik: wir glauben blind und verdächtigen
jene blind, denen wir glauben. Denn unsere Seele ist wie ein
Meeresauge. Unser Vertrauen ist die bodenlose Tiefe, unser leicht entstehender Verdacht
der stürmische Aufruhr der Oberfläche, welcher sich danach legt, der Wasserspiegel
wird wieder glatt und die Tiefe darunter wieder uneinsehbar.
Heute haben sich die Wellen der Verleumdung gelegt, das Meeresauge ist
wieder klar. Denn das ist das Schicksal der affektiven Politik. Oft reicht eine
Phrase aus, um uns in Gefahr zu bringen, in den Sturm zu treiben. Nach einer Weile
allerdings schläft der Argwohn ein, das alte Vertrauen stellt sich wieder ein, und
wer an den Verdacht glaubte, wird nicht einmal rot, denn er
disputiert sich zurecht, dass er nur das weitergesagt hat, was er von anderen gehört
hat, ohne das, was er gehört hat, geglaubt zu haben.
Niemand verbannt Kálmán Tisza aus dem Herzen der Nation, so wie auch
er niemals die Nation aus seinem Herzen verbannt. Kálmán Tiszas Politik ist doch die
Politik der ungarischen Nation, und wenn es welche gäbe, die seinen Weg nicht mit ihm
beschreiten wollten, könnten diese sich keinem der existierenden Gegner anschließen,
denn eine Opposition zur Politik der ungarischen Nation kann nur eine Politik der
ungarischen Nation bilden.
Wir sind keine Freunde der vielen Phrasen und der leeren, funkelnden
Reden, wir lieben selbst die Freiheit nur dann, wenn diese in ihrem eigenen, ernsten
Becken dahinfließt und nicht nach allen Seiten ausschlagend wie ein aufgewühlter
Strom, dessen Wellen zwar kühn und majestätisch sich dahinwälzen, aber jeden Moment
die Dämme brechen können. Nationen, wenn sie auch nicht überheblich sein dürfen,
müssen ein Selbstgefühl haben, eine Würde und eine gewisse Mäßigung: denn aus diesen Komponenten entsteht die Kraft. Es stimmt zwar,
dass so eine nationale Kraft oft, um es so zu sagen, eine optische Täuschung, ein
Schein ist: aber unter gewissen Umständen ist auch der Schein nicht zu verachten,
denn er ist der Schatten der Wirklichkeit. Und wo viele den
Schatten sehen, dort muss nach ihrem Glauben auch ein Körper
sein.
Der Kalvinistenpapst, der Großmeister der haarsträubenden Logik, die
Sphinx, der große Mogul, der Tartuffe, der durchtriebene Lateiner, der ungarische
Mephisto, der Komödiant, dessen »Gewissen ein Sumpf«, kommt aus dem Ratssaal, nimmt
in der Tür ein Zigarettl aus seinem Etui und eilt zum ersten Zigarrenraucher, um nach
Feuer zu fragen, doch auch im Vorbeilaufen verwaltet er die Angelegenheiten des
Landes; er erblickt Csávolszky. Woher hat der Herr Redaktor die Nachricht, Budapest
würde verstärkt, ich kann versichern, das ist ganz haltlos.
Mit dem funkensprühenden Zigarettl hinkt er über den Flur, sucht mit
den Augen nach Csernátony. Und während er hinüberspaziert
n
,
spricht er unterwegs mit sechs, sieben Leuten, die alle in Aktion zu treten scheinen,
nachdem sie Worte mit dem Ministerpräsidenten gewechselt haben. Als würde er, wo er
entlanggeht, überall stecken gebliebene Angelegenheiten weiterrollen und Knoten mit
einem Wort lösen. Er hat für alles Zeit, alles fällt ihm auf. Der eine oder andere
hungrig gewordene Mameluck schleicht sich vorsichtig Richtung Garderobe. Du willst
doch nicht schon gehen, Pali?, sagt Tisza mit der ihm eigenen einfachen, trockenen
Freundlichkeit (vorausgesetzt natürlich, dass der Mameluck Pali heißt).
Jegyzet Äldzsi
Beöthy sagt: Unter Tisza war der Weg so schlüpfrig , dass, wenn er einen Schritt
nach vorne getan hat, er zwei nach hinten gerutscht ist. Unter diesen Umständen
musste er, obwohl (?) ein Diplomat, so tun, als ob er sich umdrehte, und dorthin
gehen, wohin er nicht gelangen wollte, damit er hinkam, wohin er wollte.
Der Mameluck hört auf die Freundlichkeit und setzt sich mit einer
Entschlossenheit in einen Armstuhl auf dem Flur, dass er sich, wenn es sein muss, bis
Ostern nicht von dort fortbewegt. Er drückt Helfy die Hand, zupft selbst in seinen
sorgenvollen Minuten Imre Szalay an der Nase, die Kavaliere fragt er nach dem Erfolg
des gestrigen Opernballs, Wahrmann nach dem Stand der heutigen Börse.
Boldizsär Horváth (»Fräulein Bódi«, wie ihn seinerzeit der zynische
Lónyai nannte), Boldizsár Horváth, den wir uns eher als traurigen, feierlichen
Menschen vorstellen, dessen Seele ständig in höheren Regionen unterwegs ist, man kann
also getrost überrascht sein, dass er der liebenswürdigste Causeur ist, den man sich
nur vorstellen kann, und es gibt keinen lüsternen Franzosenmarquis, der seine
männlichen Gäste feiner und pikanter unterhalten könnte, Boldizsár Horváth, dessen
Laufbahn im Übrigen ein harmonisches Ganzes bildet, sagt, während Tränen aus seinen
damals noch klaren blauen Augen bersten, mehrfach hintereinander: Hauptsache, es weht
ein liberaler Wind. Hauptsache, es weht ein liberaler Wind. Hauptsache, es weht ein
liberaler Wind. Die Luft, die man atmet. Der Rest ist nebensächlicher. Tisza
schließlich sucht so lange nach Csernátony, bis er ihn auf einmal findet, umso mehr,
da Csernátony seinerseits auch ihn sucht. Die beiden Zylinderhüte verschwinden Seite
an Seite in vertraulicher Nähe ...
Irányi wird reden (er organisiert ein Tugendkomitee und rezitiert
seine edlen Chriae), Ugron wird reden (er tätigt einen vehementen Ausfall, aus
medizinischen Gründen, damit er ein wenig ins Schwitzen kommt), Szilágyi wird reden (er analysiert, schält heraus, argumentiert, verbindet,
schlägt kurz und klein), Apponyi wird reden (ernst, würdevoll,
mit mächtigen Schritten, glatt dringt er auf seiner »englischen Promenade« vorwärts,
es gibt auch Blumen auf dem Weg, aber in Maßen, auch Dornen, aber nur zur
Dekoration), Tisza redet, zerbricht die Eier des Gegners, aber er brät keine
Eierspeise oder Omelett aus ihnen, um seinen Braten damit zu garnieren. Er zerbricht
sie nur. (Ivor Kaas hat gesagt: eine Lüge. Wir sagen dasselbe wie Ivor Kaas. So wie
Groß und Klein im Hause weiß, alle wissen sehr wohl, dass es eine Lüge ist ... aber
sie haben dafür gestimmt. Und keiner wurde rot dabei ... keiner. Was können wir tun?
Legen wir die Feder aus der Hand.)
Hohes Haus! (Hört! Hört!) Da ich jetzt nach erschöpfenden
Verhandlungen und von allen Seiten kommenden Angriffen bezüglich der wichtigen Frage,
die auf dem Tapet ist, das Wort ergreife, halte ich es für wichtig, vor allen Dingen
zwei Bemerkungen vorauszuschicken.
Die eine ist, dass ich die Beschuldigung nicht hinnehmen kann, die man
denen gegenüber, die die Anträge im Haus befürworten, von mehreren Seiten erhoben
hat, dass das, was hier zur Verteidigung der Anträge gesagt wird, zu sagen nicht
richtig ist, weil diese nicht ungarischen, sondern österreichischen Interessen
dienten. Und zwar kann ich dies deswegen nicht hinnehmen, weil ich einerseits der
Meinung bin, dass vom Blickwinkel der Schließung der Allianz das Interesse von beiden
Seiten besteht, aber ich kann sie auch deswegen nicht hinnehmen, weil es unmöglich
ist, Forderungen angemessen einzubringen, wenn irgendwelche Anträge angegriffen
werden: nun aber, da diese vor dem Haus liegen, das, was man zu ihrer Verteidigung
sagen muss und kann, nicht sagen darf; mehr noch, ich bin der Ansicht, dass die
Nation, egal wie das zu Sagende auch sei, das volle Recht hat, dass die Frage von
allen Seiten beleuchtet wird. Und so muss auch die Regierung das Recht haben, das zu
tun, denn wenn die Anträge verworfen werden und das Land eventuell in unangenehme
Lagen gerät, wird gerade die Regierung bezichtigt werden, schuld daran zu sein, da
sie versäumt hat, das Haus und die Nation vor den Konsequenzen zu warnen. (Zustimmung
in der Mitte.) Und gerade, da ich dieser Überzeugung bin, kann ich es auch nicht
hinnehmen, dass man, wenn wir von unserer Seite auf die möglichen Konsequenzen der
Verwerfung der Anträge hinweisen, dieses Drohung, Intimidatio genannt wird, denn wenn
es keine Drohung und keine Intimidatio, sondern die gerechtfertigte Begründung der
Meinungen ist, was Sie, zwar fälschlich, doch ich glaube es: Ihrer Überzeugung gemäß,
jeden Tag verlauten lassen, dass Ungarn bei diesen Anträgen materiell, geistig und
politisch zugrunde gehen würde (Bewegung bei der Linken), dann ist es auch von Seiten
der Andersdenkenden, die Ihre Ansicht nicht annehmen können, eine Waffe, nicht der
Drohung und nicht der Pression, sondern der gerechtfertigten Begründung, auf all jene
Gefahren hinzuweisen, die unserem Glauben nach im Falle der Ablehnung sich einstellen
werden. (Bewegung bei der Linken.)
Und weiter, h. Haus, versage ich mir eine sehr bequeme und sehr
amüsante Aufgabe (Hört!), ich versage mir, wie gesagt, die Freude, die These der
einen Minderheitenmeinung der anderen gegenüberzustellen (Hört!, von links). Dabei
wäre das, glauben Sie mir, eine leichte, dankbare und amüsante Aufgabe (Hört!, von
links), denn ich glaube nicht, dass es häufig vorkommt, dass in einer an ein und
demselben Tag eingereichten Arbeit so viele Widersprüche zusammenstehen (Hört!, von
links). Wenn es mir gefällt, tue ich es ein anderes Mal; heute wünsche ich über etwas
anderes zu sprechen.
Was die persönlichen Angriffe anbelangt, auf diese antworte ich nicht.
(Rege Zustimmung in der Mitte.) Ich möchte aber denen gegenüber, die im Laufe dieser
persönlichen Angriffe wiederholt erwähnt haben, um wie viel besser der Absolutismus,
das sog. Bach-System, war, anmerken, dass ich hoffe, nein, ich bin überzeugt, dass
dieser Zeitpunkt - und vielleicht seufzen sie ihm deswegen hinterher, weil auch sie
dasselbe glauben - in unserem Vaterland nie wieder hereinbrechen wird; und wenn doch,
würden wir sehr eigentümliche Veränderungen in den Standpunkten erleben! (Heiterkeit
und Beifall in der Mitte.) 1850 hielt sich der größte Teil jener, denen heute keine
Freiheit groß genug ist - es gibt einige Ausnahmen -, entweder im Ausland auf Nummer
sicher oder hier zu Hause auf, aber so versteckt, dass man nicht einmal ihre Namen
vernehmen konnte (Beifall in der Mitte, Bewegung auf der Linken), während wir
anderen, die wir heute für Mäßigung eintreten, dafür, mit einer dem möglichen Grad
der Entwicklung angemessenen Freiheit zufrieden zu sein, zu jenen Zeiten, als es mit
Gefahren verbunden war, nicht so still verborgen gelebt haben (Wie wahr!, so ist es!,
in der Mitte), und glauben Sie mir, wenn diese Zeiten wiederkämen, die nicht kommen
sollen und nicht kommen werden, würde wieder dasselbe mit Ihnen und mit uns
geschehen. (Bewegung auf der Linken, Zustimmung in der Mitte.)
Auch, dass unsere Aufbauarbeit unter friedlichen Verhältnissen
vorangeht, hat seinen Preis. Wir sind leicht, wie auf Schienen vorangekommen. Aus
diesem Nährboden keimte die Theorie auf, bei uns würde alles wie am Schnürchen
laufen. Diese Erfolge haben auch wir selbst, und nicht nur einmal, allzu sehr
unterstrichen, wir brüsteten uns mit ihnen und haben somit dazu beigetragen, dass der
Eindruck entstand, nun sei in jedem Haus Hochzeit, nun laufe bei uns alles wie am
Schnürchen, und wir könnten ab jetzt leben wie Gott in Frankreich. (Beifall.) Warum
sind solche Stimmungen gefährlich? Solche Stimmungen sind deswegen gefährlich, weil
sie die Sicht des Volkes verschleiern, es daran hindern, seine Feinde zu erkennen, es
wird mit eitlen Reden in Sicherheit ob der Schwäche seiner Feinde gewogen, und der
Kampfwille des Volkes wird untergraben. Ich geißle aufs härteste jede Erscheinung der
Selbstzufriedenheit, der Maulafferei und des Paradierens mit Scheinerfolgen!
(Rhythmisches Klatschen.)
Ich bin ein Freund der Democratie, des sukzessiven democratischen
Fortschritts, und von diesem Weg kann mich nicht einmal abbringen, was ich gestern
von einem Herrn Abgeordneten gehört habe, worauf ich noch zurückkommen werde, und was
ich nicht für die Darlegung der Konsequenzen der Democratie halte, sondern für die
Verleumdung der Democratie (lebhafte Zustimmung). Ich werde mich in keine
theoretische Debatte über Ideen begeben, ich werde dem Herrn Abgeordneten nur ein
einziges Zitat nahelegen, ein Zitat, das ich einem Brief des weltweit bekannten
großen politischen Autors Tocqueville entnehme: Mein Freund - schreibt Tocqueville an
einen Freund -, lass uns nicht darüber streiten, ob die Democratie für die Freiheit
gefährlich oder aber wünschenswert sei. Das ist keine theoretische Idee mehr, darüber
zu streiten lohnt sich nicht mehr, das ist eine Tatsache; die Aufgabe ist nun nicht
mehr, zu untersuchen: ob es denn im Interesse der Freiheit und der Staatlichkeit
besser ist, dass sich Democratie eingestellt hat oder nicht, sondern die Aufgabe ist
es, die Democratie so zu führen, dass sie der Freiheit und der Staatlichkeit zum
Nutzen ist. (Langanhaltender, lebhafter Beifall.)
Was aber nun unseren Gegenstand anbelangt: ich würde es für keinen
guten Tausch halten, für einen erhofften Gewinn einen positiven finanziellen
Rückstand zu riskieren. Aber dass es zwischen den Dingen einen logischen Zusammenhang
gibt, davon zeugt auch die Rede jener Herren Abgeordneten, die, in Kenntnis der
Prämissen, in Kenntnis der Verhältnisse durch die Logik selbst dorthin geführt worden
sind, dass sie statt einer Quote von 30 % eine von 40-42 % provoziert haben.
Dabei kommt heraus, dass die Compensation unsbezüglich nicht
vollständig ist, aber teilweise in jenem jetzt von mir erwähnten Verhältnis
einerseits vorhanden ist, und andererseits, ich spreche es ganz entschieden aus,
kommt heraus, dass das Geschrei, das auf der anderen Seite erhoben wird, Ungarn zahle
30 % und genieße 50 % Rechte, äußerst unbegründet ist, denn Ungarn zahlt in bar 30 %,
der Rest wird durch die Vorteile des gemeinsamen Zollgebiets beglichen.
Ich kann gleich hinzufügen, dass wir anstatt der Einführung von
Regulativen es für ungleich wichtiger halten, dass sich eine Atmosphäre des
Selbstbewusstseins und der Disziplin herausbildet und erstarkt, die die Säumigen, die
Faulen, die Drückeberger von sich aus brandmarkt, in der die Verletzung der
Disziplin, das unerlaubte Fernbleiben und das Produzieren von Ausschuss ein Spott und
eine Schande ist.
Der Herr Abgeordnete Nándor Horánszky war so freundlich, auch noch zu
sagen, der Ministerpräsident habe die Nation der Demütigung preisgegeben. Unsere
Rechnung wäre tatsächlich nicht vollständig, wenn wir unsere Schwierigkeiten
verschwiegen. Der Weg zum Sieg ist nicht nur von Erfolgen, sondern auch von
Schwierigkeiten flankiert. Infolge der Dürre im vergangenen Jahr hatten wir einen
schlechten Futtermittelertrag, was seine Auswirkung auf unsere gesamte
Lebensmittelversorgung hatte. Doch die Klassenfeinde, die Kulaken und die
Spekulanten, sind auf diesem Gebiet sofort
zum Angriff übergegangen (das konnten wir zum Beispiel erfahren, als ein Teil des
Brotes eine braunere Farbe annahm - ohne dass die Qualität nachgelassen hätte ...),
und da wir es beizeiten versäumten, achtsam zu sein, erhöhten sie unsere
Schwierigkeiten, welche, wie wir wissen, vorübergehend sind, und wir werden sie in
Kürze und bleibend lösen. So, wie uns der Erfolg nicht betäubt hat, so werden uns
auch die Schwierigkeiten nicht abschrecken.
Ich erzähle von einem konkreten Fall, der mir widerfahren ist. Vor
einigen Tagen hat jemand in Dorog zu mir gesagt, wenn sie zweimal so viel Schmalz und
Speck bekämen, würden sie die Ernte verdoppeln, also wäre auch diese zweimal so viel.
Ich habe sofort daran gedacht, dass man ihn beim Wort nehmen müsste (Heiterkeit),
diesen Genossen (Heiterkeit).
Die Genossen wissen bereits aus Erfahrung, dass, wenn wir unsere
Kräfte auf eine Aufgabe konzentrieren, wir diese Aufgabe auch lösen werden. Dies gilt
auch für den infolge der letztjährigen Dürre entstandenen Fleisch- und Schmalzmangel.
Die Genossen können zur Verwirklichung der Lösung dieser Frage beitragen, indem sie
diszipliniert die nicht lange Zeit abwarten, nach der wir auch diese Frage gelöst
haben werden.
Es handelt sich um vorübergehende Schwierigkeiten. So, wie wenn jemand
aus einer schlechten, alten Wohnung in eine neue, gute Wohnung zieht. Zwar ist die
Wohnung unbedingt besser, doch so lange, bis sich der Bewohner an sie gewöhnt hat
oder die Möbel einrichtet, sich daran gewöhnt hat, dass die neue Schwelle anders ist,
als es die alte war - stolpert er ein paarmal (Heiterkeit), und das Geschirr geht
leichter zu Bruch. Das versteht ein jeder. Bringt die Zweifler nach vorne, palavert
weniger, arbeitet mehr, und eure Sache wird von sicherem Erfolg gekrönt werden
(rhythmischer, stürmischer Applaus, es lebe Kannibal, nieder mit Hase!).
Vor einigen Tagen hat mir im Zala eine junge Traktoristin erzählt,
womit man sie davon hatte abschrecken wollen, sich auf einen Traktor zu setzen. Du
wirst herunterfallen und dir alle Knochen brechen, hat ihr ihre Mutter gesagt. Du
wirst dich an der harten Arbeit übernehmen, wurde ihr prophezeit. Sie selbst aber
sagte: Davor war ich Schwadenmacherin oder ich habe gehackt, abends dacht’ ich, mein
Kreuz bringt mich um, und jetzt, wenn ich von meinem Traktor steige, spüre ich kaum
Müdigkeit. Im Sozialismus, ich wiederhole es, ist die Maschine endlich kein Ausbeuter
des Arbeiters mehr, sondern seine Hilfe, sein Diener.
Ich kann hinzufügen, dass das überall auf der Welt, wo der Sozialismus
aufgebaut wird, so ist. Ich habe die Geschichte des Stalinpreisträgers Bortkevitsch
gelesen, eines Schnellarbeitsstahldreher-Jungarbeiters. Als ihr Betrieb eine neue
Drehbank bekommen hat, haben die jungen Arbeiter mit glänzenden Augen um sie herum
gestanden und sie sich angesehen, wie der Künstler das neue Instrument, dem er neue
Töne und neue Melodien entlocken wird ... Als Bortkevitsch seine ersten Erfolge mit
dem Schnellarbeitsstahl errungen hatte, kamen ihm sofort die besten Ingenieure des
Betriebs zu Hilfe. Sie halfen ihm festzustellen, in welchem Winkel er das Messer
einstellen soll, gaben ihm Ratschläge für die Beschleifung, suchten die geeignete
Fachliteratur für ihn heraus, bezogen die Professoren der Technischen Universität
Leningrad mit ein. Sie selbst lernten auch von ihm.
Mehr als ein Genosse hat hier die Frage aufgeworfen, ob wir den
jetzigen obligatorischen Durchschnitt von 80 nicht auf 120, sondern auf 150 erhöhen
sollten. So gut die Absicht auch ist, die diesen Vorschlag nahelegt, müssen sich die
Genossen dennoch vor Augen halten, dass es nicht nur Starke, sondern auch Schwache
gibt. Deswegen schlage ich vor, dass wir vorerst bei 120 bleiben, respektive auf 120
übergehen. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass dort, wo die Disziplin,
der Gemeinschaftssinn gut sind, vielleicht sogar ein Durchschnitt von 180 entsteht,
aber als Pflicht sollten wir bei 120 bleiben. Ich glaube, das ist gesünder.
Die Entwicklung unserer Industrie zeigt, dass unser erhöhter Plan
realistisch und, trotz aller Skepsis und aller Beckmesserei unserer Feinde,
durchführbar ist. Aber wir dürfen auch die 0,7 % Rückstand nicht vergessen, und auch
nicht, dass es im Dezember 7 Feiertage gibt und 24 Arbeitstage.
Die richtige Durchsetzung dieser Regularien wird das Bündnis der
Arbeiter und Bauern innerhalb der Volksdemokratie weiter konsolidieren, noch enger
knüpfen, wird die Friedensfront weiter festigen, deren treue Soldaten wir sind und
der jeder unserer Erfolge neue Kraft verleiht. (Beifall.)
Was die - (Lärm von links) es wird nicht mehr lange dauern - (Hört!
Hört!) , was die politischen Folgen anbelangt, darüber möchte ich mich nur sehr
begrenzt äußern. Doch man muss sich sehr wundern, dass, während mein geschätzter
Abgeordnetenkollege Jókai darauf hinwies, welche Wirkung es für die gegenseitigen
Gefühle der Völker der Monarchie haben kann, wenn diese Fragen nicht gelöst werden,
das heißt, eine unsichere Konstellation herbeigeführt wird - wie gesagt, ich wunderte
mich sehr, als es hieß, dies sei Poesie.
Dezső Szilágyi: Ich habe das nicht darüber gesagt, es war etwas
anderes! (Widerspruch aus der Mitte.)
Mit Verlaub, Sie haben es darüber gesagt, ich habe es mir gemerkt. Es
kann im Übrigen sein, dass ich mich falsch erinnere, es ist also keine Poesie, nur,
dass Sie es nicht für wahrscheinlich halten, und dass Sie es nicht für wahr
halten.
Übrigens, nebenbei sei bemerkt, dass man aus den Passiva oder Aktiva
der Handelsbilanz keine Schlüsse ziehen kann, ob das Land verarmt oder reicher wird
(Zustimmung von der Mitte), sondern dabei spielen noch viele Factoren eine Rolle, und
es ist möglich, dass der Wohlstand des Landes bei einer passiven Handelsbilanz
wächst, und es ist ebenso möglich, dass es bei scheinbar aktiver Handelsbilanz
verarmt.
Der Herr Abgeordnete Graf Albert Apponyi erklärte in seiner - ich gebe
zu: sehr schönen und sehr wirkungsvollen - Rede, und darin stimme ich mit ihm
vollkommen überein, dass es sehr schwierig ist, eine theoretische Grenze zu ziehen.
Aber wenn Sie in Richtung Freihandel gehen wollen (János Paloczay ruft dazwischen:
Das nicht!), mit Verlaub, ein Teil von Ihnen behauptet das, ich räume die Möglichkeit
ein, dass der Herr Abgeordnete János Paloczay diese Richtung nicht einschlagen will.
(Heiterkeit.)
Nicht nur Nándor Horánszky, sondern, wenn ich mich richtig entsinne,
auch Herr Dezső Szilágyi hat, wenn auch nicht in diesem Sinne, zu mehr oder weniger
Factoren der Gesetzgebung gesprochen.
Zu sämtlichen Factoren also. Gerade dieses Wortes »sämtlich« bedarf
ich sehr. (Heiterkeit.) Die Gesetzgebung hat hier 3 Factoren und dort 3 Factoren.
Nach der Mathesis macht 2 mal 3 = 6; doch bei uns ergibt 2 mal 3 zufälligerweise = 5;
wenn nun also drei Factoren der ungarischen Gesetzgebung es akzeptiert haben, dann
hat ein Factor der anderen Gesetzgebung es akzeptiert. Ich setze das nicht weiter
auseinander, aber daraus ist zu ersehen, dass wir in dieser Richtung politisch im
Vorteil sind. (Lebhafte Zustimmung und Beifall in der Mitte.)
Hohes Haus!
Die Sache ist gebührend diskutiert worden, jedermann konnte sich,
denke ich, seine Meinung bilden.
Wenn aber dann die von einigen bestrittenen, von mir gesehenen
Probleme eintreten sollten, deren Nichteintreten, wenn einmal das Land diesen Weg
eingeschlagen hat, keiner sehnlicher erhofft, sollten sie aber dennoch eintreten,
wird das Leiden darüber ein gemeinsames sein; bedenken Sie also, was das Schicksal
eines jeden Bruderkampfes in diesem Land gewesen ist, bedenken Sie, dass wer uns in
diesem unseren Vaterland Schaden zufügt, der Freiheit selbst Schaden zufügt, und wer
unsere Ketten schmiedet, sich selbst in Fesseln schlägt. (Auf Kálmán Tiszas
abschließende Worte folgt ein dröhnender Beifallssturm. Sämtliche Teilnehmer der
Sitzung stehen auf. Hochrufe erklingen von allen Seiten des Saales. Ein Jungarbeiter
ruft heraus: Hurra Kálmán Tisza! Sämtliche Teilnehmer der Sitzung rufen mit ihm unter
geballten Fäusten dreimal das begeisterte Hurra. Es lebe Kannibal, nieder mit
Haaase!)
Tisza sitzt im einfallenden Licht auf dem Flur. Er blinzelt vor sich
hin, lehnt sich in seinem Stuhl zurück wie eine riesige Klapperschlange beim
Verdauen. Er ist ein wenig zur Seite gebeugt und sieht aus, als wäre er ständig zum
Sprung bereit, und wenn er plötzlich aufsteht oder sich hinsetzt, ist er wie ein
aufgehendes oder zuklappendes Klappmesser. Er setzt sein frisches Augenglas
n
ab, reibt sich - wie die Intellektuellen - die
Nasenwurzel. Er sitzt. (Setzen Sie sich, Sie mit Ihrem schlechten Bein,
lieber
Tisza, sagte einmal der Kaiser und König zu
ihm.) Wie der schwere Eber sprengt aus der Öffnung einer leutseligen Tür der
treffliche Szilágyi. Apponyi hält inne. Das Zwiegestirn der Oppositionsführung
begrüßt einander heftig.
Jegyzet Der Ministerpräsident hat nämlich immer zwei Augengläser dabei und
setzt sich mal das eine, mal das andere auf die Nase. Einmal hat er eins zu Hause
vergessen (» ist in der Wäsche «, sagten die Spötter scherzhaft) und hatte während
der gesamten Sitzung keinen einzigen Einfall, bewegte sich verlegen, unbequem auf
seinem Stuhl hin und her.
Zwei seltsame Hickser; in dem Augenblick der Pause, in der nach Luft
und nach dem nächsten Buchstaben geschnappt wird, schmuggelt sich auch der Zweifel
ein, das Misstrauen. Aber sichtbar gibt es kein Problem, Hände schlagen auf Schultern
auf.
Nach der wichtigen und unverzichtbaren wortmeldung Kálmán - tiszas ist
meine wortmeldung leider vollkommen verfehlt unsicher nebulös pseudowissenschaftlich
abgehalftert sein genialer untrüglicher epochaler und weiser blick welcher wie ein
riesiger scheinwerfer die wege beleuchtet wird uns zweifellos zu tausenden zu neuer
und energischer arbeit anspornen die beharrliche forderung nach seiner führenden
wegweisung ist die einzige methode die aus der kraftlosen stagnation herausführt
(
fortwursteln
, wie Taaffe sagt).
Indem sich die beiden Männer hinunterbeugen, verheddern sich die
krausen, lockigen, verspielten Härchen ihrer Bärte - Apponyis seidiger und Szilágyis
drahtiger - familiär, um bei der Trennung der beiden Gesichter hinfällig und
schmerzhaft an der Gesichtshaut zu zerren. Oi, sagen sie. Der Graf lächelt milde.
Genosse Brandhuber rennt den Flur entlang. Ein schwarzer Wind erhebt sich. Apponyi
setzt zu einer brüderlichen Umarmung an; er ist ein freundschaftlicher Geselle, wie
die Oppositionellen allgemein. Sijtschaß, wirft ihm Brandhuber hin. (Mit wem mag der
Graf den Genossen Brandhuber verwechselt haben? Vielleicht mit Imre Hódossy oder mit
Graf Sándor Károlyi?) Die Hand in der Luft, auf halbem Wege, senkt er die Stimme,
flüstert: Es gibt Persönlichkeiten, die die Schwierigkeiten des Regierens so sehr
nachempfinden, dass sie infolgedessen nicht streng mit den Männern sein können, die
sich damit abmühen, sondern ständig eine gewisse heimliche Zuneigung für sie
empfinden; es gibt jedoch welche, die nur Oppositionelle zu sein vermögen; beide
Typen bedeuten ein persönliches Manko. Apponyi
geht auf den Fahrstuhl
zu, sucht die Kapelle. Tante Sári schaut Tomcsányi an. Oder sind Sie von der Kontrolle? Der junge Fachmann
versteht die Frage nicht, sagt aus unerfahrener Huscheligkeit, was er sagt; der Frau
wie dem fliegenden Grafen: Der Lift ist kaputt.
Dezső Szilágyi springt schwungvoll über den Wischlappen, walzt ins
Zimmer des Genossen Peck. Ei, das Händchen des Genossen Peck hat gerade eben einen
Knopf am Hemd der Marilyn Monroe geöffnet, und seine angespannte kleine Handfläche
hat die Gürtellinie des gelockerten Rockes bereits unterschritten. Kamerad Beverly
schaut zwischen seinen Salatblättern hoch. Ja, er nickt ältlich, man sieht, der Arme
hat wieder etwas verstanden. Ja. Die Mode der Französinnen, die ihre Formen dort, wo
sich gewisse Mängel zeigen, mit künstlichen Artikeln ersetzt. Zwischen Giacomos
Zähnen kracht das Salatblatt. Hja, wer von Natur aus über jene betörenden Formen
verfügt, steht weit über dem künstlich Runden und dem natürlich Flachen.
Die Fingerchen schleichen schon geduckt vorwärts und haben den Rand
des Schlüpfers noch nicht erreicht, als sie auf einen kitzeligen Vorposten stoßen,
auf einige harte, einzelne - krause, gelockte, verspielte - Haare. Während unser
Blick streng auf dem fachlichen Material verweilt und unser Keuchen sich verstärkt,
löst sich Marilyns Höschen infolge der winzigen, jedoch zweckmäßigen Wellenbewegungen
der Fingerenden von dem nicht gerade flachen Bauch. Durch den entstandenen Spalt
springt, mit der Panik der gestandenen Männer, schwupp, das Händchen hinein. Stülpt
sich über das dort Vorgefundene Hügelchen. Wie ein Grabhügel, dichtet Giacomo. Und
die geschmacklose Fachgerechtheit des Kameraden Beverly: Aber wo ist das Holzkreuz?
Die Handfläche spürt die etwas abgestandene, doch heiße Feuchte. Ob Gregory Peck
Marilyn Monroe so lange dreht und wendet, bis die Hüllen gefallen sind: und der
Steiß, diese wilde Brandung dort prangt, ohne Übertragung? Und Marilyn tut vielleicht
- auf die einzige Weise, die die Größenverhältnisse erlauben - das, was so wenigen
Männern ...
Hier Auftritt Szilágyi. Szilágyi in floribus. Marilyn rührt sich
träge, Gregory Peck bleibt das Wort im Halse stecken, er würde es gerne herausziehen,
aber seine Hand verheddert sich im schlingengleich spannenden Schlüpfergummi. Er
zerrt daran. Mitgefangen, sagt der eine Wirtschaftsberater. Mitgehangen, sagt der
andere. Albernheiten, sagt Szilágyi, stampft mit dem Fuß auf und verschwindet.
Und die Tür, Kumpelfreundchen?, donnert Giacomo Dezső Szilágyi
(1840-1901) dem Politiker, Strafrechtler und herausragenden Redner hinterher. Der
kleine Goldhamster schüttelt unzufrieden den Kopf. Ach, wenn ich nur einmal den Rhythmus träfe. Ganz offenbar kannte er bereits am Anfang
die Fortsetzung, der Kulissenreißer. Na, aber lasst es uns umdrehen: was ich treffe,
soll Rhythmus heißen ...
Die fesche Marilyn Monroe kommt. Ihr Volkswirtschaftsdiplom hängt
jetzt nicht heraus; ihre Lippen sind gerötet: Lippenstift und Durchblutung.
Tomcsányi, hinter Bollwerken aus Fachliteratur, stützt sich mit beiden Ellbogen auf
den Schreibtisch und singt eine traurige Weise. Ahnt auch er nicht, dass die Wege der
jungen Frau anderswohin führen werden? Nach oben. Der junge Mann fängt apathisch an,
ein Blockdiagramm zu zeichnen. Draußen erzittert die nachmittägliche Luft über dem
Westbahnhof. Das befreite Volk, welches das Vaterland aufbaut, hat das Singen gelernt
und liebt es. Imres Stimme klingt erzen. Er fängt mit einer Naturbeschreibung an:
Auf den Fluss fällt langsam schon der Nebel
im Tau glitzern Baum und Strauch.
Ein rotes Tuch liegt auf meiner Schulter,
und rote Beeren trage ich nach Haus.
In der Abteilung wird es still. Beim Warten fühlen sie den ehrlichen
Schmerz des jungen Mannes mit. Ein wenig langweilen sie sich. (Ob es wohl vermeidbar
wäre, dass die Momente der Stagnation so gewaltsam von denen der Stoßarbeit abgelöst
werden, und all das: in der Panikstimmung vor der drohenden Lawine der
Materialknappheit?) Doch all das ist nur der Hintergrund des Bildes, aus dem die auf
ihre Arbeit stolze Arbeiterin hervortritt:
Voran geh’ ich mit heitrem Mut,
Trauer verfliegt, kommt nicht mehr zurück!
Auf meine Arbeit bin ich oh wie stolz,
eine Arbeiterin bin ich, eine arbeitende Frau.
Marilyn Monroe steht da und hält die Luft an. Na so was! Könnte es
sein, dass Tomcsányi, diese ausschließlich für seine Arbeit lebende Person, deren
Leben, sozusagen, zwischen zwei Nullbefehlen und einer Endlosschleife ablief, könnte
es sein, dass dieser Tomcsányi nun die Augen geöffnet hat? Und sie, Marilyn,
erblickt? Im Lied treten jetzt die auf, die das neue Leben geschaffen haben:
Eine Straße führt durchs Dorf,
glänzt, funkelt in hellem Licht,
zwischen Blumen läuft sie gerade fort,
und führt zum endlichen Sieg.
Wer hat den stolzen Weg der Fabrik gebahnt,
wer hat den Pfad breitgetreten?
Bunuel war es, der den Weg gebahnt!
Und breitgetreten hat ihn Bezerédj!
Das Lied hat mit einem tiefen Ton angefangen und gipfelt in einem
hohen, von innerer Spannung erfüllten Ton, die ruhige, gemessene Bewegung ist zu
einem flink ansteigenden Höhenflug geworden. Die Akkorde klingen immer voller, um am
Ende der Strophe zur üppigen Vollendung zu finden. Das Lied muss tatsächlich so
gesungen werden, wie es am Anfang der Noten steht: »mit Würde«.
Marilyn zaubert von irgendwoher ein großes Stück Apfelkuchen herbei
und reicht es Imre. Meine Mama hat ihn gebacken. Die starken, jungen weißlichen Zähne
des jungen Mannes blitzen spöttisch hervor. Summe i geht von eins bis n, sagt er,
leise den Kuchen zerfleischend. (Jemand mit einem scharfen Verstand könnte einwerfen:
Jede Maximumaufgabe ist auf eine Minimumaufgabe zurückführbar! Das stimmt. Doch Liebe
und Hass entspringen derselben Quelle, wie Dick und Doof, i geht von eins ... Brrr!
Weibliche Rücken läuft es kalt herunter.) Sieh zu, dass du Land gewinnst, sagt der
junge Mann, um reinen Wein einzuschenken. Die junge Frau denkt, er macht Scherze, und
lüpft mit einer Hüftbewegung den Rocksaum, antwortet kokett. Lass uns, Jungchen,
erforschen, wo der Pfeffer wächst. Und zeigt an, welche Stelle sie meint. Imre tut
so, als würde er denken, dass Marilyn scherzt.
Während er so tut, tritt gerade Janka Dorogi
ein. Ihre kleinen Zöpfchen hängen beleidigt herunter. Ihr Blick auf Imre. Marilyn
springt auf. Oh, meine Süße! Die kleine Kröte, denkt sie. Doch in Imre wird es
plötzlich hell. Er ist nicht mehr die zaudernde, vergrämte, fahle Gestalt, die er
soeben noch zu sein schien. Was konnte das ausgelöst haben? Irgendeine komplexe
Sache. Seine Stimme schallt.
Auf, Brigade, Arbeitsbrigade,
gespannte Muskeln, spannt euch jetzt,
ein gut’ Plan erbaut der Proletarier Land,
auf, Brigade, steh deinen Mann!
Langsam heben sich die Köpfe. Guter Plan, guter Plan, brummt der alte
Tibi Tóth, gibt es denn schon eine Erlaubnis? Janka Dorogi schüttelt stumm den Kopf.
Aber Tomcsányi kann man nicht mehr aufhalten! Ein richtiger Teufelsbraten! Soll doch
langsam schleichen, wer Erdbeeren pflückt! Doch wir bauen den Sozialismus auf. Und
schon steht er an der Tafel, die Kreide in der Hand. Von Zeit zu Zeit - um die
Anspannung zu lösen, die durch die Freude und das Hoffen und den ihnen auf dem Fuße
folgenden Neid entsteht - hebt er die Kreide an den Mund und zieht kräftig an ihr,
als wäre sie eine Zigarre, eine kubanische. Seine Stimme ist feierlich.
Unser Land, unsere Volkswirtschaft wird immer schöner, immer reicher.
Ausladender. Wo früher Sumpf war, Salzboden oder Sand, steht heute goldener Weizen,
sattgrüner Kukuruz, strecken sich die Sonnenblumen und hebt die Baumwolle ihre weißen
Köpfe. Das Band einer betonierten Straße schlängelt sich. Wo das Volk früher traurig,
zerlumpt, krank und hungrig war, erklingen heute Lachen und Heiterkeit in der
morgendlichen Stille, die Gesichter werden runder, farbiger, und die Menschen
fröhlicher.
Aber konkret, sagt András Békési, der KISZ-Sekretär, ungeduldig,
konkret, Imrulein. Imre nickt, perfekt, und schon tanzen Pfeile und Summenzeichen
über die Tafel, schlittern Plusse und Minusse, Epsilons und Betas hin und her. Lajos
Ádám flüstert skeptisch Tibor Tóth zu: Dafür muss man 20 000 Karten lochen. Wenn sie
sich davon nicht auf den Kopf stellen, dann weiß ich auch nicht. Am Baume bängt der
Buñuel, fügt er noch mit (vorübergehendem) Zynismus hinzu (denn, in geringem Maße,
gibt es auch solchen). Das warte ich noch ab, der Alte nickt.
Tomcsányi skizziert die Zukunft. Und wenn das die Zukunft ist, dann
ist die Zukunft wunderbar! Speicherkapazitäten, Konverter, Peripherien, die in Reih
und Glied in der lupenreinen Maschinenhalle stehen. Die blendende Beleuchtung - als
wären wir in einem Ballsaal. Marilyn Monroe schaut ergriffen an den Männern entlang.
Ein Abschnitt ihres Lebens ist zu Ende gegangen. Békési missversteht sie und erzählt
ihr, wie schön und farbenfroh das Leben sei! Doch die klugen Worte des KISZ-Sekretärs
nützen nichts: die Tränen in den Augen bleiben Tränen in den Augen ... Doch Vorsicht!
Vor sich hin zu träumen ist gefährlich. Ein Wagen des SL K4 Telex bricht aus der
Führung aus. Eselkaviers Hand, Kopf und Fuß! - so geht das blutige Lied. Und vorneweg
Marilyn! Der Unfall scheint unvermeidbar zu sein. Doch Jancsika Tóbiás tritt vor,
sein weißer Kittel weht, er stemmt sich gegen den Wagen der Telexschreibmaschine,
bringt ihn fürchterlich zum Stehen. (Tomcsányi darf sich freuen: ihm ist es am besten
ergangen: für ihn blieb nur der Kuchen!)
Tóbiás schaut die junge Frau an, wie Romeo auf dem Ball der Capulets
die junge Julia. Auch Janka Dorogi wirft Tomcsányi einen Blick zu, der jedoch
enthusiastisch in der von Kreidestaub schwangeren Luft wedelt. Jancsika bemerkt, dass
der Wagen die junge Frau trotz allem an den Lippen verletzt hat. Keine große Sache -
ein Kratzer -, aber Gott bewahre, dass sie ihn aus dem vorhandenen Rotkreuzkasten
verbinden! Die Frau Mutter des Jancsika wohnt nur wenige Schritte vom Eingang des
Instituts entfernt, Marilyn solle mitkommen, die Mama wird sie verbinden ... Und er
ist schon dabei, die sich liebenswürdig zierende Marilyn von der Gruppe loszureißen,
um sie in das winzige, mit allem Komfort ausgestattete Einzimmerhäuschen (+4 Zimmer)
seiner Familie mitzunehmen und sie seiner Frau Mutter vorzuführen. Jancsika Tóbiás
ist ganz aufgeregt, pispert neben dem Ohrläppchen der jungen Frau, die mit großen
Kälbchen-Augen in die Welt blickt. Tomcsányi ist derweil schon dabei, Doppelintegrale
(!) aufzuzeichnen. Du wirst sehen, Marilyn, bei meiner lieben Mutter, in der
Atmosphäre der Liebe, mit der dich die Familie umgeben wird, und in der Atmosphäre
von fachlichem Ruhm und Reputation, welche durch die Armada der Ehrenurkunden an der
Wand, die »Sozialistische Brigade « Auszeichnungen, sowie dem Märtyrer-Attest meines
Vaters selig angezeigt wird, wirst du glücklich sein, du wirst sehen! Dieses Leben
ist: schön. Marilyn Monroe ist glücklich. Du! Du ..., faucht Békési. Er mag Tóbiás
nicht, und vielleicht schmerzt ihn auch Marilyn. Aber wen - Tomcsányi in einem
gewissen Sinn ausgenommen - schmerzt Marilyn Monroe nicht?
Tomcsányi befindet sich mittlerweile in dem sich senkenden Bogen
seines Gedankengangs. Die Lösung einer Mathematikaufgabe ist gemeinhin eine einfache
Sache. Einen Aufsatz über die Erlebnisse im Zeltlager zu schreiben ist eine
ernsthafte, aber ebenfalls nicht schwere Aufgabe. Wenn du aber deine Zeit mit Bolzen
und Tratschen vertust, dann - o Wunder, bleibt selbst die einfachste
Mathematikaufgabe ungelöst, selbst das leichteste »Klausürchen« ungeschrieben. Das
geht nicht von selbst. Nichts geht von selbst. Hiermit nehme ich mein Herz in die
Hand, denn mehr als sterben kann ich nicht. Ich versuche es. Ein anerkennendes Raunen
geht durch die Kollektive, flink, wie die Kosaken durch den Birkenhain. Ohne
schriftliche Erlaubnis? Tomcsányis Gesicht ist ernst. Vorwärts! Jancsika Tóbiás hat
die Hand auf Marilyn gelegt, während er psalmodiert:
O Morgen, Morgen,
schöner, roter Morgen,
sie rufen mich zum Gastmahl,
doch ich gehe nicht,
ich schicke mein Schaudern dahin.
Du! Du ... nachgeborener Kommunist!, faucht der puritanische
KISZSekretär erneut. Imre nickt. In Ordnung. Das sind klare Worte. Dann also los! Es
gehen die beiden Freunde, Imre und András, nach hinten ins Dunkle, wo die
Fachliteratur steht. Die Zimmertür sperrangelweit offen. Die Kunde von der großen
Prüfung hat sich verbreitet. Auch Békésis schwangere Frau von der Lohnabrech ist
hier. Als hätten sie Schmerzen heimgesucht, hat sie sich ein Schultertuch umgeworfen
und ist dahin gekommen, wo ihr Mann jetzt ist. Jetzt ist auch sie dort, wo ihr Mann
jetzt ist.
Tomcsányi hält vor einem Schrank inne, der wie alle anderen ist. Hier
müsst ihr bohren, er winkt. Zeit vergeht, immer noch waten sie durch wertloses
Material. Lasst uns sie einmal nicht beim Namen nennen. Dabei muss sie hier sein! Sie
arbeiten verzweifelt...
Und da plötzlich quiekst die Spitze des Bohrers auf - eine
hoffnungslos vorgestreckte, stöbernde Hand - und Tomcsányi brüllt ein »Halt«, dass
der Bohrer sofort innehält. Er beugt sich in den Schrank hinein! Er hatte das
richtige Gespür! Er hält sie in der Hand! Schlanke Lettern auf wundervollem,
holzfreiem Papier: Die Studie. Tomcsányi schnappt sich das
erste Blatt, läuft hinaus in den Vorraum. Die, die dort stehen, schauen es sich an,
drehen und wenden es. Man muss ehrlich zugeben: sie glauben nicht so richtig daran.
Die Studie.
Marilyn hebt verschämt zu singen an, aber dann gibt es doch welche,
die einfallen, wie denn auch nicht!
Oh, wie schön ist der Salbei am Morgen,
erheb dich, junges Volk, vergiss deine Sorgen.
Dem Arbeitervolk nun nichts mehr fehlt,
es hat jemanden, der zu ihm hält,
oh, wie schön ist der Salbei am Morgen.
Imi läuft zurück, Békési dreht sich um, sieht seine Frau dort stehen.
Die junge Frau sieht ihren Mann. Tomcsányi schiebt gerade taubes Gestein beiseite,
hat schon Sprengstoff ins Loch getan und hat auch schon die Schnur gezündet.
Doch bis dahin - bis dahin darf man der Explosion nicht zu nahe
kommen. Passt auf, Sprengung!!! Da erzittert aber auf dem oberen Regalboden eine
Akte!
In einem riesigen Strahl bricht Papier hervor. Tomcsányi und die
schwangere Frau werden von der Flut nach außen geschwemmt, andere - wie der
KISZ-Sekretär, Onkel Tibi etc. - nach innen. Die herabstürzende Papierflut trennt in
Sekundenbruchteilen Ehemänner von Ehefrauen etc. Das Papier ergießt sich dröhnend,
schwillt an, wirbelt.
Draußen rennt Tomcsányi immer und immer wieder gegen die Flut an. Man
will ihn zurückhalten. Vergebens. Er hält seine Rechentechnikerlampe hoch und steht
bis zur Taille, später bis zum Hals in Papier. Er kann die Menschen drinnen noch
sehen! Vielleicht ist es gerade Marilyn Monroe oder Békési. Doch dann schwappt das
Papier noch höher, erreicht die Decke. Die Hand Tomcsányis, in der er die Lampe
gehalten hat, fällt.
VIII. KAPITEL,
in welchem wir so tun, wie wenn wir jemanden unter dem Vorwand
zu uns locken, ihm ein Geheimnis ins Ohr zu flüstern, doch sobald wir an sein
Ohr herangekommen sind, pusten wir hinein; währenddessen wir fälschlicherweise
glauben, das ungarische Publikum gierte förmlich nach allem, was roh, derb und
anstößig ist
Die Elemente toben; die Papiermasse nimmt immer noch zu. Abschriften
tauchen auf, Aufschriften, wie Wellenkämme die leichten Zweitschriften von
Aktennotizen und Anträgen, Studien, Genehmigungen, Konzeptionen, Konzeptionen. Sie
werden sich auf die Stühle stellen, dann auf den Tisch, dann werden sie die Hälse
recken (die Wirbel entfernen sich voneinander wie die Sterne im Universum). Eine
Rettung gibt es nicht. Jetzt sagt keiner etwas. Mit einem Mal spricht jemand den
unausgesprochenen Gedanken vieler aus. Wir werden umkommen.
Keine Antwort. Aber man sieht es in den Gesichtern, den vielen jungen
und alten Rechentechnikergesichtern, dass manch einer sich genau davor fürchtet.
Den KISZ-Sekretär. Doch Békési ist jetzt kein KISZ-Sekretär - er ist
ein Schmerzgebeugter, der seinesgleichen sucht und nicht findet, der seine bessere
Hälfte verloren hat. Er neigt langsam den Kopf. Er kann nichts sagen, nichts tun. Weg
hier. Die letzten Minuten des Lebens allein verbringen ...
In Marilyn Monroe rast der Lebenswille. Und die hier sprechen
vom Sterben. Nein, das darf nicht wahr sein. Draußen wartet das Leben. Sie können nicht sterben, sie müssen leben! Sie
geht dem Sekretär hinterher. Sieht seinen gekrümmten Rücken, seine Traurigkeit. Der
Sekretär ist traurig? Daran hat Marilyn bis jetzt gar nicht gedacht... Dass der
Sekretär auch ein Mensch ist... Ein Ehemann - ein Freund - eine empfindsame
Seele.
Sie holt den Mann ein. (Brrr: Marilyn Monroe
holt den Mann ein.) Und nun hält sie ihre Angst, ihre Trauer, ihre Besorgnis auch
nicht länger zurück, sie hängt sich an Békésis Schulter und bricht in Tränen aus.
Békési wundert sich. Sie kommen ans Ufer der bedrohlichen Papierflut. Als die junge
Frau das Papier Aug in Auge erblickt, schreit sie auf: Halb zieht es mich, halb sink
ich hin, Genosse Sekretär. Es ist sehr gut, dass Monroe Békési jetzt Genosse Sekretär
genannt hat, Letzterer sammelt sich langsam. (Schöpft Kraft aus dem Vertrauen, das
die junge Frau ihm entgegenbringt.)
Sie setzen sich. Morgen, hebt er leichthin an ... Doch die junge Frau
fährt dazwischen. Wb werden wir morgen sein? Wenn wir klug sind: draußen. Wir müssen
uns nur klug verhalten. Verstehst du, Mädchen? ... Klug verhalten...
Klug verhalten. Wir müssen eine »kluge Politik« betreiben. Ich hätte
dir das Ganze gerne ... unter anderen Umständen ... Aber es scheint mir ... Also ...
Wie soll ich anfangen ...
Onkel Tibi kommt. Als er den offenen Schrank sieht, schreit er auf.
Jesus, es ist aus mit uns! Marilyn versucht ungeschickt, ihn zu beruhigen. Warum
sollte es aus sein mit uns? Horch doch! Es kommt näher! Weißt du, was näher kommt?
Der Tod, der kommt näher. Sie werden uns retten. Uns? Sie wissen nicht einmal, ob wir
leben oder schon tot sind. Wir werden ersticken, wie die Ratten.
Békési. Du gibst mir sofort den Schlüssel zur Dynamitkammer. Onkel
Tibi, lieber Onkel Tibi..., greint Marilyn. Békési gemahnt sie zur Ruhe. Pst, pst.
Sie horchen. Man hört dasselbe wie bisher auch: das Brausen des Papiers und aus der
Ferne die musikalische Sendung Für Beatfreunde. Békési
lächelt. Marilyn, hörst du’s? Marilyn hört nichts. J... ja. Ich höre es. Pst. Man
hört es deutlich. Pst. Ja. Ganz deutlich, Genosse Sekretär. Was? Wovon redet ihr?
Was? Janis Joplin? Pst, sagt wieder Békési. Die Pumpen. Und ... pst ... die Bohrer?,
... pst ... die Bohrer? Die Bohrer, ruft Marilyn Monroe glücklich. Ihr blondes Haar
wie der Blitz. Der alte Rechentechniker schwankt (auch) zwischen Zweifel und
Hoffnung. Er schöpft Verdacht. Ich höre nichts.
Das Mädchen lacht in ihrer Verzweiflung laut heraus. Natürlich nicht.
Onkel Tibi war immer schon leicht schwerhörig. Was? Hm ... Na
und? Ich bin schwerhörig ... Deswegen ist der Rechentechniker Rechentechniker. Ich
höre schon, was ich hören muss. Békési. Bei deiner aufrichtigen Seele. Hörst du sie?
Ja, ich höre sie. Puch-schi, Puch-schi, machen die Pumpen. Und der Bohrer macht: iu,
iu, iu. Irgendwie so, nicht, Marilyn? Nein. Eher so: fu-fu-fu. Onkel Tibi lacht
bereits. Békési zwinkert dem »Frauenzimmer« zu. Du machst dich gut im »Politisieren
«, Mädchen.
Leute, die Bergung hat begonnen, der Alte kommt angerasselt. Die
ersten, scheuen Strahlen der Hoffnung leuchten in den Gesichtern auf. Das gibt’s
nicht. Das gibt’s nicht?! Onkel Tibi gestikuliert heftig. Der Bohrer macht: Schrrr!
Schrrr! Lajos Ádám wechselt scheele Blicke. Aber Onkel Tibi ist doch stocktaub! Alle
schauen Békési an. Was sagt der Sekretär. Und ich sage, sagt er, dass Onkel Tibi die
besten Ohren von uns allen hat. Es entsteht Bewegung.
Die besten. Lajos atmet schwer. Sein Vater war auch schon
Rechentechniker. Und einmal, es ist schon lange her ... aber lassen wir das, es ist
eine uralte Geschichte, vorbei. Damals hat der damalige Besitzer - pro forma das Volk
- seinen Vater ... hat seinen Vater nicht... Und das hat Lajos Ádám skeptisch
gemacht. Er tritt an Békési heran. Schlägt zu. Ihr habt gelogen, schreit er Békési
ins Gesicht. Ihr habt gelogen!! Alles strömt in alle Richtungen. Ádám packt Békési am
Mantelrevers.
Aber damit ist das Maß voll. Marilyn Monroe reißt den einen Mann vom Körper des anderen herunter, dreht Ádám mit einem Ruck zu
sich und gibt ihm eine schallende Ohrfeige.
Willst du draufgehen? Aber wir nicht! Aus allen Kehlen bricht ein
befreiter Ruf hervor. Leben ... Wir wollen leben! Männa. Wir wern leben, sagt
Békési.
Das Gesicht des Genossen Generaldirektor Szervácpongrácbonifác ist
ruhig, ausgeglichen. Mit raumgreifenden Schritten eilt er auf das Flachdach des
Instituts hinauf, um von dort aus umso effektiver Anweisungen geben zu können. Er
schreitet über die gut ausgetretenen Pfade bekannter Flure fort, hinter ihm der
Anhang: Führungspersönlichkeiten aus Partei und Wirtschaft, die bekannte Hierarchie:
die Arbeiter - der physische Bestand, der technische Bestand, der administrative
Bestand sowie die vielen Fachleute - säumen den Weg mit gezogenen Hüten. Die
Pelerinen, die weichen, breitkrempigen Hüte, einige Borsalinos werden zum Gruße
geschwungen.
Sie sehen, spüren die verantwortliche Kraft. Husch hinein, an die
Arbeit, ruft ihnen aus der Schleppe Péter Baittrok zu, dem man bei solchen
Gelegenheiten ansieht, dass er vom alten Schlag ist. Er geht ran wie ein Kapitalist,
heißt es über ihn. Das doppelte Spalier hebt - mit einer kleinen Übertreibung: wie
aus Daffke - zu singen an.
Geht der Bercsényi zum Rat
Kind und Kegel an der Hand
Hebt den starken Arm zum Gruße
Arbeiter, Bauern folgen auf dem Fuße
Seine Stimme tönt wie die Totenglocke
Über seinem Kopfe eine Friedenstaube
Tatsächlich kreist eine Orlow’sche Tumblertaube dort (langer,
gestreckter, schlanker Körper und niedriger Stand). Ein besser informier- ter Kern
ruft der Führungsschicht sogar noch hinterher, während diese sich anschickt, hinter
der Flurbeugung zu verschwinden.
Befiehl den Übeln
ins Fleisch nicht zu fahren,
ins Bein nicht zu fahren,
in keinerlei Leichname nicht zu fahren.
Genosse Szervácpongrácbonifác dreht sich um. Der Zug hält inne. Aus
dem Spalier ist gedrungenes Fluchen zu vernehmen ... ins Knie!
Erde gebar Anna,
Anna gebar Maria,
Maria gebar Erlöser der Welt,
wer einen Größeren gebiert als ihn,
der mag uns schaden können.
Die Menschen atmen auf, gehen rückwärts in ihre Zimmer zurück,
erhobenen Haupts, wie es ihre Gewohnheit ist. Der Flur vor dem Umzug buchtet sich
aus, eine Art Vorraum oder noch eher ein Innenhof entsteht. In den dunklen Ecken
überflüssige Verpackungen: die Transportkisten einiger Rechner (Computer!), riesige,
splitternde Holzlatten, zwischen ihnen fustelt zurzeit eine große Gruppe Chinchillas.
Weiter oben demonstrieren Rundgänge ihre offenen, schönen Proportionen. Einige antike
Steinkrüge. Die schwungvolle Treppe ist an einer Stelle gesprungen, und der
hineingeratene Boden hat sich als fruchtbar erwiesen: eine knorrige Staude zerteilt
die karge Geometrie. Die Gruppe kommt schnaufend an der rostigen Falltür an. Genosse
Brandhuber drängt sich vor und schiebt zuvorkommend die Eisenplatte mit der Stirn
hoch, geht dann beiseite und befreit seine Stirn mit Hilfe eines kleinen,
weichselroten Taschentuchs vom Eisenstaub. Die Umgebung des Aufgangs zieren nach
Erdbeere duftende winterharte Jasminsträucher. Oben schlägt ihnen die schwere,
würzige Luft entgegen. Imre Tomcsányi steht bescheiden am Rand des Flachdachs. Beugt
sich über die dichte, schöne Buxushecke nach außen, sieht unten die 33er Straßenbahn
in die Haltestelle auf der Aktivistenbrücke rollen. Ein Hornsignal ertönt.
Doch umsonst die Begeisterung, wenn die Luft knapp ist, oder nicht
knapp, aber von schlechter Qualität! Doch das wird sich später erst heraussteilen.
Vorerst charakterisiert sie die Vorsicht. Sie legen sich auf den kühlen und klebrigen
Linoleumboden, um ihre Chancen mit diszipliniertem Atmen zu verbessern. Sie sind bis
an das große Panoramafenster zurückgedrängt worden.
Das Leben ist sehr schwer jetzt. Alle liegen, spinnen wach ihre Träume
weiter. Békési führt das Wort. Und dann ... dann passiert... Ich sag’s euch. Was
immer passiert. Wir stellen uns hübsch um ihn auf, im Kreis ... und dann ... spricht
er uns an ... Na, ihr ... wird er sagen ... ihr habt dem Vaterland ... wird er sagen
... einen großen Dienst... erwiesen.
Marilyn Monroe fällt aufgeregt ein. (Wo sind das Rot und die Frische
des kleinen roten Röckchens geblieben?) Darauf sagen wir ... das ist doch nichts ...
Genosse Szervácpongrácbonifác ... nichts ... das war unsere Pflicht... Genosse
Szervácpongrácbonifác. Nein, nein, wird der Genosse Szervácpongrácbonifác sagen ...
Damit, dass ihr sie gefunden und sie ihrem Papiergrab enthoben habt... damit habt ihr
dem Volk ... viel Gutes getan. Und dann fängt er an, sich zu verabschieden und ...
Warte mal. Davor noch, was er über das Essen sagt... Ja, ja. Mit einem Wort, der
Genosse Szervácpongrácbonifác sagt... ihr habt gut durchgehalten ohne Speis ...
Es ist überhaupt nicht sicher, dass er das sagt... Er hat es im
Gefängnis ... bis zu zwei Wochen ... ohne Speis durchgehalten. (Ja, hier haben alle
früher oder später einmal gesessen: man musste nur Kommunist sein oder Nichtkommunist
sein. Oder nein: es reichte schon, wenn man Kommunist war.)
Er kann’s sagen ... das Rehpaté, gute Herren, das Rehpaté ... das wird
der Genosse Generaldirektor sagen, sagt Békési. Na siehst du, sagt Marilyn. Und dann
... schüttelt er jedem ... die Hand ... der Genosse Szervácpongrácbonifác. Als Erstes
Onkel Tibi, das Mädchen versucht zu lachen, und auch der Alte versucht
zurückzulächeln. Rührend, wie das Monroe-Mädel aufpasst, wann sie an die Reihe kommt.
Und mir? Und mir? Dir auch, Marilyn. Der Reihe nach ... allen. Das Mädchen wendet
sich schamhaft ab. Hier keucht papierüberströmt Ádám los. Zum Teufel mit dem, der das
schluckt... Ich will nicht ersticken. Es wird sowieso keiner antworten ...
Békési steht auf. Du bist nicht an der Reihe, was den Telefondienst
anbelangt. Wenn ihr erlaubt, sagt er bescheiden, werde ich jetzt ... außer der Reihe
... Er geht hin. Er watet ins Papier hinein, eine harte, gerippte Schriftenmappe
schlägt ihm gegen das Schienbein. Das tut weh. Er findet den Hörer in der Tiefe,
schüttelt ihn, spricht hinein. Hallo, hallo, hallo. Plötzlich erstarrt er zu Stein.
Ja!! Wir leben, brüllt er. Reißt sich aber gleich zusammen. Aus dem Hörer tönt eine
elegante Stimme. Ar ju Genosse Kovács? Békési weiß vor lauter
Glück gar nicht, was er redet.Jässaiäm. Dabei ist er gar nicht
der Genosse Kovács! Allo, lieber Kovács? Hörst tu mich? Allo, ich bin hier in
Visegrád, Weiterbilding! Suche den Szegediner Dom ... Beruhige dich, lieber Kovács,
ich finde ihn nicht...
Jetzt planschen alle hier um den Apparat herum. Bis zur Taille in
Papier liegen sie sich weinend in den Armen. Tränen und Hoffnung standen noch nie so
Seit an Seit im Karpaten-Becken. Auch Békési weint, schaut sich seine Mannen an.
Männa. Was ist mit der Luft. Marilyn Monroe antwortet also. Auf diese Freude
genehmigen wir uns einen Kubikmeter!
Das Wetter, jetzt, ist ideal. Man kann es nicht einen der schönsten,
wärmsten Herbsttage nennen, aber bei trockenem, warmem Wetter gibt es ja auch keine
gute Fährte; und es gibt auch keinen starken Nebel oder bereiften Tau, bei dem die
plötzlich herauskommende Sonne sehr schnell die oberste Feuchtigkeitsschicht
verdunsten lässt und mit ihr die Fährte. Es ist dieses gewisse moderat - 4-10 Grad -
kühle und windstille, beste Wetter, mit feuchtem Boden, wenn die Fährte »heiß«
ist,
die Meute folgt ihr wie auf Schienen, es kommt kaum vor, dass sie die Spur verfehlt,
der meiste Kill ist bei so einem Wetter zu machen.
Die Meute besteht aus 15*
n
»Koppeln«. Was wiederum ideal ist. Weniger als 10
Paar ist zu ärmlich, mehr als 20 sind schwer anzuleiten. Der Jagdleiter ist Péter
Baittrok, dieser namhafte Ingenieur. Er ist ein unabhängiger Gentleman von hohem
Ansehen: das ist eine notwendige Voraussetzung, um Master zu
werden. Baittrok verfügt über ausreichende Konditionen: er ist ein hervorragender
Reiter, kennt alle Finessen der Parforcejagd. Ein besonnener Mann, der aber auch
nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg hält.
Jegyzet
Ein einziges Mal hat er die Selbstkontrolle verloren. Auf der kleinen,
intimen Zusammenkunft, die man zu Ehren seiner Ernennung zum Chefingenieur
ausgerichtet hatte, hielt ihm János Tóbiás flüsternderweise vor, warum der Genosse
Chefingenieur denn die neue Schrankwand und den Philodendron zurückgewiesen habe, da
doch die Anschaffung beider notwendig und umständlich gewesen sei. In dieser harmlos
erscheinenden, beiläufigen Situation zwirbelte Baittrok an
seinem Bart und fing zu brüllen an, seine Augen blitzten, sein Gesicht lief rot an,
sein wohlproportionierter Kopf bebte. Du Götterdämmerung, du! Du quatschst mich an,
was sich gehört und was nicht, du elender Laffe, was man für die Macht braucht, mir,
der ich in deinem Alter im Majorsrang gedient habe in irgend so einem Loch, es gab
noch nicht einmal ein Kruzifix an der Wand, weil ich ein Reformierter bin?! Der Herr
Ingenieur Baittrok tobte. Du, Alter, erzählte er seinem Cousin, die Herren Genossen schämen sich meiner, ich bin ihnen zu lumpig. Die rechte
Hand des Jagdleiters ist der Huntsman oder Hundeführer, der sozusagen Tag und Nacht
mit den Jagdhunden zusammenlebt und jeden mit Namen kennt - und sie ihn auch. (Na,
die Hunde haben’s da leichter!) Er kennt sich auch mit der Natur, den Gewohnheiten
des Wildes aus; ein verständiger, flinker Mensch, dabei ein leichter und guter
Reiter. Die zwei, drei Piköre, auch Whippers-in genannt, die
sich ebenfalls an der Verschlagtür aufhalten, kennen die Meute und verstehen etwas
von Hund und Pferd, sie werden sich auch hier darum kümmern, dass einzelne Hunde
nicht aus der Reihe tanzen, sich nicht zurückfallen lassen etc. etc.
Es sei hier eingefügt: es ist klar, dass all diese Fachleute recht
anspruchsvoll sind, sowohl was die Bezahlung als auch was die Lebensweise anbelangt,
wodurch die Personalkosten regelmäßig satter sind als der Unterhalt der Meute, die
Grütze, das Pferdefleisch.
Auf ein Hornsignal hin geht der Hundeführer mit dem einen Pikör los;
der andere flankiert ein wenig das Dickicht, um die zurückgebliebenen Hunde
mitzubringen, danach erst geht der Jagdleiter los, Genosse Baittrok - und erst
dahinter die anderen Reiter: also ja keine Raserei und kein Wetteifern, bitte!
Hier ist keiner ungezogen: keiner, der den Jagdleiter überholte;
keiner begeht einen Verstoß, dessen angemessene Konsequenz der Ausschluss von der
Jagd wäre: keiner, der einen Hund anreitet; keiner ist unhöflich: es gibt kein
»Überkreuzen«, alle beherrschen ihr Pferd (es ist ein hässliches Bild, wenn der
Reiter von seinem Rosse davongerissen wird wie ein Ferkel von der Flut).
Drinnen tritt tödliche Stille an die Stelle des dröhnenden Lärms. Ist das das Ende? Schließlich kann man
jetzt nicht einmal mehr atmen. Jancsika, der bis jetzt still an der Wand saß, fährt
auf. Nein ... Ich kann nicht mehr. Békési kommt zu ihm. Hier gibt es nichts mehr zu
reden - mit Worten ist diesem Menschen kein Glauben mehr einzuflößen. Er gießt - mit
ruhiger, nicht zitternder Hand - einen Deckel halbvoll mit schönem, sauberem,
frischem, trinkbarem, wundervollem Wasser. Reicht es ihm. János Tóbiás dreht sich
weg, während er das Wasser austrinkt. Auch András Békési dreht sich weg, während
Tóbiás trinkt.
Das Wild hat einen beträchtlichen Ausweg, den es auch weidlich nutzt;
doch die Meute, die für diesen Zweck trainiert worden ist, ist ausdauernder und rückt
immer näher an das langsam müde werdende, atemlose Wild heran. Doch die Hunde
verlieren jetzt die Fährte, was einen kurzen Check zum Ergebnis hat. Den armen
Pferden ist das nicht unlieb. Ihr Rücken dampft, die Nüstern zittern angespannt.
Es ist eine glückliche und vielversprechende Geste seitens des
Genossen Szervácpongrácbonifác, dass er als einfacher Reiter unterwegs ist. Hier gibt
es keine Vorrechte (Adelstitel, Majoratsgut etc.); eine gewisse Ordnung ergibt sich
natürlich unwillkürlich. Neben Gregory Pecks winzigem Pony tritt leise die riesige
Fuchsstute des Genossen Brandhuber. Die Pferde stampfen auf, wiehern. Gratuliere,
zischelt Brandhuber Peck zu. Ich muss schon sagen, alles läuft hervorragend. Ein paar
Stunden, und sie sind draußen. Genosse Peck lächelt. Ein paar Stunden, das ist
vielleicht doch eine Übertreibung. Aber die Situation wird pausenlos besser. Das
Lächeln bleibt bei Peck. Pausenlos ist auch übertrieben. Der andere schaut den
Abteilungsleiter an.
Aber nur in zweiter Linie! Jawohl! Nur in zweiter Linie, sagt
fuchtelnd der liebenswürdige, sonnengebräunte Mensch. Du, Genosse Brandhuber,
solltest die Wissenschaft mehr respektieren. Ich habe ein Hindernis errichtet... Ein
Hindernis? Genosse Peck lacht. Der Jagdleiter mustert seltsam-lange das Duo.
Der Leithund gibt Laut, und die Spürhunde begrüßen mit einem plötzlich
erstarkenden Konzert den erneut erblickten Reinecke. Die Steigeisen klingen.
Tomcsányi sitzt wieder auf und spürt ein fast erfrischtes Pferd unter sich. - Sein
Pferd hat er beizeiten und gründlich daran gewöhnt, beim Aufsitzen auch dann ruhig zu
stehen, wenn um ihn herum Bewegung ist, galoppiert wird, was natürlich beileibe nicht
so einfach ist, wie es hierherzuschreiben; denken wir nur an den Marx- Platz zu
Stoßzeiten! Imrus Tomcsányi weiß, wenn er als einer der Ersten am Kill ankommen will,
muss er zu Beginn der Hetz Kräfte sparend, bescheiden in der »Nachhut« reiten, wo man
einen guten Teil der Kehren abschneiden und sich den leichteren Boden aussuchen kann
(z. B. statt des gepflügten Ackers den daneben verlaufenden Stoppelfeldstreifen).
Baittroks Pferd startet neben dem Tomcsányis. Der junge Mann fragt mit
niedergeschlagenen Augen: Schaffen wir es? Baittrok schweigt erfahren. Muss gebohrt
werden? Sie gehen los. Hügelan spornt er das Pferd nicht besonders an, der Anstieg
nimmt ihm sowieso genug Puste weg.
Ja, es muss. Erinnere dich an die Falken, mein junger Freund. Und es
wird sowieso eine Gegenbohrung sein. Tomcsányi hebt seinen klaren Blick. Die
Sonnenstrahlen tanzen, er hält die Zügel mit harter Hand. Aber die Gegenbohrung einer Gegenbohrung - ist eine glatte Bohrung, sagt er.
Philosophiere nicht so viel, Alter; es geht um Leben und Tod, vorwärts. Tomcsányi
reitet mutig hinab: der Boden ist gut, die Beine des Pferds sind gut, und er hat das
Herz am rechten Fleck, er weiß genau, dass es eine Ehre ist, immer an den Hunden zu
reiten (»up to hounds«), aber bei sich denkt er: Dazu braucht es ganz erstklassige,
eventuell während der Hetz gewechselte Pferde; wenn mir dazu die Möglichkeit fehlt,
mag ich es mehr, zum Schluss der Hetz vorne zu reiten, als gleich am Anfang den
größten Teil der Kraft aus dem Pferd herauszuholen.
Während des Galopps holt Gregory Peck ein kleines Büchlein aus seinem
Stiefelschaft. Eine Szene mit nicht geringem Schwierigkeitsgrad. Peck lächelt erneut.
Notiert etwas aufs Buch. Das ist meine kleine Bibel. P. J. Probys Bergbaukunde. Er lächelt selbstsicher. Genosse
Brandhuber schaut den über das Buch gebeugten Wirtschaftsführer
verächtlich an. Herr Wissenschaftler, presst er zwischen den Zähnen hervor, wie
seltsam Ihr doch seid ... Brrr. Der Blick des Jagdleiters fegt über die Landschaft.
Sein Bart ist charakteristisch.
Der Boden ist nicht gefroren, die Spuren der Pferdehufe sind zu sehen.
Reitet man über das Gut eines anderen Jägers, gibt es auch keine Klagen. Heute du,
morgen ich. Aber wenn der Trab über die kleinen Gemüsegärten der sozialistischen
Brigaden, durch die Pfeffer-, Bohnen-, Paprika-, Schwarzwurz- und Wallwurzreihen
geht, durch die Setzlinge des Meerkohls und die gelben Blätter des Würgels, wird
nicht selten (manchmal zu laut und nicht ganz angemessen) Schadensersatzanspruch
angemeldet. Die sozialistischen Brigaden bekommen pro Hufabdruck 1 Forint. Vom so
errungenen Geld leben und lernen sie auf sozialistische Weise: sie gehen ins Kino,
kaufen Theaterkarten und schenken einander Bücher (z. B.: Vasarely - ungarischer
Herkunft). Wir selbst sind auch Ackerwirte, pflegt Genosse Szervácpongrácbonifác im
Freundeskreis zu sagen, und wir stehen, natürlich, zum arbeitenden Volk, aber wenn’s
danach ginge, könnte ich jeden Herbst mit Freuden ganze Kavallerieregimenter über die
Saat reiten lassen; das ist eine gesichertere Einkommensquelle als die heutigen
Ernten, gewürzt mit den heutigen Verhältnissen. (Die herbstlichen Hufabdrücke sind im
Frühjahr gar nicht mehr zu sehen.)
Die Meute macht dem Wild den Garaus: kill! Den
erwürgten Fuchs nimmt der Jagdleiter für einen Moment dem Rudel weg, schneidet den
großen, roten, buschigen Schwanz ab, anschließend wirft er den Gevatter Fuchs hoch,
der somit »genossen gegeben« ist, woraufhin ihn die Meute innerhalb von Augenblicken
auseinandernimmt und verspeist.
Das war schön. Das war’s. Eichentische kommen zum Vorschein und
rustikale Bänke; geschmackvolle Gedecke - und nicht zuletzt: ein hervorragender,
leichter Gartenwein. Tomcsányi sitzt verklemmt am Ende der Bank. Genosse Brandhuber
erzählt. Und wisst ihr, wo ich ihn angeschossen habe? Darauf sind alle neugierig.
Genosse Baittrok streicht über seinen herzbrecherischen Bart und wendet sich mit
schlecht verborgener Abneigung an den Erzähler. Na, sprich es schon aus, genau dort,
wo die Tánya ihre Linsen hat! Dann wissen es wenigstens alle! Die Nachbarn biegen
sich noch vor Lachen und schlagen einander auf den Rücken, als Tomcsányi auf die Bank
hüpft, schon sehr aufgeregt, wie die Jungen im Allgemeinen, er legt seine Schwippe
vor sich ab, um zu sprechen. Hier fällt eine sehr ruhige Stimme, die von Miklós
Horváth, ein. Rede, mein Junge. Wir brauchen die Klarsichtigkeit einer jungfräulichen
Stimme. Dies löst von neuem Gejohle aus, aber Tomcsányi ist nicht mehr
aufzuhalten.
Genossen! Im fernen Norden sagt man über das Rentier, es sei das
nützlichste Tier, denn man kann alles von ihm verwenden: Fleisch, Haut, Knochen
gleichermaßen. Genossen! Die lineare Programmierung: ist das
Rentier der Rechentechnik. - Genosse Szervácpongrácbonifác steht turbulent
auf und gibt einige energische, richtige wie falsche Anweisungen. Das Personal macht
sich emsig an die Arbeit, die einzelnen Mitglieder tragen Mützen mit goldenen Quasten
(es sind sämtlich mit dem goldenen Kranz ausgezeichnete Brigademitglieder), und nur
noch die Reste des Kranzkuchens krümeln in den riesigen Rissen der Tischplatte.
Tomcsányi umreißt plastisch die Notwendigkeit und die moralischen Höhen der Rettung.
Was den Kranzkuchen anbelangt, hätte nicht einmal jener gewisse Wendler einen
besseren
backen können. Der Teig ist schön mürbe und die Füllung großartig, besonders die mit Nuss, in der Nüsse, Zitronat, Datteln, Äpfel,
Rosinen, Schokolade, Quittenkäse, Marillenmarmelade, Vanille, Eischnee und die
gezuckerte oder mit Honig gesüßte Milch ein famoses Ensemble bilden. Mag sein, er
kommt ein wenig teuer, aber er ist unschlagbar.
Genossen! Die Rettung würde in hohem Tempo, durchorganisiert und unter
Aufbietung all unserer Kräfte vonstattengehen. Die Daten über die Rettung - die Lage
der Papiere, die Atmosphäre in der Abteilung, die Bohrungen, pro Person
aufgeschlüsselt, etc. - würden beim Genossen Generaldirektor zusammenlaufen, auf
einem Display. Nicht auf dem Display, flüstert jemand. Der
Genosse Generaldirektor würde die Nacht durchwachen und sorgenvoll in seinem
Arbeitszimmer auf und ab gehen. Auf seinem Tisch viele Bücher, Papiere, ein
Rechenschieber. Zuoberst P. J. Probys Bergbaukunde. Aus dem
Radio würde Musik tönen, sich ergießen, sanft wie die Lüftchen über den heimat-
liehen Wiesen, und kraftvoll wie das Blut in den heißen ungarischen Arbeiterherzen.
Genosse Szervácpongrácbonifác würde arbeiten ...
Auf den grob gezimmerten Holzbänken erhebt sich Applaus, Pfiffe
schrillen. Miklós Horváth nickt aufmunternd. Genossen! Danach würde Genosse Horváth
über die Treppen sausen. Er würde sich mit Lkws und Jeeps treffen, der Motor würde
aufheulen bei der »Geländefahrt «. In einer Biegung würde ein schlammverschmiertes
junges Mädchen stehen - dort, wo wir, die Jugend der KISZ, natürlich streng nach der
Arbeitszeit, manchmal Pingpong spielen - und würde die Faust schütteln und auf
jemanden schimpfen. Ich glaub, mich tritt ein Pferd, würde das Administratormädel,
selbst in dieser schweren Lage geistreich, sagen; und erzählen, sie sei wütend, weil
man eine nichtsnutzige, schwächliche kleine italienische Maschine zur Rettung nimmt.
Warum nimmt man nicht ihre riesige sowjetische Maschine? Dabei könnte sie es in fünf
Stunden erledigt haben. Und in vier Stunden? Könnte sie das? Die junge Frau würde
Genossen Horváth erstaunt ansehen. Bitte um Verzeihung. Sie dächte nach. Könnte ich,
würde sie schließlich herausrufen. Halten Sie sich bereit. Die junge Frau würde
verwundert Genossen Horváth hinterherschauen, der nunmehr jede zweite, dritte
Treppenstufe überspränge.
Na, na, du, na! Bring uns, verdiente Männer des Systems, doch nicht
zum Heulen. Nichtsdestotrotz ergreift nun ein Mann mit finsterem Blick das Wort. Sein
Gesicht ist von einer Narbe zweigeteilt, doch seine Rede ist schlüpfrig, seidig, wie
die Achselhöhle der Schlangen. Ohne Fischereigenehmigung im Trüben fischen: das ist
Genosse Brandhuber. Oho, Freundchen. Nicht wahr. Soll doch der Schweiß fließen oder
das Blut, ist doch gleich. Sie wollen dem Arbeiter doch nur immer mehr abpressen!
Soll doch der Mensch, der arbeitende Mensch, verschleißen?! Wen kümmert’s?
Immer mit der Ruhe, lieber Józsi. Gregory Peck ist auf seinem
gewohnten Platz, mit dem Rücken an den Aschenbecher gelehnt. Immer mit der Ruhe,
flüstert er Brandhuber ruhig zu. 240 Aufstellungen stehen in der Hauptstrecke.
Zusammengestürzt, verschmutzt - unüber- windbar. Und das weiß keiner: nur du und ich.
Ach ja, Pardon: und »das Buch der fortschrittlichen Wissenschaft«, der P. J. Proby.
Genosse Brandhuber setzt sich mit knackendem Knie zurück auf die Bank. Ist das
sicher? Mehr Respekt für die Wissenschaft, Genosse Brandhuber! Wissenschaft?
Brrr.
Miklós Horváth winkt dem jungen Mann zu, er möge fortfahren. Auch der
Genosse Generaldirektor winkt. (Einer von ihnen widerstrebt gewohnheitsgemäß für eine
kurze Weile.) Genossen! Die Lage derjenigen dort drinnen würde immer schwieriger
werden. Eine töd-
liche Stille
würde an die Stelle des dröhnenden Lärms treten. Sollte es zu Ende sein mit der Hoffnung? Zu Ende? Die Rettung
verliefe unter großen Anstrengungen. Keine Zeit wäre zum Maulaffenfeilhalten! Die
sowjetische Maschine wäre hier! Genosse Brandhuber stutzt. Mein Herz, er zeigt
darauf. Gregory Peck legt seine Hand auf den Ringfinger des anderen. Ruhig Blut. Das
Zwischenspiel ist Baittroks Aufmerksamkeit nicht entgangen. Genossen! Genosse Horváth
würde die Eingeschlossenen anrufen. Er würde ihnen mitteilen, dass das letzte Kapitel
der Rettung angefangen habe. Das Ganze wird nicht mehr gewesen sein als ein
schlechter Traum, das Leben wird dort weitergehen, wo es so schmerzlich und
furchterregend abgerissen ist. Er würde mit jedem reden. Auch mit Marilyn Monroe. Er
würde ihr sagen, dass er viel an sie gedacht hat. Ein Mädchen - das ist eine große
Sache, eine hehre Sache. Wie sie wohl aussieht? Ist sie vielleicht sogar schön? Ist
sie jung? Welche Farbe haben ihre Augen? Blau? Und ihr Haar? Die Eingeschlossenen
würden tief in der Bredouille stecken. Wegen des Luftraums; und auch sie würden -
plaudern. Nicht, dass dieser redliche, aufopfernde Leiter noch denkt, dass sie jetzt,
in der Stunde des Todes, ungeduldig sind. Marilyn würde ihre Haarfarbe preisgeben:
sie wäre blond. Ich wäre unglaublich aufgeregt, würde Genossen Horváth fast den Hörer
vom Ohr reißen. Aber er würde nur reden, lächeln, lächeln, wie eine kleine
Schauspielerin. Später würde er die Sprechmuschel mit der Hand zudecken. Geh zum
Riesenventilator! Ich würde hingehen. Fräulein, riecht es bei Ihnen nicht irgendwie
merkwürdig? Marilyn würde kurz husten. Ein wenig ... ein kleines bisschen. Kein
Problem, würde Genosse Horváth mit gezwungener Fröhlichkeit in der Stimme sagen.
Nichts Schlimmes. Njitschewo. Meinen Berechnungen zufolge wird in 2 Minuten der Wind
durch die Strecke brausen. In 2 Minuten und 1 Sekunde wird ein Orkan an ihrem
Kleidchen zerren, ihr schönes, blondes Haar zerzausen. Zwei Minuten. Sagen Sie
Bescheid, wenn, hier würde Genosse Horváth auflachen, wenn der Orkan losbricht.
Genossen! Jetzt würde jeder, der am Leben wäre: horchen und warten.
Genosse Horváth würde warten: auf seiner Stirn säße in dichten Furchen die Sorge, in
seinen Augen loderte die Hoffnung. Auch ich würde warten, wie eine zusammengedrückte
Stahlfeder. Und Gregory Peck würde warten - in fürchterlicher Ruhe. Und noch jemand
würde warten, ein seltsamer »Retter« mit einem sehr bekannten Gesicht. Wäre das nicht
Genosse Brandhuber, dieser Mann mit dem berußten
Gesicht? Duuu! Doch, sagt der
junge Mann mit klarer Entschlossenheit. Und noch jemand würde hier warten. Angespannt
horchen. Genosse Baittrok. Er würde jeden sehen - würde sich jeden anschauen. Es wäre
ihm anzusehen, dass ihn nicht nur das Telefonieren interessiert. Es wäre noch etwas
anderes.
Eine kleine Unruhe entsteht, einige Gesichter sind rot, andere blass.
Jeder, der lebt, horcht und wartet. Horváth wartet: auf seiner
Stirn sitzt in
dichten Furchen die Sorge, in seinen Augen lodert die Hoffnung. Tomcsányi wartet wie
eine zusammengedrückte Stahlfeder. Und Gregory Peck wartet - in fürchterlicher Ruhe.
Und Genosse Brandhuber wartet und wendet den Blick nicht ab, weder won Gregory Peck noch von Tomcsányi. Dem
Genossen Baittrok ist ein Hauch Verwirrung anzusehen; aber natürlich wartet auch
er.
Ei, wei, Genosse Szervácpongrácbonifác springt auf. Er hat den
Fuchsschwanz in der Hand, den brush; er schwenkt ihn. Freunde!
Wir, ungarische Jäger, haben einiges, woran wir uns zurückerinnern können. Damit
meine ich meine eigene Generation, die um die fünfzig ... Wir sind schon »Väterchen «
geworden, aber noch sind wir nicht alt; wenn auf dem steilen Grat der Hirschbock
röhrt, sind wir noch in null Komma nichts oben, wir reiten noch das rassigste Fohlen
- wie wir auch sonst nicht verschmähen, was es Gutes gibt auf dieser Schattenwelt.
Doch vergebens, unser Haar ist schon von Raureif bedeckt, eine neue Jagdgeneration
ist herangewachsen, und manchmal, besonders an dunklen, klammen Novembertagen, müssen
wir daran denken, wie lange wir wohl noch mitmachen können. Die Zeiten, meine
Freunde, wandeln sich, und wir wandeln uns mit ihnen.
Genosse Gregory Peck zieht sich zurück auf die andere Seite des
Aschenbechers. Aus seinem Stiefelschaft holt er die bibliographische Rarität hervor,
den Mini-P.-J.-Proby. Und, was geschieht nun? Hier erhebt sich Lärm am Aufgang.
Lassen Sie mich hoch! Sofort! Pfui! Und schon fliegt eine Mütze mit goldenen Quasten
durch die Gegend. Zwischen den winterharten Jasminen steht, kämpferisch, ängstlich-
erschrocken mit ihren Zöpfen, die Janka Dorogi. Imre Tomcsányi schaut sie an. Er ist
ruhig, aber etwas in ihm schmerzt jetzt doch. Warum? Verzeihung, er springt auf.
Baittroks Blick lässt nicht ab von Gregory Peck. Sollte er sich mit seinem Verdacht
geirrt haben? Und handelte es sich um Anständigkeit? Der Abteilungsleiter blättert
fieberhaft im »Pidschäjprobi«. Er hat die gesuchte Seite gefunden, die er mit einer
einzigen Bewegung...
Baittrok packt seine Hand. Was willst du von mir?! Ich weiß noch
nicht, was ich will... Aber dass ich etwas will, ist sicher.
Das Mädchen schweigt mit niedergeschlagenen Augen. Imre schaut sie
durchdringend an. Blind ist er bis jetzt gewesen, und wie! Das flachsgelbe Haar des
Mädchens ist von der Sonne vergoldet, es flattert, fegt über ihre Schulter. Ihr
Gesicht ist blässlich und mager, aber ihre blauen Augen blinken mutig. Ihr Kittel,
der von einem schmalen Gürtel zusammengehalten wird, funkelt schneeweiß in der Sonne.
Janka ist ernst und für ihr Alter unpassend sorgenvoll. So ist also dieses Mädchen,
diese Janka, denkt Imre. Mit so einer sollte ich mich anfreunden. Sie hat viel
gesehen, weiß viel. Er schaut sich das Gesicht des Mäd- chens an, in dem die Spuren
von Erfrierungen zu sehen sind, er schaut die dunkle Ader unter dem goldenen Flaum
ihrer linken Schläfe an, und sein Blick spiegelt Respekt und Zärtlichkeit wider. So
viele neue Gefühle und Gedanken schwirren dem jungen Mann durch den Kopf, dass es ihm
schwerfällt, den wichtigsten auszuwählen. Wie so oft, hilft auch diesmal die Musik,
das Lied, der Gesang, diese keuscheste Kunstart aller Gefühle.
Glicklich ist der Mann
der dich li-ieben darf,
der dir zulächeln darf,
der mit di-hir sein darf.
Glicklich ist der Mann,
der mit dir le-heben darf,
für dich arbeiten darf,
den dein He-herz li-hiebt.
bis ich das Glick gefunden hab.
Verzeih mir, dass ich
So viel gere-hedet hab,
doch ich sah in mein Herz,
Und sa-hah dich darin.
Hand in Hand. Hoch oben treiben langsam, kaum merklich, spärliche
weiße Schäfchenwolken vorbei, glänzend und sauber wie gelöste Leinenbündel,
verschleiern sanft die Sonne. Im zitternden, dünnen Nebel schillern kurvig die
Váci-Straße und die Lehel-Straße. Auf der kleinen Wiese vor der Kirche wiegen sich
Pusteblumen wie das Meer. Ein sanftes Lüftchen bringt den Honigduft der Gräser
herüber. Die Hügel und die kleinen Täler strecken sich dahin, als wären sie gerade
entschlummert. In der Ferne hat sich der Westbahnhof eine grauweiße Mütze aus dem
Rauch der Lokomotiven aufgesetzt. Die Aktivistenbrücke legt sich wie ein
spitzenbesetzter Gürtel über den breiten Schienenkörper.
Plötzlich hat Imre das Gefühl, alles hier zu lieben, sich über alles
zu freuen: über Jankas Nähe, die Gräser, den Platz, die verblassten Zebrastreifen,
die versifften Toiletteneingänge, die blassen Feuerwehrautos, den Sieg der Osmanen
bei Mohács, die Kapitulation bei Kápolna, die einsamen
Telefonzellen, die Grimmigkeit der Passanten und die wei-
ßen
Schäfchenwolken am Horizont.
Taktvoll ermahnt Janka den jungen Mann. Es wartet Arbeit auf sie,
deswegen ist sie hier. Der junge Mann hat das Gefühl, hier oben hat er seine Pflicht
getan, seine anfachende Rolle ist zu Ende. Sie rennen auch schon in größter Hast
durch die Eisenfalltür, die denkwürdigen
Stufen hinunter. Auf dem
Korridor stoßen sie mit Tante Sári zusammen. Ihre fürchterlichen Wollstrümpfe leuchten hervor. Ich hab’s eilig,
mein Junge. Ich muss noch die Kühe melken und mein Zug fährt. Das Saure, was ich
versprochen habe, bring ich rein, wenn ich abdanke. Das Einmachglas können Sie
behalten. Sie gehen also wirklich, Tante
Sári? Ja. Ich bekomme 300 mehr und habe immer Morgenschicht. Und eine Poliklinik ist
doch eine saubere Stelle. Sie gehen zur Poliklinik? Ja. Die Frau bittet den jungen
Mann, er möge die Schlüssel beim Einlass aufhängen, und drückt ihm einige Schlüssel
in die Hand. Die Aluminiumblättchen sind schauerlich fettig. Der 906er und der 609er
Schlüssel ist auch dabei. Man muss sich auf den Kopf stellen, sagt Tomcsányi
scherzeshalber zum Mädchen. Los!
Und schon stehen sie keuchend, lufthungrig vor dem abebbenden Papier.
Schauen sich den Rückgang an. Jemand sagt, es braucht einen Rückgang von 12
Zentimetern, dann kann man rein. Imre flüstert Janka zu: Mir werden fünf reichen ...
(Aber werden sie auch für das Mädchen reichen?) Tomcsányi lacht optimistisch: er ist
jung, er ist kräftig. Janka lacht nicht, sie lächelt still, schaut sich Imre an. Ich
werde dich nie vergessen, flüstert sie leise. Ich dich auch nicht. Wir beide ...
Tomcsányi stürzt sich ins Papier. Geh, ruft er dem Mädchen zu, kümmere
dich um Békésis Frau. Das braucht sie jetzt. Janka läuft in die Lohnabrech, beide
Hände ringend, träumend. Bevor sie die Tür öffnet, zwingt sie Ruhe in ihr Gesicht.
Sie kann sogar lächeln! Die kreißende Frau liegt da, ihr Kissen ist Blaupapier, ihre
Decke Durchschlagpapier, Radex ihre Erquickung; auch sie
kann noch lächeln, also lächelt sie zurück. Janka ist mit einem Satz bei der
unbekannten, leidenden Genossin, streicht ihr das nasse Haar aus dem Gesicht und
spricht jenes Wort aus, das seit langer Zeit unwiderstehlich auf ihren Lippen brennt:
Meine Liebe ... (Dieses Wort hat sie seit langem Imre zugedacht.) Frau Békési -
versucht, weiter zu lächeln. Janka - streichelt sie. Meine Liebe ... Ein paar Minuten
noch ... nur noch ein paar Minuten ...
Aber auch das Leben der anderen währt nur noch wenige Minuten.
Tomcsányi nähert sich mit großer Geschwindigkeit. Wird es gelingen? Es muss
gelingen!!! Wortlos weiter. Da erblickt er etwas, eine seltsame, dunkle Masse. Aber
das sind doch die Aufstellungen! Alle auf die Dämme! Er zieht und zerrt an den
Aufstellungen, die äußeren gehen leicht, weiter innen wird es schwerer. Mit einem
langen Stock sprengt er die Büroklammern ab. Drei, vier bleiben zurück,
übereinandergefallen. Dorthin kommt man mit dem Stock nicht. Was nun? Man muss sich
hindurchzwängen. Tomcsányi zwängt sich hindurch. Schon steckt er mitten in den vielen
Aufstellungen, Zahlen, Worten, Diagrammen, Formeln, über Menschen, über Maschinen -
über uns. Er streckt die Hand aus. Aber die Armlänge, die menschliche Armlänge ist zu
kurz. Die Klammer - zu weit. Tomcsányi verlängert seinen kurzen Arm mit einem
schicksalsvollen, erhabenen Schritt. Erreicht das oberste Dos-
sier, stößt es hinunter.
Genosse Baittrok wendet sich vom Genossen Peck ab und tritt an den
Genossen Horváth heran. Genosse Horváth nimmt gemessen den Mini-P.-J.-Proby in die
Hand. Schaut sich die aufgekritzelten Zahlen an. 240 ... 240 ... Er schlägt sich auf
die Stirn: Aber das sind doch die Aufstellungen! In der Hauptstrecke! Gregory Peck
zittert wie Espenlaub. Baittrok packt mit zwei Fingern, als würde er den Henkel einer
Kaffeetasse zusammenkneifen, das Hemd des Genossen Peck am Kragen. Du elende
Missgeburt! Genosse Szervácpongrácbonifác unterstützt die Szene. Aus einer
erhaltenden Kraft, mein Lieber, ein Ver-
räter! Dennoch fragt er den Abteilungsleiter bezüglich seines Hemds, das gerade
gepackt wird: Aus Indien? Und wo gekauft? Doch Horváth lässt nicht zu, dass die
Verantwortung in andere Kanäle umgeleitet wird. Er schaut auf seine Uhr, schüttelt
missbilligend den Kopf, und langsam übernehmen alle das Schütteln. Er hebt die Hand,
seiner Hand entströmt Licht, die Dunkelheit weicht dem Licht. Diese Beleuchtung ist
richtig, denn sie ist: - angemessen stark, - blendfrei, -
der Lichtstrom verteilt sich gleichmäßig im Raum (richtige Lichtführung, gute
Schattenwirkung), - die Farbwirkung ist gut, - wirtschaftlich, - erfüllt die
ästhetischen Erfordernisse,
- betriebssicher.
Miklós Horváth schüttelt unverändert den Kopf, während er erzählt: Der
Fuß ist ein wichtiger Körperteil. Man muss auf ihn achten. Dass man ihn sich nicht
verrenkt undsoweiter. Aber wenn der Fuß wichtig ist, wie wichtig ist das Auge? Johann
Sebastian Bach, eines der größten musikalischen Genies der Welt, ist an seinem
Lebensabend vollständig erblindet. Doch wenn Bach und seine Zeitgenossen auch in
Dunkelheit leben mussten, wir müssen es nicht mehr. Einem Freund habe ich empfohlen,
er solle für 6,50 einen Milchglasschirm kaufen, er würde besser sehen können. Warum
sollte ich besser sehen, sagt mein Freund. Weil dir so die Sonne in die Augen
scheint, sage ich. Das hat keine Bedeutung, sagt mein Freund. Wenn ich mal fragen
darf, sage ich etwas schärfer, warum beschattest du dann deine Augen mit der Hand,
wenn die Sonne stark scheint?
Licht strömt. Die gesenkten Häupter heben sich, man hört glückliches
Lärmen. Unsere Freunde erheben sich vom klebrigen Linoleumboden, Tomcsányi kämpft
sich hinter den Dossiers hervor. Der KISZ-Sekretär dankt allen für die
Hilfsbereitschaft, die zahlreichen neuen Ideen, die spontanen Initiativen, die
Möglichkeiten zu umweltformenden und selbsterzieherischen Tätigkeiten eröffnet und
ein Beispiel für die s. Denkungsart gegenüber dem Egoismus, dem materialistischen
Denken und der Nach-innen-Gekehrtheit gegeben haben. Tomcsányi beugt sich über seinen
Schreibtisch. Er sucht etwas im Softwarehandbuch. Drei viertel vier! Es gehen auch gleich alle los: manch einer, um
das Kind aus dem
Kindergarten abzuholen, manch einer zum Kartenspielen, manch einer/eine zu
seiner/ihrem Geliebten, manch einer hat Karten für den Film Die
Rockmusik alter Zeiten, und manch einer macht sich einfach nur auf den Weg,
und dann (eines) spät Abends, wenn er todmüde nach Hause kommt und sich in seinen
großen Fauteuil fallen lässt (aus dem der Himbeersaftfleck schon längst entfernt ist) und an seinem Whisky ohne Eis nippt, weil er keine
Kraft mehr hat, sich bis zum Kühlschrank zu schleppen, beim Nachbarn summt leise der
Fernseher, jemand lacht laut auf, und er hat die Schuhe von sich getreten und bewegt
gerade ein wenig die Zehen, da bemerkt er trotz der beträchtlichen Dunkelheit, dass
er ein Loch in der Socke hat, und davon rastet er auf der Stelle aus und fragt sich:
Ist denn das so in Ordnung, wie es ist? - und er beantwortet es mit einem Nein und
gibt sich selbst die Schuld dafür.
Jancsi Tóbiás putzt sich die Zähne, der alte Tibi Tóth hilft Marilyn
Monroe in den Mantel. Die junge Frau verströmt frischen Kaffeegeruch. Music Boy oder
Konzert Boy, führt Lajos Ádám ausdauernd fort. Sie sind sehr putzig; ich bin mir
sicher, entweder Music Boy oder Konzert Boy. Onkel Tibi schnuppert an Marilyns Haar.
Rümpft die Nase wie ein Gigolo; vorne rümpft natürlich Marilyn die Nase. Dazu sagt
ein polischer Kumpel von mir, sagt Onkel Tibi zu Lajos, übrigens lst er auf der
Lusitania geboren, ist auch gar kein ungarischer Staatsbürger, sie haben keinen Platz
mehr auf der Titanic bekommen, die hatten vielleicht Massel,
er sagt dazu, was für eine aus den Angeln ge-
ratene Welt ist denn
das, wo die Juden kämpfen und die Deutschen Geschäfte machen. Hitler hat den
Krieg verloren, aber den Frieden gewonnen. Nach der Reihe unterzeichnen sie den
Anwesenheitsbogen. Der Bogen ist, aus ergonomischen Gründen, am Stock eines
Edelweißes versteckt. (Hebt die Moral der Arbeiter. Die künstliche Bestäubung des Edelweißes übernimmt, mädchenhaft errötend, Marilyn Monroe.)
Kinder, der Arbeitsplatz ist keine Kneipe, damit wir ewig hierbleiben, sagt Ádám und
ist schon aus der Tür. Beeilt sich, seine Töchter aus dem Kindergarten abzuholen: sie
sind eineiige Zwillinge. Er kleidet sie vollkommen gleich. Andras Békési schiebt den
Bogen Imre zu. Beeilung. Tomcsányi schaut sich das Papier an, dann András’
freundliches Gesicht, und sagt aufgebracht, Békési möge den verdammten
Anwesenheitsbogen sofort zuklappen, dieser sei nämlich wie ein offener Bauch, und als
der KISZ-Sekretär seine gutmütige, asymmetrische Braue einer Erklärung wegen
hochzieht, fügt er erklärend hinzu:
Die Unterschriften sind die
Gedärme.
IX. (ODER LETZTES) KAPITEL,in welchem der Genosse
Generaldirektor den Blick schweifen lässt
Unsere Situation ist rosig. (Unsere Situation ist rosig. Unsere
Situation ist rosig.) Es gibt einen Vordergrund und es gibt einen Hintergrund. Zudem
ist, wie uns zur Kenntnis gekommen ist, die Fliesung der Sanitärräume hervorragend,
ihr Luftraum sauber und gesund; das Wasser sprudelt, die aus feinen Gliedern
zusammengesetzte Kette erfüllt, also, ihren Zweck, ihr Gerassel kann unseren Nerven,
die wie Drahtseile sind, nichts anhaben. Die Bewegung der Fliege an unserem Hals
belebt unser Erscheinungsbild: unser Doppelkinn verschwindet unerwartet oder taucht
ebenso auf, ganz wie ein Industriespion. Kein Wunder also, wenn einer der Kellner,
ein Kellner, sich zu uns treiben lässt. Er kommt im lockeren Lauf. (Versucht nicht,
»mehr« zu hecheln.) Wir schicken ihn seine Mutter begatten und bitten sogleich um
Vergebung und uns wird vergeben.
Es ist drollig, dass auch er eine Fliege trägt. Das sagen wir ihm,
ungezwungen. Oh, mein Herr, seufzt er ernst, undiszipliniert. Trinken Sie Rotwein, es
ist ein prächtiger Jahrgang. Der granatrote aus VágÚjhely schlägt jeden Tropfen des
Burgunds. Er ist blutbildend, sagen wir neutral. Der Kellner missversteht unsere
missverständliche Zurückhaltung. Machen Sie sich darum keine Sorgen, sagt er und
winkt ab. Dafür ist Platz genug. Wir bestellen einen 73er Volnay
Clos des Chênes. Aus unserer Ziertaschentuchtasche ziehen wir unser
Thermometer hervor. Es zeigt 20 Grad an. Es müssten 16 sein, also lehnen wir den Wein
ab. Man probiert Verschiedenes aus. Als Champagner serviert man uns einen Moët Chandon, das köstliche Bukett des hell- grünen Chablis taucht alles in einen feenhaften Glanz, der blonde Château Yquem wirkt, als würde man Glut trinken.
Wir stellen das letzte leere Glas auf das große Silbertablett. Der
Winkel, den unser kleiner Finger mit dem Ringfinger einschließt, ist beruhigend.
Unsere Beruhigung löst ein Lächeln aus. Wir haben Glück: zum Lächeln findet sich kein
Gesicht. - Auf einer anderen Ebene der Macht wird das so formuliert, dass jenes
Gesicht von Glück sagen kann, wir schnipsen mit dem Finger: und von was für einem!
Doch wenn wir jetzt auf unsere Hand schauen, auf den gerade vom Daumen abperlenden
Ringfinger, vergessen wir, worum es gerade gegangen ist, nur der Mangel an einem
Anlass, die Gereiztheit, bleibt. Das ist überlegenswert; womit wir nicht viel gesagt
haben.
Wir versammeln uns zum Fest. Hurra. Die erhebende Arbeit der
Vorbereitung haben wir selbst in die Hand genommen. Wir besorgen Wein, Weib und Gesang und
lassen es ein bisschen krachen. Bereits in dieser Phase sähen wir es gerne, wenn Groß
und Klein der Firma erschiene, die Führungspersönlichkeiten aus Partei und Wirtschaft
bis auf den letzten Mann, um den Tribut ihrer Anerkennung zu entrichten. Wir sähen es
gerne, wenn die Begrüßungsansprachen Tränen in die Augen der Anwesenden lockten und
man anschließend eine gut gelungene Büste enthüllte. Eine Kranzniederlegung könnte es
auch geben. Wir sähen es gerne, wenn auf das Fallen der verhüllenden Hülle ein
einfaches, kameradschaftliches, üppiges Gastmahl in freundschaftlicher Atmosphäre
folgte, bei dem es keinen Mangel an Tischreden gäbe, während die braunen Jungs eine
schöne Melodie nach der anderen geigten.
Wir schlugen unserer vorbeiziehenden Sekretärin, Marilyn Monroe, auf
den Hintern und baten den Genossen Peck zu uns. Schau, Genosse Peck. Wir reden jetzt
zu dir wie ein Genosse zum anderen. Wie ein Genosse zum anderen? Ja. Marilyn kicherte
los. Fröhlich sang sie vor sich hin:
Genosse, Genosse,
rundherum, Genosse.
Na, na, aber wir sehen darüber hinweg. In Gregory Pecks
wettergegerbtem Gesicht verweilte Aufmerksamkeit. Ich bin ein Anhänger der offenen
Worte, Genosse Peck.
Du wirst der Mixer! Genosse Peck sprang auf, wir nahmen ihn in die
eine Hand, mit dem Zeigefinger der anderen umfassten wir seine Taille, so fingen wir
zu tanzen an!
Oh der Mixer,
was ein Gixer,
ein Wunderding,
ein Wunderding!
Genosse Gregory Peck geriet außer sich. Er stand auf, steckte die
Hände in die Taschen und lehnte sich gegen den Aschenbecher, der auf dem Tisch stand.
Für einen Moment senkte er den Kopf, dann hob er ihn und sagte mit einer ganz anderen
Stimme, leise und sehr ernst: Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat, und vor
allem weiß ich nicht, wer einen Nutzen davon hat oder haben wird! Besonders nicht,
wer einen haben wird! Ich weiß nur ... zum Landverteilen war ich gut genug, die
Partei zu organisieren war ich gut genug, die Kooperativen zu organisieren,
Friedensanleihen zeichnen zu lassen, bei Schnee und Matsch zu Fuß zu gehen, ein
Magenleiden vom ständigen kalten Essen zu bekommen - für all das war ich gut genug.
Jetzt - bin ich nicht mehr gut genug.
Wir verstehen dich, Genosse Peck. Aber die Zeiten ändern sich, und wir
ändern uns mit ihnen. Genosse Peck, bitte, denke nicht, dass deine Aufgabe etwa nicht
wichtig wäre. Sie ist wichtig. Wir stellten uns auf Zehenspitzen und ließen uns
wieder auf die Fersen zurückfallen. Wir schürzten unsere furchterregenden Lippen: das
Gefühl unserer Macht bahnt sich manchmal seinen Weg, wir wissen das. Und du solltest
nach all dem, was passiert ist, sowieso keine dicke Lippe riskieren! Weine nicht. Na,
na, nicht doch, na: mein süßer Kleiner.
Genosse Peck. Ziere dich nicht. Die Revolution besteht nicht nur
daraus, die Herren fortzujagen, es geht viel mehr darum, die Faulheit aus uns zu
vertreiben, die Anspruchslosigkeit, das Oblomow’sche Erbe. Du, mein lieber Freund und
Bruder, wirst auf dem rechten oder linken Flügel der Bar die Bestellungen der Kellner
ausführen, du wirst zielbewusst sein mit deinem kleinen roten Schlips! Deine Arbeit
wirst du in aller Sicherheit ausführen. Auf dem Tresen der Bar, für den ein
imposantes, gefälliges Äußeres von eminenter Wichtigkeit ist,
wird die größte Ordnung herrschen. Dein Make-up wird diskret sein, mein Freund, das
Tragen falschen Schmucks wirst du vermeiden. Wir hoffen, dein distinguiertes
Auftreten, deine geistreiche Konversation werden einen guten Eindruck bei den Gästen
hinterlassen. Pass auf, jeder deiner Sätze wird aufmerksam verfolgt werden. Die begründete Reklamation des Gastes musst du mit Geduld und
Gelassenheit ertragen, denn die Menschen sind verschieden.
Du kriegst dein Mädchen für alles. Und es wird Trockeneis geben, und
einen dreiteiligen Schüttelzylinder, einen Rührbecher, einen langstieligen
Rührlöffel, ein Drahtsieb, einen perforierten Seiher, eine Eiswürfelzange, ein
Eissieb, eine Eisschaufel, einen Eishammer, eine Zitruspresse, ein säurebeständiges
Obstmesser mit schmaler Klinge, ein Schneidebrett, ein Tropfglas, geeichte
Messgläser, eine Pfeffermühle, einen Paprikastreuer, einen Ölspender, einen
Puderzuckerhalter, einen Trockeneishalter, einen kompletten (!) Korkenzieher,
verschließbare Gießverschlüsse, einen Trichter, einen Schneebesen, einen Standmixer,
einen Sprudelbereiter, eine Preisliste und ein Programmheft.
Vorerst schreiten wir noch ohne Aufsehen zu erregen auf dem
»Flachdach« unseres Instituts einher. Tief atmen wir die schwere, würzige Luft ein.
Unsere Feier ist groß angelegt. Wir heben den Blick. Die Auenlandschaft mit ihren
terrassenartigen Ausformungen, den verschlungenen Pfaden im üppigen Unterholz, den
länglichen Zypressen und den Eichen, welch letztere die Natürlichkeit repräsentieren,
mit den Kakteen und den Tamarisken, mit den glänzenden, fleischigen Blättern - ist
wie immer. Es herrscht große Betriebsamkeit, es sind Buden aufgestellt worden, lange
Tische, ein Ringelspiel, Schießbuden.
Die Polizisten salutieren freundlich. Sie lachen, mit ihren
Sonnenbrillen blitzen sie die Frauen an. Wenn sich einer verirrt, sind sie behilflich
und sagen ihm, wo es ist; oder, wenn derjenige es weiß, nur nicht, wie er dahin
kommen soll, dann das. Den Angetrunkenen halten sie den Kopf, damit sich diese
erleichtern können, und wenn sie sehen, dass einer sich nicht wohl fühlt - wir sagen
dem ungarischen Volk die Wahrheit, so wie sie ist: es gibt solche; aber es sind
wenige, die so sind –; dann gehen sie zu demjenigen hin und vertreiben ihm angenehm
die Zeit. So haben wir es bestimmt. Scherzhaft salutieren wir zurück.
Alle sind hier; die Arbeiter, die Bauern, die Intellektuellen, wie es
sich gehört. Hier ist - last but not least - gleich als Erster Genosse Gregory Peck.
Die Getränke sind vorzüglich, der Tresen steht dominiert. Die Beleuchtung ist
freundlich. Pfiffigerweise hat er kalte Lichteffekte ganz und gar vermieden, denn
diese beeinflussen den Gemütszustand negativ und verändern unvorteilhaft die Farbe
und den Charakter der Gesichter der Anwesenden.
János Tóbiás ist hier, der vom Vertrauen Gebrauch gemacht und es nicht
missbraucht hat, und der sich so vertraut bewegt in seinem Jeansanzug. Für unseren
Geschmack ist seine Hose ein wenig zu eng, uns würden an seiner Stelle die Hoden
schmerzen. Aber das ist seine Sache. Wir müssen uns nicht in jede Detailfrage
einmischen. Er grüßt uns, und wir grüßen ihn, mit dem gewisse Parameter erfüllt
worden sind, zurück. Die Jugend! Ihr gehört die Zukunft, und ihr gehört unser Herz!
Dafür schämen wir uns nicht!
Hier ist Genosse Horváth, Servus, mein Lieber. Er lässt für einen
Dürstenden gerade Cola aus dem Steingarten sprudeln. Unsere engsten Mitarbeiter und
die gefeierte Abteilung, die, zu der auch Tóbiás gehört, versammeln sich langsam um
uns herum.
Die Ereignisse der Trauerfeier fügen sich organisch in unsere
Festivität ein. Wir verheimlichen nicht, dass es auch Verluste gibt. Dies ist eine
Niederlage für uns alle. (Wir haben die geschmacklosen Nachrufe mit starker Hand von
Ausartungen gesäubert, der Lobrede auf die Verwandten, der Aufzählung der Verdienste,
von allen Schnörkeleien.)
Das Administratorfräulein schluchzt immer wieder auf. Dorogi? Mutig
ist er …; sagt sie. Die anderen umarmen und trösten sie. Die Szene zieht sich ein
wenig in die Länge. Wir treten an die Bahre. Dort liegt also Imre Tomcsányi. Sein
Blut malt im Sonnenlicht hellpurpurne Flecke. In der Tasche seines Sakkos stecken
zwei knospende Zweiglein: eine Alber und eine Pappel. Wir riechen an den duftenden
Alberknospen und sagen, mit einem Blick auf die silbrigen Knospen der Pappel: Genosse
Tomcsányi hat das Leben geliebt. Die Stimme des Administratormädchens ist unangenehm,
grell. Möge er Lajos Kossuths Rechentechniker werden. So sei es, raunt die Brigade.
Möge er auf uns herunterschauen, von dort, wo er über seine Nation wacht. Und wenn
ich zehn Liebste hätte, ruft sie, keinem wünschte ich etwas Schöneres. Lasst uns
singen. Die Füße in Habachtstellung, die Hände an der Hosennaht. Unser Lied
erklingt.
Oh, mein Petrow, Petrow mein,
wie schön wird’s an der Wolga sein,
in einer Troika zu fliegen heim,
durch den Schnee,
oh, den tiefen Schnee.
Heia Brodsky, hei Tschaikowski,
das Leben hier ist famoski,
sag’s frei heraus,
am besten ist’s zu Haus.
Unserem KISZ-Sekretär laufen die Tränen über die Wangen. Es sind die
Tränen der Trauer und gleichzeitig der Freude. Er hält sein kleines Kind in die Höh’.
Aus ihm wird auch mal ein Rechentechniker! Békésis heisere, unsichere Stimme beginnt
die neue Strophe.
Ich geh nicht weg, ich geh nicht aus,
ich bleib mit der Tschechowa zu Haus,
gemeinsam spielen wir die Balalaika.
Wie der Samowar da summt und summt,
die Tschechowa zu mir kummt,
und schon brennt mein Kuss auf ihrer Wangelaika.
Mit einem bisschen Wodki im Leib,
ei, ei uchnjem,
keine Frau mir widersteiht,
ei, ei uchnjem,
Ich geh nicht weg etc.
Leider, leider kann die kleine Administratorin ihre Trauer nicht
beherrschen. Sie wirft sich Miklös zu Füßen. Ihr schluchzendes Weinen ist zu hören;
geschmacklos. Genosse Horváth, geh und besprich ihn:
Fleisch zu Fleisch,
Blut zu Blut,
Bein zu Bein,
werde wieder heil.
Wir schauen den Parteisekretär an. Sein finstres Gesicht begünstigt
uns nicht. Das geht nicht. Er streichelt über ihr kümmerliches Blondhaar.
Wir tun unsere Arbeit, unter dem Druck der Parameter. Wir haben uns
hier zu einem Fest versammelt. Es kann Verluste geben, aber unser Unternehmen
arbeitet mit Gewinn. Unsere Stimme wird entschlossen und entschieden sein. Wir
gratulieren, Männa. Der KISZ-Sekretär antwortet hart. Dafür gibt es keinen Grund, wir
haben die Goldgrube nicht gefunden. Die Menschen pflichten ihm bei. Wir lächeln, aber
wir freuen uns nicht so sehr, wie wir es anzeigen. Hmm. Sie sagen, sie hätten sie
nicht gefunden. Und wir sagen, zum Teufel mit der »Wunder-Studie«. Sie haben dort
drin in der Zeit etwas viel Wertvolleres gefunden. Sie haben den Mut in sich
entdeckt, den Glauben - Sie sind zu ungarischen Rechentechnikern neuen Schlags
geworden, zu Menschen der Zukunft. Solcher Schätze bedürfen Wir tun unsere Arbeit,
unter dem Druck der Parameter. Wir haben uns hier zu einem Fest versammelt. Es kann
Verluste geben, aber unser Unternehmen arbeitet mit Gewinn. Unsere Stimme wird
entschlossen und entschieden sein. Wir gratulieren, Männa. Der KISZSekretär antwortet
hart. Dafür gibt es keinen Grund, wir haben die Goldgrube nicht gefunden. Die
Menschen pflichten ihm bei. Wir lächeln, aber wir freuen uns nicht so sehr, wie wir
es anzeigen. Hmm. Sie sagen, sie hätten sie nicht gefunden. Und wir sagen, zum Teufel
mit der »Wunder-Studie«. Sie haben dort drin in der Zeit etwas viel Wertvolleres
gefunden. Sie haben den Mut in sich entdeckt, den Glauben - Sie sind zu ungarischen
Rechentechnikern neuen Schlags geworden, zu Menschen der Zukunft. Solcher Schätze
bedürfen wir, das sind unsere teuersten Schätze, das ist unsere wahre Goldgrube.
Unsere Leute schauen uns mit der entsprechenden Rührung an. Sie stehen
beieinander und jetzt fassen sie sich an den Händen. Ein Kollektiv. Wir sind
zufrieden. Oh diese Jugend, was sind Sie doch nur für Leute, sagen wir heiter und
versonnen. Wir langen in die Innentasche unseres Sakkos und holen ein geknittertes
Papier hervor. Wir warten, welche Wirkung das macht. Sehen Sie, das haben wir in
einem anderen Schrank gefunden. Eine Studie. Diese Menschen hier sind nicht eben erst
mit dem 6.20er gekommen, sie schauen sich das Papier an, drehen und wenden es, in
manchem erwacht sogar der Verdacht. Doch der KISZ-Sekretär findet, unserem zeigenden
Finger folgend, das kleine »verräterische« Zeichen. Unten auf dem Blatt steht: Seite
57.
Békési nimmt das Papier in die Hand, zerknüllt es zerstreut und mit
Leidenschaft. Sein kühnes, von Verlangen und Triumph erfülltes Gesicht blickt über
Hügel, Straßenbahnhaltestelle, Rauch und Wolken hinweg auf den fernen Horizont. In
Ordnung, sagen wir, wir wünschen weiter viel Vergnügen, essen Sie, trinken Sie - das
Rehpaté, gute Herren, das Rehpaté -, und wir hoffen, dass unser Freund Tomcsányi auch
in seiner neuen Lage seinen Mann steht. Ein Zuckerwatteverkäufer nimmt den Platz der
Bahre ein, Luftballons huschen über den Arbeiterbezirk. Genossen, Genossinnen, Frauen
von Rákospalota! Was wir wollen, sind nicht aufsehenerregende Ergebnisse,
repräsentable Statistiken, obwohl wir nicht behaupten, dass es so etwas bei uns nicht
gibt, sondern wir gründen den Erfolg auf den harten Alltag. Herbei also mit den
Jungen! Burschen und Mädchen mit harten Fäusten, angespannten Muskeln, mutig und
tatbereit. In ihren Händen soll siegestrunken das Terminal, die Waffe des
Rechentechnikers, flattern, sie sollen es sein, die sich sorgenvoll über die
Zeilendrucker beugen, auf ihre beseelte Arbeit hin ziehe das schwere Gewicht der
zahllosen Informationen die unermüdlich laufenden Lochstreifen bis zum Bersten.
Die Dossiers und Mappen sollen sich füllen, die Daten sollen sich
ergießen in alle Ecken und Enden des im Aufbau befindlichen, er- starkenden
Vaterlands, mit den Tausenden und Abertausenden Tonnen der Munition des Friedens.
Genossen, Genossinnen, Frauen von Rákospalota! Heute steht die Erde vielerorts in
Flammen und das Leben verwelkt! Lasst uns Zusammenhalten und lasst uns nicht
zulassen, dass sich die verheerende Flamme ausbreitet, lasst uns ihren Weg mit dem
Graben der Liebe durchkreuzen und lasst uns hoffen, dass Gott auch dieses Feuer
löschen wird!
Erneut beginnt der Trubel, und wir mischen uns demokratisch unters
Volk. (Wir forcieren die Demokratie.) Manch einer wollte Spanferkel essen, ein
anderer gefüllte Pilze und Erbsen in Mayonnaise; manch einer beides, wir aber haben
keinen Hunger. Mit Bändern geschmückte Gespanne rollen vorbei, Blumensträuße fliegen
wie die Vögel durch die Luft; man kann sich nur schwer vorstellen, dass es einer der
in Jeans gekleideten jungen Menschen auf den Wägen sein wird, an dessen Messerklinge
bald das tierische Blut sprudelt. Es ist schwer. Aber es ist so. Lämmer, Ochsen,
Schweine brutzeln auf Rosten und auf Spießen, weiße Fleischer drehen sie.
Am Ringelspiel ist das Gedränge groß. Wir bitten
Miklós Csáki, angelernter Arbeiter aus Szeged, die erste Geivinnzahl zu
ziehen. Neben dem Glücksrad steht ein Klavier, mit Stahlrahmen. Die beiden
Wirtschaftsberater schalten und walten, Giacomo spielt vierhändig mit Kamerad
Beverly. Miserabel. Die Kunstblumentöne und der dickbäuchige Rhythmus! Was war wo?
Auf dem Klavier zwei große Silbertabletts: auf dem einen Sandwiches - mit Salami,
Lachs, weißem Braten, Lungenbraten, mit Kaviar, Sardinen, Eiern, Schinken und Butter
–; auf dem anderen die leeren Gläser. Kamerad Beverly beugt sich aus der Melodie
heraus, er berichtet über die Einstellung von Facharbeitern. In Ordnung, sie werden
gedeichselt werden. Dank dir schön. Wie man sieht, haben wir gleitende
Arbeitszeit.
Wir schnuppern interessiert zwischen die Speisen. Das Schmalz zischt,
die Speckstücke tanzen. Mit Freuden sehen wir, das Zonenpörkölt ist: Zonenpörkölt.
Denn oft ist zwar die Zone noch eine Zone, aber das Pörkölt lange kein Pörkölt mehr.
Aus der Keule - und wenn es das teuerste Fleisch ist - wird das Pörkölt nie richtig
würzig und gehaltvoll, es sei denn, ein bisschen flechsiges, fetziges, knorpeliges,
knochiges Wammen-Kopf-und-Fuß-Fleisch kommt ihm zu Hilfe, ein
Stück Herz
und die Herzwurzel.
Denn zum Beispiel wird schon mit den Gewürzen viel Schindluder
in unseren Küchen getrieben. Phänomenal, wie viel Zwiebeln man in der Lage ist in einen Topf Pörkölt hineinzuwerfen.
Phänomenal.
Hier haben wir dieses von feinen Fettadern reich durchzogene, hellrote
Mastochsenfleisch, schön elastisch anzufassen, das man sich nicht zu schade ist, 5
bis 6 Tage vor dem Verkauf auf Eis zu lagern, damit es mürbe ist, wenn wir es auf
unsere Gabel spießen und unserem begierigen Mund zuführen.
Jemand ruft mit großem Enthusiasmus. Genosse Generaldirektor, was isst
du? So was isst du aber nicht! Wir schlucken von Herzen: das gezeigte panierte Huhn
ist eine ungarische Landrasse, kein steirisches. Denn das steirische Huhn ist als
steirisches Brathändel vorzüglich, jedoch paniert: ist es nur eine fad blutige,
harte, geschmacklose Parodie des Originals. Herzhaft lachen wir über den Spaß: wir,
die aus Arbeitern gewordenen Intellektuellen, und sie, die aus Arbeitern gewordenen
Arbeiter. Wir denken, sagen wir und zeigen auf einen Fasan, der, wie allgemein
bekannt, einer der dümmsten Vögel überhaupt ist, wir denken, und dem leihen wir auf
verschiedenen gesellschaftlichen Foren auch unsere Stimme, dass es eine
geschmackliche Verirrung wäre, zu warten, bis der Fasan vom Knochen fällt: dazu neigt
heutzutage selbst der raffinierteste französische Gourmet (Marchais etc.); es reicht,
wenn der Geruch des Fasans (der haut goût) ein wenig stärker
wird und das Brustfleisch sich ein bisschen verfärbt hat.
Von den grünen, üppigen Lauben her kommt jemand gelaufen. Großes
Gejohle begleitet ihn. Er hält sich das Geweih des neulich von uns geschossenen
Hirschbocks an den Kopf. Aberaber. Er brüllt aus voller Kehle. Den haben sie auch
festgebunden für den alten Arsch! Den haben sie auch festgebunden für den alten
Arsch! Das wären wir. In unserer Umgebung erschrecken einige, was jetzt wohl
geschieht, meine ölig-schmutzigen Arbeiterbrüder johlen zwischen den Buden. Wir
johlen mit ihnen, lassen aber den Spaßmacher zu uns kommen. Freundlich legen wir
unsere Hand an sein rotbäckiges Arbeitergesicht, vorsichtig, nicht dass unsere
Siegelringe ein Geräusch auf seinen eigenwilligen Jochbeinen machen: wir sind Blut
von eurem Blute!
Auf dem Konsoltischchen neben dem Apfelbaum steht eine Mahagoni- Schachtel offen, darin kauern ein paar Virginias, in trauriger
Gesellschaft einiger billiger Spezialität-Zigarren. Sie entsprechen nicht den
Erfordernissen. Wir, die wir große Freunde der Virginias waren, solange es uns unsere
Ärzte erlaubten, zünden uns nun eine schwache Puertoricanische an und beginnen mit
den im Halbkreis Aufgestellten das Cercle. Eine schwere Kunst.
(Ihre Frau Mutter war eine Mohrin, nicht wahr? Jawohl, Herr Präsident, ich bin ein
Mulatte. Sehr richtig, mein Herr; machen Sie weiter so.) Doch wir sind weise. Wir
wappnen uns mit erprobten Schablonen und lassen uns hinter diesen, wie aus starken
Burgen, nicht hervorlocken, so geschickt der, mit dem wir uns abgeben, die Worte auch
melieren mag.
Das sanfte, laue Licht, die Freundlichkeit in unserem Gesicht, der
gesellig kulminierende bläuliche Rauch, der sich mit dem Blumenduft des Raum-Stücks
mischt, füllen sozusagen das furchtbare Vakuum aus, das zwischen ihnen und uns
klafft, so dass die Unterhaltung recht ungezwungen und mutig ist; aber gemeinhin doch
nicht das, was am nächsten Tag in den Blättern reproduziert wird. Farbige kleine
Komplimente, spitze Epigramme, weise politische Sprüche entstehen in den Köpfen - im
Nachhinein! Dabei sind die wirklichen Fragen, aber vor allem die Antworten: nicht
interessant. Denn wir sind vorsichtig.
Sollte es doch einen geben, der, elektrisiert im rosaroten Nebel, der
aus der Magie des Anlasses herausdunstet, unter dem Einfluss der neckischen Kobolde,
die aus Noahs wunderbaren Reben hervorkommen, seine Antworten so geschickt auf die
Politik oder ein interessantes Dilemma lenkt, dass unser Diskurs nun das relevante
Feld betreten müsste - dann gehen wir einen Schritt weiter, zur nächsten Figur, und
machen so Schluss damit.
Ah, ah, Genosse Brandhuber, gehen wir, in Ermangelung eines Besseren,
zur nächsten Figur weiter. Genosse Brandhuber ist ein erfahrener Genosse mit einer
reinen Seele und einem harten Gewissen. Die Übergriffe der fünfziger Jahre haben -
abgesehen von einigen Todesfällen - ihn selbst am meisten mitgenommen. Genosse
Brandhuber klappern die Zähne vor Geehrtsein. Einen Mantel
für Tisza, werfen wir beiläufig hin. Die Bediensteten lungern fachgerecht herum.
Lauter gut genährte, muskulöse, martialische alte Diener, streng nach Statur und
Gesicht ausgewählt, wie die langen Kerls des Alten Fritz.
Wir schlagen einen höheren Ton an. Unsere Zeit ist die Zeit des Lichts
und der Helligkeit. Der ungarische Führer von heute kann aus der Höhe der Zukunft ins
Heute blicken: überall sieht er die Großartigkeit, die unbesiegbare Kraft des Neuen.
Umso leidenschaftlicher muss man also für diese geplante Zukunft den Kampf aufnehmen
mit allem, was überholt ist. Umso leidenschaftlicher muss man die Dämme stürmen, die
den Lauf der Geschichte bremsen möchten. Umso mehr muss er wissen, dass ein echter
Wirtschaftsführer kein Inventarist der geschehenen Dinge ist, sondern dabei hilft,
sein Volk zu großen Aufgaben zu erziehen.
Sein Volk, flüstert Genosse Brandhuber. Das - logisch! - lässt uns an
ein paar Kerben auf seinem genannten Kerbholz denken. Wir zie-
hen ihn
am Ohr.
Der Bucskaer Wein lässt die gute Laune aufleben. Wir sind Teil eines
farbenfrohen Umzugs. Das Haargeflecht und die Kleider der administrativen
Arbeiterinnen sind mit Silbergeld geschmückt, und mit einfachen - Volks- -
Instrumenten wird großes Getöse veranstaltet. Anschließend spielt das
Stefanovits-Quartett einige Polbeat-Nummern (Lieder von heute), sehr populär.
Stefanovits ist ein Mann der
Zukunft. Phänomenale weißkrempige Hüte rühren sich, verziert mit wunderprächtigen künstlichen
Maßliebchen. Wir überschreiten die heutigen Kneipen, wenden uns zur Erholung der
Natur zu, der uralten, unverdorbenen Natur. So weit das Auge reicht, reihen sich die
Ge- müsegärten der sozialistischen Brigaden einer an den anderen. Es gibt sogar
welche, die ihren freien Samstag dafür opfern.
Und die vielen Mehrjährigen! Wie der lilablaue Schirm der Anemonen der
mit dem goldenen Kranz ausgezeichneten Brigade »Luis Buñuel« überraschend zwischen
den kaninchenlöffelgleichen behaarten Blättern herausschlüpft! Die Gladiolen
begleiten mit blauen Akkorden die Musik der weißen Köpfchen der Schneeglöckchen; auch
die verschlafenen Blattvolants der Farne haben sich aus ihren schneckenförmigen
Anlagen befreit, und wie eine südliche Pflanze bricht das faustgroße Blattauge von
Kleopatras Lanze aus der Erde hervor: kaum zu glauben, dass dieses wunderbare Gebilde
ein Kind des kalten Sibiriens ist. Das Gemskraut sieht von weitem wie ein
aufgespanntes gelbes Tischtuch aus. Die goldenen Kugeln der Trollblume daneben stehen
Wache. Die prächtigen japanischen Glockenblumen mit den geöffneten Tellern schicken
ihre Komplimente, und im Halbschatten antwortet der Eisenhut darauf.
Einen Ausschnitt des Raumes kombinieren wir mit einer Person: da
schau, der Gärtner. Er räuspert sich, macht sich nur langsam ans Werk.
Zu dieser Zeit des Jahres steht nur das Jäteisen wirklich hoch im Kurs, sagt er vorsichtig. Hammer und Jäteisen, antworten
wir heiter. Jetzt spricht er aber aus, was ihm am Herzen liegt. Ach, süßer Genosse
Generaldirektor, großes Ungemach ist über uns gekommen.
Das ist es gar nicht, Genosse Generaldirektor, sondern der
Rübenderbrüssler. Da grinsen wir bis über beide Ohren. Zur Bekämpfung des gemeinen
Rübenderbrüsslers empfehlen wir eine sehr einfache, aber auf tiefen theoretischen
Grundlagen beruhende Methode, welche in der Erkenntnis der zwischen den Tierarten
bestehenden komplizierten antagonistischen Beziehungen wurzelt. Benutzen wir Hühner.
Die Hühner nämlich, unser Zeigefinger schwankt wie das
Schilfrohr, die essen nämlich den Rübenderbrüssler. Den dankbaren Handkuss des
Gärtners lassen wir kopfschüttelnd über uns ergehen.
Große Zeit! Das Wort erfüllt sich:
Eine Herde nun sind wir!
Einz’ger Glaube ist die Freiheit.
Brüder auf zur Côte d’Azir!
Dazu sagen wir und lösen damit großes Gelächter aus, wenn du keine 100
Rubel hast, sollst du 100 Freunde haben. Der Leiter der Schießbude ist ein Genosse
mit welschem Gesicht, im Muskelhemd. Er sitzt auf einem
einfachen Stuhl und spielt die Trompete, das Ilsilenzio. Er spielt, sagt jemand, wie
einer, in dem kein Gott zu Hause ist. Daraufhin werden sie handgemein, aber beim
Kampf geht es um nichts. Drüben können wir Zeuge eines interessanten Wettstreits
werden. Die soz. Brig.n Wettstreiten. Kommen Sie näher, kommen Sie heran! Das Gesicht
des Ausrufers ist rot. Der große Wettkampf! Der Erstplatzierte 2 Tage Prämienurlaub!
Versuchen Sie es! Haben Sie keine Angst! Was würden Sie? Was würden Sie? Was würden
Sie kochen?
Was würden Sie für unsere Partei- und Regierungsführer kochen, wenn
Sie sie zum Nachtmahl bewirten dürften?
Der Andrang ist groß, viele versuchen ihr Glück, die leichte Herbe der
Olive greift um sich, Champignons mit Artischocken rollen durch eine Basis aus
Béchamel. Kommen Sie heran! Werr wagt, derr gewwinnt. Aber. Wir machen die
Wettkampfteilnehmer darauf aufmerksam, dass der Hummor derr Macht labbil und
unnerrgründlich ist, man möge also Abstand nehmen von verlotterten Späßen! Braten
Sie, kochen Sie, aber witzeln Sie nicht. Arbeit gibt es genug! Sie
sollten sich in Ihren Turnierlösungen also nicht auf Ergebnisse
der------------------
*
n
Küche stützen!
Jegyzet Textverfall
Wir sind gerade dabei, die Varianten zu beschnuppern, als Baittrok in
neckischer Laune an ein Mädel im Hof herantritt, es an der Taille packt und anfängt,
den Csárdás zu tanzen, jugendlich, schneidig, so wie ihm »Gott das Tanzen gegeben
hat«. Es entsteht auch sofort ein großer Rummel, in dem wir jemandem in die Eier
latschen. Milpardon.
Wir winken Marilyn Monroe, dass wir die Schuhe ausziehen möchten. Es
wird uns ein Feldstuhl untergeschoben, wir heben einen Fuß, Marilyn Monroe nimmt ihn
zwischen ihre straffen Schenkel, hält den Schuh, die Gewohnheit ölt die Manöver, wir
stoßen uns mit dem anderen Fuß kräftig an ihrem Steiß ab, wie das seit Jahrhunderten
Sitte ist. Das zarte Frauchen auf dem Rasen, gefetzt, mit unserem Schuhwerk im Schoß.
Wir danken, Engelchen.
Doch Marilyn Monroe verzieht den Mund. Wir sind gezwungen, uns mit
Tánya, der Kranführerin, zu trösten. Tányas Charme, ihre lebendigen, klugen Augen
haben nicht nur das Gefallen der Freunde, sondern auch das der Feinde erregt. -
Dieses heißblütige Geschöpf hat häufig unter einer Decke mit den Abteilungsleitern,
den Drehern, den Ingenieuren, den Hirten gesteckt. Der hochgestellte
Brunnenschwengel, ein ins Fenster gestellter Milchkrug, Blaupapier oder ein Rock auf
dem Zaun haben den freien Weg angezeigt. Der vorsichtige Abteilungsleiter ging als
Erstes an den Brunnen. Der durstige Mann fiel keinem auf. Trinkwasser gibt man guten
Herzens einem jeden. Das Frauchen, das sich mit einem Simperl oder einem Besen in die
Tür stellte, verlieh ihrem Alleinsein extra Nachdruck. Der Mann sagte seinem Partner
nur so viel, als er losging: Ich geh auf einen guten Schluck Wasser auf die Kate der täppischen Tánya. Der andere zwinkerte dazu nur
verschmitzt mit dem Auge; Schmieren gut zwanzig vor! Unstetes Mensch mit
Wespentaille!
Als wir sie erblicken, transportiert sie Hafer auf einer Zeltplane und
verscheucht von Zeit zu Zeit die hartnäckigen Perlhühner. So viel Anmut, so viele
Reize! Die Augen der Menge kleben lusttrunken an ihren Formen. Applaus und Gewimmel
ertönen. Die Musik spielt, die Horne schmettern - und die Frauen sind nur nackt
schön! Wie die sich schwingen, wie die es beben lassen kann, gütiger Gott! All ihre
Muskeln bewegen sich, kitzeln das männliche Auge. Hoch und gerade ist sie wie die
Lilie und dennoch rund geformt, wie von einem Piktor gemalt. Ihre Taille biegt sich
wie die der Schlange, und vielleicht zischt sie auch; ihr Busen bebt, dass die
angesteckte Nelke fast vibriert zwischen den beiden Äpfeln.
Doch sie vibriert nicht lange, sie pflückt sie herunter und steckt sie
kokett in unser Knopfloch. Um dann, losgelassen, schelmisch die Hüften zu rütteln und
zu schütteln, sie sprengt los, dreht sich wie ein Kreisel, und dabei macht ihre
zischelnde Seidenschaube einen Wind, dass, wer von ihm getroffen, betäubt wird und
trunken; ihre goldenen Schläppchen wirft sie in die Höhe, die dann mit irgendeinem
Zaubertrick im Herunterfallen wieder auf ihre winzigen Füßchen rutschen.
Wir führen sie an die kalten Platten, versammeln alle Tänzer und
Tänzerinnen um uns, geben dem Stefanovits-Quartett ein Zeichen und führen die
Gesellschaft in einer »Farandole«, einem huldigenden Marsch, vor Tánya hin. Wir
nehmen von den Trüffeln und dem Roastbeef. Wir haben einen teuflischen Plan ersonnen.
Die Trüffel wären für sich allein genommen schon das eine oder andere wert, doch für
uns sind jetzt die beiden übereinanderliegenden Gabeln wertvoll. Sehen Sie, sagen wir
zur Kranführerin, indem wir auf das Silber zeigen, was von dort aus gesehen ein
stumpfer Winkel ist, ist von hier aus gesehen ein spitzer. Ja, Tánya lächelt müde,
ja, und sie ergänzen einander zu 180 Grad.