E.S
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AUFZEICHNUNGEN
Jegyzet Eckermann, Johann Peter (1792-1854), deutscher
Schriftsteller, Sekretär und literarischer Mitarbeiter Goethes. Schrieb treulich
seine »Gespräche mit Goethe« auf, als Zeuge von Wirken, Lebensverlauf
und schließlich Tod seines abgöttisch geliebten Meisters.
Buddy Glass ist natürlich nur ein Pseudonym.
Mein wahrer Name ist: Major George Fielding
Anti-Climax. (Salinger: Seymour wird vorgestellt)
1 An einem »lächelnden Frühlingsmorgen«, einem Dienstag, suchte Péter
Esterházy lange nach seiner Trainingshose und sagte schließlich ein wenig gereizt:
»Ich finde sie nicht.« Sowohl für Esterházy als auch für Esterházys Frau
war klar, dass dies in folgender Weise zu verstehen war: »Wo zum Henker hast du
sie schon wieder hingetan?« - »Bist du blind?« Die Frau beantwortete
die Frage schnörkellos mit einer Gegenfrage. Am Tag darauf konterte Esterházy also:
»Ein Blinder weist dem anderen das Wort.« Aus diesem Stück Leben hatte der
Meister diesen denkwürdigen Eröffnungssatz herausdestilliert, welchen ich hiermit als
repräsentativ noch einmal festhalte: Wir finden keine Worte. (Ich hoffe, der Meister
rügt mich nicht für meine Vorwitzigkeit. Denn es kam schon vor, dass er sich mit
wütendem Gesichte giftete, ganz so, als würde ich seinen Roman »ausweiden«,
und noch dazu hier, »vor aller Augen«. Aber ich nehme selbst das in Kauf:
seinen Affekt gegen mich. Dieser Affekt gebar zu einem anderen Terminus folgende
Worte von des Meisters Lippen: »Aber wie reden Sie, mon ami?! Was für ein
stilistisches Geknäul ist das?! >Seinen Affekt gegen mich <, >zu einem anderen
Terminus <, >Worte von den Lippen gebären< - ein normaler Mensch spricht so
nicht!« Ich schwieg. Bin ich doch kein normaler Mensch, sondern des Meisters
treuer Lebenszeuge. Treue und Respekt haben eben ihren Preis. Einen in Worten
ausdrückbaren Preis. »Mein Ärmster«, sprach der Meister mit leisen Worten
und streichelte sanft über meine Wange.)
2 Angesichts des eifrigen Bemühens des Autors dieser Zeilen hub er zu einem
verzeihenden Lächeln an. Indem er am breiten, eleganten Revers seines seidenen
Dichtermantels kratzte, murmelte er: »Was ist das für eine Idee, mon ami?! War
es denn nicht genug?!« Doch alsdann schlug er in die Luft und gab eine zünftge
Antwort: Ȁchhh! Die Idee! Ideen sind endlich. Doch das Herz, das in ihnen
schlägt, das ist endlos!« Weise fuhr er fort: »Alles Gescheite ist schon
gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.« Er hob seinen
großen, durchdringenden Blick: »Was ist das wohl? Eierreste, mein Freund, oder
Leim?« (Warum: Leim? Nun dies sind jene irrationalen Nuancen, die den Erwählten
von unsereinem unterscheiden.) Er fuhr fort, die wunderbare Seide zu säubern. Herr
Csucsu (der an jenem Tag, meinem mageren Urteil nach, wunderbar war: wie er an der
Strafraumgrenze den Ball »dünn« wegzog ...! Der Trick war, wie immer, auch
diesmal mehr, als notwendig gewesen wäre ... dennoch!) und der Libero (das ist ein
Posten) sprachen ihm ungeduldig zu, er möge nicht so lange
herummähren, sondern spielen. »Wissen Sie, mein
Freund«, sagte er, minimal aus der Ruhe gekommen, während er die
Streichholzschachtel auf die hässliche Tischplatte des Gastronomieobjekts stellte,
»wissen Sie, der Humor hier ist weder >beißend< noch
>gemütlich<
«. Er schnippte. Pass. Doch nun, damit das Folgende in seinem vollständigen
Lichte sich vor uns entfaltet, muss ich von einem Gespräch mit einem gewissen Herrn
Péter (siehe Zeichnung S. 187) berichten, welches zeitlich ein anderes Mal stattfand.
Zu einer frühen Stunde. Der Meister suchte Herrn Péter ohne vorangegangene
Ankündigung auf; Herr Péter wirkte sehr verschlafen. Sie tranken Nescafé, er war
grauenhaft. Das nur langsam in Gang kommende Gespräch wurde von einem Telefonanruf
gestört. (Der Meister liebte die Langsamkeit seiner Treffen
mit Herrn Péter sehr.) Am jenseitigen Ende der Telefonleitung wollte jemand
Selbstmord verüben. Der Meister horchte: »Natürlich, mein Freund, das ist doch
das Natürlichste.« Er regte sich sehr auf, anders als Herr Péter, der
einigermaßen resigniert seine Antworten gab. »Das geht schon seit drei Wochen
so«, sagte er später zum Meister. Später dann - nachdem sie ein Butterhonibrot (Wort des Meisters) verzehrt und über ein paar
nach Tratsch schmeckende »Dinge« gesprochen hatten - sagte Herr Péter über
die Arbeit des Meisters: »Ein bisschen vertrickst.« - »Ich weiß. Ja,
leider, ein wenig. So ist es geworden. Die Clowns strömen herein, die Musik spielt,
die Kinder kriegen was auf die Nuss, wenn sie nicht still sind, und die vielen
Brezelverkäufer kommen. Verstehst du?« - »Ich verstehe«, nickte Herr
Péter liebevoll, aus welchem Nicken auch die Anerkennung herauszulesen war bezüglich
der zuvor in negativem Zusammenhang auftretenden Vertrickstheit.
Gemütlich, bemerkte ich dort, am antipathischen Kneipentisch. »Oh, ja, ja«,
sagte er rasch, »doch das
Gemütliche
hat einen philosophischen Touch.« Oh, là, là, hätte eine freiere Seele statt
meiner gesagt. »Getunkter Fünfer!«, rief Esterházy
heraus, der damit die Führung übernommen hatte, und er setzte, dadurch angespornt,
fort: »Gut wäre, wenn das Ganze wie eine Clownsnummer wäre. Und sehen Sie, mein
Freund, es gibt Augenblicke, da denken wir: der Clown ist: ein Mensch: und wir lieben
ihn. Und der Trick hier ist, dass: der Clown: ein Clown ist: und wir lieben
ihn.« Nachdem Herr Icsi (der an diesem Tag, nach meiner mageren Beurteilung,
nicht auf der Höhe seiner Aufgabe stand, denn zwar hatte er einige schöne Paraden,
aber wenn er herauslief! ... Ein Glück, dass ...) einen gesalzenen,
getunkten Zehner erreicht hatte, fand die Partie ein Ende. »Nicht wahr,
was andererseits dieses Blättern anbelangt, zurück, dann wieder vor und so weiter,
das muss man sich so vorstellen, wie liebliche Pfade, über die wir mit ihm Arm in Arm
spazieren gehen ... mit wem, nun ja, mit dem, der mitspaziert. Abzweige,
Einmündungen, der eine oder andere Ameisenhügel, aus der Ferne das Röhren von
Hirschen und die Stimmen badender Mädchen sowie eine Fabriksirene; wir achten auf den
Ausblick und überhaupt: das Schicksal des Spaziergängers liegt uns am Herzen. Wir
bemühen uns, das ist alles, was wir tun können.« Er sprach, wie es nur Menschen
können, die die Nähe anderer Menschen sehr zu wünschen Vorhaben. Hier lachte er
heraus. »Und noch etwas: die Zahl der Lesezeichen. Darum kümmern wir uns
noch.« Er winkte ab. »Doch grau, teurer Freund, ist alle Theorie.«
Alsdann: »Oho, mein Freund, die Theorie ist grau, doch der Umschlag!, der ist
bischofviolett!«
Der Meister bot der Runde Wein an. Herr Icsi wiegte den Kopf, doch auch seine Augen
glänzten schon. Herr Csucsu nahm die Streichholzschachtel in die Hand. Er nahm auf
irgendetwas Bezug, als er sagte: »Zu jener Zeit verriet
ich eine recht gute Form.«
Hier trat Gábor Kacsoh ein, der KISZ-Sekretär der Fabrik, mit je einer Frau an seiner
Seite. Mit breitem Lächeln sagte er: »Du sagst es: du Verräter«, und ließ
sich am Tisch nieder. Herr Csucsu sprang mit blitzenden Augen auf. Er war sehr
aufgewühlt. »Setz dich«, sagte Herr Icsi. Die Luft erstarrte. Dabei hatte
sich das kleine Sportkollektiv gerade noch so gefreut! (Sie hatten die Qualifikation
gewonnen, I. Mai Cup. »Vau Strich eins«, wie der Meister zu sagen
pflegt.)
Esterházy gab für diese plötzliche Veränderung folgende Erklärung: »Wissen Sie,
mon ami, dieser KISZ-Sekretär ist ein Egel. Ein verdammter Schädling, ein Wurm, eine
Tollkirsche, ein Teufelsauge, ein schäbiger, gewitzter kleiner Karrierist, der auf
der KISZ vorwärtsrutscht, hangelt sich mit ihr hierhin und dorthin, selbst auf
Frauen.« Auf das labile seelische Gleichgewicht des Meisters achtend (welches
von nationalem Wert und Interesse!) bin ich doch so frei anzumerken, dass die
Tätigkeit des Gábor Kacsoh die auch vom Meister genossene finanzielle Basis der
Mannschaft gewährleistet. Er ließ den Kopf sinken. »Ja, ich genieße sie.«
Doch dann, wie eine Furie: »Darum haben Sie sich nicht zu kümmern. Das sagt
nichts über seine Qualitäten aus; sondern über meine. Das ist meine Niederlage. Ich
habe keinen Stolz«, er lächelte, » abgesehen hiervon; ich nehme das Geld
an, sogar von ihm, damit es uns weiterhin gibt.« (Schuhe, Trikot,
Erfrischungsgetränke, solche Dinge.) »Er hat die Fragen des
Wer-weiß-wie-viel-über-die- Sowjetunion-Wettbewerbs für Geld verkauft«, fügte er
noch gehässig hinzu. Aber das war nur ein Witz. »Ja«, sagte er ernst,
»und jeder ist, wie für sein Gesicht, auch für seine Witze verantwortlich.«
So was aber auch! Hier könnte man doch schon ein wenig Vorbehalt anmelden. Einmal zum
Beispiel stand er knapp hinter der Strafraumlinie, es passierte gerade nichts, aber
das wussten nicht alle. »Sehen Sie, mein Freund, jedes Innerhalb-des-Strafraums
ist gleichzeitig ein Außerhalbdes- Strafraums. Aber nicht jedes, und darauf mache ich
Sie nachdrücklich aufmerksam, nicht jedes Außerhalb-des-Strafraums ist gleichzeitig
ein Innerhalb-des-Strafraums.« Solche Behauptungen können zu Tausenden gemacht
werden. »Ja. Und?« Der Schiedsrichter näherte sich mit
Siebenmeilenschritten. Der Meister senkte die Stimme und streichelte sein stoppeliges
Kinn. »Wissen Sie, es ist sehr interessant. Dass es jeder als seine Pflicht
empfindet, mir seine schlechten, reaktionären Witze zu erzählen.« Der
Schiedsrichter kam an. »Noch so ein Ding«, er zeigte, woran er dachte,
»und Sie können die Dusche anstellen.« — »Ist gut, ist gut«,
beruhigte er auf übliche Weise den Herrn der Pfeife, der sich - ähnlich wie seine
Kollegen - nicht beruhigte.
»Ich sehe, nur eine Geschichte vermag Sie zu beruhigen«, sprach er. Er
wollte, was den KISZ-Sekretär anbelangte, reines Wasser einschenken. Er fing mit
seiner tiefen, warmen Stimme zu erzählen an.
»Ich machte mich gerade auf einen meiner langen, traurigen abendlichen
Spaziergänge. Den ganzen Nachmittag hatte unangenehmer Nordwind gepfiffen, die
Fensterrahmen weinten, und ich konnte mich in noch so warmherzige Plaids hüllen: kalt fluchte ich auf den Icsi (Herrn Icsi - E.), schimpfte ihn
dies und das, warum man bei so einem Wetter ein Spiel ansetzen muss. Aber ich bin ein
disziplinierter Mensch (Was für eine Kundgabe! Was für eine offene Kundgabe!), ich
nahm meinen Turnbeutel und machte mich auf den Weg. Ich will nicht zu viele Worte
machen. In einer lieblichen Kurve des Wegs war Kacsoh gerade dabei, ein Material zu
bearbeiten. Sie bemerkten mich nicht, ich verspürte keine Veranlassung, sie zu
grüßen. Als ich an ihnen vorbeiging, rutschte eine Hand unter einen Pullover und ich
hörte zugleich Folgendes: Laut Genossen Horváth sind wir
solidarisch mit ihnen. Während er da an ihr herummacht.« Er rief mit
großen Emotionen: »Überall diese beschissene Gekünsteltheit! Wie eine
verpfuschte Predigt!« Aber da war der Schwung schon dahin. Er sagte mit tiefer
Bitterkeit: »Werde ich hernach alles wiederhören müssen? Sollte ich unseren
Verhältnissen dermaßen ausgeliefert sein? Meiner Lust-und-Laune?«
3 Esterházy eilte mit seinen langen - wie die Fama über ihn geht:
»musizierenden« - Schritten die Treppen hinunter. Vor dem Haus ging ein
Plakatkleber seiner täglichen Arbeit nach. Der Meister ließ nie eine Gelegenheit
verstreichen, sich von der »vielfarbigen« Wirklichkeit berühren zu lassen.
(Wie er zu sagen pflegt: »Wie der König Matthias.« Und wie fein diese
Selbstironie ist, bei dem bekannten Profil!) Wie schon oft in seinem kurzen, jedoch
bunten und bewegten Leben, sprach er in aller Einfachheit: »Guten Morgen!«
Pahh! Hätte das einer gedacht?! Diese Sachlichkeit undsoweiter. Und bezeichnend ist
auch, wie sehr die Welt ihm, dem Meister, »in die Hand spielt« (das ist
einer seiner Lieblingsgedanken), dass ausgerechnet ... Bestimmt werden Sie es schon
erraten haben. Der Arbeiter drehte sich um und trat ein wenig beiseite, wodurch sich
die Sicht auf das Plakat öffnete. Der Meister war bass erstaunt über das Spiel der
Proportionen. Die Luis-Bunuel-Figur auf dem Plakat - denn es war eine Luis-
Bunuel-Figur auf dem Plakat - ward in einer gewissen Vergrößerung gezeichnet worden.
»Zirka fünf zu vier ... Unheimlich. Alles ist gerade nur um so viel größer, dass
man nicht gleich misstrauisch wird; alles kann gerade noch wahr aussehen.
Überwältigend.« Der Meister war geradezu frappiert; er lobte die Arbeit des
Arbeiters mit einigen spontanen Worten und ging (bewegte sich) anschließend, seinen
Turnbeutel schwenkend, zur Bushaltestelle.
5 »Sehen Sie, mein Freund, dieser Satz - ich habe ihn gemacht! - ist wie der
Regenbogen. Schön zweideutig.« Der Regenbogen ist nicht zweideutig. Das ist die
sogenannte künstlerische Übertreibung, welche sich, wie wir sehen können, häufig in
Form der Reduktion zeigt.
Ich bin ein wenig der Zeit, welche um uns herum vergeht, vorausgeeilt, denn es ist
notwendig; das macht mich vielleicht noch nicht »modern«, und vielleicht
kann ich auch den Gefahren entgehen, generationstypisch modisch zu sein. Denn ganz
entschieden möchte ich nicht, dass man mir irgendeine Verspieltheit unterstellt, eine
dem Gegenstand - Esterházy selbst! - nicht angemessene mangelnde Ernsthaftigkeit
(siehe auch weiter unten) ... Von den beiden Männern, die eines Sommerabends an der
Tür des Meisters klingelten, war nur der eine sympathisch, der Dünne mit dem
graumelierten Haar. Als sie sich vorstellten, und er seinen Namen hörte, nickte der
Meister respektvoll (aber die Sympathie war schon vorher!). »Gewiss,
selbstverständlich. Vom Namen her selbstverständlich.« Die Gattin des Meisters,
die wundervolle Frau Gitti, empfing sie misstrauisch und fragte, ob sie einen Kaffee
wollten. »Wenn es nicht zu viel Mühe macht, Küssdiehand «, sagte der
weniger Sympathische. Als die Frau mit den beiden Kaffees das Zimmer betrat, sagte
der Graumelierte gerade: »Und vergessen Sie nicht, Péter, mein Lieber, wir
können alles, auf der politischen Schiene alles erledigen.« Bei dem Wort Schiene
beschrieb er mit seiner Handfläche einen Halbkreis nach vorne, als würde er Brot
schneiden. (»Na, mein Freund. Sie wissen, wie man >drüben< zeigt. Im Westen.
Na. Das ist jetzt im Raum ins Vertikale gedreht.« - Man hätte es sehen müssen:
wie er nachdenklich über seinen Notizen saß und fast eine halbe Stunde lang still vor
sich hin zeigte, um dann, seiner selbst unsicher geworden - dahin ist die
Spontaneität zerrüttet zur treuen Frau zu stürzen, damit diese es zeigte: Drüben, im
Westen. Doch mit der Antwort war er weitestgehend unzufrieden:
Frau
Gitti stach mit dem Daumen nach hinten, als würde sie ein Auto
anhalten wollen. Bumstili, um es mit Donko Mitics’ Worten zu sagen.) »Auf der
politischen Schiene«, sagte der Meister und nickte. »Das ist vielleicht ein
Kaffee, Küssdiehand«, tönte der andere. Bald darauf verabschiedeten sich die
Besucher. Frau Gitti räumte aufgewühlt auf. »Die haben alles abgeweidet. Es sind
nur noch die Knochen vom Tisch übrig.« Plötzlich kreischte sie heraus:
»Schau! Da ist die Spur seiner Zunge auf der Tasse!« - »Sei nicht so
zimperlich!«, antwortete der Mann gelassen, und er kluckte noch lange quasi
bewegungslos in seinem riesigen Armsessel (welchen seine Frau für vierzig Forint im
A&V gekauft hatte) und leckte versonnen seine wunde Hand.
Mich nimmt diese Sache ziemlich mit, dass wir so zerstückelt, in der Zeit
vorausschnaubend und wieder zurück, wie eine damische Spinne zwischen den funkelnden
Scherben der Geschichten hin und her gehen. Meine Hauptentschuldigung: er. Ihm diene
ich mit meiner ganzen Liebe und was ich sonst noch habe, dem Verstand. Ich bin mir
meiner Werte bewusst, welche der Fleiß ist, und meiner Endlichkeit, welche endlos
ist, und auch den Leser vermag mein leisetreterisch Geschreib vielleicht nicht
hinters Licht zu führen: auch ich, wie der gebeugte Leser (»Gebeugt, gebeugt,
gebeugt ...«, sagte der Meister tausendmal Kapitän András, der »hoch wie
eine Herberge ist«), also glaube ich, dass wir uns gleichermaßen nach der
Ganzheit sehnen; wir erinnern uns noch, als die Geschichten am Anfang (mehr noch: an
den Anfängen!) begannen, an ihrem Ende endeten - und oh, ihre
Mittel Doch nicht weiter! Vorhin haben wir die Mitte von etwas gesehen, nun
füge ich den Anfang an. Was für eine Welt, mein Gott, mein Gott! »Die Form,
teurer Freund, will so gut verdauet sein als der Stoff; ja sie verdaut sich viel
schwerer«, stieße er weise auf und sagte dankerfüllt: »Gittilein, was für
Linsen! Unnachahmlich«, denn all dies ginge beim Mittagessen vor sich, wie ich
sehr gut weiß. »Und noch etwas«, er beugt sich aus dem Bild zurück, in dem
vor nicht allzu langer Zeit ein gehäufter Teller Linsen mit einem Stück Schulter
stand, »mein Freund, vergessen Sie nicht: für die angebotenen Verwicklungen, die
Schwierigkeiten bei der Auflösung, entschädige ich, vor allem ich, den Leser ein
manches Mal mit meiner unverschämten Jugend, ein anderes Mal mit meinen
oberflächlichen Räsonierereien und meinem leichtfüßigen Weltbild. Ist noch was von
den Linsen da? Ein kleines bisschen?!« - »Pustekuchen«, würde die Frau
trivial erwidern.
(Ich werde jetzt nicht auf die Bedenken eingehen, welche beim Erzählen - oder
Verschweigen - gewisser Dinge in mir entstehen. Die Wahrheit ist eine Fackel, aber
eine schreckliche; deswegen suchen wir alle nur blinzelnd so daran vorbeizukommen, in
Furcht sogar, uns zu verbrennen. Aber ... Der Mensch begreift niemals, wie
anthropomorph er ist.) Sammeln wir uns am Fuße eines Abhangs, dessen Neigungswinkel -
das Bild ist, leider Gottes!, anschaulich - der Meister selbst ist. Herr Icsi blickte
mit rauer Liebe in sein totenbleiches Gesicht. Er war stark nach vorne geneigt, seine
Hände auf der wohltätigen Kälte der Fliesen. »Siehst du, Alter«, sagte er
mit jener kunstliebenden Verträumtheit, welche ihn selbst in harten Zeiten
charakterisiert (und das war wirklich eine ziemlich harte Zeit, der Tag, der auf den
»lächelnden Dienstagmorgen« folgte: sowohl kollektiv als auch individuell:
das Halbfinale verloren, genauer gesagt 8:1, das heißt, nicht in einem gebührenden
Verhältnis gewonnen, und der Meister war, gelinde gesagt, zerrüttet), »siehst
du, wie schön schaumig das ist.« Er nahm eine Hand von den Fliesen. Weiter oben
hing ein künstlerisches Foto des Veszprémer Viadukts: »Sehr schön schaumig. Wie
eine Blume, eine Röchel-Blume.« Herr Icsi rechnete im Zusammenhang mit dem
Meister möglicherweise mit dem Erwachen von einer Art schlechten Gewissens; dass
dieser sich moralisch und nicht ästhetisch der Sache annähern würde. Aber er ...! Wir
wissen ja. Auch die Antwort des Torhüters war nicht frei von fachlicher
Voreingenommenheit (Mathematik), und ein etwas wacherer Meister hätte ihn zweifellos
festgenagelt. Doch er war jetzt blutleer. »Darf ich dich darum bitten«,
sagte das tigerreflexstarke Individuum knapp, »dass das Speibild
zentralsymmetrisch ausfällt?« Leider war das der
Tiefpunkt. Der Meister blickte verständnislos auf: beleidigt und ratlos. Herr Icsi
eilte seinem Freund zu Hilfe. »Verzeihung, du hast recht. Natürlich bezogen auf
den Abfluss.«
Doch entfernen wir uns von dem Wuchern der Natur, obwohl ich weiß, er ist der
Ansicht: es gibt elementare Einheiten, in denen wir uns gleichen (wir Menschen
nämlich), und die Erfassung dieser ist eine künstlerische Aufgabe. Gefällig. Ich habe
mir sowieso nicht so eine Aufgabe gesetzt. Und der säuerliche Milchgeruch,
»zweiten Frischegrades « (!), zog langsam in die Haut, in die Haare ein.
Kurze Zeit später saß die Mannschaft auf dem Flachhang neben dem Spielfeld, die
geschlagene Gewinnermannschaft. Der Nebel war aufgerissen, die Kraft der Sonne war
angekommen, all dies, kombiniert mit den Farben des Grases, des Spielfelds und des
Himmels, erwies sich als sehr gesund. Als Herr Icsi sich ans üppige Haar des Meisters
lehnte - da er sich, das Gesicht in die Sonne haltend, geneigt hatte -, grimassierte
dieser. »Also weißt du«, sagte er vorwurfsvoll zum Stürmer, aber wirklich
das letzte Mal. »Gutes Publikum.« Der Meister nickte, um anzuzeigen, dass
auch er die Mädchen sah.
Der Rechte Außenverteidiger, der wegen seiner Armee von Kindern, seinem großen
Appetit und seiner wehrhaften Frau häufig eine Zielscheibe abgeben musste, unterbrach
den traurigen Blues, den er (in pfeifender Weise) vorgetragen
hatte. »Ein gutes Publikum, ist bloß nicht unsers.«
Seine Frau war schön, das Haar lang und schwarz, das Gesicht wie das einer Madonna.
»Einer Madonna, die man monatelang hat hungern lassen.« Die Haut weiß, die
Konturen scharf und streng. »Ein Mund wie eine Klinge.« Einmal sagte der
Mittelstürmer, ein hochgewachsener Recke mit großer Schusskraft, natürlich nach dem
Spiel: »Lasst uns ein Bierchen zischen. Sneci, mein Lieber, gib mal einen
Zweier.« Der Rechte Außenverteidiger wandte sich, nachdem er seine Taschen
abgetastet hatte, an seine Frau und bat sie um zwei Forint. Die Gattin knipste ihr
Ridikül auf, knipste ihre Kleingeldbörse auf und überreichte die Münze im Werte von
zwei Einheiten. »Lieber für mich ein Tonic«, sagte sie, während das Geld
noch in der Luft war. Der Mittelstürmer bebte vor Lachen, als er das erzählte. (Man
beachte: wie viele Übersetzungen! Ein Ereignis, ein Beobachter, ein Erzähler, ein
Weitersager, ein Aufschreiber, ein Durchdenker, ein Leser. Darauf kann man alles
sagen: 1. Viele Köche verderben den Brei. 2. Was für eine fortschreitende Klarheit.
Wie nach der Reihe die vielen Schnörkel beiseitebleiben, damit nur noch der innerste
Inhalt glänzt! Wie ein Diamant. Oder gar nicht glänzt. Wie ein Kirschkern. »Ach,
wie weit sind wir davon entfernt!«) Dazu also das zitternde Gelächter des
Mittelstürmers: »Ihr hättet das Gesicht vom Sneci sehen müssen: Wie er da
spitzmündig bitte, bitte machte! Spi-hitz-mü-hün-dig! ...« Er wischte sich die
Tränen aus den Augen. »Und dabei rot wurde!« — »Der Sneci?! Das glaub
ich nicht.« - »Doch.« - »Hat bestimmt nur Blödsinn gemacht.«
— »Ä-ä. Das war eins zu eins.« Der Meister schüttelte nur den Kopf und
schoss traurige Gedanken in die taube Allheit bezüglich der Institution der Ehe.
»Wissen Sie, mein Freund«, er schweifte in diesem Themenbereich weiter ab,
»jedes erste Kind eines jeden Mitglieds des Mittelfelds war eine Frühgeburt.
Eine murkelige kleine Frühgeburt von vier Kilo«, sagte er und zwinkerte humorig.
»Jozef Veverka kann so zwinkern«, sagte er bei einer anderen Gelegenheit.
»Ein wenig, hä-hä-hä, zu früh dran gewesen, du verstehst mich schon.« Eine
ungeheuer strenge Frau war also diese aus schwarzem Holz geschnitzte Madonna, aber:
»Peti, mein Lieber, das Geld teilt sie ein, dabei schwimmen wir nicht gerade
darin, und kochen kann sie! Mein lieber Mann! Ich liebe es zu futtern. Besonders
Fleisch.« Die Frau hat so einen wütend-bitteren Zug im Gesicht; er fängt dort
an, wo ein mittlerer Schnurrbart aufhört, und verläuft weiter bis in die Höhe des
Mundes, in einem leichten Bogen, das Ende schwenkt zum Mundwinkel hin. Der Meister
hatte diese Frau nicht sehr oft getroffen, aber er hatte das Gefühl, diese müde
Giftigkeit sei auch gegen ihn gerichtet. Sie ist gegen die Männer gerichtet, könnte
ich mit der Gutinformiertheit der Doppelmoral sagen, gegen die Männer, denn die Frau
war ehedem ... Und ich stammelte jenes Wort, welches einen in dieser schönen, neuen
Welt nicht mehr existenten Beruf bezeichnet, dabei ist es doch ein »uraltes
Gewerbe«, »eins der ältesten«. »Diese strenge Madonna soll eine
Hure sein?« Er schüttelte ungläubig den Kopf. (Was in seinem Herzen, das lag dem
Meister auch auf der Zunge, wie man gleich sehen wird.) Ich habe beobachtet, dass er
diese Frau bei ihren folgenden seltenen Zusammentreffen so taktvoll, mit einer so
ausnehmenden Höflichkeit und »verzärtelnden« Liebe umgab, dass es einem
geradewegs Rückenschauer bereitete.
Nicht
mein Kaffee.
Der Rechte Außenverteidiger gab also den traurigen Blues auf, kehrte sozusagen zu
seinen Mannschaftskameraden zurück und sprach es aus: »Nicht unser
Publikum.« Was weitestgehend richtig war, denn - mit Ausnahme einer
verschwindenden Minderheit der Fälle - das Publikum gehört dem Sieger. Plötzlich
wurden sie sehr fremd dort, und auch der Meister fragte sich, was nicht oft der Fall
war, aber dafür dann umso unglücklicher, wozu er jetzt hier sei? Denn er spielt
gerade deswegen Fußball, weil diese Frage sich gar nicht stellt; umso größer das
Malheur, wenn sie sich dann stellt. »Ein winziger Grund ...«
Um die Zeit schneller vergehen zu lassen, ließen sie die spannenderen Momente des
tragischen Spiels (Tore, der eine oder andere besonders schöne oder törichte Schritt
etc.) wieder aufleben. Bei so einer Gelegenheit erfährt der Meister viele
interessante Sachen. »Er wurde vom Platz gestellt?«, erkundigte er sich
auch diesmal verdutzt. »Bei welchem Match hast du mitgespielt, Täubchen?«,
fragte Herr Csucsu gallig. Ja: der Meister lebt mit seinen Konzentrationsfähigkeiten
ausschließlich für das Spiel, bei nebensächlichen Dingen ist er unaufmerksam.
Natürlich nimmt er wahr, wenn zum Beispiel irgendwo ein Vakuum entsteht, weil zum
Beispiel jemand vom Platz gestellt worden ist - aber das ist eine handwerkliche
Angelegenheit. Ich glaube, er hat dieses Spiel, diese Bewegungsart im Blute. Er
unterhält sich nicht mit seinem Aufpasser, lauter gnadenlose Mörder, und tritt kaum
mal einen absichtlich. Er selbst kommentiert dies bescheiden so: »Ich bin zu
dumm dafür. Ich kann nicht auf beides achten.« Alsdann blitzt in seinem
Koboldgesicht »die alte Heiterkeit« auf. »Es reicht schon, sich zu
begeistern; vor Begeisterung macht der Mensch genug Fehler ...« Ich bitte um
Entschuldigung, aber das ist nun wirklich ... »Freundchen, achten Sie nur auf
den Text, das stimmt schon ... Was meinen Gesichtsausdruck anbelangt, das nur
deswegen, damit Sie mich nicht für vollkommen tölpelhaft halten ...« Er sann ein
wenig nach, das Nachspiel geriet ein wenig ruppiger. »Respektive nicht ganz so.
Ich spiele schon zu lange Fußball, um ein Schöngeist zu sein. Zwei Punkte sind zwei
Punkte. Sie verstehen mich.« Gefällig. (Solcherart wehrte er den Verdacht ab,
ein homo aestheticus und sapiens zu sein.)
»Und warum hat man ihn vom Platz gestellt?« Natürlich wusste er nicht
einmal, um wen es sich handelte. »Er hat den Mala seine Mutter besuchen
geschickt.« Der Meister winkte ab. »Deswegen hat man ihn vom Platz
gestellt?« - »Deswegen.« - »Der Arme.« Dann, den
ausschwärmenden Gedanken folgend: »Blödsinn. Der Mala wäre eh nicht
gegangen.« - »Geistreich«, sagte der Rechte Außenverteidiger gemessen
- dabei ist der Meister immerhin ein Mensch mit Universitasabschluss -, drehte den
blonden Kopf weg und machte weiter mit dem traurig-schönen Blues.
Sie huckten da, Vögel mit hängenden Flügeln. Ein enthusiastisches Mädchen mit einem
Korb Äpfeln kam. »Ihr seid die Besten.« Die Äpfel krachten zwischen ihren
Zähnen. Das Mädchen sah dem wilden Schmaus zu - denn das war er: der Saft lief ihnen
an den Mundwinkeln herunter, und die Zeit des nächsten Bissens war noch nicht
gekommen, als bereits der nächste Bissen kam (die Tat, die Tat, die Tat!), die Backen
füllten sich mit Aufgestautem -, das Mädchen im gelben Trikot sah sie sich an, fast
schon mit unter den Brüsten verschränkten Armen, klassisch, wie eine Mutter ihre
heißhungrigen Kinder, die sie nebenbei beim Duschen ausspannen. »Wer ist
das?«, fragte der Meister taktloserweise. »Eine Verehrerin.« -
»Heute Nacht ist Disco«, zwitscherte die Dame mit den Äpfeln im Weggehen.
Herr Csucsu senkte seinen wohlgefälligen, dünnen Kopf. Der Meister liebte es sehr,
dass er so vollständig bar jedes Draufgängertums war, er liebte es sehr.
Sie hievten sich hoch, um sich aufzuwärmen. Aber nein. Es ging nicht. Sie standen auf
dem Trainingsplatz herum, mit Blick zum Hauptplatz (kein Witz: dahinter ist ein hoher
Damm, darauf eine Lokomotive, die zum Ärger der Sportfreunde qualmt und qualmt; dass
sie sich bewegt hätte, hat der Meister noch nie gesehen), wo das Finale im Gange war.
»Was für ein Blödsinn, dass das Finale zuerst ist«, polterte der
Rechtsaußen. »Der kann vielleicht poltern, mein Freund.« - »Wer wird
uns nach dem Finale zuschauen.« Die Blicke, die er dafür erntete! Der Meister
schmirgelte sich, wie es seine gute Gewohnheit ist, das Kinn. »Amateure«,
sagte er ungerechterweise bezüglich der Teilnehmer des Finales.
Hier sprach ihn jemand mit gedämpfter Stimme an. Eine tiefe Männerstimme, leise wie
sie war, war ihr anzuhören, dass sie mit großer Anstrengung gezügelt wurde. »Wie
ein Bernhardiner im Salon, man mache sich die
Vorstellung.« - »Entschuldigung, sind Sie der Péter Esterházy?« -
»Das bin ich«, sagte er mit der Einfachheit großer Männer. Der Mann (denn
ich brauche nicht extra zu erwähnen: es gibt keine Wunder: die tiefe Männerstimme
brach aus einer Männerkehle hervor, und diese Männerkehle war von einem Männerhals
umgeben und so weiter, beruhigenderweise) sah konspirativ nach vorne, als wäre er ein
einfacher Schlachtenbummler. »Verzeihung«, sein Blick bewegte sich hin und
her, runter, hoch und zur Seite, >als verfolgte er einen beschwipsten Spatzen<, »der Stürmer Péter
Esterházy?« - »Jetzt sagen Sie, mein Freund, Sie haben doch für alles eine
Erklärung, verraten Sie mir doch, wieso muss man diesen armen Spatzen betrunken
machen?! Na?!« Ich hatte nur eine Sorge: wie könnte man jenes Getränk abrechnen? Fragen über Fragen, doch die Sterne sind stumm.
»Hoho, Freundchen, hier ergab sich der Fehler! Eine winzige Unaufmerksamkeit
reicht aus, wie sie reichlich vorhanden war in jenem, man könnte sagen, geschockten
Zustand, in dem wir zwischen zwei Spielen erstarrten, so viel reicht schon, damit ein
Mensch - welcher er selbst ist - das Wort zwischen den Zähnen zur Seite presst und
seine Aufmerksamkeit bei jenem Spatzen erschrocken verweilt. Und verweilt. « -
»Péter, mein Lieber, Sie können ganz beruhigt sein, wir beobachten Sie.
Konkretes später.« Wie der Meister sich zur Seite drehte, nunmehr mit seiner
gesamten Persönlichkeit, offen, verwundbar, um halb aufgebracht wegen der
Erniedrigung, halb hilfsbereit wegen der guten Erziehung zu sagen: »Wie
bitte?!«, musste er ... musste er feststellen, dass dort niemand stand; er
drehte sich ruckartig zur anderen Seite um, wie ein gewitzter Lehrer, aber auch dort
war niemand! »Icsi, Icsi, mein Lieber!« Er stürzte auf den Torhüter zu, um
dessen einwandfreie Sehkraft in Anspruch zu nehmen. (»Erinnern Sie sich, mein
Freund, ich stand noch am Anfang meiner Karriere - hier richtet er sich das Haar wie
eine populäre Hanna Honthy -, und davon unabhängig, wir kamen aus Siebenbürgen!
Dieses große Rennen mit dem Autobianchi! Und Icsi, der permanent die
entgegenkommenden Heuwagen sichtete! Um vom Tatrus gar nicht zu sprechen.«
[Siehe Zeichnung S. 187.]) »Icsi, mein Lieber«, sagte er zum Kopf des
Torhüters, welcher freudlos das Spiel beobachtete: er war (immer), als hätte man ihn
aus Stein gehauen, aus einem schwarzen Stein (natürlich denken wir dabei nicht an
Unrasiertheit; so eine Bagatelle ist die Situation nicht), es sei angemerkt, dass es
noch jemanden gibt, der so einen Kopf hat: des Meisters Vater, nur dass der nicht aus
schwarzem Stein ist, sondern aus weißem, »Icsi, schau doch mal bitte da hinüber,
was siehst du da?« Herr Icsi blickte mit einer Nüchternheit, als wäre diese mit
Gold gedeckt, auf den Meister herunter. »Was?« In seinen Augen glitzerte so
viel Resignation, so viel Verzweiflung, dass der Stürmer sich ordentlich dafür
schämte, ihn mit seinen selbstbezüglichen Angelegenheiten zu stören.
»Sorry.« Und fügte dann, damit der scharfsichtige Torhüter es auch
verstand, an: »Es wurden mir Avancen gemacht. «
Das Finale ging mit einem dreifachen - überhasteten - schiedsrichterlichen Pfiff zu
Ende. Irgendjemand hatte gewonnen. Ein beträchtlicher Anteil Zuschauer machte sich
auf den Weg nach Hause, oder, wenn auch nicht nach Hause, jedenfalls weg von der
Sportstätte. Sie standen auf dem Platz; der Gegner schoss sich ein, sprintete,
änderte die Richtung: ließ die Muskeln spielen.
Und was taten unsere guten Bekannten? Sie standen an der Strafraumgrenze herum,
mancher innen, mancher außen, mancher auf der Linie, wie das bei solchen
Klassifizierungen der Fall zu sein pflegt, sie standen auf dem Platz, dem Spielfeld,
beieinander, bohrten mit dem Schuh in der Erde oder schlugen mit dessen Spitze auf
diese ein, mancher vor sich hin starrend, mancher irgendwo nach vorne, wie zuvor.
Hoho, nur dass die Lage nun eine andere war!!! Denn draußen ist eine Sache, und
drinnen eine andere! Draußen ist so ein Herumglotzen vertretbar, wenn es noch so
jämmerlich ist. (Wie wir wissen: das war es.) Aber was wird jetzt, hier! Es sah nicht
danach aus, als ob sich die Lage bessern würde. (Hängen nicht begnadigen etc.) Der
Meister war eins wie das andere. Er sah das herannahende Unheil, wie sollte er es
auch nicht sehen; doch einen Balsam für das Beschwer fand er nicht. »Wissen Sie,
mein Freund, philosophisch ist die Sache so, dass man uns die Möglichkeiten eines
romantischen Verhaltens vor der Nase weggeschossen hat.« Ei, ei, ei. Ich könnte
fragen, wäre ich in einer entsprechenden Lage, wer sie denn weggeschossen habe, wann
und warum, und überhaupt, ist es die romantische Verhaltensweise, welche uns am
ehesten fehlt? Doch ich kann das nicht fragen, denn wie passt das zusammen.
Esterházy liebt diesen Moment sehr, wenn sie auf das Spielfeld spazieren, quasi jeder
aus einer anderen Richtung, ihre Hände sind hinter ihnen verschränkt oder schweben
ungeschickt an ihrer Seite wie eine schlecht gebundene Krawatte, und sie wirken so
verloren, so ungeschickt, dass der Zuschauer unmöglich ein mit Mitgefühl und
Ungehaltensein vermischtes Oh unterdrücken kann.
Wie die Musikclowns, die eine Weile zulassen, dass das Publikum johlt, wenn sie sich
mit einem geschickten Chasseeschritt selbst ein Bein stellen und indigniert ins
Sägemehl plumpsen; eine Weile. Doch dann ziehen sie aus der Tasche ihrer
Pepitapumphose ein Instrument und beginnen zu spielen, damit in jedermanns Augen die
Tränen steigen, und die Kinder kriegen was auf die Nuss, wenn sie auch nur einen Laut
von sich geben. Sie liebten diese billige Nummer sehr, natürlich sahen sie genau,
dass sie es viel zu sehr »verstehen«, Fußball zu spielen, als dass sie
zerrissene Leibchen und scheinbar zwei linke Füße hätten. Doch seitdem die Welt Welt
ist, ist ihr Leibchen zerrissen und ihre Füße sind scheinbar zwei linke.
Offensichtlich stellt sich die Frage so herum, ob denn die Welt die Welt sei?! Doch
die jetzige Situation war noch erbärmlicher.
Erbärmlich versuchte er, etwas zu bewegen, und, wie lehrreich, gerade aus dieser
Armseligkeit heraus erwuchs die Lösung. Denn es gab eine Lösung, wunderschön. Um auf
das unvermeidbare Ereignis einzustimmen (»Ach, ist doch nur ein Spiel«),
sagte er bekannterweise: »Was erzählt man sich so? Verteidigen wir oder greifen
wir an?« Doch als spräche er zu Puppen: herumbohren, gucken, als ob sie noch ...
nach innen, nach außen.
Da erbarmte sich ihrer einer und brachte den Ball ins Rollen, welchen die
fürsorglichen Veranstalter zur Verfügung gestellt hatten; doch sie nahmen ihn nicht
an; dort ruhte er zwischen ihnen, tot wie eine rostige
Kegelkugel. Kein Anblick kann niederschmetternder sein, als wenn der Ball...
Doch nun setzte er sich in Bewegung. Der gute Rechte Außenverteidiger ließ ihn
fahrlässig weiterdrieseln, und geradewegs zum Meister. Und nun sagte er, wie ein
langsam werdendes Grammophon, mit tiefen Klangeffekten: »Wiae graoafen
oan!« Kann man sich eine Vorstellung davon machen? Als würde er auf 33 statt auf
45 laufen.
Und wie eine farbige Coca-Cola-Reklame setzte er sich schwungvoll in Bewegung! Dieser
Schmetterling, dieser Schmetterling! Seine Muskeln waren locker wie bei einem
Papillon, und er schwang sich - wie er es versprochen hatte - zu einem Angriff auf;
er schmiedete einen. Er schob den Ball an, und wie er selbst ansprang, klappten seine
Flügel aus, langsam, feierlich, hoch, hoch zum Himmel, wo nur Gott ist und die Engel
(sind). Seine langsame Pantomime brachte von diesem Himmel ein Stückchen herunter ...
Er führte den Ball mit diesen großen, verschlafenen Bewegungen auf Herrn Icsi zu und
sprach, passend zur langsamen Bewegung in der soeben geschilderten Manier:
»Iöcsiölaein, Toarchance.« Der Torwart drehte sich um. Die beiden Freunde
standen sich gegenüber! Eine haarfeine Situation. Hätte der Meister jetzt ein Alter
Ego gehabt, hätte sich dieses vor dem Torwart auf den Boden geworfen: »Täubchen.
Pass auf. Hilf mir. Alleine schaff ich’s nicht, alleine schaffe ich nichts.«
Doch der kluge Junge verstand/ spürte auch ohne Alter Ego, was er zu tun hatte, er
schnitt eine verzweifelte Grimasse und fiel langsam, wie die Schornsteine, um, in die
andere Richtung, nicht in die, in die der Meister vorbeizog (»er hatte den Trick
gefressen«), er drehte sich um, und von vorn.
Der verlangsamte Film lief. Da warf sich, als bedeutendes Novum, der Rechte
Außenverteidiger mit beiden Beinen - gerade noch an der Grenze zu dem, was, bezogen
auf die selbst auferlegte Langsamkeit, als angemessen gelten konnte - hinein,
beziehungsweise ließ sich hineinfallen. Und nach der Reihe die anderen: der Zweite
Halbstürmer, der Libero, der Rechtsaußen und so weiter; und so weiter; und als
Letzter Herr Csucsu, der sehr präzise war im Erleben der Seinsentleerung (deswegen
seine letzte Platzierung). Nun behexte er mit seinen langen, violent gesagt:
Stelzenbeinen, wie eine riesige, hochgescheite Kreuzspinne den Ball, wälzte ihn, ließ
ihn beinahe gehen, um ihn dann zu drehen, zu wirbeln und zu zwirbeln, ihn zu
»nudeln«, und der Meister und die anderen fielen bereitwillig hin und her
wie das sturmgeschlagene Getreide. Die Zuschauer sahen die Szene, welche auch als
Zirkusnummer gut gewesen wäre, mit Wohlgefallen, und als das schiedsrichterliche
Pfeifzeichen ertönte, spendeten sie Applaus. (Der Rest.) Davon konnte zwar der eine
oder der andere unserer Helden eine schlechtere Laune bekommen, aber aus dem Schwung
- welcher jetzt, so was auch!, die Schwunglosigkeit war - kamen sie nicht heraus; so
sehr, dass der Meister in Erfüllung seiner Pflichten als Mannschaftskapitän die Hand
mit der beschriebenen Langsamkeit zum Handschlag reichte, so dass der Schiedsrichter,
der aus der Routine heraus die räumliche Position der sich in Bewegung setzenden Hand
ausgerechnet haben mag, beim ersten Versuch in die Luft griff. »Drückte die
Luft.« Einer der Linienrichter brach in Lachen aus; der Meister erschrak, er
könnte den Schiedsrichter gegen sich gestimmt haben; dieser war jedoch vom Intermezzo
so verwirrt, dass der schelmische Meister leichtes Spiel hatte, die Zweiforintmünze
zu stibitzen, die über das Recht zu beginnen entschied. »Blödmann«, sagte
Herr Csucsu mit einer dem Meister unverständlichen Heftigkeit.
Natürlich gibt es das Heppiend nicht umsonst, und man kann einen fachlichen Fauxpas,
wie das Fehlen einer Aufwärmphase, nicht wettmachen. »Sie sind ziemlich
laff«, warf der Meister im Vorbeilaufen Herrn Csucsu zu. Die Pikanterie der
Sache war, dass der Gegner innerhalb der ersten zehn Minuten mit 3:0 vorne lag. Aber
wirklich nervös war keiner. Das war eine Weile gut, weil es ein berechtigtes
Selbstbewusstsein widerspiegelte, und nach einer weiteren (derselben!) Weile war es
nicht mehr gut, weil es in Unachtsamkeit ausartete. »Man muss ranklotzen!«
Um es mit Herrn Armands genauer Definition zu sagen, und das fehlte. Dann aber machte
der Meister brüllend eine Bemerkung - ich nehme, entgegen meiner bisherigen
Gewohnheit, Abstand davon, sie wortwörtlich zu zitieren. Die Bemerkung war kritischen
Inhalts; bezüglich des Themas ging es um das schludrige Zusammenspiel; in der Lösung
blitzten, als eine Art surrealistischer Funken, auch die Eltern des Rechten
Außenverteidigers auf, in einer negativen Rolle. »Ich habe einen Fehler gemacht.
So etwas darf man nur jemandem sagen, den man gern hat.« Es war eine ernsthafte
Version. Der Rechte Außenverteidiger nahm die Aufforderung nicht wie ein abgeklärter,
sich in verantwortungsvoller Position befindlicher Jemand auf. In seiner kurzen
Replik spielte der Meister die Rolle dessen, der geschickt wird. Er bat mit schnellen
Worten um Verzeihung (»Mehr noch, meine verehrte Frau Mutter!«), der Rechte
Außenverteidiger verzieh. Darauf folgend boten sie ihre Kräfte zur Erbauung der
Mannschaft dar. - So weit die humoristische Seite der Geschichte.
Sie haben gewonnen. Man hängte ihnen die Bronzemedaille um; sie hing an einem langen,
rot-weiß-grünen Band. Sie wurden beklatscht, Herr Csucsu wurde Torschützenkönig, so
dass das Fiasko gar nicht mehr wie ein Fiasko aussah.
Doch dann wurde es dunkel (der Tag war vorbei). Herr Csucsu und der Meister fielen in
irgendeiner hohlen Gasse von den anderen ab. Eine große Schwärze herrschte, mit
pilzgleich sich vermehrenden neuen Häusern im Hintergrund. Herr Csucsu brach das
Schweigen: »Ich, was mich anbelangt, stimme heute für uns selbst.« Der
Meister brach es nicht. »Obwohl wir normalerweise ziemliche Luschen sind«,
sagte der andere Stürmer noch, während sein schönes Gesicht in den pendelnden,
verrutschenden Lichtkreis einer schäbigen Lampe geriet. Wie eine Glorie ... »Das
stimmt«, stimmte der Meister ihm nachsinnend zu. Sie kamen an die riesenhaften
Gebäudekolosse heran. »Grässlich«, sagte Herr Csucsu mäkelig, was
allerdings typisch für ihn war. Der Meister hub stürmisch zu blinzeln an. Er zielte
auf die Wohnungen in den unteren Etagen ab. »Ist wirklich nicht gerade ... Aber
das ist schon beruhigend, dass man in ein paar Wohnungen so gut hineinsehen
kann.« Er lachte. Herr Csucsu ging erneut im Dunkeln auf. In einer der
beobachteten Wohnungen saß eine Familie beim Abendessen. Der Vater und der
hochgeschossene Halbwüchsige saßen, die Mutter brachte eine große Schüssel herein.
»Eine Art Újházi-Hühnersuppenschüssel... « Eine blonde Frau. Hinter ihr
trat eine genau solche ein. Aber wirklich ganz genau. Der Mann sprang auf. Er sagte
etwas, wütend oder aufgeregt. Mutter stellte die Suppe hin. Die andere Frau lächelte
den Halbwüchsigen an, (woraufhin) dieser lustlos die Vorhänge zuzog.
»Voilä«, sagte der Meister und verbeugte sich erschöpft.
6 Eines Vormittags ritt der Meister zu Herrn Banga hinüber, dem geschickten
Illustrator (siehe Zeichnung auf S. 187). Auf der Straße König Lajos’ des Großen
wurde der Meister durch schwindelerregenden Verkehr am Erreichen seines Ziels
behindert, aber schließlich und endlich erreichte er dieses: Herrn Banga. In
irgendeiner Druckereiangelegenheit kamen sie mit Ach und Krach über Ort. Der Meister
sagte zu Herrn Banga, lass uns in die Richtung des geringeren Widerstandes vorstoßen.
Herr Banga nahm an, der Meister beliebe zu scherzen, und antwortete, sie (beide)
sollten ihr Talent gegen Kleingeld tauschen. Der Meister tat so, als würde er
annehmen, Herr Banga beliebe zu scherzen, und sagte traurig: »Was ist die
Einheit?« (Das Bischofsviolett kam dem Meister wie eine Vision. »Soll der
Umschlag doch bischofsviolett sein«, sagte er mit pyrrhushafter Einfachheit, um
anschließend kaum hinterherzukommen, als sie mit Herrn Banga den Mutterboden der
Erinnerungen aushoben; sich dabei hauptsächlich auf die Messdienerei bei Begräbnissen
konzentrierend - »nicht selten einen Zwanziger!« —, um die Farben
wachzurufen. Bis er schließlich dahinterkam, dass das sicher kein Bischof gewesen ist
auf dem Friedhof. »Du Banga.« - Jedenfalls haben sie sich damit nicht
gerade ins Herz der Herstellungsexperten gestohlen. »Später glätteten sich die
Wogen.«)
Er schlürfte einen der berühmten Kaffees des Herrn Banga und zollte dabei den zu
einem bildenden Kunstwerk verstärkten Zitronen Anerkennung, welche von Herrn Bangas
Frau während ihrer Niederkunft verzehrt worden waren (Vitamin C!), und welche
»schön waren und tragisch wie von Kindlein gemarterte Frauenbrüste«, im
Vorbeigehen warf er einen kurzen Blick auf einen aus Unterschenkelknochen
zusammengestellten Lüster (»Scherz«), um anschließend: schwupptiliwupp,
flugs wieder neben seinem treuen Rappen zu stehen. Im Pferd - denn der Rappe war
eins! - dürfen wir der hervorragenden Orlow sehen Rasse Respekt zollen, einem
prächtigen Tier von gutem Stand. Die Farbe ist charakteristisch grau; die schmalen
Hüften, die starke Brust, die kräftigen Knochen fallen einem geübten Auge sofort ins
Auge. Selbst wenn es nur Heu frisst (das Pferd), bleibt es gut bei Kräften, es ist
ein guter Futterverwerter und eignet sich nicht nur für Pferderennen, sondern auch
zur Lastenbeförderung.
Hinter dem Pferd zeigte ein dampfender Haufen das Vergehen der Zeit an. Jemand (ein
Passant) machte auch eine Bemerkung darüber. Der Meister schwang sich wortlos in den
Sattel und galoppierte mit geradem Rücken davon. (Wie oft hat er schon jenen gewissen
Krampf im Magen verspürt, wenn er, aus dem Tor des Instituts tretend, wo er ein
Intellektueller mit sicherer Stellung ist, für 2700 im Monat, eine Motorhaube sah,
welche quasi eingesackt war unter »der süßen Last«, und wenn es auch noch
regnet: rinnt das Etwas in gelben Streifen über die leicht abschüssige Fläche, der
Haufen selbst ist schon zu Brei aufgeweicht, einige Stücke haben sich vom Ursprung
gelöst und treiben nun abwärts; das unverschämt »glückliche« Gesicht des im
Hintergrund wiehernden Pferdes - und wenn jetzt ein gelippenstifteter Jemand zu ihm
tritt und sagt: »Kommen Sie, Péter. Ich habe einen Regenschirm. Sie dürfen ihn
bis zum Marx Platz halten«, macht sich dieser Jemand nach einem Blick in sein
Gesicht erschrocken aus dem Staub!)
Als er zur Brücke kam, hatte er ein Problem. Denn auf eine Brücke kommend bedeutet es
immer ein Problem, in welche Spur man, das heißt der Meister, sich einreihen sollte.
Denn es stimmt zwar, dass die äußere am Ende schneller ist, ebenso wie die innere am
Anfang schneller ist, aber wo beginnt - Tag für Tag - der Anfang vom Ende und wo
endet das Ende vom Anfang; und wenn das Ende vom Anfang der inneren zu Ende ist,
bedeutet das, dass der Anfang des Endes der äußeren dort beginnt, ist es nicht eher
so, dass dort, im Scherz gesprochen, der Anfang der Mitte ist, wo schon seit
Ewigkeiten ein verlängerter Bus auf der Stelle tritt, oder nicht. Keine einfache
Sache, so etwas.
Der Meister entschied sich wegen des Heppiends für die äußere Spur. »In solchen
Momenten ist es bedauerlich, mein Freund, dass keine Fliege in der Nähe ist - auf dem
Steiß des Pferdes oder anderswo ich könnte eine Fliege mit einer Klappe
schlagen.« Oftmals hatte er mit seiner Kunst des Fliegenfangens geprahlt, welche
er sich mit Kindesbeinen, während eines Aufenthaltes auf dem Dorfe, angeeignet hatte.
Bei einer Gelegenheit erzählte er der englischen Königin mit großem Behagen und
farbig, wie er bei einer anderen Gelegenheit 54 Stück Fliegen gefangen habe.
»Wissen Sie, Mädschestie«, sagte Esterházy zur Königin; über etliche Ecken
waren sie sogar miteinander verwandt, »wissen Sie, man muss sich zwei Sachen
merken. Die eine ist, dass man nicht zuschlagen darf.« Die Königin starrte ihn
ungläubig an. »Draufhaun. Auf keinen Fall. Das Ganze wäre keinen Pfifferling
wert, Majestät, da allein schon die von der Handfläche erzeugte Luftbewegung die
Fliege davonträgt; sie fliegt davon. So wird«, und hier verhärteten sich die
Züge des Meisters, »der Eroberer zum Befreier seines eigenen Opfers.« Die
Königin nickte gnädig, den Spruch auf diese Weise goutierend. »Und das Ganze
steht im Verhältnis zur Fläche, also ist es hoffnungslos. Die Fliege muss man mit
einer sanften Bewegung aus dem Handgelenk fangen, als würde man nur so nebenbei in
ihre Richtung abwinken. Komm, Freund Fliege, komm.« Die Königin schaute den
Meister an. »Khamm, Fraind Flieg, khamm?« - »Genau, genau«, er
schlug sich mit großer Freude in die Hände. »Du solltest auch lieber üben«,
sagte Elizabeth rotwangig zum Thronfolger, »anstatt hier herumzuschmocken!«
- er schmockte nämlich herum.
Auf der Brücke wurde er, ungewohnt rücksichtsvoll, von einem schwarzen Mercedes
überholt. Der Meister hielt mit einer Hand die Zügel, mit der anderen versuchte er,
seine auf der Sattelnarbe schlecht befestigte Aktentasche zu beruhigen. Ihm war, als
säße János Kádár im Auto. Mit seinen klingenden Sporen spornte er seinen Orlow’schen
Wunderrappen an und tat, aufgeschlossen, so, als würde er das aus seiner Tasche
tatsächlich gefährlich herausklaffende Sexmagazin richten wollen (Die geschickten
Hände der Hongkonger leichten Mädchen; Wie kann man den sexuellen Appetit der Gattin
anregen? Lust bei Lampenschein; Mädchen mit kleinen Macken; Achtzigprozentiger
Orgasmusmangel), also beugte er sich vor, einzelne Haare aus der Mähne kitzelten sein
Gesicht; er sah ins Auto hinein, aber dort saß nicht János Kádár. Der Meister
verspürte keine Traurigkeit, dafür gab es schließlich auch keinen Grund.
Vielen herzlichen Dank, dass Sie neulich so herzlich meiner gedachten. Es ist sehr
freundlich von Ihnen, Péter, sich meiner zu erinnern. Noch nie wurde mein Geburtstag
in so einem feierlichen Rahmen gefeiert wie dieser 75ste. Der Singkreis verband es
mit einem netten Oster-Freuden-Fest. Die mit Blumen und Kerzen aufgemachten Tische
waren voller Getränke und Kuchen. Der Singkreis sang mir zu Ehren meine
Lieblingsweise und danach haben sie mir einzeln gratuliert - manche mit Umarmung -
und mich geküsst. Ich habe eine Extraflasche Sekt bekommen, mit einer Gratulation an
den Hals gesteckt, und einen großen Strauß Blumen! Ich wurde fotografiert. Der
Staatssekretär aus dem Ministerium, der Komitatsobergespan
(Landrat)
und der ortsansässige Bürgermeister haben extra gratuliert. Ich hätte mir gewünscht,
meine Familie hätte das gesehen, sie hätte viel daraus lernen können. Aber ich bin
nun einmal allein, höchstens Sie habe ich noch, lieber Péter.
Aber nicht einmal Sie habe ich. - Unmengen Gäste. Dieser Rubinstein hat versprochen,
am Abend herüberzukommen und Rachmaninow zu spielen. Aber er spielte Chopin-Etüden
und ich muss sagen: falsch. Außerdem aß er meine sämtlichen Sandwiches auf. Ein
Glück, dass reichlich da war, Sie können es sich vorstellen, lieber Péter. Ja, sehen
Sie, sehen Sie, je älter ich werde, desto boshafter werde ich. Die Güte und die
Ungeduld schleifen sich von mir ab, eine immer dünnere Greisin werde ich.
Übermitteln Sie meine Grüße an Ihren lieben Herrn Vater. Er könnte mir auch einmal
schreiben, nicht nur die gute Mama.
PS: Ich schicke Ihnen diesen interessanten Stammbaum. Der »liebe Verwandte«
hat jetzt Ärger wegen den vielen Streikern. Übrigens war euer (oder unser?, sehen
Sie, sehen Sie ...) großer Dichter zum Mittagessen hier. Er kam in einem Sakko mit
Esterházy-Karo und einem mohnblumenroten Schlips. Vielleicht um mich zu ärgern? Oder
dachte er, das ist revolutionär? Macht gute Konversation.
Danke für Ihren amüsanten Bericht über die Fottball Gaudi - ich sage jetzt nicht:
Weiter so! Ich habe mich prächtig darüber amüsiert. Es gibt hier einen Apponyi, der
ist sehr stolz auf seinen 18-Ender. Nutrias gibt es keine mehr, sie sind entkommen;
aber es gibt mehrere Wildenten, die in den Teichen umherschwimmen. Den Hund Ágon gibt
es noch, er ist furchtbar dick und bellt gerne.
Schreiben Sie mir, ob ich Estragon schicken soll. Und soll ich ihn trocknen oder
frisch? Weil nämlich Ihre liebe Mama ihn immer eingesalzen hat und ich getrocknet.
-
9 »Machen Sie sich keine Sorgen, mon ami, was Sie da haben, ist grammatischer
Charme, und gut. Und überhaupt: Wieso ducken Sie sich immer hinter die Dinge?! Wissen
Sie, Kätzchen, das Höchste wäre: zu begreifen, dass alles Faktische schon Theorie ist
... Nichts müssen wir hinter den Erscheinungen suchen; diese sind die Lehre an sich.
Drücken Sie sich also nicht herum.«
10 »Wissen Sie, mein Freund, die ganze Frühjahrssaison war heuer so lasch. Lockerlax. Mal haben wir gewonnen, mal verloren.«
Ja: die Tatsachen wurden herabgesetzt; nach einer Niederlage entstand kurze Trauer,
nach einem Sieg ebensolche Freude. »Wissen Sie, mein Freund, das ist ja noch in
Ordnung. Nur der Kloß im Hals, der fehlt...« (Ich erinnere mich gut an den Tag -
jenen schmählichen Tag, der daraus wurde -, als er vor dem Spiel am Geländer lehnte,
die Zuschauer versammelten sich schon, die »B« spielte, und man rief ihm
von hier und da zu: »Peti, mein Lieber, werdet ihr gewinnen?« - »Dazu
darf ich mich nicht äußern«, antwortete er scherzhaft und unaufmerksam; jeder
vertraute jedem; als er in das Gesicht des neben ihm herumlungernden, das kalte
Eisenrohr umklammernden Herrn Csucsu blickte, sah er dort dieselbe Anspannung wie in
seinem und sagte: »Csucsu, mein Lieber, sag, drückt dich hier dasselbe wie
mich?!«, und er zeigte irgendwohin zwischen Herz und Magengrube. Herr Csucsu
lachte ein wenig. Ein wenig.)
Die Sache war die, dass die Sonne bereits warm herniederschien, das Licht schlug
einem ins Gesicht wie ein Handtuch (»Na, mon ami, darüber könnte man jetzt aber
reden, über die Handtücher, über wasserdichte und keine Hand
breite kleine Stoffe.« - »Imprägniert«, sagte
der Libero mit schwergängiger Zunge), es wehten keine Winde, aber der Luftstrom war
kühl, lebhaft, frisch: man konnte ranklotzen. Der Beobachter mochte sich fragen: wozu
eigentlich. Können weder absteigen noch auf-. »Tüchtig seids«, sagten die
Schlachtenbummler so nebenbei und fragten der eine den anderen: »Hamse Körner,
Kollege? « - »Nur Fruchtgummi.« - »Her damit. Hauptsache, kein
Karamell, das bleibt einem ja völlig in den Zähnen
kleben.«
Obwohl der Meister keinen Kloß im Hals hatte, stürzte er sich dennoch mit großer Lust
ins Getümmel. »An die Arbeit«, wie er sagt; um anzuzeigen ... - obwohl er
sich über die gesellschaftliche Nützlichkeit seiner Nichtfußball-Tätigkeit
offensichtlich im Klaren ist. »Wir brauchen kein bengalisches Feuer, Kumpel.
Stattdessen: wissen Sie, mein Freund, das sind so typisch unentschiedene Spiele. Die
kann man leicht gewinnen oder verlieren.« Aber die wimmelnde Abwesenheit eines
Einsatzes hat ihn nie zu Anspruchslosigkeit verleitet; oder wenn doch - denn wer
weiß, was in den dunklen Privatgewinden von Herz und Seele vor sich geht –: er
widerstand.
Die Sonne also schien, der Wind wehte also nicht. Als er aus der HÉV, der
Regionalbahn, stieg - auf die umständliche, zuvorkommende Art, die so nervtötend für
andere ist; »und wissen Sie, mein Freund, wenn ich der andere bin, dann genauso« -, senkte er den Kopf und eilte, sich im so
entstandenen engen Sichtkreis gut zurechtfindend - was für ein grotesker Scherz das
doch ist, wo seine Allgemeingültigkeit bezüglich der Dinge der Welt doch bekannt ist!
-, geradewegs aufs Spielfeld, zum Training. (Was bedeutete das Sichzurechtfinden in
einem engen Sichtkreis? Es bedeutete die Unebenheiten des Bodens, die bekannten
Erdhügel, Höcker, Pfützen, (ein)getrocknete Sohlenabdrücke, besonders Riffel, es
bedeutete Bäume, die Zettel darauf, einen für einen Augenblick aufblitzenden weiteren
Horizont, wenn er den Blick hob, es bedeutete Stimmen, eine Schule, einen
Kindergarten, einen kreischenden Pummel, sofort darauf die hysterische Mami und den
ruhig und ehemannartig aussehenden Mann mit der Feile. Undsoweiter. »Die
täppische Geometrie, mein Freund, im Augenwinkel des Menschen. Zweitrangig, aber
dafür ewig.« Der Meister ist ein guter Patriot.)
Hat Esterházy seinen Kopf aus Selbstzweck gesenkt? Aber wo. Aus rein praktischen
Gründen. Aber ich will nicht geheimniskrämerisch sein: die geringfügige
Kurzsichtigkeit des Meisters öffnete die Schleusen für zahlreiche vorübergehende
Ärgernisse. Ein frei umherschweifender Blick könnte von einer in der Ferne
hinaufschwingenden Hand sodann nur schwerlich feststellen, ob das - das
Hinaufschwingen - wohl ein Gruß sei, und wenn ja, an wen. Der Weg von der Haltestelle
bis zum Platz war ein Teil der Welt, wo die Gefahr bestand; nach einem Sieg, einer
Niederlage oder einem Unentschieden geht das eine oder andere Gartentor auf und da
steht einer - für den Meister - wie ein Renoir-Gemälde, und er weiß nicht, woran er
sich halten soll. Der Unbekannte könnte ein Verehrer sein oder aber Herr Pék
höchstpersönlich, der ausdauerndste aller Stammfans (»Die Pék-Kurve, Alter!
Haben Sie noch nie davon gehört? Die Pék-Kurve?«), der zu jedem Spiel kommt (man
muss ihn öfters auch vom Spielfeld entfernen lassen; in solchen Fällen sind die
Spieler, auch der Meister, sauer auf ihn), vor schwierigen Aufeinandertreffen
verspricht er eine Bierprämie, an die man ihn dann, taktvoll, erinnern muss, worauf
der Alte schmunzelnd ausweicht und nach dem Motto »doppelt oder gar nicht«
auf das nächste schicksalsentscheidende Spiel verweist; es könnte auch der gute Herr
Holubka sein, der den Meister nach einer aufsehenerregenden oder aufsehenerregend
genannten Fußballerdarstellung über lange Zeit mit Gratis-Kürbiskernen versorgte,
doch später, als die Sportkarrieren der Herren György sowie später Marci (ebenfalls
echte Esterházys) einen Lauf bekamen, ging das Knabber-Recht auf die Brüder über, und
obwohl diese beiden teilweise aus Gutherzigkeit, teilweise, weil die Körner bitter
waren, nicht zögerten, ihm etwas vom Abgestaubten abzugeben, war der Geschmack
derselben nun doch ein anderer (jenseits der gemeinsamen - Vergangenheit und
Gegenwart ineinander neigenden - Bitterkeit) - es kann also wer auch immer sein, der
den Meister durch so eine ferne Geste seiner Sym- oder Antipathie versichert, er, der
Ärmste, blinzelt nur bedeppert... Bitte um Verzeihung.
Aber diesmal hatte er Glück. Sobald er an die Ecke kam, ging dort die ganze
Sturmlinie neben ihm einher! Wortwörtlich. Die Ecke ist natürlich nicht dafür
bekannt. Hier verkaufte die alte Frau Benjamin Malatinszky die Kürbis- und
Sonnenblumenkerne, ob es stürmte oder schneite. Der kleine feuerschwarze Rechtsaußen
spuckte aus. »Kinder, Kinder!« Seine Stimme schlotterte aufgeregt.
(»Wie oft, gütiger Himmel, wie oft schon!«) »Kinder, das kann nicht
sein. Benjamin ist ein Männername.« Herr Csucsu hub sein Gesicht gen Himmel und
lachte charakteristisch auf (was man annähernd so beschreiben könnte: hi, hi, hi;
aber der Witz ist, dass die Luft dabei rein und nicht raus!), von welchem Lächeln man
nie wissen konnte, worauf es sich bezog; was man wissen konnte, war, dass in der
Seele des Stürmers etwas auf etwas ansprang, auf etwas, das alle sehen konnten, und
diese neue Sache war unwiderstehlich amüsant. »Wissen Sie, mein Freund, das ist
ein nachdenklich machendes, mehr noch ersprießlich nervendes Lachen.« Und Herr
Csucsu sprach also: »Eine ernsthafte Version.«
Der Beste Ersatzmann schüttelte skeptisch seine krausen Locken. Die letzten Zeiten
hatten ihn zu einem stattlichen Mannsbild gemacht, »sein Gürtel kehrte in einem
größeren Bogen zu sich selbst zurück«; er hat seinen Frieden mit der Welt
geschlossen — und das brachte nicht nur mit sich, dass er an Gewicht zulegte, sondern
auch dass er seine Rolle als Intrigant aufgab. Der Meister nahm interessiert diese
negativen und positiven Veränderungen wahr. »Seine Frau ist schön.«
(Unter
uns gesagt: Wessen Frau ist nicht schön. »Na, sowas gibt’s
schon! Die wie ein Frosch, so einen Blick hat sie.« - ???) Die alten Zeiten! Als
der Trainer des betreffenden Gegners noch extra auf ihn aufmerksam machte. »Der
Krause, da. Schnell, hart, dribbelt gut. Du wirst ihn decken, Knochenmann.« -
»Der Betreffende wälzt sich dann, das brauche ich gar nicht zu sagen, mein
Freund, am Samstagabend schlaflos im Bett, neben ihm seine dürre Frau, springt auf,
schaut durchs Fenster. Ein Fenster in der Neubausiedlung. Sie haben sie abgerissen
und das bekamen sie als Tausch, plus 60 Tausend, wofür er sich einen Moskwitsch
gekauft hat, aber im Wesentlichen hat man sie übers Ohr
gehauen und das Geld ist weg. Er schaut aus dem Fenster. Unten hämmern Besoffene auf
die Deckel der Mülltonnen. Er bereitet sich sportlich vor. Er ist der Back, der den
(jetzigen) Besten Ersatzmann decken wird. Man kann nicht behaupten, dass seine
Lebensführung so sei (man muss die in seinem Gesicht
strudelnden Erhebungen und Absenkungen sehen), aber am Samstag bereitet er sich vor. Was machst du, fragt schlaftrunken die dünne kleine Gattin. Guter Gott, denkt der gewissenhafte
Verteidiger, dass man die nie und nirgends so richtig anpacken
kann. Man kann sich nie an ihr festhalten. — Vor seinen
inneren Augen, mon ami, ziehen die bisherigen Frauen vorbei. Aber die farbenfroh
geplante Parade, vorne die blonde Trafikerin, ganz hinten die sehr dicke, aber
dennoch harte Küchenmaid, dient ihm nicht zur Freude. Wieder und wieder schlängelt
sich zwischen die Frauen der Beste Ersatzmann, bringt mit einer Körpertäuschung die
Trafikerin zu Fall, da liegt sie auf der Erde, ihr Haar ausgebreitet, schleiergleich
wie ein alter Fächer, die staubig-ölige Straße scheint hindurch, mehr noch, das Haar
presst sich in den Weg, saugt sich voll mit Öl; sie lacht, der Beste Ersatzmann
bremst, gibt dem Ball einen lockeren Drall, wie das nur ... ähm ... wenige können,
der Ball kullert zwischen die Brüste der kichernden Trafikerin, der Beste Ersatzmann
stellt seinen Fuß auf den Ball, auch er lacht. Was ist, Knochenmann. Du bist alt. Der
Verteidiger rührt sich nicht, und der Stürmer prescht bereits, den Schenkel des
Küchenfräuleins streifend, voran, als er endlich zu sich kommt und verzweifelt zu
winken beginnt. Abseits! Meterlanges Abseits! Soll er doch endlich pfeifen. Er sagt
vor dem Fenster: der Kanarienvogel. Die Frau stützt sich im Bett auf die Ellbogen.
Leg dich hin oder geh mit deinen verdammten Kumpels, aber steh da verdammt nochmal
nicht herum. Kusch.« Das hat er sich nur so virtuos ausgedacht. Aber es ist
wunderschön. (Was mich, das heißt die Tatsachen und Daten anbelangt - das kommt schon
noch im Zusammenhang mit dem Meister und dem erwähnten Verteidiger. »Mein
Freund: die Nüchternheit der Daten: lächerlich. Daten, das kann ich wissen,
schließlich verdiene ich mein Brot damit, Daten: sind etwas, womit wir etwas erledigen wollen im Interesse eines von uns bestimmten
Ziels. Organisationsverfahren III—IV. INFTECH 1972. Da haben Sie’s. Piff, puff; er
stolpert zwar, doch fällt er nicht.«)
Heutzutage kann der genannte Verteidigerspieler ruhig schlafen, der Beste Ersatzmann
fristet das bittere Los aller Ersatzleute, wie es sich gehört. »Bravo, mon ami, bei Ihnen erhalten die Worte ihren gerechten
Lohn.« Er ließ seinen Dichter-Spazierstock geschwind wie der Wind herumwirbeln.
»Ich erzähle Ihnen einen Vorfall, welcher lehrreich ist. Meine zweijährige
Tochter sagte zu allem: blöd. Zum Beispiel: Papali ist blöd. Da sagte ich zu ihr:
Nicht blöd, sondern eine Taube. Damit sie nicht das sagt,
sondern dies. Hier kam es zu einer komödiantischen Wendung, es
lohnt sich nicht, viel Zeit damit zu vergeuden. Papali ist nicht blöd, sondern eine
Taube. Was das Vorkommen von blöd nicht verringerte. Da sagte ich zu ihr, mehr noch,
nicht einmal eine Taube, sondern goldig, und rieb die Hände aneinander. Ich wartete
stolz. Papali ist goldig, sagte meine Tochter; und das Lächeln gefror mir im Gesicht.
Weil ich ihr ansah, am Zucken ihres Mundes, daran, dass sie etwas Angst hatte -
Papali, muss nicht Dóra haun, nein, nein! —, ich sah, dass goldig so viel heißt wie: blöd. Wie das zu erwarten war. Also habe ich mir
Einhalt geboten, blöd wurde wieder blöd und so weiter. So höre ich heute bereits mit relativer Freude: Papali ist blöd, und hebe, nach einem
kurzen Zögern, währenddessen ich über die Behauptung meiner Tochter nachdenke, an,
mich unter Aufbietung all meiner Kräfte zu verteidigen. Kasimir Mitovics, sage ich
also zu ihr, ich bin nicht blöd. Nein, nein, nein.« Eine gute kleine Geschichte.
Und der Verteidiger kann ruhig schlafen, es sei denn, er ist inzwischen auch zum
Ersatzmann geworden.
Aber es gibt schon zu viele »Esseidenns« ... Eine vielfache (»das
heißt einfache! Das reicht, hoho, und ob das reicht«) Tatsache stellt das
unsichere Herumstehen vor Tante Benjamin Malatinszkys Bude dar. Der ganze Sturm stand
da! Nebeneinander, in einer Reihe, wie zum Anstoß. Der Rechtsaußen, der Meister, Herr
Csucsu, der Zweite Halbstürmer, die Grasmücke; und: der Verletzte Linksaußen (eine
ekelhafte kleine Ratte mit seinem kleinen blonden Bart, seinen dränierten Knien und
seinem genialen Ballgefühl, alle freuten sich, dass er der Verletzte Linksaußen war;
»Ach, iwo, schöngeistiges Gerede; man vermisste ihn«) und der Beste
Ersatzmann, einen Fuß auf einen Meilenstein gestützt, die Stoffhose hochgekrempelt,
darunter krochen die Krampfadern wie die Würmer nach einem goldenen Mairegen hervor,
furchterregend. »Diese Krampfadern! Also wissen Sie ...! Aber er sagt, sie tun
nicht weh. Na dann ...«
So also ist die Aufstellung. Denn zwar ist das Bein manchmal ein hölzernes, die
Haltung linkisch, die Lunge keuchend, zwar haut man mal von Null drüber, aus dem
Stand daneben, köpft in den Abrollenden, mag sein; doch der schönste Mannschaftsteil,
das ist zweifellos die Sturmlinie. Über die Mannschaft ließe sich, wie wir gesehen
haben, vieles sagen, aber diese Schönheit, die ist unschlagbar. Die römische
Lockigkeit des Besten Ersatzmanns, die einfache, flammende Schwärze des kleinen
Rechtsaußens, die »ethische Schlankheit« Herrn Csucsus, die zigeunerhafte
Vehemenz des Zweiten Halbstürmers, die fragile Silhouette der Grasmücke, der
Schnurrbart des Verletzten Linksaußens ... Und er.
»Benjamin ist ein Männername.« Der Beste Ersatzmann bestand darauf. Tante
Benjamin war ein verhutzeltes Weiblein, mit tausend Runzeln im Gesicht (wie der Hals
eines Sackes, der von einem Spagat zusammengerafft wird). Sie bekam Schadensersatz
vom Staat. Weil, wie man sagt, »der Staat irgendwie danebengehauen hat bei dem
Mann von der Tante Benja«. Der Meister sagte besonnen: »Benjamin? Das ist
wohl eine Frau!« Das stellte nun keiner mehr in Frage; alle hatten schon eingekauft.
Er versenkte, wie es seine Gewohnheit war, zwei Papiertüten in
den Taschen seines fischgrätgemusterten Sakkos. (Eine Frau hatte einmal gesagt:
»Sakko, zur Jeans?« Damals lachte er darüber, aber später ging er Frau
Gitti lange nach: »Was hat sie gemeint, was meinst du?!«) Diese seine
Angewohnheit - die Tüte nämlich - machte ihn im Kreise der Kernverkäufer nicht
anziehend. Der Grund für diese Extravaganz ist nicht etwa in irgendeiner
Zimperlichkeit zu suchen, so was ist nicht typisch für ihn (schon bei den Eltern kann
man den Mangel dieser Eigenschaft ertappen, in ihrer Emsigkeit), es war auch keine
Feinschmecker- Macke, denn was für eine edle Überraschung ist es, wenn später die
selbstvergessen kramende Hand aus der Symbiose zwischen Schlüssel und klebrigem
Taschentuch unerwartet einen knusprigen, braungebrannten Kürbiskern hervornestelt,
damit aus der Schale, geschickt mit den Zähnen geknackt, der Körper, der
Kürbiskernkörper, quasi von selbst herauspurzle und lange auf der sinnlichen Zunge
ruhe. (»Pfui.«) So etwas Unerwartetes gibt es im Falle der Papiertüte
nicht; entweder gibt es einen Kern oder nicht. (Die Tüte könnte eventuell reißen:
aber dann steht Ärger Auge in Auge mit der soeben beschriebenen Freude.) Was ist es
also, das ihn zur Inkaufnahme dieses Negativums veranlasst, ohne jedes Positivum?
Frau
Gitti ist eine gute Frau,
tüchtig.
Doch diese Sakkos und Überröcke haben mittlerweile ein Jahrzehnt auf dem Buckel! Der
Meister hatte sie noch vor seiner Sperre aus der anderen Hälfte der Monarchie
mitgebracht, aber dann, nicht wahr, die Musterung, die Entscheidung Herrn Mihálys:
was blieb, war der sozialistische Block! Sakkos wären natürlich auch dort, unser
Vaterland inklusive, zu haben gewesen! Aber er wollte nicht. Also zerfaserten,
zerfielen die Taschen, die arme Frau kam mit dem Flicken und Nähen kaum hinterher.
Ein Loch, in seiner Ganzheit, Beweisbarkeit, kam nicht oft vor, eher selten. Aber die
Gefahr ließ ständig ihren Drachenkopf dort weiden. (»Kleingeld, aus dem Futter
geklaubt! Das ist eine saubere Sache ... Und warum wohl am häufigsten ein
Zweiforintstück?!«) Deswegen musste er das Manko auf sich nehmen, wegen der
ständigen Chance. Er machte der Frau deswegen keine Vorwürfe, nein, nein, niemals.
»Wo ein Loch ist, ist auch ein Weg.«, sagte er lieber ohne Groll und drehte
seinen Zeigefinger »erotisch« im Loch, wovon dieses sich weitete: nun war
es also ganz bestimmt ein Loch. Denn das ist permanent fraglich: Vielleicht ist nur
die Naht ein wenig eingefallen? Vielleicht. Wenn von diesen gerösteten Kernen die
Rede war, schmerzte ihn viel eher jene schmuddelnde Ungeschicklichkeit, die die Frau
mit Zunge und Lippen unter dem Motto des Kerneknabberns manches Mal veranstaltete.
»Mansch doch nicht so, um Gottes willen«, sagte der Meister verzweifelt.
Aber eine Ehe ist nun einmal voller Überraschungen, Überwindungen, Buckeln,
Hohlkreuzen und natürlich Beugen, Beugen (»im Kreis unseren eigenen Magen«)
...
Nach der Kurve fiel ein gedrungener Schatten vor sie: Herr Armand, der Trainer.
»Guten Tag die Herren!« Der Reihe nach schüttelte er sämtliche Hände.
Zurzeit war der Meister der Einzige, der ihn duzte: »Servus, Chef«, sagte
er, wie wir das schon von woanders her kennen. »Die Herren knabbern?« Er
blinzelte, als hätte er immer gute Laune; dabei stimmte eher das Gegenteil davon; die
Verantwortung lastete auf ihm. »Heute ist Training!«, sagte etwas keck der
Rechtsaußen. Herr Armand hat ihnen nämlich nicht nur einmal ein leichtes, frühes
Mittagessen ans Herz gelegt und entschieden das Kerneknabbern vor dem Spiel verboten,
das würde einen vollkommen austrocknen. »Die ätherischen Öle«, drohte er
halbernst. »Aber die Spannung «, sagte damals, im Namen aller, vielleicht
gerade der Meister. »Wenn du nervös bist, mein Junge, geh wienern«, sagte
liebevoll der Trainer, in dessen Haupthaar sich schon, wie ernste Fremde, graue Haare
drängten, alsdann sah er auf die Uhr und sprach es aus, wie jedes Mal, wenn das Spiel
zur vollen Stunde begann: »Schmieren zwanzig vor.« Herr Armand hatte das,
was man die »Wärme des Herzens«
n
nennt. Jene Unerbittlichkeit, jene sture
Konsequenz, mit der er sie zum Beispiel über diese gewissen »nasalen
Vierhundert« trieb! (Ein Spieler, welcher den Nasal in seinem Namen nachlässig aussprach, musste einen mittleren Kreis laufen. Er
wurde dafür berühmt in der Gegend.) Er hatte den Ruf eines strengen, aber gerechten
Menschen; nicht alle mochten ihn. »Das ist hier nicht der Ajax! Was will
er?!«
Jegyzet von Herrn Örkény
inspiriert
[törölt]
« geklaut »
Herr Armand war eine Institution auf dem Platz. Seine Gestalt war mit diesem
verwachsen. Der Meister und die anderen konnten nicht vor ihm da sein (normalerweise
schoss er schon einem Nachwuchstorwart Bälle zu; »Na, Junge! Hier hast du noch
was aus den alten Beständen!«), und wenn sie schon davonspurteten, ihren
unaufschiebbaren Angelegenheiten hinterher, wischte Herr Armand noch über den
»Kussmund« einer frischen (grünen) Bierflasche. »Und was sagt das
Frauchen?«, fragte der Meister, als er das schon fragen durfte (Kind, Armee,
Ruhm, Fachwissen und Situation). »Sie brummt. Ist ’ne gute Frau ... Nur das
Old-Boys-Match will ihr nicht schmecken. Bist ein klappriger alter Depp, du tust dir
noch was, sagt sie. Doch vergebens. Du weißt, wie das ist. Ich
gehe vom Sportplatz direkt in die Rente.«
»Klar«, sagte der Meister, und jene letzte Saison kam ihm in den Sinn, an
deren Ende sich Herr Armand von seiner aktiven Laufbahn verabschiedet hatte. Herr
Armand hatte alles beherrscht: Ballbehandlung, Schuss et cetera. Und auch die
Muskulatur. Nur drehten sich die Bälle irgendwie von ihm weg. Er hatte Pech, immer. »Das war sehr interessant. Er konnte noch alles
besser als wir. Und er war bereits weniger nützlich als irgendjemand.« Das war
eine traurige Saison. Herr Armand bekam einen Ball als Andenken; auch der Meister
schrieb damals seinen Namen drauf. Er bekam auch gleich zu hören: »Wie schreibst
du denn? Ein studierter Mann und so ein Geschmiere.« Damals hatte er, konnte
seine Stimme noch nicht so viel Gewicht haben, um zu sagen: »Kumpel. Mein
Schriftbild ist nicht hässlich, sondern interessant.« (So
wie heutzutage, wenn man beim Training laut einer Übung mit dem rechten Fuß ins lange Eck schießen müsste, aber die Torwarte, verhausschweint,
wie sie sind, schon von vornherein dort herumlungern, und er dann, obwohl zufällig,
ihn ins kurze versenkt und man ihn dafür zur Rechenschaft zieht, kann er mit ruhigem
Herzen als Erklärung abgeben: »Didaktisch!« Damit danach der, der,
unhaltbar, ins obere kurze schießt, ausrufen kann: »Nimm das, Alter, das ist Didaktik!«)
»Aber damals war noch großes Kusch angesagt«, er balancierte am äußersten
Zipfel der Umkleidebank und legte verklemmt die Hände zwischen die Knie. Herr Armand
war ihm schon damals sehr wohlgesonnen. »Klotz ran, gottverdammdich!« Das
ist ihm sehr im Gedächtnis geblieben: »Klotz ran, gottverdammdich!« Dabei
hatte er das Gefühl, sein Möglichstes getan zu haben. Später wusste er dann schon,
woran hierbei gedacht worden war: an die triviale Wenigkeit von »alles«!
Und der Kopf des Herrn Armand, wie er noch größer wurde und ganz rot: little red
balloon, könnten wir summen, hätten wir die moralische Grundlage dafür.
Auch die Organisation der ersten Ausschweifung war mit Herrn
Armands Namen verknüpft. »Vielleicht in der Eichel Sieben. Das war mein erstes
Spiel in der Ersten.« Fakt ist, dass er irgendwann sehr verloren war. »Na,
Sie können es sich denken. Eine Runde Bier, eine Runde Sekt. Das heißt Schaumwein.
Das war eine Periode, man kann es sich vorstellen.« Herrn
Armands Gesicht prunkte erneut rot vor Gefühlen. Er sang ehern: »Er kommt nach
Haus, er kommt nach Haus, er kommt nach Haus!« Der Meister war noch in einem
Zustand, in dem er noch lachen konnte über dies oder jenes, »traurig wird er
erst später werden, der Arme« (Worte des Herrn Csucsu). Was dann tatsächlich
auch eintrat, infolge der rückwärtigen Erschütterung eines verlängerten 55er Busses.
(Dabei schien es so, als wäre es dem damals noch jugendlichen und mit Sondererlaubnis
spielenden Meister gelungen, sich festzuhalten! Aber dann plötzlich wurde er traurig.
Herrn Feri, seines Zeichens vom Scheitel bis zur Sohle ein Gentleman, die damalige
Säule der Verteidigung, hat das zwanzig Forint gekostet. - Der Meister versucht
seitdem vergebens, sich zu revanchieren. »Aber jetzt, mein Freund, jetzt kann er
nicht mehr ausweichen!« - Ob er an den Schaffner oder den
Polizisten zahlen musste, eine Erinnerung daran ist nicht möglich. Unvergessen aber
bleibt die Durchschüttelung in einem neuen - wenn der vorangegangene der
»alte« war - Verlängerten, wo sich der »junge Sportler« erneut
gut festhalten konnte; jene leichte kleine Erschütterung, welche aber dennoch
unvergesslich ist, weil sie einfach kein Ende nahm. »Dort fuhr er, der große
Verlängerte, fuhr und quietschte, während durch einen Riss im akkordeonartigen
Gummigelenk der Himmel durchschien, wieder und wieder.«)
Herr Armand hatte über den Kneipentisch hinweg dem Meister zugewinkt. Die Sonne
schien durch das Laub, wie die Blätter sich rührten, so wanderten die Schatten über
den großen Holztisch, änderten die Goldscheiben im Bierkrug ihre Form. »Na,
Junge. Komm. Setz dich in den Schatten dieses alten Baumes.« Danach musste Herr
Feri alle halbe Jahre, jedes Mal apropos einer Beurteilung, nur so viel sagen:
»Hoho, der Schatten des alten Baumes, hoho.« Und es wird sich gekrümmt vor
Lachen.
Herr Armand hatte ein großes Talent zu werden versprochen, mit siebzehn rief man ihn
zur Honvéd, aber ausgerechnet in dem Sommer, das heißt Anfang des Sommers, denn der
Ruf galt für September, aber wirklich ausgerechnet dann brach er sich das Bein. Der
Öcsi Puskás hatte ihm beim Testspiel den Fuß draufgehalten. »Aber das wollte der
Öcsi nicht. Er war ein dufter Kumpel. Sägte mir in der ersten Hälfte ein Leder nach
dem anderen in den Lauf, und ich ging ab wie die wilde Dreizehn. In der Zweiten
spielten wir gegeneinander. Und da. Dem Öcsi tat’s furchtbar leid.« - »Hat
er dich besucht?« - »Ach nö, so ’ne große Nummer war das dann doch nicht.
Und vielleicht waren sie dann auch schon unterwegs zu Olympia. Aber es tat ihm sauber
leid. Er hat mich persönlich an den Spielfeldrand gebracht, hat zwei
Schlachtenbummler rangewunken. Na, Alter, nehmt mal den Jungen mit in die Kabine. Wie
ein König. Der Öcsi, der war ein König.«
Aber das war damals eine andere Zeit. Allein schon: die Spiele. Ein Hunderter. So
viel war der Einstieg. »Das waren vielleicht Scheißzeiten, Alter, aber uns
begeistern konnten wir wie nix.« - »Das ja«, sagte der Meister
skeptisch. »Wenn ihr auch nur die Hälfte davon hättet, hätte es am Sonntag nicht
diese Schinderei gegen den Goli gegeben. « - »Wir haben gewonnen.« -
»Davon rede ich nicht. Hast du eine Vorstellung, wie wir zusammengehalten
haben?! Nicht wie ihr hier, eine halbe Stunde vor Spielbeginn und hinterher gleich ab
zu den Tätatäts ... Alter, wir haben mit den Kumpels die letzte Stunde geschwänzt,
damit wir einen guten Platz bekamen bei der Verladung auf dem Markt, und den Knaster
dann rein in den Topf, und danach raus ins Beton, für Geld gebolzt bis in die Nacht.
Zwischen zwei Brandmauern, vier gegen vier. Das waren große Harakiri-Spiele. Und auf
den Wänden die viehisch großen Sprüche, duweißtschon, eslebedies und niedermitdas,
was gerade angesagt war.« Dem Meister fiel - während er mit zartbittrer
Nostalgie an den damaligen Gemeinschaftsgeist dachte - einer seiner Träume ein. An
der Fabrikmauer, die man vom Spielfeld Richtung Kneipe gehend passiert, steht mit roten Lettern geschrieben: Es lebe
die Arbeiterklasse, und im Traum des Meisters stand unter dieser Aufschrift
eine andere: Vor lauter Trauer liebe Tiri ist mein Blut
geronnen. »Aber wissen Sie, mein Freund, ich mag das nicht, wenn neben
einem Milchladen oder so was steht: Tod dem oder dem! Am
ekligsten ist es, wie manche Buchstaben verrinnen.« Ja,
viel lieber mag er, wenn riesige Genitalien an die Wände gemalt sind, Du Idiot Erzsi der Pisti ist verliebt, der Putz bröckelt und
die roten Ziegelsteine »so versaut glühen«, als gehörten sie mit zu den
Zeichnungen.
Einmal haben Herr Armand und die Seinen sogar die Puskás-Jungs geschlagen! »Die
haben’s sicher verschludert«, sagte der Meister zweiflerisch. »Die? Du, die
haben rangeklotzt, als wär’s das Weltmeisterschaftsendspiel. Da gab es keinen
Unterschied zwischen den Spielen, dort zählte nur die Liebe zum
Spiel.« - »Na, na«, spitzbübelte er weiter, wie es sein
Lebenselement ist (welches, wie man sehr wohl sehen kann, zum gesellschaftlichen
Nutzen Körper geworden ist), »und was ist mit kleines Geld, kleiner
Fußball?« - »Das ist wieder was anderes«, sagte Herr Armand und lachte
nicht los, wie es der Meister erwartet hätte. Dabei war Herr Armand der Selbstironie
durchaus nicht bar. »Fußball ist die Ausnahme.«
Aber wie er dann lehrreich jenen heißhungrigen Jüngling vorführte, der er einst war,
den Stier des Dorfes, für den er sich einst hielt, dem die ganze Welt gehörte, das
ist ein wirklich süperber menschlicher Moment! »Was ich weggefuttert habe! Ich
saß nur da und aß.« Und die 33, die ganze Stalin-Brücke entlang! Der kalte Wind
wehte nur so. »Aber der kleine Draufgänger raus aufs Perron, Hände in die
Taschen, Kragen hoch, und Zitterpartie!« All das erzählte Herr Armand wegen der
Mütze, die sie während des Aufbautrainings tragen sollten. »Ihr bekommt eine
Stirnhöhlenvereiterung, die sich gewaschen hat.« Denn die Mütze - aus einer
alten Stulpe gebastelt, an dem einen Ende zusammengenäht - stand nicht gerade hoch
auf der Beliebtheitsliste. (»Der Listenführer? Was mag ein Listenführer sein?«) Die Mehrheit wurde vom Kichern der Verkäuferinnen
aus dem ABC zu Leichtfertigkeit verleitet. Der Meister hingegen behauptet, dem
einigermaßen widersprechend, und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, ihn würde
der Bommel stören. »Der Troddel. Wie er
herumbammelt.« Aber bitte: eine Stirnhöhle bleibt eine Stirnhöhle.
Der Trainer und der Sturm kamen durch das Tor auf der Seite des Ostbahnhofs.
»Wissen Sie, mein Freund, man neigt dazu, sämtliche Plätze mit dem Nép-Stadion
zu vergleichen. Und jeder hat seine Ausrichtung; man kann eindeutig sagen, welches
das Tor von der Verseny- Straße ist und welches das vom Institut für Geologie ...
Obwohl es ein paar gibt, wenige, aber dennoch, die schief
sind. (Der Gamma-Platz ist so einer. - E.) ... Obwohl es auch vorkommt, dass sich die
Ausrichtung während des Spiels ändert. Wenn das passiert, sieht man nur eine ganz
kleine Scheibe vom Platz. Einen routinierten Halbrechts bringt so etwas nicht
durcheinander, aber ein wenig, hm, wird er entfremdet, als wäre er auf einen fremden
Platz gestellt worden, und er ist einigermaßen allein. Im Grunde stört es nicht; es erschwert nur die Erinnerung. « Der sonnige
Frühlingstag konnte einen unzufriedenen Menschen umarmen. Zwischen den Zähnen
klemmten Knabberreste. »Mein Freund, ein Zustand, der alle Tage neuen Verdruss
anzieht, ist nicht der rechte«, sagte er und riss mit verständlicher Brutalität
einen kleinen Zweig von einem blühenden Bäumchen, um damit herauszupolken, was
herauszupolken war.
Im Umkleideraum zeigte der Beste Ersatzmann stolz die Wände desselben. »Ich hab
sie geweißt.« Der Meister blickte wie vorwurfsvoll auf die Trainingsanzüge, auf
die Tausenden weißer Tupfer auf ihnen. Der Beste Ersatzmann zuckte gutgelaunt mit den
Achseln. »Aber das Weißen, mein lieber Peti, das Weißen!« - »Schau
mal«, sagte ernst die namhafte 8, »so was ist nicht einfach. So ein
Anstrich. Denn zweifellos«, hier blickte er sich mit fachmännischer Miene um,
»hätte unser Adolf das besser hingekriegt. Da hat er was voraus, keine
Frage«, er nickte, »das ist sein Beruf. Andererseits«, er erhob seinen
belehrenden Finger, worauf auf diesen (!) Zeigefinger jemand, grober Scherz, eine
Unterhose warf, hopp!, aber er wusste sich frappant zu helfen, er ließ die Unterhose
kreiseln (»Eine gehäkelte Unterhose, mein Freund! Da muss
man hinterher.«), um anschließend gewitzt den Finger wie einen Nippel aus der
Gummierung zu ziehen, hoi, und dann waren nur noch die zentripetalen Kräfte
angesagt!, »andererseits wird das Konto deines Konkurrenten von anderen
Ereignissen belastet. Da kann man schwer urteilen.« (Für meinen konservativen
Geschmack ist das zu viel. Überhaupt könnte man über den Geschmack des Meisters
Romane, jawohl, Romane schreiben ... Er hob seinen großen, durchdringenden Blick, wie
das, wie ich annehme, seit Jahrhunderten die Esterházys zu tun pflegten, um einen
Stallburschen, einen Türsteher oder Haydn anzublicken, wenn der etwas tat, was er
besser nicht hätte tun sollen. »Wissen Sie, mein Freund, ich kann diese
humanistischen Denkklimmzüge nicht ab, ganz und gar nicht.«) Im Umkleideraum
wurde es still, manch einer kicherte verstört. Auch der Meister selbst geriet etwas
in Verlegenheit. Aber dann zeigte sich, worauf das Ganze hinauswollte, wozu man
diesen schmerzlichen geschichtlichen Strang so frivol hier einführen musste.
»Wozu streichen? Es fällt doch sowieso bald zusammen.« Was, seiner Absicht
entsprechend, schlechte Laune unter sie schmuggelte. Es waren viel zu viele kleine
und sogenannte: äußere Anzeichen, die ihnen ihren Platz und ihre Lage bewusst
machten. »Wissen Sie, mein Freund, es wird immer schwerer, ohne Selbstbetrug
daran zu denken: der Ball ist hier genauso rund. Hier. Auch. Genauso. Rund. - Das ist
wichtig.«
Die Jungs trudelten bereits langsam hinaus, nur er »dödelte« noch wie
gewöhnlich herum. »Wo zum Henker ist der Knöchelgummi.« Doch an dieser
Stelle provoziert die Seele erneut eine wichtige Wendung. Ich fragte ihn, sozusagen,
ob er gelesen habe, was Herr Joyce gesagt hat ? Herr Joyce hat gesagt, er würde den
Kritikern für 300 Jahre Arbeit geben ... Und, na ja, was das anbelangt, das tut auch
der Meister. Gibt Arbeit. Weil all die Verweise, die Gasttexte, der Nachweis dieser
und dieser ganze Schrenz als Genre ... »Arbeit, ja. Für zwei Tage. Zum Henker!
Da ist er!« Er freute sich über den gefundenen Gummi, als hätte es im Sack nicht
fünf andere gegeben, von denen er sich einen hätte aussuchen können. Aber er mag
diesen alten; weil der hält, aber einen nicht zuschnürt. Er zog den Daumen um den Hosenbund; das ist die
übliche Bewegung, als würde man das Gummi weiten. Er hielt den Bund vorne ab, blickte
in den so entstandenen Tunnel, denn es entstand ein Tunnel, und er sprach in diesen
hinein: »Zwei Tage sind auch was.« Und wie. Zwei Tage sind zwei Tage.
Solche Geständnisse müssen wir noch mehr aufschnappen, sapperlott. (Während ich
schreibe, beugt er sich, eine Ehre, über mich; sein langes Dichterprofil wirft einen
Schatten auf das Blatt, sein Haar hängt mir in den Nacken. Sapienti sat. »Weiter
für Anfänger und theoretische Fachleute.« Er erzählt, er brauche einen
sogenannten Grammatischen Raum [dies ist ihm ein geliebtes Wort], und dann müsse er
nur noch leben. »Mein Leben.« Der Verfasser dieser Zeilen senkt traurig Acn Kopf und sagt, fein überleitend: Der grammatische
Raum bin ich.)
Doch hinaus ins Freie, unter den frischen Himmel in guter Gesundheit. Er daddelte
einen Ball, wobei er auf das Spielfeld zuspazierte. Herr Armand wartete streng.
Einige spielten sich Pässe zu, manch einer versuchte, heimlich auf das Tor zu
schießen, doch Herrn Armands Verbot legte der drohenden guten Laune Zügel an.
(»Aufs-Tor- Schießen bringt immer Gutelaune hervor.« - »Sehen Sie,
mein Freund, mit solchen Flachheiten entschädige ich das vor einer echten Katharsis
zurückschreckende Bildungsbürgertum.« Und dann, nachdem er dem Ball einen
kleinen Drall gegeben hatte: »Hi, hi, hi«, kicherte er mephistogleich und
rieb seine Blumenhändchen aneinander, »hi, hi, hi, da hab ich’s ihnen aber
gegeben.«)
Nun trieb sich der Meister in Herrn Armands Nähe herum. Wollte er etwa
antichambrieren? Nein, das hat er in der gegebenen Kraftsituation nicht nötig! Er hat
diesen kantigen, ehrlichen Mann einfach lieb gewonnen. Herr Armand hatte vier Kinder.
Auch das verband den Meister irgendwie mit ihm, wegen der dem Meister widerfahrenen
ähnlichen Situation - diesmal aus der Perspektive des Kindes. »Heute betoniere
ich das Scheißhaus zu.« - »Heute grabe ich den hinteren Garten um.« -
»Heute reiße ich den Schuppen nieder.« - »Heute.« Solche Sätze
flogen vor dem Training nur so durch die Luft, wie farbige Schmetterlinge, die wie
Aasfliegen aussehen. »Oder umgekehrt. Viel mehr Ruhe, mein Freund.« Von so
was war eher am Freitag als am Mittwoch die Rede, denn am Mittwoch war die durch die
sonntägliche Niederlage oder den Sieg etc. geschlagene Wunde noch zu frisch. Sie
standen da, im magischen, grünen Viereck.
»Heute gehe ich Schnallen machen.« Der Meister hielt seinen wie von selbst
sich bewegenden Ball an, balancierte ihn kurz in der Luft, bevor dieser - wie ein
Toter - von seinem Rist hinunterkullerte, beschämend. (»Ich hab’s leicht«,
sagte Herr Armand bei einer früheren Gelegenheit, da er ihm nicht wegkullerte, »ich hab’s leicht: an meinem ist Kleber dran.«)
»Kein Kleber dran«, brummte der Meister und sah fragend den Schmied der
Taktiken und Strategien an: »Schnallen für Taschen.« - »Was für
Schnallen für was für Taschen?«, fragte der große Mann logischerweise. »Das
war eine schöne Frage. Die uninteressanteste. Dafür braucht’s auch ein wenig Gefühl,
Spätzchen. « Und er fügte weise hinzu: »Es ist viel leichter, einen Irrtum
zu erkennen als die Wahrheit zu finden.« - »So Ridikülschnallen.« -
»Hässlich, wa?« - »Nö. Gehen weg wie warme Semmeln. Ich hab welche
gekauft für die Frau, das heißt, ich hab sie bekommen vom Martinkó, weil ich für ihn
arbeite. Für den Martinkö; er hat seinen Laden neben der Bäckerei, wo der alte Farkas
früher seinen Stall hatte.« - »Solche Kipferln, mein Freund, konnte man nur
noch in einem Laden bekommen. Vor den Sanierungen, in der
Pál-Harrer- Straße, vor der Lungenambulanz. Oder dahinter, wenn man’s von der Stadt
her ... Musste wegen einer Mantu-Impfung oder was hin. Wegen
der Kipferl war das fast die helle Freude ... Ich fragte
meinen Vater, der ein gebildeter Mann ist, lange aus, weil ich es nicht verstand, wie
das sein kann, dass es gut ist, wenn der Befund negativ ist.«
»Und zahlt er gut?« Das war die treffende Frage: ob er gut zahlt.
»Gut. Bin vier Abende da. Manchmal fünf. Das ist dann schon eine gute Ergänzung.
Ich werde bloß sehr müde dabei.« Der Meister machte eine unsichere Bewegung.
»Wissen Sie, mein Freund, so eine Sinnvollenutzungderfreizeit- Bewegung.«
Sie waren ein wenig zu weit gegangen. Das konnte man mit Sicherheit wissen, als Herr
Armand höflich zurückfragte: »Wie verdienst du denn?« Er stutzte etwas vor
diesem Gestus, er hätte ihre Unterhaltung für selbstvergessener eingeschätzt, als
dass sich Herr Armand so einer Retoure hätte bedienen müssen.
Da standen sie mit ihrer großen Sympathie an der Eckfahne - denn getrost kann ich
sagen, dass auch Herr Armand mit ihm sympathisierte: er mochte seinen offenen,
geraden Charakter mögen, seine Begeisterungsfähigkeit, seinen geschickten rechten
Fuß; und mochte seiner hochachtend gedenken wegen seines Ruhms -, trotzdem wurden die
Worte immer feierlicher. Sie wurden befangen. Obwohl er vielleicht hätte flüchten
können, aufs Tor schießen. Aber nein: Herr Armand ahndet solches. Und eine Ausnahme:
bildete auch der Meister nicht.
»Wissen Sie, mein Freund, eine Freundschaft kann nur praktisch entstehen, kann
nur praktisch von Dauer sein. Zuneigung allein befördert eine Freundschaft überhaupt
nicht, noch nicht einmal die Liebe. Eine echte, tätige, fruchtbare Freundschaft
besteht daraus, dass wir im Laufe unseres Lebens miteinander Schritt halten, die
Ziele des anderen gegenseitig gutheißen und so unseren gemeinsamen Weg fortsetzen,
ohne zu wanken, egal wie unterschiedlich die Art und Weise unseres Lebens und Denkens
sonst auch sein mag.« Und hier setzte er mit einer sehr schönen dichterischen
Vision also fort: »Wissen Sie, mein Freund, ich habe keinen Freundeskreis.
Sondern ich sehe meine Freunde wie die halb eingesunkenen Meilensteine am Wegesrand
... Wird hier überhaupt zugehört?!« Er winkte ab. »Natürlich. Sie, mon ami,
schreiben wie die Frauen. Wie Heine sagt, wenn eine Frau schreibt, ist ein Auge aufs
Papier gerichtet, das andere immer auf einen Mann. Ausnahme: Gräfin Hahn-Hahn, die
einäugig ist.«
»Wie verdienst du?« - »Ach weißt du, ich interessiere mich nicht so
für Geld.« Hier setzte sich nun endgültig fort, was soeben begann: zwei Männer
standen wortlos da: weil sie einander nichts zu sagen hatten. Herrn Armands Kopf
teilte das Himmelsgewölbe, das wunderblaue Himmelsgewölbe (Gottes Zelt). Auf seiner
Stirn perlte der Schweiß, über das Gewölbe zog eine Schwalbe. Der Meister, um das
Vorangegangene etwas zu entschärfen, sagte etwas in der Art, dass Geld für ihn nur
Mittel zum Zweck sei und dass er gerade so viel davon brauche, wie viel unbedingt
notwendig sei. »Das fehlte noch.« Da sieht man, dass dieser reine Geist
sehr unruhig war. »Ich habe mich selbst am Abend noch fertig gemacht. Dass ich
so Studentenhaft an die Sache rangegangen bin.« Ja, er hatte das Gefühl, noch
ein Kind zu sein (trotz Armee, Kind, Ruhm). »Das war eine recht amateurhafte
Einstellung«, und ein härteres Wort als dieses hätte einer, dessen Berufung es
ist, das Leben zu kennen, nicht über sich sagen können.
Die viele Zeit ging zu Ende: die Verspäteten kamen an, die sich schleppend
Anziehenden wurden fertig, die trotz des Verbots verschossenen Bälle kamen wieder
zurück. Man lief die Aufwärmrunden. »Wie viele?« Doch Herr Armand schwieg
geheimnisvoll, trug die Anwesenheit in sein kleines Heft
ein. Der Meister war schon reichlich außer Puste, als er sich an seine Kameraden
wandte: »Eine Ecke des Platzes ist umgeknickt, da steht geschrieben: Geheimnis.« Sie keuchten weiter. Anzeigend, dass er
nicht nur in die Luft redete, platzte er vor der Zielgeraden noch hervor: »Die.
Dort.« Um es geradeheraus zu sagen, das war nicht wahr: in dem Sinne, dass die
Ecke des Platzes nicht umgeknickt war und es stand nicht Geheimnis auf ihr geschrieben; es ist auch gar nicht so recht verständlich,
wie er sich das technisch vorgestellt hat, vielleicht wegen des Grasteppichs? - aber wie auch immer: das war schon wieder so ein poetisches
Element von seiner Seite, ein kleines Detail aus dem einheitlichen poetischen
Weltbild, das er sein Eigen nennt. Ich glaube, das ist eine sehr anständige
Sache.
Sie stellten sich auf, die Übungen begannen. Das Spiel - als wäre es ein scharfes
Spiel - war wechselhaft, der Ball hüpfte mal auf dieser, mal auf jener Spielhälfte.
Aber meistens in der Spielhälfte der »Gemischten «, da die Spieler der
ersten Mannschaft - der Traineranweisung Folge leistend - den Ball schnell aus dem
Vorfeld ihres Tores herausbrachten. Während die Verteidiger mit steilen Vorlagen die
Mittelfeldspieler oder die Seiten suchten. Der Ball flog häufig an einen guten Platz.
In solchen Fällen sagte dann auch der Trainer: »Sehr schön, Lajos ...«,
»Gut gemacht, Sanyi«. Wenn er allerdings sein Ziel verfehlte, sagte der
leitende Trainer: »Macht nichts, der nächste bringt’s.« - »Gut
gedacht, an der Ausführung hapert’s.« Besonders im Luftraum hatten Herrn Armands
Jungs ihre Handicaps. »Mutig in den Zweikampf, aber benutzt die Hände
nicht«, knallte die Stimme des Trainers. Die Zeit verging so schnell, dass man
es gar nicht mitbekam, erst als Herr Armand auf seine Uhr blickte und dreimal pfiff.
»Einer für alle, alle für einen.« (Wie die drey Musketiers.) (Mein Gott,
wie viele Abschweifungen übereinander. Aber so ist er: tut einen Schritt nach dem
anderen mit seinen Füßen.)
Der Meister mopste einen von Herrn Icsis Pantoffeln, hoffend,
dass die Rache glimpflich ausfallen würde. Da saß er nun auf der Bank, seinen Fuß
legte er auf das zusammengeknüllte Trikot. Was für ein Anblick! Ich muss vielleicht
nicht ausladend ausmalen, was für einen Vorteil beim Fußballspielen ein (oder: das)
dritte Bein bedeutete! Nun, Esterházy verfügte über ein solches! Dies brachte mich
dem Meister sehr nahe: wie oft saßen wir in schmutzigen, zwielichtigen Gefilden
verlassener Umkleideräume, während er hingerissen einen rechten und einen linken
Schuh betrachtete. »Ob wohl...?«, und dabei hob er ratlos die Schultern.
Große Ehre. (Gott bewahre mich vor Klatschundtratsch, wenn ich jetzt bemerke, dass
dieses sein Herumtutteln den Meister recht populär im Kreise der Damen machte.)
Im Bad war der Meister gerade am Einschäumen - jemand hatte von zu Hause Duftseife
mitgebracht, und er hatte sofort zugeschlagen, obwohl... als der klapprige Linke
Mittelfeldspieler, daher der Name Grasmücke, sagte, da verlierst du ja den ...
Verstand. (Was die drei Punkte anbelangt: ich beabsichtigte damit nicht das Fehlen von etwas anzuzeigen, so halbseiden bin ich nicht, obwohl die Hiatusliteratur nicht
gerade gering ist, und sie nimmt täglich zu. Aber ich schreibe über ihn, und mein
Ziel kann nicht ein literarisches sein. - Kursiv heißt:
Selbstironie. - Nichtsdestotrotz, wenn mir etwas daran liegt, das verdiente
Wohlwollen der weiblichen Leser und der zarteren Gemüter nicht zu verlieren,
beziehungsweise allgemein derer, die noch nicht ganz bar des Respekts gegenüber
echten Werten wie Autorität und so weiter sind; und auch meiner gewählten Methode der
Treue treu bleiben will - um mich eines Wortspiels zu bedienen -, nun
[!]
in diesem Fall blitzt ein Konflikt auf. Worum es geht? Nun: dort,
damals, im Bad hätte ein Magnetophon Folgendes festgehalten: Da
verlierst du ja den verfickten Verstand. Jesus ... Doch nicht umsonst gibt es
Routine, Erfahrung, ein vorteilhaftes Umfeld - den Meister -, in deren Lauf sich die
Probleme immer wieder ins Geschick zurückbringen. Ich will kein Grundprinzip
festlegen, so was ist meine Sache nicht, es soll also hier unten
»lediglich« die Verwirklichung, das Ergebnis stehen, in dessen Fall
künstlerische Wahrheit angewandt werden wird.)
[sic!]
Noch einmal von vorne: Nachdem also der Meister mit seiner ganzen Autorität einen
gerade in diesem Jahr aus der Jugend zu ihnen aufgestiegenen Jungen hinausgedrängt
und die Dusche am Rand (die beste) ergattert hatte, krallte er sich eine Privatseife,
kratzte langsam und wollüstern über seinen Rücken und begann bereits damit, sich die
Brust einzuseifen. »Wissen Sie, mein Freund, wie äußerst viele Personen es gibt,
die hier vorne, Sie wissen schon, so ein schönes Lammfell haben?« Ein Fließ, wie
man kultiviert sagt. Da sagte die Grasmücke zum Rechtsaußen: »Da verlierst du ja
den Fichte Verstand.« (Man sieht also. Wenn »Fichte« in einer von der
obigen abweichenden Bedeutung vorkommt, werden wir das anzeigen.)
Das Wasser plätscherte-prasselte über den geometrische Verhältnisse widerspiegelnden
Körper des Meisters, wobei er die Ohren spitzte. (Am besten kann er die Ohren spitzen
in der Musikakademie, in den Pausen. Er geht und steht, interessiert sich aufrichtig
für die streitenden, disziplinierten Ehepaare, versichert sie mit seiner Mimik seiner
Unkenntnis, und mit unerhörter Raffinesse spinnt er das gehörte Material gleich
weiter; aber am liebsten sind ihm die gebildeten Kreise. Hier macht er nicht viel
Federlesens, er ruft zur Gittus hinüber, denn er richtet es so ein, dass er zur Gittu
hinüberrufen kann: »Mutti, dieser Mozart ist aber ziemlich mau« oder
Ähnliches und trabt stolz von dannen.) »Na, Fichte, ich hab Roma auf ikseins
genommen.« - »Zu Recht, Fichte, die haben voriges Mal sogar Fichte Juventus
gekippt.« - »Aber, Fichte, Inter ist schließlich Fichte Inter und nicht die
Vereinigten Leuchtmittel, Fichte: Inter ...« Die Grasmücke war schon beim
Abtrocknen und in ziemlicher Erregung. Er fuchtelte mordsmäßig herum, besonders bei
den Wörtern »Fichte«, »Inter«, »nicht« etc., und obwohl
seine Bewegungen als Elemente einer »richtiggroßen Erregung « gelten
konnten, dienten sie gleichzeitig auch zum Abtrocknen, was den Meister prächtig
amüsierte. »Sehr praktisch.« - »Dass, Fichte, ein Club wie Inter seit
Wochen nicht gewinnen kann ...!« Zum ehrlichen
Erstaunen des Meisters mobilisierte dieser Satz, der im Wesentlichen keine neue
Nachricht enthielt, den schnellbeinigen Rechtsaußen. Dieser riss sich das Handtuch
vom Kopf; die Bewegung, die plötzliche Veränderung der Lichtverhältnisse ließ den
Rechtsaußen ein wenig einknicken, er schwankte und trat nach vorne und sagte, als
würde er sich anlegen wollen, dem anderen ins Gesicht: »Fichte, und Como
marschiert zur Spitze. Fichte, wenn mir das einer vergangene Woche gesagt hätte ...
Aber, Fichte, dass Inter die nicht...« — »Fichte?! « -
»Fichte!?«
Hier trat der Meister aus der Dusche, zwang den dichten Dunstvorhang auseinander und
stand wie eine Erscheinung: da. »Na, Fichte«, sagte er wie das Gedröhn
eines Wasserfalls, denn das kleine Bad verstärkte die Töne, »na, Fichte, dass
hier in Ungarn, nach so viel Laufen, unter der Dusche, in der Regionalliga 28, bei
13,20 Stundenlohn das hoffnungsvolle Auftreten Comos so schmerzt...« —
»Wissen Sie, mein Freund, für einen Moment befürchtete ich, es würde nichts
passieren und wir würden nur dastehen bis ans Ende aller Zeiten, denn nun konnte ich
nicht einmal mehr zur Dusche zurücktreten. Aber dann haben wir volle Kanne
losgejohlt, alle drei.«
Herzlich gelacht haben die drei dort drinnen, mehr noch, nur um die Parteinahme des
Glücks für ihn anzuzeigen, dem Meister gelang es sogar, einen hinterhältig
aufgestellten Bartwisch zu umgehen. Er hatte sich in der Tür noch einmal umgedreht
und im Rückwärtsgehen den gefährlichen Gegenstand hinweggefegt. »Mein
Freund«, in seinen Augen Einsamkeit und Alleinsein,
»kann es sein, dass Sie schon die ganze Zeit darüber gelacht haben? Im Voraus.
Autsch.« Seht, er kennt auch schon das Autsch; Schmerz und Ent-Täuschungen
vervollkommnen auf diese Art seine Kunst. »Oh, mein Freund, wenn der Mensch
alles leisten soll, was man von ihm fordert, so muss er sich für mehr respektive für
weniger halten, als er ist.« - Dabei hätte dieser
Bartwisch ihn so was von auf die Nase fichten können ...
11 Wenn ich gewisse ... -e/-en der Reihe nach herannehme, darf ich mich über jenen
doppelten Eselsführer freuen, der uns, wenn er uns auch einengt, wenn er unsere
Zusammenstöße auch mit blau-grünen Flecken sprenkelt: doch den Weg weist.
»Besonderheit, mein Freund, ruft Besonderheit hervor.« Der Meister und sein
kleiner Prrrrroduktionsroman sind dieser Große Wegweiser. Denn
selbst so sehe ich mich, den zuverlässigen und trivialen Chronisten, der ich bin, als
einen blitzenden-glitzernden Spiegel, von dem - es reicht eine schlechte oder gute
(nicht schlechte) Bewegung und schon ... Sie mögen dem Leser nicht unbekannt sein:
jene ausländischen (westlichen) Postkarten, von denen einem, wenn man sie kippt, aus
der Andersartigkeit der Lichtwege eine Frau, eine Art Hetäre zuzwinkert... In meinen
schweren Stunden, die mir diese Notizen verursachen, denke ich oft: Wir sind nichts
anderes als dieses Zwinkern, für immer und ewig...
»Der erste Zeitpunkt ist Ostern.« Sonntag früh
packte der Meister seine kleine Familie aufs Pferd und ritt hinaus ins elterliche
Haus. Die verwinkelten kleinen Gassen, welche über den Berghang wackelten wie die
Muskeln auf dem Rücken, forderten Ross und Reiter. Er war wieder einmal auf den
letzten Drücker losgefahren, so dass er gerade noch so viel Zeit hatte, die Familie
abzuwerfen, er küsste seine Mutter auf den alten, wunderschön-welken Hals, um
anschließend die mütterliche Hand sentimental in die seine zu nehmen. Die Finger
mündeten in einer schlanken, von Knochen durchsetzten Fläche. In jenen Teil der
Fläche, der bei mit dem Handrücken ausgeteilten Ohrfeigen das Gesicht berührt, hatten
die Adern eine erschreckende Landkarte gezeichnet. Dieser Eindruck wurde durch
Leberflecken und rötliche und sogar lila Verfärbungen noch unterstrichen. Die Haut
war wie ein nicht ganz passender Handschuh. Am Daumenansatz hatte sich etwas
überflüssiges Fleisch eingenistet, und hier glänzte die Handfläche besonders. Der
vorerwähnte Handschuh war fein verarbeitet, seidig und leicht, durch einige Risse
aber wirkte er in den Gelenken (da und dort) schwerer.
(Zu einem früheren Terminus hatte Herr Icsi die Wirklichkeitstreue dieser
Beschreibung in Zweifel gezogen und ihr ein gewisses literarisches Pathos
zugesprochen. — Das geschah derart, dass er an die Ränder des ihm zur Verfügung
gestellten Manuskripts mit einem Bleistift der Härte H Wellenlinien neben die zu
verurteilenden Abschnitte setzte. »Diese verdammten kleinen Schlangen will ich
im Traum nicht sehen«, denn auf sie folgte stets harte Arbeit. - In diesem Falle
bediente sich der Meister einer frappanten Idee. Höflich bat er die Mutter des
silfiden Torwarts herein, deren Hände ein ähnliches Schicksal aufwiesen wie die Hände
der Mutter des Meisters. Er nahm diese in die Hand und las, auf das Manuskript
schielend, vor, und was er las, zeigte er: »Die Finger, hier«, er zeigte
auf die Finger, »münden in einer schlanken, schauen Sie bitte: schlanken, von
Knochen durchsetzten Fläche«, er zeigte auf die schlanke, von Knochen
durchsetzte Fläche. Etc. Eine rückenerschauernde Szene war das. Die beiden Fußballer
sahen sich beschämt an; die Mutter ging zurück in die Küche. Im Übrigen kann man es
ausprobieren. Man nehme: mindestens vier Kinder und einiges an Bitternis in der
Lebensführung; der Probierende wird die Apotheose der Worte des Meisters sehen.)
Die Hand der Mutter haltend neigte er sich erneut ihrem Halse zu und flüsterte:
»Muttchen, du bist sehr schön heute. Schön wie eine Puffmadam!« Diese
Heilige von einer Frau, gewöhnt an die Unmöglichkeiten ihrer Söhne, versetzte dem
Meister einen Nackenklaps, doch er war zu diesem Zeitpunkt so gut wie gar nicht mehr
da; Viertel nach spätestens musste er auf dem Platz sein.
Als er wieder zu Hause ankam, versammelten sich die Teilnehmer des Mittagessens
bereits. Doch er lockte
Frau
Gitti aus der Versammlung, um ihr sein Herz auszuschütten. Nicht
zu knapp murrte er, während sie den wichtigen Umweg im Garten taten. Da ging er hin
auf dem sonntäglichen Pfad mit seinem Weibe, und bei dem einen oder anderen
gewichtigeren Schritt berührten sich funkenschlagend ihre Schenkel. (Zu diesem Zwecke
schritt der Meister ein wenig so einher, als hätte er die englische Krankheit. Aber
ich bin mir sicher, wenn nun plötzlich einer aus der Deckung einer Pappel oder aus
der Konfusion einer provisorischen Bushaltestelle hervorspränge und ihm die in
solchen Fällen übliche Frage an die Brust setzte, könnte er demjenigen zünftig
Antwort geben. »Meine hartnäckige Verletzung, Kumpel, ist
wieder ausgebrochen«, oder irgendetwas in der Art.) »Teure Gittis, so einen
dummen Verteidiger habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. « Hier räusperte
er sich inmitten des Murrens. »Dabei habe ich in meinem bewegten Leben schon
einige gesehen.«
Frau
Gitti war ein Fragezeichen. »Mein Freund! Zwei Fragezeichen
war sie dort!« Aha:
»Der war so dumm, dass er den Trick nicht bemerkte.« - »Den
Trick?« - »Ja.« - »Und was geschah dann?«, die Frau
schmiegte sich an ihn. »Was soll schon geschehen sein. Sie haben mich
ausgewechselt. « So was widerfährt ihm selten; und wenn,
ist er nicht erfreut darüber. »Der leere Umkleideraum! Wie man in all den ganzen
Latschen und Handtüchern herumwühlt! Dieser Überfluss ist abstoßend, bei meiner
Ehre!«
Damals krochen schon die Blätter mit ihren grünen Ohren in den Garten herein und die
Knospen und die Blüten waren mit ihren Schmetterlingsflügeln auf die Bäume
geklettert. Niemand balancierte auf dem Gelb eines Maßliebchens und niemand lag
bäuchlings im Gras und hielt Ausschau nach Mädchenschenkeln. »Aber mon eher ami!
Die von der Gittu! Der Gittu ihre waren da!« Nun, das stimmt: Frau Gittis
Schenkel sind erste Klasse; die Frau von der Psyche her
angreifen: die Erfüllung der tolldreistesten Bilder aus den Flegeljahren des
Meisters!
Ostern legte sich schwer über den Garten: zwar war es schon nach der Auferstehung,
doch Karfreitag war noch so nah. Im Meister verlängerte sich — trotz allem — das
Maßliebchen (und hörte damit selbstverständlich auf, ein Maßliebchen zu sein), und er
sagte nichts. Seine Hand war in guten Händen. Diese beiden, wie sie dort über die
Pflanzen des Gartens wandelten, waren wie ein Dankesgebet. Die Stimmen, die sie aus
Richtung des Mittagessens riefen, veranlassten den Meister (mit dem Gedröhn von
Felsen - Tu es Petrus etc.), zu Gitti hinabzugleiten. Da die Sohlen verschwanden,
erhob sich, als hätte es Muskeln, das Maßliebchen, zusammen mit den umgebenden
einfachen, doch nichtsdestotrotz nicht weniger geheimnisvollen Grashalmen.
»Wissen Sie, so gestaffelt; als wäre es ein Film; Sie wissen schon, so ein
Naturfilm. « Das Maßliebchen ward.
Doch was für ein Vaudeville ergab sich noch vor dem Essen,
dank der jüngeren Brüder des Meisters! Frau Gitti eilte voran, um behilflich zu sein,
er selbst schlenderte gemach Richtung Haus, in grüblerische Gedanken versunken;
» als der Totó über die Flanke nach vorne preschte«, er hätte doch dribbeln
sollen, hopp, den vorstoßenden Fuß umgehend, noch einmal, und dann das Antäuschen vor
dem Schuss, der knochige, unangenehme Centerhalf auf dem Boden, mit
dem Gesicht im Gras, schaut von da aus hoch, »ihre Blicke begegnen
sich«, an dem Torwart vorbei, vor der Torlinie verlangsamen und schnipp, damit
er nicht einmal bis zum Netz rollt. »Aaaa.« Ein aus der Kehle
hervorbrechender, herzzerreißender, markerschütternder Schrei durchdrang das Haus,
bis in die letzten Winkel desselben; der Meister, da der Schrei in seiner
unmittelbaren Nähe ausbrach, ward vor Schreck fast entzweigespalten. »Man hat
mich erschreckt«, sagte er zu einem späteren Terminus, in seinen Briefen
blätternd. »Aber«, sagte er und schüttelte ein passables
Kuvert, » aber das hier hat sein Ziel auch erreicht. «
Er schlug zu. »So sehr war ich erschrocken.« Da er auf den Fluren der Seele
unterwegs war, und die Eile von dort zurück! Der sich vor ihm erhebende Schatten
drehte sich um seine Achse, nachdem die kleine, schnelle Faust des Meisters einem
Hammerschlag gleich hinuntergesaust war. In seiner Faust erspürte er das
Aufeinandertreffen von Fleisch und Knochen. Herr György - denn er war der hoch
hinaufragende Schatten - ächzte heraus unter dem Schlag, der ihn ins Kreuz traf, und
der riesige Körper fiel, wie niedergekeult, nach vorn zum Fuße der Heizung. Der
Meister, der sich inzwischen seelisch hatte sammeln können und sah, dass es sich um
seinen Bruder handelte, würdigte diesen keines Blickes und ging wutschnaubend in die
innere Stube. Er hatte sich sehr erregt. »Dieser Blödmann.«
Die geheimnisvollen, tiefen Farben, die Goldstreifen des hereinrieselnden
Sonnenlichts übten eine sehr beruhigende Wirkung aus; Braun-, Grün- und dumpfe
Gelbtöne - in flüchtiger Aufzählung. Er grüßte die dem Tisch zustrebenden näheren und
ferneren Verwandten und rannte sodann ins Badezimmer, um sich die Hände zu waschen,
wie er sagte. Er hörte noch, wie Jozef Veverka ihm hinterherrief: »Schaffe du
nur, Péterle, Schönes und Edles.« Das sagt er immer und ein wenig ist er
beleidigt. »Weißt du, Gittu, er ist von solch männlicher Trauer umflort.« Die Frau zuckte mit den Schultern. (Jozef
Veverkas verwandtschaftliche Bande sind enger zu Frau Gitti denn zum Meister.) Jozef
Veverka trampelte quasi täglich durch die »Gegenwart« der kleinen Familie
des Meisters, brachte einen Korb Eier vorbei, manchmal Radieschen, obwohl ihm der
Meister sagte, dass »sie selber so viele haben, dass sie nicht wissen, wohin
damit«, na, wenn du welche hast, gib mir welche, in unserem Haushalt kann das
Radieschen eine große Rolle übernehmen, er richtete das Tischtuch und warf sich in
den Lieblingsfauteuil des Meisters, um sie von dort aus über die kleinen und großen
Alltagsprobleme der Familie zu informieren, oder er zog aus seiner Zigarrentasche
sofort einen Schraubenzieher und begann an etwas zu schrauben, das entweder kaputt
war oder seiner Meinung nach gerade der Aufmerksamkeit einer fachkundigen Hand
bedurfte; anfangs rauchte er stinkende Zigarren, später hielt er — begleitet von
sogenanntem unwillkürlichen Husten und Räuspern — Vorlesungen aus Fachzeitschriften,
welche er zusammengeknautscht wie eine Sportzeitschrift (Népsport) aus seinem glänzenden Kunstledersakko zog, über Kehlkopfkrebs, die
Symptome, die Chancen usw. »Gittulein, Fichte, ein Glück, dass er einen nicht
abfragt!« - »Sprich nicht so über meinen ...« Als er sich auf den Weg
machte — recht bald —, ließ er jedes Mal Vorwürfe verlauten gegen die Führer des
Landes und gegen Frau Gitti, Erstere, weil sie das Land für ’n
Appel und ’n Ei verscherbelten, Letztere, weil sie immer noch nicht den
Pandanus veitschii gegossen habe.
»Aber in Wahrheit war ich nicht Hände waschen, sondern Pipi machen.« Als er
aus dem Bad kam, lief er seiner lieben Mutter in die Arme, welche losgegangen war,
ihn zu suchen. »Hast du dir die Hände gewaschen?«, fragte die allmählich
ergrauende Matrone mit von Besorgnis gesprenkeltem Misstrauen. Tja nun: vieles konnte
dies edle Weib an Lebenserfahrung ihren Söhnen übermitteln, doch das Händewaschen, in
der heutigen bazillenverseuchten Zeit, gehörte nicht dazu. (Manchmal, wenn der
Meister das Gefühl hat, die Hände sind klebrig, oder er das Gefühl nicht hat, aber
auf das bestimmte Aufeinanderreiben der Finger folgend löst sich schwarzer Abrieb von
der Handfläche oder den Fingern selbst, dann ja. - Das ist wieder so ein kleines
menschliches Moment.) »Natürlich habe ich sie mir gewaschen«, sagte der
erwachsene Junge und hakte sich bei seiner Mutter unter. »Stell dir vor, mein
Sohn«, die Frau rückte damit heraus, was ihr schon die längste Zeit schwer auf
dem Magen gelegen hatte, »dieser Hallodri war hier, dein Fußballerfreund.«
- »Der Franc?« Die Frau nickte; der Gedanke daran brachte sie in einen
aufgebrachten Gemütszustand. »Er kommt herein, weil ich ihn um Hilfe gebeten
habe, grüßt kaum, und bis ich ihm mit diesen alten, klapprigen Beinen
hinterhergezottelt kam, stand er schon vor den Fliesen, schlenkerte mit dem Kopf und
sagte zu mir: Küssdiehand, das muss aufgestemmt werden!«
Der Meister frischte auf und gab eine Anekdote zum Besten. »Er hat bei der
Immo-Instandhaltung gearbeitet. Weißt du, wie viel er da mit diesem
Küssdiehand-das-muss-man-aufstemmen verdient hat ? Er ging durch einen Zehnstöckerer,
hoch in den Zehnten, Küssdiehand, der Bewohner unter Ihnen, Küssdiehand, und zeigte
irgendeinen blaupapierfleckigen Zettel vor, um anzuzeigen, das ist offiziell, und
schwuppdiwupp, schon stand er traurig vor den Fliesen und nahm Maß für die Bewegung.
Küssdiehand, das muss aufgestemmt werden. Die Hausfrau richtete den schnuckligen
kleinen Schlafrock, sah dem Franc tief in die Augen und fragte, ob’s nicht möglich
wäre. »Möglich wär’s«, sagte der Franc abwartend. »Das macht
mindestens einen Zwanziger.« - »Na, also ich habe ihm gleich gesagt, er
soll da Weggehen, es ist der Wasserhahn, der kaputt ist.« - »Die
Dichtung?« - »Was du alles weißt. So was hast du früher nicht gewusst...
Aber, mein Sohn, dieser Freund von dir! Er repariert, wie du’s sagst, die Dichtung,
hinterher setzen wir uns hin, ich bringe ihm ein Glas Wein, und da fängt doch dein
Freund an, mir zu erzählen, dass er immer schon die reiferen Frauen gemocht hat; ich
habe mir natürlich nichts dabei gedacht, aber dann hat er angefangen, weißt du, so auf meinen Busen zu starren, lächerlich. « Die
wundervolle Frau lief rot an. »Und dann langte er sich in die Hose ... also
weißt du, so eine schmutzige Hose habe ich noch nie gesehen ... in die Tasche und
holte irgendeinen Plunder hervor, dass das eine echte Perle sei, die er angeblich in
einem Toilettenabfluss gefunden hat.« Hier streckte sie plötzlich die Hand nach
vorne - und in der Fläche: die Perle! Der Meister lachte laut auf, er nahm die Hand
seiner Mutter, umfasste sie mit der seinen, wie eine Schale, ballte sie so zur Faust.
Also der Reihe nach von außen nach innen: seine Hand, die Hand seiner Mutter und
zuinnerst die im Abfluss gefundene Perle. Die Leute, die sich entsprechend den
Intentionen
Frau
Gittis und des Vaters des Meisters bereit machten, warteten
eigentlich nur noch auf sie: auf Mutter und Sohn; ausgenommen Jozef Veverka, der mit
seiner schweigsamen Adlernase bereits am Tisch schnaufte. Doch diese beiden steckten
immer noch die Köpfe zusammen.
»Hör dir das an, mein Sohn, was ich geträumt habe. Wir waren hier, in diesem
Zimmer. Es schien tagsüber zu sein, aber sämtliche Lampen brannten.« - Sie
zeigte auf die Lampen. - »Und es gab sehr viele Betten. Alles Messingbetten.
Glänzende Messingbetten, und eng dazwischen gepfercht Armsessel. Aber alle mit weißen
Laken abgedeckt. « - »Damit sie nicht schmutzig werden!«, zischte er
in einem plötzlichen Affekt. »Genau wie der Jozef Veverka. Der macht das auch.
Deckt immer alles zu.« - »Aber so eng gestellt, versteh mich, dass man kaum
gehen konnte. Nur so bugsierend, seitlich. In einem der Armsessel saß Mátyás Rákosi.
Sein Schädel glänzte, wir unterhielten uns. Übersetzen Sie, lieber Mátyás, auch so
viel wie mein Mátyás, fragte ich. Ich saß auf einem Messingbett, die Knie
zusammengepresst. Oh ja, antwortete Rákosi, aber ich, nicht wahr ... und er zuckte
mit den Schultern. Ja, natürlich, wir haben es in der Zeitung gelesen. Mir ist kalt,
sagte Rakosi und hüllte sich in eine braune, knisternde Windjacke. Da ist bei mir der
Groschen gefallen und ich stahl mich zwischen den Betten davon. Ich komm gleich mit
dem Schwarzen, rief ich zurück. Sie können sich ja solange unterhalten, unter
Männern.« - »Wieso, war der Alte auch da?« — »Ja. Und sag nicht
Alter. Na und dann ging ich ins Badezimmer, um einzuheizen, dem Gast war kalt. Aber
vor dem Holzstapel lag ein großer schwarzer Hund und auf seinem Rücken ein kleines
weißes Lamm. Als ich eintrat, flitzte der Hund hinaus und die beiden Mátyás’ bauten
sofort eine Sperre aus den Betten und versteckten sich
darunter. Die Sperre wurde so gut, dass auch ihr Mut wieder wuchs, und sie bellten
aus Spaß unter den Betten hervor. Und ich hatte sogar noch vor dem Lamm Angst! Aber
wie ihre Hemden aussahen! Das von deinem Vater ging ja noch an, aber das vom armen
Rákosi!«
»Und ich habe geträumt«, er überfiel brutal die wartende Mutter, »dass
der Laci Nádai seine Schultertasche vorführt. Da steht >Moskau i98o< drauf
geschrieben. Er lacht und zeigt darin eine wunderbare Pagode aus
Märklin-Bauelementen. Was ist das? Er lacht wie ein Kind. Weil ich das immer der Dame
des Hauses gebe, sagt er und verbeugt sich wie der Prinz Kerouac, diese Pagode, und
wenn ich daraufhin um eine Unterkunft bitte, geben sie mir
gerne eine, sie wissen, ich mache mich nicht vor der Zeit aus dem Staub, die Pagode
ist ja da. Laci, mein Süßer, was ist das für ein hässlicher Murks? - Das habe ich
geträumt.«
Die gute Frau schwieg ein wenig beleidigt, weil man so hurtig von ihrem Traum
weitergesprungen war. Bei ihm klickte es (mehrfach). »Süße Lilkó«, sagte er
mit der Strenge von jemandem, der zu einer Entscheidung gelangt ist, »Schluss
mit dem müßigen Lebenstempo (hier schnitt die Frau eine bittere Grimasse), schreib
jeden Morgen auf, was du geträumt hast.« - »Aber manchmal träume ich nicht,
und manchmal vergesse ich es.« - »Muttchen, in dem Fall schreib es nicht
auf. Aber nichts dazutun, nichts weglassen. Was sagst du dazu? Wir machen ein Buch
daraus, ich gebe dem Ganzen eine künstlerische Form, wir werden in Geld
schwimmen!« Der Meister umarmte seine Mutter und wollte sie gerade im Rhythmus
eines fiktiven Walzers drehen, als die liebe Mutter es gerade nicht zuließ. »Du
bist verrückt, mein Kleiner«, sie lachte beschämt und stolzerfüllt. »Sehen
Sie, mein Freund, ich denke nur noch in Literatur. Jemand sagt unschuldig etwas und
ich, wie die Kreuzspinne: her damit! Was für ein Holterdipolter!« Aber ich weiß
sehr gut, was er hinter dieser selbstkritischen Wendung verbirgt.
Sein Herz nämlich! Denn zu dieser Zeit war die liebe Mutter des Meisters in recht
schlechter Verfassung. Gar nicht die konkrete Krankheit, eher, dass sie keine Lust
hatte, gesund zu werden. »Die Dinge stehen gerade jetzt
so gut, ich kann nichts Zusätzliches mehr ertragen«,
sagte sie, sich in den vielen Kissen aufstützend, und ihre wunderschönen Katzenaugen
füllten sich mit Tränen. »Ist gut, Mütterchen«, sagten die Jungs,
streichelten die geschwächte Hand und gingen ihren Geschäften nach. Als dann der Arzt
bereits mit dem Meister von Mann zu Mann reden wollte, musste man etwas unternehmen;
da folgte der bizarre Vorschlag des Meisters bezüglich einer Mitautorenschaft. So
muss man das also sehen.
»Gut siehst du aus, Kätzchen«, Esterházy tätschelte seine Mutter, wo man es
mit den leichten Mädchen zu tun pflegt; die Frau winkte ab und hinkte
(Arterienverengung?), sich auf ihren Sohn stützend, zum Festtagstisch, der schier
zusammenzubrechen drohte unter all dem irdisch Guten. Der Vater - ein ergrauter
Zeitschriftenschreiber - rief ungeduldig aus: »György!« Herr Marci, der mit
verschlafener Visage auftauchte, stieß seinen ältesten Bruder an: »Die
Wangenknochen bewegen sich!« Das war ein bekanntes Zeichen für die väterliche
Nervenanspannung, worauf es dazumal oh wie viele zum Besseren bekehrende Backpfeifen
gesetzt hatte, Backenpfeifen mit den Worten Herrn Mihálys
(vielleicht weil das Substantiv in der Praxis stets im Plural auftauchte?). Seitdem
haben sich die Kräfteverhältnisse umarrangiert, dennoch sind die Seelen auch heute
noch von einem schweren Respekt erfüllt, sobald sie die Muskeln im Gesicht ihres
Vaters erblicken, was nur möglich ist, wenn die Fasern sich anspannen und die
stoppelige Oberfläche der Gesichtshaut anheben (was, als Ursache, auf das gewaltsame
Aufeinanderpressen der Zahnreihen hindeutet), als wäre da, rund um den Kopf, ein
Gewirr geheimer Drähte; die Bohrungen des Zorns (mit anderen Worten). Das Verhältnis
zwischen dem Vater des Meisters und Herrn György war nicht ungetrübt, und der Grund
dafür war, so wie ich das sehe und als ungebetener Advokat (»der, mon ami, eine
Riesenfichte«) beurteilen kann, im funkensprühenden Zusammenprall der
Souveränität des György’schen Charakters mit dem Autoritätsanspruch des Vaters zu
suchen.
Für
alle Fälle verbargen sich in diesem gereizten
»György!«-Ruf »die Reibereien vieler Jahre«. »Die
Wangenknochen bewegen sich«, wiederholte Herr Marci das Gefahrenwort aus alten
Zeiten. An dieser Stelle stiebte der Meister, von einem inneren Gefühl geleitet, von
der festlichen Gesellschaft fort. »Jessas!«, rief er gut im Voraus aus. Und
tatsächlich, als er eine Tür öffnete - zurück zum Tatort -, erblickte er ein
ausgestrecktes Bein. »Ein schluchzendes Bein, mein
Freund!« Herr György kniete vor dem Heizkörper, seine Hand rutschte langsam,
sehr langsam über die Rippen nach unten, und der ganze Riese ward von Weinen
geschüttelt. Auf der staubigen Oberfläche des Heizkörpers fielen die verhängnisvollen
Schlieren der Finger hinab. »Was ist los, Alter?!«, der Meister beugte sich
erschrocken hinunter und zog unter großem Geschnaufe das Gewicht an sich und hob es
hoch. »Mach doch keinen Scheiß, aber ich hab doch wirklich ... aber Györgyilein, weine nicht, na, na, nicht doch, na: mein süßer
Kleiner.« - »Du bist völlig übergeschnappt«, heulte Herr György. Der
Meister stützte seinen schluchzenden kleinen Bruder, neigte sein Gesicht ganz nah an
dessen Gesicht, welches von echten Tränen patschnass aufgeweicht. »Mein Gott,
hast du einen großen Kopf«, sagte der Meister unbewusst und streichelte Herrn
György. (Leider hatte der Meister in dem Schrecken, in den ihn das tierische Gebrüll
gezwungen hatte, Herrn Györgys Kreuzschmerzen vergessen. Der Unglückliche war sogar
schon bei einem Knochenbrecher in der Slowakei gewesen.) Der große Körper schleppte
sich - unter Umgehung der Mittagessenden - ins Badezimmer. Er trippelte ihm die ganze
Zeit hinterher, versuchte, sich nützlich zu machen; doch ohne Erfolg.
Herr György begoss sein rot geweichtes Gesicht mit kaltem Wasser. Doch wurde der
Meister bald von Zweifeln befallen: Herr György nahm das Handtuch von seinem Gesicht,
stellte sich vor den Spiegel, drückte einen Mitesser aus, bat um den Kamm, den ihm
der Meister diensteifrig besorgte. Reden wir nicht drum herum, der Bruder vor dem
Spiegel mimte den Schönling, mehr noch, als er - mit seiner Handfläche - die Frisur
noch einmal richtete, sagte er: »Hol dich der Dachdecker, Künstlerchen!« -
»Arschgeige!«, zischte der Meister, erkennend, dass sein Bruder auf diese
Weise sein vorheriges Ich abgestreift hatte, doch sofort schrie Herr György
schmerzlich auf und krümmte sich über dem Waschbecken. So wusste der Meister nicht,
was er denken sollte: »Lass uns gehen«, sagte er, durcheinander, zum sich
wie ein Wurm krümmenden Herrn György, welcher sich sodann - einen letzten Blick in
den Spiegel werfend — voller Spannkraft mit ihm auf den Weg machte. Herr György
konnte so ziemlich wie ein Stutzer sein. Die anderen warteten nicht auf die
Herumtreiber, sie waren schon bei der Suppe. »Ein Idiot ist das«, sagte
Herr György, auf den Meister zeigend, und setzte sich mit einem schnellen Jajj-jajj
hin, um den Rückstand aufzuholen.
Doch nicht so endete das Vaudeville, das ich versprach, nicht
wie ein schneller Frühlingsregen, sondern es verlief sich hübsch, obwohl nicht mehr
im Galopp. Die »Tantis« und »Onkelchen« stöhnten vor Wohlgefühl.
Onkelödön, der sich bis ins hohe Alter eine hervorragende Qualität seines Oberlippen-
sowie Kinnbartes bewahrt hatte, lobte abwechselnd mit Jozef Veverka: »Lilkó,
dieses Suppengedicht ist hervorragend.« Veverka hielt eine kurze Rede, und sein
angetrautes Eheweib, diese winzige, dünne kleine Frau, stieß ihn an: »Das hast
du gut gesagt, Vati.« Da - vermutlich wegen der großen Eile - tat der Löffel in
Herrn Györgys Hand einen jähen Sprung, kam klopfend im Teller auf und so weiter. Herr
Marci fuhr hoch: »Was ist los, Kumpel? Nimm gefälligst die Heuschrecke aus dem
Esszeug!« Na, was daraus wurde! Vorneweg muss man noch hinzufügen, dass es eine
herrliche Suppe war, die dort vor ihnen plätscherte! »Irgendein Rest, mein
Freund, irgendein Rest. Aber sehr schmecker aufmontiert!« Und da auf der matten
Oberfläche der braunen Brühe dunklen Spiegeln gleich Fettaugen trieben, beugte sich
der Meister über den Teller und erfreute sich (ein wenig) an seinem Angesicht. So
konnte es passieren, dass auf das Heuschrecken-Bonmot folgend der Meister in die
Suppe prustete, deren Elemente (Kümmelsamen? Erbsen? Oder Pfefferkörner?)
sympathischen Fliegen gleich nur so über den Tisch schwirrten.
(Dabei trat er doch Suppen gegenüber sonst so vorsichtig auf. Das hat eine
Geschichte. Freunde der Literatur wissen sehr wohl, wie ungetrübt das Verhältnis des
Meisters zu Kellnern ist; Dutzende Honorare beweisen dies. - Auf dem ersten
Honorarüberweisungsschein stand: Horrorar. Paff. - Doch es gab auch einen anderen
Fall. Er gab gerade im Kleinen Kuckuck den Connaisseur.
»Mon ami, schauen Sie sich das an, wie diese Wärter des guten Geschmacks
dastehen, bewaffnet bis an die Zähne, eine verdächtige Bewegung und sie schießen, und
dabei nibbeln sie dezent vom Beefsteak à la Chateaubriand.« Fleischsuppe mit
Galuschka, das war die aus unserem Blickpunkt erwähnenswerte erste Hälfte des
Judikats. Er teilte die Galuschka (das Nockerl) mit seinem Löffel quer durch [das ist
wichtig: quer durch!] und schluckte diese auf eine Weise, dass das konische, also das
nicht geschnittene Ende in die Richtung der Bewegung fiel [Lippen, Mundhöhle, weicher
Gaumen und so weiter]. Doch unten! Unten plötzlich, als keiner, aber wirklich keiner
mehr damit gerechnet hätte, verströmte sich die Hitze, die dort im Inneren der
riesigen Galuschka gespeichert war; verströmte sich, ergoss sich, und er dachte, er
müsste auf der Stelle sterben. Die Hitze kam und kam und er konnte nichts machen. Im wörtlichen Sinne des Wortes: ihm blieb die Spucke weg.
Hier trat der Kellner hinzu - sehr hilfsbereit -, doch er, mit seinem roten Kopf,
konnte jetzt wirklich nichts mit ihm anfangen, mehr noch: er schämte sich ob seines
Ausgeliefertseins an eine Galuschka. So winkte er nur mit der Hand: »Weg.«
Dem Wunsch des Gastes entsprechend trollte sich der Kellner; zum Schluss versuchte
der Meister die Sache mit einem unbegründet hohen Trinkgeld geradezubiegen, was es
natürlich alles nur noch schlimmer machte.)
Die Gäste löffelten taktvoll vor sich hin, die Mutter des Meisters grummelte.
»Also das ist wirklich die Höhe. Erwachsene Männer!« Herr György - in
seiner Freude über den gefundenen Löffel - sagte schadenfroh: »Das Péterle hat
sogar ein Diplom.« - »Der Wangenknochen bewegt sich«, flüsterte der
sehr aufmerksame Herr Marci, doch dann wies er den Meister, der gerade anheben
wollte, sich zu begeistern, zurecht: »Kannst du dich nicht beherrschen?! Ach,
hol dir doch einen Kuss von der Madam Schoscha!« Der
Meister schnalzte anerkennend mit der Zunge und sprang auf, um sich das zu notieren,
wie man sehen kann. »Sehen Sie, mein Freund, hier zeigen sich die
Schwierigkeiten (des Romanschreibens - E.), welche vorübergehend sind.« -
»Welche Unformen, vom Tisch aufzuspringen«, die Mutter fand erneut
Beanstandungswürdiges. »Tottere du nicht so viel, Muttchen! « - »Na,
na«, brummte das Familienoberhaupt.
Teller wechselten (dank der im Hintergrund wirkenden
Frau
Gitti, welche wie ein Kassenarzt ehrenhalber ihre Hand am Puls der
Dinge hielt), und schon prangte das Lili-Kotelett vor ihnen: zart, weich, kaum zu
glauben. »Aber liebe Lilkó! Wie machst du das?« Die Herstellerin lächelte
geheimnisvoll. »Esst nur.« Hier johlte der Vater des Meisters tendenziös
los. »Das hätte man sehen müssen, mein Freund, wie meine Mutter meinen Vater
ansah! Wie ein Kind, wenn es kolossal wütend ist! Und vor Wut gleich strampeln
wird.« Ich spanne nicht auf die Folter; die Lösung für dieses Blitzen ist, dass
das Kotelett ganz einfach: Hackfleisch war!!! »Aber es ist gut
aufmontiert.« Daher seine buttrige Zartheit etc. »Lilkó! Ist das
zart!« — »Liebe Lili, das muss man gar nicht kauen, das kaut sich sozusagen
von selbst!«
Auf Herrn Marcis Teller lag noch ein kleines Stück, ein letzter Ausläufer, von der
leicht angebrannteren Art, welche der Meister dessen blässeren Verwandten ohnehin
vorzog. So versuchte er, es zu stibitzen. »Oblák!«, rief Herr Marci heftig
aus (»was, wie man aus der Fachliteratur wissen kann, so viel macht: Mb.
Hmp.«) und verabreichte der im Großteil des Lebens eine Feder haltenden Hand
einen mächtigen Schlag. Der Meister war drauf und dran, sich traurig zurückzuziehen,
als sich Herrn Marcis Züge erweichten, er applizierte das Fleischstück auf seine
Gabel und zeigte sie dem Meister, so auf halbem Wege. »Das war eine bedeutende
Version.« — »Alter«, sagte er sanft, »hier ist das Fleisch«,
und bewegte seine Gabel in die Richtung des Meisters. Dieser sank vor Freude auf die
Knie. (»So viel braucht es.«) Diensteifrig sprang er auf den Köder an;
wegen der nahen Entfernung griff er mit dem Mund danach. Herr Marci zuckte ein wenig
zurück. »Hier ist das Fleisch, Kumpel.« Sein Gesicht verhärtete sich.
»Und hier bleibt es auch.« Und hamm, in den Mund damit. Auf diese Weise
erniedrigt schob der Meister seinen leeren Teller der diese einsammelnden Frau Gitti
hin, die ihm ein tröstendes Streicheln der Hand zuteilwerden ließ.
»Den Kaffee nehmen wir drinnen«, sagte die Dame des Hauses und fügte
lachend hinzu: »Wir sagen dem Dienstmädchen Bescheid. « Was
natürlicherweise selbstironisch zu verstehen war, doch diesmal ging es nach hinten
los, wegen der Anwesenheit Frau Gittis, auf welche man diese Aussage beziehen konnte,
was eine klassische Schwiegermutter-Schwiegertochter-Situation erschuf - dabei, wenn
es eine Schwiegermutter und eine Schwiegertochter gibt, die sich gut verstehen: dann
sind das Frau und Mutter des Meisters. Gewiss wegen des bittersüßen Bandes zwischen
ihnen! Die Hauptattraktion des Kaffeetrinkens ist: Herr Marci, der den im Original
bitteren Sud mit 6 Würfeln Zucker trinkt, und zwar, wie er behauptet, weil man aus
den 6 Zuckerwürfeln einen Turm bauen kann, und das Schönste am Kaffeetrinken sei,
wenn dieser Turm umfalle. Der Wirkung konnte sich niemand entziehen, mit angehaltenem
Atem warteten verschiedene Generationen darauf, dass sich der Kaffee
»gewalttätig in das Gebäude fraß«, ein Würfel einknickte, der Turm ins
Wanken geriet und in Schwärze versank ... »Guck mal, wie ein Besoffener, der
langsam unter Führung der salpetrigen Wand
hinunterrutscht.« Wie eine verrenkte Extremität hing aus Herrn Marcis Tasse der
Löffel heraus. Unauffällig (kopfschüttelnd) legte ihn die liebe Mutter auf die
Untertasse.
Jozef Veverka pirschte lautlos von Zimmer zu Zimmer, und wenn er einen Pandanus
veitschii fand - einen fand er -, drehte er diesen zur Sonne. Der Meister verfolgte
ihn mit seinem Blick. Onkelödön hakte sich bei dem Vater des Meisters unter.
»Bitte, ich muss in einer vertraulichen Sache mit dir sprechen.« Er
streichelte sein Bärtchen. Der Meister mochte seinen Humor sehr. »Wissen Sie,
mein Freund, das konnte man mitverfolgen, diesen Prozess, wie der Onkelödön älter
wurde. Er war ein schöner Mann, die Frau schwirrten nur so.
Der
schöne Ödön und sein draufgängerischer, hagerer Humor wurde umso
tiefer, je richtungsloser er wurde.« Mit Affekt: »Pfui, Didaktik.«
(»Es begab sich einmal, ein Werk des Zufalls, dass er gemeinsam mit der
Handballerinnenauswahl nach Wien reiste, und als er die »attraktive
Spielmacherin« erkannte, sagte er zu ihr: »Wissen Sie, Amálka, wenn ich Sie
sehe, spüre ich ausgesprochen den Geruch eines Tors.« - »Oh, wie
freundlich«, sagte die Frau und errötete. Onkelödön bekam sogar Freikarten.)
»Bitte, ich muss in einer vertraulichen Sache mit dir sprechen. « Onkelödön
war ein Gentleman. »Bitte, was du möchtest«, sagte der ergraute
Zeitschriftenschreiber und zog ergeben an seiner Zigarre. Der Vater des Meisters - so
der Eindruck des Meisters - empfand seine Klasse als ermüdend. Doch belassen wir es
dabei: »Den Vätern ist so vieles zugutezuschreiben, schließlich leben sie schon
so lange.« - »Bitte, die Angelegenheit ist äußerst heikel.« Der
Meister spitzte die Ohren, rutschte bäuchlings hinter die Gardine, kroch auf den
polierten Tisch (»welcher so schöne Blasen wirft«) und wurde dort unbemerkt
»zu einem Gedeck, einem Gäbelchen«. Wie es seine Gewohnheit war, tat er
alles, was der Beruf an Opfern abverlangte; er war
strebsam.
»Verfüge über mich, lieber Ödön.« Doch sein Lächeln hüllte der tätige Mann
erneut hinter einen Schleier aus Zigarrenrauch. »Also, bitte schön, die Jolánka
schrieb mir eine Karte, in der sie berichtet, unsere Reise in die Bretagne habe dort
drüben großen Staub aufgewirbelt. « Zwei Augenbrauen bewegten sich asymmetrisch
- väterliches Erbe - nach oben, fragend. »Schau, unser gemeinsamer Freund,
dessen Namen ich nicht laut sagen möchte« - hier warf er einen Blick zum Telefon
-, »der französische Graf, hat sich, nicht wahr, auf seine Güter in der Bretagne
zurückgezogen.« Der Vater des Meisters nickte. »Ganz offensichtlich hatte
er keinen blassen Schimmer, wovon der gute Ödön da redete. Wissen Sie, mein Freund,
einmal hörte ich mir einen seiner Dispute an über ein Buch, das er sehr aggressiv
verteidigte, bis sein Gegenüber unter dem fesselnden Druck seiner Argumente
schließlich aufgab. Und dann hat der Alte, nicht gerade den Regeln des Fair Play
entsprechend, ihm den Dolch in die Brust gerammt, indem er zugab, das Buch überhaupt
nicht gelesen zu haben.
Also,
weißt du, Matthias ...! Der Betroffene schnappte nach Luft. Eine
wirklich
freche
Wendung, nicht?«
»Also, als wir ihn mit meiner Frau dort besuchten, fanden wir eine große Anzahl,
wie soll ich sagen: Royalisten aus der Umgebung vor, die sich zum schönen Gartenfest
versammelt hatten, bei dem sich der >General< mit seiner lebendigen, geistreichen
Art als der liebenswürdigste Gastgeber erwies.« Der Vater nickte müde. »Als
gegen Abend die letzte Geigenmusik verklang, führte er meine Gattin auf eine Anhöhe,
welche sich auf der großen Schlosswiese erhob, versammelte alle Tänzer und
Tänzerinnen um sich, gab dem Orchester ein Zeichen und führte, dieser 75-jährige
Greis, die Gesellschaft in einer >Farandole<, einem huldigenden Marsch, zu meiner
Gattin.«
»Großartig«, sagte der Vater des Meisters, und da ein Stück Torte auf einem
Fayence-Tellerchen erschienen war, griff er zur Gabel. (Der Meister selbst kauerte
ängstlich, wie man sich denken kann.) »Natürlich, aber, bittschön, der Ruf des
Grafen!« - »Tja, na ja«, sagte der ergraute Zeitschriftenschreiber,
immer besser orientiert. »Zum Beispiel hat der Graf in der Kapelle seines
Schlosses in der Bretagne mit großer Pietät jenes Tuch aufbewahrt, an dem
angeblich« - hier wurde die erzählende Stimme leiser - (und der Meister brach
schier in Tränen aus; jedes Mal, wenn es zu so einer Dämpfung kam), »angeblich
der Führer der Bewegung seine Stirn abgewischt haben soll.« Onkelödön kicherte
los. »Wissen Sie, mein Freund, es kommt selten vor, dass man einen Mann kichern hört.« Dies war eine kostbare Erfahrung für den
Meister, schade, dass Onkelödön schon auf dem absteigenden Ast war und nicht mehr im
Vollbesitz seiner Kräfte. »Weißt du, das ist so eine Art, hi, hi, hi,
kommunistisches Veronika-Tuch.« Der Vater des Meisters lachte laut los.
»Sehr gut, lieber Ödön, das ist hervorragend.« Doch sein Gesicht nahm
sofort wieder düstere Züge an, wie in einem humorigen Stummfilm. (»Er ging auf
Nummer sicher, der alte Lustmolch.«) »Und was ist das Problem?« -
»Nun ja, ich bitte dich, du verfügst doch über gewisse Einsichten ...« Onkelödön verstummte und blickte den Vater des Meisters
flehend an. Dieser erwiderte lange seinen Blick. »Dieser Schurke.« Nach
einem langen Schweigen - was diese beiden anbelangte, denn weiter weg sprudelten gar
fleißig die wortlosen Töne der Plapperei - ergriff er ernsthaft das Wort. Er legte
dem anderen seine Hand auf die Schulter. »Danke, lieber Ödön, dass du Bescheid
gesagt hast. Mehr noch, ich möchte sogar weitergehen. « Das Gäbelchen fiel unter
den Tisch. »Ich gehe sogar noch weiter und möchte dir danken und dich bitten,
solltest du jemals in Besitz eines Details gelangen, so uninteressant es dir auch
scheinen möge, erstatte mir darüber unbedingt Bericht. Aus solchen Mosaiken ergibt
sich und wird klarer: das Gesamtbild.« Er muss am Ende seiner Kräfte angelangt
sein, er ließ Onkelödön in hohem Tempo stehen.
Herr György wühlte die stehenden Gewässer mit seiner auf die Sportzeitung bezogenen
ordinären Suchart auf. »Da hat man kein anderes Vergnügen mehr als die Sport nach dem Essen, und dann wird sogar die weggeschafft.« Der Pfeil der Kritik war offensichtlich auf die liebe
Mutter gerichtet. Der Vater des Meisters, ermüdet und erfrischt vom vorangegangenen
familiären Gespräch sowie getrieben von einem Grundzug seines Charakters, zu dem sich
auch etwas schlechtes Gewissen mischte, eilte seiner Ehefrau zu Hilfe, indem er
anfing, die Zeitung zu suchen. »Beim Pandanus veitschii ist sie nicht«,
warf Jozef Veverka ein. »Wissen Sie, liebe Lili«, fuhr er die angefangene
Konversation fort, »dieses viele Fleisch!« Der Vater des Meisters suchte
zwischen den Blumen, was Herrn György aber nur noch mehr aufwiegelte. »Warum
suchst du sie nicht gleich auf dem Dachboden, alter Lombroso!
«, erklang es respektlos. Der graue Vater hob seine Hand und sprach eine jener
Sentenzen, von denen Herr György, sozusagen, Ausschlag bekommt. »Mein Sohn, wenn
es einmal dort nicht ist, wo es ist, muss man es dort suchen, wo es nicht ist.«
Die Söhne winkten gleichzeitig ab, wie ein Frauentanzorchester (nur dass die es mit
den Beinen tun). »Den guten Menschen führet sein eingebend Instinkt auf den
guten Weg«, sagte der Meister.
»So viele Sorten Fleisch!« - »Erinnern Sie sich noch an den Látka P. J.?« Jozef Veverka nickte verlässlich. »Mein
Gott: der Látkapejot! Das war vielleicht ein Delikatessenladen!« Die Mutter des
Meisters sah Veverka vielleicht das erste Mal überhaupt mit Respekt an. Sie hat nie
etwas Schlechtes über ihn gesagt, manchmal empfand sie sogar Mitleid für ihn.
»Du, Péter, dieser Jozef Veverka ist so ein armer Teufel ... Der Ärmste sieht so
müde aus!« Aber nun würde vielleicht Látkapejot das Verhältnis dieser beiden in
eine gute Richtung lenken. Doch Jozef Veverka verlor wie gewöhnlich die Contenance.
»Und der Sztajics erst! Beim Sztajics gab es 25 Sorten
Aufschnitt. Mit Fetteinlage, mit Lebereinlage.« Die Frau versuchte sich in
Antworten. »In der Kígyó-Straße gab es auch einen hervorragenden Fleischer, sein
Name ist mir nicht mehr ...« - »Filet hat 96 Fillér gekostet, nicht etwa
100 Forint! 96 Fillér! Ein paar Absatzferkel haben 3 Pengő gekostet, ein paar gute
Schnürstiefel 4 Pengő und ein Schaufler bekam seinen Pengő am Tag! Und dafür heute!
Und da reißen die noch ...« Jozef Veverka verstummte, und plötzlich entstand
große Stille. »Offensichtlich hörte keiner hin«, sagte der Meister
böswillig. »Was ist los, sind die Themen ausgegangen?«, rief Herr Marci aus
dem äußeren Zimmer herein; wo der begabte, wenngleich auch etwas behäbige Center am
Naschen war. (Herr Marci isst mehr als Herr György, so unglaublich das auch klingen
mag.)
Der große kleine Bruder (Herr György, falls es einer nicht wissen sollte) leistete
ihnen, mit einer kurzen Marlboro in der Hand, Gesellschaft. Er ließ großen,
bläulichen Rauch um sich kräuseln. Herr György mag es, zu schwatzen und zu plauschen,
und er kann es auch. Schon als kleines Kind fühlte sich dieser hervorragende,
geistreiche Gesprächspartner wohl in der Gesellschaft von Erwachsenen. »Das ist
keine Kleinigkeit, mein Freund. Ich bin manchmal einfach außer Stande zu
sprechen.« Ja: er ist da anders. Der große Respekt, den er für sein Werkzeug,
die Sprache, empfindet, kann leicht
Hemmungen
hervorbringen. So auch jetzt: sein »tödliches Ducken« unterbrach er nur
einmal. Er fragte eine »Frau mit Lippenstift«, ob diese tatsächlich der Meinung sei, die Szilviasas sei so
gut. Dabei, was der Meister von Musik versteht...! (Obwohl: der Meister und die
Musik! Die vielen Einflüsse auf ihn! »Ich bin ungebildet, mon ami. Aber das soll
Sie nicht täuschen. Zuhören kann ich.«) »Ja, sie ist gut. Und ihr Auftreten
ist sehr gut. Was nicht unerheblich ist auf einer Bühne.« - »Da allmählich
die Zeit des abendlichen Fernsehfilms nahte«, machten sich die Gäste auf den
Weg. Der Meister blickte auf seine Uhr, auf diese pfiffige kleine Maschine, ob es
schon Zeit war für die Abendmesse.
Hier platzte Herr Kisteleki herein, ein Mittelfeldspieler, freundschaftlich schlugen
sie sich auf den Rücken; aus der Ecke rollte der kleine gelbe Gummiball hervor;
»der Labbrige«. (»Vielleicht hat sich das Haus geneigt, weil wir alle
auf einer Seite standen?«) Herr Kisteleki hob das unerwartete Geschenk hoch,
sein schönes Pferdegebiss blitzte vor Freude und er begann zu daddeln, den Ball
hochzuhalten, nach einigen fehlerlosen Auf-und-Abs legte er ihn zu Herrn György
hinüber (der für einen Verteidiger hervorragend daddeln konnte, innerhalb der
angegebenen Zeit schaffte er von allen Geschwistern die meisten Heber, vielleicht
wegen der großen Fußfläche; einmal erzählte der Meister seinen Kameraden, Herr György
könne einen gewissen Trick - im Lauf über den Kopf von hinten nach vorne - sogar mit
einer Bierflasche ausführen. »Einer leeren?« - »Natürlich. Er ist ein
Virtuose, nicht blöd.« Was haben sie gelacht.), dann zu Herrn Marci, und am Ende
der Kette zum Meister. Dies führte dann zu einer Idee, aus immer mehr Richtungen
ertönte der aufgeregte Ruf: »Daddelbewerb! Los! Daddeln!« Eilends legten
sie die Regeln fest. »Letzt! Vorletzt! Zwot! Erst!«, und die Reihenfolge
stand auch fest. Die drei Brüder lagen gleich auf, als Herr Kisteleki drankam. Er
machte sich mit großem Selbstvertrauen an die Arbeit, die vielen österlichen Lichter
spiegelten sich in seiner Zahnreihe. Doch als er das Ergebnis der Esterházys
erreichte, zerlegten diese - ohne sich abgesprochen zu haben -
Herrn Kisteleki unter großem Gelächter. »Wissen Sie, wir hatten uns alle drei
heimlich dorthin gedruckst.« - »Unentschieden«,
rief der Meister eilig aus. »Iks!« - »Vierer Remis«, hieß es in
der offiziellen Ergebnisverkündung. Doch Herr Kisteleki schmollte. (Fürwahr,
verständlich aus persönlichen, kleinlichen, privaten Gesichtspunkten!) »Ihr seid
keine Gentlemen«, sprach er mit Nachdruck. Nach kurzer Heiterkeit wurde dem
armen Jungen jedoch eindeutig über den Mund gefahren. »Kumpel, hier geht’s nicht
ums Gentlemansein, sondern ums Daddeln.« Und sie zwinkerten sich zu. Ein schönes
Beispiel war das für die geschwisterliche Beziehung und den Zusammenhalt.
Seine übliche sonntägliche Dankesmesse ließ er in der örtlichen Kathedrale abhalten.
Die Zeit verbrachte er recht schlampig, seine Aufmerksamkeit war umherschweifend; sie
konzentrierte sich auf manche denkwürdigen Punkte, unter denen es erneut unwürdige zu
beklagen gab. Gleich der erste. Er war schon wieder beim Totó angelangt, als der Totó
losgegangen ist... vielleicht hätte er ihm doch den Pass Zuspielen sollen, wenn der
Toto dann zurückgespielt hätte: wäre er auf der Gewinnerseite gewesen: alle Türen und
Fenster offen; wenn er durchgegangen wäre, hätte er vielleicht gut geflankt und er
wäre angekommen, und rein damit, von null zwischen die Augen!
Plötzlich wurde er der Stille gewahr. Immer lauter werdendes Geknister von
Papierblättern: der Pfarrer blätterte. »Aber heftig.« Vor und zurück, man
konnte schon sehen, dass er kein System hatte, er vertraute auf sein gutes Glück.
Welches sich aber zu verspäten geruhte. Der Meister schaute nur. (Er hatte eine
Phase, in der er sehr hart über die während der Zeremonie geschossenen Böcke
urteilte; auch jetzt war er nicht gerade erfreut, doch erschüttert würde er auch
nicht sein!) Plötzlich hörte das Blättern auf. »Da!«, sagte der Pfarrer,
und obwohl der Meister wusste, dass das vorgelesen war, und
wie folgt fortgesetzt werden würde: (da) sprach der Herr, wurde trotzdem auch er vom
unausstehlichen Humor der Szene erfasst, welche der zivilen Aktualisierung des
heiligen Textes entsprang; »die Gittu trat ihm auch gleich gegen’s
Schienbein«.
Vor ihm saßen ein Mann und ein Knabe. »Vater und Sohn.« Der Vater war der
kleinere; beide hatten dieselben schönen, nach hinten gelegten Ohren und frisch
(»ekelerregend, mein Freund«) geschnittenes Haar: in der Mitte des Halses
riss es plötzlich ab, fast konnte man noch das metallische Sirren der Schere hören,
»wie den Flügel eines Teufelsengels«, um Platz zu machen für die roten
Flecke der gequälten Haut. Als sich der Junge einmal zum Vater drehte, fiel dem
Meister dessen strenges Profil auf, die starke Brille - der Junge saß so da, dass
auch der Meister von Zeit zu Zeit durch diese Brille schaute die abfallenden
Schultern, und alles spiegelte jene Verstocktheit, welche er aus seiner eigenen
Jugendzeit kannte: die selbstzerstörerische Härte, den Schrecken, das Vertrauen und
das Misstrauen. Angesichts dieser Kraft fiel dem verantwortungsbewussten Mann ein:
»Wie werde ich wohl einst mit meinem Sohn
Übereinkommen?!« Und: »Man muss diesem Blick standhalten, dann wird es
vielleicht gehen.«
Und hier folgte ein bestürzendes Ereignis. Der Sohn erhob sich - das allein hatte
schon etwas Erschreckendes an sich, und das ist nicht nur eine nachträgliche
Hineindeutung —, rückte näher an seinen Vater heran und legte plötzlich, aber mit
einer Zärtlichkeit, die selbst den Meister nicht ungerührt lassen konnte, den Kopf
auf die Schulter des Vaters. Der Meister hatte das schon lange im Voraus kommen
sehen, wie der Junge anfing, vorsichtig den Kopf zu neigen, er hatte also genug Zeit,
sich in das Gefühl hineinzuversetzen, sich hineinzulullen. Umso schockierender war
es, dass, als der Kopf - zugleich Schulter und Hals berührend, oder das Ohr, das war
wegen einer nach vorn fallenden Locke schwerlich genau zu sehen — den Vater
erreichte, dieser wie erschrocken zusammenzuckte und den Jungen gereizt anknurrte:
»Na.« Der Meister glaubte mit seinem Gefühl für Komposition den Konflikt
verstanden zu haben. »Ein trauriger, einfacher Fall.« Aber das war noch
nicht alles. Das war noch gar nichts. Der Junge stutzte, sein Kinn schnellte violent
nach vorne - das erste verräterische Zeichen sein Kopf versank fast in jenen
abfallenden Schultern, und mit seiner tiefen, brummenden Stimme ließ er, während
seine Lippen sich rundeten, als würde er gerade einen Luftballon aufblasen, und sich
die Augen einander erschrocken annäherten, ein unartikuliertes Flüstern verlauten,
das aber so laut war, dass alle Herzen davon erbebten. Das des Meisters auf jeden
Fall. In den Augen des Jungen wechselten sich Schrecken und Glück so schnell ab, dass
sie fast ineinander verrannen. Denn der Kirchendiener kam, und der Vater, dem der
Meister schon längst verziehen hatte, kramte eine Zweiforintmünze hervor, und als der
Junge mit zitternden Händen nach dem dritten Versuch, die Zunge herausgestreckt,
endlich den Klingelbeutel traf, war er die Dankbarkeit und die Freude in Person. Er
sah seinen Vater lange, begeistert an. »Ist ja schon gut, ist gut«, sagte
dieser schnell.
Und da - als er diese ur-adoleszente ewige Reinheit erblickte, welche ihn vorhin noch
mit ihrer Symbolkraft zur Selbstprüfung bewogen hatte und von der sich jetzt
herausstellte, was sie war -, stiegen ihm Tränen in die Augen; und er kniete sich
hin, um für den Jungen zu beten. »Kleiner Bruder, kleiner Bruder, kleiner
Bruder.«
12 Herr Ferenc, Prosaschriftsteller aus Temes, schlug dem Meister vor, und der
Meister schlug Herrn Ferenc vor, eine Zwillingsnovelle zu schreiben. »Wir legen
einige Parameter fest, fertig«, sagte grinsend der Meister. »Fertig«,
der Temeser nickte. »Stefanovits ist der Mann der Zukunft«, fügte er hinzu
und warf Esterházy einen Blick zu, ob dieser verstand. Nun war es am Meister zu
nicken. »Wir kombinieren einen Teil des Raumes mit einer Person.« -
»Onkel Feri«, sagte er bei einer späteren Gelegenheit, denn der Meister
achtet stets darauf, die älteren Berufsgenossen mit tiefem, respektvollem Respekt zu
grüßen, »Onkel Feri, ich habe einen längeren Text angerissen, das heißt, die
Sache ruht im Moment.« - »Sie ruht«, Herr Ferenc nickte und seine
riesige Haarkrone fiel trauer voll auf seine Schulter.
13 Hier bediente sich der Meister aus seinem »souverän beherrschten
schriftstellerischen Arsenal« des Mittels der Komplementärbeschreibung (ihm
widerfuhr eine Lebenserscheinung, welche er dann auf das Origo spiegelte — dieses für
jene, die ihn in ihrer Praxis verwenden wollen - E.). »Wissen Sie, mein
Freund«, sagte er und schnippte seufzend gegen die Streichholzschachtel. Welche
in die wenig ästhetische Atmosphäre der Kneipe hinaufstieg, um alsdann wieder
herunterzufallen. Pass. Herr Icsi gewann. Der Torwart ließ ein zufriedenes Wiehern
vernehmen. Doch da verkündete Herr Csucsu unerwartet und mit der von ihm gewohnten
Bestimmtheit (die Sturheit war eher typisch für diesen guten Techniker), dieser
Wettbewerb sei die Herbstrunde gewesen und 1. käme jetzt die Frühjahrsrunde; 2. finge
er jetzt an; und 3. arrangiere er die Krüge (und Gläser - E.) um. Durch das sinnige
Umarrangieren der Krüge und der anderen Trinkgefäße konnte man nämlich erreichen,
dass die Streichholzschachtel öfter als durch die Statistik garantiert auf einer
»wertvollen Fläche« liegen blieb, gleichsam zwischen die Krüge gequetscht.
(Als »gefischt« galt das Ergebnis, wenn das Schächtelchen in der am Grunde
des Kruges dümpelnden Flüssigkeit »auf den Füßen landete«; als
»gefischt, gesalzen « dementsprechend. Hier erinnern wir auch daran, dass
dreizehn gleich große Kugeln das kleinstmögliche Agglomerat dann bilden, wenn 12
davon die dreizehnte vollständig umschließen und verdecken. Die Mittelpunkte der 12,
die dreizehnte Kugel in ihrer Mitte berührenden Kugeln decken sich mit den Spitzen
eines Ikosaeders. Vgl.: Jesus und die zwölf Apostel, die zwölf
Stämme von Jakob und Israel, die Sonne und die 12 Tierkreiszeichen, das
»himmlische Jerusalem« und die 12 Engel, das Kreuz und dessen 12 rechte
Winkel etc. - Eine künstlerische Darstellung des Ikosaeder-Symbols finden wir in
Sulamith Wülfings ganz von reiner Spiritualität inspirierten Kupferstichen.)
Da der Meister seine Gedanken zu einem Flüstern heruntergedämpft hatte, erspürte auch
die Welt etwas von dieser inneren Stille. Im Ausschank wurde es leiser, allein Herrn
Csucsus Humpen klingelten und bimmelten. Er hatte ein neues, hervorragendes System
gefunden. Der Wirt, mit einem halb abgewaschenen Glas in der Hand, verhutzelten
Schaum auf seinem Handrücken, winkte den neu Hereingetretenen, sie mögen still sein;
der Meister denke. »Wissen Sie, mein Freund« - die Gäste: Arbeiter, Bauern,
Intellektuelle, lauschten mit gespannter Aufmerksamkeit –, »wissen Sie, ich
legte Wert darauf, dass der KISZ-Sekretär im Werk sympathisch sein sollte. Und ich
glaube, dieser Bursche (András Békési) ist sympathisch.« Als sie das hörten,
erhellten sich die Gesichter in der Kneipe, die Menschen hüpften und sprangen, Fremde
fielen einander um den Hals. Der Meister sprang in seiner Reinheit auf den
schmutzigen Tisch und dirigierte sie. Autor und Leserschaft sangen in wunderbarer
Verschmelzung.
Ein Sch(m)atz und sonst nichts,
Das wünscht ich mir,
So lebt es sich
still und froooooh.
(»Katzenöhrchen, Katzenöhrchen, was Sie nicht alles zusammenbringen! « Er
lächelte unschuldig. Nun, zugegeben: Illusionen über diese Verschmolzenheit macht er
sich nicht. Nostalgie, na ja, das ja. Obwohl, einmal... Sie hatten gerade jemanden
vermöbelt, er hatte leicht und klug gespielt. »Er hat sich Mühe gegeben«,
sagte in der Dusche Herr Icsi zu Herrn Csucsu, und sie stießen ihn unter das kalte
Wasser. Und da geschah es, dass der Torhüter des Gegners den Meister mit einer vor
Ehrerbietung verwickelten Stimme fragte, ob er denn jener Esterházy sei. Worauf der
Meister, wissend um die Ordnung der weltlichen Eitelkeiten, antwortete, nein, er sei
der ältere Bruder. Dass er nämlich der ältere Bruder des Herrn Marci sei. Herr Marci
war seinerzeit vielleicht noch Torjäger in Budafok. Und der Akt der Gerechtigkeit von
Seiten des gebildeten Gegners: »Wirklich? Der ältere Bruder des
Schriftstellers?« - »Gefällig.«)
Herr Csucsu verschob einen der Krüge leicht und lehnte sich zufrieden nach hinten.
»Was meine Wenigkeit anbelangt, ich votiere auf die Kette im Mittelfeld.«
Der Meister senkte das Haupt: was Zustimmung bedeuten konnte, aber auch schmerzlichen
Widerspruch. Herr Csucsu ließ den Blick noch einmal über die Konstruktion schweifen.
Er nickte und winkte Herrn Icsi: er solle anfangen. Herr Icsi zwinkerte verschmitzt,
er hatte erkannt: wer anfängt, verliert, er winkte Herrn Csucsu: er solle anfangen.
Herr Csucsu wandte sich sofort an den Meister (»großes Gedruckse!«),
während er die Schachtel, wie ein Tier, aus seiner Hand gleiten ließ, Herrn Icsi zu.
»Das geschah noch bei der Jugend.« Der Meister deutete mit den Augen an: er
höre zu. Er bot der Runde Rotwein an. Herr Icsi schüttelte den Kopf, doch auch seine
Augen glänzten schon. »Das geschah noch bei der Jugend. Das sage ich nur, um zu
zeigen, wie viele unbekannte Giganten es gibt.« (Herr
Csucsu ist ein großer Liebhaber des Unbekannten. Sagen wir, sie lehnen gerade wieder
am Eisengeländer. Rost mag herunterrieseln. »Drinnen spielt die B-Mannschaft
oder die Kleinen.« Da wendet sich Herr Csucsu mit einem Pathos an den Meister -
der sie so ausgehefert werden lässt - und spricht also: »Ich bin ein großer
Liebhaber des Unbekannten.« Der Meister deutet auf jemanden drinnen: »Der
bringt’s. Hat was drauf.« Herr Csucsu fährt fort: »Hast du schon mal in den
Philatelieanzeiger hineingeblättert oder ins Jagdmagazin Nimród? « Eine echte Frage. »Letztens war sie einen
Monat zu spät«, sagte der gut informierte Meister, »der ChefRedaktor hatte
sie im Bus oder wo liegen lassen.« - »Warst du schon mal bei einem
Judowettbewerb?« Nun entzieht der Meister dem magischen, grünen Viereck das
erste Mal seinen Blick. »War neulich mal da gewesen«, verrät Herr Csucsu
sein Geheimnis. »Und wie war es?« - »Interessant. Wie als ich im Nimród geblättert habe.«)
»Bei der Jugend war der Satya der Trainer. Bei jedem Training erzählte er
dieselben zwei Witze und lachte immer ganz groß über sie.« - »Über alle
Witze?« - »Über alle. Nach der kurzen, aber
gründlichen Aufwärmphase (hier johlten sie kurz auf) teilte er die Mannschaft
in zwei Teile, und da beide dieselben Trikots anhatten, sagte er zur einen Gruppe:
Gut. Und jetzt verwuschelt euch mal die Haare. Das war der erste Witz. Und der zweite
gleich darauf; es gab noch welche, die lachten, als er sagte: Der Sieger bekommt
seine Soda mit doppelten Bübbelchen.« Wie man sehen kann, war es Herrn Csucsu
sehr wichtig, dass nicht er anfing, wenn er solche mageren Schwänke vorführte. Doch
der Meister sagte, ihm gefalle dieser Witz. Er schlug sich vor Heiterkeit auf die
Schenkel. »Satya war ein echter Gigant, er trank Sekt aus dem Schuh meiner
Mutter und rief dabei: Ich bin die beste Linksdeckung bei den Győrern. Mein Vater
tätschelte ihm die Schulter. Der beste Linksdreher.« - »Das ist auch
gut«, er amüsierte sich: »der beste Linksdreher.« Herr Csucsu blickte
den Torhüter vorwurfsvoll an und nahm die Schachtel. »Zu jener Zeit verriet ich über eine gute Form.« Er nickte ernst und
niemand zweifelte an seinen Worten.
Hier trat Gábor Kacsoh ein, der KISZ-Sekretär der Fabrik, mit je einer Frau an der
Seite (davon eine mit Brille). Er sagte mit einem breiten Lächeln: »Du sagst es:
du Verräter.« Sobald er sich am Tisch niederließ, sprang Herr Csucsu auf.
»Setz dich«, sagte Herr Icsi, aber er nahm den Blick nicht von den
Bierkrügen. »Wissen Sie, mein Freund, dieser Kacsoh war ein ziemlicher
Schädling.« Dieser sein einseitiger Affekt ist so seltsam, wo doch das heilvolle
Wirken des KISZ-Sekretärs so augenfällig ist: erfrischende Getränke, Turnschuhe,
Bälle. Und mehr oder weniger selbstlos, vom Schwung der Bewegung getragen. Ich sehe
das so. »Mein Freund. Oh, wie viele Zusammenkünfte, Beratungen, Besprechungen,
Versammlungen, Appelle, Sitzungen waren in leeres Geplänkel übergegangen und wurden
zum beseelten Schein der Demokratie, oder, wenn die Teilnehmer gescheiter waren, zu
praktischem Zynismus, oh, wie viele nur, wegen dieses Kerls?! Und oh wie viele haben
nach so einem grammatischen Weichklopfen - denn das ist es!, und das versaut die
Grammatik!, das! -, oh wie viele, müde abgewunken: haben wir halt das auch noch
gefressen. Was zählt da schon, dass durch geschicktes Umgruppieren der Rechnungen die
Problematik der Erfrischungsgetränke ... Ich bin ungerecht.« Ja; Verzeihung,
Verzeihung.
Doch die Stimmung war gefroren, der Abend zerbrochen. Eine kürzeste Weile später
trotteten sie Richtung Schule, wo die Mannschaft ihr Lager aufgeschlagen hatte. Sie
gingen betrübt (nach Hause), ihre Seelen waren schwer wie die Nacht (selbst). Herr
Csucsu knirschte ohnmächtig mit den Zähnen: »Hast du nicht bemerkt, wie dieser
Abschaum, diese Fußangel, dieses Bilsenkraut, dieser Giftpilz, dieser Kahlschläger,
dieser verdammte Schädling gegrinst hat, als du mit seiner Tussi geäugelt hast.«
Der Meister antwortete resigniert: »Ich habe nicht geäugelt. « (Die Wahrheit ist, dass der Meister einen Blick auf das Mädchen mit
der Brille geworfen hat, worauf sie einen zurückgeworfen hat, woraufhin sie genauso
lächelten, nur eben in umgekehrter Reihenfolge. Woraufhin die Hölle losbrach.) Der
Rechte Verteidiger stützte den Meister und umgekehrt. Ersterer pfiff mit brechender
Stimme einen Blues. Danach waren lange Zeit nur die Geräusche der Schuhe zu hören.
»Aber die mit der Brille war nett.« — »Ja, die war nett«, sagte
Herr Csucsu, zur Versöhnung bereit. Der Meister war reichlich geknickt.
Der Verfasser dieser Zeilen verspürt Befangenheit; handelt er nun richtig, wenn er
aufdeckt? »Wissen Sie, mein Freund, mit den Irrtümern
der Zeit ist es schwer sich abzufinden: widerstrebt man ihnen, so steht man allein;
lässt man sich von ihnen befangen, so hat man auch weder Ehre noch Freude
davon.« Ha, ha, ha: Doch nun ist es gerade so, dass Er die »Zeit«
ist... Man soll aus niemandem einen flitternden Operettensoldaten mit geröteten
Lippen machen, doch ist Nüchternheit angebracht, wenn diese nicht typisch ist?
Dennoch: ich beschreibe die Dinge, wie sie waren, vielleicht
gereichen sie niemandem zur Schande. Na und im Fall des Meisters ist sowieso von
etwas diametral Entgegengesetztem die Rede: denn wer weiß, was für einen haarfeinen
Vergleich vielleicht eine durchzechte ordinäre Nacht gebiert. Im Falle des Meisters
ist sowieso nicht davon die Rede: er und seine Freunde freuten sich nur einfach am
Abend über den Sieg (um sich am nächsten Tag nicht über den Morgen zu freuen).
Im Schulgebäude schlug ihnen eine gestaute Hitze entgegen. Die Heizkörper knackten
manchmal geheimniserfüllt, sie waren, sozusagen, noch im Dienst, es war noch,
überflüssigerweise, Heizsaison. Die Sportler gingen in ihre Zimmer. Der treue
Protokollant, vom Heer der Ereignisse erfüllt, konnte nicht schlafen. Er verirrte
sich hinunter in den Sportsaal, wo ihn ein verstörender Anblick erwartete.
Etappenweise fallen gelassene Kleidungsstücke und eine Pfütze Erbrochenes (dessen
wortlose Beseitigung 20 Forint für die Putzfrau bedeutete) zeigten den Weg. Der Saal
war erfüllt vom mächtigen Duft des Todes. Ich fand ihn im abgehobenen Deckel eines
Springkastens. Er lag auf dem Rücken und ruhte, es war, als ob er schliefe; tiefe
Ruhe und Festigkeit (Gott, man kann es sich vorstellen!) ergossen sich über seine
erhabenen, edlen Züge. Als ob hinter der grandiosen Stirn immer noch die Gedanken
schwirrten. Ich empfand den Drang, eine Locke zur Erinnerung zu schneiden, doch das
Gefühl des Respekts hinderte mich an der Ausführung. Sein Körper streckte sich
unbekleidet, nur in ein Bettlaken gehüllt, dahin. Ich hob die Hülle an und staunte
über die göttliche Pracht dieser Glieder. Breit und mächtig wölbte sich der
Brustkorb; die Muskulatur der Arme und Schenkel ist leicht füllig; die Beine von
vollkommener Statur; und nirgends am ganzen Körper auch nur die geringste Fettigkeit
(das familientypische Doppelkinn, vielleicht...) oder Abgezehrtheit. Ein Männerkörper
von makelloser Schönheit lag vor mir und über das Ergötzen vergaß ich für
Augenblicke, dass die unsterbliche Seele - der Wein, der rote! - diese irdische Hülle
bereits verlassen hatte. Ich legte meine Hand aufs Herz - rundherum herrschte tiefe
Stille - und wandte mich ab, um meinen Tränen freien Lauf zu lassen.
Der Morgen war traurig; was verständlich ist. Péter Esterházy bog mit säuerlichem
Gesicht und brennendem Magen in irgendeine breite Straße ein, die man kreuz und quer
aufgerissen hatte, es wurden neue Gasleitungen verlegt. (Bezeichnend für die damalige
Verfassung des Meisters ist, dass ausgerechnet er, der über eine so hohe soziale
Sensibilität und überhaupt: über ein Verantwortungsbewusstsein verfügt, über diese
glänzend-schönen Leitungen, die sich da so hingebungsvoll auf die neuen Häuser
zuschlängelten, sich nur sehr mittelbar freuen konnte, er grummelte: »Was für
ein Tohuwabohu.«) Er erklomm große, heikle Hügel, um anschließend über Bohlen zu
gehen, die über Gräben gelegt worden waren! Er schloss seine zitternden Lider und
vice versa. »Ich ertrage die Dunkelheit nicht«, sagte er zu Herrn Icsi.
Herr Icsi nickte und sagte rügend: »Ich habe der Putzfrau einen Zwanziger
gegeben.« Der Meister sah ihn voller Schuldbewusstsein an. Herrn Icsis harter,
reiner Blick erfrischte ihn. Doch sein Magen zitterte. Es war kalt, ein grauer
Morgen. Er kehrte in einen Laden ein, um Milch und ein Riesenkipferl zu kaufen. Er
wog ab: Halber Liter? Ganzer Liter? Die Frau vom Laden bereitete ihm einen
freundlichen Empfang, und der Meister nahm sogleich wahr, dass am Kittel der Frau in
Bauchhöhe ein Knopf fehlte. Das weiße Leinen hob sich von seinem Partner ab, es
bildete sich ein zum Lugen geeigneter Spalt. Der Meister legte den Kopf zur Seite,
aber er konnte nicht feststellen, ob er den Bauch sah oder die Kombinage. »Hier,
das große Kipferl und die Milch, noch etwas?« Und als der Meister dann durch die
Auslage, zwischen zwei Bierflaschen hindurch, zurückschaute, lächelte die Frau nicht
mehr; sie zählte. »Wissen Sie, mein Freund, zwischen zwei Bierflaschen
durchzuschauen, ohne dass diese umfallen - das ist keine einfache Sache.« Er bat
den Torhüter mit den Tigerreflexen, dieser möge so nett sein, ihm den Milchschlauch
zu öffnen, nachdem er mit seinen durchaus scharfen Zähnchen vergeblich bereits an
zwei Ecken genagt hatte. Herr Icsi langte überlegen in seine Tasche und schnitt mit
einem ansehnlichen Taschenmesser: schnipp!, jene Ecke des Schlauches ab, die der
Meister brutal angeknabbert hatte. Darauf folgend trank der Meister schrittweise von
der Milch (der eine oder andere Tropfen löste sich ein manches Mal von den Lippen,
über das Kinn und so weiter), er hatte das Gefühl, seinen Magen liebkosten seidige
Hände.
Da gingen sie auf den Sportplatz und spielten das Spiel um den Einzug ins Finale. Auf
dem Platz ging eine ekelerregende »Schlachterei« vor sich, alles triefte
nur so vor Toren; sie mussten mit 8 Toren gewinnen und das Ergebnis war: 8:1.
»Was für eine Perversion! Man hatte nicht einmal Zeit, sich zu freuen!«
Schon während des Spiels dachte der Meister immer häufiger an jenes geflieste kleine
Stück Raum, dessen zwei gegenüberliegende Wände Fotos verzierten: das (ehemalige)
Viadukt von Veszprem und das (ehemalige Esterházy-)Schloss von Fertőd. (Zwei
künstlerische Fotos.)
»Ich kotze gleich, so viel Tore haben wir geschossen«, sagte der Meister in
der Umkleide, wo ihm die abgestandene Luft praktisch eine Ohrfeige verpasste, und man
musste auch nicht mehr lange warten, bis auch er hinausrannte in den Nebenraum, damit
der Inhalt seines Magens - die Milch - entweichen und er seinen Kopf an die kühlen
Fliesen legen konnte, deren Berührung wie eine Medizin war, wie eine Medizin! - und
er, sich sammelnd, in die Schüssel blickte und ausrief: »Was für ein schöner,
weißer Schaum! Wie Eisblumen!« - »Nicht zu vergessen den Rotwein«,
sagte Herr Csucsu bissig. Gábor Kacsoh - der, da er spürte, dass die Stürmer ihn
nicht richtig leiden konnten, diese auch nicht leiden konnte - zischelte: »Zu
wenig. (Die 8 Tore!) Dafür gibt’s keinen Preis!« Herr Csucsu fing auf gewohnte
Weise zu schielen an und schickte den KISZ-Sekretär seine Mutter fichten. Auch der
Meister wurde blass (obwohl bei ihm in diesem Intervall die Gründe zumindest
zweierlei waren), doch so viel Geistesgegenwart blieb ihm noch, Herrn Csucsu zu
umfassen und mit einer Bewegung, die manch einer als abstoßend empfinden mag, über
dessen Gesicht zu streicheln. »Ruhig, mein Täubchen. Es ist wirklich ein wenig
wenig.« Herr Icsi schwieg dunkel.
Als er die Häuser, welche sich wie Pilze vermehrten, hinter sich gelassen hatte,
wurde es schon beträchtlich dunkel; wie ein Hochwasser, so hinterhältig und
unaufhaltsam breitete sich die Finsternis aus, und er stieg, mit dem Turnbeutel in
der Hand und der sich langsam lösenden Trauer im Herzen, aus dem Autobus (eine
Haltestelle früher, als »man muss« und »es empfehlenswert ist« -
wenn man sich geometrisch annähert) und machte sich auf den Weg, bergan im Á.-Weg>
als er auf Herrn Sándor traf, den Dichter. Der Dichter rauchte eine Zigarette und bot
dem Meister mit der von ihm bekannten Freundlichkeit sowjetische Bonbons an, Severjanka-Karamellen, welche aber der junge Meister, unter
Berufung auf den Zustand seiner Zähne, dankend ablehnte. (Was das für Zahnschmerzen
gab! Als säßen die Schmerzen in des Meisters Nase. Tagelang taumelte er benommen
durchs Zimmer wie die herbstliche Fliege. Dabei war es doch
Frühling, wundervoller Frühling: Grün brach aus, Gelb drängte sich dazwischen und
Lila und Rot. All das ist so poetisch. [Finde ich. - E.] Doch er taumelte nur
benommen Tag um Tag. Mehr noch. Er setzte sich auf einen Stuhl, beugte sich nach
vorne, vergrub eine Wange in seiner Hand und las. Und wie viel! 17 Seiten in drei
Tagen aus Herrn Csáths Zeitungsartikeln. 17! Aber diese gefielen ihm so ...!)
Gemeinsam gingen sie gemessenen Schritts bergan! Aus dem nachdenklichen, sensiblen
Zustand des Meisters folgend fiel kein Wort zwischen ihnen; was äußerst bedauerlich
ist, wenn man es aus engen lit.wiss. Gesichtspunkten betrachtet; ich bedauerte es
auch äußerst. Doch schon bald wurden sie in ihrem träumerischen Spaziergang von
wildem Hundegebell gestört. Der Meister erschrak, Herr Sándor dahingegen stellte sich
den beiden Ungeheuern entgegen. Es waren prächtige Tiere, muskulös, kräftig, jung,
das Weiß ihrer Zähne blinkte herausfordernd. Der Meister sprach mit in Gereiztheit
gekleideter Melancholie: »Was für Preußen!« Herr
Sándor sah die Hunde an, welche langsam verstummten; sie bewegten sich zwar weiter,
doch ihr Maul blieb geschlossen. Herr Sándor spielte an seinem Mundstück herum, besah
es sich mit seinem überirdischen Blick und sprach also: »Wann werden aus
unsereinem je so schöne Hunde?« Da besah sich auch der Meister die Hunde und
auch ihm fiel ein: »Wann werden aus unsereinem je so schöne Hunde?« So
gingen sie einander lauschend weiter, und als sie an eine Wegkreuzung kamen -, der
Á.-Weg mündete in die gerade ihre Kurve vollführende T.-Straße -, ging Herr Sándor
nach rechts und der Meister ging nach links.
Natürlich möchte man, also ich, die plumpe Idylle und die Lügen der Beschreibungen à
la »große Männer in Pantoffeln« vermeiden; doch wie der Meister, sich müde
an den Türrahmen lehnend, klingelte und Frau Gitti die Tür öffnete und der
Lampenschein aus dem Inneren sie in ein unwahrscheinliches, aber zutiefst wahres
Strahlen hüllte und die Frau den Maestro umarmte und in ihrer wundervollen Altstimme
»Liebster« sagte - kann doch nicht verschwiegen werden.
Doch der Meister war wirklich müde. »Haben wir Bier?« Er ließ sich in den
riesigen braunen Fauteuil fallen, der das halbe Zimmer einnahm, seinen Turnbeutel
warf er gar nicht von sich, er ließ ihn einfach nur fallen, die Beine streckte er
aus, die Hände hingen über die Lehne geworfen Richtung Parkett. Da sagte er:
»Liebste.« Das Gesicht der Frau erhellte sich, ihre Haut glättete sich, sie
selbst hockte sich hin, nahm des Meisters Hand, legte ihre Wange hinein.
»Liebster«, sagte sie, doch als sie in die Augen des Meisters blickte,
fügte sie hinzu: »Du bist nicht hier.« Er schrak auf, murmelte verstört.
(Hier wird es wieder deutlich, dass Künstler nun einmal keine alltäglichen Menschen
sind. Diese Bewegung, wie er den Kopf hob! Und der Blick! Welcher einem erschrockenen
kleinen Singvogel gleich hin und her flog! Welch eine Unverdecktheit!) Die Frau wurde
nicht böse, nur traurig. »Habt ihr verloren?«, fragte sie schließlich.
»Es war ein Massaker«, sagte der Meister des Wortes mit edler
Zweideutigkeit und fügte hinzu: »Die Männer mit den
Taschen waren da.« Hier sprang er auf und stürmte ohne jede Erklärung
ins Badezimmer, um mit einer dafür nicht geeigneten Schere am Nagel seines großen
Zehs herumzuschneiden, welcher, das ist wahr, schon ziemlich eingewachsen war, noch
dazu war er hier und da auch schon eingerissen. (»Ein Blinder weist dem anderen
das Wort.«)
14 »Mein Freund! Wir alle leben vom Vergangenen und gehen am Vergangenen
zugrunde«, sagte er weise und schwingend. Die sachlichen Voraussetzungen hatten
sich beträchtlich verändert: das üppige Mittagsmahl machte den Osternachmittag
stumpf. Der Meister, die Heiligkeit des Tages vergessend (jedoch sich vor der
zufriedenen Ermattung hütend), lief zwischen den gegenwärtigen Mitgliedern der
älteren Generation (Josef Veverka, Onkel Ödön, der Vater) auf und ab wie ein
hungriger Spürhund. »Mein Freund; wo es kein Mitgefühl mehr gibt, gibt es keine
Erinnerung mehr«, sagte er und nickte beruhigend den beladenen Seelen zu. Um mit
einigem Selbststolz das Wort wie folgt weiterzuführen: »Sehen Sie, mein Freund,
die Felsen des Geschwätzes? Tu es Petrus, und auf diesem Fels werde ich meine Kirche
erbauen.« Er schmunzelte im Stillen.
»Weißt du, mein lieber Péter«, wandte sich Onkelödön nach ausdauerndem
Lauern zu ihm, »ich für meinen Teil bevorzuge am liebsten
die Messe mit Musik. Weil die mich in einen seelischen Zustand bringt.« Der
Blick des alten Herrn wurde mal stumpfer, mal heller: er vergaß etwas und etwas fiel
ihm ein. Der Meister, als der hervorragende Seelen- und Menschenkenner, der er ist,
nahm das sofort wahr (er begab sich nicht in die grobe Sackgasse des »der Alte
macht ein Nickerchen « oder »möchte ein Nickerchen machen«), und als
Fachmann in Fragen der Menschen und dem, was mit ihnen geschah: den Geschichten, trat
er in Aktion. Er sagte leise: »Es war sicher nicht leicht.«
Onkelödön riss den Kopf hoch, und als er in aller Klarheit den Meister ansah, schien
die Möglichkeit in sich zusammengefallen zu sein, und der Alte würde gleich, ein
wenig konsterniert, fragen: »Was? Was redest du? Was war sicher nicht
leicht?« - doch einen Augenblick später, der gleichzeitig zu kurz und zu lang
schien, blinzelte er einmal flach, wie ein fauler Frosch, eine mächtige Warze schien
sein Lid entlang zu rollen, sich im dichten Gestrick der Wimpern »verfangend
«: »Es war nicht leicht.« - »Unsereins weiß davon gar nichts
mehr«, sagte der Meister unverfroren. »Ja, das ist heute unvorstellbar
geworden, 1000 Kilometer zu Fuß.« - »Ein schiefgelaufener Anhalteversuch
«, sagte Herr György mit einer kurzen Marlboro in der Hand und jener
illusionslosen Unbekümmertheit, welche zwar rein und - das sei betont, betont, betont
- gutwillig ist, jedoch mit ihrer notwendigen Einseitigkeit und ihren Übertreibungen
das Gegeneinanderstellen der Generationen und das Erbauen von Trennungswänden
befördert und somit problematisch ist. Während der Meister mit dem ihm eigenen leisen
Totalitätsanspruch gerade darum bemüht war, Verbindungen herzustellen. »Packen
Sie mich nicht in Polster, mon ami, tun Sie das nicht.« Der große kleine Bruder
umhüllte sich mit einer großen, krausen blauen Rauchwolke. Herr György mag es zu
plauschen und kann es auch. Der Meister erinnert sich sehr gut daran, dass Herr
György schon als kleines Kind sich wohl in der Gesellschaft von Erwachsenen
fühlte.
»1000 Kilometer, aber so, dass du dich nicht ausruhen durftest. Wer stehen
blieb, mit dem war es aus. Wir gingen an erfrorenen Menschen vorbei. Manche lebten
noch. Aber dort gab es keine Hülfe mehr. Sich selbst zu schleppen war schon genug.
Das war eine Lebensaufgabe, bitteschön, das kann man getrost
so sagen. Wir aßen die Rinde der Bäume; Birken, Platanen, Akazien. Am besten ist die
Birke, Akazie ist trocken. Während wir so zurückmarschierten, fingen wir einen
Partisanen. Da stand ich auf weiter Flur mit einem einzigen Partisanen.«
Onkelödön lachte ziegengleich auf. »Na, den konnten wir da gebrauchen, dir kann
ich das ja freiheraus sagen, schließlich bist du ja auch schon Vater, wir sind alle
Männer, wie die Jungfrau die Filzlaus. (Erneut »die Ziege«.) Da kommt mein
Befehlshaber zu mir, ein harter Junge aus dem Somogy. Herr Fähnrich! Wer ist das? Ein
Partisane, sage ich. Ein Pahartisahane?! Und lebt er noch? Er lebt. Bitte, liquidier
ihn sofort!« Onkelödön langte nach vorne. Der Meister reichte ihm diensteifrig
das Weinglas, um dessen Auffüllung sich Herr György hochherrschaftlich gekümmert
hatte. (Ja, ja!) Die Enden des Schnauzers weichten im Wein. »Der Partisane, zu
eurem Wohl, ein guter kleiner Vino! Aus Budafok?, der Partisane wusste, worum’s ging.
Ich sah ihm tief in die Augen, da war kein Hass in ihnen, und auch er spürte, dass
ich ihn retten wollte.« - »Und ...«, er rutschte auf seinem weichen Stuhl hin und her, »ist es gelungen?« -
»Wissen Sie, mein Freund, ich redete dem Alten sehr zu. Ich wusste doch ... Ich
an seiner Stelle hätte mich angelogen, respektive ... ihn.« Onkelödön winkte
sehr menschlich ab. »Ich bitte dich, dort so einen laufen zu lassen war
unmöglich. Und vergessen wir nicht: wenn ich ihn laufen lasse, schießt er eine kurze Weile später erneut auf Ungarn ... Er schaute mich an, er vertraute mir. Auch ich hatte Respekt vor
seinem Mut. Wir waren Soldaten. Der Feldwebel kam vorbei, ich fragte ihn, ob er das
übernehme. Na klar, er übernimmt es. Sie gingen ein paar Schritte von der Straße
hinunter. Er schoss. Der Partisane stand weiter im Schnee wie eine Eins. Sie
Rindvieh, brüllte ich außer mir. Ich bitte dich, in so einer Situation zu fehlen: ein
Kapitalvergehen gegenüber der Todesfurcht.« Jetzt stellte er das Glas wieder
zurück; Herr György ersetzte sofort das Fehlende. »Ich gab ihm meine Pistole,
damit konnte er ihm dann endlich ein Ende setzen.«
Der Meister versank im Fauteuil, er spürte überdeutlich: er und die Welt - das waren
zwei. Jozef Veverka kam, dunkel, geheimnisvoll. »Wie ein eingegangener Pandanus
veitschii, ha, ha, ha«, der Meister lachte hell zu einem anderen Terminus. Es
gab kein Halten. Zum Meister drangen die Töne von weit her, von sehr weit. In seiner
kurzen Einführung wähnte Jozef Veverka sich an die liebe Mutter des Meisters zu
erinnern, mit der er, nach einem mit einer Nummer versehenen Weltbrand,
möglicherweise in derselben Gefangenschaft war (»Was für ein Gaffe, Péter! Dieser arme Veverka! Letztens erzählt er mir, er habe Sand im
Urin, ob ich auch welchen hätte?«), wählte dann den Meister zu seinem
repräsentativen Zuhörer und setzte also fort (»setzte so einen drauf«):
»Die Kälte da, mein Junge, das war vielleicht eine Kälte, mein Bruder Lexi, Gott
hab ihn selig, du hast vielleicht das Foto gesehen, Großvater ist auch noch drauf,
na, der hatte auch dort so einen Schnauzer, und dann, als wir um das Frühstück
anstanden, hatte das Küchenmädchen ein Auge auf Lexi geworfen, und der, ansonsten ein
schneidiger Bursch, hast ja gesehen auf dem Foto, zwirbelt seinen Bart, worauf das
Mädel wie damisch zu lachen anfängt, denn der Lexi hält den Schnauzer in der Hand,
abgebrochen, so kalt war es, später hat sich der Lexi freilich das Mädel doch zur
Brust genommen, es ist nicht der Bart, der zählt, das gab auch genug Extrabrot, wir
wussten gar nicht mehr, wohin es verstecken, aber kalt war es halt, eine richtige
Bärenkälte, und der Russe kam ohne ein Ende, dass es den Himmel verdunkelte, plus die
Läuse, heute noch schrecke ich neben meiner besseren Hälfte auf und sehe, wie sie
langsam durch das Zimmer ziehen, und es juckt auch mächtig, vielleicht ein Ekzem, der
Lexi hat natürlich kein Ekzem bekommen, weil das Küchenmädel ihn bei sich versteckt
hat...« - »Aber Vati«, Frau Veverka wehklagte dazwischen. Jozef
Veverka zuckte nicht einmal. »... nur dass der alte Kommandant wiederkam, dem
das Mädel ebenso eine Herzenssache war, und er öffnete die Tür und sah sie da, wurde
wütend, was natürlich verständlich ist, und jagte den Lexi davon, was an sich noch
kein Problem gewesen wäre, du kennst ja den Spruch, nicht wahr: Sie werden bald
entschlafen, doch das soll Sie nicht belasten, Ihre Geliebte ist treu, aber da das
Mädel einen guten Draht zum Magazinverwalter hatte, hatte sie Schnaps besorgt, und so
konnte es geschehen, dass der Lexi, beschwipst, wie er war, zum Kommandanten sagte,
die Silbermedaille glänzt doch auch sehr schön, Chef, woraufhin dieser ihn erschoss,
dabei war der Lexi ein guter Junge, ich für meinen Teil floh, die Worte des alten
Pedro halfen mir sehr, der in meinen Armen gestorben war, weil ich ihn erschossen
hatte, so grausam ist der Krieg, aber so ist es nun einmal, du oder ich oder keiner
von uns beiden, denn damals ging das noch so, wir wussten noch, wenn wir die Tür
eines Bauernhauses als Bett benutzen, müssen wir die Tür auch wieder einhängen, bevor
wir das Dorf verlassen, und nichts da mit unter der Hand, sondern ja und nein, so war
mir der liebe Alte auch gar nicht richtig böse, er war es also, der gesagt hat:
Merken Sie sich, mein Junge, egal, wo der Soldat steht, Norden ist immer voran!, ich
kam auch bis nach Hause, meinen Blechnapf habe ich bis zum heutigen Tag, er rettete
mir das Leben, am Jahrestag meiner Heimkehr steht er bis heute auf dem Tisch, daraus
essen kann man nicht mehr, die Kugel hat ihn durchschlagen, aber das Gebäck tun wir
da rein, wenn ihr kommt, gibt’s Käseroulade, die du so magst.«
Jozef Veverka stach ein wenig hervor. »Nicht gerade ein Lebenskünstler «,
murmelte Herr György und füllte auf. »Das war gut, Vati«, sagte Frau
Veverka und streichelte die Hand ihres Gatten. »Davon, mein Freund, hätte man
schon in Tränen ausbrechen können. Aber da war ich schon abgestumpft.« Onkelödön
schwieg beleidigt, kurz. »Bei den Fliegern, denn man hatte mich zu den Fliegern
versetzt, sagte man immer: Sonne auf: zum Pferde lauf! Unter einem Pferd verstand man
natürlich, das brauche ich gar nicht zu sagen, kein echtes Pferd, sondern die
Maschine. Die Macchina, bitteschön. Der arme Horthy junior. Das war, bittschön, mein
rund hundertster Start.« Onkelödön nahm einen Schluck. »Unbestritten, ich
hatte eine große Schlacht mit dem Engländer ausgetragen. Mal stürzte ich ihn, mal
stürzte er mich. Da drücke ich doch, bittschön, den Knopf fürs Maschinengewehr, und
nichts, ich brumme da über dem Engländer und nichts. Und der, bittschön, schaut
herauf, mit einem ganz verwunderten Gesicht, was denn los sei. Ich zeige ihm an:
Munition ist aus. Da zuckten wir beide mit den Achseln, und dann nahm ich die
Werkzeugkiste und die dann ...! Rums, oben drauf!« Veverka sagte nur noch:
»Ich habe damals beim Meister Santelli gelernt...« Die beiden Frontkämpfer
waren auf gute ungarische Art zunächst emotional
gegeneinander, später glichen sie die Schauplätze ab (z. B. Dobrudja), die
Zeitpunkte, die gemeinsamen Kommandanten (z. B. den jungen Hauptmann Mányoky),
schlugen dann mit vereinten Kräften die Russen aus dem Land, zumindest aus der Burg
von Buda, und eroberten Oberungarn und einen beträchtlichen Teil Siebenbürgens
zurück, dem Himmel sei Dank.
Währenddessen bereicherte auch Tantelila, diese welke, elegante Frau, die Palette.
Sie sprach zu Jozef Veverka, ein wenig überheblich. »Ganz sicher, dass der
Gärtner sie auffressen wollte.« Veverka hörte überbordend zu. »Er hört nie
zu, wenn ich mit ihm rede«, beklagte sich der Meister mehrfach bei seinem Weibe.
»Als sie nämlich im Stadtpark spazieren ging, um ein bisschen den Kopf
auszulüften, gerade Ihnen (??? - E.) muss ich wohl nicht erklären, was das heißt, ein
ganzer Vormittag zwischen all den dummen Mannsbildern im dichten Zigarettenrauch, sie bog gerade auf den Pfad am Fischteich ein, ach,
sie kann das, was ihr widerfährt, so hübsch nacherzählen, zu mir sagte sie zum
Beispiel: auf einen schmucken Pfad, ich fragte sie auch, wieso sie das nicht
aufschreibe, aber sie winkte nur ab, aber das, mein lieber Péter, braucht dich nicht
zu beeinflussen, obwohl ich deine Sachen nicht immer beim ersten Lesen verstehe,
jedenfalls, sie ging am Fischteich entlang, genoss das Nesteln der
Steinchen unter ihren Sohlen, als, aber wirklich in unmittelbarer Nähe, ein
Gartenpflegeutensil einschlug, sie wich zurück und wurde
gewahr, dass im Strauch, den wir uns als südliches Gestrüpp
vorstellen müssen, der Gärtner stand und sie wild anblickte
... Auch wenn man davon absieht, ist ihre Situation eine äußerst schwere. Selbst der
Junge, den man ihr als Helfer zugewiesen hat, ist ein Neger! Und das Klima! Und auch noch allein ... eine Frau ... Sie verstehen mich gewiss doch!«
»Na und euer Onkel Ödön. Der war auch sein Geld wert.« - »Würde man
gar nicht denken«, sagte der Meister sanft. »Wie, sein Geld? «, fragte
Herr György, wie einer, der tatsächlich etwas nicht weiß. »Aber wie! Wir hatten
ganz schön Fracksausen. Was geschehen ist, war, dass sich die deutschen
Generalstabsoffiziere bei uns trafen ... um mit Horthy die Details zu besprechen. Der alte Herr hat sich, so viel sei angemerkt, sehr
schneidig verhalten. Natürlich. Aber was wisst ihr schon davon. Also die
Generalstabsoffiziere ... vergeblich habe ich versucht, die Stimmung etwas
aufzulockern, Bacardi, eine Platte, doch diese steifen Fressen
... ich hatte damals einen alten Onkel Feri, einen Kleinfischer aus Ráckeve, der
brachte die prächtigsten Karpfen und Welse mit, die waren so was von königlich ...
oder, Ödön?« - »Was?!« - »Die Welse!« - »Ach ja, die.
Diese kleinen vermurkelten Welse und ein paar Kärpflein waren auch dazwischen, glaube
ich.« Tantelila winkte ab. »Ansonsten waren es hochgewachsene, kultivierte
Männer.« - »Und Soldaten! Dass das Offiziere waren, konnte man schon
sehen.« - »Ich würde dann gerne fortfahren ... wir unterhielten uns
gedämpft, als aus dem Badezimmer, ich betone: aus dem Badezimmer, der Führer
heraustrat, Hitler. Es war unfassbar und ich brauche nicht zu betonen, wie mondän das
war! Heil! Alles sprang auf, um ihn wie von Sinnen zu begrüßen, auch ich, man war
darauf dressiert... und später zu applaudieren ... mein Gott, wenn ich bedenke, was
wir für Reflexe bekommen hatten! Schon allein dafür hat sich’s gelohnt! ... zurück zu
den tollen Männern, den Soldaten, wir standen lange da mit erhobenem Arm, ich spähte
unter ihm hindurch (»an der Achselhöhle entlang! Was für ein Gestrüpp! Was für
ein Gestrüpp!«) und erhaschte die Blicke, die ich für den aus dem Badezimmer
heraustretenden Führer bekam: Angst, Respekt, Verachtung waren dort zu sehen.«
Den Meister beschäftigte das sehr: diese drei in einem Blick oder verteilt? Aber er
schwieg, schon seit langem. »Natürlich war es euer verrückter Onkel Ödön, der
sich maskiert hatte. Eine sehr peinliche Situation war das. Es sei angemerkt, Hitler
hatte 7 Doppelgänger, 7 Schauspieler. Natürlich. Den einen kannte ich persönlich,
den, der den Anschluss gemacht hat. Natürlich. Beria hatte auch einen Doppelgänger.
Bei der Verhandlung war der schon da. Monatelang hatte er die Rolle eingepaukt,
angeblich war er eine phänomenal dumme Person. Natürlich. Der Schauspieler ... Meinen
Deutschen, die Scherze sowieso nur schwer verstanden, konnte man kaum begreiflich
machen, dass dies von Seiten meines Mannes kein Zeichen der Respektlosigkeit sein
sollte, sondern im Gegenteil der Huldigung. Die Atmosphäre wurde ganz und gar
frostig, da konnte ich daherkommen mit den Karády-Schnulzen und der
Erdbeerdelikatesse, vergebens, mehr noch, wir hatten tagelang Angst, ob es nicht des
Nachts bei uns klingelt.« Herr Marci fragte mit naivem Charme: »Gab es die
Ávó schon damals?« Gefällig; interessant, was sich in
einer kindlichen Seele festsetzt?! (Dieses hervorholen, nicht wahr, Meister?
»Pscht.«)
Frau Gittis gesegneten Händen zu Dank duftete schwarzer Kaffee gaumenkitzelnd. Laut
des Meisters Mutter — und Frau Gitti teilt diese ihre Meinung - kann man aus
drittklassigem Kaffee den besten Kaffee kochen. »Besser als der Meinl!«
Der Meister und sein grauhaariger Vater gerieten nebeneinander. (So etwas kommt vor.)
Ein Augenblick Stille trennte sie von den anderen; da sprach der Jüngere zum Älteren:
»Alterchen, aus dir mache ich auch noch ein Motiv.« Er sprach nicht weiter.
»Danke, mein Sohn. Was trinkst du?« Er winkte Herrn György heran — der auch
in Zivil die Rolle des Wirtes übernahm –, der sowohl Whisky einschenkte als auch den
Rotwein, den Herrn Marcis Beine verschafft hatten. (Und was für eine feine und
gnadenlose - beides ist ein Privileg des Künstlertums, wenn auch nicht ausschließlich
- Kette von Verweisen!) »Ah, die guten, alten Familien«, japste jemand
hinter Pudertürmen hervor. Hier legte der Herr Vater des Meisters jenen
Gesichtsausdruck an, der für das Verbergen großer Schelmereien berufen ist.
»Eine alte Familie? Das bedeutet zweierlei.« - Er
rekelte sich ein wenig, umständlich. Ein anderer hätte hier angefangen zu stottern
(damit man ihm aufmerksamer zuhört). - »Zweierlei: die benigne Natur der
Kriegsgeschehen« - wegen der unverständlichen Blicke, der Meister inklusive,
flüstert er: »dass die Familie nicht ausstirbt - sowie die Tüchtigkeit und
Gewissenhaftigkeit des jeweiligen Archivars.« Und auf diese Ziselierung der
Hammerschlag: »Denn, meine Teuren, ich bin noch keinem Menschen begegnet, der
nicht Vater und Mutter gehabt hätte.« Dies sagte der
alternde Vater, an dem die plebejischen Züge stark waren (Nasenschnauben etc.). Nun,
da der Besitz und das Etcetera dahin waren, hatte er es leicht, plebejisch zu sein,
ich denke also nicht, dass der Herr Vater des Meisters die Schranken seiner Klasse
niedergerissen hätte, obwohl es auch nicht wahrscheinlich ist, dass es dafür einen
realen Bedarf gegeben hätte.
Oh, die Geschichte, dieser große Spaßmacher! Der Herr Vater des Meisters wusste sehr
wohl: was: Reichtum und was: Armut ist. (Der ergraute Mann, dieser, wie er scherzhaft
formulierte: Märtyrer der Arbeiterbewegung. Doch um Missverständnisse zu vermeiden:
Esterházy wurde nicht deswegen an der Universität angenommen, nein.) »Wir wurden
bei einem Kulaken einquartiert«, setzte der Vater des Meisters fort, während er
in seinem Kaffee rührte. (»Sehr eindrücklich, mein Freund«, sagte er
scharflippig.) »Mütterchen! Der Kaffa ist aber wirklich hervorragend«, doch
die Adressatin, ohne dass der Absender es sehen konnte, verzog den Mund und winkte
ab, und möglicherweise zu Recht, denn der Vater des Meisters lobt rückgratlos jedes
Essen. »Alter, du bist ein gebrochener Mann«, sagte einer seiner Söhne in
einem um eine unmöglich verkokelte Speise herum entstandenen Pourparler, über welche
Speise jeder, der noch bei Trost war, entweder Verwünschungen gesprochen oder aber -
wenn er ein großer Charakter oder gut dressiert gewesen wäre - geschwiegen hätte.
»Der fajnste Herr zum fajnsten Bauern«, verkündete der alte Bauer, schon
damals, als man den Pestern dort noch mit ziemlicher Aversion
begegnete. Doch die Eltern des Meisters sind, kurz gesprochen, sympathische Figuren,
und gemeinsame Übel bringt die verschiedenen Menschen zusammen ... Oh, die Kindheit
des Meisters: das Komitat Nógrád: das Mikszáth’sche »krumme Land«. Das
sanfte Plätschern des Blauen Bachs, die weithin rauschenden Wälder, die seidigen
Palotzenwiesen und die Blumen der Seele: die Lieder und Märchen! Die Sonne brennt,
alles ist zu Schleiern geschmolzen in der Hitze, und der Staub, der steigt, und die
Spreu! Wie die zwickt! »Ich erinnere mich an die Maschinen! Wissen Sie, es gab
so große Übersetzungen. (Könnte es möglich sein, dass seine
Affinität zu >Transmissionen< hier seine Quelle hat, in dieser nämlichen
Dreschmaschine?!) Und an irgendeine Betonfläche und an die Zentner waage. Und auf dem
Beton an ein paar schlammige oder, hm, dreckige - das kann man aus dieser Distanz nur
noch schwer sagen - Strohbüschel!« Der Vater des Meisters
wurde früh gehärtet von der Arbeiterklasse: noch heute ist der Sägemuskel zu sehen,
welcher sich infolge von Drescharbeiten so schön herausgebildet hat. Die Welt ändert
sich und bleibt die gleiche: auch der Meister hat so einen Sägemuskel, das heißt
einen sichtbaren: diesen hat sich der Meister in einem Jugendlager angeschafft, denn
täglich machte er dort 100 bis 150 Liegestütze - der tägliche Durchschnitt lag bei
126 und, damit das Beispiel noch genauer und gleichzeitig auf eine dem Meister
würdige Weise reich und lebensreich vertrackt sei (»verwendbar!, genau!«),
deswegen, weil die Erdarbeiten, für die man sie rekrutiert hatte, wegen der sich
plötzlich einstellenden Werkzeugknappheit - wenn auch nicht die Schaufel, so doch der
Schaufelstiel! - davongeglitten waren.
Ein Exempel nur für den großen Verstand des Vaters des Meisters. Die Situation ist
rustikal. Da steht er, mit einem falben - von Braun zu Grau gewordenen dünnen Hemd
(wie sich das anfühlte, durfte er noch einmal, in Ableistung
seines Militärdienstes, kennenlernen), der flattrigen Leinenhose, der Intellektuelle
mit der feinen Seele und den zwei Doktortiteln, sein müdes, sonnengebräuntes
Bauerngesicht nur von der Brille und der gottlos himmelstürmenden Stirn so-so Lügen
gestraft, und der teure Mensch, diese komplizierte Formel, steht dort, in der
unendlich vereinfachten Situation: es gibt kein Brot (das, von dem im Vaterunser die
Rede ist).
Vor dem Sowjethaus standen die Bläser, vor dem Geschäft die Menschen. Der Meister
hielt seinen Vater an der Hand, welche Vaterhand riesig war. (Zarter Vaterkomplex des
Meisters mit dem - jetziger Zustand! - winzigen Händchen. Eine interessante Sache! -
Kommt der klärenden Absicht zugute. - Der Vater des Meisters war, im Gegensatz zu
seiner eigenen Generation, kein Sieger, ebenso wenig die Generation des Meisters
sowie der Meister selbst. So hat der ewige, mythische Kampf mit den Vätern in unserem
Fall eine persönliche Note angenommen, nur die Oberfläche aufwühlend.) Die riesige
Hand drückte zu, was wenig Gutes verhieß. Diese Handfläche schwitzte nie. Bitte:
dafür ist es der Fuß des Meisters, der niemals schwitzt. (Man
sehe sich getrost die Innenseiten der Schuhsohlen an! Nicht ein Deut von einer
»Bräune« dort drin! Und, Pardeuse, auch kein Duft nicht, nein.)
Alles glänzte und glitzerte, nur der Staub nicht. Aus dem Mund der Uniformierten
wuchsen große gelbe, geschwungene Rohre, die sich wie Kürbisblüten ausbreiteten (sie
stülpten sich aus sich selbst heraus). »Mjusik«, sagte der Vater des
Meisters bedrohlich. Die Schlange bewegte sich langsam voran. Und dann, als auch sie
endlich an der Reihe waren, und das damals noch unmerkliche Näschen des Meisters sich
mit dem Duft frischen Brotes und schwebendem Mehl füllte, sagte die traurige
Verkäuferin: »Die Pester erst, wenn ...« Der Vater des Meisters blitzte sie
auch sogleich an, »die Wangenknochen bewegten sich«, doch die beiden
unbewegten Polizisten taten das Ihre. (Die Gyöngy-Zwillinge. Der Feri und der Jóska.
Bärenstarke Jungs waren das. Den Fuhrwagen aus dem Schlammloch et cetera. Der Feri
war sehr gescheit, fast wäre er Priester geworden. Vom Alter her wär’s auch gegangen,
doch dann verliebte er sich in die Schaffnerin des Fernbusses. »Vermaledeite
Pesterin.« Das war’s dann mit dem Priesteramt. Aber der Józsi, der war wirklich
phantastisch dumm. Während ihr Gesicht vollkommen gleich war. Er passte auf den Feri
auf, damit dieser keine Dummheiten anstellte. »Im Dorf
mochte man sie, soweit das möglich war. Weil sie keinen Vorteil aus dem Übel ziehen
wollten; der eine war zu klug, der andere zu dämlich dafür.«) Trotzdem, wie auch
immer es dazu kam, als sie dort standen, wie ein geschlagenes Heer, vor der
Militärkapelle, waren in der Hand von des Meisters Vater zwei Scherzl. (So nannte man den Brotkanten in dieser Ecke des Palotzenlandes.)
Das Volk hilft eben, wo es kann. »Na, pass mal auf, Murkel«, der Vater nahm
je ein Scherzi in je eine riesige Hand (und dies war jener gescheite Moment, ein bis
heute beredtes und wirkendes Beispiel: so macht es auch der Meister, nun selbst ein
Vater, mit seiner Tochter Mitocska; nicht als ob er in allem seinem eigenen Vater
nacheifern wollte, oh nein; >nein! nein! nein!< - aber das funktioniert nun
einmal immer so gnadenlos kleinlich) - »pass mal auf, Murkel, welche Seite
willst du.« Der kleine Péter - dies ist als Zeitmalerei annehmbar - schlug mit
kindlichem Schwung auf beide Hände. Vielleicht ahnte er etwas von der mildherzigen
Finte (»mildherziger Pinta - oh, oh, oh«)? Ein
trauriges Zuzwinkern zwischen den beiden Generationen wäre das geworden, dass nämlich
das Leben im Unglück nicht immer so glänzend gerecht ist wie
diese beiden Scherzl. Wer wollte das jetzt noch wissen. »Wahrlich, ich sage
euch« (die Worte des Meisters), noch nicht einmal der Meister selbst. Hernach -
währenddessen spielte die Musik, die Musik (»z. B. der Radetzkymarsch«) -
erklärte der Vater ihm die Regel, und er wählte den Regeln entsprechend - und gewann!
»Na, Murkel, du bist ein geborener Glückspilz«, und freute sich
augenscheinlich über das Glück seines Sohnes.
Mit dem Brot gab es öfters Kümmernis. (Der Meister wirft auch heute, im Wohlstand,
kein Brot weg. Das ist ihm eingebläut. Er kaut und kaut an den trockenen Resten herum
und brüllt seine Familie an, wenn diese eine Verfehlung gegen die Heiligkeit des
Brotes begeht. Ein sympathischer Zug ist das an ihm.) Schon wieder die Schlange! Der
Meister hält sich nun an der Hand seines Großvaters fest. Na, das ist vielleicht ein
Anblick, wie der alte Graf durch den jungen, kraftstrotzenden, doch zu dieser Zeit
etwas vehementen Sozialismus geht in seinen Bridges und mit der unausbleiblichen
Schweizer Kappe auf dem Kopf! Ich glaube, der Großvater des Meisters war angemessen
gerecht (»Mein Freund! Wir werden ja wohl nicht damit prahlen, dass man ihn aus
dem Casino ausgeschlossen hatte!«), doch des Volkes Sohn wurde er nicht, was man
über den Vater des Meisters durchaus behaupten kann. Das hatte seine Konsequenzen
auch beim Brot. Die Verkäuferin sagte, es gäbe kein Brot, man möge doch Kekse
mitnehmen. Der aristokratische Herr dankte für die Aufklärung und lachte leise auf:
»Wie zu Marie Antoinettes Zeiten.« (Nämlich, wenn es kein Brot gibt, solle
man doch Kuchen essen, sprach also die Königin.)
Doch der einstmalige Ministerpräsident (1917) konnte noch mehr amüsante Parallelen
zwischen Gegenwart und Vergangenheit ziehen. Es gab viele ungerechte Angriffe - die
selbstverständlich in der persönlichen Sphäre verblieben, denn all das Blut und all
der Schweiß, den die Familie Esterházy verursacht hatte, indem sie ihre dem in der
feudalen Pyramide eingenommenen Platz entsprechende Rolle ausfüllte, kann nicht durch
manche progressive Bemühungen, wie sie sich in einzelnen Linien und Jahren der
Familie zeigten (Kurutzen, Künste etc.), egalisiert werden, historische Gerechtigkeit
muss es geben, in diesem Sinne gab es also viele ungerechte Angriffe gegen den alten
Grafen wegen dessen repräsentativen Aristokratendaseins. - In einem hackebeilscharfen
und einigermaßen küchenphilosophischen Gedankengang »ist die Erscheinung, mein
Freund, in der Sache mit dem groben Pfeifkonzert vergleichbar, das Bene empfing, als
er den Platz betrat«. Dabei war genannter Fußballspieler, als er noch im
Vollbesitz seiner Kräfte war, ein hervorragender Stürmer in der Mannschaft der
Inneren Sicherheit, ein sympathisch harter Arbeiter, er war nicht grob, spielte kein
Theater undsoweiter. - Dem Vater des Meisters hätte so was niemals widerfahren
können, dass Szabö, das Hinkebein, ihn auf offener Straße vor viel Volk angeblafft
hätte. Der großgewachsene, schöne Mann, die Hand seines Enkels in der seinen, stand
nur da in der Menschentraube, konnte kein Wort sagen, und Szabó, das Hinkebein,
fluchte ihn an. Der kleine Péter musste ihn von dort wegzerren, und die Menschen
öffneten wortlos einen Korridor für die beiden; nicht nur, weil sie die Zugehörigkeit
des kleinen Jungen - des Meisters - spürten, sondern weil auch sie Szabó, das
Hinkebein, hassten. Na, der war einer, der weder klug noch dumm, sondern durchtrieben
war.
Mit diesem Szabó, dem Hinkebein, hatte dann der Vater des Meisters einen Vorfall. Auf
einmal stand er da, der Vater, in dem bereits angedeuteten bäuerlichen Miljö, in
Schnürstiefeln, ohne Socken. Wie alt mag er gewesen sein? Vielleicht 34 Jahr. Ein
unreifer Kopf. Und auf was für Proben stellte ihn die stürmische Zeit ...!
»Heute, mein Freund, ist ein Haarfön stürmisch. Aber das ist nicht
notwendigerweise etwas Schlimmes!« Der Meister hat natürlich leicht reden: mit
seinem langen Haar! Da war also dieser junge Mann, mit den schweren - man kann
nachsehen! -, schweren Muskelsträngen auf seinem Rücken; denn damals hatte er schon
seit Jahren mit dem faulen, hündischen Herrenleben gebrochen und arbeitete, als
einfaches Volk, mal beim Straßenbau, mal auf dem Melonenfeld, mal bei der Dresche,
setzte an diesen Orten seine erworbene Bildung ein, seine angeborene Intelligenz,
seine Doktortitel. »Der pfiffige Straßenarbeiter, mein Sohn, trieb eine
Eisenplatte auf, darauf wurden die Steine gestreut.« Da kam ein verhutzeltes,
heiliges Weiblein zu ihnen. »In Hatvan, neben der großen Kirche.« Sah nach
rechts, sah nach links, konspirierte. (»Knien’S eina in die zweite Bank vorm
Beichtstuhl, do is’ wos, für ein Vaterunser.«) »Na, Murkel, so viel Hendel
wie da habt ihr auch noch nie gegessen.«
Melonen werden bis zum heutigen Tage vom Vater des Meisters für die Familie
eingekauft. Er klopft sie ab wie ein Arzt und wählt dann eine aus. »Mit dem
Messergriff anklopfen; wenn sie bufft, ist sie schlecht.« Ausgenommen die
Zardecker Gestreifte, die ist kleiner. Die Große Zardecker ist natürlich größer.
»Zwischen zwei Hände nehmen, wenn sie knirscht: ist die Zardecker reif.«
Gekühlt ergibt sie eine erfrischende Speise. »Wenn sie mulschig ist, dann ist sie gut.« Und wenn Herr György des Abends mit
lauter Stimme die vielleicht wirklich etwas latschige Frucht zu schmähen beginnt,
sagt er bescheiden nur so viel: »Ihr könnt mir glauben: das war noch die
beste.« - »Da hat der Laurenz wohl schon hineingepieselt«, gab Herr
György zurück, der das letzte Wort gern auf seiner Seite weiß. Und wenn die liebe
Mutter jetzt genug von den unbotmäßigen Worten hat, und, die Geduld verlierend,
anfängt, auf Herrn Györgys riesige Oberfläche einzuschlagen, nimmt dieser das Spiel
der zerbrechlichen Frauenhände eine Weile lachend hin, doch irgendwann wird er’s
überdrüssig und packt die deswegen loskreischende Mutter in seinen Schoß. »Bleib
locker, Muttchen«, tönt der Sohn, was nett gemeint ist, vom Ergebnis her schießt
es, wie so oft, über das Ziel hinaus.
Des Meisters Vater steht also da, im Hof des »fajnsten Bauern«. (Onkelödön
kam auf den Nachbarhof. Zu einer ehemaligen Kupplerin, die den immer eleganten Mann
mit einem Josefstädtischen Dialekt unterhielt. »Wie komme ich, bittschön, zu so
einer Person.« Zauberhaft. Das laute, lebensvolle Gekrächz der Frau konnte er ihr nicht einmal dann nachsehen, als diese ihm
das Leben gerettet hatte. Sie hatte einen Justizirrtum mit Verstecken korrigiert.
Plus falscher Zeugenaussage. Bestimmt war sie in den Onkelödön verliebt, wie der
Großteil der Frauen.) Der Kulak war gerade nicht zu Hause, als er im Gefängnis war.
(»Die Anzahl der >wars< ist beruhigend. Der Stil sprüht, die Historie
schreitet voran und mit ihr meine Geschichte.« Gefällig.) Er hatte Wein
versteckt. Er ließ ihn durchaus nicht in der Küche stehen, gegenüber dem Sparherd,
dort versteckt keiner was, das fällt ins Auge, nein, er hat
ihn ordentlich versteckt: im Misthaufen. So fand man ihn. - Als er dann aus dem
Gefängnis kam, blieb der große, beleibte Mann vor dem Vater des Meisters stehen.
Seine Stimme zitterte vor Erregung. »Schaun’s, schaun’s, Herr Doktor, was sie
mit meiner Hand gemacht haben.« Und zeigte sie nach vorne, wobei ihn das
Schluchzen schüttelte. »Auf meine alten Tage.« Im Gefängnis wurden seine
Hände fein (die Schwielen etc.), und, vor allem, sie sind weiß geworden, da sie nur
sträflich wenig Sonne erreicht hatte. (Sträflings wenig; Verzeihung.) »Sehen
Sie, Herr Doktor, was für ein Mann bin ich denn jetzt?!«
Des Meisters Vaters Fuß bewegte sich aufgeregt in den Schnürstiefeln, die etwas zu
groß waren, dabei hat er mächtig große Füße. (Und erst die der Herren György und
Marci! Die Gerätewarte drehen und wenden sie nur so und schütteln ihre Köpfe.
»Sachamal, Gyuri, hast du auch ein paar Paddel dazu?«) Er nahm die Brille
ab, um sie vom Staub zu säubern, wischte sie an seinem bis zu den Ellbogen
hochgekrempelten Hemd ab. So musste er sie auch vom Schweiß säubern bei einer
nächsten Gelegenheit. Seine große Stirn leuchtete förmlich auf dem Hof. Und sein Hals
war bräunlich rot wie bei einem Bauern. Seine Hose mit einem Spagat hochgebunden.
Szabó, das Hinkebein, der Ratsvorsitzende, wollte sie rausschaffen vom Kulaken in
einen Lehmbau am Ende des Dorfs, damit jemand aus seiner (Szabós, des Hinkebeins)
Seilschaft einziehen konnte: so war die Situation. Dabei waren das ja schon
Wohnverhältnisse! Der Großvater, die furchteinflößende Urgroßmutter Jolánka, der
Vater des Meisters, die Mutter, in ihrem Bauch Herr György und der Meister. Alles in
einem Zimmer.
»Da gehe ich nicht hin.« - »Das ist ein sehr gutes Haus.« -
»Dann soll doch Ihr Mann dahin gehen.« - »Ich werde doch nicht einen
Arbeiter dahin schicken?!« Wie wir sehen können, er
hat sich verplappert. »Und was, Himmelherrgott, bin ich hier?!«, brüllte
der Vater los, denn er war nur dem Schein nach ruhig, in Wirklichkeit war er sehr
erregt. »Alterchen, die Wangenknochen bewegten sich, was?!« - »Und
wie.«
Neben Szabó, dem Hinkebein, standen zwei Ratsmitglieder. Aber der eine war kein
anderer als der Brigadeführer von des Meisters Vater. »Onkel Dani. Na. Sagen Sie
dem doch: Wie arbeite ich?« Der Vater des Meisters ging auf Nummer sicher. Doch
Holzfotz Dani schwieg. »Alterchen, das ist die absolute Spitze, dieses
Holzfotz.« Das war sein Zuname; er war derjenige, der die Torten für die
Hochzeiten und andere Feierlichkeiten machte. Da saß der Alte im Laubengang oder
unter den Akazienbäumen, den Holzmörser zwischen den Knien, und zerstieß die Nüsse,
aber so, dass selbst seine Ohren erzitterten. Also diese Bewegung, dieses Auf-und-Ab
... verständlich irgendwie ... Doch Holzfotz Dani schwieg. Des Meisters Vater wurde
rot. »Was ist, Onkel Dani?! Himmelherrgottnochmal! Sagen Sie’s ihm! Sagen Sie,
wie ich arbeiten tu!« (Der Vater des Meisters vermag sehr
zu arbeiten. »Du, Alter, du bist mir vielleicht ein Kapitalist!«, sagt Herr
György, wenn das väterliche Wort Kritik an jemandes Arbeitsintensität übt. »Ein
kapitalistischer Antreiber.« - »Arbeit ist dazu da, damit sie gemacht
wird«, sagt der Verwandte und zuckt die Schultern; doch da ist ein Stolz darin -
für den natürlich gekämpft und gelitten wurde -, der die jüngeren Jahrgänge, die
Geschwister, nervt.) »Entschuldige mal, Alter, aber was hast du dir von diesem
Definitionsstreit erhofft?« - Ach, diese Jugend!
Holzfotz Dani zog den Kopf ein. Er errötete, was bei einem erwachsenen ungarischen
Menschen selten vorkommt. »Jetzt tun mich auch noch der Herr Doktor
sekkieren.« Es wurde still, nur die Tiere machten weiter weg Geräusche -
vielleicht war es sogar der kleine Meister, der ein Huhn oder anderes Kleinvieh
jagte. Doch als der Blick des Vaters des Meisters nicht abnahm, warf der kleine Alte
den Kopf zurück, hielt dem Blick kräftig stand - durch seine großen Ohren schien die
Sonne. »Gottverdammte, verfluchte Scheiße!«, rief er aus und stürzte vom
Hof.
»Entweder Sie gehen«, sagte Hinkebein Szabó und zuckte gelangweilt mit den
Achseln, »oder ich lasse Ihren Krempel verstreuen.« - »Das soll mal
einer versuchen«, sagte der Vater des Meisters leise. »Sie haben das
offizielle Schreiben bekommen. Ich habe es selbst abgestempelt «, sagte der
andere, aber er machte einen Schritt zurück. »Jetzt passen Sie mal auf«,
sagte der Vater des Meisters und wandte sich um zur Mutter des Meisters (die da stand
wie eine Fremde; eine Fremde, die an den anhängigen Angelegenheiten interessiert ist)
und bat sie um das Deportationspapier, um jenes schwere Papier. »Jetzt passen
Sie mal auf. Sie können doch wohl lesen.« Der vom Grafen zum Arbeiter Avancierte
war drauf und dran, über das Ziel hinauszuschießen. Er steckte das Papier ganz nah
unter Szabós Nase. Der Meister erinnert sich an diese (oder an: so eine) huppelige,
alte Nase. Die Kavalkade der Farben! Das Rote, das Rosane, das Lila! Tausende
Schattierungen, Sicherheiten und Unsicherheiten. Und die Knorren! »Eine blühende
Nase. Wundervoll.«
Hinkebein Szabó zuckte mit der Nase zurück - der glückliche Kerl: zusammen mit dem
Gesicht! -, als wäre eine Wespe, ssss, daran geflogen. Der Vater des Meisters tippte
mit dem Finger auf den Stempel. »Na, sehen Sie. Wenn Sie mir so einen Stempel
bringen, und nicht so einen, den Sie da draufhauchen und vom Bálint-Jungen herbringen
lassen, dann erst werde ich von hier weggehen.« Man könnte keineswegs behaupten,
dass die Familie des Meisters und die ÁVÓ Busenfreunde gewesen wären, und doch,
diesmal hat ausgerechnet deren Stempel Hilfe in der Glättung der Angelegenheit
gebracht. Hinkebein Szabó wurde in der Dorfkneipe schon von den anderen kleinen
Großkopferten erwartet. »Na?!« - »Hoi, Fichte, do ham wa’n Solot. Der
Graff hat’n Papier von der Ávó!«
Nachdem er den Meister feste verprügelt hatte, weil dieser eine kleine Ente gerupft
hatte (anders Herr György: dieser hat, oh Schmerz, 12 kleine Enten durch die Öffnung
des Plumpsklos geworfen; »sie haben so schön gequiekert« , erklärte er, was ein schwer zu übertrumpfendes Argument
war), setzte sich der Vater des Meisters ins Ambitt hinaus und saß da, alleine, lange
Zeit.
»Alter, wie isst du denn«, Herr György fiel elegant über seinen Vater her,
der tatsächlich gekrümelt hatte. Er sah den Krümeln hinterher, das Haar fiel ihm, wie
im Wind, ins Gesicht, dadurch wurde er zu einem verhärmten und schutzlosen Mann; was
für Fauteuils, weich, in Farben reich - und doch, das Gesicht, wie Knochen. Wie
Knochen. Er erhob sich halb und fegte gekrümmt die Krümel von sich, mit der für
Männer typischen Verantwortungslosigkeit ----
»Sich einen Schluck Vorlauf genehmigen.« Und am
dritten Tage nach Hause zurückkehren, in einen weißen Mantel gehüllt.
(»Söhnchen, mein, warum wimmerst du dort im tiefen Dunkeln? Warum vergräbst du
deinen Kopf im Kissen ganz und warum kratzest du das Laken? Warum ist deine Hand noch
am Morgen zur Faust geballt zuzuschlagen bereit, warum.«) ----
(Die Frühjahrssaison neigte sich dem Ende zu.) Er zerrte an der Kandare des Pferds,
bremste. Der Meister war unterwegs ins Radio, zu einer Aufnahme. »Irgendein
Geschwätz.« Auf dem Madách-Platz geriet er in einen riesigen Stau. Es sah so
aus, als wäre der Verkehr Richtung Dohány-Straße schneller und es würde sich
vielleicht sogar lohnen, die längere Strecke zu wählen, doch er überschlug die Sache
so lange bei sich, bis er die Kreuzung verpatzt hatte: er war drüber weg: nun gab es
keine Wahl mehr. Zu allem Überfluss waren Scheibenwischer und Blinker kaputt, so
musste er sich im lauen Regen immer wieder nach vorne beugen, um die Stirn seines
Pferds abzuwischen und den Bereich um die Augen und die Schauklappen zu trocknen.
(Das war sicher nicht sehr angenehm - E.) Er fand zwar einen Parkplatz vor dem
Museum, doch er rannte bereits völlig umsonst über die Sándor-Bródy-Straße - während
der kühle und wirklich sehr unangenehme Wind ihm durch das geliebte, jedoch dünne
blaue Blouson blies -, er war zu spät.
Nachdem man ihn am Tor streng und gewissenhaft, doch für den Geschmack des Meisters
etwas rüde kontrolliert hatte, eilte er in die Pagode, wo er
bereits vom Redaktor der Sendung erwartet wurde, sowie von den Herren Attila und
Szabolcs, alles Dichter. Man wechselte Worte über dies und jenes, dann kam der
Regisseur der Sendung hereingestürmt, in einem raschelnden braunen Wettermantel. Der
Meister bat den Redaktor der Sendung, er möge beim Regisseur der Sendung durchsetzen,
dass er als Erster drankam, denn er hatte um 4 Uhr ein Fußballspiel auf der Altofener
Insel, was eine Fahrt von mindestens einer Dreiviertelstunde bedeutete, und es war
bereits drei viertel drei. »Sind Sie die Prosa?« - »Ja.« -
»Und Sie wollen Fußball spielen.« - »Ja.« - »Bei so einem
Wetter.« - »Bei so einem Wetter.« Nun hob der Regisseur den Kopf.
»Das sind vielleicht Tränensäcke«, dachte der Meister der Feder und nickte
anerkennend angesichts des mitgenommenen Gesichts des alternden Mannes. Der setzte
den knisternden Dialog fort. »Gratuliere.« - »Das hätte auch ich sagen
können«, dachte er, doch er sagte freundlich nur so viel: »Danke
sehr.«
Das Studio war nicht leer, neben der Harfe saß eine Frau, die Harfinistin. »Oh,
eine Harfe, eine echte«, flüsterte er der Frau zu. »Wissen Sie, mein
Freund, und davon war bereits die Rede gewesen, es ist sehr beruhigend, wenn neben
den Harfen Harfinistinnen sitzen. Sehr.« - »Duliebergott«, zischelte
der Redaktor der Sendung, »er hat eine Harfe bestellt, zu solchen Texten.«
- »Wieso«, sagte Herr Attila und lächelte wie ein Student, »eine
Äolsharfe, die vom Luftzug bewegt wird.« - »Hier muss man die Türen
schließen.« - »Schade.«
»Sagen Sie, Herr Esterházy«, die Stimme des hinter der Glasscheibe
sitzenden Regisseurs donnerte von überall her, »sagen Sie mir, werden Sie tadellos vorlesen?« Der Meister, überrascht von der Kraft
und dem Strömen der Stimme, trat etwas erschrocken auf der Stelle. »Bitte,
wie?« - »Werden Sie tadellos vorlesen?« -
»Ich weiß nicht.« - »Ich wiederhole. Ich seh’ schon, Sie verstehen
nicht. Ich habe Sie gefragt, ob Sie tadellos vorlesen
werden.« - »Ich beantworte die Frage nicht«, sagte der Meister und
lächelte ein kleines bisschen. Er mochte glauben, dass es sich um einen
Rundfunkscherz handelte. »Antworten Sie bitte«, die Stimme tönte von
überall her, durcheinander. Der Meister zuckte die Achseln. »Ja. Ich werde tadellos vorlesen.« - »Danke. Das wollte ich hören.
Und nun, los geht’s. Der Herr Redaktor auf die eine Seite, Sie auf die andere. Aug in
Aug, Schatzilein, wenn du mich magst, uicht wahr. Fangen Sie an, Herr Redaktor!«
Der Meister, lustlos geworden, stand herum. »Wissen Sie, mein Freund, ich habe
gar nicht bemerkt, wie mir dabei irgendwie die Lust
abhandengekommen war.«
»Auch Péter Esterházy frage ...« - »Halt. Der Herr Redaktor hat: hatsy
gesagt. Esterhatsy. Glauben Sie mir nicht? Sollen wir’s Vorspielen? « -
»Nein, nein, bloß nicht.« - »Fertig? Bitte!« - »Auch Péter
Esterházy frage ...« - »Halt. Schon wieder. Man darf hier ruhig
artikulieren. Sssssss. Hasi. Wie das Hasi, ha, ha, ha. Fertig? Bitte!« -
»Auch Péter Esterházy frage ich nach der Landschaft. Ist Landschaft wichtig für
dich?« Der Meister holte Luft. »Halt. Holen Sie keine Luft. Man hört’s.
Offenbar haben Sie eine falsche Atemtechnik.« - »Offenbar.« -
»Wie?! Was hat er gesagt?« - »Offenbar habe ich eine falsche
Atemtechnik.« - »Tja, ja. Fertig? Bitte!«
»Wenn der Mensch irgendwo lebt, und dafür gibt es eine reelle Chance, dann kann
er nicht sagen: Irgendwo ist es schön. Das wäre, als würde
er sagen: Meine Frau ist schön. Was so viel heißt, dass man
sich die Frau von vorne angesehen hat, von hinten angesehen hat...« -
»Halt. Kann es sein, dass Sie ein anderes Manuskript haben? Dass Ihnen eine
andere Version vorliegt?« - »Wieso?« Der
Meister sah die Harfinistin an. Sie sah schnell woandershin. »Wie ich sehe,
mögen Sie die einfachen Wendungen. Hier bei mir, im Regieexemplar, steht: dass man
sich die Frau von vorn und von hinten angesehen hat.« - »Und?« -
»Bitte. Ich bin hier zum Arbeiten, nicht aus Jux und Dollerei. Sie haben einen
Text eingereicht, den man akzeptiert und genehmigt hat, nicht wahr.« Der Meister
sah wieder die Harfinistin an. Er soll etwas eingereicht haben? Und dieses war
akzeptiert worden? »Ja«, sagte der Redaktor der Sendung auffällig schnell.
»Na also. Dann wären Sie, Herr Esterházy, vielleicht so freundlich, kundzutun,
wo Sie also nun, nachträglich und eigenmächtig, den eingereichten und in seiner
ursprünglichen Form akzeptierten Text zu ändern wünschen?«
Der Meister drückte gegen seine Nasenwurzel, als würde er seine Brille richten,
obwohl er besagte Brille (12-Forint-Kassengestell) niemals trug, nur zum
»Zielschauen«. »Ich wäre so freundlich.« Plötzlich wurde es
still. In der Hand des Redaktors der Sendung erzitterte das Papier. Gleichzeitig
erbebte von einer unachtsamen oder aber viel zu aufgeregten Bewegung der Harfinistin
die Harfe. Alle wandten sich wütend nach ihr um, der Meister nickte traurig, aber
dankbar - er wurde hager, seine Lippen schmal, ein wenig blutleer -, und er begann
mit fahler Stimme aufzuzählen: »Im letzten Absatz würde ich Wahrheit statt Umstand sagen, dementsprechend die statt der, alsdann in der vorletzten
Zeile vor in einem Misthaufen et cetera: ich
erinnere mich, in den Jahren der Deportation, in einem Misthaufen etc.«
- »Halt. Dafür kann ich nicht einstehen.« - »Wofür?« - »Für
so einen politischen Ton, welcher dem Material vollkommen
fremd ist, dafür kann ich nicht einstehen.« - »Ich stehe dafür ein«,
sagte der Meister mit leiser Rührung. »Sie stehen für gar nichts ein. Sie sind
nicht in der Position, etwas zu verantworten. Hier bin ich der Verantwortliche. Und
ich lasse dieses politische ...« — »Das ist nicht politisch «, sagte
er, nun etwas lauter, »sondern biographisch. Aber wenn das politisch ist, werden
dafür hoffentlich auch Sie ... ähm ... einstehen können.« - »Ist das für
Sie so wichtig?« Der Regisseur der Sendung lächelte selbstbewusst. »Wissen
Sie, mein Freund, das war eine kluge Frage ... aber ... sie wird so oft
gestellt.« Der Meister stellte eine Gegenfrage, da er nicht wusste, ob man vom
Satz oder von der Deportation sprach. »Dass dieser Satz drin ist? Nicht
besonders. Nur so, wie die anderen.« Und fügte mit weltlichem Geistesreichtum
hinzu (denn es wird nach Länge bezahlt): »Wie die anderen Sätze derselben Länge.
« — »Ich diskutiere nicht mit Ihnen. Ich will nicht, dass dieser Satz drin
ist.« - »Und ich will es. Also, Chef, ich würde sagen, es steht Remis.
« - »Bitte?« - »Eins zu eins«, sagte der Meister und hob
beide Daumen. »Und wissen Sie, mein Freund, aus dieser Position, in einem
leichten Bogen, nicht gleich, nach unten ... wie die Scheibenwischer des
Schiguli.« (Später sagte er nur noch: »Scheibenwischer, Schiguli.«
Natürlich hatte der Meister leicht reden, er war - dort - von niemandem abhängig.)
Die Hölle brach los, ein riesiges Geschrei hub an, aus den unverhofftesten Ecken und
Enden des Raumes sprudelten Bindewörter, Nebensätze hervor (»oder andere
grammatische Einheiten«). Währenddessen ward ein Verrat getan; das Harfe
spielende (gespielt habende und zukünftig spielen werdende) Fräulein schlich auf
Zehenspitzen hinaus. »Es war ein mächtiger Aderlass.« Der Meister stand in
der Mitte und gab Tipps ab, aber er erriet die Quelle der Stimme nur in den
seltensten Fällen. »Da!« Nein. »Da!« Nein. Etc. Dann, wie auch
nach dem großen Regen die Ruhe des Herrn erwacht, wurde es still. Der Regisseur der
Sendung sah mit verschränkten Armen herein. Der Meister sagte »gutmütig«:
»In Ordnung. Wir lassen ihn raus.« - »Wie bitte?!«, brüllte der
Regisseur der Sendung mit frischer Kraft, Wut und Erregung, anschließend, nachdem ein
jeder verstanden hatte, was, scheinbar, für ihn bestimmt war, ging es weiter mit der
Aufnahme.
»Dass man sich die Frau von hinten und von vorne angesehen und anschließend eine
Entscheidung gefällt hat, und das Ergebnis dieser Entscheidung ist, zum Glück,
folgendes: Ich kann zufrieden sein, meine Frau ist schön.
Doch man kann diese Dinge nicht den Launen des Geschmacks überlassen, man kann nicht
wieder und wieder überprüfen: gefällt mir denn die Fischerbastei oder das staubige
Kőbánya... Zum Glück fällt einem das nicht oft ein: man lebt hier ...« -
»Bitte halten Sie an. Sie haben hier diesen schönen Text, und dann ruinieren Sie
ihn, sozusagen. Man lebt hier und nicht, man lebtTier. Mit mehr Luft, ruhiger. Ein wenig strammer, wenn Sie mich
verstehen. Gut, können wir? Bitte.« - »Man lebt hier und ist kein Tourist.
Es ist des Touristen verdammte Pflicht, sich zu begeistern, daran sieht man das
Ausmaß der Verkommenheit; doch ich, wenn ich will, kann auch mäkeln ... Gegenwärtig
denke ich, doch ich könnte auch anders denken, dass ich keine Landschaften habe, wie andere die Puszta oder den Teleki-Platz, sondern
Gegenstände. Und für mich ist jeder Gegenstand interessant, der auf irgendeine Weise
in seiner Stofflichkeit manifestiert ist. Eine Kirche zum Beispiel, oder eine
Straßenbahnweiche ... Doch die Sache ist so, dass ich relativ
widersprüchlich über diese Dinge denke: wenn ein Stück Raum so aussieht, als hätte
man es aus einem langen, amerikanischen Farbfilm ausgeschnitten, dann gefällt mir das
sehr, andererseits ... ist auch ein mistiger Strohbüschel nicht zu verachten. Ich
muss mich zwischen diesen Dingen zurechtfinden.«
»Danke. Wir wären dann fertig. Nochmals danke und auf Wiedersehen. « -
»Danke, auf Wiedersehen«, sagte der Meister mit gesenktem Kopf und begab
sich, mit dem Redaktor der Sendung dicht auf den Fersen, zur Tür. Beim zweiten
Versuch öffnete er entschlossen die Tur und ging hinaus. (Sie ging nach innen auf,
und Esterházy versuchte es nach außen hin. Was ein Pech! Man kann sich das Antlitz
des Meisters vorstellen! Doch auch so war es noch ein Abgang vom Feinsten ...!) Im
Flur angekommen, gewöhnte sich sein Auge nur schwer an das Zwielicht, größtenteils
sah er nur Flecken, allein Herrn Attilas hohe, schwankende Figur war eindeutig. Dies
hob seine Laune einigermaßen. »Man hört von einer Affäre«, sagte Herr
Attila; Neuigkeiten verbreiten sich auf Windes Flügeln. Er nickte.
Während all dem blieb die Zeit natürlich nicht stehen, sie verging; es war schon nach
drei Uhr. »Los, mein Pferdchen«, flüsterte der Meister in das Ohr des
Pferds und bog von der Puschkin-Straße (ehemals nach dem Namen des Meisters benannt)
in die Rákóczi-Straße ein. »Wissen Sie, mein Freund«; der Meister ließ den
breiten, verschwenderischen Schwung der Erzählung stocken, »wissen Sie, so eine
schlechte Laune bemächtigte sich meiner. Natürlich regnete es auch; ich musste sehr
aufpassen; ich glaube, ich bräuchte auch eine neue Brille, vielleicht 1,5 Dioptrien
... Wessen Sie, es ist ein bitteres Brot, wenn man dazu bestimmt ist, die Disharmonie
der Welt in Harmonie umzumünzen.«
Er galoppierte über den Madách-Platz, nachlässig die Spur wechselnd (vergessen wir
nicht: der Blinker!), vor der Basilika drosselte er die Geschwindigkeit, denn hier
wurde er vom Rechten Verteidiger erwartet, der an diesem Tage die StVO-Prüfung
abgelegt hatte, weil er den Motorradführerschein brauchte, weil er Motorrad-Zusteller
werden wollte, weil er von Beruf her Polsterer war, aber da man ihn dort schlecht
bezahlte, trug er morgens Zeitungen aus, und nun sattelte er ganz darauf um.
»Weißt du, Peti, das gibt doppelt so viel Kohle.« Der Rechte Verteidiger
war gerade in das beste Verteidigeralter gekommen: er ist gerissen geworden und hart
geblieben; obwohl er ein wenig zugelegt hatte. Seinerzeit hatte er nicht nur bei den
fachmännischen Leitern der Jugendnationalauswahl einen guten Namen, sondern auch
unter den Taubenzüchtern. Bei einem Wettbewerb wurde er Erster und sein älterer
Bruder wurde Zweiter. »Weißt du, was die Standardweibchen- Kategorie ist?«,
fragte ihn der Meister vor einem Training. Sie daddelten an der Mittellinie je einen
Ball: er war von Amts wegen, der Rechte Verteidiger zufällig ein Techniker.
»Natürlich weiß ich das.« - »Gut. Ich weiß es auch«, sagte der
Meister, nickte und fing in überflüssiger Weise einen Spurt an (verlegen).
Nun, er konnte die Geschwindigkeit in Höhe der Basilika noch so sehr verringern, und
wozu leugnen: hinter ihm drückten einige ungeduldig auf die Hupe, er konnte den
Rechten Verteidiger nicht sehen. Am Eingang des Sportgeschäfts standen mehrere, und
nicht von allen konnte der Meister feststellen, dass sie nicht der Rechte Verteidiger
waren, aber er schritt mit seinem Pferd so auffällig langsam am von Regen glänzenden
Gehsteig entlang, dass ein Wartender ihn unbedingt hätte
bemerken müssen. »Bestimmt ist er mit dem Taxi gefahren.« (Sie waren schon
auf dem Platz und wärmten sich im pladdernden Regen auf, als der Rechte Verteidiger
ankam. »Danke, Peti«, sagte er, grinste und ging in die warme Umkleide zu
den Ersatzleuten.)
Auf dem Flórián-Platz stand ein Polizist. »Verdammt«, sagte der Meister,
»muss ich jetzt etwa so lange hier im Kreis fahren, bis er die Augen
niederschlägt?!« Auf dem Flórián-Platz gibt es nämlich einen Kreisverkehr, und,
vergessen wir nicht: der Blinker! Er sprengte hinter einen 55er, dachte, vielleicht
in dessen »Schatten« ... Doch sobald sie von der Brücke herunterkamen,
machte sich der Autobus praktisch aus dem Staub - während er sich mit einem
Zebrastreifen abmühte -, und während der Meister noch am Abzweig duckmäuserte - noch im Kreis, doch bereits mit Hintergedanken erfüllt -,
traf sein Blick den des Polizisten. Es war ein junger Bursche, mit fast bläulich
schimmerndem schwarzem Haar, welches manchmal unter der Tellermütze hervorlugte.
»Er hat also schönes Haar. Oder trägt er einen Raben unter der Mütze? «,
murmelte er. Der Polizist sah ausdauernd drein, während das Pferd an den kritischen
Punkt kam: es hob ein wenig den Kopf, wartete auf das Zucken der Kandare. »Ein
Rabe? Also das ist vielleicht doch eine Übertreibung. Und was sollen dann diese
relativ langen Koteletten, aus demselben Stoff? Zu lang, nicht
viel, aber zu lang.« Der Polizist machte eine kleinliche Bewegung, was der
Anfang eines Einkassierens sein konnte, aber auch eines sich
fügenden Sichabwendens; so oder so: es war unheilschwanger.
Auf diese Bewegung hin setzte der Meister automatisch den Blinker nach oben und
scherte rechts aus, Richtung Miklós-Platz. Und, was für ein Wunder: der Blinker ging.
Er wandte sich lächelnd um, der Polizist sah ihm hinterher, »sein Gesicht, das
heldenhafte«, verriet nichts. Als der Meister zum Überholen des 42er Busses
ansetzte, stellte sich heraus, dass der Blinker schon wieder nicht ging.
»Natürlich.«
Auf einmal hatte der Weg zur Insel ein Ende. »Mein Freund, so etwas habe ich
noch nicht gesehen! Dass es einfach so mir nix, dir nix zu Ende geht!« Er hielt
das Pferd an, stapfte über die Müllhalden und war nicht in der Lage, einige lehmige
Flecken zu umgehen, da er nur auf die Pfützen achtete, nicht aber auf den Untergrund.
»Ich glaube, so etwas ist natürlich.« Die Umkleidekabinen, die sich am
anderen Ende des Spielfelds befanden, waren im pladdernden Regen kaum zu sehen. Er
achtete immer weniger darauf, wo er hintrat, er hatte es eilig. Die Jungs waren schon beim Umziehen.
Er blieb stehen; er blinzelte; seine Brille hatte er im Mantelsack gelassen, den er
am Sattelknopf festgemacht hatte, mit Absicht. Er glaubte, in der Ferne seinen
Trainer zu entdecken, und als er näher kam, gewann diese Annahme eine Bestätigung: Es
war Herr Armand, der sich — von hier aus schien es so — aus der Wand herauslehnte und
ihm zuwinkte, während er gut sichtlich darauf achtete, nicht die Linie der Dachtraufe
zu erreichen, wo das Reich des Regens begann. Dennoch, als er dort ankam, trat Herr
Armand aus der Deckung heraus, reichte ihm hart die Hand und sprach: »Du bist zu
spät. Zieh dich um.«
In der winzigen Umkleide waren sie übereinander wie Kraut und Rüben. Das
nachmittägliche Pourparler beschäftigte den Meister sehr. Nur so konnte es passieren,
dass er statt des 8er Trikots, das er inzwischen seit 6 bis 7 Jahren trug, das 2er
(!) anzog. (Der Herr Schriftführer musste das Protokoll korrigieren, da er neben den
Namen des Meisters doch ohne nachzudenken die 8 eintrug.) Frierend,
zusammengeschmuckt, wie auf Eiern gingen sie los aufs Spielfeld. »Also, an die
Arbeit«, seufzte er, mit den Gedanken immer noch »woanders«, und
patschte nach einem kurzen, doch geschickten Anlauf mit beiden Füßen in eine Lache.
Anschließend - im strömenden Regen!, durch Pfützen!, im Schlamm! - spazierte er zur neben dem Spielfeld befindlichen großen Eiche und machte
Pipi. Er schüttelte den Kopf. »Was kann dieser Typ von mir gewollt haben? Bin
ich denn eine Scharte an der sozialistischen Kultur oder eine ihrer Bastionen?...
Iwo«, und er schüttelte ein wenig seine Hose.
Der Schiedsrichter traute sich kaum aus seiner Höhle hervor, aber schließlich kam er
doch. Gleich nach dem Anstoß spielte der Meister den Ball zurück, um anschließend
loszusprinten. Der Junge Manndecker schnitt den Ball ohne zu zögern in den Lauf des
Meisters, hob ihn heraus, welcher erst über den Rasen hüpfend
schneller wurde, um anschließend in einer Wasserpfütze vollständig gebremst zu
werden. Es begann ein großer und aggressiver Wettlauf zwischen dem Mittelverteidiger
und dem Meister; Ersterer war näher dran, Letzterer mit mehr Schwung. Es sah schon
ganz danach aus, als würde Esterházy den Ball zuerst erreichen - und dann würde er
bis zum Tor nicht mehr stoppen! –, als sich der Verteidiger von weitem hineinwarf.
(Aufopferungsvoll.)
Der Meister saß mitten in der Pfütze und wiegte abermals den Kopf. Augen und Mund
waren voller Schlamm und Dreck, und er hatte immer mehr das Gefühl, die schlammige
Hose schürfte seine Haut auf. (Der Schlamm - die nasse Erde - wurde quasi von der
Hose aufgesogen und konnte nun von innen angreifen.) »Sehen Sie, mein Freund,
ich hab es nicht umsonst gesagt: Ich habe gelebt, ich habe geliebt und viel gelitten.
Es war so.« Hier ging ein schalkhaftes Licht in seinem scharfen Blick an.
»Aber den Einwurf, den haben wir gemacht, dabei...«
16 Das letzte Spiel des Frühjahrs geriet kompliziert. »Sogar die Pause! Die erst
recht!« Dabei war das Frühjahr selbst so schön anspruchslos gewesen! —
»Wissen Sie, mein Freund, zum Beispiel diese windigen Tage! Trügerisches Wetter! All die steifen Knöpfchen ...!« Die Sonne scheint,
die Welt funkelt, aber die Temperaturen sind noch kühl, »es zieht am
Kreuz«! Und die Frauen ... die werden einfach getäuscht! Die leichten Hemden,
das Leinen, die anschmiegsamen Trikots werden heraufgeholt aus den Tiefen, und wie
sie so im Kreis um den Platz herumstehen, in zufälliger Streuung, damit schon mit
ihrer Entdeckung Aufregung verbunden ist, oder, wie sie sich von den vielen lieben
zahnlosen Rentnern lösend, auf der »jenseitigen« Seite aufscheinen, die im
Wind flatternden Röcke spannen von Zeit zu Zeit (»in zitternden Perioden«)
an den Schenkeln, und zwischen den Schenkeln entsteht eine, was ihre Ausmaße
anbelangt, winzige, matte Delle im Rock; damit sich später, höher, im Gegenzug, ein
Hügelchen wölben kann, welcher den Blick anzieht wie der Honig die Biene (um stilvoll
zu bleiben - E.). Nun: das ist der Frühling.
Das Spiel von Licht und Temperatur nahm langsam ein Ende: die Luft erwärmte sich
raunend, die Spiele wurden anstrengender, die Mädchen schwitzten, oder gingen, oh,
zum Baden. »Erinnern Sie sich, mein Freund, an dieses Mädchen im blauen Kleid,
das ich mir während der Aufwärmphase so gut angeschaut habe ... das dann später so
charmant fluchte, das heißt, mich verfluchte ... und ich, nicht wahr, am Strafraum
...« (Woraufhin ich bemerkte, bitte vielmals um Entschuldigung, dass sich der
Meister, als sein Blick sich mit jenem des Fräuleins zusammenschraubte, auch ich
erinnere mich gut - 15 Uhr 53 Minuten - , sie trug ein blaues Seidenkleid, der
zaubrische Wind brachte die Winzigkeit der Brüste gut hervor, dass sich der Meister
zu diesem Zeitpunkt bestimmt nicht in der Nähe des Strafraums
herumtrieb ... Er war überrascht ob dieser Beobachtung seiner Person, welche meine
Aufgabe ist. Er zog seine großväterliche Braue hoch. »Sagen Sie, E., was halten
Sie davon, Ihren hässlichen Namen zu Egyhegymegy einzuungarn!
Auch das könnte man so abkürzen: E.« Draufgängerischer Verweis auf ein
charmantes Detektivlein aus der europaweit mäßig bekannten
Spionnovelle!
Was für eine Schande, was für eine Schande! Dann, von einer Idee erheitert und
beruhigt [nicht, dass ihn die Idee erheiterte und beruhigte!], murmelte er:
»Ahh! Und wie Zahlreiches ließe sich noch als E. abkürzen! Hmhm. Sollten wir
unser eigener Judas sein?! Gefällig.« Einer Spinne gleich wartete er auf die
schizophrene Chance. Und diese kam auch, als ich bemerkte: ich vermag nicht zu
folgen. »Versuchen Sie’s, Katzenöhrchen, versuchen Sie’s!«, sagte er und
hob kühl das Revers seiner Jacke. Doch dann brach das Leben in ihm auf - das ist sein
großer Vorteil, das Leben! [Darf verwendet werden.] -, und er plumpste mit vehementer
Großmütigkeit über das Intermezzo hinweg, lange auf die Mysterien des auf der
»Kehrseite« seines Revers befindlichen Filzes deutend und diese erklärend,
die Bedeutung des dort sich festsetzenden Grinds, den weichen Griff, den Fadenschein
der Zwirnnaht, die Unbedeutsamkeit und Wichtigkeit der Grenzen etc.)
Sie waren gerade dabei, die Umkleide zu verlassen, als man die Aufmerksamkeit der
Verteidiger oder Stürmer auf jemanden lenkte, der: schnell, hart, gut im Dribbling
war, sowie spuckte. Hier riss ihm der Geduldsfaden: »So was hab ich ja noch nie
gefichtet. Gibt es überhaupt einen Gegner - und er zählte es an den Fingern ab: eins!
zwei! drei! vier! –, der nicht schnell wie der (geölte) Blitz, nicht hart wie Widia
ist, nicht wie der Teufel dribbelt und nicht treffgenau und üppig spuckt?!« -
»Beruhige dich, Peti, du musst ihn nicht decken.« Und umsonst winkte er
dann noch ab, es blieb an ihm kleben, dass er keine Manndeckung möge, dass man ihm
keinen Mann anvertrauen könne. (Bittere Grimasse!) »Aber, mein Freund, auch das
weiß ein jeder, dass das nicht stimmt.« (Nämlich das mit der Manndeckung.) Das
stimmt. »Wisst ihr«, sagte er zu einem späteren Terminus, als schon
abzusehen war, dass sein Plan »bezüglich seiner 6 oder 7 großnäsigen
Töchter« perdu gehen würde, »wisst ihr, aus meinem Sohn mache ich einen
Libero. Er wird hart sein, unerbittlich und wird jedem das Herz herunterkicken.«
Und das lachende Nicken zeigte an: diese Möglichkeit war im Meister, diesem
ziselierten Halbrechtsstürmer, vorhanden.
Es spielte bereits die Hitze die Hauptrolle. Irgendein Wind hat auch angefangen zu
wehen. Zuerst leicht, kühl; später wurde er stärker und unglaublich heiß. Ein Föhn.
Das Wetter wurde schwül. Er war noch nicht »geschnürt«. (Die längliche,
schlangen- oder doch eher eingeweideartige Irrfahrt der Schuhbänder hinter den
auflaufenden Spielern!) Im funkelnden Sonnenschein beeilte er sich von Schatten zu
Schatten, ein breites, sonnig ekles Gelände umgehend: das Spielfeld. Irgendwie von
der Seite zischte ihn der Libero an. »He, Peti.« Doch er tat gerade die
letzten noch-schattigen Schritte und rief: »Die Spiellust hat mich wieder.«
- Denn diese war gerade nicht in ihm vorhanden. - »Kämpfen werde ich wie ein
Löwe.« (Was für eine Intensität. Wie man wird sehen können. Ein adäquates Gefühl
und eine adäquate Reaktion.) »Mach mal einen Schritt«, sagte der Libero
boshaft, schon vom sonnigen Terrain aus, gewappnet mit Praxis. Doch der Meister wurde
gerade von diesem Satz gestoppt und nicht von der ersten konspirativen Ansprache.
»Sie haben 5 Kästen Bier aufgefahren «, sagte leise der Libero und winkte
Richtung Klubhaus, welches im Besitz des Gegners war. »Wissen Sie, mein Freund,
5 Kästen Bier, das ist auf diesem Niveau ein spendables Angebot.« Ohne
nachzudenken sagte er sein »Nein« (den Mund verkrümmt, den Kopf
geschüttelt). »Wir werden sowieso verlieren. Ihr Hausschiedsrichter pfeift das
Spiel.« - »Ich weiß.« - »Peti, wenn der Weg von Schnee
verweht...«, er breitete die Arme aus, um Ohnmacht anzuzeigen; er winkte nervös
ab. er dachte, die Sache wäre klar, doch ohne die Zustimmung des Meisters konnte das
Angebot nicht fortgesetzt werden. »Schnee? Bei der Hitze?«, scherzte der
große Mann anspielungsreich. Er verstand die Überlegung: wenn sie schon die Hucke
vollkriegen - denn der Gegner ist gut und der Schiedsrichter kennt bereits das
Endergebnis -, dann sollten sie wenigstens nicht blöd sein. Doch er vermochte nur zu
denken, »wozu zum Teufel« er die halbe Stadt durchritten hatte, wenn das
doch hier der Schauplatz eines Pseudo-Fußballspiels war. »Nein«; sagte er
wiederholend, und, nachdem er sah, dass der liebenswürdige Linksverteidiger (der sich
dem Palaver ernst angeschlossen hatte, wegen seines Prestiges, das er in der
Mannschaft genoss, und unerwartet nun die Meinung des Libero teilte) mit einem
unsicheren Kopfschütteln errötete, fügte er noch schnell hinzu: »Aber, Jani,
nicht weil ich etwa anständiger wäre, Blödsinn. Aus rein praktischen Gründen. Es gibt
einfach keinen Grund, das Spiel zu unterlaufen. Bitte, Fichte. Nennt mir einen
Grund.« Jene schwiegen. Der Meister war darüber nicht erfreut. »Na, einen
nur, Kätzchen. Wenn wir wenigstens um Moos spielen würden.
Aber auf diesem Niveau zu betrügen ... Sind die 3 Flaschen Bier für euch: ein Grund?
Das ist kein Grund. Wenn wir mitmachen, sind wir genauso schäbbich wie die und wie
der Schiedsrichter. Und anschließend trinken wir 3 Flaschen Bier. Blödsinn. «
Sie trotteten auf die andere Seite des Platzes. Der Libero unternahm einen kleinen
Umweg, wo er mit dem Kopf anzeigte: nein. Der, dem er es sagte, wurde böse, » ’s
ist, wie’s ist«, sagte der Libero. Der Meister hatte die anderen überhaupt nicht
überzeugt, dass dies die richtige Entscheidung war und jene andere die falsche. Das
hatte er auch nicht gewollt, er ist raffinierter als das. »Wissen Sie, mein
Freund, ich wollte nur, dass sie die Rechtmäßigkeit meines
Schrittes verstanden.« Natürlich wusste er, der Stenz, ganz genau, was das mit
sich brachte. Was er allerdings nicht wusste, war, wie glücklich sich das Spiel
entwickeln würde und was für ein moralisches Beispiel ihm an diesem Nachmittag zu
präsentieren gelänge. »Die Welt spielt mir in die Hand.« (Seine
Fingernägel! Ein Skandal!)
Als Folge der vorangegangenen freundschaftlichen Verhandlungen verlief das Spiel in
einer ziemlich »ranzigen« Atmosphäre. Wie der Meister zwischen den
Fleischbergen dahinglitt, und er hatte sogar noch Mumm! Wie er, während er sich
wieder aufrappelte, frech sagte: »Kätzchen, wozu das bengalische Feuer!« —
»Und wieso fichtest du nicht deine Fichte Mutter«, erklang die Frage in
seine Richtung. »Kumpel«, rief er schon im Lauf, »Kumpel, ich werd’s
mir überlegen. « Ein Haar diesseits des Skandals, war diese bürgerliche
humanistische Art des Umgangs mit Text seitens des Meisters verständlicherweise
provozierend. - Es gilt als klassischer Fall, wie er einmal, sich bis in die
Verteidigung zurückziehend (es war ein glattes Spiel), mit Herrn Icsi ein langes
Pourparler bezüglich eines gewissen Vigilia- Artikels über irgendeine Feinheit in der
Beziehung zwischen Herrn Ottlik und der - »eingestellt, mon ami« -
Literaturzeitschrift Nyugat betrieb. »Der Herr Redakteur
Osvát hat das gesagt«, brüllte zum Beispiel der Meister von der Strafraumgrenze
Herrn Icsi zu und brachte den Ball zwischen den ihn angreifenden Gegnern heraus.
(Rein fachlich eine leichte Aufgabe.) Was er für diese zweifellose Impertinenz damals
bekam! Wochenlang ging er ins Sportspital zur Fisikotherapie. »Genutzt hat es
wie ein Einlauf für einen Toten ...!« Der arme Meister! Um von Herrn Ottlik gar
nicht erst zu ...
»Du kommst mir schon noch in den Fleischwolf, Nasenbär!« - »Mein Gott,
mein Gott«, sann er einmal während des Speckbratens nach, er war schon
verschmiert und fettig bis an die Ohren, der Soproner Blaufränkische Jahrgang 1974
flutschte gut, »mein Gott, bin ich wohl ein Volkstümlicher oder ein
Urbaner?« Er hätte nämlich gerne gewusst, wo er nun stand. Schließlich kam er zu
dem Schluss, dass er, in Anbetracht seiner uralten Familie, gewiss ein Volkstümlicher
war, andererseits wiesen sein dürftiger Bartwuchs (nicht nur kein ungarischer
Schnauzer, überhaupt nichts!) sowie die Tatsache, dass er durchschnittlich bei jedem
dritten oder vierten Spiel gesaujudet wird, auf eine urbane Charakteristik hin.
»Das muss man nicht differenzierter sehen.« — Es sei angemerkt, auch Herrn
Györgys Nase ward Beute historischer Scherze. In die Verschmutztheit des vor der
Kneipe dümpelnden Trabants hat jemand geschrieben: »Im
Laden gibt’s frisches Matzen.«
»Du kommst mir schon noch in den Fleischwolf!« - »Du bist mir
vielleicht ein Häschen, Chef«, hauchte er dem Verteidiger-Burschen zu,
»dafür hat man mich hierhergestellt! Damit ich in den Fleischwolf gehe!«
Das Bürschchen war der Kleine Knochenmann, ein Verteidiger aus der Gattung der
Killer, er war nur jung. »Sein Bruder, der Knochenmann, ist ein guter
Aktiver.« Wie der Meister den Knochenmann hasste! Wenn er hassen könnte, würde
er ihn hassen. Der Kleine Knochenmann beugte sich ganz nah an das berühmte Gesicht.
»Ihr kommt schon noch wieder zu uns, Nasenbär, was?!« - »Nun, mein
Lieber«, antwortete er mit dem Gemüt einer Marquise, »wenn die Laune der Auslosung es so will.« - »Spiel dich,
Fichte nochmal, nicht so auf, wir werden dich faschieren!« Hier nahm er die
Herausforderung endlich eins zu eins an und zischte zurück: »Versuch’s doch,
Kleiner.« Und er hob seinen Ellbogen, um dessen Zusammentreffen mit gewissen
Rippen zu fördern; wie der wucht’ge Eber sprengte der Meister aus der Bedrängung des
liebenswürdigen Verteidigers heraus.
Sie ärgerten den Gegner nicht zu knapp. Natürlich konnten auch sie selbst nicht
unbeteiligt bleiben, so dass der unparteiische Zuschauer — sagen wir, jener Jemand,
der aus einem der neuen, riesigen Wohnhäuser, die das Spielfeld umgaben, aus der Höhe
herabblickte — nur das Aufeinandertreffen zweier selten brutaler Mannschaften
verfolgen konnte. Seiner guten Gewohnheit getreu trat der Meister nicht um sich, er
war »nur« engagiert. »Es geht so.« Einer von ihnen (der Libero)
traf sogar den Schiri — mit dem Ball. Der Schiri drehte sich um und suchte mit
blitzenden Augen nach dem Schuldigen. Er näherte sich unheilschwanger, als der
Meister weise die Sturmwolken vertrieb: »Ach komm, komm. Wenn dich« - denn
in seiner Aufregung duzte er den grünschnäbeligen, amoralischen Spielleiter;
<mein Gott, er ist in meinem Alter> - »von so weit weg absichtlich einer träfe, Fichte, der würde bestimmt nicht mehr hier
spielen!«
(Sie haben 0:1 verloren mit einem aus einer himmelschreienden Abseitsstellung
geschossenen Tor.) »Habt ihr gesehen, was die für Bammel hatten«, der
Meister lachte müde, während er vom Platz ging. »Gottchen, hatten die die Hosen
voll.« Dann, als er zum verschwitzten Libero aufschloss, der sich heute - obwohl
er in letzter Zeit eine abnehmende Form verriet, »im Keller war« - als
einer der Besten seiner Mannschaft erwiesen hatte, schlug er ihm auf den Rücken und
grinste: »Na, Fichte?!« - »Peti«, sagte der negative oder
positive Held des Spiels, »Peti, die sind vielleicht herumgekrochen ... Nächstes
Jahr gehe ich zum Cosmos nach New York.« Worauf der bei weitem nicht greise,
doch auch nicht gerade frische, also etwas sonntagnachmittägliche welke Meister:
»Für 5 Kisten Bier, Minimum.« Noch nie hatte eine Niederlage so
wohlgetan.
Irgendwo hat sich irgendwas verändert, Räder quietschen auf, aus den
Autoscheinwerfern schnellen scharfe Lichter - wie Messer - hervor, Füße trampeln, ein
Tor (!) zerreißt einem Stück Papier gleich, ein Schlagstock huscht weich, die Hand,
die zugreift, könnte Karajan gehören, jemandes unauffällige Verfolgung wird
aufgenommen, jemand - da er ausdrücklich darum gebeten wurde - nimmt eine
unauffällige Verfolgung auf, Eiswürfel donnern triumphal, ein Riegel klickt, eine
Fernsehansprache formiert sich, irgendwo ist irgendwas endgültig geworden.
Außer ein paar als seltsam einzustufenden Blicken, die er nach dem einen oder anderen
Spiel, meist im Spielergang, erheischte und aus denen er einen besonderen Zuspruch
(»Gut gemacht, Junge!«) herauslesen mochte, war
nichts passiert: er bekam keine geheimen Zeichen, weder einen Brief noch ein zufällig
fallen gelassenes Wort, niemand lud ihn unerwartet zu einem kleinen Gespräch ein,
weder ins Café noch woandershin, kein indirekter Hinweis erreichte ihn ( ), sein
Gehalt wurde nicht gekürzt, im Gegenteil, es wurde vorschriftsmäßig erhöht (auf 2700
Forint), niemand ließ ihn zu sich kommen, und es wurde ihm auch auf keine andere Art
und Weise angezeigt, er müsste etwas ganz besonders verstehen, es rankte sich nicht
mehr Klatsch um ihn als sonst, seine Situation wurde weder an seinem Arbeitsplatz
noch in seinem Privatleben unmöglich ( ), es passierte nichts: Spiele kamen, Spiele
gingen — dennoch, langsam, wie von der Kälte nach einem voreiligen frühmorgendlichen
Gähnen, ward der Körper des Meisters von einer Art biologischer Selbstsicherheit
durchdrungen, dem Wissen um die Ordnung und die Organisiertheit, dem Glauben: dass er
nicht alleine sei, seine Schritte (mehr noch: seine Flanken, seine Steilvorlagen,
seine Zuspiele und seine Rückläufe) sind beobachtbar: man beobachtet sie, sie sind
bewertbar: man bewertet sie, folgerichtig ist er hierher wie dorthin Verantwortung
schuldig. Und das ist gut.
17 Der Meister unterzog Herrn Banga einer Befragung. Herrn Bangas Antwort war
ausweichend. »Alter«, sagte er. Auf Drängen des Meisters wiederholte er:
»Alter.« Aber so viel stellte sich heraus, dass der namhafte Illustrator in
der Sache nichts erledigt hatte. »Alter, als ich eintrat, fing er an, die
Dossiers auf seinem Tisch hin und her zu packen und sagte, er müsse leider gehen,
denn leider müsse er seinen Wagen in die Werkstatt bringen, aber wir sollen uns keine
Sorgen machen, es wird schon.« Der Meister winkte ab. Doch dann wurden sie
(entwickelten sie sich) zu tätigen Menschen. Der Meister stieg auf seinen
diszipliniert wartenden Rappen, Herr Banga schmückte sich hinter ihn und hielt sich
mit beiden Händen, erschrocken, wie das Meerkätzchen an seiner Mutter, am Meister
fest. Dieser spornte sein kluges Tier zur Eile an. Sie machten einen Ausflug zur
Druckerei. Der Meister hatte eine europäische Vorlesetour zugesagt - »ach, die
Verpflichtungen, mon ami, die Verpflichtungen!« wozu es erst des gedruckten
Produkts bedurfte. Herrn Bangas Haar ward vom Wind getätschelt, seine kleine, braune
kluge Stirn leuchtete frei. Manchmal rief er vom hohen Rosse mit seiner rohen, doch
irgendeiner, und zwar einer schönen, Melodie folgenden Stimme den Fußgängern zu,
besonders, wenn diese adrette Mägdlein waren: »Schnuckelchen, gehebt gut ahacht,
sonst kohommt der Krahampuus und hoholt euch ahab!« Im Gesang kam das natürlich
noch mehr heraus; man kann es sich vorstellen. Und erst, wenn Herr Banga schweigt!
Das ist vielleicht ein Erlebnis und eine Findigkeit! Denn zum Beispiel ruft der
bildende Künstler in so einem Fall aus: »Teenager!«, und der Meister dreht
bereits seinen großen, durchdringenden Blick, um den erhofften Anblick aufzunehmen,
doch da bläst Herr Banga zum Beispiel zum Rückzug: »Nein. Kein Teenager«,
er wiegt den Kopf, »Korruption!« — »Verblüffend, mein Freund!«
Und der gute Andere fängt mit irgendeiner Fußgängersoziologie an.
Als es irgendwie gelang, Platz für eine polnische Anhalterin zu schaffen - der
Meister gewann das Mädchen nicht lieb: sie hatte sich einfach und ohne ein Wort auf
ein Buch auf dem Sattel gesetzt; »mein Freund, mit ihrem Schenkel, sie setzte
sich mit ihrem Schenkel drauf!« -, war Herr Banga so erfreut, dass er fast zu
tanzen angefangen hätte. In seiner großen Erregung fing er an, dem Mädchen mit seinen
schütter werdenden Russischkenntnissen eine Geschichte zu er zählen. Er selbst fühlte
sich durch die Sache äußerst unterhalten, doch nicht einmal dem Meister gelang es,
der Geschichte zu folgen, obwohl seine Affinität für Geschichten und deren Aussagen:
groß ist; mehr noch, auch die sich in Herrn Bangas Erzählung herzlich gern
hineinmengenden ungarischen Wörter verstand er besser als die polnische Maid, viel
besser. Während er erzählte, tätschelte Herr Banga manchmal die Schulter des Meisters
(als wäre er selbst das Ross), und dabei sagte er, sich nach hinten um und umwendend
zum Mädchen: »Pista Tüske. Pista Tüske i faschisti.« — »Was hast du da
erzählt?«, fragte er misstrauisch, als sie die Frau losgeworden waren. »Die
Macker haben sie schon am Eingang des Campingplatzes erwartet.«
»Wie, was ich erzählt habe?! Von den Partisanen und von den Faschisten
natürlich. Und der Pista Tüske, was ein Partisane war, hat da dreingehauen.« -
»Und wieso schlug’s du mir dabei auf die Schulter? « - »Wieso, wieso.
Um ihr zu zeigen, der Pista Tüske, das ist ein Name, du könntest mitunter so heißen!« - »Ich heiße aber nicht so.« - »Ich
weiß. Auch das habe ich ihr angezeigt.« - »Fichte.«
Und schon standen sie, schwuppdiwupp, vor der Druckerei, aber schon auf dem Rückweg,
Genosse Jonas winkte ihnen liebevoll hinterher. Die beiden Künstler waren nur schwer
auf einen gemeinsamen Nenner gekommen bezüglich der Frage, ob
sie dem Genossen Jónás ein Trinkgeld geben sollten oder nicht. Die Lösung war
schließlich Unbedarftheit und dass beide so geradeheraus in jene sich anerbietenden
Augen blickten, und ihre Freude war eine so echte.
Die Stadt zitterte in der sommerlichen Hitze, Steine, Asphalt, Beton strömten Heißes
aus, und die vielen hellen Pastellfarben - sie trabten durch ein modernes
Stadtzentrum - sowie dieses Zittern machten die urbane Landschaft recht unwirklich
(und durch das Blinzeln war es, als würden zur Linderung Schleier zwischen den rauen
Steinblöcken umherwandeln), besonders, da sie beide betäubt das neue Buch
untersuchten (Magvető Verlag, Budapest) und alles andere - Geometrie, Jeans,
Kattunkleider und die Stimmen, die Stimmen — nur nebensächlich schmeckten. Tja, die
Künstler! In so einem Fall sehen und hören die nichts. (Ja, ja, es kann sich eine
sehr spezielle Raumwahrnehmung einstellen. »Scharf, eingedellt.«)
Oder doch? Denn sie »sahen und hörten« das Buch und ihr Herz - ihr
fachlicher Anspruch! - wurde vom großen Ereignis nicht erweicht. Herr Banga schäumte,
soweit es sein schönes, sanftes Naturell erlaubte. »Ich hab denen gesagt, sie
sollen es abfallend machen! Ich hab’s ihnen vorgekaut.«
Und er stieß den Meister an, dieser solle auch mal schauen. »Hm«, sagte
dieser, ohne den Kopf vom Text wegzubewegen, ein skeptisches Lächeln kräuselte seine
Lippen, die gemeinsame Anwesenheit von Freude und Trauer, wie jedes Mal, wenn er den
eigenen Text in sich aufsog, in sich einschmolz. »Und das Raster! «, kreischte Herr Banga auf. Nun vermochte auch der Meister
nicht mehr teilnahmslos gegenüber dem Freund und Mitarbeiter zu bleiben.
»Empörend! Was für ein Raster!«, sagte er mit anfechtbarem Mitgefühl,
während er in dem frischen, duftigen Buch blätterte, weil es gerade sein musste. Die
beiden namhaften Künstler blinzelten im frevelhaft strömenden Licht. (Kein zu
vernachlässigender Faktor!) Doch auch der Meister ward vom gerechten Schicksal
eingeholt. »Was soll das heißen: Butterhonigbrot ?«, fragte er erbleichend.
Herr Banga - der ein Gespür für die kleinen Realitäten des Lebens hatte, mit seinen
kleinen Händchen zähmte er die ihn umgebenden Gegenstände, er hat sich ganz aus
eigener Kraft dorthin gekämpft, wo er heute steht — hatte die Kraft zu fragen, und
zwar mit echtem Interesse: »Weißt du’s denn nicht? Mein kleiner Schnuck
...« Doch der Meister war für Scherze nicht empfänglich: nun ging es um seine
Haut. »Das heißt nicht Butterhonig-, sondern Butterhonibrot. So ist der Name. Ich habe es in den Fahnen zweimal
korrigiert!« - »Zweimal?«, tsitste ungläubig, in die eigene
Problematik vertieft, der Grafiker. »Einsam.«
Erneut war Rasen an der Reihe. »Wie fährst du denn?«, stellte Herr Banga
den Meister zur Rede; dieser hatte Verständnis für seinen Freund: wenn eine Kurve,
die der Meister nahm, nicht mit Herrn Bangas Harmonie korrespondierte, welche durch
dessen verlässlichen Geschmack bestimmt worden war, dann brachte er das zur Sprache,
er ließ sich von der konkreten Biegung der Straße nicht beeindrucken. Obwohl sich der
Meister schließlich darauf berufen musste: auf die Praxis.
Doch worauf konnte sich wohl Herr Banga berufen im Falle des von ihm gekochten
Kaffees, als das Paar schließlich angekommen war? Auf nichts. Er nahm die ihm
angetragene Kritik nicht auf. So wie der Meister nicht das neuerliche Antragen. Er
ärgerte sich gleichzeitig über zwei Dinge. »Wieso kann man eine Klammer nicht
abschließen? Wieso?«, polterte er. »Wenn man das mit Menschen doch
kann«, fügte er in der Maske Jimmy Carters hinzu. Doch Herrn Bangas flimmernder
Geist war bereits zum Lob übergegangen. »Du, Alter. Es ist aber doch ziemlich
gut geworden.« Was den Meister - kraft seines Gespürs für Proportionen - zur
Tadelung des Kaffees zurückbrachte. »Wissen Sie, mein Freund, es ist sehr
einfach, etwas zu tadeln.« Er setzte gerechterweise fort: »Oder zu loben.
Primitiv einfache Dinge sind das.« Mit seinem Näschen nahm er einen Happen aus
der Luftmasse der Küche der bequemen Kombinatswohnung auf. »Täubchen, das ist
Mausgeruch. Dein Kaffee riecht nach Maus.« Und er zeigte sogar mit den Zähnen
an, was für eine Maus. »Niff, niff, so eine Maus.«
18 Der Meister hüllte sich in seinen berühmt-berüchtigten Dichtermantel und nahm
Platz an seinem Platz; seine Hand hielt er - nicht auf »Gymnasiastenniveau«
- spielerisch auf Ungarns Bumsköpfchen. Das seidene Revers glänzte auf; gut erkennbar
war ein langes Haar, über dem sich, wie auf einem Wellenbrecher, das abendliche
Innenhcht uberschlug. (Auf der gegenüberliegenden Seite füge ich hiermit aufgeregt
die authentische Zeichnung eines Elements der berühmten Haarkrone ein. Womit ich den
Bewunderern vermutlich eine große Freude mache.)
Sie ließ ihren forschenden Blick wandern. »Hier, bitteschön, schon wieder ein
Haarbüschel! Wieso kratzt du dich so viel am Kopf?« - »Die schöpferische
Unzufriedenheit«, murmelte er. »Und ich darf aufräumen«, grummelte aus
Alibi das Weib. Sie machte sich um den Tee zu schaffen. »Earl Grey oder nicht
Earl Grey?, diese Frage stellt sich immer wieder.« Hier fing plötzlich Dorko
Mitics zu weinen an. »Was soll ich machen?«, fragte der Meister. »Was
wohl, deck sie zu«, die Frau schnitt eine Grimasse. Der Meister trippelte auf
Zehenspitzen zum Bettchen. Mitocska heftete ihre müden Königinnenaugen enttäuscht auf
den Vater. »Teddy.« - »In Ordnung«, der väterliche
es
kräuselt sich, wenn Er es wäscht Meister nickte, »da ich dir
ein guter Vater bin, hebe ich für dich den Teddy auf.« Und er bückte sich, um
den Teddy aufzuheben, doch als er das tat, rutschte sein Hacken auf dem Parkett aus,
er verlor das Gleichgewicht, die Beine glitten unter ihm heraus und er trat mit
voller Wucht gegen das Bettchen, die Gitterstäbe stürzten krachend nach innen und,
wie ein Linker Verteidiger in einem enthusiastischen Halbstürmer, landete der Meister
mit der Fußsohle in Dorko Mitics’ blumigem Engelsgesicht. »Ich Idiot«,
sagte er kurz. Die hereinstürzende Mutter schnappte sich das Kindlein, der Vater lag
zerstört auf dem Boden, in mehrfacher Weise. Aus dem Mund des Mägdleins sickerte
Blut. »Ich Idiot«, sagte er, nun verschwindend. Die Situation beruhigte
sich. Das Schluchzen des kleinen Mädchens und das unheilschwangere Geschnurps der
Wasserhähne (»Die Dichtungen, die Dichtungen des Franc!«) dienten als
äußerst eigentümlicher, dämonischer Hintergrund für die kommenden bedeutenden Worte
dieses Esterházy...
Zerstreut rührte er in seinem Tee (»Earl Grey — erneut nur eine Prise, zum Abschmecken«), während er in Herrn Dezsős Buch
blätterte. »Wie gut, wenn einer Dezső heißt«, dachte er bei sich. Frau
Gitti tat Zucker in ihren Tee. Diese Bewegung ließ den Meister in seinem nützlichen
und romantischen Höhenflug stocken. »Ist Zucker drin?«, fragte er,
bezüglich seines eigenen Getränks. »Wieso sollte es?«, fragte jene müde,
denn es war bereits Abend geworden. »Kein Vorwurf, nur eine Frage«,
beschwichtigte Esterházy Frau Esterházy. Anschließend fuhr er mit der Beschwichtigung
fort: Herrn Dezsős Buch landete mit einem unwürdigen Puffen auf dem Küchenstein, da
der Meister - sein Abendessen beiseiteschiebend - aufstand und sein Weib auf den Hals
küsste. »Mehr«, sagte die Frau in einem erratbaren Augenblick.
»Liebste«, sagte der Meister und setzte sich zurück an seinen Platz,
»Liebste ... Wo ist das Salz?« - »An seinem Platz.« Nach einer
winzigen Pause, in der sich Muskeln anspannten und lockerten, sprang der Meister auf
und holte das Salz. »Verlange, was du willst«, sagte er, sich vor seiner
Gattin verneigend. »Ich verlange das Salz«, sagte diese lächelnd.
»Heiterkeit hat sich zwischen deinen Augen eingenistet. Das ist gut.« -
»Du irrst dich«, antwortete der Meister mit beginnender schlechter Laune.
»Das ist meine Nase.«
Der Meister setzte sich in seinen großen und lieben Trumm von einem Armsessel und
walkte sich die Handflächen. Am Anfang der Saison reißt die Haut auf- es gibt dafür
auch nicht notwendigerweise einen Freistoß! –, und die permanente Arbeit sichert die zeitliche Verzögerung der Wundheilung, ihren Besitzer
damit vertröstend: die Wunde sei immer vielversprechender. Was hier Tatsache ist, ist
nicht viel: die Wunde ist immer vielversprechender. Es gelang nicht immer, die
Schlacke gänzlich herauszuwaschen, so konnten sich spontane kleine Inseln bilden,
welche auf Druck »Eiter tränten«. (Da die immer mehr anwachsende Menge der
sich Konservendosen gleich entleerenden menschlichen Beziehungen den Meister so sehr
betrübte, kam es auch schon vor, mal »unter freiem Himmel«, mal am äußersten Anfang eines Metroeingangs, dass er, wenn er in der
Handfläche eines Mannes seinen Stigmen teuflisch ähnliche Wunden sich ausbreiten sah,
diesen ansprach: »Auch Kleinfeld?« Und der Antworten sind so viele verschiedene welche!)
»Lass den Abwasch«, rief der Meister in die Küche hinaus, »ich mach
das schon.« - »Es ist kaum noch was«, jauchzte die Gattin zurück.
»Na gut«, er gab nach, und sein großer, durchdringender Blick schweifte
über einen auf dem Tisch daniederliegenden Brief. Die ältlichen, zittrigen Zeilen und
die aus manchem schwungvollen Buchstaben strahlende tragische Kraft verrieten ihm
sofort den Absender des Briefs. »Dieser Rubinstein hat versprochen, am Abend
heruberzukommen «, las er, »und Rachmaninow zu spielen. Aber er spielte
Chopin-Etüden und ich muss sagen: falsch. Außerdem aß er meine sämtlichen Sandwiches
auf. Ein Glück, dass reichlich da war, Sie können es sich vorstellen, lieber
Péter.« Der Meister lächelte. »Oh, ja. Die Sandwiches mit Salami, Lachs,
weißem Braten, Lungenbraten, mit Kaviar, Sardinen, Eiern, Schinken und Butter.«
- »Ja, sehen Sie, sehen Sie, je älter ich werde«, hieß es weiter,
»desto boshafter werde ich. Die Güte und die Ungeduld schleifen sich von mir ab,
eine immer dünnere Greisin werde ich.«
Frau Gitti kam vorsichtig aus der Küche, die Hände leicht von sich weghaltend, von
den Fingerspitzen tropfte Wasser, dann wischte sie die Handfläche am Jeansrock ab:
der Stoff spannte, der Meister konnte mit Freuden die schwungvolle Linie der Schenkel
erkennen, welche weiter oben so erregend abbricht. »Du bist schön ...« Nach
dem kurzen Getändel, dessen Details das schuldige Taktgefühl unbeleuchtet lässt,
verwickelte sich der Meister in eine auch aus literaturgeschichtlicher Hinsicht
interessante Konversation mit seiner treuen Gefährtin. »Ich habe im Brief der
Tante Jolänka gelesen ... Eine wundervolle alte Frau.« - »Die Arterien sind
schon etwas verkalkt«, sagte die Gattin nach ein wenig Nachdenken.
»Ja.« Der Meister ließ seinen verschleierten Blick über den Horizont
gleiten (seine Hand erneut auf dem Bumsköpfchen, spielt mit ihm, zerzaust es, wieder
und wieder) und fing dann, langsam, damit der treue und ergebene Notierer genau
notieren konnte, zu reden an. (Genau! Was für ein törichtes Wort! Denn wie könnte ich
die Seidigkeit der die Worte begleitenden Worte, die Operette der die Worte
begleitenden Gesten, die wagemutigen Kurven der die Worte tragenden Stimme, den
gelegentlichen Schluckauf, das Blinzeln der Augen, welche die Worte mit
Anführungszeichen krönten oder auch dethronisierten, wiedergeben. Und überhaupt die
ganze Situation! ... Eine schwere Kunst. Doch es sei mir erlaubt, mich auszuruhen:
schööön.)
»Tante Jolánka ist eine wichtige Station meiner geistigen Entwicklung. «
Frau Gitti fasste das Briefpapier an. »Das ist vielleicht ein Papier «,
sagte sie anerkennend. »Einst war sie eine schöne Frau, mit einem riesigen
braunen Dutt, einem trägen, selbstsicheren Blick, welcher wie eine Möwenkönigin, ich
sag’s noch mal, Silbe für Silbe: eine Mö-wen-kö-ni-gin jedem neuen Gegenstand und
jedem neuen Menschen mit der gleichen Ruhe zuflog, alles ermaß. Ich saß oft auf ihrem
Schoß, sowohl mit dem Rücken zu ihr, den Rücken gegen ihre Brüste gedrückt, als auch
mit dem Gesicht. Letzteres mochte ich nicht, da ich meine
Schenkel dazu sehr kräftig auseinanderspreizen musste.« (Dies mag er auch heute
nicht. Wenn der Linke oder der Rechte Verteidiger - beide, aus verschiedenen Gründen,
leidenschaftliche Motorradfahrer - ihm anbieten, ihn bis zum Bus hinauszufahren, zwei
Ecken, hesitiert er lange, ob er annehmen sollte, um dann während der Fahrt große
Angst zu haben. »Jani, Fichte, langsamer, ich habe Angst!«, brüllt er im
bürstenden Wmd, und hinterher tastet er lange seine Leisten ab, die Schenkelgelenke.
»Du bist vielleicht abgerissen, Kumpel. «) »Beizen?« Frau Gitti
faltete ironisch eine Windel zusammen. »Wissen Sie, mein Freund, sie sah bereits
das Misslingen dieser kuhlen Annäherung kommen. Dass das, mein Freund, Egoismus
war.« Schwungvoll fuhr er fort: »Ebenfalls Letzteres mochte ich deswegen so
leidenschaftlich ...« - »Eine brave Dialektik!« - »Klappe. Ich
arbeite. « Ja, so ist es: Kunst ist Egoismus, wie ich das irgendwo gelesen habe.
(Das ist natürlich nicht derselbe »Egoismus« wie der oben genannte.)
»Nun also, ich liebte diese unbequeme, gespreizte Position, weil ich von ihr aus
unverhohlen ihr wunderschönes Gesicht betrachten konnte. Aus jener Position, aus der
damals noch ziellosen, doch bereits aufregenden Wärme des Schoßes, bot sich vor allem
die Nase zum Beobachten an ... Jener Pfad, der von den Brauen bestimmt war und über
den der Blick laufen konnte wie ... wie ...« — »Ein Haaase!« —
»Danke, Täubchen. Wie ein Hase, wurde an der Nasenwurzel un sicher. Der Anfang
der Nase verbreiterte sich etwas, aber sehr fein nur, durchscheinend, wie ein
kleinstädtischer Platz, so dass ... ähm ... das Bild Joe Luis’, des Braunen Bombers,
wie der unglaubliche Schatten eines Flugzeugs vor dem Betrachter auf- und vorbeiflog.
Dies impfte der ansonsten klassischen Nase eine gewisse Unsicherheit ein, eine
aufregende Aggressivität, welche, aber das war nur noch aus meiner damaligen, nur
wenigen gegebenen Position feststellbar, welche von den dunklen, schattigen
Nasenlöchern verstärkt wurde.«
Oho, aber seine Einstellung zu dieser zauberhaften Frau ist bei weitem nicht so
ästhetisch. Der ungebrochene Glaube, den diese strahlend kluge, deklassierte Frau
(»trotz allem!«) ausstrahlte, hatte/hat eine große Wirkung auf den Meister.
Na und ihre Fraulichkeit! »Jolánka, Teure«, sagte er in taktloser Weise bei
einer späteren Gelegenheit, »ab nun können Sie meinetwegen so alt sein, wie Sie
wollen, für mich bleiben Sie immer eine sog. attraktive Frau.« - »In den
fünfziger Jahren wurde sie verfolgt.« Aber nicht so, wie die Feinde des Volkes
im Allgemeinen, sondern wie in einem Farbfilm. Sie floh von Gehöft zu Gehöft.
»An einem Ort drosch sie monatelang jeden Abend mit dem ortsansässigen
Polizisten unter dem Nussbaum Karten. « Dabei hätte man an ihren Händen die
nichtbäuerliche Lebensform gleich erkennen müssen! Der Meister konstatierte das zur
damaligen Zeit: »Na, ßie ham abba net vü gschafft.« Und der kleine Palotze
— denn im Anfang fing er so an — drehte und wendete die seidige Hand, als wäre es ein
Ding vom Mond. (Eine ähnliche klassentypische Bemerkung in einem ähnlichen
Themenkreis: »Sagen S’. Wie kann ma auff so klaine Füss lauffa?!«) Der
Meister lebte bereits mit sich verbessernder Tendenz im Familienkreis (»Kreis:
Abdruck von Gläsern auf klebrigen Caféhaustischen. Definition.«), als es
spätabends klingelte. Dem Meister fehlt auf konstituierende Weise jener Reflex, der
seine Eltern auf so einen Effekt zusammenkrampfen lässt (»Der Oho-Effekt, mein
Freund, ist das! Angemerkt sei, daran ist etwas Wahres. Aber woran nicht?!«), so
war es lediglich Neugierde, die ihn an die Glastür trieb - an der man unter kluger
Handhabung des Vorhangs auch verbotene Filme schauen konnte -, von der er aber,
damals, ohne Erklärung, fortgejagt ward. Der unerwartete späte Gast war Tante
Jolánka. Sie war gerade noch auf der Flucht. Sie ging noch vor dem Morgengrauen
weiter. Der Meister schlief nicht. Äußerst aufregend. Das eine Bein der Tante Jolänka
existierte nicht, respektive war es ein Kunstbein. Ihren Ruhm hatte sie während des
Kriegs begründet (in + wie - Richtung), mit ihrem konsequenten christlichen
Verhalten, das in dem gegebenen Fall den Schutz jüdischer Kinder (Alimentierung,
Liebe etc.) bedeutete; doch deswegen hielt sie sich selten in Schutzräumen (Wortspiel
— E.) auf und so war ihr Bein ... Welches umschnallbar war! Hieraus erwuchs die
spätere rückenerschauernde Besorgnis der Eltern des Meisters: »Du, ist ihr Bein
auch nicht hiergeblieben? Eines ihrer Ersatzbeine?« - »Man müsste es
verheizen. « - »Aber die Haut! Du weißt, wie stinkend die verbrennt!«
So frivol kann Hilfsbereitschaft sein.
Am Anfang des Aufenthaltes auf dem Dorfe schlief der Meister in einem Zimmer mit
Tante Jolánka. Und mit noch vielen anderen. - Die harte Kindheit war es, die den
Meister abhärtete, so dass er auch in den heutigen seidigen Zeiten so hart wie ein
Fels sein kann. Tu es Petrus, wie ich bereits andeutete ... Obwohl, das kleine
familiäre Doppelkinn ... »Wissen Sie, mein Freund«, erwähnte er mit dem
weisen, ergreifenden Schmerz großer Männer, »wissen Sie, auch ich fülle nur das
durch mich entstandene Vakuum aus.« Nun, so ist es: sehet die Tragödie der
Endlichkeit, welche uns allen gemein ist, die wir nicht der Allmächtige sind. Und hier ist er eins mit jedermann! - Abgetrennt durch einen
Vorhang war auch die furchteinflößende Urgroßmutter da. Der Meister fürchtete sich
vor ihr wie vor dem Feuer. Sogar die Mutter des Meisters hatte Angst vor ihr.
»Sie sagte uns immer: Mangez du pain, mes enfants, sinon vous sentirez les
renards! — das heißt, wir sollten Brot zum Fleisch essen, sonst würden wir stinken
wie die Füchse!« Nun schien das dort, damals, keinen Problemkreis darzustellen!
»Sie betrachtete einen durch ein Lorgnon! Das allein schon!« Ihre Haut war
gelb, ihr Gesicht hart. Der Meister hörte immer nur, was sie für ein großer Herr sei.
Lange Zeit dachte er: Urgroßmutter sei der König! Sie war bloß aus irgendeinem Grund
jetzt da bei ihnen. Sie sagte den ganzen Tag so gut wie gar nichts. Man musste ihr in
einem fort die Hand küssen. Und wenn sie den durch den Meister realisierten Handkuss
hörte, und ein leises Schmatzen kann man sich zu jedem Kuss
vorstellen, riss sie ihre kalte, knochige Hand hoch und schlug den Meister quasi auf
den Mund damit. »Ich fürchtete mich sehr.« (Überhaupt war der Meister in
dieser seiner frühen Phase in den mannigfaltigsten Situationen zur Furcht fähig!
»Mein Gott.«) Einmal saß eine schwere, tiefsommerliche Wärme über der
Landschaft. Am Ende des Laubengangs, neben der Regenwasserzisterne, saß die
Urgroßmutter in ihrem Schaukelstuhl. Um ihr hochgeschlossenes, mit riesigen Rüschen
gesäumtes schwarzes Kleid brummten Bremsen. »Wissen Sie, mein Freund, man konnte
auf eine Weise schauen, dass man gleichzeitig die Spitzen und den Misthaufen
sieht!« Und zwischen diesen beiden die Urgroßmutter. Der Meister trieb sich
gerade dort herum, als die alte Dame einen sogenannten Unterleibston verlauten ließ.
Dieser Zeitpunkt markierte das Ende der Furcht! Nun konnte des Meisters rosiger
kleiner Mund infolge eines Handkusses sogar aufplatzen! Die arme alte Urgroßmutter!
(»Mein Freund, ich sah es damals etwas differenzierter: Arme, alte Urgroßmutter.
Sowie: Verrecke!«)
Urgroßmutter und Tante Jolánka hassten sich, gelinde gesagt. Als man Tante Jolánkas
Tochter ins Lager nach Kistarcsa brachte und die Mutter sich mit Tränen in den Augen
zu ihrer gewohnten Deutschstunde neben den Meister setzte, warf ihr die Urgroßmutter
mit einer plötzlichen Heftigkeit, fast Grausamkeit hin: »Liebe Jolán, es ist
besser, Sie schweigen, liebe Jolán!« Dabei hatte Tante Jolánka kein Wort gesagt!
Darauf folgend sprachen die beiden Frauen nie wieder miteinander. »Die eine
starb, die andere wanderte aus.« - »Wissen Sie, lieber Péter, um mich herum
sind alle gestorben, und ich bin etwas müde geworden.«
»Onkel Tibold hat sie viel geschlagen«, warf als eine Art vox diaboli die
gute Frau Gittu ein, die sich immer mehr in den Hintergrund zurückzog, um von dort
aus diesen oder jenen Blick herauszufeuern. Es gab also einen Vordergrund und einen
Hintergrund. »Er schlug sie nicht, er ohrfeigte sie nur.« Der Meister
straffte seine Handfläche, an den Rand der angepolkten Wunden setzte sich, »wie
Tau auf das morgendliche Gras«, etwas Sekret: »die Wunde säftelte«
(äquivalenter Ausdruck des Meisters). »Wie oft habe ich auf dem Schoß der
Jolánka gesessen, und wir haben uns im Kino Filme angeschaut, den ersten Teil der
Schlacht um Stalingrad. Zu uns brachte man immer nur den ersten Teil. Aber der war
auch dufte. Und da wir zu zweit nur auf einem Stuhl saßen,
blieb das Geld, was ich fürs Kino bekommen hatte, übrig. Reingewinn. « Und für
das Geld hat er Bücher gekauft. Der knospende Verstand verschlang die 100 Wunder der
Welt! Oh, die Bücher aus der »Billigen Reihe«! Eingerissen, fransig,
schmutzig waren sie, aber was zählte das schon damals!... Wie ein Lumpenball!
»Und die Glut, aber bis zum bitteren Ende!« Und dann sagte der Meister,
aber so, als wollte er, man möge glauben, er sage, was er sagt, deswegen so leise,
weil es keinen »anderen« (das ist ein Scherz!) etwas angeht, vielleicht
noch nicht einmal den Meister selbst: »Maxim wälzt sich in seinem
Grabe.«
Der Meister betrat erneut die Blumenwiese der Geschichten, also schnuppern wir mit
ihm zusammen, schnuppern wir! Und es begab sich einmal, als er mit der Tante Jolánka
aus dem Kino nach Hause kam, wo sie wieder den ersten Teil der Schlacht um Stalingrad
gesehen hatten, dass zu Hause in einer Ecke Herr Mihály saß und mit einer vom Weinen
immer wieder brechenden Stimme, langsam, langsam, bald anhaltend, bald davonsprengend
sprach: »Der arme Papi, man hat ihn so verprügelt, es wäre besser gewesen, sie
erhängen ihn, das hätte nicht so weh getan.« Der Meister wandte sich an seine
Gattin: »Leider wurde auch daraus eine Familienstory. Man muss sie in folgender
Weise erzählen: Und dann setzte sich der kleine Mihály an das Klavier, doch nach
einigen Läufen hörte er zu spielen auf. Wir waren nicht erfreut, so viel ist sicher,
wir dachten, er wäre hängen geblieben. Doch er, stellt euch vor, vor den Augen
aller!, stand auf und nahm sich ein Sandwich, das er zu verzehren begann. Die anderen
schnaubten selbstverständlich vor Wut. Die alten Schrapnellen, so!, fressen immer
alles weg, sagte Györgyilein immer. Marcilein musste noch gestillt werden, es gab
viel Herumgerenne, Mihälyka bemerkte: Wäre eine Ziege nicht plaktischer? Ist das nicht süß?! Von wegen plaktischer. Natürlich musste es
einem um Marcilein auch nicht bange sein, er war derjenige, der mich - natürlich später erst - fragte: Sagen Sie, Mami, sind Sie noch
Jungfrau? Was soll ich meinem vierten Kind darauf antworten? Ich wollte ihm keine
Enttäuschung bereiten ... Doch zurück zu Mihályka, in der einen Hand das Sandwich,
die andere noch auf der Klaviatur, und im Kreis herum die Gäste, beziehungsweise die
alten Schrapnellen, als er mit einer leichten, belehrenden Stimme sagt: Der arme
Papi, man hat ihn so verprügelt sechsundfünfzig, es wäre besser gewesen, sie hätten
ihn erhängt, das hätte nicht so weh getan. Da stand er, in der großen Stille, und
lächelte, jetzt stellt euch mal vor ...« Der Meister leckte seine Handfläche ab
(bei weitem nicht alle zehn Finger: da ist er sich selbst gegenüber viel
unerbittlicher!). »Irgendwie so muss man es erzählen.«
Der Meister ward schon von früher Jugend an »von den dunklen Engeln des
Kopfschmerzes heimgesucht«. (Wie er zu sagen pflegt, spürt er derart, er ist ein
Intellektueller.) Mehr noch, die Schmerzen dieses zarten Alters waren migräneartig!
Wie bei einem Erwachsenen! (Er war nicht frühreif, nur reif.) ...Jenes Jahr (»tja, wir sind taktvolle Elefanten, mein Freund, in einem
Porzellangeschäft«), das siebenundfünfzigste dieses Jahrhunderts, ist für den
Meister eine große, komplizierte Erinnerung. Seine schmähliche Niederlage. Warum? Es
lässt sich alles auf den Pappendeckel-Fünfer zurückführen. Der Meister war im Grunde
immer ein guter Schüler, allgemach ein langweiliges Musterkind, und ein netter,
wohlerzogener Junge. Nun, er galt damals als erstklassiger Erstklässler, und man
bekam für drei Fünfer, der damals die beste Note war, einen Pappendeckel-Fünfer, den
die Frau Lehrerin Mária Katona höchstpersönlich herstellte und überreichte. Nun aber
avancierte in einer kurzen Periode im Herbst jenes Jahres plötzlich die Eins zur
besten Note. Der Meister hatte Dank seines Fleißes und seiner Begabung auch schon
zwei Pappendeckel-Einser erlangt. Dann aber ging der eine verloren und die Regel ging
so, denn das Verlieren kam häufig vor, dass der dann nicht galt; auch wenn sich alle
an ihn erinnerten. Aber daraufhin betrog er und stellte mit Hilfe des Nachbarn, des
Leiters der Nagelschmiede, einen Pappendeckel-Einser her. (Keine leichte Arbeit.)
Doch Lügen haben bekanntlich kurze Beine ... Allein schon der Morgen! Soldaten kamen,
um die Wohnung durchzusehen. Durchzukämmen. Papierblätter flatterten. Der Meister
stand da mit seinen Eltern, in einer Reihe, wie auf einem festlichen Tableaubild. Die
Angespanntheit der Gesichter korrespondierte zu 100% damit. Der Meister betrachtete
die Soldaten mit großem Respekt. Jene fragten, ob man Waffen hätte. Sie sagten: Nein.
Herr György aber sagte: Ja. »Die Wangenknochen! « Sie baten, der kleine
Braunschopf möge ihnen die Waffe oder die Waffen zeigen. Herr György kam der Bitte
zuvorkommend nach und kramte unter dem Bett die Schnippgummipistole hervor. Er bekam
dafür eine große Backpfeife. Der Meister verabschiedete sich, etwas schadenfroh, von
seinen Eltern, da er in die Schule gehen musste. Einer mit einer Maschinenpistole
ließ ihn im Hof die Schuhe ausziehen, um zu sehen, was er darin trug, doch es waren
nur seine Füße! Durch die Löcher im Lauf der Maschinenpistole war der Himmel zu
sehen, wieder und wieder.
Und in der Schule kam heraus, dass inzwischen wieder die Fünf die beste Note war. Das
bedeutete einen großen Nachteil für den Meister, da es, um Missbrauch zuvorzukommen,
keinen »Umtausch« gab. (Denn man hätte ja auch für echte
Vorperioden-Einser, also Nichtperioden- Fünfer, Pappendeckel bekommen können.) Reden
wir nicht von den Furchen, die ihm ins Gewissen gezogen wurden, reden wir nur von den
Kopfschmerzen, die das kleine Kind (ihn!) quälten. Das »Herausströmen aus der
Schule« wurde zu einem Heraustaumeln. Er war so zerquält, dass er auf dem
Hauptplatz stehen bleiben musste. Dort standen viele Menschen, er stand hinter deren
Rücken. Er sah große, schwarze Rücken; an etwa fünf verschiedene Mäntel, alle
schwarz, kann er sich genau erinnern. Einer der Mäntel drehte sich um, ein altes
Gesicht mit Bart, sah das blasse kleine Kind und schob es sanft beiseite: »Geh
nach Hause, mein Kleiner.« Er wankte in den kleinen Hof der Post. Er lehnte sich an die Wand. Er sah die Salpeterflecke ganz nah, als
ihn fürchterliches Kotzen (Entschuldigung! Entschuldigung!) überkam. Er hatte das
Gefühl, nichts in ihm würde zurückbleiben. Eine seiner lang anhaltenden - sozusagen:
zurückkehrenden - Erinnerungen daran gilt einem Karottenstückchen, das sich nur sehr
schwer von einem nicht dafür vorgesehenen Platz lösen wollte! Plus der Geruch. Als
er, weißgesichtig, wieder auf den Hauptplatz hinausstolperte, ein wenig erleichtert,
jedoch beträchtlich schauderhaft!, gingen die vielen Menschen gerade auseinander, und
er konnte in der Mitte drin seinen lieben Vater geschlagen sehen, denn damals
funktionierten seine Augen noch gut, und unten, zu den Füßen des Vaters die
auseinandergespreizte (heruntergeschlagene) Brille. Doch das Erbrechen hatte ihn so
in Anspruch genommen, dass er sich gleich umwandte und nach Hause ging. Als dann des
Meisters Vater am dritten Tage ankam, im karierten Hemd, mit der zerbrochenen Brille
und einigen Absonderlichkeiten im Gesicht und auf der wunderbaren Stirn - diese
sachlichen Hinweise konnten auch von anderen Gelegenheiten her bekannt sein -, wusste
er mehr als andere, und er schätzte die Männerfreundlichkeiten der väterlichen Hand
auf seinem Kopfe hoch. Auf Herrn Györgys oberflächliche Frage nahm des Meisters Vater
die Brille zur Hand, drehte und wendete sie, sein Gesicht wurde fremd, besonders die
Augen zogen sich unbekannt zusammen, und so sagte er: »Sie ist
hinuntergefallen.« Das Gefallensein war hier das dominierende Element.
(»Und seine müden Züge wurden von drei parallelen Furchen
durchkreuzt.«)
»So ungefähr muss man es erzählen, und an dieser Stelle kann dann nach Belieben
eine Palotzengeschichte eingefügt werden, irgendwos
deft’ges.« (Hoho! Als zum Beispiel der Herr György auf des Meisters Fuß
trat, oder umgekehrt, in der Kirche. Und dann, in der großen, andächtigen
christlichen Stille die kleine Piepsstimme, einem Engel gleich [wenn Herr György
zutrat, gehörte sie dem Meister, wenn der Meister, Herrn György]: Veadammté Scheissé!! - Auweia, was für eine Qual, allgemein
gesprochen, diese Mondänität, in die ich gezwungen werde.) Hier klingelte es.
»Wer ist das?«, fragte er, ohne nachzudenken, doch fälschlicherweise Frau
Gitti, die genauso uninformiert bezüglich des Klingeins war wie der Meister selbst.
»Woher soll ich das wissen, mach die Türe auf«, antwortete dementsprechend
die Frau; doch als der Mann, bereits an der Tür, sich beleidigt umsah, warf sie ihrem
Gatten Küsse zu, wie eine Primadonna, um anzuzeigen, der vorangegangene Satz habe
sich zufällig so hart zusammengefunden. Um seine Erweichung auszudrücken, sprach der
Meister erweicht, auf den Klingelnden pfeifend. »Wegen der Symmetrie müsste man
doch eher mit einer Péterchen- Geschichte schließen, so: Und er hatte schon als ganz
kleines Kind!! Schmutzverschmiert war er, winzig, stand in kurzen Hosen, >in der
Gate<, im Garten und verfolgte mit dem Schlauch eine kranke Katze, die schon seit Tagen im Schutze der Sträucher umherstreunte. Diese
Katzen sind furchtbar! Und krank sind sie geradewegs ekelerregend. Doch Péterchen,
der ein echter Lausbub und ein sensibles Seelchen zugleich war, erahnte etwas von der
Vergänglichkeit der Katzen, was ihn nicht daran hinderte, mit einer klugen Regie des
Wasserstrahls das Aas aus seinem Gebiet zu vertreiben. Doch als dieses auf die Straße
hinaussprang und für einen Moment seine nasszottelige und klägliche Figur zwischen
den Sträuchern aufblitzte, und sofort danach das Quietschen von Autoreifen zu hören
war, sprach Péterchen also: Ich sterbe. Mein Buch wird betreut vom Magvető Verlag,
aber später erhole ich mich von schwerer Krankheit... Nun sag einer was dazu. Und er
hielt nur den Wasserschlauch vor sich hin, die Pfütze wuchs, er rührte sich nicht,
und allmählich stand er selbst im Wasser.« - »Nun geh schon!«,
flüsterte Frau Esterházy. »Ich komme«, rief der Meister. In der Tür standen
zwei Männer: ein dünner, graumelierter und ein junger »mit lockerem
Fleisch«. Der graumelierte Dünne war sympathisch (auf den ersten Blick), der
andere war auf den ersten Blick nicht so sehr sympathisch.
19 (wäre) »nach dem Spiel aufgespannt bleich auf eine Oberfläche gepresst
faschiert mit hohler Brust abgerissen lärmend liegen an der Strafraumgrenze sein die
Linie das Kissen und machen die Müdigkeit und die plötzlichen Biere die Sicht klar
die Geometrie der Umgebung scharf gedellt empfinden und mehr
noch dessen Teil sein sich sehr fürchten diese immer und immer wieder zu verfehlen
liegen also an der Strafraumgrenze mit erhobenen Händen in Einzelteile zerlegt und
wieder zusammen die Bewegung der Wolken beobachten und in diesem aktiven Gelähmtsein
zu all dem geschehene Geschichten naiv erfinden. « Wie eine bescheidene kleine
Sturmwolke beugte sich der Alte zum Meister. Sein Gesicht wurde alles. Sein
schielendes Auge blickte man weiß nicht wohin, säuerlicher Weingeruch und der Geruch
des Alters umgaben ihn; dennoch, der Meister »wehrte sich« nicht.
»Grüße Sie, Herr Pék.« Der andere winkte, gut, gut, aber darum ginge es
nicht. So winkte er. »Wo fehlt’s denn?«, fragte der Meister, als er die
Besorgnis sah. »Stimmt es?«, fragte heiser der Oberste Schlachtenbummler,
wie einer, der wohl weiß: es stimmt. »Was ?« Von hier an sagte der Meister
abwechselnd die Wahrheit und nicht die Wahrheit, jedenfalls log er bis zum Schluss
gleichmäßig durch. »Dass Sie gehen.« - »Wer?!« Herr Pék sah den
Meister an. »Na, Péter«, sprach er ihm zu, der Stürmer möge Vernunft
annehmen. »Stimmt es, dass Sie zur Kerület gehen, Péter?« —
»Nein«, sagte er, und das stimmte auch so.
Denn es waren erschienen die Aktentaschenmänner, und er
verspürte eine Neigung. Doch was sind denn nun diese Männer mit den Aktentaschen? Da
die leiblichen jüngeren Brüder des Meisters - im Gegensatz zu einer kurzen,
hoffnungsvollen Periode des Meisters - mit ihrer Ballkunst auch Geld verdienten, kann
man eine passende Szene leicht rekonstruieren: Sagen wir, Herr Marci zieht die oberen
Zähne über die untere Lippe - man kann es ausprobieren; er sieht aus wie jemand,
»der gerade die Spinne aus der Ecke herausbeißt« —» krümmt den Finger
und schlägt wild nach vorne aus. »Wumm«, sagt er feierlich, »und dann
kommt der groooße Aar«, hier hält er, scheel, als würde
er die Hand aufhalten für ein Trinkgeld, die Hand auf, »und legt die viiiielen,
viiiielen Adlereier ab.« Das sind also die Adlereier. Nun
also, wenn in der Nähe des Platzes ein fremder Mann mit stechendem Blick auftaucht,
mit einem in dieser Gegend seltenen Diplomatenkoffer in der Hand (»das ist
Poesie«), dann ist nichts einfacher als zu denken: »Er ist es. Der
Spieler-Agent. Und in der Tasche sind die viiielen, viiielen Adlereier.« Und
zwischen den Zähnen wird stolz herausgepresst: »Die Männer mit den Aktentaschen
sind erschienen.« (Das läuft im Grunde am Ende jeder Saison so ab. Vielmehr:
lief, denn die Zeit: bleibt nicht stehen.)
Die Männer mit den Aktentaschen erschienen und klingelten. »Péter, mein Lieber,
wir fühlen im Grunde nur ein bisschen vor.« Frau Gitti spitzte misstrauisch die
Ohren. Den Namen des sympathischen, graumelierten dünnen Mannes kannte der Meister
per Reputation. »Péter, mein Lieber, Sie würden uns für Jahre von unseren Sorgen
befreien. « - »Möchten Sie Kaffee?«, fragte Frau Gittu, mit wenig
Vertrauen. »Wenn es nicht zu viel Mühe macht, Küssdiehand«, sagte der
andere, der junge Dickliche. »Schauen Sie, Péter, mein Lieber, wir wollen Ihr
Bestes.« Der Junge kicherte dazwischen. »Und natürlich unseres.« Der
Graumelierte sah ihn wütend, der Meister anerkennend an. »Péter, mein Lieber,
Sie können verlangen, was Sie wollen.« Der Meister lächelte. Auch der
Silberhaarige lächelte, zart. »Das heißt, was hier, im Unterhaus, so üblich
ist.« Eine kleine Pause stellte sich ein. »Und vergessen Sie nicht, Péter,
mein Lieber, wir können alles, auf der politischen Schiene alles erledigen.«
Frau Gitti trat ein mit dem fertigen Kaffee. Der Meister sah sofort, dass eine Tasse
nicht so voll war, und wusste, das war seine. Es ist ein Zweitassenapparat. »Auf
der politischen Schiene«, sagte er und nickte. Frau Gitti sah ihn fragend an.
Der Graumelierte fing an, von einigen seiner ehemaligen Verpflichtungen zu erzählen;
die aufflatternden Namen machten den Meister einigermaßen befangen. »Das ist
vielleicht ein Kaffee, Küssdiehand«, tönte der Jüngere. »Na dann,
Péter«, sagte der Mann mit der Aktentasche beim Abschied, »leiten wir die
notwendigen Schritte ein.« - »Wir melden uns«, sagte der Dickliche
schon von draußen; die Tür wurde praktisch über ihm geschlossen.
»Man sagt, Sie gehen weg, und zwar zur Kerület«, sagte Herr Pék unsicher,
denn er hatte bemerkt, dass der Meister die Wahrheit gesprochen hatte. »Sie
wissen ja, wie das ist, Herr Pék. Man erzählt sich so vieles …« - »Peti, im
Herbst klotzt ihr aber ran.« - »Das machen wir.« Na, das war jetzt
wieder eine Lüge.
Der nach Honig duftende Sommer stellte sich ein; der Meister brach auf zu einer
europaweiten Tournee, eine Art Vorleserundfahrt in einigen Kulturzentren. Herr Böll
stellte sich aufgeregt von einem Bein aufs andere, Herr Handke knabberte sich die
Nägel ab, Herr Sartre zündete sich eine Zigarette nach der anderen an, Herr Mészöly
strich sogar zweimal über sein Borstenhaar. Europa lag dem Meister zu Füßen und
streichelte das Haar auf seinem Schienbein gegen den Strich. So viel sei gesagt,
Europa ist gut davongekommen: müsste es Herrn Marcis Holzbeine streicheln, über und
über mit Splittern voll würde seine Hand…
Gestürzt durch die terrassige Gestaltung sanfter Auenlandschaften, über Pfade, die
sich durch üppiges Unterholz wanden, durch längliche Zypressen und durch Eichen,
welche Eichen für die Natürlichkeit stehen, durch Kakteen und Tamarisken und durch
stürmische Jahrhunde, stand er nun da, in schwerer, würziger
Luft — auf einem fruchtbar großen Empfang. (Zu seinen Ehren?)
Ai, es wuselte nur so das Heer der Knechte, Halsschleifen krachten, Aperitif folgte
auf Aperitif. Er hatte sich, was von einer großen Routine kündet, Orangensaft
besorgt, mit Hilfe dessen er sich eine Art Bowle aus dem
Hochprozentigen machte. »Na, Mutti, da kannst du mit einem echten Prinzen
trinken.« — »Nur ein Graf.« Er wies das ungebetene Lob oder den Tadel
von sich, mit jener Verständnis zeigender Freundlichkeit, die er so sehr nicht an
sich mag. (So ein erbarmungsloser Kritiker seiner eigenen Taten, Reden und seines
Schweigens ist er.)
Das Zimmer war ein Saal, riesige Lüster verströmten ihr kaltes Licht, man konnte alle
gut in Augenschein nehmen, doch weiter drinnen entstanden Ecken, Salons, wo in warmen
Farben Stehlampen schnurrten. In diesem Moment entdeckte er die Gastgeberin in einer
märchenhaften Tunika, mit einem nie gesehenen Make-up! Ja: Gina Lollobrigida!!! Der
Meister sah die Frau an und es war, als stürzte er in einen tiefen Brunnen; von der
Umgebung blieb nichts übrig, nur das sich schnell drehende Rundrund des
Brunnenkranzes (der Kreis!), die moralischen Reserven und seine Betrachtungsweise
wurden zu nichts als glitzerndem Moos inmitten des Sturzes, rutschigem, schlierigem,
wogendem Moos. Er sah auch sofort die Krähenfüße und andere Zeichen der Zeit; dieses
Gesicht war noch schöner-mitgenommener als das der Erika Bodnár. (Bei einer
Gelegenheit, vor dem Fernsehapparat sitzend, war es Frau Gitti angekommen,
kritisierend Folgendes zu sagen: »Schau, Süßester, die hat Krähenfüße!« Er
brach mit unglaublicher Heftigkeit aus. - Frau Gittis Boshaftigkeit Frauen gegenüber
ist sprichwörtlich. Wie die des Herrn András bezüglich der Kollegen. »Ja, ja,
nicht schlecht, aber sie hat eine Laufmasche.« - »Groß sind sie, zugegeben.
Aber stell sie dir mal ohne Halter vor!« - solche
Bemerkungen sind an der Tagesordnung. — Und der Inhalt des heftigen Ausbruchs war,
dass der lausigste Faltenwurf der Lollo mehr wert sei als all die sterblichen Frauen,
so wie sie da sind.)
Es ergab sich, dass, als sie zugleich nach den Oliven griffen, ihre Hände
aneinanderdotzten. »Pardon«, sagte Gina. Wie 100 Bratschen. Tausend. Kein
Lächeln, nur ein Blick, welcher länger war als notwendig. Der Meister ließ die Olive
fallen; diese purzelte über seine Hose. Da er sich so beferkelt hatte, bot der
Weltstar seine Hilfe an. »Ich werde Ihre Hose reinigen, Péter«, sagte
Lollobrigida. »Lassen Sie, das macht nichts, ist ja nur eine Jeans.« Er
scheute eine solche Trivialität. Doch auch später, über die Köpfe der vielen
Eingeladenen hinweg, sah die Frau den Meister an — er jedoch schüttelte heimlich den
Kopf… In einem der inneren Räume hüpften Pingpongbälle. Lollo wollte mit dem Meister.
Er überließ ihr ziemlich lange die Führung, doch dann schlug er den doch ziemlich
verwöhnten Filmstar mit harter Hand windelweich, 21:18. Nach dem Freundschaftsspiel
nahm Lollobrigida mit Tränen in den Augen die Gratulation entgegen, trat ein wenig
theatralisch — was dem Meister erst im Zuge der späteren Analyse auffiel, er erschrak
förmlich wie eine Großtante, als er sie erkannte, eine
Schauspielerin! ein wenig theatralisch vor, senkte für einen Moment die Lider, ihre
riesigen, dichten Wimpern hingen ihr praktisch ins Gesicht hinein (dies war zugleich
überwältigend und abstoßend), ihre Brüste erzitterten grandios, sie schlugen quasi
gegen den leichten Sommerstoff. (»Einfache Seide«, sagte Frau Gitti später
scharf.) »Kannst du zurückkommen, wenn die anderen gegangen sind?« Er
drehte den Schläger: backhand, forehand … »Komm doch«, flüsterte, bat die
Lollo. Ihm wäre bald das Herz gebrochen. Das moralische Wesen, welches der Meister
war, war leicht in Verwirrung geraten. »Du bist schön«, brachte er endlich
hervor. (Denn einer anziehenden weiblichen Person, wie das nun einmal ist, gesellen
sich die Lastposten der Grammatik bei: »Wissen Sie, mon ami, die Krux ist, dass
ich gerne das sage, was ich denke. Obwohl ich eher denken sollte, was ich sagen
kann.« Er fügte ernst, also deutsch, hinzu: Es ist kein Scherz. Das brauche ich
jetzt nicht zu übersetzen.) Hier aber tat sich die Tür auf und es trat - nicht der
Ehemann oder so etwas, sondern - der kleine Carlo ein, Lollos Sohn. Er war so schön,
so ein goldhaariges Lockengeschöpf, dass der Meister das Gefühl hatte, würgen zu
müssen (Thomas-Mann-effect). Doch ein Hinausrennen hätte er nicht verargumentieren
können, also blieb er. »Sag, mein Lieber«, der Junge sah ihn geradewegs an,
»liebst du die Mama?« Er lief rot an, Gina senkte den Kopf. »Ich liebe
sie.« Der kleine Richter fragte weiter. »Am meisten auf der Welt?« Er
antwortete, ohne nachzudenken: »Am zweitmeisten.« Carlo sann nach.
»Hm. Das ist ziemlich gut.« Doch hier fand er schon zum richtigen
moralischen Schritt. »Am zweitmeisten? Das ist gerade nichts.« - »Pack
dich aus dem Zimmer «, brüllte Gina ihren Sohn an. Dieser ging stolz ab:
»Aber Mama, wie siehst du denn aus?« Gina warf sich über den Pingpongtisch.
Sie schluchzte. Der göttliche Körper bebte in der weiten Tunika. Dem Meister ging das
ein wenig auf die Nerven. »Nein, Täubchen«, sagte er überflüssigerweise.
Gina erhob sich, hielt sich am Pingpongnetz fest, welches abriss. »Teurer
Ezterhatsi«, greinte sie und lief hinaus.
Doch was für eine Peripetie folgte darauf! Mit einem Mal musste er bestürzt sehen,
dass der für sein Draufgängertum berühmte Filmregisseur - slawischer Herkunft - aus
dem Zimmer der Frau herausgetorkelt kam, er sah die trüben Augen, hörte das
überhebliche Lachen. Er setzte sich auf die Schwelle (»wie ein Hobo oder ein
treuer Haushüter«). Lollobrigida lag auf dem Bett, auf einen Ellbogen gestützt.
Die klassische Pose ist gebrochener, der Körper eckiger; die Situation trivial:
zerzaustes Haar und die rötliche Fleckigkeit des Gesichts. Der Meister empfand großes
Bedauern sich selbst gegenüber, bemühte sich aber, die Frau nicht als eine Frivolität
aufzufassen. Doch seine überlegene Lage verflüchtigte sich schnell. Nicht, weil er
das Gefühl hatte, die einzige moralische Tat wäre - denn auch die Nicht-Tat kann
unmoralisch sein, oho, aber wie wenn sie sich somnanbul sofort herumkugeln würden;
nein; sondern weil in Form eines monotonen Wortflusses aus der Frau die vielen
Bitterkeiten hervorbrachen, das Elend ihres Lebens, die Lügen (»mit welchen wir
alle, mein Freund, leben«), die Kompromisse, die verkrampften Neubeginne - diese
ganze weibliche Disproportionalität, das Schauspielen der Wahr heit (wovon sich Lollo
selbst in diesem Augenblick der Krise nicht lossagen konnte) erfüllte ihn mit Angst
und Gewissensbissen, da er sich verantwortungslos durch seine eigene Unsicherheit,
seine eigene Zweideutigkeit gezeigt hatte; so ergoss sich über ihn die Tiefe und
Dunkelheit eines weiblichen Lebens. »Komm, wir essen etwas«, sagte er,
sprang mit spielerischer Leichtigkeit von der Schwelle auf und strich der Frau über
den Arm.
(1. Lollobrigida - die bereits mit allem, das heißt mit ihm, abgeschlossen hatte -
verlangte mit trauriger Bitterkeit nach einer Erinnerung an ihn. Er bückte sich und
überreichte ihr anschließend mit jünglinghaftem Charme einen wundervollen grünen
Grashalm. - Etwas aus dem riesigen Garten, nach dem er sich so sehnt. Der riesige
grüne Platz! Der frühmorgendliche Wind dröselte einem künstlerhaft das Haar, während
man sorglos einherspazierend Spinoza läse! Anschließend ein bisschen Jam, frische
Brötchen, ein weiches Ei! - Doch der Frau reichte dieser kleine Grashalm nicht, es
musste etwas Handgreiflicheres sein. Schließlich überreichte er der Schauspielerin,
wie ein Exotikum, eine 20-Filler-Münze, die irgendwie in seiner Tasche geblieben war.
- Wie es sich im Laufe der Zeit herausstellte, ließ Lollobrigida das Geld durchbohren
und trägt es auch seitdem noch als Amulett. Man kann es in einer Nummer des Stern sehen, wo sie mit Herrn Marlon Brando neben einem
riesigen, roten Plastiktelefon steht. Und am Alabasterhals hängt das
20-Filler-Amulett!!!
Ich schreibe das im Flugzeug, auf dem Weg zurück nach Rom. Oben die Sonne, unten die
Schäfchenwolken. Die Maschine ruckelt manchmal, deswegen die hässliche Schrift.
Marlon Brando fragt, wer du seist. Ich sagte ihm, ein Schriftsteller. Aber wer du für
mich seist. Daraufhin brach ich in Tränen aus. Das weiß ich nicht. Aber was ich weiß,
ist, dass ich für dich nicht viel geworden bin. Mein Armer! Ich glaube, du erschrakst
sehr vor mir. [Die Maschine tanzt jetzt eine Polka, ich warte.] Weißt du, ich habe
solche kleinen unsichtbaren Antennen entlang meines ganzen Körpers und in meinem
Gehirn; ich weiß, was einer fühlt oder denkt, obwohl derjenige gar nicht anwesend
ist. Und wenn er dann auch noch da ist…
Obwohl: die einzige seltsame Sehnsucht in mir war nur, dich - als Dank dafür, dass es dich gibt — ein einziges Mal zu umarmen. Nicht mehr.
Doch als ich dein sofortiges Misstrauen bemerkte, verstand ich, dass du meine Absicht
missverstehen würdest. Aus der Spannung zwischen Wunsch und Unrealisierbarkeit ergab
sich dann, nachdem Igor gegangen war und ich in meinem Zimmer lag, jenes alberne
Herumdrucksen und Drumherumreden, das ich vorführte. [Diese Scheißmaschine wabbelt
schon wieder!] Ihr habt es gut, dass ihr alle zu jemandem, irgendwohin gehört…
Ich ging zu Marlon [Brando], und am Tag darauf kam ich auch gleich zurück, wie ein
geprügelter Hund. Erneut. Man lernt nicht dazu. Aber die Zeit schleift alles ab …
Sogar die nicht ausgeführten Pläne, die auf halbem Wege, in der Luft stehen
gebliebenen, nutzlosen Gesten der feigen Liebe. Wir landen jetzt.
Man trieb sie an den Abendessenstisch. In den entstandenen Runden führte man die
übliche Konversation. »Es tobte nur so, mein Freund, die Flachheit.« Als
eine Art Künstlerseele lauschte der Meister, sich in seinem Stuhl zurücklehnend, mit
Genuss dieser Konstruktion, die von niemandem verdorben wurde, in der niemand eine
ehrliche oder so gemeinte Geste tat.
Doch plötzlich wurde er dieser permanenten Sprungbereitschaft müde. Er hatte genug
vom Wohlerzogensein. »Alle waren sehr höflich, leise, elegant, vornehm und
völlige Banausen.« Er bekam davon verstopfte Ohren, es rauschte, als wäre Wasser
hineingeraten, dabei war kein Wasser hineingeraten. »Mein Gott, Gott.« -
»Was murmelst du da?«, fragte sein Nachbar, Herr Miklós, ein
Literaturfreund. »Onkel Miklós, lassen Sie uns eine Fliege machen, um Himmels
willen! « - »Ruhig, du«, sagte der erfahrene Mann. Was sich da für ein
Tohuwabohu auftat! Ein Skandal fast. Der Meister langte in die Mitte des Tisches, zum
Brotkorb, auf dem Rückweg säbelte er gnadenlos einige Weingläser nieder.
»Oppala«, rief er und griff sofort, zu spät, nach den Gläsern, doch er riss
nur Herrn Miklósens Serviette herunter, er bat um Verzeihung, bückte sich, bat um
Verzeihung, während er, den Kopf von unten gegen den Tisch schlagend, weitere Etwasse
umwarf. Er bat die Runde mit rotem Gesicht um Verzeihung, man erwies sich als sehr
taktvoll. Allein Herrn Miklósens verständnisvoller und gleichzeitig missbilligender
Blick verriet: Er wusste, worum es hier ging. Als sich das Gejapse um den Fogasch á
la Orly verstärkte, flüsterte er Herrn Miklós leise zu: »Oh-oh, mein
Alter«, hier hob er die Stimme an, Verzeihung, » V e r
f i c k t n o c h m a l , m e in L i e b e r , welches Esszeug nehm ich
jetzt?« Anschließend wieder rundherum: Verzeihung. (Dabei wussten außer ihm
nicht viele, was das ist: ein Fischmesser.)
Dieses oberflächliche Tingeltangel, eingebettet in ein diplomatisch- politisches,
bescheiden demagoges Fundament - er ertrug es nur schwerlich; er wütete
repräsentativ. »Du warst ziemlich primitiv«, sagte später Herr Andräs.
Zusammengesunken war er dort. »Was hätte man sonst machen sollen«, murmelte
die oben genannte Person. Nach einigen Treppen, Toren und Türen gelangten sie unter
freien Himmel. Er blinzelte; die Weltstadt pulsierte. »Ich glaube, ich stand
sehr weltstädtisch dort herum.«
Eine Katze gesellte sich zu ihm. Ausgemergelt undsoweiter: also keinerlei Seidigkeit,
Rundlichkeit, Kätzchenhaftigkeit. Ihr Name: Martschello. Traurig saß er in einem
Zimmer, die Hausdame brachte ein warmes Plaid und heißen Tee. Hier trat der kleine
Carlo ein. »Du hast eine hübsche Katze.« - »Ja.« - »Wie
heißt sie?« - »Martschello. « - »Könnte man sie nicht Alberto
nennen?« - »Doch«, antwortete der Meister. »Aber sie heißt
bereits Martschello.« - »Schau. Lass uns uns einigen.« -
»Gut.« - »Soll sie doch Martschello-Alberto heißen.« Er nickte.
Der Knabe steckte seine Hand beim Fenster hinaus. »Es regnet noch.« Die
Hand noch draußen, wandte er sich um. »Weißt du, mein Guter«, und damit
zeigte er auf die Katze, »ich würde sie sehr gerne zur Frau nehmen, aber ich
glaube, das würde nicht so leicht gehen.« Der Tee, das Plaid, der Regen, die
Katze, der Knabe - diese waren da.
Den Geheimpolizisten anstupsen, damit er nicht über den
Witz
lacht: »Soviel ich weiß, hat er 3 Kinder.«
»Wissen Sie, mein kleiner Bojtár« - natürlich weiß er es, und ob! -,
»wir, der osteuropäische Faust, sagen zu dem Augenblick: Verweile doch!<,
wenn uns gerade keine Obrigkeit buseriert.«
Die europäische Frühe fand ihn dürstend vor. Herr András schnaufte leise im anderen
Bett. Er selbst torkelte mit verknittertem Bulldoggengesicht hinaus auf den Flur.
»Darf es ein wenig Kirschwasser sein«, hauchte sich ihm jemand ins Gesicht.
Das Angebot kam von einem gut angezogenen Jemand mit korrekter Krawatte. Der Blick
des Meisters blieb wie ein Fleischklopfer, kalt, gleichgültig, ein Gegenstand.
»Obwohl ich ein wenig Angst hatte.« - »Mit schwarzem Etikett. «
Da der Meister darauf zu reagieren schien (sein Mund öffnete und schloss sich wie bei
einem Karpfen, wie bei manchem Karpfen), fügte er schwungvoll
hinzu: »Den Teufel mit dem Beelzebub.« Der Meister spürte den Schutz der
Wand, an der er — aber sofort! — entlangschleichen konnte. »Ich danke dir für
deine Güte.« (Aber das kennen wir ja bereits.) Der andere Mann ließ die Zähne
blitzen. »Wie du meinst, mein Lieber.« Seine braune Haut ließ einen
zielbewussten Sonnenanbeter vermuten.
es ergriff ihn so eine Sehnsucht nach Frau Gitti, er war den Wellen des großen
Gefühls so ausgeliefert, dass er sich in seinem Bett hin und her zu wälzen begann
(»wie die größeren Toten da unten«), und auch während des
Hin-und-her-Wälzens spürte er das vorhin Erwähnte
(wäre) (Vorstellen der Methode) Europa lag dem Meister zu Füßen und streichelte das
Haar an des Meisters Schienbein gegen den Strich. So viel sei gesagt, Europa ist gut
davongekommen: müsste es Herrn Marcis (Ferencvaros Budapest) Holzbeine streicheln,
über und über voll mit Splittern wäre seine Hand …!
Gestürzt durch die terrassige Gestaltung sanfter Auenlandschaften
über Pfade, die sich durch üppiges Unterholz
wanden
, durch längliche Zypressen und durch
Eichen
, welche Eichen für die Natürlichkeit
stehen
, durch Kakteen und Tamarisken
, und durch stürmische Jahrhunde —
stand er nun da in einem Geschlossenen Raum, welcher mit
Bierflaschen - »Mit vollen, mein Freund, mit vollen!« -, mit vollen
Bierflaschen geschmückt war, sowie mit irgendeinem Rotwein. Die Aufmerksamkeit des
Meisters schwankte, das heißt, er passte nicht auf. Man gab ihm die Hausaufgabe auf.
»Aber was zum Henker?« Er ließ sich skeptisch bitten. »Vielleicht ein
wenig Fancsikó und Pinta. Das ist so nett, ist schließlich mein erstes Buch, nicht
wahrrr.« Doch dann kam der Abend in Gang
und er vergaß
seine quälenden Sorgen. Ein Herr Gyula sagte - während er eine brennende Zigarette
aus seiner Tasche hervorzauberte, an welcher er eilends zog, so dass der schmächtige
Mensch ganz hohl davon wurde, obwohl er ansonsten gewölbt ist, die Zigarette ungestüm
in seinen Mund hinein-, dann aus demselben wieder herauszerrend, plus dabei die
Worte! - er sagte: »Woher kommt es, dass ihr so verdammt frech seid?«
Ein nettes Mädel stellte das Magnetophon lauter, die Krümel wirbelten - lauter herzige Ballettratten - über das Parkett. Herr András, neben
dem Meister stehend, lachte heraus. Die Frage bezog sich auch auf ihn. Herr Gyula
lebte in einem vom
Land des Meisters
abweichenden Land und in einer anderen Stadt, doch, hoi, sie stellten einander
durchaus Fragen und stellten auch Antworten auf. »Ich verstehe dich nicht«,
sagte der Meister. Herr Gyula krächzte. »Wissen Sie, mein Freund, fast genauso
wie meine Großmutter. Das traf mich ins Herz. Ich sagte es ihm auch gleich. Ich hoffe, er hat es verstanden. «
- »Woher ihr den Mumm … den Mumm habt, so …« - »Aa, einen
Schmarrn«, er winkte ab, denn er hatte (und zu Recht!) das Gefühl, gelobt zu
werden. Nichtsdestotrotz wurde die Frage dadurch unterschlagen, und das hatte Herr
Gyula nicht (im Mindesten ) verdient. »Merci,
Misjö«, sagte er noch, und diese Aussage schimmerte regenbogengleich in mehreren
Bedeutungen.
Hier sprang der Meister bedeutungsvoll auf, kurz entgleiste ihm, als interessanter,
moderner Zug, die Stimme, er war verhohlen glücklich und stürmte in sein bequemes
Gemach hinauf, den Abend sich selbst überlassend. Er nahm sogleich sein berühmtes -
mehr noch: berüchtigtes! - Notizheft, und seine Feder begann dieses zu durchpflügen:
»Na, Jungens und Mädels!« Später sah man ihn erneut unten
in der Gesellschaft der Herren Geza und Istvan, später oben
, später wieder unten
:er rieb sich
praktisch auf
, die große Seele. Er verbrannte, wie die
Zigarette des Herrn Gyula (ab
züglich dessen, wie sie aus der
Tasche gezückt worden ist): das Glühen (»András , mein Kätzchen! Aufgrund,
aufgrund, aufgrund ! Verflixtund.« ), dieses permanente
-
welches dem dortigen
-
entspricht, und natürlich auch die Aushöhlung ! Denn nach dem jeweiligen
»Ausflug nach oben « kam er jedes Mal vollkommen
gepumpt wieder bei den sich vergnügenden Menschen an, einsam, eingefallen , damit
auch er so einer sei. Er ließ sich, wie eine Bombe, in ein Fauteuil fallen,
verschnaufte. »Alter«, sagte er leichthin, denn so kann er auch sein, auch
ein Mensch solchen Formats kann leicht sein wieder Luftballon des Herrn István, aber
natürlich , »Alter. Wo zum Henker bleiben die
Blaustrümpfe? « Der Meister begann enthusiastisch zu erklären, seine
Nase vollführte ruckweise Bewegungen, regelrechte Kreisbögen in die von Tabakrauch
schwere Luft pflügend. »Natürlich , die riesig vielen blauen S trümpfe wären
gekommen, und man« - und hier zeigte er auf sich: Ecce
Homo — » und man hätte widerstunden bis zu denfrühchen
Morchenstunden!« — »Blaue Söckchen« , der Dichter winkte
erfahren ab.
Bereits zu anderen Gelegenheiten, denn seine Arbeit befand sich bereits in einem
fortentwickelten Stadium, hatte er gespürt, dass seine Aufmerksamkeit die eines
Romanhelden war, und nun, wegen der exemplarischen und Laborsituation, die sich
entwickelt hatte, besonders. »Wissen Sie, als ich zum Beispiel aus dem Zimmer
kam, wo ich meine Zeit mit emsiger Arbeit verbracht hatte,
spürte ich, dass noch etwas fehlte. Und da ging ich
und suchte
nach einer passenden Szene, damit mir diese dann widerfahren konnte.«
Anschließend fügte er noch hinzu: »Sehen Sie, mon ami, der Bankrott des
Romanschreibens. Natürlich, konkret, meiner. Also wird es wirklich langsam Zeit… Ich
habe alles gestrichen voll davon.«
Möge nun unser Blick, diese frische Hirschherde, in das Treppenhaus sprengen, wo der
Meister einst stand. Und zwar gerade anlässlich eines
. Von
Herrn István hörte der Meister eine prächtige Anekdote, die verwendbar
schien. Der Dichter mit seiner tiefen Stimme —welche an sich
schon eine erotische Produktion sein könnte, »wenn es, mein Freund, ein
Frauenzimmer gäbe, das mit so viel zufrieden wäre« - erzählte, dass 56 in
Stockholm - und von seiner Stimme erzitterten- erbebten, wie kleine blaue
Glockenblumen, die Gläser, die Fensterscheiben —, dass in Stockholm damals an die Tür
eines Hotels mit Mordsbuchstaben geschrieben stand: Ungarn! Die
Telefonistin ist berückbar! Und dass, dies wiederum kann Herr Géza angeblich
bestätigen, diese Aufschrift auch 10 Jahre später noch dort zu lesen war. Und wo war
da schon jene arme kleine Telefonistin, nicht wahr, mit ihren verträumten
skandinavischen Augen, die Hetäre! Doch hier befand sich Herr Géza gerade nicht in
der Lage eines Zeugen (und schon gar nicht in jemandes Schoß, ha, ha, ha), sondern in
der der Sorge. »Auch daraus wird Literatur werden«, sagte er, und selbst
seine Brille seufzte, ja, ja. »Sehen Sie, mein Freund, so ein traurig einfacher
Mechanismus ist das. Es reicht ein Name und ein sine qua non, und schon biegen sich
die vielen Intellekte vor Lachen. Auch ich kann meine gute Laune kaum im Zaum halten.
Ich weiß gar nicht, wie es mir gelingt.« Hier und jetzt machen wir eine kleine
druckertechnische Pause, der Kaprrrieß des Umbruchs sei Dank.
Was Herrn Géza betrifft, den liebenswürdigen Dichter, denn in dem Zimmer dort gab es
Dichter wie Heu
n
, wusste dieser gar nicht,
wie sehr er recht behalten würde. Wie wir sehen können: Herr Géza behielt stattlich
recht. Es wurde zu Literatur, und zu was für einer. Herzergreifend, ungarisch, ernst,
schicksalshaftig.
Jegyzet Wort des Meisters
Hier - vergessen wir nicht: im soeben belegten (weil beschriebenen) Treppenhaus -
stand plötzlich ein riesiger Ungar vor ihm und hielt ihm eine schaufelgroße
Handfläche hin. Er sprach mit einer von einer Art slawischer Trauer schmelzenden
Stimme zum Meister, der augenfällig Sympathie für den großen, bärigen Mann empfand.
»Herr Autor«, sagte er, natürlich als Scherz, »Herr Autor, schreiben
Sie das mal, diese Handfläche!«
Aha: der große Körper ahnte etwas. Der Meister erkundigte sich noch nach diesem und
jedem, provozierte einen eigentümlichen Dialog bezüglich der genannten Hand, doch als
der Partner sich anschickte, eine heitere Ávó-Geschichte zum Besten zu geben, machte
er sich von dannen.
Nachdem er selbstverzehrend seine Kräfte ausgesaugt hatte, ließ er sich auf der
feuchten Terrasse fallen. Der Korbstuhl knackte unter ihm, die Nacht war schwarz wie
ein »Staatsmercedes«. »Die Mystik der Spiegel«, Herr Tihamér
zeigte auf den vor der Terrasse sich rundenden See, und seine Meinung traf auf die
des Meisters, der, was die Widerspiegelung anbelangt, die Meinung des Herrn Lukács
teilt, zumindest aber die des in Wien lebenden Herrn Hanak. Oppardon. Dem Meister
fiel es schwer, zu sein. Das Dunkel trocknete auch langsam aus
, wurde langsam zu einem Übergang zwischen Nacht und Tagesanbruch.
Er begab sich zur Ruhe. Sein Gemach teilte er brüderlich mit dem guten Herrn András,
dessen Hände zwischen Kopf und Kissen ruhten. »Lass uns schlafen!« Doch sie
schliefen nicht. Der keine Ruhe wollende Geist des Meisters füllte knisternd den Raum
aus. Dies teilte er seinem Freunde mit. Denn Herr András wurde in stürmischer
Schnelle zu genau dem: einem Freund. (Dies ist ein Abschnitt von lyrischer
Schönheit.) »Blödmann«, sagte Herr András. (Er konnte phänomenal auf die
Vertreter des künstlerischen Lebens schimpfen.) »Warte. Ich schreib’s
auf.« Und er sprang auch gleich. »Hast du’s gemacht?«, fragte
nun mit vor Liebe erweichter Stimme der großgewachsene, gotische Junge.
»So-so.« Anschließend johlte er heraus (Verzeihung: doch das ist das
getreue Wort dafür: er johlte
: »Es wird ein offenes Werk,
gnadenlos. « Um verantwortungsbewusst hinzuzufügen: »Natürlich ist es in
der Musik etwas anderes.« - »Lass uns schlafen.« Doch dafür waren sie
zu müde. Wenig später stand der Meister auf und arbeitete, arbeitete…
Ai, die Ringe unter den Augen, die Ringe unter den Augen! In der großen Sala
versammelten sich schon die Menschen und ordneten sich um ihn herum an, wie im
magnetischen Feld die Eisenspäne. Er ging noch zum Ehrengast und küsste ihr die Hand
wie ein junger Magnat (ha, ha, ha), während er hauchte: »Küssdiehand. Öö … in
meinem Vortrag werde ich … öö … Seinen Namen erwähnen, seien Sie deswegen nicht
böse.« Die Zeugin großer Zeiten tätschelte dem Meister den Hals wie einem Pferd,
den Meister stimmte das fröhlich. Der Großmeister der Pausen kündigte den Meister an.
Es ward Stille, eine gewaltige.
er blätterte hin und her - und das bis zum Schluss, mit hochwichtiger Miene - in
seinen Notizblättern, drückte dann die Handfläche mit ungeheurer Kraft auf die
Tischplatte und hub an. Bevor wir als eine Art Fußnote, doch treu, weitergeben, was
dort gesagt worden ist, fügen wir einige Bemerkungen zu einigen Punkten des Textes
an, indem wir vor allem einige Bewegungen beschreiben. »Und das
Koordinatensystem, mein Freund, wer legt das fest, Rumpelstilzchen?!«
Statt »
Dora , diese hochgewachsene, brave Frau« soll (auf
Wunsch d. m. S.) »diese prachtgroße, brave Frau« stehen; bei der Stelle, wo
es hieß »
und damit schnappte er sich, hopplahopp, ein Blatt«,
schnappte er sich hopplahopp ein Blatt, »eine Art Gastseite«, was mit
harschem Lachen begrüßt wurde; »
Vielleicht sollte man mit einem
Filzstift!« geriet dort zu einem konkreten Anherrschen, Herr Géza wechselte
sogleich erschrocken zum Filzstift; »irgendeine heitere Ávó-Geschichte«:
Lärmen Mitte links, Applaus von rechts, aber auf jeden Fall verstört, das darauf
folgende »
Verzeihung, Verzeihung, das hätte man wohl lieber nicht«
wirkte mit großer Kraft, mit der Kraft der Befreiung;
»
die Aufweichung, Väterchen, ist also geschehen«. Hier sah er
Herrn István herausfordernd an. Was Herr István, wenn auch langsam, apperzipierte.
Die Lesung selbst absolvierte der Meister, als würde er eine Art Privatgespräch
führen; das war eine große Gaukelei - doch Herr István verlor die Geduld und erzählte
die Stockholm-Geschichte, mit aller darin enthaltenen Drastizität. Der Fall
»
Pali, mein Lieber, wenn ihr das bringen tätet« erbrachte
denselben Effekt. (© Esterhazy, 19 7 7 )
Eckermanns aufzeichnungen motto numero eins von goethe die
dilettanten wenn sie das möglichste getan haben pflegen zu ihrer entschuldigung zu
sagen die arbeit sei noch nicht fertig freilich kann sie nie fertig werden weil sie
nie recht angefangen ward der meister erklärt sein werk mit einigen strichen als
fertig ob es nun herausgearbeitet ist oder nicht und schon ist es vollendet passen sie auf eckermännchen bohren sie nicht in der nase motto
nummero zwei buddy glass ist natürlich nur ein pseudonym mein wahrer
name ist major george fielding anti-climax also sprach zu mir péter esterházy
wissen sie mon ami ich bin sehr müde bitten sie diese leute für mich um
entschuldigung ich habe den ganzen vormittag diese scheiße gemacht so sagte er es
gnadenlos zu sich selbst fast schon ungerechterweise diese scheiße jawohl setzte er
ungebrochen fort und noch beim mittagessen sagte die dóra diese hochgewachsene brave frau der comicstrip wäre vielleicht nicht nötig gewesen
man kann sich vorstellen wie das auf die für alles so sensible seele des meisters
wirkte selbstverständlich ist das ein komplexer begriff diese seele dieses tadeln
doch so sind die künstler alle das müssen wir die wir in ihrem bannkreis leben wissen
es folgt eine aktionsnovelle sagte er dann auf der ebene einer feuilletonnovelle die
so gerne genommen werden von literarischen blättern in der heimat und anderswo doch
was die heimat sei lassen wir das und damit schnappte er sich
hopplahopp ein blatt eine sogenannte fremdseite dörfler im
vorteil und ließ es herumgehen die anwesenden mögen ihre namen aufschreiben
im druck kommt das besser murmelte der große meister vor sich hin und fügte dann auf der ebene einer mutter sorgenvoll hinzu vielleicht sollte man
einen filzstift nehmen wegen der druckerei in den sattel an
einem trockenen lichten unverfälschbaren sommermorgen richtete péter esterházy seinen
großen durchdringenden blick auf einen kollegen und sprach also ich hab kaum
geschlafen verdammte scheiße oh das trügerische der worte hier reibe ich mich auf
doch was ist das falsche und was das wahre was sind das für fragen große fragen möge
unser blick nun diese frische hirschherde ins treppenhaus sprengen wo einst der
meister gestanden hatte bitte hier streckte der herr czigäny dem meister seine
schaufelgroße hand hin komme was kommen mag offenbar mit vor irgendeiner slawischen trauer schmelzenden stimme sprach er also zum meister
der augenscheinlich sympathisierte mit dem großen bärigen mann herr autor herr autor
schreiben sie das mal diese handfläche und bewegte sie auf und ab der gegebenen vertikale entsprechend péter esterházy war aus einem anderen holz
geschnitzt als dass er sich in so einer Situation in den sattel schwingen würde und
dann über alle berge nein ja sehr sachlich sagte er was ist das für ein schnitt in
deiner handfläche ja bittschön lächelte dieser ungarische mensch mit seinen zähnen ja
bittschön ich habe mich geschnitten womit doch das fragte er so dass man spüren
konnte er denkt mit einer konservendose was sich glänzendst bestätigte ich habe sie
mit einer konservendose geschnitten sagte
lóránt czigány
während du sie öffnetest forschte der meister weiter nach während der andere
bestätigte und was für eine konserve war das knallte die kluge frage auf dem fuße
scharf wie jener blitz in schwülen nächten herr lóránt schwappte indigniert über den
abhang der durch das raffinierte aufeinandertreffen zweidimensionaler flächen der
treppe verursacht wurde was ich geöffnet habe bittschön ich sag’s dir bier natürlich
bittschön und er schickte sich an irgendeine heitere
ávó-geschichte zu erzählen entschuldigung das
hätte man vielleicht lieber nicht doch der meister beeilte sich mit seinen langen
musizierenden schritten hinüber ins foajeh wo der abend tobte doch das cziganysche
wort erreichte ihn noch einmal schreiben sie das mal herr autor das können sie wohl nicht doch wo war er da schon was für blicke glitten da
schon über seinen zarten hals mein freund das ist es ja gar keine blicke mein alter
sagte er leichthin denn so kann er auch sein auch ein mensch von so einem format kann
leicht sein wie der luftballon des herrn kormos herzmansky 21
schilling er kann jawohl er kann wo zum henker stecken die blaustrümpfe der
meister hub enthusiastisch zu erklären an seine nase vollführte ruckweise bewegungen
regelrechte kreisbögen in die von tabakrauch schwere luft pflügend natürlich die
riesig vielen blauen Strümpfe wären gekommen und man hier zeigte er auf sich ecce
homo und man widersteht bis zuletzt doch das ergebnis ist dasselbe versuchte sich der
gelegenheitsgesprächspartner das ergebnis er winkte ab der prozess
katzenöhrchen der prozess blaue söckelchen der dichter
kormos winkte erfahren ab herr
thinsz hoi herr thinsz er beugte sich sehr sorgenvoll zu einer
salzigen erdnuss daraus wird auch literatur sagte er und sogar seine brille seufzte
und wie esterházy selbst dachte wohlwollend an herrn
thinsz hier füge
ich eine winzige nuance ein welche so typisch ist der meister dachte immer herr
thinsz wäre sechzig jahre alt und wäre mit herrn weöres dem dichter
zur schule gegangen die Überraschung war also groß als er einen mann mittleren alters erblickte der dichter schüttelte traurig den köpf zur
literatur wird es hja tja herr thinsz wusste vielleicht gar nicht wie recht er
behalten würde er behielt stattlich recht literatur und was für eine herzergreifende ungarische ernste schicksalshaftige wissen sie mon ami ich
saß da mit dem dichter kormos und mit meinem freund gézu thinsz sowie mit attila józsef attila
prangte stilvoll denn er war ein großer stilist in einem Zweireiher ich selbst habe
ihm etwas geld gegeben damit er ihn sich im gerngroß kaufen konnte wissen sie attila
war ein sehr eigenbrötlerischer mensch und besonders nachdem er sich mit kassak
verkracht hatte war ich in solchen fällen die einzige aber so
wie ich es sage die einzige stütze für ihn weiter mit der
entwirrung der zeit herr
kormos der gute herr
kormos
ein ernster mann mit der wärme des herzens in einem anderen terminus hatte er dem
herausragenden herrn sípos dessen name flöter bedeutet pass auf es flöte be flöte es
ist ein gigant die aufweichung väterchen ist also geschehen doch
was hatte noch einmal herr kormos gesagt was der meister gesagt hat wissen wir das
ist eine literaturhistorische tatsache er sagte mein freund hören sie sich das an
eine omasch eine richtige omasch diese zeit sie wäscht und vielleicht schleudert sie
sogar wenn auch nur auf ungarisch deutsch gehts nicht auf doch herr kormos aber
wirklich onkel istvän wie war das nun gestern warst du noch nicht betrunken und was
stand in Stockholm geschrieben und wie dass man diese frau wie nochmal und der
meister sprach dem greisen dichtergiganten einen heißen dank aus für die herzige
geschichte welche mit sehr schöner beispielhaftigkeit ein licht auf d ie Struktur der
vergehenden zeit herr thinsz der vergehenden zeit wirft welche er bereits bei herrn
krúdy hoch geschätzt hatte und er sagte noch jetzt seine auf
ungarische art verzierte reitpeitsche knallend ich freue mich es ist alles
sehr gut ihr seid mitteleuropäische kulturmenschen und ihr seid
wie man sieht hervorrrragend dressiert eine ergreifend flache
sache ist das bevor er die flucht zurück ergriff sprach er den großen Redaktor päl an
palilein wenn ihr das gerade mal in der mühely bringen würdet oh ein schlauer fuchs
ist der meister wie kann man einen Redaktor pressionieren palilein alter Schwede dann
setzt ihr das wort ficken so dass ihr f punkt punkt punkt en macht es wäre wichtig
danke und schon finden wir ihn mit den beinen klimpernd vor im draußen nieselnden
regen und der korbstuhl knackte geheimnisvoll unter ihm und die nacht war schwarz wie
ein staatsmercedes darüber sollten wir uns nicht grämen sagte er mit natürlichen
betonungen und er freute sich weder noch grämte er sich er bemerkte den winzigen
fischteich es ist ein kreis entdeckte er x kwadrat plus y kwadrat gleich r kwadrat
denn in seinem ersten schrecken dachte er an einen kreis mit mittelpunkt origo doch
dann bäumte sich in ihm der hochmut auf das klassische hervorpreschen des ichs und
dem herbeiflatternden fräulein dedinszky schmeichelte er bereits mit einer allgemein
kanonisierten figur und fing sofort an sich auf die Schenkel zu klopfen der meister
ob des werdenden scherzes welches knie sich in abgetragenen schriftsteller-jeans verbarg hören sie sich das an mein freund und tamás tűz
eine kanonikatsfigur und so jagte ein prächtiger scherz den nächsten bis in die
frühen morgenstunden doch diese idee mein herr ist verzeihen sie das logische wort
ist so bekannt ach was zählen die ideen diese sind endlich das herz das in ihnen
schlägt das herz ist endlos und damit verstummte er damit mit umso größerer
empörtheit der applaus herausbrechen konnte.
Die Vorstellung war zu Ende, er war leer wie jene Konservendosen. Doch als er eintrat
in den Kreis seiner Familie, zurück aus Europa (nach Europa), fragte Frau Gitti, an
dem Meister hängend: »Hab ich dir gefehlt, habe ich dir gefehlt?« Der
Meister bemerkte nicht, worauf sich die Frage bezog, und antwortete grob: »Wär
fein.« Lassen nun auch wir vorbeiziehen
, was sich auf uns,
humanistische, akkurate Menschen, die wir sind, bezieht, die Kavalkade der Positiva
und Negativa, welche aus dieser zwiefachen »Sache« auf uns strömt.
Negativa: Wir sind Zeugen eines Verblassens, denn was wir durch die Heiligkeit des
säuselnden weißen Papiers und einiger moralisch dünnen
Buchstaben gewinnen, verlieren wir durch die Zeit, das Herausbeugen aus der Literatur , welches gleichzeitig eine Symbiose mit dem Leben darstellt, welche er so immerfort und strömend als
klassischen Avantgardetraum verwirklicht, also das kann man abschreiben. Kommen wir
nun zu den Positiva.
Kaum hatten Sie mein Zimmer verlassen, fiel mir ein, was ich noch sagen wollte, aber
ich bin schon so alt, dass mir alles aus dem alten Kopf geht. Oftmals bringe ich
durcheinander, was ich geträumt habe, nämlich damit, was ich nicht geträumt habe.
Häufig gehe ich in Gedanken unter Ihren Pappeln spazieren, aber die über den Zaun
fliegenden Bälle kann ich nicht einmal mehr zurückwerfen. Wie Sie das Zimmer
verlassen haben, wie schön doch Ihre Blumen sind. Haben Sie gewusst, dass ich diese
am liebsten mag? Oder war es Zufall? Als sich die Fahrstuhltür schloss, fiel mir ein,
was ich noch unbedingt sagen wollte: dass ich Ihnen besonders dafür danke, dass Ihnen
eingefallen ist, die arme Großmutter mit der letzten Ölung zu versorgen.
Ich habe ein sehr gut gelungenes Foto vom Herzogprimas erhalten. Vieles entfällt mir,
aber Ihre Blumen halten sich gut. Wie fanden Sie J-? Sie hat sich sicher sehr über
Sie gefreut? Auch ich habe mich sehr über Ihren Besuch gefreut, der, wie immer, zu
kurz war! Früher waren Verwandtenbesuche nicht so kurz. Den Reiter musste man ruhen
lassen!! Aber ich freute mich sehr darüber!
Ich muss Ihnen nur eines sagen (wenn Sie es mir nicht übel nehmen!), Ihr jetziger
Beruf gefällt mir nicht: Wozu die Neigung der Menschen so unterstützen? Ich sehe es
förmlich vor mir. Warum dann nicht eine Konditorei? Da muss man auch vermixen oder
Palatschinken machen. Mein lieber Péter! Nehmen Sie es mir nicht übel - aber
angesichts Ihrer schönen Blumen fiel mir ein, Ihnen das zu schreiben.
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Brief. Ich habe ihn durchlebt. Was für Bücher
hatte denn Ihr Freund dabei, dass man sie ihm wegnahm? Aufwieglerische Bücher? Oder
Joyce? Die kleine Cousine sagt: »Die Gitti ist supernett« (Was für
Ausdrücke! Aber nach Ihnen, mein Lieber, wundere ich mich über nichts mehr!), dass
sie zum kleinen roten Kleid auch eine Borte und Faden geschickt hat. Sie hat sie
schon drangenäht, sie sagt, es sieht sehr süß aus. Kleider sind eine Manie von ihr,
sie hängt sich alles um. Sie war gerade hier, hat mich mit ihren Neuigkeiten so
überflutet, dass ich bis über die Nase in ihnen stecke, und das will schon was
heißen. Dass sie zum Beispiel für kommenden Sonntag »einen Ausflug planen«
ins Freudental. Angeblich gibt es da einen wunderschönen See, rundherum mit einem
Fichtenwald. Man kann Schaschlik braten. Deine Cousine hat gerade das Werk mit dem
Titel »Eine Tochter Schottlands« beendet. Es gefällt ihr sehr. Der Stil
gefällt ihr, sagt sie. Doch genug davon.
Obwohl die Hitze groß ist, fühle ich mich wohl. Ich warte auf Karla, während die 2
»Perlo« ins Jagdhaus gehen, um sauber zu machen. - Oder war das nur ein
Blabla?! Die hiesigen Sozialdemokraten haben einen Pingpongwettbewerb für die Alten
und Lahmen veranstaltet. (Diese Voraussetzung habe ich zu 100 % erfüllt.) Ein
Pingpongspiel habe ich gewonnen.
Ich stelle mir Dóras schokoladiges Gesicht vor! Ist es denn wirklich so voller
Schokolade gewesen?! Ihre Gitti hat so viel Schwung. Sie haben eine gute Wahl
getroffen. - Ich bin mit der Mami einer Meinung, Tennis ist viel eleganter, nicht so
roh wie das »Kicken«. Obwohl es eine Zeit gab, da war das verpönt, als
Spiel der Herrschaft! Ich habe schlecht gespielt, aber ich liebte es, bei den großen,
weißen Bewegungen zuzusehen.
PS: Gerade habe ich Ihren Brief vom 7. bekommen, über Kapitän E. Aber mich würde viel mehr interessieren, wie es dem Fuß Ihrer lieben Mutter
geht? Hat sie noch Schmerzen? Wie lange wird die Behandlung dauern? Wie oft pro Woche
kommt der Arzt etc. etc. etc. Ist es etwa eine Gefäßverengung? Es gibt keine
befriedigenden Nachrichten. Akupunkteur? Gesundheit ist doch viel interessanter als
»Kicken«. Ich bin böse mit Ihnen. — Wissen Sie, lieber Péter, um mich herum
sind alle gestorben, und ich bin etwas müde geworden. Ihr Land und auch mein Land
sind ziemlich erschöpfend. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen: erschöpfend. Bestimmt nicht. Sie spüren das sicher nicht, denn ein junger
Mensch wie Sie weiß noch, wozu.
Es war von so einer sommerlichen Bootsfahrt die Rede, irgendwas zwischen einem
kleinen Rudern und einem Bootstörn. Wenn auch nicht ins Freudental, wenn auch nicht
mit Schaschlik!
Der Meister ließ seinen Hintern vorsichtig von der Bank auf den Grund des Bootes
hinabgleiten und drehte anschließend über den so festgemachten Punkt seinen
Oberkörper zu den, wie an der grünen Farbe zu sehen war, verwitterten Planken, damit
die angegebene Richtung seines Kopfes die der Wolken sei und er seine Freude an der
Kavalkade des oben zu Sehenden haben konnte: im Versteckspiel der Sonne, in den
stolzen Formwandlungen der an diesem Spiel beteiligten grauen Wolken, wie z. B. aus
de Gaulle Italien wird und daraus dann ein riesengroßer … etc. etc. - amüsant. In der
vorangegangenen Position wehte ein ordentlicher Wind, und er ragte heraus, hinein,
hier, jetzt, auf dem Grund des Kahns war es angenehm warm und windstill. (»Kein
kodierter Text!« Und: »Wissen Sie, mein Freund, das ist die wahre Symbolik,
wo das Besondere das Allgemeinere repräsentiert, nicht als Traum und Schatten,
sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.«) Er
schloss die Augen und gab sich dem Sonnenlicht hin. Doch als vom Wellenschlag das
wackelige Wassergefährt erbibberte, richtete er sich plötzlich auf und fragte den
Kapitän, Herrn András: »Was ist, ist der Weg holprig?« Er blinzelte.
»Dazu sagt man«, sagte Herr András und langte graziös nach hinten zum
Motor, um durch dessen Drehung dem Kahn einen vorteilhafteren Lauf über die Wellen zu
sichern, »dazu sagt man in alten Seemannskreisen: man lässt das Boot
fichten.« Die Drinsitzenden lachten heraus: außer den Erwähnten noch: Herr
Tihamér, der Bildhauer.
»Onkel Tihamér«, sagte Dorko Mitics auf dem Ufer. »Nicht Onkel«,
belehrte der Vater die Tochter; obwohl er sich auch über den »Tihamér«
hätte echauffieren können. »Nihicht?« Doch da sah es schon nach Weinen aus.
Da standen sie schaukelnd. Aber Avdotja Jegorovna gab sich störrisch. Der freundliche
Kapitän András invitierte das kleine Mädchen sehr freundlich, während sich der
Meister in väterlicher Strenge versuchte. »Na! Mein Junge! Die Zeit ist
gekommen, zu entscheiden, was du werden willst: ein Seebär oder eine Landratte!
« Der scharfe Blick öffnete der Tränen Schleusen, so sagte »der goldige
kleine Fratz« schluchzend: »Ich will La-hand ra- ha-tte! Ich
will!«
Als Kapitän András, Groß-Verehrer der Regeln und Vorschriften (Ausweis, Zebrastreifen
etc.), ins Haus zurückging, um die Papiere zu holen, und auf
diese Weise die Zeit Aufschub gewährte, beruhigte sich das Mädchen; knautsche und
rang die kleinen Hände. »Wozu hat die kleine Dóra Angst?
Da, die Kinder haben ja auch keine. Warum Angst?« So
sprach sie sich bange zu. Die Gestalten des Meisters und des Kapitäns András
erschienen am Anfang des schmalen Betonstreifens des Hafens; sie brachten die
Papiere. Auf ihrem Wege ereigneten sich drei bemerkenswerte Sachen - mit ihnen, durch
sie. i. Es lag ein toter Aal auf dem hitzigen Beton, mit einer gelb gewordenen,
glänzenden Narbe auf der Bauchseite. »Wie ein wundfiebriger Mund.« -
»Ach was.« - »Nur länger; länglich.« Anschließend sagte der
Meister noch, dass der Aal irgendwie kein ungarischer Fisch sei (natürlich nicht in
dem Sinne, dass er englisch oder französisch etc. wäre - nicht so eine
Bagatellsituation). »Ist wirklich keine einheimische Sorte«, sagte Kapitän
András, natürlich in seiner Eigenschaft als Einheimischer. (Sagen wir es frank und
frei: ein Seebär.) 2. Über irgendein Werk sprechend sagte Kapitän András (in
Pantoffeln!): »Viele Sicherheitsnadeln befestigen diese Thesenskizze an der
heutigen Gesellschaft, doch die die Grenze der Unschuld streifenden Andeutungen
kleben, anstatt analytisch aufzudecken, nur Etiketten auf, und auch die nicht immer
an die richtige Stelle. Ein Stützpfeiler des ideologischen Baus ist der Herr der
Heerscharen, der andere ist der Fleischtopf.« Er nickte, sein Blick schweifte in
die Ferne, auch er verabscheute so etwas. Und obwohl - wie man sehen kann - er ein
Gewicht darauf legte, auch an der vergänglichen Gegenwart authentisch teilzunehmen,
nahm seine Unruhe schon etwas anderes wahr. Sein beständiges Blinzeln!
»Halt!«, sagte er mit einigem Schrecken und zeigte auf eine der unzähligen
Peitschenlampen der Mole. Wimm, wumm, diese bewegte sich, zitterte, dass es eine Art
hatte. Die beiden Künstler sagten zugleich: » ’s räsoniert.« Ihr sensibles
Radar erfasste den Humor der Aussage, doch die Tragödie des in Bewegung geratenen
Dings wirkte stärker. Tatsache blieb Tatsache, Gott sei Dank. »Bald wird es sich
aus dem Beton gerissen haben«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Hast du
die Brücke gesehen?« (Eine wortkarge Bemerkung, auf einen Film über eine gewisse
wogende amerikanische Brücke verweisend, welche Brücke später in den Fluss gestürzt.
Die kleinen Strichmännchen rannten, um ihr Fell zu retten.) »Hab ich.« —
»Das ist auch der Grund, weshalb Soldaten auf einer Brücke nie im
Gleichschr…« - »Ich weiß.« Der Meister redete wie ein Physiklehrer,
was den Musikwissenschaftler, der sowieso fast Mathematiker geworden wäre,
verständlicherweise ärgerte. Hier entschloss er sich zu einer Handlung und umarmte
mit dem ganzen Körper das lange Eisen der Lampe, um zunächst zusammen mit ihr zu
zittern, später sich immer weniger zu rühren und schließlich unbewegt zu japsen.
»Vielleicht… vielleicht von den Windstößen …« Kapitän András schüttelte
liebevoll seinen schönen, gotischen Kopf, legte eine Hand auf des Meisters Schulter:
»Was bist du nur für ein Arsch!« Pardon. 3. Als sie die kleine Biegung
hinter sich gelassen hatten, erschien vor ihnen das mit Minium gestrichene Schiff
namens Zu verkaufen - ein gedrungenes, erschreckendes Ding,
wie ein steinzeitliches Patrouillenboot -, auf dessen Gatt ebenso wie auf dem
gesamten Deck die Eigentümer oder deren Beauftragte emsig am Schaffen waren.
Im Anschluss an dieses Dreifachabenteuer kehrten sie zum Mutterkahn zurück, wo es
sich bis dahin (und zwar genau in der Dauer eines »Dahins«)
herauskristallisiert hatte: nur die Männer würden sich auf Fahrt begeben (wie
gewöhnlich), Mitocska sowie die Ehegattinnen zurück zur Fischsuppe! (»Oh Blanka!
Diese Fischsuppe!«, die Emotionen schwappten nur so von einer Seite zur anderen.
Doch dann sagte er offen seine Meinung und brach ein Stückchen Brot.)
Nun wurde gerade die Fischsuppe mit ihrer verwobenen Konsequenzenmenge
beziehungsweise ihrem Voraussetzungssystem schon draußen auf dem See zu einem
wertvollen Moment! Schauen wir mal, was passiert ist! Als Kapitän András mit einem
billigen Scherz - zugegeben: mutig - gegen die Wellen fahrend das Boot
»fichten« ließ, gab der Meister der natürlichen Neugierde nach und fragte,
ob man dieses Boot kentern lassen könnte. Woraufhin der Bildhauer und Musikkenner den
Meister anging. »Aha, zuerst nur ein Karpfen … und später … doch man kann selbst
die magere Ausbeute in der Historie sehen … ein Schritt und Arbeit macht frei…
unzweifelhaft diese Linie.« Jene wechselten Blicke, dass sie ihn bedauerten.
Schon vor dem Bootsprogramm, als sie drinnen, unter der Fichte
n
im Garten, die
sich im kleinen Gartenteich träge, doch lebenslustig rekelnden Karpfen sahen, stellte
sich großes Kopfzerbrechen ein. »Lassen wir doch den Kolcsák kommen«, sagte
Kapitän András’ Mama verzweifelt. (Der Nachbar; ein Tausendsassa; für den Namen
garantiere ich nicht.) »Wo liegt das Problem?«, sagte der Meister mit der
Kraft der Jugend. Wie einer, der sofort helfen will. So einer ist er eben. »Wer
erschlägt die Fische?«, flüsterte Kapitän András’ Mama. (Die Fische hatte der
Papa gefangen. Das ist, theoretisch, noch gar nichts. »Er hat großartiges Haar,
mein Freund, als wär er mein Spezi.«) Kapitän András wandte sich
selbstbeherrscht ab. »Oho. Einen Fisch?! Ich werde ihn erschlagen, wenn es denn
sein muss«, sprach der Meister wie ein Naturbursch. Alle sahen ihn angewidert,
nichtsdestotrotz auffordernd an. »Ich habe Hunger«, sagte er simpel,
»und ihr habt auch Hunger.« Das stimmte. »Onkel András, sag mir nur so
viel, wohin ich schlagen muss!« Er schwenkte seine Henkershand, Frau Gitti ließ
einen spitzen Schrei verlauten. »Bestie.« Sie lernte ihren Mann von einer
neuen Seite kennen. »Auf die Nase«, sagte Kapitän András aus der Ferne und
reichte dem Meister, was etwas widersprüchlich war, eine Art Gummiknüppel aus Holz.
Die Seele des Meisters blieb ungerührt. Auf Kapitän András - das war auch bislang
wahrnehmbar - fiel heute eine negative Rollenzuteilung: er sammelte die Fische mit
hinterhältigem Herzen in einen Eimer. Der Meister entnahm von dort einen Karpfen,
stellte ihn auf dem Rasen auf die Seite, beruhigte ihn mit der Linken, »na, na,
nicht doch, na: mein süßer Kleiner«, denn das vom Schicksal gebeutelte Tier
zuckte zuckte in alle Richtungen, in der anderen Hand wirbelte er spektakulär, wie
die Kurutzen oder andere progressive Gruppen, mit dem Schläger und schlug, boing!!!,
zu. Ah, ah, machte der Karpfen. Er pfefferte ihm noch zwei, jemand begann zu flehen:
»Es reicht! Um Gottes willen!« — »Schöngeister«, brummte der
Arbeiter. Vom Ansatz der Kiemen floss, später: spritzte Blut, und der Knöchel des
Meisters und das Drumherum wurde davon so und so. Er schob seinen Fuß auf dem Gras
hin und her, reinigte ihn derart. Die Lider waren gesenkt. Später heulte es aus der
Küche kritisch, blutrünstig auf: »Wie ist denn der erschlagen worden?! Der
bewegt sich ja noch!« - »Den Frauen kann man noch so lange erklären, dass
das Reflexbewegungen sind.«
Jegyzet Hier verwenden wir das Wort in seinem botanischen Sinne.
Vor so einem Hintergrund konterte er die Stichelei der beiden Männer auf dem Wasser.
»Bitte. Das ist der Dank! Das!!! Ich nehme es auf mich, ich führe es anspruchsvoll aus, und jetzt werde ich dafür angespuckt!«
- »Wer hat dich denn gebeten, wer hat dich denn gebeten «, flöteten jene.
»Mörder bleibt Mörder.« - »Und die Fischsuppe ist eine
Fischsuppe«, sagte er und sprang in dem kleinen Seelenverkäufer auf, so dass
dieser fast schon tragisch ins Kippen kam (auf diese Weise fast die schon vergessene,
doch durchaus originelle Frage beantwortend, ob man ihn denn kentern lassen könnte),
und rief mit funkelnder Gekränktheit - deren Verspieltheit erst später allgemein
bewusst geworden ist: »Einer muss es ja machen, gottverdummmich! Und es ist
immer noch besser, wenn ich es mache, als ein anderer, dilettantischer, ehrloser
Pfuscher! Und ihr speit mich nur an! Undankbare Bande!« Und damit Summibumm,
zurück auf den Grund, damit nicht nur der Wellengang, sondern nunmehr auch das
rhythmische Lachen der Künstlerseelen ob der gehörten Paraphrase den Kahn
»fichtete«. (Vielleicht fiel er auch noch ins Wasser, aber entweder zog man
ihn wieder heraus, oder es war nicht tief. »So geht das.«)
Lieber freund ihre novelle ist interessant geistreich für eine originelle weltsicht
sorgend doch sie publizieren können wir nicht da wir für lange zeit genügend
manuskripte akzeptiert haben wir danken ihnen für das in uns gesetzte vertrauen und
senden ihnen anbei ihr manuskript lieber freund ihr talent steht außer frage ihre
novelle in der új írás gefiel mir weniger für diese 4-5 sätze substanz hat es sich
nicht gelohnt im vorfeld… so viel zu jammern unsere redaktion hat den eindruck sie
haben sich in ihren eigenen stil verliebt das gilt ausgesprochen für die an uns
gesandte novellen -perlenschnur von denen eine gelungen ist die letzte doch für die
pointe erzählen wir den witz diesmal nicht sollten sie sich jemals lossagen von ihrem
zweifellos schönen stil wenn sie eine zielgerichtete und ökonomisch strukturierte
novelle schreiben werden wir diese gerne annehmen und drucken anbei ihr manuskript
lieber péter deine novelle ist hervorragend leider scheuen sich meine chefs
unschuldiges ungarntum ist das ein reizwort ich betone noch einmal dein schreiben hat
mir ein echtes reines erlebnis beschert seitdem ich bei der Zeitschrift bin habe ich
so etwas noch nicht gelesen schicke etwas anderes wenn’s geht nicht mehr als zehn
pag. ich muss natürlich nicht betonen dass das nicht das hauptkriterium ist es umarmt
dich in freundschaft.
Was für ein Ereignis! Er steht nur da, als hätte er Wurzeln geschlagen, und die
Papierblätter rieseln herab. Was war geschehen? Es war geschehen, dass der Meister —
wie immer — als Letzter in die Umkleide getrottet kam, um mit seinen Teamkameraden
die Pause zu verbringen, welche sich zwischen den beiden Spielhälften befand; als
Letzter, denn zuerst musste er die Lasche seines Fußballschuhs suchen, diese war
nämlich herausgerissen und hatte sich im Eifer des Gefechts immer wieder gelockert,
war zur Seite geknickt und schlackerte herum, woraufhin er sie herausriss und
Richtung Seitenlinie schleuderte, wobei er sich die Stelle gut merkte, um sie bis zum
Ende der Halbzeit »fahrplangemäß zu vergessen«.
Zusammen mit der geplagten Zunge (fesch sind sie beide so
zusammen) kam er hereingetrottet, als … »Ein riesiger Helikopter, mein Freund,
den Himmel verdunkelt, sein Schatten schwer, seine Stimme dräut, brummt, gewittert,
und er verstreut diese Papiere nach unten.« Wie riesige Schneeflocken rieselten
holzfreie Papiere mit Briefkopf herunter; der Meister blieb stehen und hielt sein
müdes, schweißnasses Gesicht in dieses Fallen.
Lieber péter such mich auf damit wir kurz persönlich reden können nein aber unsere
hochachtung ist unverändert wir schreiben über dein buch es grüßt dich in
freundschaft wir würden uns geehrt fühlen wenn auch sie mit ihren neu entstandenen
arbeiten unsere redaktion aufsuchten in erster linie können wir die Veröffentlichung
solcher texte übernehmen, in denen standhalten und Opferbereitschaft zum ausdruck
kommen und welche 8-9 maschinegeschriebene seiten nicht
überschreiten hochachtungsvoll, mit freundlichen grüßen.
»Achten Sie, Katzenöhrchen, auf dieses und. Es könnte
entscheidend sein.« Versonnen stand er also da in jenem künstlichen Schneesturm.
Der Helikopter, diese große Libelle, war davongesirrt, jählings war die Stille groß.
Die Zuschauerschaft schaute. Damit dann von hinten, wo die Familie des Liberos zu
stehen pflegte (wenn das Wetter gut ist und alle nüchtern sind), jemand hereinrufen
konnte: »Was ist, Peti! Geh duschen!« - »Wissen Sie, mein Freund, das
war keine sehr wohlwollende Bemerkung. Das konnte man am <Peti> sehen.« -
»Geh nur den anderen hinterher und dusch dich!« - »Kümmern Sie sich
nicht drum, Péter, solche Typen gibt es überall.« Zwischen Mittelkreis und
Eingang stehend verweilt er. Gehen oder bleiben.
»Ich habe es ausgelesen«, sagte mit seiner schnurrenden Stimme
Der-berühmte-Mann. Der Meister saß aufgeregt in einem klebrigen Kunstledersessel,
damals noch mitten in der Düsternis der Unbekanntheit, presste beide Hände zwischen
die Knie und wartete auf das namhafte Urteil. Seine mangelnde Routine stach hervor:
er stellte sich vor, das »Auslesen« sei verglichen mit dem einfachen Lesen
bereits ein Werturteil, obwohl er keine Idee hatte: was für eine Art Urteil das sein
könnte. »Also, bittschön, du bist sehr talentiert.« Der Meister nickte.
(Nicht weil er zustimmte, sondern weil er es verstanden hatte! Aber wer kann das
heute noch nachprüfen? Wer?) Das Bärtlein zuckte. »Schau. Es ist sehr
interessant, was du da machst, aber glaube mir, ich selbst habe auch schon meine
Erfahrungen mit so mancher Sackgasse gemacht.« Der
Meister glaubte das aufs Wort (schließlich ist er ein belesener Mensch ). » Denn
das, was du machst, ist eine Sackgasse . Dieselbe Sackgasse,
derselbe Selbstzweck, was der Joyce MACHT, der SZENTKUTHY und der GYULA, der
HERNÁDI.« Der Meister errötete, auf so ein großes Lob war er nicht
gefasst. Doch dann stellte sich heraus, dass es als Schimpf gemeint war.
Sehr geehrter Péter Eszterházi meine chefs sind sich darüber einig dass dieser text
das werk eines talentierten menschen ist, mit dem man in kontakt bleiben sollte wenn
sie ihr schreiben ein wenig komprimieren könnten würde das dem schreiben guttun und
dann könnten auch wir es drucken péter mach keinen scheiß so was bei einer
tageszeitung schick sofort was anderes und verarsch mich gefälligst nicht grüß
übrigens ist es scheißgut zu gut mein lieber freund ich hatte keine gelegenheit mehr
gehabt vor abgabe anzurufen oder einen brief zu schreiben deswegen teile ich jetzt
mit dass wir in den korrekturfahnen zwei sätze aus deinem manuskript streichen
mussten bitte habe verständnis und stell sie nicht wieder her mit herzlichen
grüßen.
Da lagen die riechenden Fahnen vor ihm. Anderthalb Jahre war es her, dass er den Text
hingegeben hatte, und nun erntete er die Früchte. Und bitte: sie waren madig! Einem
aufgebrachten, wilden Tiere gleich lief er auf und ab, schlug um sich und fluchte
leider lästerlich. »Sakrakruzitürken aber auch …!« Da rang er, der große
Mensch. »Wissen Sie, mein Freund, das ist empörend! Wie komme ich dazu, mir
Gedanken über so etwas zu machen!« Das kann ja wohl nicht sein, dass er hier mit
seiner eigenen Feigheit und seiner Bereitschaft zu Kompromissen ringen muss, statt
dass er sich freuen könnte über die Niederungen dieses Handels! Er war gezwungen,
Legionen begründeter (!) Argumente aus sich hervorzuholen bezüglich dessen, wieso man
jene zwei Zeilen tatsächlich habe streichen können. Z. B: »So gut ist die
Novelle nicht, dass sie zwei Zeilen zum Kippen bringen würden.« Doch hier
schüttelte er das passable Kuvert. »Ja, aber«, er schüttelte, »ja,
aber auch das hat sein Ziel erreicht.« Er fuchtelte niedergeschlagen. »Was
zählt das schon! Im Buch werden sie sowieso drinstehen.« Undsoweiter - so bis zu
späten Stunden. Mal oben, mal unten; so unberechenbar ist so eine Künstler-Seele! So
unerwartet entstehen in ihnen Buckelungen und Abflachungen; da braucht es schon einen
ganzen Mann, sie zufriedenzustellen! Die arme Frau Gitti und all jene, die dafür ihr
Gehalt beziehen!
Diese Zerfleischung seiner selbst hatte ihn sehr mitgenommen; jenes permanente Malheur zum Beispiel, dass seine anständigen Argumente zu
unanständigen geworden waren und überhaupt: dass alles zu einer Probe in
Anständigkeit geworden war. Und was für Sachen! »Wissen Sie, mein Freund, der
fünftrangige Satz einer zweitrangigen Novelle eines wievielauchimmerrangigen
Novellisten in einem - er neigte den Kopf mit knirschender Ehrerbietung -
erstrangigen Blatt! Etwas Mickrigeres als das! Na und dann darf eines der beiden
Adjektive drinbleiben und ich kann als Held nach Hause gehen, erst mit der Metro,
später mit dem Autobus.« Die Sache war also die, dass er kein Held sein wollte
und kein Verräter, er wollte Prosaschriftsteller sein. Und dann fand er zu seinem
Gedankengang zurück, der ihm schon in vielen Situationen gute Dienste erwiesen
hatte.
Er ging mit tödlichen Säcken unter den Augen in die Redaktion und sagte freundlich,
er würde sie nicht streichen. In Ordnung, sagte der ChefRedaktor (ohne einen Gruß
!!!), in Ordnung, wie der Meister so auch er, dann kann er eben das Zeug nicht
»bringen«. Der Meister sagte, auch gut, aber er rührte sich nicht. Es
entstand eine große, männliche Stille. »Um Himmels willen!«, rief
schließlich bitter der ChefRedaktor, aus und dieser menschliche Zug ließ ihn in den
Augen des Meisters für eine Minute sympathisch erscheinen. »Ist dir dieser
verdammte Satz denn so wichtig?« Aha: das kannte er bereits. Sowohl die Frage
als auch die Antwort (seine Antwort). »Nein. Nur so wichtig wie jeder andere
auch.« Und er fügte noch freundlich hinzu: »Natürlich nur einer, der gleich
lang ist. Ihr zahlt nämlich nach Gewicht.« - »Ich verstehe dich nicht!
Warum nicht? Schließlich …«, und der in verantwortlicher Position befindliche
Mann sagte eins jener Argumente, welche der Meister in der vergangenen Nacht selbst
zu Hunderten anständig hergestellt hatte. »Es gibt keinen Grund dafür, ihn zu
streichen.« (Dies ist der Gedankengang, auf den ich anspielte. Wenn eine
Handlung so ist, dass sie scheinbar überhaupt keine negativen Folgen hat,
nichtsdestotrotz die Sache etwas verdächtig ist, kann man sie sofort zum Einsatz
bringen. Man kann es ausprobieren.)
Erneut Stille. »Wissen Sie, mein Freund, dafür hatte es sich gelohnt, es bis zum
Ende durchzuspielen! Wegen dieser beiden Stillen. Dafür!!!« - »Schau,
teurer Freund, lass uns einen Kompromiss schließen. « Das Gesicht des Meisters
erhellte sich. Er versteht es sehr, Kompromisse zu schließen. Er lächelt und lächelt
und sagt nein. »Nicht sehr.« Doch nun wurde das Ganze so jämmerlich!
»Dass zwei erwachsene, geschlechtsreife Menschen so viel mit diesem verflickten
Satz herummurksen …« Im Wesentlichen ging es um eine 3-Adjektive - Konstruktion;
von den 3 blieben 2 übrig, 1 ging flöten; was ein gutes Verhältnis ist, »ein
qualvoll gutes Verhältnis«.
Der Stürmer macht sich in aller Stille auf den Weg nach drinnen, das Papier sirrt um
seine Knöchel wie Schlangen. »Peti, in der zweiten Hälfte klotzt ihr aber ein
bisschen ran.« Er ist gerade dabei, den Kopf zu senken, um durch den winzigen
Eingang zu passen, als wie eine Draufgabe, als Letztes, ein kleines, gelbliches,
unscheinbares Papier heruntergerieselt kommt, den Rauchfang verlässt (herunterkommt),
vor der Tribüne ist, eine Pirouette dreht, als hätte es sichs anders überlegt und
würde nun umkehren. Alle schauen zu. (»Trockene Lippen, Falten, Vertiefungen,
Rouge, Lippenstift, Augenhöhlen, Augenbutter, Stoppelbärte, die Falten der Haut, die
Falten der Mäntelchen, der Wind, der Staub in den Augen, dem Haar.«) Der Meister
greift nach oben, er muss sich strecken, bekommt es zu fassen. Gesichter umgeben ihn
und Atemzüge. »Ablösevertrag«, flüstert jemand. »Name der
Mutter!«, ruft ein anderer. Und es gibt kein Halten mehr, es erhebt sich ein
großes Geschrei. »Beginn der Klubmitgliedschaft!« - »Geboren! « -
»Ort!« - »Zeit!« - »Vorschlag.« - »Name des neuen
Vereins!« Wieder Stille. In der Hand des Meisters das Papier. Fingerspitzen fest
aufeinandergedrückt.
Und dann wieder das Hineintrotten, als Letzter, in der Hand die wiedergefundene
Schuhlasche, im großen grünen Viereck jagt ein Wind lauthals Papierfetzen.
Der Meister hielt Frau Gittis Hand. Eine wunderschöne Hand ist das, angegriffen vom
Windelwaschen, vom Waschmittel aufgepflügt, erst ausgetrocknet, dann rissig geworden
und schließlich ein eiterndes, schmerzlich-juckendes Etwas; diese in die Hand nehmen,
die Gemütsbewegungen der Haut spüren, das vorsichtige Drücken der geschwollenen
Finger …! Nachdem sie ihre Kinder zum Schlafen gelegt hatten, gingen die beiden
Eltern verantwortungslos hinaus in die späte Sommernacht, um in einem nahen Ausschank
an ein bescheidenes, doch an Wohlgeschmäckern reiches Abendessen zu kommen. In der
Mutter meldete sich zwar immer mal die Aufregung, doch der Meister entwaffnete sie
beständig mit seiner bestimmten Geschmacklosigkeit. »Mach dir keine Sorgen, wir
haben eine Hausratsversicherung!« Undsoweiter. Vor dem Ausschank, auf einem
Lampenmast, sahen sie einen Zettel, der war interessant. Folgendes:
Hm, sagte der Meister. »Nach dem Haaaaseeen hätte ich etwas Besseres erwartet…
Obwohl… Was kann dieser Hase Besonderes können?« Er
streichelte den Mast. »Aber das hier ist ein ganz hervorragender geteerter Pfahl!« Hier sagte jemand von irgendwo weiter
drinnen: »Péter, es reicht vielleicht, wenn ich so viel sage, der Präsident will
mit Ihnen reden.« Hopp! Und der Meister sah dem flatternden weiten Radmantel des
Jemands bereits hinterher! »Ich habe keinen Hunger«, sagte er plötzlich;
doch diese seine Aussage zog keine Art Konsequenzen nach sich.
Drinnen spielte eigentümliche Musik. »Das muss man sich gut überlegen.« -
»Ich habe es mir überlegt. Ich unterschreibe. Wenn Sie mir eine Stelle geben,
unterschreibe ich.« Der Meister sprang vom Tisch auf, die Frau hätte noch etwas
sagen wollen. Doch der Meister entfernte sich bereits und zu schreien hätte sie kein
bisschen Lust gehabt. Er schlug den Weg Richtung Waschraum ein, aus der Nähe konnte
er die riesigen Buchstaben gut identifizieren: Damen. Er
trat also durch die andere Tür, nach der angenehmen Wärme dort drinnen traf ihn hier
die kalte Luft, die ungehindert durch das zerbrochene Fenster hereinströmen konnte,
unangenehm; als also der Meister auf diese Weise ohne nachzudenken sofort zum
Reißverschluss griff, wartete er ein wenig ab und dachte doch darüber nach: ja oder
nein. Das war die Frage (»Wie, mein Freund, auch schon in würdigeren,
glänzenderen Lagen«). Schließlich entschieden die Notwendigkeiten, und die
Frostigkeit wurde ohnehin einigermaßen durch die Sauberkeit, die Abwesenheit von
Geruch ausgeglichen. Als er siegreich an den Tisch zurückkehrte, blickte er fragend
zu Frau Gitti, die nickte: »Ich hab bestellt. Es gab keine Leberknödel, also
habe ich für dich auch Grießnockerln bestellt.« — »Und Bier?« —
»Wir haben besprochen, wir trinken kein Bier, weil es schläfrig macht.« -
»Ich habe es die ganze Zeit so verstanden, dass wir Bier trinken.« —
»Nein.« — »Macht nichts. Und was stattdessen?« — »Paráder
Wasser.« — »Paráder Wasser? « - »Ja. Und ich habe darum gebeten,
dass es nicht zu kühl ist.« - »Ja«, er nickte geduldig, anschließend
sagte er, wenn er so spontan etwas beim Namen nennen sollte, das besser wäre als
(hier hob er etwas die Stimme an) lauwarmes Paradierwasser, dann, so habe er das
Gefühl, müsste er wohl seine kleinen, jedoch wohlgeformten Hände ratlos ringen. Frau
Esterházy stach beleidigt in die zwischenzeitlich angekommenen Grießnockerln.
»Trocken und kalt.« — »Wie der gute Weißwein.« - »Nur, dass
das hier Grießnockerln sind.«
Der Meister bemerkte kichernd (das heißt, er hatte mal wieder gelauscht, gegen den
Strom des Gentlemantums schwimmend auf diese Weise die Geheimnisse und chiffrierte
Nachrichten der Wirklichkeit ausspähend), dass die Frau am Tisch neben ihnen zögerte,
es auszusprechen: Chateau de Sau. »…. den … diesen
Schato, den hätten wir gerne.« Der Mann neben ihr nickte. »Wie sonderbar
sie sind«, sagte Frau Gitti mit jener vom Meister weiblich genannten
Empfindungsgabe, von welcher er »die Wände hochgehen könnte«; genauer
gesagt, erkennt er ihre praktische Wirksamkeit an — das heißt, wenn die Frau über
jemanden sagt: in seinen winzigen Schweinsäuglein wohnt ein verschlagener Blick, wird
auch er demjenigen gegenüber ein wenig vorsichtiger sein -, nichtsdestotrotz hält er
es, für sich selbst (»leider «), für nicht anwendbar. »Erst, wenn ich
bereits unter den Tatsachen eingebrochen bin.« Die benachbarte Frau hatte ein
sehr intelligentes Gesicht, dennoch, das Paar zusammen wirkte grob. »Die Frau
ist eine …«, flüsterte leise Frau Gitti. Der Meister wurde sehr wütend.
Nachdem er wegen der etwas abgestandenen, doch nicht uninteressanten kraftvollen
Würzung des sogenannten Küchenmeistertellers zweimal hintereinander auf einen Zug
sein Paráder Wasser ausgetrunken und dem Kellner anschließend durch Fiochheben der
Flasche ein eindeutiges Zeichen für einen Ersatz gegeben hatte, gewann Frau Gitti
wieder Oberwasser. »Entschuldige dich.« — »Ich entschuldige
mich«, antwortete sofort der Meister. »Ich verzeihe dir«, antwortete
sofort die Gattin. Der Meister fragte den Kellner, wieso dieser Reis serviert habe,
wo es doch gemischte Beilage hätte sein sollen. Wortwörtlich fragte er dieses:
»Wodurch wird der Reis zur gemischten Beilage?« - »Hätten Sie nur
etwas gesagt, ich hätte es ausgetauscht. Offensichtlich hat der Koch etwas
verwechselt«, antwortete der Kellner. In der Hand der Frau mit dem intelligenten
Gesicht flammte ein Streichholz auf. Frau Gitti langte über den Tisch und streichelte
über das Haar, das im Mundwinkel des Meisters gedieh. (Das Geschenk einer
oberflächlichen Rasur.) »Kleiner Grashalm«, sagte sie, was den Meister in
solch eine Freude und Verwirrung brachte, dass er lange und wortlos den Zahlkellner
ansah, der sich mit seinem Kugelschreiber bereits diensteifrig in Position gebracht
hatte. Er riss sich zusammen, heraus aus der Ehegattenekstase. »Wir hatten einen
Küchenmeisterteller, aber statt gemischter Beilage gab es nur Reis.« Er wartete,
der Kellner beugte sich ungeduldig über ihn. »Das sage ich nicht wegen des
Geldes, sondern als Beschwerde.« — »Denken Sie bloß nicht, einer hätte
einen Vorteil davon.« Sie sahen einander an. »Selbstverständlich glaube ich
das nicht… Aber ich glaube auch nicht, dass es sich um einen wohlwollenden Irrtum
gehandelt hat.« - »Wir bitten um Verzeihung, mein Herr.« Er bezahlte.
(Die Frau neben ihnen knallte einen Fünfziger auf den Tisch, würgte und rannte
hinaus. »Was es für Leute gibt!« Der Oberkellner suchte in den Meisters
nach einem Resonanzkörper. Doch er starrte in das Gesicht des am Tisch gegenüber
allein gebliebenen Mannes. Erstaunen war darin und ein Wissen, »ein seltsames
Wissen, um das ich ihn sowohl beneiden als auch bedauern konnte«.)
Der Wind pfiff, der Meister ging Straßen entlang. Der Präsident erwartete ihn. Er kam
zu einer langen Terrasse, die zu einer verrosteten Eisentür führte. Sie öffnete sich
knirschend, quietschend, das erschrockene Aufflattern der Fledermäuse, eine Bewegung
der Spinnen und ihrer Spinnweben waren zu erwarten. Doch zuvor wandten sich noch die
jungen Männer um, die sich über die hohe, ruinöse Schutzmauer der Terrasse gebeugt
hatten. Da sie sich auf die Schutzmauer stützten, waren ihre Ellbogen staubig
geworden, Ziegelstaub und Mörtel, bei dem einen so, dem anderen so — je nachdem, wie
der auf ihn entfallende Intervall beschaffen war —, aber bei allen. Das erzielte eine
sehr lächerliche Wirkung. Sowie er über die Terrasse ging, wandten sich nach der
Reihe die sich aufstützenden Jünglinge nach ihm um. Er war über dieses Defilee nicht
erfreut. Seine »musizierenden« Schritte gereichten ihm nun nicht zum
Vorteile. Jenseits der Balustrade, nieden, prangte prächtiger grüner Rasen, auf dem
ein Training im Gange war. Demzufolge waren hier oben nur die Verletzten, die
Freigestellten, die Betrüger und die Lahmen! Dies machte den Meister ein wenig
überheblich. Seinen schwachen Augen zum Trotze entdeckte er einen Bekannten,
schließlich kam dieser, nachdem er sich aus dem Aufstützen löste, auf kaum zwei Meter
an ihn heran. Der hochgewachsene, fesche Junge, einer von den Mittelfeldspielern aus
dem Außenbezirk mit dem besten Ruf (spielt seitdem schon als Profi - E.), trug ein
schwarzes Trikot und eine enge italienische Jeans mit Leder und sprach ihn an.
»Klasse Jeans, Pepe.« - »Aus Wien«, antwortete der Meister
entschuldigend. Eine interessante Neuigkeit ist, dass sie für dieses Gespräch nicht
stehen blieben, der Meister verlangsamte seinen Gang zwar, doch er ging weiter wie
auf einem Laufband, der Bekannte übernahm diese Bewegung (»der
Bewegungsvektor«) und fiel später dann quasi von ihm ab. Doch eilen wir den
Dingen, so klein sie auch sein mögen (Herr Banga, wir danken Ihnen, teurer Herr
Banga!), nicht voraus! Im Übrigen handelte es sich um eine Cord Levi, aber ich will
mich nicht in Details verlieren. Der hochgewachsene Junge flüsterte ihm ermunternd
zu: »Jetzt?« - »Hm.« - »Holen sie dich für Móka?« Der
Meister zuckte die Schultern. Er dachte nicht gerne daran, dass er vielleicht Dr.
Móka ersetzen sollte. Obwohl… einen würde es sicher treffen … »Wissen Sie, mein
Freund, das war eine große Stürmerlinie, ich verstand gar nicht, warum sie an der rühren wollten. Vielleicht gab es etwas zwischen Oszvald und
Dr. Móka? Oder war der Chemieingenieur einfach zu alt? Hús,
Basa, Oszvald, Dr. Móka, Ugróczky. Hier musste man hineinkommen. Ugróczky ist
hungarisiert worden, aus Urin. Man hat es ihm bestimmt erzählt.« - »Zieh
sie ordentlich ab!« Der Meister - bereits ein bisschen
weiter hinten, nahe dem rostigen Monstrum - nickte. Die beiden zukünftigen
Mannschaftskameraden sahen einander lächelnd an. Nun schaute er sich um; die anderen
sahen sie an. Auf der Terrasse hatten alle Jeans an, jugendlich. Er erheischte einige
Blicke sowie einige Wortfetzen. (»Der Esterhazy.« - »Aha.« -
»Wer ist das?« - »Der Junge von Csillaghegy.« - »Ein
Verteidiger?« - »Wer?« - »Der große Bruder vom Esterházy.«)
Es wäre schwer gewesen, hier eine Bewertung vorzunehmen, das heißt, man hätte es nur
präkonzeptionell tun können; und dies tat er auch.
Hinter der schweren, ausladenden und antiquierten Tür hausten aber durchaus keine
staubigen Hautflügler, es eröffnete sich vielmehr ein neuer, sauber gehaltener
Korridor, von dem Büroräume abgingen. Bei der ersten Tür, aus der Laute zu vernehmen
waren, blieb er stehen. Ungläubig horchte er. »Zu dieser Zeit kommt wahrlich das
Jäteisen zu Ehren.« Er beugte sich erstaunt Richtung
Schlüsselloch; im Grunde war nur die Absicht zu sehen, dennoch, der vom Ende des
Korridors, aus für ihn nicht verfolgbarer Ferne heraufdonnernde Ruf »Hierher,
mein lieber Péter, hier her!« fand ihn in einer nachteiligen Lage.
»Hoppala«, sagte er und neigte sich selbstkritisch wieder in die Gerade
zurück. »Servus«, sagte der, der gerufen hatte, und ergriff seine Hand.
»Servus«, sagte der Meister verbindlich. Er wusste nicht einmal, wer das
war, dessen Hand er da hielt. »Komm, komm … dann wollen wir mal unsere große
Schlacht schlagen.« — »Muss man denn schlagen?«, fragte der Meister
vertraulich. »Du weißt ja, wie es ist…« Er führte den Meister hinein.
»Erlauben Sie, dass ich die Herren einander vorstelle.« Er lächelte
herzlich, bestand somit die Prüfung in Anpassungsfähigkeit mit »sehr
gut«.
»Zum einen hier also unsere neue Hoffnung, ihn muss man vielleicht gar nicht
vorstellen, schließlich warteten wir alle auf dich, mein lieber Peter. Und dann der
Reihe nach: der Genosse Oberingenieur, der Vorsitzende des Fachbereichs, bitteschön,
oppala, ein Stuhl, bittschön, der Genosse Generaldirektor, auweia, ich hätte wohl mit
ihm anfangen sollen, Verzeihung, der Genosse Generaldirektor, der Präsident des
Klubs, er ist der Klubpräsident, so, zwei unserer engagierten Aktivisten, sie, hä,
hä, hä, kennst du ja bereits. (Dem Meister dämmerte es, der Radmantel, ein Polski
Fiat, der lange in der dunklen Seitengasse mauschelt, >wie Liebespaare <, die
mit gedämpfter Stimme vorgetragenen, zischelnden, wohlwollenden Warnungen …) Und
hier, zwei Genossen vom Verband (so eine Art Potentaten; >zwei Stück Potentate,
mein Freunde), und dann natürlich meine Wenigkeit. Servus. « —
»Servus.« Im bequemen, tiefen Fauteuil sitzend verschwand er fast zwischen
all den dicken Menschen.
Der Wortführer redete, die beiden Parteien schwiegen im Wesentlichen. »Worte
spritzten«; der Meister konnte (anfangs) noch so aufmerksam zuhören, er verstand
nichts, nur so viel, dass ihm bei diesem Nichtverstehen nichts entging. - Inmitten
dieses Gesumms packte ihn ein Déjá-vu. So hatte er vor gar nicht langer Zeit auf
einem Empfang gesessen, während seiner Europatour. »Na, Mutti«, sagte der,
der den Empfang gab, zu seiner resoluten Frau, »heute kannst du mit einem echten
Grafen schmausen.« - »Flausen«, sein Sprachgefühl brach sich seinen
Weg. Rede folgte auf Rede dort und er horchte vergnüglich. »Meisterwerke, eines
wie das andere, ohne Übertreibung. Dass diese Flachheit niemals umgeworfen wird, ich
muss schon sagen!« Einerseits war er also fasziniert ob dieses ästhetischen
Erlebnisses, andererseits wurde er von Brechreiz umworben, was er denn auf so einem
Empfang verloren habe. »Onkel Miklós«, flüsterte er dem echten Mann an
seiner Seite zu. »Onkel Miklós, machen wir die Fliege. Wir mampfen ein Kipferl
und schauen uns Europa an.« (»Denn darauf lief das Spiel hinaus.«) Der
Mann hüllte sich in weises Lächeln und nickte. Hier lockte ein Kommunist aus dem
kommunistischen Ungarn mit einem als »rechts« zu bezeichnenden wagemutigen
und wohlüberlegten Scherz ein Lächeln auf die Lippen der vielen westlichen
Intellektuellen. Doch der Meister war so einer nicht. Hinter der Bastion des
Aperitifs hervor sagte er mit einfacher Strenge: »Ich kenne diesen Witz mit
Carter.« (Man muss nicht extra erwähnen, dass das nicht stimmte, da auch er
diesen Witz mit Carter nicht kannte.) Die Behauptung des Meisters war kompliziert, da
man nicht wissen konnte: greift er an oder greift er unter die Arme. (Der Meister hat
viel von dieser Sorte zu bieten; denn er tut damit weder-noch!, das ist die Lösung!
Weder-noch.) Hie und da war verständnisvolles Schnaufen zu hören, aber doch eher nur
das Aneinanderdotzen der Stielgläser. » Gut «, gluckste der Witzeerzähler,
»sehr gut. Vielleicht«, er zwinkerte selbstverräterisch und kicherte,
»vielleicht wäre es auch für mich besser gewesen, wenn auch ich den … khrm … mit
Carter gekannt hätte. « Worauf der Meister wie ein Messer oder ein
Fleischklopfer: »Das glaube ich nicht.« Und trank den zu süßen Aperitif auf
einen Zug aus und lächelte hierhin und dorthin … »Mein Gott«, sagte er
später nach der Suppe á la hongroise. »Was brummelst du nur immer«, warf
ihm Herr Miklós hin. Hier etwa war der »Fogasch Orly Art« auf den Zungen
angekommen und zergangen. Herr Miklós flüsterte mit vollem Mund:
»Kipferlzipfelaktion vertagt.« - »Woraufhin ich hart und jugendlich
zurückgab: In Ordnung!« Aber es war nicht alles in Ordnung, denn als sie nach
oben und hinauskamen, schwankte er - wohl wegen des pulsierenden Lichts und der
dumpfen Luft und nicht wegen des Überbordens von Niedertracht - und sagte erneut
leise: »Mein Gott.« Herr András nickte hoch an seiner Seite. Sie legten
sich die Hände auf die Schultern und verzogen sich (nachdem sie sich von allen, wie
es sich gehört, verabschiedet hatten; der Meister küsste absichtlich keine Hände,
obwohl das dort Usus war; »auf der Straße sowieso nicht!«).
»Schau, was das Bargeld anbelangt, können wir es nur in Raten geben, aber ich
glaube, lieber Péter, das ist kein Hindernis. Die liebe Mama … wie noch mal… ja: die
liebe Lili Mama stellen wir als Putzfrau ein, in einem halben Jahr hat man die zehn
Riesen raus.« (Ha, ha. zu der Zeit gab die gute Frau schon für Herrn Marci die
Raumpflegerin!) »Was sind die Forderungen des Sportgenossen?«, fragte einer
der Genossen, ein Genosse aus dem Verband. Der Blick des Wortführers sprang zum
Meister. Er verstand. »Im Grunde gar keine.« Der nickte hinter der
Sonnenbrille (»oh, wie allzu-typisch!«). »Es braucht eine
Anstellung«, sagte der Stürmer. »Der Junge ist Mathematiker«, erklärte
der Wortführer. Der Genosse Oberingenieur bejahte. »Das kann man
schaukeln.« Er sah den Meister an: »Vier.« Der Meister schüttelte den
Kopf. »Viertausend«, erklärte der Ingenieur, um, angesichts der Mimik des
Meisters, weiter zu verfeinern, »pro Monat, nämlich.« - »Und worin
besteht die Arbeit?«, fragte er. Der Genosse Oberingenieur winkte ab. »Ich
bitte dich nur, den Zahltag nicht zu verfehlen und das Geld nach Möglichkeit schon
vormittags abzuholen. « Das Gesicht des Meisters zeigte sich fragend, und zwar
noch bezüglich der »Und worin besteht die Arbeit«-Frage. Die anhaltende
Offenheit und Unentschlossenheit des Gesichts brachte Verwirrung in den Raum. Und der
Meister, als säße er auf dem Ringelspiel: »die Geometrie zerbrochen«,
winzige, unzusammenhängende Details drangen in sein Bewusstsein: der Genosse
Generaldirektor schnauft, der Genosse Oberingenieur fährt sich durch das Haar, eine
weiße Schuppe fällt herunter, einer der Potentaten zupft sich an der Nase, von
draußen tönen die Obertöne des Sports herein. »Lajos, flieg über die
Seite!« Der Meister erkennt das. »Das ist Hús.« Hús ist ein
Naturtalent, schnell, hart, flankt gut, ist aber rhapsodisch. Der Genosse
Generaldirektor öffnete gerade den Mund, um das Wort zu ergreifen, als einer der
Potentaten (als würde er ihn synchronisieren) das Wort ergriff: »Dann lassen Sie
uns also von diesem Transfer reden.«
Die Situation blitzte. »Ist das eine Bitte oder ein Ultimatum?«, fragte der
Meister ruhig. »Uhultimahatum? Aber lieber Sportgenosse Eszterházi?!« -
»Wissen Sie, mein Freund«, des Meisters Wohlwollen brach durch die eisigen
Regionen, »wissen Sie, was mir Rückenschauer bereitete, und immer noch
bereitet!, dass ich ihm nicht glaubte, nicht glauben konnte, dass wir lediglich
plauderten. Dabei«, er schwang seinen klugen Kopf, »haben wir möglicherweise tatsächlich nur geplaudert. « (Oh, mein
Herr, dieses »möglicherweise«, dieses »möglicherweise «. Hier
würde ich einen frechen Einwand tätigen. Der Meister behauptet: alles war
möglicherweise das, als was es schien. Möglicherweise. Doch wer schon viele Mächte
gesehen hat, kann einem erzählen, was dieses »möglicherweise« ist,
wenngleich man es selber weiß. Denn wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass
Napoleon auf einem Schimmel, mit gezücktem Schwertfisch, in die knisternden Büschel
eines Badeschaums sprengt? Man weiß es; 50%. Denn möglicherweise sprengt er hinein,
möglicherweise sprengt er nicht hinein. Das ist jenes »möglichweise«, oh,
mein armer Herr.
n
)
Jegyzet P. E. ist mit dieser kurzbündigen Meinung nicht
einverstanden.
Der Generaldirektor bemächtigte sich erneut des Wortes. »Wir wissen, dass Sie
auch die Láng haben will. Oder die Erdért. Egal. Sie bekommen
alles, lieber Péter, was Sie nur wollen.«
Gewiss, zuzusehen, wie zwei Klubs der dritten Liga um ihn wetteiferten, birgt
Humorquellen zur Genüge. (»Übertreiben Sie nicht, mon ami, nur der eine.«)
Doch wenn ein Mensch - nämlich er - in einer Welt steht, dann ist diese Welt absolut.
Auf diese Weise gibt es keinen Unterschied zwischen dem, wie man sagt, hervorragenden
Rasenteppich des Nép-Stadion und der eine jede Sohle auf eine harte Probe stellenden
lehmigen Oberfläche des Goli-Platzes. »Mein Freund, für den Platz braucht es ein
Extrawetter.« Doch wegen der Situationsähnlichkeit sowie deren
gesellschaftlicher Wichtigkeit gerät unweigerlich auch Herr Marci in den
Assoziationskreis; und überhaupt: der Meister liebt ihn.
Und es ist schon ziemlich humorig, dass, als der Tanz ums »Marcilein «
losging und der Beauftragte eines namhaften Klubs im elterlichen Hause erschien, auch
dort dasselbe gesagt worden war: »Der Marci bekommt alles, was
er nur will. «D a saßen sie, das Familienoberhaupt, die beklommene
Mutter, der Meister und… doch verderben wir die Überraschung nicht. Der ergraute
Zeitschriftenschreiber fing zu lachen an, wie ein gut gelauntes Pferd, seine schönen,
gelben Zähne hingen heraus. »Schauen Sie, mein Herr, ich
erzähle Ihnen eine Geschichte … Einer meiner Söhne (dem Leser sei es verraten: es
handelt sich um Herrn György, offensichtlich) sah im Alter von zwei Jahren zum Mond
hinauf - der talentierte Übersetzer vermochte kaum seine Laune zu zügeln -, er sah
hinauf und sagte: Will haben. Ich weiß nicht, ob Sie verstehen.« Die heilen Brillengläser glänzten besorgt. Der Beauftragte sagte,
etwas nervös, da er nicht wusste, ob die Esterházys pokerten oder ob sie blöd waren:
»Sehen Sie, mein Herr. Wir sind erwachsene Menschen. Schwarz auf weyss.« -
»Schwarz auf gelb«, quakte der Meister dazwischen, sehr geistreich, diesmal
eine Eins in historisierendem Denken erringend, doch die anderen waren mit den
blutigen Dingen der Praxis beschäftigt und achteten gar nicht auf ihn. Mehr noch, der
Vater des Meisters zischte ihn sogar an: »Unterschätz sie nicht.« -
»Sehen Sie, mein Herr. Lassen Sie uns offen reden.« Er holte tief Luft.
»Wir geben Ihnen das Doppelte wie die Fradi.« Hier brach unter dem Bett -
voilá, die versprochene Überraschung! - Wichtellachen hervor: »Mach dich mal
nicht fertig, Kumpel«, sagte Herr Marci von dort, da er sich listigerweise dort
versteckt hatte; einer, der bis ins Mark ein Fradiler ist, ist zu solchen
Findigkeiten fähig: wenns sein muss, sogar unters Bett! »Oh, das Marcilein ist
ein sehr liebes Kind, mit dem gäbe es keine Schwierigkeiten«, sagte schnell und
unschuldig des Meisters Mutter.
Es war eine amüsante Szene, die vielen Sprösslinge konnten den Gast partout nicht
verstehen. (Es gab keinen gemeinsamen Nenner.) Und währenddessen das permanente
Kichern des Herrn Marci unter dem Bett! Der Beauftragte fragte - obwohl sein Auftrag
ein anderer war -, was das sei. »Der Marci hat sich versteckt«, antwortete
prompt der Meister, der die Wahrheit liebte. Darüber lachten
dann alle herzlich. Des Meisters Vater tauschte mit dem Abgesandten - wie mit jedem
Abgesandten - das Du, dann wurde dieser allmählich hinauskomplimentiert. »Ach,
ich habe mich sehr gefreut«, sagte die Mutter des Meisters und ließ sich zum
Abschied, wie von jedem Abgesandten, die Abseitsregel erklären; was das sei, ein
Abseits. »Mein Junge«, sagte später die heilige Frau und kugelte sich vor
Lachen, »ich verstehe das nicht.« - »Weil du nie aufpasst,
Muttchen.« - »Na-ha-tü-hür-li-hich nicht.« Und über das holprige
Gesicht flössen die Tränen herzhaften Gelächters. (»Der Augenblick der Abgabe
zählt.«)
»Was wird meine Arbeit an meinem Arbeitsplatz sein?« Er versuchte, das
nicht addressiv zu fragen, mit wenig Erfolg; er dachte daran, dass er zu viel gelernt
habe, um jetzt eine Alibistelle anzunehmen. Plus seine hohe Moralität! »Schau,
ich verstehe dich ja, mein Lieber«, sagte mit angesäuerter Herzlichkeit der
Genosse Oberingenieur, »aber momentan können wir dir einen Par-Exzellenz- Arbeitsbereich, das heißt einen Mathematiker-Arbeitsbereich,
nicht zusichern. Aber schau mal. Das ist lediglich eine Frage
der Zeit, ich rede mit Baittrok aus der Zentrale, die haben eine Abteilung für
Rechentechnik.« - »So was in der Art bräuchte man«, sagte der
diplomierte Stürmer. Der General lachte sprudelnd heraus. »Wenn du so darauf
bestehst, ich kann es regeln, dass du zur Arbeit erscheinen musst. Nicht einmal für
das Training geben sie dir frei.« Darüber amüsierte sich Hinz und Kunz prächtig.
Als sich das Gelärm gelegt hatte, sah es der Meister, fälschlicherweise, als richtig
an, an seiner Überzeugung festzuhalten. »Ich will keine Arbeitszeit, sondern
Arbeit.« Der Mann vom Verband riss sich ungeduldig die Sonnenbrille herunter.
Der Meister sah denn, das muss ich nicht extra betonen: er hatte seinen Blick
böswillig sofort dorthin vertieft - klare, blaue Augen. Wie die von Paul Newman.
Eigentümlich. »Was wir möchten, ist, dass der Sportgenosse hier, unter der Ägide
dieses Sportvereins spielt.« - »Tja«, sagte er und hob etwas ratlos
seine schmalen, grazilen Schultern, »deswegen bin ich hier und nicht
anderswo.« - »Also dann, Péter«, der Wortführer schob sich von der
Seite heran, »hier, wenn ich bitten darf.« Und schon ward ein Stift in des
Meisters Hand gedrückt, vor ihm das Papier, darauf ein kurzer, stumpfer Finger,
hilfsbereit anzeigend, wo. Er spreizte die freie Hand über dem Papier (der kurze,
stumpfe Finger zog sich eilends zurück), setzte sie liebevoll auf, wie er das bei
jedem Papier zu tun pflegt. Doch seine Stimme war eine solche nicht; obwohl er das
verbarg. »Dafür haben wir noch Zeit«, sagte er heiter. »Es würde uns
beruhigen, wenn die Sache erledigt wäre«, sagte der Potentat nun wieder mit
Brille. »Wir hätten gerne, dass du unterschreibst«, der Genosse
Generaldirektor sprach ihm freundlich zu. Er schüttelte leichthin den Kopf.
»Warten wir die Nachrichten der Zentrale in der Sache der Stelle ab.« -
»Mein Lieber, betrachte das als erledigt.« - »Das freut mich
sehr«, er sagte die Wahrheit. »Es wäre für uns beruhigend, wenn der
Sportgenosse …« Hier sprang der Meister auf - er spürte dasselbe wie auf dem
Europäischen Empfang - und wurde bestimmt. »Also, hört zu«, sagte er das
Per-Du galant ausweitend, »die Sache ist im Wesentlichen gebongt. Ich komme
hierher.« Die Freude über diese Mitteilung wurde vom Niederlegen des Stiftes
egalisiert. (Also, das ist keine ganz alltägliche Szene! Wie er, der Meister der
Feder, die Feder niederlegt. Eine schmerzliche Situation, auf jeden Fall.)
»Sobald die Stelle, über die wir sprachen, da ist, ruft ihr mich an und ich
komme und unterschreibe. Wir haben noch Zeit, wenn auch nicht viel.« (Das ist so
eine charakteristische Wendung von ihm, dass er die Kleinigkeiten des alltäglichen
Lebens mit einer spielerischen Bewegung ausweitet, zu einem Unendlichen hin: Wir
haben Zeit, wenn auch nicht viel. Und dieses Unendliche schmiegt sich dann doch in so
einer bescheidenen Ordnung zwischen die Geschäfte der Praxis, aus denen es
herausgehoben ward.)
»Wenn du meinst…« - »Ich meine es.« Alle standen auf. »Wir
freuen uns sehr, dass der Sportgenosse so verantwortungsbewusst über die Arbeit
denkt«, sagte der verschwiegenere (: kleinere) Potentat. Der andere Potentat
schwieg betont, und als die kleine Hand des Meisters beim Abschiednehmen zu ihm kam,
bedeckte er diese mit seiner schweren, sogar auf den Fingern behaarten, gepolsterten
Hand und sprach freundlich also: »Schreiben Sie das bloß nicht, Eckermännchen.
« Es war nämlich so, dass die Sache nach einigen Veröffentlichungen in
Zeitschriften mehr oder weniger publik, das heißt bekannt wurde. Der Meister hätte
seine Hand gerne zurückgezogen, doch diese klemmte fest, wie in einem Schraubstock!
»Ich schreibe alles«, sagte er, vor sich hin starrend, leise, tonlos,
verloren. Die feiste Handfläche zuckte ein wenig, doch das bedeutete für den Meister
noch keine Gelegenheit. »Aber denken Sie jetzt bloß nicht, wir hätten Sie hier
gefichtet.« - »Aber Sie haben mich doch gar nicht gefichtet «, sagte
er erheitert. »Das sage ich ja, dass wir Sie nicht gefichtet haben. Wenn wir Sie
fichten, sieht das anders aus …!« Hopp, da entschlüpfte endlich die kleine Hand
der schwitzenden, eisernen Faust; man nahm nicht an, dass sie so klein sein würde.
»Oho, natürlich, und wie, auf jeden Fall«, er grinste und stimmte lauthals
zu, mit jener liebenswürdigen Ungehobeltheit, die er von Herrn Marci gelernt hatte,
und ließ die gestandenen Mannsbilder stehen. »Dafür, mon ami, wird man mich noch
mal so richtig in den Arsch treten.« Und er rieb seine kleinen Blumenhändchen
aneinander, wie ein Geschäftsmann …
Es war also geschehen. Er fühlte Leichtigkeit in sich und ein wenig Trauer. Wer wird
wohl an seiner Stelle spielen? Und wer wird der neue Mannschaftskapitän? Vielleicht
der Libero. Aber hoffentlich der Linke Verteidiger. Doch sein Umherschweifen wurde
bald pragmatischer. Hús, Basa, Oszvald, Dr. Móka, Ugróczky. Welcher? »Na? Hast
du unterschrieben? «, fragte der hochgewachsene Junge. Die am Geländer Lehnenden
schauten nun wieder sie beide an. »Noch nicht.« - »Klar, Männe. Da
hast’s, friss.« - »So was in der Art.« Sie hatten sich schon
verabschiedet, als der Meister sich plötzlich umwandte. »Wisch dir doch endlich
die Ellbogen, um Himmels willen!« Der Mittelfeldspieler hob den Ellbogen, zuckte
die Schultern, schlug den Meister lachend gegen die Brust. »Ich seh’ schon,
heute bist du bescheuert drauf. « Sie verabschiedeten sich erneut.
Er entfernte sich unten am Spielfeldrand. Das Training neigte sich dem Ende zu. Hús
flankte in die Mitte, Oszvald und Dr. Móka schossen aufs Tor. Dr. Móka kam, als er
einem davonrollenden Ball hinterherrannte, in die Nähe des Meisters und erkannte ihn.
Sie hatten einmal zusammen in der Kreisauswahl gespielt. »Ein
Schmalzstullen-Spiel zugunsten der Hochwasseropfer.« - »Was ist, Kleiner,
kommst du zu uns?« - »Sieht so aus.« - »Gut.« Dr. Móka
nickte und ging zurück zum Bälleschießen. Als er zum Obergeschoss hinauflinste, sah
er dort zu seiner großen Überraschung seine vorherigen Verhandlungspartner geschart,
um zu spannen. Um ihn auszuspannen. Sie schubsten und schoben einander. »Wissen
Sie, mein Freund, wie auf der Penne, wenn in der Szentkirályi-Straße eine heiße Mieze
auf der Sonnenseite vorbeiging. « Er blieb stehen, ein wenig gegrätscht und sich
nach hinten lehnend, sah er nach oben, frech hinauf. »Was ist?«, jauchzte
er. Eine Antwort von oben gab es freilich nicht, nur ein nervöses Durcheinander und
ein negatives Drängeln, weg vom Fenster, wie wenn das nämliche Fräulein es (in der
Szentkirályi-Straße oder woanders) den milchbärtigen Gymnasiasten zurückgibt:
»Na, was ist, Jungchen?!« Er ließ den Sportplatz lange hinter sich. Er
ahnte nicht einmal: er war zum letzten Mal hier.
22 Der Meister hob den Finger (das Land verstummte) und bewegte diesen. »Sehen
Sie, mein Freund, wir wechseln hier die Erzählebenen wie andere Leute die Unterhosen.
Dies ist gleichzeitig eine Erklärung.« Doch mit einem Auge observierte er
bereits die Plastiktüte, die neben den Handtüchern hing: ob es darin Gummis für die
Stutzen gab. Dann, während er zwischen zwei klauenartig gebogenen Daumen einen
Einmachgummi, den er gefunden hatte, dehnte und entspannte, um zu prüfen, ob er in
ausreichendem Maße elastisch war, sagte er angemessen: »Wissen Sie, mein
Freund«, und dabei zupfelte er resigniert den Gummi, »was ich möchte, ist,
dass die Zeit nur so in den Roman hineinrinnsalt. Wie wenn … Ach, zu alt!« Und
er warf den rissigen, zu alten Gummi von sich. Er war gerade in großer Stimmung zu
lehren, großer Vorfahren Ergebnis war er hier und jetzt. Im Trainingsspiel hatte die
Mannschaft seelenlos gespielt, man musste etwas tun. Woraufhin er sich zu Wort
gemeldet hatte und in Aussicht stellte, wenn das so weiterginge, würde die Mannschaft
nach den Spielen zusammenbleiben müssen und er würde Ausschnitte aus seinem neuen,
tausendseitigen Roman vorlesen. Natürlich gab es so einen Roman nicht, aber das
konnte keiner mit Sicherheit wissen. Die Jungs jedenfalls waren eingeschüchtert und
ergingen sich in leisen Beteuerungen. Der Rechte Verteidiger sagte ernst: »Dann
nehmen wir uns lieber die Meisterschaft vor.«
»Wie wenn«, setzte er seine romantheoretischen Auseinandersetzungen
bezüglich des Hineinsickerns der Zeit fort, »wie wenn aus einem ungeschickt
geöffneten Milchschlauch die Milch auf den Tisch läuft. Sanft, natürlich; damit noch
der Atem der Kühe zu spüren ist. Die Politur oder die Fettigkeit treibt die
Flüssigkeit zu kleinen Seen zusammen, man könnte sagen: sie taucht hier und da auf.
Schön ruhig. Keine Didaktik, nur Milch.« Er sann nach, in seinen schönen
»schmutzig grauen« Augen teilten sich Weisheit und Zweifel den Platz.
»Mein Freund, der Roman ist eine subjektive Epopöe, in welcher der Verfasser
sich die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln. Es fragt sich
also nur, ob er eine Weise habe; das andere wird sich schon finden.«
Der Verfasser dieser Zeilen nimmt, wie aus dem Bisherigen in aller Eindeutigkeit klar
geworden sein dürfte, die Literatur sehr ernst. Er kaufte also - bei passender
Gelegenheit - 10 Liter Milch, 16 St. Halbliter- und 2 St. Literflakons, ging in die
Küche hinaus, um dieselben ungeschickt zu öffnen. Er kann
sagen, es kam ihm bezüglich der Methoden so manches in den Sinn. Er riss in der Mitte
mit den Zähnen daran herum, und die Milch spritzte ihm ins Gesicht. »Dass die
Zeit … so?« Er schüttelte erschrocken seinen milchigen Kopf. Er zerrte,
schnippelte, riss am Schlauch. Wildtierhafte Chancen und Konditionen. Während die
Sanftheit des Milchtropfens, wenn er da ist, unbestreitbar ist. Einmal brach das
Erlebnis in Form einer Frage herauf. Ich weiß nicht, ob der Meister schon solche
zerfetzten-geschändeten Plastikschläuche zu sehen beliebt hat? »Ich
beliebte«, sagte er mit verschlossener Kühle.
23 Der Meister beeilte sich zum Training, diesmal mit der HÉV. Sein Orlow’scher Rappe wurde immer öfter von Frau Gitti in
Beschlag genommen. Es herrschte eine mächtige Erwärmung. Der Meister ward - als
Intellektueller - von leichten Kopfschmerzen geplagt; Ausdünstungen menschlicher
Körper, die Feuchte, all das verschlimmerte seinen Zustand noch. Da wandte sich
Kálmán Mikszáth an ihn und fragte, wie spät es sei. Der Meister sagte, wie spät es
war. »Danke, mein Sohn«, sagte Herr Mikszáth, der ungemein schwitzte und
schnaufte. In seinem kurzen Haupthaar glitzerten, wie Meeresaugen
(»sanft!!!«), die Schweißtropfen, sein Bart war durchnässt, als käme er aus
dem Bade, sein sich hochwölbendes Westlein hob und senkte sich wie ein Blasebalg in
der Schmiede. »Die armen Knöpfe«, dachte der Meister sorgenvoll. Aus einer
Tasche lugte eine in Mitleidenschaft gezogene Zigarre hervor. »Mein Freund! Wie
ein Pferdefuß! « - »Diese freigesinnten braven Herren …« Herr Mikszáth
schüttelte den Kopf im Rhythmus der Westenbewegung. Der Meister schloss die Augen.
Das Reden und Schweigen fiel ihm schwer. Aus Herrn Mikszáth sprudelte das farbige
Märchen hervor, wie gewöhnlich.
»Ich komme aus dem Abgeordnetenhaus. Hör dir das an, Brüderchen. Nur so viel,
ich hatte beschlossen, meine Uhr nach einer perfekten anderen zu richten. Zu diesem
Zwecke sprach ich auf dem Flur Kálmán Tisza an, der in ein Gespräch mit Lajos Láng
vertieft war.
>Eure Exzellenz, wie spät ist es?< Tisza antwortete zerstreut: >Eins ist
sicher, nämlich, dass es Mittag vorbei ist.< Aber natürlich konnte ich danach
nicht meine Uhr stellen.« Der Schaffner verlangte die Fahrkarten. Der Meister
überreichte seine Monatskarte, zu der er von seinem Institut monatlich 65 Forint
Zuschuss erhält. Herr Mikszáth manövrierte so lange hin und her, bis er drumrumkam. Nun sahen sie sich zum ersten Mal an, wie zwei…
Menschen. »Doch weiter … Zum Glück kam Hegedűs vorbeigelaufen.
>Gleich, gleich!<, rief er im Laufen, und er läuft noch heute, wenn er nicht
stehen geblieben ist. Ich drehte mich auf der Ferse um und schritt in Richtung
Ministerzimmer. Unterwegs kam mir Kálmán Széll entgegen.
Er antwortete gelangweilt: >Soll ich das jetzt auch noch wissen?< Auf diesem
Wege erfuhr ich die Zeit auch nicht, doch da saß in einer Ecke Mihály László, er
würde es mir gleich verraten.
>Hm<, sagte er und sah sich vorsichtig um. >Warum fragst du das ausgerechnet
mich? Frag doch den Horánszky!«
Die HÉV hielt an der Haltestelle Filatorigát. Viele Frauen
stiegen ein, sie kamen zumeist aus der Weberei. Herrn Mikszáths Nasenflügel erbebten,
so wie die des Meisters. »Aber Onkel Kálmán«, sagte Letzterer leise,
während sein Blick sich in den Armausschnitt eines Kattunkleids versenkte. Herr
Mikszäth blieb unerschütterlich. »Ich hätte Horánszky auch gefragt, aber ich
habe ihn in der Gruppe, die Gajári zuhörte, der ein Jagdabenteuer zum Besten gab,
nirgends entdecken können.
>Ödönke, mein Herz, wie viel Uhr ist es?< Gajári, der ewig aufmerksame,
höfliche Gajári antwortet, ohne nachzudenken: >Wie viel wünschst du denn?<
Woraufhin ich mich unbefriedigt abwende, dem mürrisch auf und ab gehenden Imre
Veszter zu, wie spät es sei.
>Weiß der Geier<, knurrt der bitter. Ich sehe schon, dass ich hier nicht weit
komme, und schnappe mir Apponyi auf dem Korridor.
>In Anbetracht dessen, dass ich meine Uhr vorgestern um zehn Uhr zwanzig mit der
Uhr des Politechnikums verglichen habe, aber sich bereits gestern Mittag um elf Uhr
eine neunminütige Differenz zeigte, und angenommen nun, dass diese Differenz von
permanentem Charakter ist, ist es gegenwärtig noch nicht ganz ein Uhr; aber da die
Differenz aller Wahrscheinlichkeit nach eine sukzessive ist, denn Differenzen sind
entwicklungsfähig, kommt in ultima analysi meiner Meinung nach im konkreten Fall
dasselbe Ergebnis heraus, nämlich, dass es noch nicht ganz ein Uhr ist.<
Davon wurde ich auch nicht schlauer; das Beste schien, sich doch an einen alten
Freigesinnten zu wenden. Na, da kommt doch Károly Fluger herangezuckelt.
>Uns wirt net eimol des mehr gsagt!< Ich ließ den wehmütigen Schwaben stehen
und ging zu Jókai, der aus dem Oberhaus zu einem kleinen Plausch herübergekommen
war.
Jókai war zu Scherzen aufgelegt. >Ja, bin ich denn deine Uhr? Ich gehe zwar, ich
schlage auch, aber ich zeige nicht an.<
Und damit schlug er mir kräftig auf den Rücken und ging weiter. Selbst die Erde
schien in diesem Augenblick zu beben. Dezső Szilágyi kam aus dem Ratssaal, fauchend,
schnaufend wie der Waldochse aus dem Dickicht.
Ich trollte mich und zwischen all den gleichgültigen, kalten Figuren sah mich als
Einziger Pál Kiss aus Nemeskér freundlich und vertraut an.
Hierher hat mich also der liebe Gott geworfen! Es war ein mächtiger Fall, mir tut
noch vieles »weh«, aber am meisten das Herz. Es schmerzt von der mich
umgebenden Schönheit und der Einsamkeit. O wie sehr wünsche ich mir Sie und die liebe
Gitta hierher.
Ich kam nach zehn Stunden Zugfahrt hier an. Das Tal ist wundervoll! Rosskastanien,
Rhododendren. Die Sonne geht um 1/2 9 unter. Gerade habe ich Abschied von ihr
genommen. Im Park ruft noch der Kuckuck. Frühmorgens weckten mich das Gurren wilder
Tauben und der Gesang der Amseln. Die bunten Fenster sind hier ganz pfingstlich. Fast
fängt das viele Rot Feuer darin. Die morgige Messe mit Musik und Chor wird im Radio
übertragen. - Ich war schon bei einer Papstmesse. Und Sie, Sie Pirat auf päpstlichen
Gewässern? Das BiblischTheologische Wörterbuch habe ich Ihnen schicken lassen. Mein
Gott, wie vieles es doch gibt, wofür wir dankbar sein können. Das sage ich nicht
wegen des Wörterbuchs. - Gestern, am 20. August, war ich in Gedanken in Budapest; wie
wohl der »Tag des Neuen Brotes« gefeiert worden ist und wann! Gab es ein
Feuerwerk? Konnte man es von Ihnen aus gut sehen? Wie ist Ihre Stellung? Ich habe
Guszti Bucsányis Foto wiedergefunden. Was für ein fescher Mann er doch mit Bart war!
Und heute ist er ein greiser alter Mann.
Ich schicke Ihnen hiermit zwei amüsante Schreiben bezüglich Karlas Process in 50.
Damals waren Sie noch gar nicht auf der Welt. Aber vielleicht interessiert es Sie. —
Ohne jeden Grund ist mir, als ich im Garten des Kurhotels saß (nicht in der Sonne!),
schlecht geworden und ich rief um Hilfe. Die einstigen Menschen hatten einen besseren
Geschmack, als ihn die heutigen haben. - Die Kellner sind sehr nett, aber mir
scheint, sie lassen die Zitrone weg. Sie denken, ich bin schon so alt. Heute Mittag
erkundigte ich mich nach den Zitronen. Ich fragte listig, als wäre ich voll guten
Willens. Der Kellnerjunge ist nicht rot geworden, dabei war ich mir sicher. Katalin
brach in Tränen aus.
PS: Die Schriftstücke behandeln Sie bitte vertraulich. Oder wie Sie wollen. Mich
interessiert das nicht mehr. Und Karla ist es egal. Wenn ich noch was finde, schicke
ich es. Sie verstehen was von Zahlen, Sie wären wahrscheinlich dahintergekommen, es
reicht, wenn man sich das Datum ansieht. Am 7. April war der Freispruch, am 8. (!)
die Internierung, die mit einem rechtskräftigen Freispruch (24. Okt.) 3 Jahre
dauerte. Die arme Karla. Es wundert mich nicht, dass sie voreingenommen ist, obwohl
es mir äußerst auf die Nerven geht.
Ferenc U, wohnhaft in Cs.: Ich kenne die Angeklagte nur vom Sehen. Im Februar dieses
Jahres fuhr ich mit János Nagy nach O., um Kohle zu holen. Die Angeklagte wartete mit
ihrem kleinen Wagen vor der Kohlesortierung und hatte dabei einen Wortwechsel mit dem
Sekretär der Landarbeitergewerkschaft Défosz. Der Sekretär sagte, sie könne keine
Kohle ausfahren, da sie kein Mitglied der Défosz sei. Worauf die Angeklagte sagte,
wenn ich auch nicht in der Défosz bin, ich esse dasselbe Brot wie Sie. Hiernach
entfernte sich der Défosz-Sekretär und die Angeklagte unterhielt sich weiter mit
József F. und sagte über den Défosz-Sekretär W., der wird auch noch mal ein kleiner
Junge, und zeigte dabei mit der Hand auf die Erde.
József B.: Die Angeklagte hatte einen Wortwechsel mit dem Défosz-Leiter und dabei
machte sie die Aussage, dass sich die Lage noch ändern würde, die werden noch mal
ganz klein, und dabei zeigte sie nach unten. Von einem Krieg war nicht die Rede
gewesen. Den Défosz-Leiter kenne ich nicht.
János H., Vorsitzender der Défosz: Ich sagte F., die Angeklagte würde gerne den
Mitgliedsbeitrag zahlen, aber sie dürfe nicht, woraufhin die Angeklagte fragte:
Wieso, bin ich vielleicht ein Kulak? Worauf ich sagte, kein Kulak, sondern ein
Klassenfeind. Woraufhin die Angeklagte fragte: Ich darf also nicht ausfahren? Darauf
antwortete ich: Das habe ich nicht gesagt, und entfernte mich.
János H.: Mir gegenüber hat keiner erwähnt, dass die Angeklagte so etwas gesagt
hätte, und sei es in meiner Abwesenheit. - Vor mir war W. Vorsitzender der Defosz. -
Ich kenne die Angeklagte als Fuhrunternehmerin. Im Winter fuhr sie sogar Rundhölzer
für die Bahn und Kohle für die Arbeiter in M.
Gusztáv K.: In Cs. habe ich gehört, sowohl der Apotheker als auch der Tierarzt hätten
einen Einberufungsbefehl bekommen. Wir haben uns den Kopf zerbrochen, was der Grund
dafür sein könnte. Wer die Nachricht verbreitet hatte, das weiß ich nicht.
József F.: Der Vorsitzende eröffnet ihm die Aussagen der Anklage. Diese habe ich
nicht gehört. Ich habe gehört, als die Angeklagte mit H. zum ersten Mal gesprochen
hat. H. fragte mich, wieso ich nicht in die Défosz eintrete. Die Angeklagte schaltete
sich in die Unterhaltung ein und sagte, auch sie wäre gerne eingetreten. Worauf H.
sagte, sie dürfe nicht eintreten.
Ferenc U.: Nach diesem Gespräch, nachdem H. gegangen war, wandte sich die Angeklagte
an F. und sagte: Das wird noch mal anders, der wird noch mal ein kleiner Junge. Dabei
richtete sie ihre Hand auf den sich entfernenden H. und zeigte auf die Erde.
József F.: An eine solche Aussage der Angeklagten kann ich mich nicht mehr erinnern.
Ich habe keine Kriegsnachrichten gehört. Demokratiefeindliche Aussagen habe ich nicht
gehört, ich weiß, dass die Angeklagte im Winter Rundhölzer für die Bahn gefahren
hat.
U. und B. geben übereinstimmend an, dass das Gespräch nicht beim Messgehalt
stattfand, sondern ca. 15 Meter davon entfernt.
Angeklagte: Das Gespräch fand nicht an der Wiegevorrichtung, sondern ca. 10 Meter
davon entfernt statt. - Es stimmt, dass mehrere in der Nähe standen, aber nicht alle
kenne ich mit Namen. Ich kenne Gusztáv K. Wenn ich ihn sehen würde, könnte ich mich
äußern.
Hiermit wird nach Erlass des Premierministers Nr. 8130/1939 § 1, Abschnitt b) und
nach Erlass des Innenministers Nr. 228010/1948 IV/1 § 2 für
Genannte hat sich der antidemokratischen Hetze schuldig gemacht, welche geeignet war,
Hass gegen die Demokratie zu schüren, aus diesen Gründen ist aus Gründen der
Staatssicherheit eine Internierung angezeigt. Dieser Endbeschluss ist anhand Art.
XXX. § 56, Abschnitt b), aus dem Jahre 1929, ungeachtet eines Widerspruchs sofort
durchzuführen. Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von 15 Tagen beim Herrn
Innenminister Widerspruch eingelegt werden. Bpest, 8. April 1950
Oberster Gerichtshof der Ungarischen Volksrepublik B. IV. 5984/ 1950-8. ( ) Dass die
Angeklagte mit ihrer im Sachverhalt festgestellten Aussage nicht die Änderung der
demokratischen Staatsordnung in Aussicht gestellt habe, sondern ausschließlich auf
eine im Zusammenhang mit der nächsten Wahl des Défosz-Vorsitzenden zu erwartende
Veränderung anspielte, welche lediglich für die Person des damaligen
Défosz-Vorsitzenden unvorteilhaft sein würde, mit welchem sie eine gewisse
Meinungsverschiedenheit gehabt hatte - dies wird auch durch die Kleinheit anzeigende
Handbewegung der Angeklagten bekräftigt, mit der sie die von ihr gewählten Worte
(»Der wird auch wieder so ein kleiner Junge sein!«) begleitete und die auf
so eine personenbezogene Veränderung hindeutet. Hätte die Angeklagte tatsächlich an
einen Systemwechsel gedacht, hätte sie in diesem Fall die Veränderung im Schicksal
der Funktionäre der Demokratischen Grundinstitutionen nicht mit der üblichen,
Kleinheit anzeigenden Geste symbolisiert, dieses Kleinwerden entspricht nämlich bei
weitem nicht dem Schicksal, das die demokratischen Funktionäre im Falle eines
angenommenen Systemwechsels erwarten würde.
Gemessen daran erwies sich der Widerspruch als gegenstandslos und wird vom
Obersten Gerichtshof zurückgewiesen, das Freispruchurteil wird bestätigt.
Die Besuchszeit für den 22. wurde aus technischen Gründen verschoben. Ich schreibe
dir, wann sie genau stattfindet. Die Sachen, um die ich in meiner Karte vom 2ten
gebeten habe, schicken Sie bitte per Post. Zu der Kleidung
kaufen Sie, bitte, Mamili, noch einen Trainingsanzug in meiner Größe, möglichst in
Dunkelblau, und zwei Packungen Natron. Ich bitte Sie, die Lebensmittel getrennt
aufzugeben und das große Paket auch getrennt. Am besten, Sie nähen die Sachen in eine
Art Sack ein, auch die kleineren Dinge, damit sie sich nicht verstreuen. Bleistifte
brauche ich nicht. Ich hoffe, Mamili, zu Hause sind alle wohlauf? Bitte schicken Sie
die Pakete so los, dass sie möglichst beide nächste Woche hier ankommen. Ich warte
auf Antwort auf meine Karte vom 2ten, ich küsse Sie, teure Mamili, bis zum
Wiedersehen.
26 »Die Vorortbahn zieht weiter.« Da seufzt der Feinschmecker ob dieses
überreichen Übereintreffens, des strukturellen Verhältnisses zwischen Leben und Werk.
»Gefällig.« - Wie sich an so eine alltägliche, graue, doch durchaus tätige
Tatsache, das Losfahren der HÉV, und mit was für prächtigen
Fesseln, die die Ganzheit, die unverbrüchliche Einheit des Seins vozierende, wenn
auch ein wenig zu bekannte optimistische Erkenntnis anschließt, dass das Leben
weitergeht!
»Die Vorortbahn zieht weiter«, murmelte der Meister in Stille; die HÉV-Wagen setzten sich in Bewegung, das graue Massiv der
Árpád-Brücke blieb langsam zurück. Der Meister hatte einen guten Platz erwischt und
auch wieder nicht - er stand an der sonnigen Seite, in mächtig großer Erhitzung,
dafür aber am Fenster -, und so fühlte er sich wohl und wieder nicht. Aber er tat
alles, um sich wohl zu fühlen: er holte keine Luft, »drehte sich auf die
Kante«, seine Nase, das berühmte Stück, drehte-wendete er so, dass ihm die Kühle
des durch sie entstandenen, bedeutenden Schattens zum Troste gereichen konnte. Die
Sache ging nicht so richtig voran. Esterházy war auf schöpferische Weise unzufrieden;
er wusste, der Schriftsteller braucht heutzutage sein Wort nicht mehr zum Schicksal
der Findlingskinder zu erheben und muss auch nicht für einen kürzeren Arbeitstag und
mehr Freizeit wider die Arbeiter-und-Bauern-Macht zur Feder greifen! Doch schon was
zum Beispiel den Kampf um die wahre Befreiung der Freizeit angeht, ihres Sinns, ihrer
den Menschen bereichernden Inhalte, hat die Kunst eine große, durch nichts zu
ersetzende Rolle.
Die HÉV fuhr an der Essigfabrik entlang und wandte sich,
sich in die Kurve legend, von der Donau ab. Der Meister war von leichten
Kopfschmerzen geplagt. Die Kurve brachte die Menschen ein wenig in Bewegung, sie
rieben sich aneinander. Er wusste sehr gut, was ein junger Autor braucht. Was er
braucht, ist kein Schulterklopfen, sondern Vertrauen und ein strenges Urteil, damit
ihm nicht schon oft bei Erscheinen des zweiten Bandes die Puste ausgeht, aber am
meisten braucht er vielleicht, dass man ihn nicht in Scheindebatten erstickt, die
auch so schon auf jeden Fall anachronistisch sind.
»Leider«, er zog etwas milder seine zierlichen Schultern hoch, »leider
kann ich mich zu Schicksalsfragen nicht auswachsen.« Doch das ist so nicht
richtig. Ich wollte schon längst bemerkt haben, dass man beim Meister nie weiß, was
er ernst nimmt und was nicht. Und das ist, nicht wahr… so nicht richtig. In den Augen
des Meisters glomm schelmisch ein Licht auf, und er sagte gutgelaunt, wobei er meine
Backen, wie die gemeinen Tantis, zwischen zwei seiner kralligen Finger zwickte.
»Na, na, Sie Schlimmer« - bei »-mer« zwickte er zu -, »so
viel kann man schon wissen.« Ich wiederhole: Er schien sehr wohlgelaunt zu sein.
Später nahm das ab. Höflich sprach er: »Aber, aber. Ich sinke vollständig auf
mein eigenes Niveau.«
Doch zurück zur HÉV, nicht dass die sprichwörtlichen Pferde
hier mit uns durchgehen; »der HÉV zugewandt«.
»Was für eine HÉVtigkeit, mein Freund.«
(Selbstironie.) Vor der Essigfabrik war eine alte kleine Lokomotive abgestellt. Die
Kaffeemühle. Die Kurve ließ auch sie verschwinden. Doch an diesem Tag veranlasste ihn
alles zu sensiblem, gesellschaftlich relevantem Nachsinnen. Am Fuße der sich wie
Pilze vermehrenden, helle, weiträumige und praktisch aufgeteilte Wohnungen
beinhaltenden Gebäude standen halb abgerissene Häuser (Krüdy, 1878-1933; etc.).
Schatten entstanden. »Um die heutigen Probleme des Sozialismus zu verstehen, mon
eher ami, müssen wir immer und immer wieder die Vergangenheit beleuchten. Es gibt
viele Fragen, die auch im Zusammenhang mit unserer Vergangenheit aufgeworfen werden.
Literatur ist Entscheidung, sich bekennen, eine Wahl treffen, urteilen. Entweder
Dózsa oder Verbőczy. Da gibt es kein Verhandeln! Hier kann es kein Nachsehen,
Vergessen, Verzeihen geben! Ein jeder muss seine Wahl treffen.«
Schon stellte ihn das Leben wieder vor eine frivole Situation: als sie die Kurve
verließen, die Szentendrei-Straße erreichten und gerade dabei waren, auf die Gerade
vor der Haltestelle Filatorigat einzubiegen, stand der Meister vor der Wahl. Wenn er
ein bisschen Richtung Frau schlurfte, könnte er in einem unbedachten Moment seine
Ecke verlieren (bei der Elek-Benedek-Straße, wo die Türen »verkehrt herum«
aufgehen, fast mit Sicherheit), wenn er sich aber zum untersetzten, schnaufenden Mann
mit dem überhaupt nicht reizvollen Äußeren hin bewegte, schien sein Platz gesichert
zu sein und auch die Sonne beschien jene Seite seines Gesicht, auf der die
dazugehörige Stirnseite nicht weh tat. Der Meister wählte den Untersetzten.
Als er sich bewegte, bewegten sich auch seine Arme und er spürte mit seiner Nase,
dass er stark schwitzte. (Ich weiß, das ist kein literarisches Thema, aber wir werden
noch sehen, womit sein Licht solche niedrigen fleischlichen - oder, in anderen
Fällen: geistigen - »Dinge« überzieht.) Er fand seinen eigenen
Schweißgeruch nicht abstoßend, eher, vielleicht zu Unrecht, stellte er sich vor:
Schweißgeruch ist männlich. »Mein Freund, das riecht wie ein Löwe.« Man
kann ihn von der Praxis her gut verstehen, die harte Kindheit hat sich tief
eingekerbt, und gewiss konnte das Deodorant im Leben der Familie keine Hauptrolle
spielen … Nun aber, trotz alledem, durchlebte er, dank seiner sehr sensiblen
Sensibilität für das Kollektiv, tief und drastisch, dass er nicht nur er selbst war,
sondern - für andere auf jeden Fall - auch ein fremder Körper, und deswegen fand er
es dennoch etwas abstoßend, als er in seinen Achselhöhlen jene charakteristische
Feuchte wahrnahm. Er trug das schwarz-orange Trikot. »Ein hervorragendes Trikot.
Ich bin sehr schön darin«, sagte er einmal vertraulich, sich auf Informationen
stützend, welche er von Frau Gitti bezogen hatte. Der Stoff ist auch ein guter,
luftdurchlässig, formstabil. Im Winter könnte man es tagelang anhaben. Aber wer trägt
im Winter Sommertrikots? Das ist wieder so eine typische Volte des Lebens.
Die HÉV bekam eine rote Ampel, blieb mit einem Ruck stehen.
Da wandte sich der kleine Untersetzte, es war Kálmán Mikszáth (1847- 1910, der dem
Meister liebste große ungarische Schriftsteller, er entleiht von
ihm, sooft er kann), an den Meister und fragte ihn, wie spät es sei. Er fing seinen
Spruch mit großer Umständlichkeit, unter häufigem Hüsteln an. Doch die Schönheit
seines Geistes ließ die nicht sehr attraktive, heisere Stimme, das faltenübersäte,
hässliche Gesicht, den herunterhängenden Welsbart (über den Herr Marci eine kleine
Weile später sagte: »Was für ein ungarischer Schnauzer! Doch ich werde, wumm,
einen Walrossschnauzer haben!«) und die ständig
verrutschende Krawatte vergessen. Der zu Übergewicht neigende, untersetzte Herr
Mikszáth, dessen tatarisch runder Kopf sich fast ohne Hals (»halslos«)
zwischen den breiten Schultern erhob und den ein Leser einmal verwundert gefragt
hatte: »Sie haben diese Novelle geschrieben, mit dieser Statur?« - wurde
schön, wenn er sprach; der innere Zauber eines Menschen mit einem reichen Leben und
einer reichen Seele machte ihn schön. »Wie spät ist es?« Der Meister sagte
es ihm. Der andere bedankte sich schnaufend. Herr Mikszáth schwitzte und schnaufte
überaus. - Der pfeifende Atem, das ständige Hüsteln zeigten ohnehin an, dass der
Motor des Lebens in ihm zu stottern begonnen hatte, das Herz und die Lunge.
[törölt]
« klaut »
»Irgendwoher kenne ich ihn«, der Meister schloss seine Augen mit müder
Didaktik. »Kümmerlich bin ich«, er spielte auf seine pochende Schläfe an.
(Und neben dem gedrungenen Herrn Mikszáth prangte dies als mehrfach wahr.) Der
schnell bekannt Gewordene — der unbekannte Bekannte!, wie es ein jeder ist - sprach
farbig, mit breiten Gebärden. Der Meister nickte. In Herrn Mikszáths Igelhaar
entwickelten sich Schweißtropfen, nach der Art von spät reifenden, saftigen,
spätsommerlichen Früchten, sein Bart war wässrig (»Wie das Moor von Ecsed vor
der großen, Herz und Seele formenden gemeinsamen Arbeit«), seine Weste wölbte
und knautschte sich, ging auf und ab wie ein Schaufelberglift. Aus seiner
Zigarrentasche lugte eine wohlgemute Zigarre hervor. (Das genaue Aufeinandertreffen
von Zigarre und Zigarrentasche beruhigte den Meister.)
Der Schaffner verlangte die Fahrkarten. Der Meister zeigte seine Monatskarte (für die
er vom Institut, an dem er für 2700 Forint im Monat ein Intellektueller mit sicherer
Stellung ist, einen Zuschuss bekommt); Herr Mikszáth manövrierte so lange hin und her
- »Du bist ein rechter Schelm!«, hatte ihm einmal Kalman Tisza gesagt —,
bis er drumrumkam: der Schaffner hatte den Meister erkannt, küsste ihm schier die
Hand. »Mit wem spielt ihr am Sonntag?« - »Mit der Zwirn.« -
»Zu Hause?« - »Nein, dort.« - »Sind sie gut?« Der
Meister deutete mit seiner Unterlippe ein Schmollen an. »Letztes Jahr haben sie
uns zerlegt.« Doch da stand der Schaffner-Junge mit strenger Maske bereits vor
ein paar Studentinnen; der Meister registrierte die Szene mit Heiterkeit. »Die
ist ungültig«, sagte er zu einer kleinen Schwarzhaarigen (»so eine Art Druschba-Mieze«)\ der Blick des Jungen wippte zwischen
zivil und offiziell hin und her wie zwei benachbarte Farben des Regenbogens. Die
Schwarzhaarige gab irgendeine schnippische Antwort, woraufhin ihr der Schaffner die
Monatskarte zurückgab und weiterging. »Das war ein impotenter Scherz«,
bemerkte der Meister sauersüß.
Er blickte - sich über seinen persönlichen Schmerz hinwegschwingend - zu Herrn
Mikszath. Die beiden Männer sahen sich verschwörerisch an. Dem Meister schlug aus
Herrn Mikszáths Mund eine freundlich sich hervorschlängelnde Mischung aus Wein- und
Zigarrengeruch entgegen. Die pausbäckigen Wangen und das Kinn schienen ein klein
wenig unrasiert zu sein, die etwas hervorstehenden Augen wurden, »von einem
doppelten Graben umkreist«, wie ein Burggraben.
Der Meister wurde von der schriftstellerischen Vene erfasst. »Und aus dem
Burgfenster beugt sich die Wunderschöne Daschenka und die Eiche heraus.« Es sind
Herrn Mikszáths blutunterlaufene Augen, die für diese Assoziation verantwortlich
sind, und natürlich des Meisters von Belesenheit herrührende Bildung. »In der
hohen Eiche, auf dem trocknen Zweige der hohen Eiche, saß ein Kuckucksvogel. Kuckuck!
Kuckuck! Kleines Mädchen, geh nach links!« Aus Herrn Mikszáths Augenwinkel eilte
eine dicke Falte, eine Art Fleischhügel auf seine Wangen zu und breitete sich dort
aus - wie die Anschwemmung langsam gewordener Flüsse erhöhte die Wange selbst,
beziehungsweise wurde zu dieser. Nun glänzte sie vor Hitze. »Daschenka ging nach
links. Woher, woher nicht, sprang auf einmal, woher, woher nicht, stand auf einmal
der Bär Mischka vor ihr, mit vollem Namen Michail Ivanowitsch. Packte Dascha zwischen
zwei Tatzen und lief sogleich mit ihr davon.«
Jetzt erst kam die HÉV an der Haltestelle Filatorigat an.
Es musste gerade Schichtwechsel sein, viele Frauen standen vor dem kleinlichen,
düsteren Gebäude. »Oh, die leichten Kattunkleider«, seufzte der Meister und
sah, wie die Augen des neben ihm stehenden kleinen, unrasierten, nach Wein riechenden
alten Mannes die Frauen suchten. »Hooo, bei meiner Ehre!« Mikszáth ruckte
mit dem Kopf in Richtung einer hochgewachsenen Frau; in der Hand der Frau ein Zöger,
in ihrer Achselhöhle, am Rand des Ausschnitts, fast parallel
zum Rand ein kleiner, blasser Halbkreis. »Das Natron hat sich abgesetzt.«
Ihr schwarzes, schweres Haar fiel regungslos abwärts, wie die gefrorenen
Niagarafälle. Ihre Augen malte sie nicht an, doch ihre Fingernägel waren hässlich
rot. Es ist doch die Natürlichkeit am schönsten, nespa?! Herr Mikszáth redete,
während er die Frau ansah.
»Schön, wie eine voll erblühte Rose. Wie ihre Gestalt, so ähnlich wird auch ihr
Name sein, Rózsa Búzás oder Téglás. Wie die vibrieren, sich wippen machen kann,
gütiger Gott. Jeder Muskel an ihr bewegt sich und kitzelt das Männerauge. Siehst du,
mein Sohn: sie ist groß, gerade wie eine Lilie, und doch ist jeder Körperteil rund
und wohlgeformt, als hätte sie ein Piktor hingepinselt.« Aus dem Zöger ragte
eine Abendzeitung, die Esti Hírlap hervor, und durch das
Gitter des Zögers zeigte sich ein eingedellter Joghurtbecher. »Esti Hírlap, Joghurt «, sagte der Meister mit einer vom Kopfschmerz
schwer gewordenen Zunge. Rózsa Búzás (oder Téglás) ging erst in die eine Richtung,
dann in die andere; vermutlich war ihr die Situation an der einen Tür vorteilhafter
erschienen als an der anderen. Kálmán Mikszáth drehte sich aufgeregt hin und her, da
auch für ihn die Situation an der einen Tür vorteilhafter war als an der anderen.
(Die Frage ist nun also etc.) Wieder schlug die schriftstellerische Vene des Meisters
ein, wie der Blitz. (Wie der Blitz ins elterliche Haus. »Bumm«, hatte die
kleine Dorko Mitocs gesagt, die gerade ihre Zeit dort verbrachte, und gelacht.
»Fünftausend«, hatte der Privatunternehmer gesagt und der Mutter des
Meisters die Hand geküsst. »Ach, die …!«, er hatte abgewunken, »es
wird eine Menge gelabert, bitte um Verzeihung, und das Volk, Küssdiehand, ist
unzufrieden.« Und obwohl diese Worte bei des Meisters Mutter — die aus mild
reaktionären [anders der Vater!] und persönlichen Gründen die Kommunisten nicht
ausstehen kann — auf einen fruchtbaren Boden fielen, war die gute Frau unzufrieden
mit dem Ergebnis. »So viel Geld, du lieber Gott!« - Zu einem späteren
Terminus »blubberte« die Frau also: »Mein lieber Sohn, für gewöhnlich
schreie ich dich nicht an, aber das wirst du augenblicklich streichen. « -
»Was soll ich streichen?«, sagte der Meister mit schelmischem Schmunzeln
und einer ordinären Geste. »Streiche es, denn seitdem ich sehe, dass die genauso
alt werden wie ich, schau dir den greisen Tocska an, bin ich ganz beruhigt. Und, wie
ich höre, war auch Attila József ein Kommunist…«)
Zurück zu der Vene: »In einer hohen Eiche, auf einer hohen Eiche trocknem Zweig
saß ein Kuckucksvogel. Kuckuck! Kuckuck! Kleines Mädchen, geh nach rechts! Maschenka
ging nach rechts. Woher, woher nicht, sprang auf einmal, woher, woher nicht, stand
auf einmal der Bär Mischka vor ihr, mit vollem Namen Michail Ivanowitsch. Packte
Mascha zwischen zwei Tatzen und lief sogleich davon mit ihr. Er rannte mit ihr,
rannte davon.«
28 Die Außen flankten in die Mitte, die Innen legten einen Zahn zu und bemühten sich,
den Ball ins Netz zu befördern. Lange wiegte der Meister sein edles Haupt:
»Einen sich bewegenden Ball… das ist sehr schwer … sehr schwer.« Anfangs
versuchte er sich in sorgenvollen Lufttritten. Herr Öschen, der Gerätewart - dessen
Verhältnis zum braven Herrn Armand ein gespanntes war -, legte Herrn Mikszáth eine
Flasche Kőbányaer-Bier aus. »Kellerkalt«, sagte der kleine Herr Öschen und
lachte (heißt: der Keller ist warm - das ist der Witz daran). Der große Palotze
nuckelte am Bier; sah dem Meister zu, der an der Torraumgrenze der Reihe nach fast
die geflankten Bälle traf. Mehr Bier war vom Gerätewart nicht zu kriegen,
»’s reicht, Papa.« Herr Öschen war von kleinem Wuchs, doch von
bestimmendem Charakter. (Zu dieser Zeit begannen sich gewisse Schwierigkeiten
anzuspannen, wobei Herr Öschens Bestimmtheit erneut zum Vorschein kam, was - im
übertragenen Sinne - zu blutigen Gefechten zwischen ihm und Herrn Armand führte. In
einer vergifteten Atmosphäre gedeihen notwendigerweise grundlose Verdächtigung und
Verleumdung. Im Wesentlichen ging es um die Armut.)
Kálmán Mikszáth winkte dem Meister zu, er würde jetzt gehen. »Spiccer
Bar?«, rief der, während er einem davongesprungenen Ball hinterherhatzte. Der
große Anekdotenerzähler, der seine Meinung so manches Mal
n
mit verblüffender Offenheit sowohl Regierung als auch Partei
sagte, den sein realistischer Instinkt, sein lebendiger Realitätssinn davor bewahrte,
den Pfad der Desillusionierten zu betreten, auf dessen Seele die erschreckende
Trostlosigkeit seiner Zeit schwer lastete, der sich nichtsdestotrotz, wenngleich in
Zynismus verkapselt, die schöne Heldenhaftigkeit seines jugendlichen Ebenbildes
bewahrt hatte, und aus dessen Beziehung zu Kálmán Tisza die bürgerliche
Literaturgeschichtsschreibung einen Mythos fabrizierte (um so seine schneidende
Kritik zu entschärfen: denn wie könnte einer, der fast jeden Samstag und Sonntag auf
der Terrasse von Jókais Villa auf dem Schwabenberg Tisza kiebitzt, ein unerbittlicher
Satiriker der herrschaftlichen Gesellschaft sein), nun, dieser Mensch zuckte mit den
Achseln und winkte im Weggehen dem Sport treibenden Meister zu, er würde »noch
irgendwo ein paar Dezi kippen«. Der Meister nickte und hörte sich anschließend
aufmerksam an, was die nächste Übung sein würde; es folgte eine sog. spielerische
Übung, doch, wie immer, verstand er sie nicht. »Entschuldige, aber ich verstehe
es, Fichte, nicht.« Woraufhin man es ihm erklärte, langsam, wie einem Kinde.
»Hat sich aber echt gelohnt, dich studieren zu lassen, Kumpel.«
Jegyzet Ich füge
hier seine Entrüstung ein: »Was soll das heißen, so manches Mal?! Und die
anderen Male?« - Aber das sei so zu verstehen: dass ihm die Kinnlade
herunterfiel.
30 »Wer ist die Type?«, fragte Herr György nachlässig (dabei kennt Herr
György jeden, wirklich jeden), sah dabei quasi durch den Meister hindurch, während
seine Hände schnell wie eine Haspel rotierten: er wusch auf die Schnelle ein Glas ab
und zeigte auf das Mütterchen, das neben dem Meister und seinem Begleiter stand.
»Nullzwei vom Roten, meine Teure, richtig?« - »Genau, mein Lieber,
genau, es fehlen nur dreißig Fillér.« Die Alte trat befangen auf der Stelle. Ein
schwarzer, schmuddeliger Trenchcoat hing an ihr herum, schlug große Falten, nur über
ihrem gebeugten Rücken lag er stramm. »Wie eine unglückliche Hexe.«
(Hinsichtlich des Aussehens erinnerte sie den Meister an seine Großmutter. Nur dass
dieser Alten »ostentativ die Kraft abging«. Doch auch seine,Großmutter
wurde von der Zeit, die vergeht, auf dieselbe Weise geknickt. Sie wurde zu einer
schwarzen Bäuerin, einer gutherzigen Hexe, auch sie. Wenn sie gebeugt, nur noch zu
Boden schauend, mit einer Geschwindigkeit, dass der Meister kaum nachkam, durch die
kleine Siedlung trippelte, wurde sie in der Spalte zwischen den immergleichen
Häuschen, auf der Straße, mit großem Respekt begrüßt. Und mit Recht. So war es denn
auch sehr lustig, wenn sie dem einen oder anderen, vielleicht gar nicht unbedingt
überheblichen westlichen Touristen in einer passenden Weltsprache den richtigen Weg
wies.) Herr György warf dem Meister frohgemut einen Blick zu. »Was, es fehlt was? Macht nichts, Omama, dann bringen Sie’s eben
morgen vorbei.« Doch noch während er das sagte, ergriff die alte Frau mit
zittriger Hand das Glas, hielt es für einen Augenblick und stürzte dann blitzschnell
den Wein hinunter; sie murmelte etwas in Herrn Györgys Richtung und sputete sich
hinaus. »Adjö, meine Damen, adjö«, rief ihr der
weitberühmte Schenk hinterher.
»Wer ist die Type?«, fragte er erneut und zeigte auf Herrn Mikszáth, der
bescheiden, doch kompakt neben dem Meister stand. »Bitte, verzeih, Onkel
Kalman«, sagte dieser und schlug zielgerichtet die Augen nieder, um sie
anschließend in ähnlicher Weise für Herrn György aufzuschlagen: »Ist doch egal,
oder nicht, Kumpel? Ein Jemand halt.« - »Zwei Bier?« - »Zwei
Bier«, sagte er von gewissen Gefühlen erfüllt zum jüngeren Bruderherz.
Zeit ging vorbei und mit einem Mal dachte er, warum, warum nicht, er könnte sich (als
Folge des ihn verfolgenden Verantwortungsbewusstseins sowie Wissensdurstes) einiges
erlauben, und so fuhr er, nachdem er einmal seinen Humpen auf dem Blechtresen
abgesetzt und - gleich wie seine Hand von den Bergspitzen die Wolken - sich den
Bierschaum von der Nase gewischt hatte, Kálmán Mikszáth an, (obwohl) der den Meister
augenscheinlich gern hatte. (Im Folgenden ist die Esterházy-Ironie etwas bleicher.
Könnte es ein Zufall sein? Ein Sternzeichen des bewussten Handelns oder das des
Stromausfalls der Disziplin? - Oh, oh, sagten die Vitrinensoldaten.)
»Sag, Onkel Kálmán, übernahmst du gewisse Aufgaben freiwillig oder hat dich
Árpád Bercsik, der Chef der Pressestelle des Ministerpräsidenten, dazu
aufgefordert?« Genauso, direktemang in die Mitte hinein! Phantastisch. Herr
Mikszáth war noch nicht fertig mit seinem Bier. Er trank es akkurat, wischte sich mit
dem Handrücken den Bart. Bis dahin war dieser, wie von Raureif, von weißem Schaum
bedeckt. »Freiwillig. So empfand ich es als richtig. Ich glaubte daran.« -
»Mach mich nicht schwach, Onkel Kálmán. Hätte das ein jeder geglaubt? « -
»Viele.« Der Alte nahm versonnen einen Schluck. Nun gab es mehr, das sie
voneinander trennte; als hätte es gar keinen Dialog gegeben. »Sehr viele.«
— »Aber Onkel Kálmán!« Der Meister schlug ärgerlich, ungeduldig in die
Luft. (Jetzt erst sieht man, was für ein Glück es war, dass der Humpen bereits
hingestellt war.) Der Alte mümmelte nur vor sich hin, als wollte er etwas sagen und
dann wieder nicht. »Uns geht’s so damit, dass wir darüber genauso wenig reden
können, wie man nicht von seiner ersten Liebesnacht reden kann.« - »Aber
Onkel Kálmán, darum geht es ja! Die Braut hatte ’nen Schwanz!« Herr
Mikszáth sah dem Meister nur selten in die Augen; das war jetzt so ein Moment. Und
was spiegelte sich da nicht alles in diesem verhangenen braunen Augenpaar: das große
Wissen darum, wie der Hund hinterm Ofen hervorzulocken ist. »Du bist vielleicht
ein Mameluk, Alter«, sagte der Meister jugendlich. Kálmán Mikszáth wandte sich
um: »Worte brechen keine Knochen.«
Der Meister entbrannte in unbändigem Lodern. (Denn gerade, was das Wort angeht, ist
er so sensibel, wenn damit Schindluder getrieben wird. Das schlägt ihm mächtig auf
die Laune. »Satt herumzusitzen und zu lügen, mein Freund, ist die schlechteste
Version.« Darüber hätte der gute Mann noch Folgendes sagen wollen: »Mein
Freund, die Grammatik ist ohne Moral.« Und wenn seine Laune gar zu schlecht,
fügt er noch hinzu: »
Kultur ist Parodie.
«
Kraftvoll kann er sich da hineinversetzen.) Seine Kurutzen- und Labantzen-Ahnen (denn
Esterházys gab es wie Sand am Meer) trafen in ihm aufeinander, die Toledaner Klinge
auf die begradigte Sense, sein eigenes Auge blitzte, eine Flagge war er, die man
entfalten kann, und ein Fahnenmast; definierbar. Kálmán Mikszáth geriet nicht in
Aufregung. Er winkte Herrn György wegen eines neuen Biers. »Sie haben einen
guten Zug, Alter«, sagte lachend der große Schenk. Herrn Mikszáths aufmerksame
Indolenz hatte den Schaffenden unseres Jahrhunderts gedämpft. »Weißt du, mein
Junge, lass deine Kurutzen mutig sein, der Schriftsteller muss es nicht sein.«
(Aber der Meister wollte weder mutig noch nicht-mutig sein.)
Ein dünnes, blondes Knäblein tauchte in der Kneipe auf, es zog ein Klavier an einer
Schnur hinter sich her. Ging geradewegs zum Wirt, fragte ihn etwas, und der
schüttelte verneinend seinen Kopf. Die Stammgäste saßen an den Tischen und tranken
nicht viel, aber ständig. »Suchst du deinen Vater?!«, fragten sie ihn, ohne
von den Karten hochzuschauen. Sie waren von seiner Nummer kaum beeindruckt, manche
von ihnen wurden sowieso bald schon abgeholt, andere holte nie jemand ab.
Der Meister bohrte mit publizistischem Eifer weiter. »Aber Onkel Kálmán, es gibt
doch gewisse verdächtige Zeichen …« - »Ach, steig mir doch vom Frack. Ich
bin schon ein alter Baum … Mein Memoar lässt nach.« - »Ein gutes, mürbes
Memoar, das ist was Feines!«, polterte der Meister, der den Ruf eines großen
Feinschmeckers genießt. Herr György winkte: Leise, ihr guten Leut, meine arme Mutter
ist krank. (Später wird sich ihr Zustand zum Glück bessern.) Herr Mikszáth zuckte mit
den Schultern. Alles Mögliche mag ihm in den Sinn gekommen sein. »
Na ja, die
Schimmernden Winde! Neues
Land, neues Leben, neue Illusionen! « - Guter Gott, da kann ich mir auf die
Lippe beißen; und ich erinnerte den Meister an die vielen positiven Schicksale,
welche von diesem ironischen Sätzlein beleidigt werden. »Wenn ich nicht
beleidigt bin …«, sagte er mit lockerer Keckheit. Ich erinnerte den Meister an
seine Situation, mehr noch, ich wagte zu bemerken, dass er schließlich und endlich,
historisch betrachtet, doch eine Art herziges (und nicht herzögliches, ha, ha, ha!)
Kuckucksei im kuschelweichen Nest des Sozialismus sei. Ein nützliches, redliches
Kuckucksei natürlich. »Und du, Kuckuck, kannst das zu deiner lieben Frau Mama
sagen!«, brüllte er leichthin, elegant (wie der Bruder des kleinen Fritzchens im
Witz). Nachdem er also so frappant die ihm entgegengestreckten, durch mich
vermittelten infamen Dolche abgewehrt hatte, sekkierte er erneut Herrn Mikszáth. Er
wollte etwas erfahren und er hielt etwas für nicht in Ordnung. »Ein abgekartetes
Spiel ist das, mein Freund.«
Währenddessen arbeitete Herr György ordentlich. Die Gäste liebten ihn; schade nur,
dass Herr György sich so über sie hinaushob. Er gab ihnen, was sie erwarteten — auch
wenn er die Halb- und Zweidezis sparsam maß schäkerte, so abgerissen sie auch waren, mit den Frauen, gab sich männlich mit den
Männern. Nur dass… Egal: Herr György besaß das, was man »die Wärme des
Herzens« nennt. »Gyuri, mein Lieber, ein Achtel gespritzt für mich.«
Der Jemand bemerkte den Meister. »Grüß dich, Peti, mein Lieber. Du hier? Endlich
bist du auf dem richtigen Weg.« Sie lachten, der Meister hatte keinen blassen
Schimmer, wer das war, mit dem er da redete. »Werdet ihr am Sonntag
gewinnen?« — »Klar.« — »Das hast du letzte Woche auch schon
gesagt. « - »Und, haben wir gewonnen?« - »Nein.« - »Na
also.«
Herr Mikszáth hatte sich zurückgezogen, in die Nähe des Flippers. Der Meister folgte
ihm. Dieses unerbittliche Vertrauen, dieser optimistische Zynismus! Der Meister
pirschte sich vorsichtig heran. »Du warst Autor in einer tristen
Übergangszeit.« Herr Mikszáth nickte; deswegen? Oder quittierte er ein weiteres
Freispiel des Flipperkönigs? »Freilich, in jenen dürftigen Zeiten …« Doch hier schoss der Meister übers Ziel hinaus.
»Merke dir, Jungchen, die Zeiten sind immer dürftig. « Herr Mikszáth
schenkte seine Aufmerksamkeit den hin und her springenden Flipperkügelchen.
»Man erzählt sich, Onkel Kálmán, in jungen Jahren wäre eine liebenswerte
Heldenhaftigkeit in dir gewesen, eine moralische Kraft, welche in deinen Worten
farbenprächtig aufschien.« Sie standen neben dem Flipperkönig, so zischelte der
Meister. »Freilich … Ich verstehe schon … Große Zeiten bringen heldenhafte
Charaktere hervor, doch der Unbeweglichkeit stummen Jahre fressen den Stahl des
Charakters an.« - »Sehen Sie, mon ami, das ist ein Blödsinn. (Dabei hat er
es selber gesagt. - E.) Bewegung ist relativ; die Frage des Koordinatensystems, für
eine Weile. Es gibt keine unbewegte Zeit, sofern ich existiere!« Und er sah mit seinen Augen triumpherfüllt nach vorn. - Der
Meister schmierte etwas den Welsbart, Pardon, des Herrn Mikszáths. Er wollte den
Hasen aus dem Busch locken. »Mein Freund! Die Hasen …! Einen Schmarrn! Kauen nur
am Gras herum und werden fett.« Und die Semmelknödel?; doch Schluss mit der
Vorwitzigkeit.
»Onkel Kálmán, ich bitte dich recht herzlich, ich darf ja wohl sicherlich
hoffen, dass in dir, durch dich, der Unterschied zwischen dem kleinlichen, dekadenten
Ich-Kultus der verrotteten Welt der Bourgeois und dem stolzen Selbstbewusstsein
jener, die vom heldenhaften Pathos der demokratischen Freiheitsbewegungen gestreift
wurden - nachzuweisen war. Dein Hingezogensein zur Gentry, Onkel Kálmán, bedeutete
niemals eine Identifikation mit diesen.« Zufrieden rieb der Meister seine
Händchen mit den abgeknabberten Fingernägeln aneinander. »Wissen Sie, mein
Freund, dieser Roman tat ein Übles mit meinen Fingernägeln.« (Heute ist es der
Roman; doch schon von alten Zeiten an: die kalten Ängste der Kindheit, das Winseln im
abgründigen Dunkeln, das Vergraben des Kopfes im Kissen, das Kratzen der Laken, die
Hand zur Faust geballt - all dies konkludierte darin, dass der Meister nicht gerade
die Perle der Maniküren ist.) Doch nur der Flipperkönig wandte sich um.
»Hundert?« - »Bitte, was?« Woraus der Flipperkönig sofort
schloss, dass der Meister mit diesem Spiel nicht vertraut ist, und versuchte, ihn zu
beschwatzen. Doch er war nicht zu beschwatzen. Herr Mikszáth schnaufte, rührte sich.
Dann fiel ein schweres Wort, langsam, überlegt.
»Was willst du.« Herr Mikszáth wandte sich um wie ein zu alt gewordener
Bierjunge. Abermals begriff der Meister etwas, der Ärmste. Doch Herr György war
beschwichtigend zur Stelle: »Na, na, nicht doch, na: meine süßen Kleinen.«
Alle beschützte er. »Mein lieber Junge, es ist schwer, ein ungarischer
Schriftsteller zu sein.« Herr Mikszáth sah versöhnlich drein. Doch der Meister
wollte immer noch etwas.
»Ein frevelhaftes, volksfeindliches System …« Der Satz brach entzwei.
»Zum Henker! Stellen Sie sich vor, mein Freund, ich fand kein Prädikat.«
Nun ja: Wie er manchmal während des Schreibens die Zähne fletscht und sich dabei das
Kinn streichelt. (So, wie manchmal während des Fußballspiels, wenn jene gewisse
»Lähmung« ihn übermannt.) Seine Hand dabei über dem Papier, die Linke
violent gespreizt, wie die der Greifvögel. »Zu Recht. Fürchtet euch sehr!«
— Wenn nun in so einer Situation die kleine Mitocska mit ihren rosigen Händchen am
Rücken des Meisters anklopft und noch auf viele andere — übrigens sehr süße — Weisen
ihrem Vater ihr Liebesbedürfnis zur Kenntnis bringt, verliert dieser eventuell die
Geduld. »Liebe Awdotja Jegorowna«, brüllt er gemessen, »scher’
dich in deine Mutter, das heißt zu ihr«, leider kann er auch so direkt werden,
»ich fange jetzt schon das fünfte Mal diesen vermaledeiten Satz an.« Ein
wenig als Abbitte, seinen Kummer mit der Kleinen quasi teilend, sagt er dann:
»Nicht ein einziges vermurkeltes Prädikat, meine Kleine, fällt mir ein.«
Einmal, bei einer Gelegenheit, sagte das kleine Mädchen dazu: »Papali.«
Während sie ihrer Gewohnheit getreu heftig gestikulierte, ihre offenen Handflächen
drehte und wendete. »Musst kurze Sätze schreiben, Papali.« — »Mein
Freund! Was hätte ich tun sollen. Ich versprach, mein Stil würde je tiefer, umso
einfacher werden.« (So viel zur Beruhigung der Literaturfreunde!) (Die Zeichen
mehren sich.)
»Aber Onkel Kálmán, wie kann es sein, dass niemand erkannte, worum es ging? Dass
das geneigte herrschaftliche Gehirn der Herr war! Der herrschaftliche Schuft! Und
dass im raschen Blinzeln des kalten, glanzlosen Auges des Generals herrschaftliche
Schurkerei wohnte!« Und dann, ganz leise. »Oder hattet ihr Angst.« -
»Lass mich. Ich bin alt. Wir haben alles auf uns genommen. Alles. Wir haben uns
geirrt, auch das nehmen wir auf uns.«
»Das ist ja wohl das Mindeste«, sagte der junge Mann. Herr Mikszáth wandte
sich vom Flipper ab. Obwohl dieser aufgeregt schwirrte; die Einsätze erhöhten sich.
»Jungchen. Wenn du, damals, dort… hättest du genauso.« - »Ich wäre
damals im Gefängnis gewesen!«, rief er hart heraus. Herr Mikszáth nickte.
»Bei meiner Ehre, aberjadoch! Das wäre keine große Kunst gewesen. Aber da drin,
im Gefängnis, dort drin, dort hättest du, damals, genauso … Du hättest nicht anders
können. Zustimmend oder verneinend, aber auf jeden Fall genauso! Die Schablonen
bleiben im Geist kleben wie die Kletten in der Wolle der Schafe. Es kommt einem gar
nicht in den Sinn, dass es auch anders sein könnte.« - »So was
gibt’s«, dachte der Meister tief in seinem Inneren. Denn wie oft kam es vor,
dass plötzlich, vielleicht sogar schon an der Strafraumgrenze, in einer sogenannten
günstigen Position, ihm nichts einfiel. (»Angemessene Verschiebung.«)
»Ach, du lieber Gott«, denkt sich der Stürmer mit Blick auf den Ball,
welcher rollt, »mir fällt nichts ein.« Wieso, was, wofür, für wen und vor
allem wie. »Vielleicht mit der Spitze, krach, mitten hinein ins Gestrüpp!«
könnte man da desillusioniert denken. Doch dann verstrickt er sich naturgemäß in ein
kompliziertes Gerangel, erkämpft mit harter, mühevoller Arbeit eine Ecke und wirft
seinen Kameraden einen um Vergebung bittenden Blick zu.
»So was gibt es nicht«, sagte er laut. »Du bist jung.« -
»Jungsein ist ein moralischer Vorsprung.« Gefällig. »Irrtum.«
Hier bediente er sich der Weisheit. »Der Irrtum ist recht gut, solange wir jung
sind; man muss ihn nur nicht mit ins Alter schleppen.« Sagte er, um gleich
danach zum publizistischen Eifer zurückzukehren. »Ich habe noch nichts Böses
getan und übernehme für das Getane auch keine Verantwortung. « - »So stolz brauchst du nicht darauf zu sein, dass du nichts getan
hast… Im Übrigen kommt ihr ganz langsam auch dazu, zu tun … Aber,Jungchen. Wie ich
schon sagte, wir übernehmen die Verantwortung. Wie du selbst sehen kannst.« -
»Ihr rechnet ein bisschen ab, konfrontiert ein wenig, und schon glitzert in
euren Augen wieder der alte Frohmut. Ihr seid äußerst gerührt.« Er hob seinen
Belehrfinger: »Dabei ist einer neuen Wahrheit nichts schädlicher als ein alter
Irrtum! « - »Was weißt du davon?! Dass hier Generationen voller Glauben und
Überzeugung gelebt haben, die sich aus tiefer Überzeugung der Umformung der
Gesellschaft annahmen! Was weißt du davon, en detail.« Und so ward in des
Meisters Falle getappt: »Natürlich. Das ist das, was ich auch sage! Ausgerechnet
ich soll was sagen? Ich, der ich damals - 1, o, 1, 2, 3, 4, 5, 6 Jahre alt war, in
dieser Reihenfolge?!«
Seien Sie so lieb, den Stammbaum, den Sie mir neulich geschickt haben, noch einmal zu
schicken, diesmal mit Filzstift geschrieben. Ich danke Ihnen sehr. (Ich hab ihn
verloren, deswegen.)
(Die Zeichen mehren sich. - Der Filzstift!? Weil es die Druckerei so braucht! Keine
Spur von Verlorenhaben. Hier bediente er sich der Lüge; der Stammbaum ist in all
seiner Pracht auf der gegenüberliegenden Seite zu sehen - rein drucktechnisch ist es
so, natürlich, endlich: einwandfrei. Wo also ist die Unschuld?! Wo? Nirgends, ist doch
klar. Und was haben wir im Gegenzug gewonnen? Den Blick darauf, wie die Literatur
sich tätig hineingestaltet in den Gang der Welt.) Siehe auch Fußnote Nr. 7 (S.
167).
32 An diesem Punkt kamen die aufgestauten Sehnsüchte bezüglich der sogenannten
Allgemeinverständlichkeit zum Vorschein, welche er scheinbar - ich betone: meine
Meinung ist subjektiv! - nicht willens war zu befriedigen. Es sprach der Meister
schroff
: »Wer einem Autor, mein Freund,
Dunkelheit vorwerfen will, sollte erst sein eigen Inneres beschauen, ob es denn da
auch recht hell ist: in der Dämmerung wird eine sehr deutliche Schrift
unlesbar.« Pritz-Pratz, das war alles. So warf er, mit einem prächtigen
Unterdrall, den Ball zum Absender zurück. Unzweifelhaft, dieser Ausspruch zeugte von
Haltung, aber auch von nicht wenig Rigidität. Doch dann ward die Temperatur wie
gewöhnlich gegen christliche Wärme getauscht. (Zu Kennern von Werkstattgeheimnissen
werden wir; Neureiche - würde er, die Ahnen im Rücken, vielleicht sagen.)
Vielleicht waren Ziegel zu schleppen und der Meister sah so lange in seine staubige
und von den schartigen Ziegelsteinen leicht, jedoch schmerzlich aufgerissene
Handfläche, dass kein Platz mehr in der Reihe übrig war, oder vielleicht konnte er
das Tragen des mobilen Tores nicht unterstützend begleiten, oder sämtliche Ecken der
Plane waren bereits besetzt, mit welcher Plane der gemähte Rasen hinausgetragen wurde
(»Zivilist auf dem Platz«), oder die Medizinbälle waren knapp vor seiner Nase alle geworden - jedenfalls standen wir auf einer
ruhigen Insel, rundherum herrschte Emsigkeit, welche Wohlbefinden entstehen lässt.
Der Meister tastete seine Handfläche
ab, knautschte sein Trikot, trat
verstreute Grashalme beiseite und sprach:
»Wissen Sie, mein Freund, dieses Kapitel hier in der Mitte des Buches,
versteckt, umgewühlt, ist wie ein tiefer als tiefer, schöner als schöner
geheimnisvoller, gefährlicher Brunnen.« Ich stellte es mir vor. Ob sein Wasser
trinkbar war? Und leuchtete herrlich ihm die Natur? Daraufhin fuhr er auf,
»einige« würden am liebsten eine Wassersteuer über seinen Brunnen verhängen
wollen. Er war aufgewühlt: Er war drauf und dran, sich fast einen Platz an der
riesigen Plane zu erdrängeln.
Doch dann richtete er seine Schritte doch Richtung Schlackebahn. Ein wenig angewidert
- nach dem Gras! - blieb er im schwarzen Gelände stehen, welches die Erinnerung an so
viele lange oder gnadenlos schnelle Läufe bewahrt. Er hatte seine neuen Schuhe an,
mit hohen, gefährlichen Stollen. Mit diesen begann er, in die Schlacke zu zeichnen.
Er musste den Fuß dafür seltsam schräg halten, damit nur ein Stollen
»griff«. »Wessen Sie, mein Freund, das ist die Zweifache-
Brunnen-Konstruktion.« Und er erzählte dem Interessierten, dass, so wie sich ins
ursprüngliche Romanmaterial die Tisza-Zeit eingräbt, so gräbt
sich in diese die Rákosi-Rede ein. »Projektion,
Kumpel.« Na, sagte ich hämisch und stolz zu mir, da gibt es aber im Falle des
Meisters auch noch andere Hohlwege.
Die Zeichnung selbst sah so aus:
Eine sehr schöne Zeichnung. Und das mit
dem Fuß! Ich - das ist bekannt und ich habe es auch nie geleugnet — liebe die Blumen
und die künstlerischen Dinge im Allgemeinen so, aber wirklich so sehr! Aber zum
Beispiel auch einen Weg, einen kleinen Gartenpfad, wo in den gekritzelten Parallelen
des geharkten Schotters federleichte Frauenschüchen tapsen (Zeichen! Spuren!), das
Pfädlein windet sich, läuft an einem malerischen Steingarten vorbei, berührt die
hochfahrende Rosenlaube etc. etc., das muss ich vielleicht nicht weiter ausführen. So
entwickelte sich in mir ein gutes Gespür für Symmetrie. Werfen Sie einen Blick auf
diese Zeichnung. Sie ist symmetrisch! Deswegen mag ich sie.
Der Meister erschien im Ausschank. Es war eine heruntergekommene kleine Stampe, dem
Boden entströmte brutaler Petroleumgeruch, der Küche der Übelkeit erregende Duft der
Kutteln, all das durchtränkt vom abgestandenen Atem des Biers. (»Ja, mein
Freund, das ist dieselbe Kneipe.« Amüsant, diese Raum-Zeit-Konstruktion.)
Der Meister gab Herrn György einen Wink, dieser ließ seinen traurigen, braunen,
Frauen in den Wahnsinn treibenden Blick aufblitzen und zapfte das Bier. Hier schrie
Sanyi, der Flipperkönig, laut auf: »Ja!« Er hatte irgendein unglaublich
großes Geld gewonnen. Wie viel denn? »Achtzehn Lappen.« Das glaube ich
nicht. »Ich auch nicht. Aber so viel hat er gewonnen.« (Anm.: 18 Lappen =
18 Tausender; zeitgenössischer Slang.)
»100 Stück Lafrans-Rosen an die
Kackmutter
!«
Der Flipperkönig freute sich, dabei war er es gewöhnt - aber der Einsatz! »Heute
ist jeder mein Gast!«, rief er. »Bravo!« Hände klatschten, wenn auch
nicht so begeistert, »wie ich es erwartet hätte«. Der Flipperkönig war
nicht sehr populär. Angeblich betrog er. Einmal hatten sich drei vorgenommen, ihn zu
verprügeln. »Aber in echt.« Sie sprachen ihn in der K.-Straße an, an der
Ecke gegenüber dem Selbstbedienungsladen. »Sanyika, Fichte, hast ’n
Tschick?« Er wusste natürlich schon, »was Sache war«. Er holte eine
Forintmünze hervor, schnippte sie hoch, um sie, nach ihrer - erwartungsgemäßen -
Wiederkehr, zwischen zwei Fingern zu verbiegen. Die verkrüppelte Münze warf er den
drei »Angreifern« zu. »Hier,Jungs. Dafür könnt ihr euch Kippen
kaufen.« Wie an einem Ehrenspalier schritt er an ihnen vorbei.
»Auf ein Bier!«, er winkte nun Herrn György zu. Der Schenk nickte. Der
Flipperkönig war mit dem Meister zusammen in die achte Klasse gegangen. »Ich
beneidete ihn sehr für seine Weitwurftechnik … Meine persönliche Bestleistung, mein
Freund, waren 32, Meter.« Ich nehme an, bei den Mädchen reichte das für den
ersten Platz. »Für den zweiten.«
Der Flipperkönig entdeckte den Meister, der quasi immer noch in der Tür stand, denn
seitdem er eingetreten war, war immer etwas Neues passiert, was seine Aufmerksamkeit
auf sich gelenkt hatte. »Wenn wir etwas beobachten, ist es unvorteilhaft, wenn
gleichzeitig uns selbst etwas widerfährt. Denn Letzteres verändert uns, und dann weiß
man nicht mehr, auf wessen Konto die Beobachtung geht.« (Nach einer Idee des
Herrn Heisenberg - E.) Hernach bediente sich der Meister einer sehr ansehnlichen, uns
in die tiefen Grotten des Schöpferischen führenden Bemerkung: »Ich entwickle
mich so schnell von meinen Dingen weg.« (Wer, wenn nicht ich, sollte das wissen!
Ich, der ich diese Veränderungen verfolge und dadurch die
Sachen erschaffe! Und dadurch immer mehr in Temporückstand gerate; die Zeichen mehren
sich.)
»Grüß dich, Peti, mein Lieber. Was trinkst du, Fichte!« - »Gruß,
Alter.« - »Was geht ab, Alter? Fichte, hab ich dich lang nicht mehr gesehen
… Wie geht’s, wie steht’s?« - »Geht so. Frauen, Drogen,
Sprit.« - »Kinder?« - »Ein Mädchen, ein Junge.«
n
- »Ich habe
zwei Jungs.« - »Ich wusste gar nicht, dass du geheiratet hast.« -
»Oh, oh, und wie! Seit fünf Jahren schon in Handschellen. Hab die zwei Jahre bei
der Fahne abgeritten, danach ein bisschen Rumhängen, doltsche vita, und dann,
Hipp-Hopp, in den Schraubstock. Mit Frauund- Kind ist es vorbei mit dem
Herumgehopse.« - »Das stimmt.« - »Ich komm hierher, spiel ein
bisschen auf diesem Scheißding. Kleine Gehaltsaufbesserung.« - »Wie ich
sehe, läuft’s gut.« - »Peti, mein Lieber, Fichte, eins kannst du
wissen, meine Hände, das sind Werkzeuge. Die Technik der flinken Finger.«
Jegyzet In der ersten Version des Manuskripts las sich dieser Abschnitt noch
so: »Kinder?« — »Nein, nur eine Tochter.« — »Macht
nichts, Hauptsache, gesund. « - Doch dann, während der berüchtigten
Durchlaufzeit der Druckerei und der sorgsamen Ausarbeitung wurde ihm ein Sohn
geboren. »Sehen Sie, mein Freund, die Literatur ist ein Bruchstück aus
Bruchstücken; davon, was geschehen und gesagt ward, ist das Wenigste
aufgeschrieben, von dem Aufgeschriebenen ist das Wenigste geblieben.« Aber es
gab auch andere Effekte, zum Beispiel kann er seitdem nicht mehr wahrheitsgetreu
sagen: »Ich bin das einzige männliche Glied meiner Familie.« Also ein
Bonmot weniger, aber wie viel Gewinn, durch einen Sohn, an Tiefe. Als würde er
seinen Kritikern folgen. Ganz so ist es allerdings nicht.
Sie lachten. Der Meister wurde von mehreren Seiten begrüßt, der Flipperkönig wurde
von jemandem gerufen, er ging. Der Meister liebte diese dümmlichen Gespräche sehr,
diese seine oberflächlichen Beziehungen, denn darin spürte er am stärksten die
»Unwiederholbarkeit«. So hatte er einmal auch einem knochigen Freund
(Tátrus), der gerade im Begriff war, in den Westen auszureisen, den Begriff der
Heimat umschrieben. (Vergebens. So was kommt vor.) »Dieses Fancsikó und Pinta hat mich nicht gerade umgehauen, Fichte«, hatte so
ein Halbunbekannter in der Halbzeitpause eines Kleintorspiels gesagt, er freute sich
tagelang darüber. »Ich bin trivial, mein Freund.« Hier erblickte er
plötzlich, wie einen Blitz, einen der Spieleragenten. Zu dieser Zeit hegte er bereits
reichlich Verdacht, in der Transfersache würde sich nichts bewegen. Er bedauerte es.
»Na, was gibt es Neues, Chef!«, sagte der Meister und schlug Genanntem auf
den Rücken, fröhlich, wie ein Geheimpolizist. »Wie sieht’s aus? Spielen
wir defensiv oder greifen wir an?« Der kleine Untersetzte wurde, sage und
schreibe: rot. »Also, ich sag’s dir, Peter, mein Lieber, so was habe ich
noch nicht erlebt, ich sag’s dir ganz ehrlich, dass ein Fußballspieler einen
Arbeitsplatz verlangt hätte, zum …« Er sprach das Wort gar nicht aus: Arbeiten.
Er senkte den Kopf. »Und dann hat die Leitung dem Doktor Móka das Vertrauen
ausgesprochen.« - »Ist gut, Alter«, sagte er und ließ die nicht
besonders sympathische Figur stehen.
(Die Sache wird in der ganzen Vorstadt erzählt: »Weißt du, wieso der Bruder vom
Eszterházi nicht gewechselt hat?« Usw. So gewann die Treue - im falschen Gewände
des Zufalls und der gewissenlosen Sportfunktionäre - ihre Schlacht. Ende. -
»Mein Freund, dieses Transfermotiv versickert nun wie Pipi in der Sahara.«
Der Meister benutzte in seinem Lob das Wort »Sand«, doch angesichts der
Wichtigkeit und des Umfangs der Unternehmung entschied ich mich für oben stehende
Änderung. Es ward eine Wahl getroffen zwischen Treue und Wahrheit. - »Nun, mon
ami. Nicht wahr. Wenn ich nun einer der ---------- sten ungarischen---------bin, so
ist diese leichthändige Großspurigkeit, mit der ich die Kunst ins Reine bringe — doch
ziemlich beunruhigend«, sagte er und streichelte furchtbar sein Kinn.)
So wurde der hintere Raum, das Arbeitszimmer, das Land der vier Könige zum
Mittelpunkt der Ereignisse. Hier standen den Kartenspielern ziemlich wackelige Tische
zur Verfügung, unter deren Beine Herr György Papierknäuel gelegt hatte. (Die
Kartenspieler werden böse, wenn das passiert.) Wenn sich die Plätze als nicht
ausreichend erwiesen, ließen sich die leidenschaftlichen Tarockbrüder auch neben dem
Billardtisch nieder, sich der Gefahr des Todes durch die Kugel aussetzend. (Womit ich
die Elfenbeinkugel meine, welche unser Bruder Fluger - Meister des Komitats Szolnok -
mit seinem Queue weit hinausspringen lässt.)
Tarock im Skart. »Tarock liegt.« - »Der Zwanziger hilft mit tous les
trois.« - »Contra!« - »Rekontra pagat ultimo!« -
»Rekontra!« - »Superkontra!« -
»
Hirsch
!« - »Papst!!« -
»Nördliche Eisenbahnverbindungsbrücke !!!«
»Beruhigen Sie sich, meine Herren«, warf Herr György beiläufig, drohend hin
und kam hinter dem Tresen hervor. »Wer ist die Type?«, fragte er den
Meister. Dieser sah zu Herrn Mikszath, der in einer großen Kartenschlacht kämpfte,
seine Stirn glänzte, sein großes Schnaufen war bis hierher zu hören. Vor ihm der
Rotwein. Herr György er wartete keine Antwort, er beklagte sich über die Schmerzen im
Kreuz und eilte zurück an die Arbeit. Der Meister nahm ein Glas vom Tresen an sich,
zog einen Stuhl neben Kálmán Mikszáth und kiebitzte. »Wissen Sie, mein Freund,
das war vielleicht ein Gratiswein.« Damals erhielt Herr Marci als Lohn für seine
goldenen Füße manchmal Wein aus Budafok und ließ auch dem Meister etwas davon
zukommen; aber der Wein von einem Mikszáth ist doch noch ein wenig umsonster! Der Meister befand sich in einer finanziellen Lage. - Nicht lange
vor diesem Zeitpunkt hatte, auf sehr amüsante Weise, das Aufeinandertreffen der
beiden Weinlieferanten stattgefunden. Der Meister und Herr Mikszáth wandelten
zwischen Pappeln entlang, in ein großes, freundschaftliches Gespräch vertieft. Der
Meister war Herrn Mikszáth schnell ans Herz gewachsen, was eine vehemente
Beschleunigung erfuhr, als Herr Mikszáth erfuhr, dass (auch) der Meister zuerst
Palotzisch und dann erst Ungarisch gelernt hatte, dank des reinigenden Sturms der
Geschichte. Vor dem Hause der Familie fegte Herr Marci gerade oberflächlich den
Gehsteig. (Und ich spreche nicht von der Oberfläche des Gehsteigs, um das Mittel des
Humors anzuwenden.) Das war vielleicht ein riesiges Drunter-und-Drüber; was der Staub
und die Blätter dort anstellten! Immer nur auf, auf, niemals ein Erliegen! Wie er
Herrn Mikszáth erblickte, ließ Herr Marci, bumm, den Feger fallen, als wäre er
ohnmächtig geworden. »Was für ein ungarischer Schnauzer!«, sagte er mit
unverhohlenem Neid. (Nicht umsonst benutzte ich eben den Ausdruck
»ohnmächtig«. Denn wenn Herr Marci während des Gehsteigfegens oder des
Schneeschaufelns von einer Backfischgruppe überrascht wurde, welche von der
Medizinischen Oberschule zur HÉV unterwegs war, fiel
dieser, wenn ihn seine Lust in diese Richtung trieb [und man erzählt sich: er sei
reichlich getrieben], das Weiße des Auges nach außen gekehrt, einfach in Ohnmacht.
Und die wiederbelebten und wiederbelebten ihn [Mund-zu-Mund-Beatmung, elementare
Manifestationen der mütterlichen Natur usw.]. Und er belebte sich allmählich wieder.
So weiß die Mutter des Meisters gar nicht richtig, ob sie Freude oder eher Trauer ob
der unerhörten Faulheit ihrer Söhne empfinden soll …! - Dass sie z. B. nicht einmal
den Gehsteig fegen wollen.)
»Welche Straße meinst du, Kumpel?«, der Meister wandte die Redewendung
seines Bruders an. »Die Bart-Straße?« - »Was für ein Welsbart!«,
variierte Herr Marci und schlug Kálmán Mikszáth auf die Schulter. Herr Mikszáth stand
recht ratlos inmitten des vibrierenden Familienlebens. »Doch ich werde, wumm!,
einen Walrossschnauzer haben!« Er verbog die Hände zu Klauen, hob sie an die
Stelle seines zukünftigen Bartes, zog die Oberlippe hoch wie eine wütende Nutria und
riss sie, mit einer von der onomapoetischen Lautfolge des »Wumms«
diktierten Bewegung, nach vorne. »Wumm! So einen!« Mikszáth und Esterházy,
diese beiden weltgewandten Männer, lächelten einander entgegen. »Ach, die Jugend
in ihrem Ungestüm!«
Herr Mikszáth fühlte sich sehr in seinem Element, da die Kartenpartie zustande
gekommen war und der Wein in Strömen floss. »Setz dich, mein Junge, in den
Schatten dieses alten Baums.« - »Dort sumpften wir uns einen, mein Freund,
er und ich, wir zwei.« Doch so eine Bagatelle ist die Situation nicht! Zwei
Polizisten traten aus der äußeren Dämmerung herein. Um den Flipper herum entstand
eine kleine Bewegung, Hände in vollen Taschen zuckten, doch abgesehen davon passierte
nichts, nur Herr György war diensteifrig zur Stelle, sein Bewusstsein war vom Sein
bestimmt. »Es wünschen die Herren Kommissare.« — »Wir sind im
Dienst.« Herr György schnitt eine Grimasse zum Meister hin und lief los, das
Bier zu zapfen. Herr Mikszáth mischte launig die magischen Karten. Der junge, blonde
Polizist sah sich scharf den Meister an. »Sag, Onkel Kálmán«, der Meister
wandte sich um Erfahrung an den älteren Kollegen, »bist du nie nervös? « -
»Ich, nerveux? Bei meiner Ehre, warum sollt’ ich’s sein?! … Ich bin
so ein kleiner Mann nicht, um die Regierung zu sehen oder nicht zu sehen. Die ist mir
vollkommen gleichgültig. Ich sehe nur Ungarn.« Die Karten wurden ausgeteilt, er
sah sich sein Blatt an. Sein Blatt sah er auch. »Die Dinge werden, auf die eine
oder andere Weise, früher oder später, sowieso passieren. Und so, wie ich die
Kräfteverhältnisse kenne , und ich kenne sie gut « - mit seiner gepolsterten
Hand strich er liebevoll über die fettig en Karten » kann ich sogar noch
gewinnen .«
Die Polizisten tranken das Bier aus und gingen. Herr György sagte zum Meister:
»Weißt du, wer der blonde Bulle war? Der Csuresz. Erinnerst du dich, noch aus
der Jugend.« - Plötzlich fielen dem Meister die Zitronen ein. »Bei der
Jugend haben wir immer Zitronen bekommen. « Der zierliche Vater des damaligen
Halblinks hatte sie in einer Papiertüte mitgebracht. Er schnitt sie vor ihrer Nase
auf, es lief ihnen der Speichel die ganze Pause lang, der Alte wurde praktisch zum
Ende der Pause fertig. Dann bekamen sie nach der Reihe ihre Portion und aßen sie,
Grimassen schneidend. Man durfte auch Nachschlag verlangen. Oft betrachtete der
Meister die Sonne durch die dünne Scheibe. »Warum gibt es heutzutage keine Zitrone mehr?« - »Man hat nachgewiesen «,
antwortete Herr Armand einmal, »dass es nicht nützt.« Herr Armand runzelte
die Stirn. »Paradeiser mit Salz bringen viel mehr.« - »Du sagst das
so, Fichte«, der Meister fiel über seinen Trainer her, » als ob wir welche
bekämen.«
»Der Csuresz also. Hatte einen guten linken Fuß, er hat nur zu viel
herumgemährt. Von ihm konnte man die Kugel höchstens erben.« — Herr György
liebte solche Sprüche. Und wenn er sich einmal einen angewöhnte! Wochenlang war
nichts anderes von ihm zu hören, ebenso vom Herrn Marci! Als er zum Beispiel bei
einem Knochenbrecher in der Slowakei war und bei großer Kälte wiederkam, machte er
die Kälte wie folgt anschaulich: »Die Eisbären flehten händeringend, man möge
sie hereinlassen.« Er zeigte ihr Händeringen mit seinen Händen. Tagelang echote
das ganze Haus davon. »Die Eisbären… etc.« Der Meister hatte gefragt:
»Und, bist du nun geheilt?« - »Weiß ich nicht«, wimmerte der
Riese. - »Neulich hat er beim Alten vom Sanyi den Test gemacht. Der Alte hatte
einen ordentlichen Pegel. Das Fahrrad ging von alleine nach Hause, wie das Pferd. Und
der Csuresz hält ihm grimmig das Mundstück hin. Daschau, der
Csuresz, rülpst der Alte. Weißt du noch, wie er früher immer herumgeschrien hat auf
dem Platz? Weißt du noch? Gib ab, Csuresz! Konnte man glatt einen Hörsturz davon kriegen. Ziehen, Onkel Sanyi,
nicht blasen, ziehen, flüsterte ihm der Csuresz dann zu. So ist der davongekommen …
Weißt du, was die ihm aufgebrummt hätten? Drei Lappen, Fichte, drei Lappen. Die von
der Ziegelfabrik haben sich den Csuresz schon zweimal vorgenommen, weil er ein Arsch
war. Haben ihm mächtig die Hucke vollgehauen.« Der Meister nickte zurückhaltend.
(Er war Uniformen einigermaßen entfremdet.)
Herr Mikszáth spielte leidenschaftlich Karten. »Ich hab’s dem Jókai ins Gesicht
gesagt, dass ich ein viel besserer Tarockspieler bin als er. Und du, Onkel Moritz,
bist ein viel besserer Schriftsteller als wie ich - und das ist
auch was wert. Das hab ich ihm gesagt.« Der Meister entsann sich der
vielen krummen, krampfädrigen literarischen Beine und dachte von sich bezüglich des
Fußballs dasselbe wie Herr Mikszáth bezüglich des Tarocks. » Und das ist auch was wert.« Und hier holte er mit einem unerwarteten,
fintenreichen Bogen seiner Hand, welche eine geheime, tiefe Tasche berührte, einen
Tennisball an die Oberfläche. Dort ruhte der Ball, in seiner Hand. Strähnig legten
sich die Härchen an. Was sollen wir nun davon halten? »Sehen Sie, mein
Freund«, er erweiterte den Horizont um ein Stück, so schlicht und natürlich, wie
andere sich die Hose lockern, »eigentlich lernen wir nur von Büchern, die wir
nicht beurteilen können. Der Autor eines Buchs, das wir beurteilen könnten«,
hier lächelte er bescheiden, »müsste von uns lernen.« Nicht schlecht, das
muss ich schon sagen!!!
»Schau, Onkel Kálmán, da haben wir deinen Bauch.« - »Ja … da haben wir
ihn.« Ein Geständnis brach aus dem Meister heraus. »Onkel Kálmán, ich habe
mich in deine Wampe verliebt.« Herr Mikszáth prustete in sein Glas.
»Himmelsapperment aber auch!« Er blinzelte, er hatte auch im Auge Wein.
»Onkel Kálmán, mein süßer alter Vorläufer, ich möchte ein Experiment mit dir
machen.« Er warf den Tennisball bis auf Kopfhöhe hinauf, als sich dann seine
kleine Handfläche wieder um ihn schloss, ließ er das Handgelenk ein-, zweimal
nachfedern; taxierte mit vorgeschobener Unterlippe das Gewicht des Balls. Davon
verstand der Meister eine Menge. »Ein Experiment.« In den ferkelhaft
kleinen, jedoch lebendig glitzernden Augen des Herrn Mikszáth war Angst zu erkennen.
Er hielt den Tennisball weiter in Bewegung, in einem merkwürdigen Rhythmus, von dem
jemand in erschöpfender Ausführlichkeit und mit analytischer Genauigkeit nachgewiesen
hat, dass es nichts anderes als der sogenannte Herzrhythmus sei, und das ist so
frappierend, dass einem - beinahe - das Herz davon stehen bleibt, er fing also in
einem merkwürdigen Rhythmus zu sprechen an, als würde er eine Lektion aufsagen.
»Bleibe, bitte, regungslos sitzen. Oben auf deine Wampe werde ich, siehe, den
Ball legen, welcher, siehe, von dort herunterrollen wird. Ziel der Untersuchung ist
es, herauszufinden, wann der Ball deine knöpfchenverzierte Weste verlässt. Ich bitte
dich inständig, lieber alter Freund, rülpse du nicht und überhaupt: sorge für sichere
Bedingungen. « Vor lauter Verdutztheit bekam Herr Mikszáth keine Luft. »Das
ist es.« Der Meister erkannte die Laborbedingungen. »Das ist es! Wenn du
nicht einmal mehr Luft holst!« Und damit richtete er Herrn Mikszáths Weste,
legte den Tennisball auf die Wampe. Er rückte mit dem Stuhl weiter zurück, neigte den
Kopf zur Seite. Da hatte sich schon viel Volk um den Tisch herum versammelt.
»Wieso denn«, sagte Herr Mikszáth. Das Volk wusste, was die Stunde
geschlagen hatte, und lächelte. Der Meister bat um Ruhe. »Vohwähts!«, rief
er und ließ die Kugel, die er in der ausgestreckten Hand hielt, einfach los. Die fünf
gespreizten Finger zeichneten eine Dornenkrone um die Handfläche. Der Ball nahm
seinen frivolen Weg und verabschiedete sich ungefähr nach dem ersten Drittel der
Wampe von dieser. »Jetzt«, rief der Meister fröhlich, denn bis jetzt lief alles wie am Schnürchen. »Sehen Sie,
Schnuckelchen, es stimmt!« Er stützte sich auf seinen erlernten Beruf.
»Freunde! Vom Scheitelpunkt einer ruhenden Halbkugel mit einem Radius von R
rutscht ein Massepunkt ohne Anfangsgeschwindigkeit ohne Reibung.«
Die Frage des Meisters war natürlich nicht mehr und nicht weniger als die, wo sich
der Massepunkt von der Oberfläche der Kugel trennen würde. Betrachten wir folgende
Abbildung:
Der Massepunkt wird sich an jenem Punkt vom Untergrund lösen, an dem die für die
zentripetale Beschleunigung erforderliche Kraft größer wird als die zur Mitte der
Kugel weisende Komponente des Gewichts des Massepunktes.
Entziehen wir dieser letzten Gleichung v2 und fügen wir dieses in
(1) ein, erhalten wir daraus cos oc ausdrückend Folgendes:
Herr Mikszáth kam langsam wieder zu sich. »Einen Stich hast du, mein Sohn, wie
der Wein des Kálmán Szell.« Der Meister wich den Blicken aus und schickte den
Tennisball erneut auf seinen Weg. Letzterer wackelte ein wenig, der Meister suchte
mit winzigen, kreisenden Bewegungen nach dem richtigen Platz. Er flüsterte.
»Weißt du, Onkel Kálmán, so eine Wampe ist etwas Wunderbares. Fleisch gewordene
Gemütlichkeit und Respektabilität…« Er schnappte sich den Ball, die Muskeln auf
seiner Hand traten hervor. (Plus eine Ader, wie bei starken Männern.) »Sag,
Onkel Kálmán, hast du wirklich wissend um das zu Wissende Tarock mit Tisza
gespielt?« - »Wenn uns der vierte Mann fehlte«, sagte ruhig der
Meister der bissigen Anekdote, der Jókai und die Dekadenz umging und einen
erfolgreichen Kampf um eine Stimme führte, die geeignet war, die Wirklichkeit der
Zeit widerzuspiegeln. »Wie sollten wir denn ohne vierten Mann Paskievics
n
spielen? «, setzte er, eine kleine Spur beleidigt,
fort. Der Meister nickte verständnisvoll. »Nun ja … Tarock mit Tisza zu spielen
… Eine ernste Variante!«, sann er im Anschluss nach. (Sollte das die Lösung
sein? »Mein Freund, die Lösung«, sagte er niedergeschlagen, »steht da:
« ) Während er mit einer Hand erschrocken den gebeutelten
Tennisball umklammert hielt, winkte er mit der freien Hand - denn eine seiner Hände
war frei — ab. »Aber ich kenne keinerlei Kartenspiele. Außer Rot gewinnt.«
Jegyzet 4er Tarock, ansonsten war der Genannte, wie wir das wohl wissen, ein
talentierter General der zaristischen Truppen, die, wie wir ebenfalls wohl wissen,
bei der Niederschla gun g des ungarischen Freiheitskampfes 1848-1849 gerne
behilflich waren.
(Nun, hier ist wieder ein interessanter Platz - wie das Loch
im Bretterzaun des Frauensonnenbades, unsere Beweggründe sind natürlieh nicht zu
vergleichen! um die geheimen Beugen der Kunst auszuspähen, den entspannten, doch
konzentrierten Geist, die Augen niedergeschlagen, die Extremitäten umhergeworfen, und
alles, alles steht offen für das wundervolle, sich verströmende Sonnenscheingold.
»Waren Sie, mein unglücklicher Freund, schon in einem Frauensonnenbad!? Ich kann
Ihnen sagen, es gibt wenige Dinge, die unappetitlicher wären.« - Hierbei handelt
es sich um ein verstecktes Geständnis: Er empfindet sich als kompetent in Bezug auf
Frauensonnenbäder, da er, und dies ist eine keusche Huldigung, ein Körper und eine
Seele mit Frau Gitti ist! Doch ungestört zurückgekehrt nun zu den geheimen Beugen der
Kunst, ihrer dunstigen Reinigung, zur flüchtigen und bewussten Schönheit der Farben
und Düfte: der verehrte und aufmerksame Leser möge es erfahren: der Meister kann auch
Schnapser - oder Schnapsel? - spielen! Sie wissen genauso gut wie ich, was ein
gegebenes Wort ist. Ich weiß, dass sich die Verhältnisse geändert haben - das
Verhältnis der Produktionsmittel, der Produktionsverhältnisse, der Produktionskräfte
etc. -, doch gentlemanlike ist gentlemanlike. Erschüttert formuliere ich für einen
Moment: Er hat nicht die Wahrheit gesagt [da er nicht nur Rot gewinnt, sondern auch
Schnapsei spielen kann]. Doch legen wir uns sogleich triumphierend die Hand aufs
Herz: Offensichtlich ist doch, dass Irrtümer nicht gleichrangig sind. Es gibt das
zutiefst subjektive, zufällige Straucheln. Wie wir wissen, waren selbst solche Riesen
der Literatur, wie Tolstoi einer war, nicht vor falschen Ansichten gefeit, dennoch
war Tolstoi ein getreuer Spiegel der russischen Revolution! - ich glaube, was hier zu
klären war, haben wir hiermit geklärt.)
Herr György begann, nicht viel Federlesens zu machen. »Daaamen und Häärren!
Immer nur vorewäärts, immer nur vorewäärts. Trrrauriger Auckenplick.« Traurig
sah er einen jeden Beliebigen an. »Morgen wieder, Alterchen«, schniefte er,
»morgen sehen wir uns wieder.« Um anschließend ausfallend zu werden wie ein
ausufernder Feldwebel. »Feierabend, holsderdeibel! Auf, ’naus,
auseinander, nach Hause, es wartet schon das traute Heim. Und morgen dann der Herr
Schorsch!« Man rappelte sich zusammen, nur der Flipper klackerte weiter. Hier
bediente sich Herr György einer sehr einfachen, jedoch umso wirksameren Waffe. Er
zog, hoppala, den Stecker. Drohende Empörung entstand: »Spinnst du, Graf?«
- »Hattest du keine Angst?«, fragte der Meister seinen Bruder zu einem
späteren Terminus. »Ich hätte ihn plattgemacht«, antwortete dieser Schrank
von einem Kerl. »Aber der kann sich ziemlich prügeln.« - »Keine Sorge.
Wenn es ernst geworden wäre, wären da ein paar Kumpel gewesen.« - »Hm,
hm«, sagte der Meister.
»Wissen Sie, mein Freund, ich habe noch nie jemanden geschlagen. Nur meine
jüngeren Brüder.« Hoho, die guten alten Zeiten, als der Meister seine kleinen
Brüder nach Strich und Faden hatte vermöbeln können! Zum Beispiel war er so weit
gegangen, einen Ohrfeigenwettbewerb auszuschreiben! Wer denn die meisten Ohrfeigen
von ihm aushalten könnte. »Als ob, mein Freund, ich das Leben gewesen wäre.« Der Wettbewerb wurde mit überragendem Vorsprung
von Herrn Mihály gewonnen, der mit blauen Lippen das Klatschen, Puffen etc. von 212
Ohrfeigen erduldete. Bezeichnend für die Qualität der seelischen Vorbereitung des
Meisters ist, dass Herr Mihály - wenn es nach ihm gegangen wäre - gar nicht bei 212
stehen geblieben wäre, er hätte seinen Rekord noch verbessert; doch dazu kam es
schließlich nicht. Der Meister war der Sache überdrüssig geworden, und andererseits
schämte er sich auch. Herr Marci hielt bis 56 durch, bevor er »abkackte «.
Und Herr György trat gar nicht erst an, ängstlich sagte er: »Nein.« Damals
war er dem Meister bereits körperlich überlegen, aber er traute sich noch über ein
Jahr nicht zurückzuschlagen, er war durchdrungen von (Leibeigenen-)Bewusstsein. Die
Entwicklung der Kräfte blieb auch dem Meister nicht verborgen; offensichtlich
deswegen war er in Bezug auf Herrn György noch aggressiver, provokativer. »Ein
elendes Jahr war das.« Er führte eine echte Schreckensherrschaft ein, eine
Polizeidiktatur mit Spionen, Hinrichtungen, falschen Anschuldigungen, Prozessen,
einer Unzahl von Ohrfeigen, es zickzackten die Gendarmenfedern, bis er sich eines
Tages durch Herrn Györgys Rückhand eine derartige Maulschelle fing, dass ihm Hören
und Sehen verging. Er riss alles mit sich, Bett, Sofa, Vase, Bücherregal, alles.
Danach weinten sie, Herr György und er, gemeinsam, den ganzen Nachmittag im Garten
unter der Hängematte, womit die Situation geklärt war. Herr György ist so viel
stärker als der Meister, dass eine Prügelei gar nicht in Frage kommt. Nicht so Herr
Marci! Hier ist von jener Unbekümmertheit keine Spur, Herr Marci ist sowieso weniger
autoritätsgläubig als Herr György. Herr Marci bringt es heutzutage noch fertig,
selbst nach anerkennenden Kritiken, seines, des Meisters - sonst eine - Feder
haltende Rechte zu verdrehen, und sobald sich der Meister zu einem S verbiegt und mit
der Stirn das berühmte rechte Bein des Herrn Marci berührt, zischelt dieser:
»So, Hundling! Jetzt wirst du für alle Leiden bezahlen! Du wirst für deine
Sünden büßen, die du gegen mich begangen hast im Laufe einer langen Zeit.« -
»Aber Marcika«, winselt der versierte Führer der Feder; oh, es ist
schmerzlich, ihn so zu sehen: vielleicht ist es die geschwisterliche Liebe, die das
Bild etwas vergoldet, »aber mein süßes Marcika, ich hab’ doch schon
neulich gebüßt!« Herr Marci lässt den Meister los,
schubst ihn nach Lust und Laune hin und her, so dass dieser zwei Stühle umwirft und
am Heizkörper landet; Herr Marci denkt über des Meisters Worte nach. »Macht
nichts«, fällt ihm ein. »Büßt du eben noch mal.« Und geht mit
erhobener Faust auf den auf dem Boden herumkriechenden Meister los.
»Verrückte«, die Mutter des Meisters lächelt trocken.
»Wissen Sie, mein Freund, jene Ohrfeige kam gerade zur rechten Zeit. Obwohl sie
ruhig hätte weniger kräftig sein können. Der eingeführte Terror war allmählich sehr
ermüdend geworden. Und langweilig. « Hierzu sei angemerkt - obwohl es an anderer
Stelle vielleicht weniger missverständlich wäre, aber manchmal, Vergebung!,
Vergebung!, habe ich genug von diesem Hin und Her, dass der Meister so von der einen
Traufe in den nächsten Regen flutscht, dass eine anständige, verlässliche
Konstruktion, das heißt ein linearer Ablauf der Dinge nunmehr nichts als ein
flüchtiger Traum ist, was doch mehr als merkwürdig, auf alle Fälle aber ermüdend ist,
und da ich nicht möchte, dass das in mich gesetzte Vertrauen erschüttert wird, bemühe
ich mich, was thematisch oder zeitlich zueinandergehört, auch zusammenzubringen;
hoppala, aber ich habe schon zu viel verraten - ich muss also hierzu bemerken, dass
er ein ähnliches Ding wie vom Herrn György noch einmal verpasst bekam, im August 1968
am Ufer des ungarischen Meers; als sie in kleiner Runde (»Jungs und Mädchen in
praktischer Mischung«) über eine Bahnschranke geklettert waren, stand da auf
einmal die Feuerwehr mit ihrem süßen, kleinen roten Wägelchen und der entsprechenden
Bemannung. »140 Forint«, hieß es. Der Meister fing vom Boden der Praxis her
zu zanken an, fand das Bußgeld zu hoch. (Anmerkung: es ist auch zu hoch;
andererseits: ein disziplinierter Staatsbürger klettert so gut wie nie über die
Bahnschranke …!) Der entstandene Disput bediente sich harscher Töne, der Meister
hatte »eine große Klappe«. Da, als wäre er einem Pilz gleich soeben aus dem
Boden geschossen, trat ein Mann aus dem Schatten der Platane hervor, näherte sich
ohne Eile dem Meister, der gerade dabei war, den Uniformierten seine Lieblingstheorie
auseinanderzusetzen, wonach er sich den angewandten Ton verbitte, sie seien nicht des
Meisters Vorgesetzte, der Meister sei auch nicht ihr Untergebener, und obwohl auch
sie nicht die Untergebenen des Meisters seien, seien sie nichtsdestotrotz die Hüter
der Ordnung des Meisters, wofür er, der Meister, seine Steuern bezahle. (Dies war
eine äußerst nette Übertreibung, denn damals zahlte er noch keine Steuern, er hatte
gerade das Abitur abgelegt und hatte das Gefühl: die Welt gehöre ihm. Diese kindliche
Einstellung zu den Dingen begegnet uns hier auf Schritt und Tritt.) Der Mann von der
Platane trat in aller Ruhe an den Meister heran und verabreichte ihm ohne Schwung
eine derartige Ohrfeige, dass er sich - wie in den Cartoons nach einer
Gortschew’schen Ohrfeige — etwas über den Erdboden erhob, um anschließend in
einem sanften Bogen nach hinten zu fliegen, geradewegs gegen einen Holzzaun, den er
der Länge nach umwarf. »Wissen Sie, mein Freund, am nächsten Tag stand ich lange
daneben, mit einem gefüllten Tatschkerl in der Hand, und dachte mit einem der
Leistung gebührenden Respekt an mich. Doch am übernächsten Tag stand der Zaun schon
wieder, nichts war mehr zu sehen, ich selbst konnte auch nur noch anhand der Platane
Schlüsse ziehen.« Der Zaun war umgefallen, langsam, hatte sich quasi nach dem
Meister niedergelassen (denn er selbst brach doch schnell durch). Die Ohrfeige tat
nicht weh, mehr noch, wenn der Meister in seinem Fluge den großen, erschrockenen
Vögelchen-Blick einer »kleinen Blonden« auch nicht sehen konnte, er konnte
ihn sich vorstellen, und für einen Moment dachte er: er hat ein gutes Geschäft
gemacht, so billig wurde er zum Helden, der objektive Betrachter (»Nun, das bin
ich nicht, mon ami! Ich kann versprechen, ehrlich zu sein, parteilos jedoch bin ich
nicht.«) mochte die Situation als hinreichend kompliziert empfunden haben, der
eine hatte ebenso wenig recht wie der andere, und es wäre auch nichts Schlimmes
passiert, doch plötzlich fürchtete er sich dort sehr, damals, er fürchtete sich sehr.
Diese Ohrfeige kam also nicht zur rechten Zeit.
»Spinnst du, Graf. Ich hab da noch 5 Freispiele drin.« - »Ist gut,
Kumpel. Brich mir jetzt bloß nicht in Tränen aus. Aber damit dich die Hunde nicht
anpissen, Kumpel, komm morgen wieder, 5 Minuten vor Öffnung, dann kannst du deine 5
Spiele abfeiern. Kriegst sogar noch ein Bier dazu«, warf ihm Herr György
überlegen zu und stieß die Bande ohne nachzudenken hinaus in das schäbige Dunkel.
Jedwede Äußerung von Kleinlichkeit wühlte Herrn György sehr auf; er hatte ein
gesegnetes Herz, welches mit großem Egoismus gepaart war. »Na, Alter«,
wandte er sich, aus Rücksicht auf den Meister freundlich, an Herrn Mikszáth, der zwar
einiges vertrug, nun aber doch ein wenig »angegangen« war. Mit unsicheren
Bewegungen verabschiedete der sich von den Partnern, streichelte dem Jungen am
Klavier, der virtuos das Jesssör spielte, über den blonden
Kopf. »Mjusik«, Herr Mikszáth nickte zufrieden, ein echtes Talent, der
seines Schicksals Schmied sein konnte und nicht wie der Halbtalentierte dessen
Gefangener; aber ja, sein Weg war ein harter gewesen: es hatte viele lähmende Lügen
gegeben, die der Seele Fallstricke legten, und es hatte ihm keine helfende Kraft zur
Seite gestanden, dennoch hatte er sich - zwar nur verhältnismäßig - eine innere
Unabhängigkeit zu erkämpfen vermocht: hatte zum Fürsprecher der Sache des Volkes zu
werden vermocht; ihn nachahmend fortzusetzen ist nicht möglich, doch möglich und
erforderlich ist, von ihm zu lernen, nicht nur die Werkstattgeheimnisse der
Meisterschaft, sondern auch das schriftstellerische Verhalten. Der Junge zog sein
Klavier nach draußen, dabei geschickt die Schuhe umschiffend, der Meister senkte den
Kopf. »Leise puffend wich der Bierschaum zurück!«
»Na, Alter, einen Gespritzten vom Roten würden Sie noch kippen … Haben kein
Kleingeld, was? … Bringen Sie die 40 Fillér eben morgen vorbei.« Herr György
schäkerte, produzierte sich ein bisschen, dem Meister gefiel das und wieder nicht; er
lachte herzlich mit ihnen, dieser große, stattliche Mensch, doch dann, wie wenn man
von einem schnellen Sommergewitter innerhalb eines Augenblicks patschnass wird, brach
Müdigkeit über ihn herein und er ging, über Kreuzschmerzen klagend, um die Abrechnung
zu machen. »Netter Junge«, sagte Herr Mikszáth, als sie hinausgetreten
waren in die schwere Sommernacht. Ohne Aufsehen zu erregen, jedoch mit großem
Interesse untersuchte der Meister den dort dümpelnden Trabant des Herrn György. Um es
mit einem Scherz zu sagen: Ob es im ABC-Laden frisches
Matzen gab, erfuhr er nicht; doch er betrachtete lange die auf das schmutzige Fenster
gekritzelte Aufschrift schmutzig. »Sehen Sie, mein
Freund. Das Auto ist ohne Zweifel schmutzig. Es steht sogar drangeschrieben: schmutzig. Und dort, wo die Buchstaben sind, das S, das C
usw., wie ist es dort? Dort, ausgerechnet dort, ist es sauber. Sehr interessant ist
das, mon ami, dass es gerade die Sauberkeit ist, die das Schmutzige ergibt.«
Kann man das so interpretieren, dass das untadelhaft Reine erst den Schmutz, den
Verrat usw. aufzeigt? »Achhh, wozu in allem eine Lehre suchen.«
Bis zur HÉV-Haltestelle fielen nicht viele Worte zwischen
den beiden realistischen Schriftstellern, das Gehen, diese komplizierte, Körper und
Seele durchwalkende Aufgabe, nahm all ihre Kräfte in Anspruch. Einmal nur wurde das
unablässige Fortschreiten unterbrochen, als Herr Mikszáth den Meister wie ein
Stanitzel voller Erdnüsse packte; er sah den Meister auf eine Weise an, dass dieser
spüren sollte, nun würde etwas Lehrreiches folgen. Doch dann gingen sie beide weiter.
In der HÉV summte Herr Mikszáth leise vor sich hin. Der
Schaffner junge blieb neben ihnen stehen. »Meine letzte Runde.« Doch als er
sah, wie diese beiden mit verschlossenen Gesichtern nickten, ging er weiter seines
Weges. »Und das sportliche Leben, Péter?«, warf er zurück.
»Wenn’s sein muss, spiele ich für die halbe Gage«, antwortete jener
mit erschlaffter Heiterkeit. (Kálmán Mikszáth fuhr schon wieder schwarz.)
Das Fahrzeug hielt. Herr Mikszáth warf einen flüchtigen Blick hinaus und riss mit
erschrockener Schnelligkeit die Tür auf. »Filatorigát. « Er schob sich
umständlich hinaus. Drehte sich um. Sah den Meister an. »Servus, Söhnchen.«
Jetzt waren sie beide wach. »Quark«, sagte der Ältere von unten mit
säuerlichem Lachen, »das ist keine kluge Welt, heute, aber, Gottchen, die
gestrige war es auch nicht. Und bestimmt wird es auch die morgige nicht sein. Das hat
doch etwas Tröstliches.«
Die modernen, automatisch schließenden - jedoch per Handkraft zu öffnenden! - Türen
fielen, wie eine Guillotine an ihrem freien Tag, mit einem großen Knall zu.
»Tröstl- paff!« Sie bissen Herrn Mikszáths Wort praktisch ab. Den Schwanz
des Wortes; so eine Enthauptung war das. Die Türen schlossen
sich, doch die HÉV fuhr noch nicht los. Im mehr oder
weniger zum Spiegel gewordenen Fensterglas konnte der Meister zugleich sich selbst
und Herrn Mikszáth sehen. Der Meister beobachtete die Konstruktion seines Auges, wie
es von kurz auf lang umstellte: von seinen eigenen ungeordneten, krausen Locken zum
stacheligen Schopf des Alten.
Vor dem schwarzen Hintergrund die Helle seines eigenen Haars, und in dessen Rahmen
sein durchscheinendes Gesicht. Und in diesem Rahmen dann das Gesicht des Herrn
Mikszáth! Mal seine vollen Bäckchen, die vom Rüssel des Meisters geteilt werden, und
mal - was für eine Parade! - sein Schnurrbart (Feldweih? Wels?), der die rosigen
Lippen des Meisters rahmt. Und die Augen! Funkeln einander an, wie zwei Edelsteine in
der Auslage. (»Daneben, mon ami, das gepfefferte Preisschild.«) Die HÉV ruckte an, der Meister schlug mit seiner Schläfe am
Haltegriff auf. Er sprang ans Glas, drückte seine Stirn dagegen, sah hinaus. Doch er
sah niemand Bekanntes, nur ein großes Gewimmel, denn die Nachtschichtler sputeten
sich gerade, in die Webfabrik zu kommen. Doch nirgends Herr Mikszáth. Der
Verschmitzte! Bestimmt hatte er schon die Spur des einen oder anderen jungen Mädchens
mit wiegendem Hintern aufgenommen, die hier als Weberin arbeitet und deren
Stundenlohn gerade von 13,50 auf 15 angehoben worden ist; obwohl die Weberinnen
(»früh (sterben) …«) eher für Leistungslohn arbeiten.
Ich hatte geplant, hier eine von des Meisters zahlreichen Zettelchen einzufügen,
welche ihn während seiner Arbeit umgeben »wie eine kleine Familie«. (Nun,
in diesem kleinen Vergleich kann man jene künstlerische Unerbittlichkeit auf frischer
Tat ertappen, welche er sich selbst gegenüber anwendet, sowie die Selbstsucht,
Eigenschaften, welche, zugegeben, manchmal seine Familie, nunmehr Menschen aus
Fleisch und Blut, in eine nachteilige Lage bringen. - Nichtsdestotrotz ist der
Meister ein ernsthafter, verlässlicher und selbstloser Mann.
In ihm wohnen Einsamkeit, Freiheit, die Leidenschaft der Seele, eine großformatige
Optik, der Glauben an sich selbst sowie die Nähe zur Sünde und zum Wahnsinn; doch es
mangelt ihm auch nicht an menschlichen Zügen, an ein wenig Gefühl, Sehnsucht, Liebe.
Doch dies ist vollständig improvisiert. So einer ist er.) Statt des Einfügens zog
sich der Meister in sein von erwähnten Zetteln umkranztes Heiligtum zurück, um mit
stundenlanger fleißiger Arbeit - mit Filzstift! - einen sogenannten spontanen Zettel (siehe nächste Seite) herzustellen. Worüber
ich mich bei mir doch ziemlich amüsierte, dass nämlich auch ein Mensch von so einem
Format seine kleinen Eitelkeiten hat.
33 Fuchs du hast die Gans gestohlen,
gib sie wieder her!
Gib sie wieder her!
Sonst wird dich der Jäger holen
mit dem Schießgewe-he-her!
Sonst wird dich der Jäger holen
mit dem Schießgewehr.
34 (Sumpf-Sonntag) Kongo Mitics grinste, der Meister stand da in seiner ganzen
Vaterschaft. Die seidigen, dünnen Haarsträhnchen des kleinen Mädchens streuten sich
in ihre luftige Stirn, beziehungsweise hinten in den Nacken. Auf ihren Wangen blühten
die Rosen der Gesundheit und der Lebensfreude. »Neiin, Papali, neiin«, ein
Widerstreben tat sich auf. Der Meister stimmte mit seiner einschmeichelnden Stimme
ein Lied an. (Die Beziehung zu seiner Tochter ruhte auf einem ehrlichen,
freundschaftlichen Fundament, entbehrte jedoch nicht einiger didaktischer Tricks.)
»Fuchs, du hast die Gans gestohlen «, seufzte er, »gib sie wieder
her!« Es stand gut um die ablenkenden Dinge, als Mitocska unachtsamerweise auf
Zoard den Großen trat (ihren großköpfigen besten Gummihundfreund) und auf
erinnerungswürdige Weise heftig hinschlug. Das rosige Mündlein verkrümmte sich;
fertig war das Weinen. »Weine nicht, Pawlowicht.« Der junge Vater befahl
dem Weinen mit einem wenig geschmackvollen und beträchtlich ungeschichtlichen
Maulepatsch Einhalt! »Weine nich, das Leben ist brutal… Doch lasset uns
fortfahren!« (Oh, die Erinnerung, diese trügerische Frau mit Wespentaille! Na,
ich erinnere mich lieber an Situation und Personen: um es unbescheiden zu sagen: an
das Wesentliche! Doch die Worte! Die Worte nun, als der Packesel meines Lebens,
vermitteln. — Der Meister steht nicht gerade ebenso zu dieser Sache. - All dies
musste mir ob der Härte der Logik einfallen. Hat er es tatsächlich so gesagt: Doch
lasset uns fortfahren? Und nicht etwa so: Jedoch lasset uns
fortfahren? Oder fuhr er ganz einfach [?] nur fort? Und wie weit führt uns dies in
die Irre? Ob Sie wohl ebenso sehr Gefangene des Inhalts sind wie ich selbst, ein
verlässlicher Intellektueller, oder ob Sie gerne eintauchen in die fragwürdigen
Fluten von Form und Stil??? - Ich, wenn ich an eine Sache denke, und wenn ich dann
ein anderes Mal wieder daran denke, dann weiß ich plötzlich nicht mehr, ob es
dieselbe Sache ist, an die ich zuvor dachte … Doch dann, wenn ich die Lider schließe
und an den Meister denke, beginne ich fortgesetzt die Absätze also: An einem kühlen,
sonnigen Sonntag im Monat September des Jahres 19… - und so weiter. Sehen Sie, Herr
Dezső! So eine glückliche Hand bin ich. Es gereichte mir zur allergrößten Freude,
wenn zahlreiche Leute glaubten: das und das ist ihm widerfahren [das wäre er selbst],
jetzt hat er es erzählt, und … [auch diese drei Punkte wären er]. Ein hoffendes Herz
bin ich. Doch lasset uns fortfahren!
[!]
)
[sic!]
»Doch siehe, ich bin dir ein guter Vater: halte deine Stirn für ein
zwitscherndes Bussi hierher.« Das Gesicht der kleinen Seele erhellte sich, sie
verband einen tapsigen Schritt mit einer Streckung ihres Körpers auf die Zehenspitzen
und pressionierte also ihre Stirn an den Mund ihres Vaters. Ich kann sagen, es
entstand ein wunderbares Konzert. »Wissen Sie, mein Freund, Haydn hätte sich
sicher an mir erfreut.« — »Siehst du, kleine Deyna, das war ein richtiger
Heilkuss nach Papis Art! Frag nur deine Mutter, wie gut der ist!« -
»Péter!« Frau Gitti ist inzwischen aus dem Badezimmer gekommen, wie sie
sich hinhockte, beschrieb ihr Jeansrock vielversprechende Kurven.
»Ich fasse also hiermit unsere Ergebnisse zusammen«, so der
Haushaltsvorstand: »Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her. Und
ich setze zugleich fort: sonst wird dich der Jäger holen.« Hier lächelte bereits
der Mann wie auch die Frau und auch die kleine Dóra-Bora, sie bereiteten sich auf
etwas vor, mehr noch, Frau Esterházy kitzelte mit ihrem Zeigefinger seidig Dorko
Mitics’ Ohr. »Mit dem Schießge-«, sagte der Meister und beugte sich
erwartungsvoll nach vorne. »Mit dem Schießge-«, sagte das Ehepaar gut
eingespielt. Mitocska (im Übrigen: der beste Leo, Obertaubfisch, eventuell mein
kleines Schlachtrind) ließ heldenhaft den Azur zur vollen Reife kommen. Eins, zwei,
drei, viea: »-WIEAH!«, rief sie schließlich,
wobei einige A in der großen, großen Heiterkeit verloren gingen. Awdotia Jegerowna
strich ihren Eltern nachsichtig über die Wangen. »Dein Kind hat eine
Aussprache«, sagte der Meister ironisch, »wie ein schlechter
Dissident.« - »Ungenau«, verkniff si
Eszterházi ist ein Hauptwort. Der Name von 1 Familie. Christen. Gute Menschen. Einmal
starb 1 Eszterházi. Papu hat ihn begraben. Der Ärmste hatte 2 kleine Kinder. Möge er
in Gott ruhen!
Viele gehen ins Ausland, um dort zu leben. Dass sie ihre Heimat verlassen, ist sehr
verwerflich. Was wäre, wenn alle Ungarn verlassen würden? Die meisten dissidieren,
weil ihr Gehalt, eventuell ihre Arbeit, besser ist als hier zu Hause. Dabei ist auch
im Ausland nicht alles perfekt! Und wenn sie wollen, dass auch Ungarn nicht hinten
anstehen muss, sollten sie das Vaterland lieber unterstützen. Wir brauchen hier jeden
Einzelnen! Hier ist es die Arbeitsamkeit, die die größte Anerkennung genießt, im
Westen ist es das Geld. Aber warum wollen sie noch ins Ausland? Vielleicht wegen der
schönen Landschaften? Aber die haben wir doch hier zu Hause genauso! Das blaue Wasser
des Balaton und der Gipfel des Blauen Berges locken die Touristen an. Abgesehen davon
ist die medizinische Versorgung in den sozialistischen Ländern herausragend. Wenn im
Ausland einer krank wird, verliert er sein gesamtes Vermögen. Wir haben die
Poliklinik. Und wie viele kluge Köpfe Ungarn der Welt gegeben hat! Unsere kulturellen
Erfolge folgen einer auf den anderen. Gerade neulich trat der Chor des Ungarischen
Kinderradios mit frenetischem Erfolg auf. Unsere Volkstänze sind weltberühmt. Auch
das kleine Ungarn hat sich im Laufe der Jahre gemausert! Und wie viele ausländische
Besucher wir haben! Im Sommer wimmelt es nur so von ihnen am Balaton und im
Hortobágy. Interessant, dass für manche Menschen nur andere Länder schön sind. Ich
aber denke, »die weite Welt gibt anderswo nicht Raum noch Heimat dir. Hier musst
in Segen oder Fluch du leben, sterben hier«.
Die im Wald umherschleichenden elenden Deutschen entdeckten auf einer Lichtung das
Kurutzen-Lager. Eifrig schwangen sie sich auf ihre müden Pferde und zogen im Galopp
zu ihrem Befehlshaber, dem kranichfüßigen, elsternäsigen Anführer der elenden
Horde.
Die Kurutzen ahnten nichts, sangen, kochten. Die Wachen, die ein hirschledernes Wams,
schwarze Stiefel und schöne Samtkappen trugen, bewachten wachsam die Ruhe des Lagers.
Die Anführer saßen in ihrem Zelt und unterhielten sich über die Labantzen. - Was für
niederträchtige Schurken das doch sind, statt uns zu helfen, sind sie gekommen, um
unser Vaterland zu erobern! Was für eine Brut!
Doch was war das?! Die Pferde wurden unruhig. Sie spüren Laban tzengestank, warf ein
Soldat scherzhaft ein. Da ist etwas im Busch! Alarm, zu Pferde! Ein blutiger Kampf
entbrannte. Nach fast zweistündigem Gemetzel gelang es ihnen, die Labantzen zu
zerschlagen. Diesmal waren wir siegreich, doch wie wird es nächstes Mal sein?,
seufzte jemand. Die Toten wurden mit dem gebührenden Respekt begraben.
Daraus können wir sehen, was für ein mutiges, heimatliebendes Volk das war. Sie waren
imstande, ihre Familien zurückzulassen, um unser kleines Vaterland zu verteidigen,
leider ohne Erfolg.
Werte Mitbewohner! Als Erstes möchte ich Károly Mathe meinen Dank dafür aussprechen,
dass er dafür gesorgt hat, dass die Buslinie nun auch die Kalászi-Straße berührt, es
gibt jedoch leider noch Fehler, wenn auch immer wenigere. In erster Linie die
Buslinie. Seit dem Hochwasser verkehrt der Bus nicht mehr auf der alten Strecke. Das
bedeutet einen großen Nachteil. Neue Wippen müssten auch aufgestellt werden. Ich
bedanke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und bitte darum, meinen Fall den
übergeordneten Organen weiterzuleiten.
ch die Frau jedes weitere Wort und schaute verliebt zurück. (Dies ist ein
Instrumentarium der Verdichtung meinerseits: denn daraus folgend hatte der Meister
zuvor verliebt hingeschaut.) Mitocska grinste klassisch
zwischen den Eheleuten, ein wenig vor ihnen, damit man sie gut fotografieren
konnte.
Unleugbar, der Meister ist eine seltsame Kreatur. Er sitzt oder steht wo auch immer,
auf jeden Fall unter ernsthaften Menschen, die für Geld oder aus Begeisterung oder
aus anderen gut nachvollziehbaren Gründen - eventuell nicht immer einwandfrei! - ihre
Arbeit tun, und dann sagt er auf einmal so was wie: »Gestern bin ich beim
Taubfisch endlich mal Erster gewesen!« Er seufzt und wirft mit verstohlenem
Stolz einen Blick zur Seite. Besser, man führt die Konsequenzen so einer
Herausgegriffenheit nicht weiter aus. Worum geht es denn hier? »Um eine
Der-Meister-und-Mitocska-Komposition.« - »Wir sind die beiden
Taubfische.« - »Karpfen.« - »In Ordnung, halt du nur die Flossen
richtig.« Sie hält sie richtig. »Und dann, mein Freund, fing sie an, in der
Stube auf und ab zu gehen, leise, auf Zehenspitzen, und tat dabei verzweifelt den
Mund auf. Das ist der Taubfisch.« Die Jury stellt Frau Gitti, streng und
unparteiisch. Mitocska ist Erste, der Meister Zweiter. Und in so einem Fall erklärt
er ihr ausführlich den Wert einer Silbermedaille, denn, »Täubchen, im Falle einer so gerechten Jury könnte es auch passieren, dass
du mal Zweite wirst. Und das muss man dann auch in Ehr halten.« So bereitet er
das kleine Mädchen auf das Leben vor. Und tatsächlich kam einmal die Zeit, und der
Meister errang den ersten Platz. Hoho, aber da ergab sich doch keine Lektion daraus,
denn Mitocska Deyna wurde nicht Zweite. »Papali, ich nicht Taubfisch, ich
Dóra.« Paff.
Doch zurück zu unserer Eselsbrücke, zu einem kühlen Sonntag im Monat September -
jener Tag fing schon am Morgen an. »Kein Blödsinn. Denn wie viele gibt es, die
nicht einmal um Mitternacht …« Der Meister erwachte um Punkt halb acht. Sein
großes Sichstrecken ward von einem unbekannten Knacken begleitet. »Wissen Sie,
mein Freund«, sagte er zu einem späteren Terminus, »wissen Sie, so mag sich
der Soldat im Kriege fühlen: gerade schickt er sich an, die Hand nach dem Geschenk
der Marketenderin auszustrecken, welches die Marketenderin selbst ist, als:
Rattatattata. Das Haar des jungen Soldaten erbebt wie von einem flüchtigen Wind
berührt, aber ansonsten passiert nichts.« Nichts? »Nichts. Aber alle haben
große Angst.«
»Scheibenkleister«, sagte der Meister nach einer Stille der
Fassungslosigkeit, »das Bett!« Frau Gitti öffnete ein Paar verschlafene
Augen. Von neuem bewunderte der Meister die morgendliche Glätte ihres Gesichts, das
frische Rot der Lippen, das blendende (natürlich nicht so verstanden!) Schwarz der
Augen, den zarten Bogen der Brauen, die vertrauliche Neutralität der Nasenwurzel
(»herrvorragend!«) und die müde Reinheit der Stirn; er, der Meister,
erwachte jedes Mal zerknittert wie eine Bulldogge. Hja, ein paar Furchen waren schon
erschienen im Gesichte, dahin die Samtigkeit des Gymnasiasten. »Du wirst immer
schöner.« - »Die Nuten«, flüsterte die Frau dort fachkundig.
»Was?!« - »Die Holzzapfen.« Das stimmte ihn milde. »Gutes
Wort. Holzzapfen.« Doch jetzt war kein Platz für die Kunst, leider - wie ich
hinzufügen muss.
Mit großer Fürsicht kletterte er aus dem Bette. Mit einem flüchtigen Blick maß er das
Terrain: keine Hausschuhe nirgends. Am anderen Ende des Zimmers nestelte Domino
Dikics an der Grenze zwischen Wachsein und Schlafen. Stille (die Stille) war
angezeigt. Der Meister war über diese Wendung, die der Hausschuhe, nicht erfreut: er
mochte es nicht, wenn er, vor der WC-Schüssel stehend — auf das Nachlassen der
morgendlichen Steife seiner Rute wartend —, mit einem mähenden Kreisen seines rechten
Fußes den kleinen, gelben, schwammigen Teppich (von dem der Meister andauernd glaubt,
es sei ein Handtuch, ein heruntergefallenes Handtuch) zum Fuße
der Schüssel schleifen muss, weil sonst die Kälte von den kalten Steinfliesen bis zu
seinen Knien hinaufkriecht. »Wissen Sie, mon eher ami, dastehen, bis sich die
Leitungen umgestellt haben.« (Erneut drängt sich Unsicherheit auf. Ist es
wirklich die Aufgabe eines Chronisten, persönlichen Begebenheiten derartig auf der
Spur zu sein? Vielleicht erwähnte ich es bereits: Nichts, was mir ferner läge, als
ein »Großer-Mann-in- Puschen«-Stück zusammenzustellen. Doch ich hoffe, dass
früher oder später auch die humanistischen Reserven des Privatlebens aufscheinen. Und
dann … »Rette sich wer kann!«)
»Unter dem Stuhl rannten zwei alte Turnschuhe gegen die Wand an. Die
aufgefransten, verschlissenen Schnürsenkel lagen lang hingestreckt hinter ihnen. Der
Linke war vorne aufgerissen, als wäre sein Besitzer ein
Linksfüßer. Unsere erschrockenen Blicke trafen sich. Gottverdammt! Sie hatten Angst,
ich hatte Angst, aber sie mehr. Sie winselten in der Ecke, sahen aus, als würden sie
abwechselnd einander und die Wand beißen. Sie stanken.«
Gerade hätte sich der Meister in das Unabänderliche gefügt, als er unter einer fallen
gelassenen Manuskriptseite und einer zerknüllten
Nagyvilág die mitgenommene Hacke eines Turnschuhs
hervorlugen sah. Er schlüpfte pantoffelartig hinein, schlurfte so hinaus. An der
Spitze des linken Schuhs war der Stoff wie eine Wunde ausgefasert, so den Anschein
erweckend, der Meister wäre ein Linksfüßer, dabei ist er ein Rechtsfüßer, und gerade
das Hintreten mit diesem Fuß zieht den anderen nach sich, welcher auf diese Art
erodiert. »Eine Maus?«, fragte leise Frau Esterházy. »Was?!«,
sagte er, der Form entsprechend, gereizt. »Ob dieses Geschähe von einer Maus
kommt?« - »Nein. Keine Maus. Pantoffeln. Das heißt: Turnschuhe.« -
»Pantoffeln?« Der Meister ließ es auf sich beruhen. »Ja,
Pantoffeln.« - Ein solcher Tschardas der Fragen, Leidenschaften,
Missverständnisse und Zärtlichkeiten verlangt nach einer Erklärung. Zu dieser Zeit
hatten sich die Mäuse im Elternhaus des Meisters sehr vermehrt. Sie waren jedes Jahr
da, diesmal aber vermehrt. Die Frau Mutter des Meisters, diese, ich darf sagen,
bewundernswerte Frau, die so viel erlebt und erlitten hatte, experimentierte mit
raffinierten Konstruktionen. Zunächst schickte sie natürlich des Meisters »
alten, ergrauten Vater« los, um offizielle Mäusefallen zu besorgen. Doch diese
bewährten sich nicht. »Der Stift«, die liebe Mutter seufzte dem Meister zu,
als dieser nach einem ermüdenden Training rastete. »Schau, mein Sohn«,
sagte der Vater, der herbeirannte, um seiner Frau auszuhelfen, denn das Gesicht des
Meisters zeugte nicht gerade davon, dass sehr viel Information verarbeitet worden
wäre, »schau, ich glaube, es reicht, wenn ich so viel sage: die Maus müsste, um
den Tod zu finden, mit einer Hand die Falle gegen die Feder drücken, während sie,
wenn sie genug Courage in sich hätte, den wohlschmeckenden Köder verspeist.« -
»Weder Käs’ noch Speck?«, der junge Esterházy brach in Johlen aus.
Die Eltern forcierten die Sache nicht weiter. Die Mutter des Meisters machte eine
sanfte Überleitung. »Hast du keinen Hunger?«
Der Meister war erwachsen geworden, darüber freut er sich nicht, doch er grämte sich
auch nicht. »Hast du Hunger?« - »Noja, Mütterchen, wenn du grad was Feines dahast. Was Leichtes.« -
»Brot mit Lyoner«, sagte die Mutter mit niedergeschlagenen Augen. Der
Meister winkte ab. »Meinetwegen, her damit.« Tja nun: das Verhältnis
zwischen Mutter und Sohn ist nun einmal so. So in der Art. Mein grandioses
Unternehmen — das eben so groß ist wie das vom Meister abstrahlende Lichtbündel — hat
mich ein wenig durcheinandergewürfelt: ich schreibe in der 1. Person: die Frau Mutter
des Meisters trat an mich heran und sagte: »Péter.« Sie nennt mich lieber
so als Johann. »Péter, muss das hierher ?« Ich sprach mit großem Respekt zu
diesem allmählich ergrauenden, sehr sympathischen Geschöpf, das mir mit dem einen
oder anderen Schmalzbrot, aber auch mit anderen Dingen schon oft zu Hilfe kam, wofür
ich ihm Dankbarkeit schulde. »Glauben Sie mir, gnädige Frau, Ihr Sohn wird
dadurch nur noch an Größe gewinnen.« — »Aber ja, natürlich«, sagte sie
unaufmerksam, »aber was hier geschrieben steht… irgendwie ist es so
nichtliterarisch …« Ich leugne es nicht: Es schmerzte mich ein wenig. Aber wo
gäbe es einen, der nicht schwer an scheltenden Worten trüge? Wo? »Gnädige Frau,
das kann kein Kriterium sein«, antwortete ich leise und beugte mich über ihre
wunderbare, von blassen Adern durchzogene, schmale, dünnhäutige, vom vielen Abwasch
zerquälte Hand und küsste diese. Sie schlug die Augen nieder, auf ihrem Gesicht,
welches, der Zeit sei’s geschuldet, schon etwas aufgedunsen war, stand ein
trauriger, fettiger Glanz. Fast hätte sie geweint, wie so häufig in letzter Zeit.
»Pass bloß auf dich auf«, sagte sie dann. Ich liebe sie sehr, schließlich
ist sie die Mutter des Meisters!
Die Hauptmäusefangmaschine war raffiniert, da einfach. Der Nusstopf! Ein Stück Karton mit einem Blumentopf drauf, mit einer Nuss unter
dem Rand: das war alles. »Und sage, schöne Mutter mein, bewääährt er sich?«
- »Ja.« Also, etwas komplizierter ist das schon, darüber habe ich Kenntnis.
Denn die Nüsse pflegen, inmittels ihrer Eigenbewegung (?), im Laufe der Nacht sich
wegzubewegen, worauf der Blumentopf, bumm!, herunterfällt. Der gute Vater schläft
zwar weiter wie ein Murmeltier, doch die wache Mutter fährt immer wieder
erschrocken-achtsam hoch. »Was ist?! Wer ist da?! Bitte! Pétergyörgymihálymarci!
Bist du das?!« (Nicht jeder davon ist eine reale Möglichkeit. Der Meister ist
fort, Herr György arbeitet von früh bis spät, Herr Mihály ist im Wienerland, und Herr
Marci schließlich hat einen sportlichen Lebenswandel. »Schauen Sie sich das an,
mein Freund! Fradi, Kneipe, Wien, Literatur: Wer könnte da noch was anderes sagen?«) Zu ihrer Entlastung sei gesagt, zu diesem Zeitpunkt -
da sie am Ende ihrer Arabesken angekommen ist - schläft die gute Frau bereits wieder.
Aber am nächsten Morgen dann! Dieses blutrünstige morgendliche Lauschen! »Sie
kratzt, eindeutig: sie kratzt!« Der Henker ist Herr György. Mit seiner
riesenhaften Statur ergreift er die Topfnussmauskarton- Komposition, um anschließend
ein geeignetes Element dieser (die Maus!) mit sachdienlichen Handgriffen zu
ertränken. Herr Marci, der ein empfindsameres Gemüt ist, hängt weinend an Herrn
Györgys Hosenbein und fleht um das Leben der armen kleinen Seelen. »Nicht,
nicht!« Doch Herr György befreit sein Bein aus der blitzenden Umklammerung von
Herrn Marcis Zähnen und tut seine Pflicht. Herr Marci seinerseits hockt sich traurig
in einen Armsessel, um sich mit dem einen oder anderen seiner Lieblingsbücher zu
trösten. (Herr Marci liest zwei Bücher: Herrn Jacks Die eiserne
Ferse sowie das gelbe Buch des Herrn Dezső. Sonst nichts. Manchmal den
Meister, aus Anstand.) Bei einer Gelegenheit etwa fiel Herrn György auf, dass im Bein
seiner Hose, die er an der Tür gegenüber seinem Bett aufgehängt hatte, »ein
wildes Tier sein Unwesen trieb«. Herr György griff nach seiner guten alten 38er
Smith and Wesson, seinem Pantoffel
n
pirschte sich an die Tür heran, schlug mit einer
furchtbaren Bewegung auf das Knie der ausgeblichenen Cordhose und drückte, presste
die Puste herauswärts. Eine kurze Zeit später trug er den toten Körper auf dem
Pantoffel hinaus wie auf einem Schild. »Mit oder auf diesem«, sagte Herr
György, der auch seine klassische Bildung hat, und von seinen Hünenschritten erbebte
das Haus. »Oh, wie süüß«, seufzte Herr Marci bereits das zweite Mal
innerhalb eines Menschenalters und zeigte auf die Maus. »Krepiert«, klärte
ihn Herr György auf. »Schade.«
Jegyzet Autsch!! Diesen Text im
Nachhinein überprüfend, korrigierend und beschämend merke ich, dass der »
Pantoffel« hier schon zum wiederholten Male Erwähnung findet! Aber dann ist
das ja ein Motiv! Aber dann ist das ja Kunst. So was aber auch! Dabei wollte ich
das nicht. Vielleicht bin ich einfach ein Glückspilz: Ich schreibe nur hin, so und
so … und, bitte: schon wieder ein Pantoffel! Wenn ich sage: Kunst, lobe ich nicht
etwa mich selbst, sondern die Welt: dass die Pantoffeln darin so angeordnet sind,
dass sie früher oder später zum Motiv werden. So ist das vielleicht nichts
Zweifelhaftes. Bemerkung: » 38er Smith and Wesson« schrieb ich
scherzeshalber.
Der Meister also kam an jenem vielversprechenden trockenen Spätsommermorgen aus dem
Badezimmer und blieb sorgenvoll vor der Küche stehen. Nachdenklich schlurfte er mit
den Turnschuhen, schließlich entschied er sich für die Küche. (Die Wahl war die
richtige: Während er hinausging, um die Zeitung zu holen, konnte das Teewasser
aufkochen.) Mit dem dritten Streichholz gelang es ihm, die Gasflamme anzuwerfen, er
setzte das Teewasser auf. Er ging hinaus, die Zeitung zu holen. Der Meister wurde von
kurzfristiger Panik erfasst: ob wohl der Zeitungsbote (»der Zeitungsjunge«)
die Népsport hereingeworfen hatte. »Manchmal vergisst er
es, wenngleich immer seltener. « Die frische Luft wirkte
erfrischend. »Mein Gesicht erwacht.« Das Gesicht des Meisters erwachte. Das
Wetter war kühl für die Jahreszeit, wie an einem veritablen Herbstmorgen (wenn die
Sonne scheint). Im langsam sich auflösenden Nebel tauchten die Gegenstände und
Menschen auf und wieder hinab wie auf einem Gemälde von Renoir. Diese Unsicherheit
wurde dadurch ausgeglichen, dass durch Nebel und Kühle, »mein Freund, die Luft
sichtbar geworden war«. Ich möchte mich nicht lange damit aufhalten, aber wenn
wir können, versuchen wir ihn uns in diesem Moment vorzustellen, wie er, bedrängt von
diesen Doppelheiten, vor dem Briefkasten steht, die zusammengefalteten Zeitungen
unterm Arm, in seiner ein wenig zu kurzen Pyjamahose (welche er ein wenig zur Seite
gezogen hatte, damit sich der Eingriff - Verzeihung, Verzeihung - nicht an der ihm zu
diesem Zwecke zugewiesenen Stelle befand und sich somit keinerlei Hoppala gegenüber
einem eventuell zu begegnenden Nachbarn ergeben konnte), mit der einen Hand den
Kragen des Pyjamajäckchens, dort, wo der oberste Knopf fehlte, zusammenhaltend, mit
der anderen Hand wie gewöhnlich in einem fremden Briefkasten nach fremden Zeitungen
kramend, um diese dann unglaublich schnell und gehemmt zu überfliegen, mit einem immer frischeren, doch von der Nacht immer noch
beträchtlich zerfurchten Gesicht auf Sichtbares und Unsichtbares achtend, bis er
endlich zu zittern beginnt; er streckte sich, soweit es seine Umstände ihm erlaubten:
weniger mit einer Bewegung als mit seinen Muskeln, dem Muskelwillen. Sobald die
Schläfrigkeit des Körpers verflogen war — was man für eine Weile als Ausgeruhtsein
akzeptieren kann -, stellte sich heraus: dass er müde war. Der Meister war müde.
Besonders die Existenz der Waden war beweisbar. Ein Muskel am Aufeinandertreffen von
Schenkel und Gesäß ließ von sich wissen. Die Müdigkeit war gut, der Schmerz war nicht
gut.
Ein wenig übertrieb er auch das Zittern, ließ groß die Zähne klappern, seine Kiefer
donnerten. Angesichts einer heraustretenden Frau (»die fremde Zeitung!«)
fuhr er gewissensgeplagt zusammen. »Guten Morgen!«, grüßte die Frau; vom
kleinen Tor sah sie noch einmal zurück, ihre Augen waren mit großen Grüntönen ummalt,
geschmackvoll, aber doch massig, der Meister hob eine Hand zu einer Art von
beginnendem Abschiedskuss: dabei öffnete sich der Pyjama, die Andächtigkeit löste
sich in nichts auf, die Gänsehaut wütete.
Es war Sonntag, die Zeit des Earl Grey. Der Meister gab eine Prise dieses Tees in die Teekanne. Aus der Stube drangen die winzigen, fordernden
Geräusche des Lebens zu ihm. »Kusch!«, rief er hochgelaunt hinein.
»Geliebte!«, schickte er dann verfeinernd hinterher. (Wie anders ist doch
diese Akribie als die morgendliche Eile der Alltage. Wenn er sich Tag für Tag
hinausquält, sich dem Kreise seiner schlafenden Familie entreißt, ins Badezimmer
schlurft, blinzelnd den Spiegel findet und darin - er, ja! - sein Angesicht, wie er
lang durch das Glas schaut, damit irgendwie der Tag anfangen kann - »Man müsste
das so machen, mein Freund«, einmal brach die familiäre Erfahrung aus ihm heraus, »dass wir lange im frühmorgendlich dunstigen, sonnenbeschienenen Riesengarten spazieren gehen würden, in eine Spinoza- Ausgabe von 1920
vertieft, na-tür-lich hätten wir ihn schon hinter uns gelassen, selbstverständlich,
aber wir würden ihn immer noch sehr mögen, es wäre nicht später als 1/2 8, denn von
keiner Trägheit würde die Rede sein, im Gegenteil, ein leichter Wind würde unser Haar
räufeln und manchmal wie nebenbei im Buch blättern, der Garten wäre im Grunde eine
Wiese, eine mächtige grüne Zeichnung, man müsste nicht befürchten, sich an
irgendetwas zu stoßen, und dann stünden wir nach einer Kehre plötzlich vor dem
kleinen Gartentisch, rundherum unbegründet viele Korbstühle; Jam, Schinken,
knusprige, braun glänzende Semmeln und Butter in kleinen Rollen! Ich glaube, mein
Freund, so gebührte es sich, einen Tag würdig zu beginnen.« - Wenn der Meister
die zeitliche Ausdehnung seines versonnenen Schweifens vor dem Spiegel in zwei Teile
teilt, dann ist es gut, wenn ihm spätestens kurz nach Beginn des zweiten Teils
einfällt: das Teewasser. Wenn er sie jedoch in drei Teile teilt, muss das in der
Mitte des zweiten Teils [»also etwas später«] der
Fall sein. Das ist der letzte Moment, in dem es sich noch lohnt, das Teewasser
aufzusetzen. Danach das Gleiten der Seife, das Preschen des kalten Wassers,
anschließend gieriges Zähneputzen sowie das Sich-rosa-Färben des aus dem Munde
plätschernden odolhaltigen Wassers während dieser Tätigkeit…
Und der Tee! Wenn es auch kein weißer Tee ist, wie - soweit ich weiß - die Chinesen
das heiße Wasser nennen, ist doch auch von der Dunkelheit und Öligkeit, welche dem
Meister so lieb sind, nichts da. »Trotzdem ist er gut, weil er schön warm
ist.« Und um halb acht dann stellt er sich haargenau auf seiner ernsthaften
Arbeitsstelle ein. Dabei könnte er sich auch verspäten. »Péter«, der
Portier zwinkerte, »8-10 Minuten, wann immer Sie wollen. Wann
immer Sie wollen.« Der Portier war, nach eigenen Angaben [ich formuliere
es deswegen so, weil der Meister misstrauisch ist: »Kann es so viele
Schweinehirten gegeben haben?«], Schweinehirte bei der väterlichen Familie des
Meisters, aber als der »geschickte und tüchtige Bursche, der er war« etc.
»Sehen Sie, lieber Péter, wenn Ihr Großvater nicht so gut zu mir gewesen wäre,
wäre er noch viel besser gewesen, hä-hä, zu mir.« - »Verzeih, Onkel
Laci.« Aber das meinte er nicht ernst.)
»Heute Morgen wird die Familie weiche Eier essen«, verkündete er in die
Welt. (Sorgenvolles Festklammern an der Stoppuhr …!) Auf das geflochtene Holztablett
stellte er den Salzstreuer, die Eier in einem Körbchen, die Teetassen, die Kanne, von
ihm geschnittenes Brot, trug alles in die Stube hinein und stellte es aufs Bett.
»Voilá, der perfekte Ehemann«, sagte der Meister und verbeugte sich mit
etwas lückenhafter Eleganz (die Pyjamahose hatte sich nämlich zurückgedreht). Die Gattin lächelte hold und sagte voller Dankbarkeit:
»Löffelchen, Untersetzer, kleine Teller, Jam, Lyoner, Äpfel.« Dass all dies
fehlte. Der Meister nickte gekränkt, erkannte das sachliche Rechthaben seiner Gattin
an, doch daraus entstand keine Distance. Im Gegenteil!
Er schenkte für
Frau
Gitti etwas Tee ein. Wieder eine
Nuance. Es gibt einige kleine Dinge im Leben, in denen er, um es mal so auszudrücken:
nicht unanfechtbar ist — wenn man das überhaupt Anfechtung
nennen kann. Er selbst erkennt diese liebenswerten Nachteile seines Menschseins mit
ziemlichem Kichern. Hierzu gehört sein Teeeingießen; denn es mag per absurdum sein,
dass es die Höflichkeit ist, die ihn bewegt, aber es ist wohl eher »das bisschen
Hinterhältigkeit«, denn wer als Erster Tee bekommt, bekommt ihn blass. Denn, so
verbunden zwei Menschen auch leben mögen, es bleiben unnahbare Terrains, Fremdheiten,
Geheimnisse, leider. Auch er hat
Frau
Gitti den
Tee-Trick noch nicht verraten. »Na, na, mon ami!«
Nachdem der Meister minutiös abgewartet hatte, bis die Teller geleert und die Räume
des Abfalls gefüllt waren - und auch er selbst ein wenig Nahrung aufgenommen hatte -,
nahm er seine Frau und ließ sich mit ihr, vorsichtig, damit sie durch die verrückte
Statik des Bettes keinen Schaden erlitt, aufs Bett fallen und küsste ihr die Hand.
»Liebste.« - »Liebster.« Frau Gitti war schön wie ein Gemälde.
Ihre braune Haut und die Sommersprossen leuchteten nur so, duftige, bunte
Seifenblasen flogen über der Stadt, der Meister schloss die Augen und überall blieben
die Menschen stehen und staunten, staunten … »Wissen Sie, mein Freund, mit
diesen meinen Augen habe ich sie gesehen, ich persönlich, meine Frau!«
Darauf folgend rang der Meister langwierig mit Luigi Dongo, deren fröhliches Lachen
und an Bernhardiner erinnernde Schnauber das wohnliche Zimmer füllten. Während der
Meister vorsichtig die Betten machte, wurden beim Kind die Windeln gewechselt und der
Kaffee wurde gekocht. »Ist Zucker drin?«, fragte er sanft. »Warum
sollte welcher drin sein?« - »Kein Vorwurf; nur eine Frage«,
antwortete er schnell, aber nicht schnell genug, als dass er das Hineingeben von
Zucker in seinen Kaffee hätte verhindern können, obwohl, er wollte es in Wahrheit
auch nicht verhindern. Das Kaffeetrinken ging unmerklich ins Zeitunglesen über.
Mittlerweile spielten schon die Lichter eines richtigen Vormittags im Äther. Das
Zimmer hellte sich auf, die Staubkörner funkelten, auf dem Teppich glitzerten ein
paar lange goldene Haare sündig auf. Er las die Erzählung in der Sonntagsbeilage.
»Schön«, sagte er richtigerweise zu den verschwiegenen Wänden, »schön:
kaum verdorben.« Denn so erbarmungslos und gutherzig konnte er sein, wenn er
wollte. Er nahm die Sportzeitung. »Jaczina, ei Jaczina«, brummte er. Ein
erstklassiges Literaturblatt, das auf Armlänge lag, schaltete sich in das Rondo ein: die Verlautbarung der Trainer mündete in neue Rechte
für die Gewerkschaftsfunktionäre, welche eine Erzählung im Stile Krúdys verfeinerten.
»Wissen Sie, mein Freund, es war wundervoll: den ganzen Tag über habe ich
nichts, aber auch gar nichts gemacht. Ich gammelte nur. Es war ein guter
Sumpftag.« (Von wegen Sumpf! Was für eine Selbstungerechtigkeit! Denn wie er so
vor sich hin spaziert, Sonnenblumenkerne knackt und sich kratzt und in unbedeutende
Gespräche hineinlauscht, sozusagen: in die Konversation der Welt, lagert sich all
das, nicht wahr, in ihm ab und er wartet wie ein räuberischer Tiger, auf weichen
Pfoten …! Eine harte Arbeit ist so was. Und wie viel Spucke die Sonnenblumenkerne
kosten! Mein lieber Gott! »Ein Sommernachmittag kostet eine Menge Spucke!«
- Nun. Ich wage zu hoffen, dass ich die Arbeit, das Leben, den Fluss des Lebens und
den Tod des abgöttisch geliebten Esterházy, wenn auch durch die etwas trübe Linse der
Liebe, jedoch auch mit einer Distanz betrachte - denn wie groß ist doch diese! -, die
als Gewähr gelten kann.)
Zu Mittag ging der Meister auf einen Sprung in die Kathedrale, um dort eine
Dankesmesse singen zu lassen. Die bunten Fenster lenkten manchmal die Aufmerksamkeit
ab. Als er nach Hause zurückkehrte, schlug ihm bereits im Treppenhaus Kartoffelgeruch
entgegen. »Wissen Sie, mein Freund, ich habe einen Redaktor gesehen, dessen
Nüstern, als jemand von einer Erzählung, und zwar, ich sage euch: der meinigen,
behauptete: aber mein Lieber, das ist doch ein realistisches
Werk!, wie bei einem Schlachtross erbebten, und er antwortete hoffnungsfroh: Meinst
du wirklich, Onkel Imre? … Warum habe ich das jetzt erzählt? Ach so. Auch ich erbebe
so, wenn ich den Geruch von Kartoffeln vernehme.« Die Kartoffeln mit Zwiebeln
und Öl hatte der Meister noch während seiner Dorf-Phase zu lieben gelernt. (Der
Hunger trieb’s rein.) Seine Anhänglichkeit duldete keine Grenzen! Schon lange
konnte man sich wieder Fleisch leisten, als er sich als Geburtstagsfestessen nichts
anderes wünschte. (Das Mittagessen im elterlichen Haus begann, wie auf dem Dorfe,
stets um 12 Uhr. Auch das ist so ein Überbleibsel. Doch die modernen Zeiten haben
auch das allmählich verdrängt. Jeder isst, wenn er nach Hause kommt.) Man kann sich
die Empörung der Herren György, Mihály und Marci vorstellen! Doch damals war noch der
Meister der physische Kraftgewinner und musste nicht beim Nachbarn borgen gehen für
die eine oder andere Ohrfeige, sozusagen Backpfeife. - Seitdem hat sich die
Situation, wie wir wissen, geändert! Auweh, wie oft habe ich ihn gesehen, wie er in
gedemütigter Position um Gnade flehte, während ein Riesenknie gefährliche Löcher in
seinen Brustkorb drückte und eine Hand erbarmungslos an der vorhandenen Nase drehte.
Ein Glück, dass der Meister so gebrechlich ist, dass es nicht wirklich einen Modus gibt, ihn zu züchtigen.
Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Klingel. Sobald sich die Tür öffnete,
bemerkte er sofort: hier war auch noch von Wurst die Rede.
»Kartoffelpaprikasch?«, fragte er, die Brauen hebend. »Wieso, passt es
vielleicht nicht?«, sagte die Frau, zum Schein angreifend. »Doch.«
Schließlich war es so, dass das Essen mehr Saft enthielt, als
zu erwarten gewesen war, dafür hatte es auch mehr Paprika; beides brachte er zur
Sprache, unter - bzw. + Vorzeichen.
»Ich mach mich mal raus zu Marcis Match.« Er erhob sich vom Tisch,
sozusagen sofort hinein in den schmutzigen Ballonmantel. »Nimm einen Apfel
mit«, sagte Frau Gitti, während sie, unter den Mantel greifend, das Kreuz des
Meisters knacken ließ. »Es ist gut, mit dir zu leben«, sagte er verlegen.
»Nimm einen Apfel mit.« Und er nahm einen mit. Kazimierz Mitovics tobte
sich auf einem riesigen Blatt Papier aus, welches der Meister noch am Tag zuvor aus
der Putzerei mitgebracht hatte. Das Aushilfsmädchen suchte lange nach dem Mäntelchen.
»Ich finde es nicht«, sagte sie, »dabei fallen mir fast schon die
Augen aus dem Kopf.« Wie sie sich so streckte, schnellte der kurze Kittel
veritabel bis zu ihrer Taille hoch, so dass sie im Schlüpfer dastand, dunkelblau. Der
Meister räusperte sich - jetzt - und sprach höflich: »Und wenn Sie sich so
strecken, fallen mir auch die Augen aus dem Kopf.« Die Stille daraufhin fiel
größer aus, als der Meister es erwartet hatte (er hatte gar keine erwartet), und das
Mädchen wurde rot; das Mäntelchen fand sich, es war irrtümlich zwischen die Röcke
geraten. »Wer das wohl gewesen sein mag«, flüsterte das Mägdelein.
»Ich beeil’ mich«, sagte der Meister leichthin und bog zu seinem
vorzüglichen Rappen ab, auf den er sich schwang. Vom Schwung pendelte der Apfel wie
eine Eisenkugel aus. Sie begaben sich in einen lauen Trab im aufblühenden Licht.
»Ein hervorragender Tag. Kann man schön blinzeln.« Er lehnte sich kommod
nach hinten, bewegte den Fuß zerstreut im Steigbügel vor und zurück, die
Geschwindigkeit dem Rhythmus des Pferdes überlassend. »Dem Pferd.« Er
selbst kümmerte sich quasi nur um den Blinker. Sein Körper wurde erneut von Müdigkeit
zerschnitten, welche aber nun eindeutig gut war. Das Rütteln konnte er als wohltuende
Massage oder aber als mittelalterliche Folter empfinden.
Herr Marci war nicht in der Lage gewesen, dem Meister einen Gratiseintritt zu
gewährleisten, also kaufte sich der Meister eine Karte; anschließend Kürbiskerne.
Hierzu verlangte er auch ein Stanitzel - sich damit dem Problem des »In welche
Tasche soll ich sie denn kippen, junger Mann?« verschließend - das junge
Zigeunermädchen ärgerte sich sichtlich, aber der Meister spürte, dass er keine andere
Wahl hatte. An der Spitze des kurzen Anstiegs - hinter großen, schwarzen Rücken -
erschien das Spielfeld: das Gras war grün, der Torpfosten weiß, die Sonne schien, das
Netz war gespannt: in Ordnung; der Meister nickte. Langsam spazierte er zu den
Betonstufen auf der anderen Seite. Die Simultaneität der Schärfe der nahen Bilder und
des verwischten Bogens des gegenüberliegenden Kreises war günstig. Er tastete in
seiner Tasche herum, im dortigen Dunkel legte sich seine Handfläche mit
geistesabwesender Freude um den makellosen Apfel (von dem sich später herausstellte,
dass er eine Bohrung verbarg, eine bittere Bohrung), bevor er,
diesen mit dem Handgelenk gegen die Wand der Tasche drückend, die Brille erreichte
und hervorzog. Er wischte mit dem Daumen - zuerst kreisförmig, dann in parallelen
Vertikalen - umständlich über die Gläser, die sich fettig anfühlten und zerkratzt
waren. Der Fingerabdruck »wie ein gepflügter Acker auf einer Luftaufnahme«.
- Ich verstehe nichts davon, natürlich, ich weiß nur: schmutzigere, verkeimtere,
vernachlässigtem, erbärmlichere Augengläser als diese! Oder,
wie Herr Marci anno dazumal so schön sagte: Augläser!
Der Meister nahm einen Brillenbügel in den Mund, ließ die Brille selbst (mit den
Bewegungen seines einstigen, inzwischen toten Physiklehrers) hin und her schwanken
und spazierte ohne Hast auf die andere Seite. »Wissen Sie, mein Freund, das
Spielfeld war bereits von jenem Raunen, ohne das ein echtes Match nicht anfangen
kann.« Der eine oder andere Leser erkannte ihn, und hätte er die Hand nicht
schnell zwischen Apfel und Kürbiskernstanitzel versenkt, hätte man sie zweifellos
abgeküsst. »Aber, aber«, er lächelte, und ich nehme stark, sehr stark, an,
dass er die vereinzelten Versuche, vor ihm in die Knie zu gehen und ihm die Schuhe zu
putzen, nicht einmal bemerkte. (Welche, Letztere, das, unter uns gesagt, mehr als
nötig gehabt hätten. Manchmal erklärt sich Herr György gegen zehn Einheiten bereit,
sie zu putzen. Es gab schon mal Präzedenzen hierfür.) »Wie viele bayerische Meter wird wohl dieses Feld der Länge nach
sein?«, dachte er während all dem.
Herr György war schon da. Sein eleganter Lodenmantel wie ein Fichtenwald! Ein
finstrer Fichtenwald. Und auch der alte Herr Vater des Meisters war da! Der Wind
hatte ihm das graue Haar in die Stirn geschlappt, durch die lockeren Büschel waren
die schutzlosen Schläfen zu sehen. Er krümmte sich fröstelnd. An seiner Schulter -
dort, wo die Hexen ihren Buckel haben - spannte der Mantel; er trampelte nervös von
einem Fuß auf den anderen. Er war so dünn, so mager, wie ein Vögelchen. »Ojjoj,
mein armer alter Vater: wie ein magerer Kleppervogel. « Die Knochen in seinem
Gesicht lagen sehr nah an der Luft, sein Mund fast, als weinte er. Ich liebe den
Herrn Vater des Meisters sehr, schließlich ist er der Vater des Meisters!!!
»Kalt«, sagte Herr György. »Die Sonne scheint«, sagte der Meister
und strich sich über das Haupthaar, an dessen eigentümlicher, rauer Oberfläche der
Wind zu ertasten war.
Währenddessen liefen die Mannschaften auf dem Rasen auf. »An die Arbeit«,
hätte der Meister eigentlich gesagt, aber bei Herrn Marci erfasste ihn jedes Mal eine
merkwürdige Verkrampfung, so dass er bescheidener an so eine Sportveranstaltung
heranging. Die beiden Brüder jedenfalls verabschiedeten sich von ihrem Vater und
setzten sich ab. Denn, alles was recht ist: So, wie der Vater des Meisters
schlachtenbummelt! Ein Skandal.
Er zog den Apfel hervor, biss hinein. »Kalt.« Die Kälte fuhr ihm in einen
Zahn hoch. Als er plötzlich auf einen hochgestellten Kragen aufmerksam wurde. Eine
Winzigkeit zuvor war ihm ein Kürbiskern zwischen den Zähnen stecken geblieben.
Nachdem er ihn geschickt mit der Zunge herausmanövriert hatte, spuckte er ihn aus,
auf die Schulter des vor ihm Stehenden. »Da gäb’s aber was«,
bedeutete er Herrn György und zeigte ihm die Position des Kürbiskerns. »Keine
Panik«, sagte der mächtige Herr György. »Und dann sehe ich dort dieses
Sakko mit dem aufgestellten Kragen.« Der Filz. Und in der Niederung des
Aufeinandertreffens von Filz und Stoff auf der Kehrseite des Kragens: Schmutz. Alle
Arten von Schmutz. Und dann plötzlich (»jetzt sagt
er’s …!«) glaubte der Meister sich zu erinnern an die hochgestellten
Krägen gewisser Sakkos, an ihren grauen Filz: »Es ist mir lebhaft im
Gedächtnis.« Auf der äußeren Plattform einer 33er Straßenbahn, mit blauen
Lippen, aufgestelltem Kragen, welcher gerade bis zum ausrasierten Nacken reicht. »Der Filz: so viel kann man
behaupten!«
Der Meister wurde immer steifer, jede Bewegung, so glaubte er, könnte die Sache
schlimmer machen.
Selten kommt was Besseres nach
. Er
wartete auf Herrn Marci am Spielerausgang. »Den einen Einwurf. Den hast du schön
geworfen«, rief er liebevoll mitten hinein in die verschwitzten Spieler, um sich
anschließend zum Parkplatz zu sputen, wo er das Pferd angebunden hatte. Herrn György
und den Vater brachte er bis zum Batthyány-Platz, wo diese die HÉV nach Hause nahmen. Der Meister hielt sein Ross zum Galopp an. Ich glaube
nicht, dass er auf Geschwindigkeitsbegrenzungen achtete …
Zu Hause angekommen, wieder im Blutkreislauf des Alltags, versuchte sich der Meister
mit der Windel. Die Windel kann man, wenn sie einmal flach
ausgelegt worden ist, auf verschiedene Weise falsch anlegen. Ich muss schon sagen,
der Meister kannte diesbezüglich kein Hindernis. Die kleine Mitovics spürte die
Unsicherheit der Hände und hub routiniert zu greinen an. Dann sagte sie:
»Nangaa.« Was so viel heißt wie, dass die Welt seit einer Weile nicht mehr
nach der ihr genehmen Ordnung voranschreitet. Doch wenn auch das Machwerk bis zu den
rundlichen Knien hinunterreichte, der Rand der Windel unten heraushing - der Materie,
wenn es dann so weit wäre, einen sicheren Wegweisend -, die winzige Taille nackt war
und sich einige Patentknöpfe am Ende an ein und derselben Stelle anschließen mussten,
weil nur noch dort Platz war, wodurch die Symmetrie aufgelöst ward - wurde das Werk
fertig, und zwar badete der Meister in seinem Schweiße, doch konnte er vermelden:
»Fertig.«
Frau
Gitti kam herein und nahm sogleich wahr. Sie
beugte sich über das Bett und flüsterte also: »Armes kleines Ding.« Sie
rückte vor, um sich am Hals ihres Kindes »zu schaffen zu machen«, wobei sie
sich mit ihren Knien, welche einen beträchtlichen Teil des Gewichts der Frau
vertraten, auf das Rückgrat des invaliden Bettes aufstützte. Krach!
»Himmelsakrakruzitürkennochmal!«, der Meister sprang auf, der sowieso schon
angesäuert war ob des zwar subtilen, doch eindeutig kritischen Verhaltens. Das Leben
ging natürlich auch jetzt weiter. Dóra schlief ein, der Meister fing schweigsam zu
essen an. Diesen Abend legte er von schlechter Form Zeugnis ab. Er tauschte das
Schweigen gegen farbige Worte, mit ihnen die Ragoutsuppe, welche er vorgesetzt
bekommen hatte, lobend, erwähnte, dass, wie man sehen könne, die Jahre nicht spurlos
vorübergegangen seien, Routine und das Feuer der Liebe stellten sich allmählich ein,
in der Suppe sei nunmehr auch Salz, lauwarm sei sie auch nicht mehr, und jene
Wässrigkeit, die in den Anfängen, nach den üppigen mütterlichen Suppen, so viel (im
übertragenen Sinne) Bitterkeit verursacht hatte, als … als die Frau mit leisem
Schmerz sagte: »Komm wieder runter, Kumpel. Ist’ne Konserve.« -
»Schmeckt gut«, sagte er, sich wieder in sich zurückhüllend. (Wie jeder
Titan, ist auch der Meister unglücklich.) Doch das ist noch nicht das Ende: es gab
noch eine kleine »Überraschung«. Haselnusstorte. »Deine Mutter hat sie
geschickt«, sagte die Gattin beiläufig. Als der Meister bereits auf das zweite
zusammenhängende (permanente) Butterstückchen in der Krem stieß, murmelte er mit
vollem Mund: »Die Mam ist aber auch nicht mehr die alte«, und zeigte mit
vorgeschobener Zunge das inkriminierte Stück. Frau Gitti fing zu johlen an und mit
ihr, knechtisch, auch der Meister, und erst, als dem Manne schon die Tränen kamen,
verriet sie, dass sie selbst die Torte gebacken hatte, die Stimme riss ab, und die
Frau ging, um ein Bad zu nehmen. Quel malheur!
Er setzte sich traurig in seinen trumm Lieblingsarmsessel und durfte in den
Nachrichten der zerknitterten Nagyvilág lesen. Die Lampe malte
gelbe Kreise auf das Parkett und oben auf dem Plafond knackste ein ums andere Mal ein
Lichtfleck von der Form eines Absatzbeschlags (welche durch die Nahtstelle des
Lampenschirms entstand), wie ein Vogel oder eine größere Mücke.
Später schlich er ins Badezimmer. Steckte den Kopf hinein. Erst die Nase, dann den
Kopf. »Wissen Sie, mein Freund, diese Reihenfolge ist so reumütig.«
Frau
Gitti las in der Wanne. Der Vorsprung, hinter dem
sich die Wanne verkroch, verdeckte ihren Kopf. Das Ende einer großformatigen Zeitung
schlappte herunter: doch der haltende Arm war nicht mehr zu sehen, nur die sich
streckende Hand, um sie vor dem Wasser zu schützen. Auch so war der untere Rand
schaumig geworden. Am Rand des Blattes rundherum das nasse Papier, wie eine eitrige
Wunde. »Auf dem Goli-Platz kann man, wenn zuvor reichlich
trockene Tage aufeinander folgten, zu so einer Wunde kommen.« Doch der Schaum
war weiß wie Schnee. »Lass mich dich anschauen.« Der Zeitungsrand zuckte,
mehr nicht. Auf dem überhängenden Ende sah er: Do You Wanna Dance - nur kopfüber.
»Ich biete Remis an.« - »Ich nehme an.« Auf der Wasseroberfläche
schwammen Schauminseln, nicht zweckmäßig. Ein Schenkel, das Riesenunterseeboot, hob
sich heraus. Von der zylindrischen Oberfläche - welche mit Sommersprossen verlobt war
- zögerte das Wasser abzulaufen. Der flache Bauch wie ein Silberteller, der obere
Rand kam ebenfalls ans Ufer, unten lief eine Knitterung herum, wie eine zierende
Schmuckkette. Von einer Bewegung der sanft abfallenden Hüfte kräuselte sich das
Wasser und ein Beben durchlief alles - den Meister mit einbezogen. Im vom Badesalz
grünen Wasser regte sich, weiter unten, wunderbares Nixkraut … »Schlucken Sie
nicht so viel! Haben Sie Maulwürfe im Hals ?!«
(Vergrößerung) Der Meister ist erwachsen, darüber freut er sich nicht, doch er grämt
sich auch nicht. (Er will seine »kindliche Sensibilität « nicht bewahren,
aber er kauft sich auch nicht gleich ein Portemonnaie.) (Nicht, dass er dadurch nicht
etwas verloren oder gewonnen hätte.)
Jedenfalls kann so etwas nur neuerdings Vorkommen: seinerseits zu denken, dass er
jetzt auf einen Sprung bei den Eltern vorbeischaut. Vor oder
nach dem Training; oder vor oder nach dem Spiel. Da sieht man wieder, für wie viele
Dinge dieses Spiel als Knotenpunkt dient. Er schob sich auf die ihm eigene
umständliche Art aus der HÉV, mit jener übertriebenen
Höflichkeit, mit der er mehr schadet als nützt. Trottet die Pappelallee entlang.
Achtet darauf, weder rechts noch links zu schauen. Jene zwei Straßenecken, bis der
Meister zum heutigen Widerschein der uralten Residenz (mehr noch, haben wir keine
Scheu es auszusprechen: Residenzen) ankommt, bergen tausend Gefahren. Die
Grundschwierigkeit hier ist, dass der Meister erkennt, ob der, der ihm entgegenkommt,
eine Art Bekannter ist, weshalb er anfängt, ihn stark zu
fixieren, wovon er natürlich nicht »klüger« wird, umsonst kneift er so
verteufelt die Augen zusammen, mehr noch, bildet mit beiden Daumen und Zeigefingern
einen rhombenförmigen Bereich als Brille; der Entgegenkommende hingegen sieht offenen
Auges, dass der Meister ihn bemerkt hat, und wundert sich zu Recht, wieso dieser ihn
nicht grüßt. Wenn sich dann das Objekt bis auf zwei Meter angenähert hat, blüht der
Meister auf und tut schnarrend, was man von ihm erwartet, so, dass der andere
währenddessen noch keinesfalls sein Gesichtsfeld verlassen hat. All das ist sehr
ermüdend. (Und für viele verdächtig. Poor Esterházy!)
Der Haushüterkomondor - heldenhafter Nebendarsteller vieler seiner ihm teuren
Novellen - ist verendet, aus Altersgründen. »Sió schläft. Für imme«, fasste Mitovics zusammen. Der Meister mag mit der Linken das
zweiflügelige Gartentor zu sich reißen (was er auch tut!!), während er mit der
Rechten die Stützstange wegstößt, um sie sofort danach - wie einen Hals - wieder zu
packen, doch die Gewalttätigkeit, der Schwung seiner Bewegungen können den Hund nicht
mehr ärgern, so dass dieser, sich noch nicht einmal auf seine gesunden Instinkte
verlassend, unverbindlich zu fletschen anfinge, das heißt, seine Zähne blitzen nicht
mehr gelb hervor, auch das warnende Knurren ohne Aggression ist nicht mehr zu hören -
vorerst. Man muss ihn nicht wissen lassen, wer wir sind (wer der Meister ist), und
das ist natürlich nicht einfach.
Das Manöver findet auch jetzt statt, nur undisziplinierter, krachend und puffend; und
auch ohne besondere prophetische Gaben kann vorausgesagt werden, dass die Stützstange
— vergebens die mal sorgenvollen, mal strengen, aber auf jeden Fall häufiger
werdenden Ausbrüche der Mutter des Meisters — eines Tages nicht mehr aus ihrer
scheintoten Lage wiederauferstehen wird, sie wird immer tiefer im Schlamm versinken,
in der aufgeschütteten, weichen Erde. (Denn früher war Moor
hier, Riedgras und Erpel. Deswegen gibt es keinen Keller. Wo - neben der Kohle - auch
ein Pingpongtisch hätte stehen können …! Aufgeschütteter Boden! Wie geheimnisvoll!
Als würden wir in Wahrheit über der Erde unterwegs sein! No,
was ihn anbelangt, stimmt das auch; seine dichterisch-künstlerischen Bezüglichkeiten!
Als wäre er derjenige, der sich um die Schwarzlieferungen kümmerte, damit der Humus, also der Nährboden, hierherkam.)
Er mag beschließen - wenn dieses seltsame Gastspiel dort, wo er immer zu Hause war,
morgens vonstattengeht -, sich in Herrn Marcis Zimmer zu schleichen, der bestimmt
noch schläft, während er, am Bett des Stürmers stehend, flüstert: »Mein süßes
Holzbein!«, und ihm das schlafende Kindergesicht streichelt. Herrn Marci kann er
beim für um 11 Uhr bestellten Frühstück Wiedersehen. »Mamchen, das Heugabelfrühstück möcht’ich zu um 11 «, so Marcis
Anordnung. (Herr Marci hat ein enormes Sprachtalent. Der Meister
entleiht bei ihm auch nicht zu knapp. Die Wurzeln der muttersprachlichen Schönheit
der Brüder sind bei der Mutter zu suchen. Die heilige Frau kann sogar die beiden
ungarischen »e« sprechen. Der große Mann nicht mehr …) Herr Marci isst
Unmengen. Nachdem er Ham and Eggs aus vielen, vielen Eiern vertilgt hat, umarmt er
sehnsuchtsvoll die weißhaarige Frau. Lässt ihre Glieder krachen. Sie kreischt wie ein
Backfisch. Was für eine Szene! Aber, aber. »Gibt es kein Fleisch, Mütterchen?
Kurz angebraten?« Und dann noch 3-4 Scheiben Fleisch! So viel isst der Herr
Marci! Dabei hat er kein Gramm Übergewicht, dem Ungarischen Fußballbund sei Dank!
[törölt]
« stiehlt »
Doch es ist auch vorstellbar, dass Herr Marci aus einem nicht nachvollziehbaren Grund
früh erwacht. (Oder der Vater des Meisters aus einem nachvollziehbaren Grund spät…)
Dann aber: gibt es ein großes Tohuwabohu: Herr Marci gibt die Losung aus: Streich! Ein Streich bedeutet
Folgendes: Der morgendliche Sonnenschein fällt über das Zimmer her. Lichtdolch. Der
Kindsvater schläft. Er liegt auf dem Rücken (immer), das rechte Bein zieht er an, vom
linken ist schon die Decke gerutscht, eine goldgelbe Decke mit ausgefranstem Rand;
sein Mund steht offen, sein Kinn hängt herunter, als wäre es gebrochen, dadurch wirkt
sein Gesicht wie eingefallen, man wartet, wann der Wangenknochen durch die blasse und
stoppelige Haut sticht: jemand hat das Fleisch unter dem Jochbein geklaut. Wie ein
Toter: die Spitze des Lichtdolches kriecht bereits über den Adamsapfel. Da Herr Marci
ein guter Mensch ist, löst er die Situation auf (er ist kein Anhänger des sinnlosen
Todes). Der Eckpunkt, der sich dafür am meisten anbietet, ist der große Zeh des
Vaters. Herr Marci reibt die Hände aneinander - niemand, aber wirklich niemand würde
annehmen, dass diese so groß sind wie die von Herrn György, wie zwei Schaufeln -,
seine bis auf den Stumpf abgenagten Nägel (verglichen mit ihm ist der Meister eine
Manikür-Reklame!) bleiben von Mal zu Mal an der Haut hängen, ein koboldhaftes Lachen
kommt über seine Lippen. (Der Meister hat viel von seinem kleinen Bruder
gelernt.)
Und zwirbelt ihn. Der Vater fährt schnarzend hoch undsoweiter. (»Die brutal
starken Väter sind dekadenten Enkeln gewichen.« - Das Gesetz der 3. Generation.)
Hier folgt eine kleine Pause, die Aufmerksamkeit erlischt, der Vater badet. Doch dann
schwenkt Herr Marci die Badezimmertür, als würde er in einem (in zwei!) Büchern
blättern, auf Zehenspitzen - trippelnd - pirscht er sich an seinen Vater heran - den
er mit dem Meister gemeinsam hat -, dessen weißer Körper wie ausgebleichter Tang in
der Wanne schwebt. Die Umrisse des Körpers sind unbestimmt geworden: einzelne
Wasserwellen ließen verdächtige Übergänge entstehen; allerdings sahen die
verbliebenen festen Konturen in der Kopfgegend auch nicht vertrauenswürdig aus.
Natürlich meinen sie aber nicht, dass sich der Vater im Badewasser plötzlich auflösen
könnte. In der Höhe des Halses und ungefähr auf gleicher Ebene mit der Hüfte liegt
eine hölzerne Brücke über der Wanne. Eine Handvoll Sonne ist von irgendwo her nach
etlichen Zusammenstößen bis ins Bad gelangt; und macht — durch Staubkörner — die Luft
sichtbar. Auf den Staubkörnern ist niemand. (»Muss das sein? Muss nicht!«)
Rechts liegt der Rasierpinsel, von zwei Bakelit-Töpfchen umrahmt. In der Mitte des
Holzbretts steht ein Spiegel, in einem glitzernden Metallrahmen, unversehrt, leicht
nach hinten gelehnt, als hätte er Kreuzschmerzen. Lückenlos füllt das Glas den Rahmen
aus und ist höchstens ein wenig angelaufen. Links, weiter hinten auf: dem Brett,
liegen Tuben, halb hochgekrempelt, wie die Hosenbeine von Krüppeln.
Der Meister schaut sich den Kampf, Verzeihung, hohnlachend an: Herr Marci bespuckt
seinen alten Herrn mit odolhaltigem Wasser und schlägt anschließend die sich fragend
hebende bedeutende Stirn - pitsch!-patsch! — zweimal mit dem Lederpantoffel. Doch da
all das dem alternden Mann nur ein »kindisches Gekicher« entlockt, lässt
Herr Marci kaltes Wasser dorthin. »Ist das ein Angriff,
junger Mann, ein Angriff ?!« Mit seiner breiten, in Dresche und Straßenbau
gestählten Handfläche patscht er ins Wasser. Der jüngere Bruder wird praktisch
geduscht.
»Und ich hockte geduckt auf dem Block des WC-Deckls.« (So was aber auch …! Dass er selbst des geringsten Pathos
verlustig gehen muss … Oder ist der Meister vielleicht der neue Streiter für eine
neue Sache? Verspritzt er sein erhabenes Licht auf die Alltäglichkeiten!? - »Was
verspritze ich? Das war ich nicht. Das war György. Oder der Marcos. Oder, süßes
Mamachen, lass uns auch deinen Ehegatten, unseren guten Vater, nicht von der
Demütigung ausschließen. Mehr noch … bist du, mein Täubchen, vielleicht a priori über
jeden Verdacht erhaben?!«)
Herrn Marcis Erfindungsgeist hat immer schon eine große Rolle gespielt. Nehmen wir:
das Salzen des Tees! Das war eine süperbe Arbeit. Der Vater trank ihn auf einen Zug
aus und sie prusteten, prusteten nur in ihren eigenen! Milch in die Galosche! Der
Milchschlauch. Einer der sichersten Kunstgriffe bei eiligen Eltern! Nur danach …
Angelsehne für die Tante, wagemutig pendelnde Schaukel für den Cousin, und überhaupt:
das Wegziehen des Stuhls. »Einer der intellektuellsten Scherze, mein
Freund.« Aber alles kann auch sanfter anheben.
Ins Bett schlüpfen! Das war eine der besten Sachen. Nach der Reihe die fremden Betten
abklappern für ein bisschen Nachdösen. Hier zeigt sich der
Vorteil einer großen Familie! Denn betrachten wir es jetzt aus dem Blickwinkel des
Meisters, dieses ehemaligen Kindes: das Bett der »Mami« - um die Stufe des
Hineinversetzens in den Meister auch von meiner Seite zu präsentieren das Bett der
Mami ist bestimmt schon leer (nämlich: leer von Mami). So früh wie sie kann man
einfach nicht wach werden! Wenn es tatsächlich leer ist, kann man es sofort
okkupieren. Das ist der beste Fall, denn da das Bett der Mami das wärmste ist
(»flauschigwarm«), kann es von hier an nur noch
schlimmer werden, wobei Papis Bett, das kalt ist und nach Nikotin riecht, den
Tiefpunkt darstellt - nichtsdestotrotz erfreut es sich, vielleicht gerade wegen
dieser männlichen Rigidität, einer relativ hohen Popularität. Aber viel besser ist
es, wenn sich schon einer der pfiffigen kleinen Brüder dort breitgemacht hat, denn
dann ist dessen Bett wiederum leer. Und da es sich hierbei um Zeiten handelt, die von
der Gewalt des Meisters gelenkt waren, und zwar in eine sehr gute Richtung, war das
Herumkugeln hier jederzeit unterbrechbar. Mehr noch, selbst das Bett des Papis konnte
man einnehmen: entweder durch eine Verzögerungstaktik, wartend, bis der Betreffende
sich von allein verzog, oder mit ausdauernden Streich-Aktionen, eventuell durch Teilung. Hier kann ein kurzes Kabbeln
entstehen, wer innen beziehungsweise außen liegen soll. »Wer nach inninnen und wer nach außinnen gehen
soll.«
Bei diesen Gelegenheiten konnte man den in den Dingen der Welt bewanderten Vater nach
den wichtigen Sachen fragen. Zum Beispiel, wer ein guter Mensch sei, und wer ein
schlechter. Beziehungsweise, konkret, ob ein gewisser Jemand ein guter Mensch sei. Ob
zum Beispiel Kennedy ein guter Mensch sei? Des Meisters Vater lachte seufzend auf,
seine gelben, mit Zahnstein belegten (wie wir von Herrn Glass wissen: schönen) Zähne
waren zu sehen. »Man kann Menschen nicht in Schubladen stecken.« Aber da
der kleine Meister hartnäckig blieb, einfach nicht lockerlassen wollte, sagte er:
»Guter Mensch.« Oder aber: »Schlechter Mensch.«
Der Vater des Meisters, dieses auf vier Beinen wandelnde
Wörterbuch, wie er ihn einmal mit respektloser Präzision, die den Meister
glücklich charakterisiert, nannte, war nicht nur für seine Menschen-, sondern auch
für seine Hundeliebe berüchtigt. Um den Schuppen herum erschienen streunende
Vierbeiner. Das war nicht zufällig. Denn der genannte Mann stellte auch nach Siös
Ableben - und gerade beim Schuppen - mal dies, mal das hin. Es kamen auch die Bestien
in schöner Zahl: der Meister kann sich konkret an zwei
erinnern: an ein Amalgam aus Dackel und Schäferhund, brrr!, sowie an einen
puliartigen Puli mit drei Stück Beinen.
»Fürchterlich«, jammerte die Mutter des Meisters mit jahrzehntelanger
Routine, doch der Vater des Meister trug mit emsiger Gleichgültigkeit die Essensreste
(Knochen, Kartoffeln usw.) und das in Milch eingeweichte Brot (eine Delikatesse!)
hinaus. Doch irgendwann knurrte das Gleichgewicht des Lebens los, und die Hunde
liefen, sich zu einem Rudel zusammenschließend, Sturm gegen den Schuppen. Der nach
Hause kommende Meister fand sich einer großen Aufregung gegenüber. Die Mutter des
Meisters rang verzweifelt -die Hände vor ihm. »Sie fressen die Kohle auf!«
- »Aber Mamilein!«, sagte er kompetenterweise. Die vierfache Mutter beugte
sich aus dem Fenster und sprach so, nicht zu laut: »Mársch, ihr Hunde!«
(Das A hatte sich die Frau aus einer ausländischen Sprache geliehen. Als sie zum
Beispiel einmal vom Optiker nach Hause kamen — »Er hat Adleraugen. Das macht 100
Forint.« -, auch erinnert er sich an so ein erinnerungswürdiges A.
»Táxi!« hatte die Mutter gerufen. Aber dann fuhren sie Bus. »Und
erinnerst du dich, altes Mädchen, wie wir uns dann weit voneinander aufstellten und
so taten, als kennten wir uns nicht, während wir uns wollüstig
zuzwinkerten!« - »Was war das für ein Skandal, was für ein
Skandal!«)
Doch da erhebt sich die väterliche Figur hinter der Schreibmaschine, winkt seinem
ältesten Sohn, und die beiden Männer - sich auch mit kurzen, männlichen Bewegungen
hervorragend verstehend - gehen los. Mit angehaltenem Atem drängen sie hinein - da
hinein, ja, in das stille Örtchen! »Oh, mon ami, ist denn das alles, was übrig
ist von der uralten Jagdleidenschaft?! Von den großen, frühmorgendlichen Jagden, dem
Heer der Horne, dem Heer der Treiber, den dampfenden Rücken der Pferde, den
keuchenden Fuchslungen, dem Kill? Pirschen im WC, nach den im Schuppen rammeln wollenden, verwilderten
Hunden?!«
Keine Zeit für lange Seufzer, der Vater des Meisters lässt, von irgendwo sehr tief
drin, einen riesigen Brüller los. »Schäärst di weg oda nit,
Himmelsakrakruzitürken!« - »Es gab einen Förster«, erzählte einmal der
Vater des Meisters dem Meister, »der hat die Treiber so gottlos gejagt. Schäärst
di ins Hulz oda nit, tu schmutzfiassiga Wallache, tu! Lange Jahre verstand ich es
als: Wollaffe.« Die väterliche Stimme, welche sich im
bläulich schimmernden Licht der adligen Sahlongs (welches, wie wir wissen, ein
Schatten ist) trainieren durfte, tut das Ihrige: die vielen Scheusale geben
Fersengeld! Der alternde Mann zieht sich stolz durch das WC-Fenster zurück (stößt dabei mit dem Knie gegen den WC-Deckl - denselben wie oben welcher ein unwürdiges Knallen von sich gibt),
und der Sohn schaut stolz auf ihn, den Vater.
Hier zum Beispiel hat Herr Marci genug vom Fegen. Unwahrscheinlich, dass er fertig
wäre, eher, dass die Medizinischen Oberschülerinnen gegangen sind. »Was
gibt’s Neues?«, der Meister krallt ihn sich, denn auch er wird Tag für Tag
nach auf Herrn Marci bezüglichen Aktualitäten abgehört. Einmal hat er sich in seinem
Armsessel nach hinten gelehnt, knautschte vehement seinen Dichtermantel unter sich
und schlürfte von seiner delikaten Zigarre. »Wisst ihr, meine Lieben, auch die
Sportärzte sind nicht mehr die alten.« Früher hatte er leichtes Spiel. Es ging
alles so flott. »Fürstenlinie? Gräfliche Linie?«, der liebenswürdig
reaktionäre, doch vergessliche Arzt stellte die Frage, und schon war der Stempel
drin: wettkampftauglich (Datum). Seit aber Herr Marci im
Rampenlicht war, hätte er allsogleich farbige Details liefern müssen, was Herr Marci
genau zugelegt habe, und wie viel. »Wie viel,
Péter?« Schlimmes ahnend sagte der Meister, dass nichts. Fürwahr, dies schmerzte
den Herrn Doktor, dass der Meister es nicht zugab. Sie verriet. »Péter, wir
schweigen wie ein Grab.« Und schwenkte den Ausweis in der Hand. Der Meister
konnte nichts tun, er schüttelte nur den Kopf. »Da haben sie mich auch gleich
zum EKG und zum Röntgen gescheucht.«
Doch Herr Marci wich dem Meister immer aus. »Lass mich in Frieden. Was
gibt’s Neues! Lies die Zeitung.« Doch dann sagte er: »Wollen wir
Schnapseln?« — »Fattachen«, sprachen sie ihren Herrn Vater an, denn
mittlerweile sind sie frech wie die Fliegen geworden, »Fattachen, wir nehmen
dich mit rein in die Partie.« — »Eine Zehner-Runde,
Alter.« Der Vater nickte, setzte sich zu ihnen, mischte und gab. Doch vergebens:
Er verlor mit Schellen und Trompeten. Vielleicht, weil Schellen Trumpf war? Bei
weitem nicht. Weil die beiden Brüder falsch spielten. Der Meister reichte Herrn Marci
unter dem Tisch den Eichel Unter, während dieser Ersterem den Schell König zuschob.
»Wissen Sie, mein Freund, unser Abschnitt über dem Tisch, besonders unser
Gesicht, war wohlerzogen, wir ergrauten in Ehren und Anstand. Ich rief das Schell
Ass, sagte dann die Vierzig an und fertig.« Sie gewannen mit links. Der andere
kräuselte nur die Stirn. Wie wir wissen, konnte er ungeheuer gut die Stirn
kräuseln.
»Ihr habt betrogen«, sagt er dann trotzdem, verwundert. Hier greift sich
Herr Márton einen mit unerwarteter Diensteifrigkeit zur Hand befindlichen Pantoffel
(!) und schlägt mit einer seinem nachdenklichen Gesichtsausdruck widersprechenden
Heftigkeit dem Vater auf die Stirn. (Die heutige Jugend! Der heutige Respekt vor den
Eltern! Moderne, schlimme Zeiten!) »Kusch«, Herr Marci lacht etwas
erschrocken. Zwischen seinen eingesunkenen Schultern blickt der Alte hoch.
»Warum«, teilt er leise mit. Er steht auf und sie sagen: »Fattachen,
du hast verloren.« - »Tölpel«, sagt dieser und setzt sich wieder
hinter oder vor seine Schreibmaschine, um die atemberaubende Studie über »Die
Kartoffel in Ungarn« in die deutsche, englische oder französische Sprache zu
übertragen; denn das ist seine Arbeit.
Er streckte sich ausgiebig. Die Zeit war wieder mit Arbeit vergangen, und das liebte
er sehr: so aufzustehen, dass er wusste, was er zu tun hatte. Einmal, in der schönen,
buntfenstrigen Kathedrale kniend, sprach er dafür auch ausführlich Dank. Ein anderes
Mal sah er zum Fenster hinaus, seine Stirn presste er, wie üblich, gegen die Scheibe
(welche davon auf anzukreidende Weise »verfettete«) und sah hinein ins
tiefe, räumliche Dunkel, als ihn das gerade genannte Wohlgefühl erfasste: dass das
schon seit fast 2 Jahren so geht. Da sah er dort gründlich in das Dunkle hinein.
Wenn der Meister arbeitet, hört und sieht er nichts. Und wenn er arbeitet, kann er
auch unter den unmöglichsten Bedingungen arbeiten: mitten in allem geht er schnell
hinaus, um jemanden zu windeln, oder befreit ein
pummelig-rosiges Beinchen, weil der Große Teddy draufgefallen ist, oder bleibt, über
seine Arbeit gebeugt, in einem Zimmer so groß wie eine mittlere Küche, wo noch 5
weitere Intellektuelle in sicherer Stellung schwatzen, schaffen, rauchen, und er
springt nur selten hinter dem Deckmantel seiner Fachbuch-Bastionen (Software
Informationsmaterial, Parametrisches Programmieren etc.) auf, um auf Wunsch von Herrn
Tamás zur angebrachten Tafel zu gehen (von der der Kreidestaub sowieso in seinen
Nacken rieseln würde) und als Orientierungshilfe das eine oder andere doppelte
Integralzeichen aufzumalen, um somit seine fachliche Anwesenheit unter Beweis zu
stellen. (Die Situation ist nicht so zynisch, sondern: so hoffnungsfroh.) (Seine
Selbstbeherrschung war groß, sie bildete sogar das herausragende Charakteristikum
seines Wesens; zusammen mit der Wohlüberlegtheit, mit deren Hilfe es ihm stets
gelang, Herr über seinen Stoff zu werden.)
Er sieht und hört nichts, doch von Zeit zu Zeit ruft er aus seinem aus Vorhängen
gebildeten, prächtigen, riesig winzigen Zimmerchen (wie hat er dagegen gekämpft,
gestritten, manövriert und intrigiert! — doch dann gab er zu: »Schnecke, du
hattest substantiell recht!«), nun, von hier also ruft er verträumt hinaus:
»Ich li-iebe dich!« Währenddessen pflügt seine Feder das Papier, sein Kopf
und das sichtbare Stück seiner Seele sind derweil unbewegt. Später: »Ich brauche
dich wie ein Bissen Bro-hot!« Doch die sich begeisternde Person kann von massig
Misserfolg getroffen werden. »Mein Freund! Beseeltheit, die sich in Worten zeigt…!« Auch das ist eines seiner Steckenpferde.
»Viel ruhiger «, er winkt aufgebracht seiner Gattin zu, wenn diese ein an
sich wertvolles, vielleicht nur in größeren Zusammenhängen verzwergendes Ereignis
ausmalt. »Und, stell dir vor …!« - »Täubchen«, sagt er
unheilschwanger, »ich gehe ganz einfach die Wände hoch,
wenn du die Geschichten so vorträgst wie X. Um Gottes willen, mal’s mir nicht aus, und vor allem: begeistere dich nicht!« X
dient hier zur Bezeichnung eines namhaften Prosaschreibers; ist aber keine Konstante.
Mal nennt er auf jugendliche Weise diesen, mal jenen. Und das
lässt ihn erweichen; anders Frau Gitti.
Was mag Frau Gitti in den ersten Jahren der Ehe nach so einem »ich liebe
dich« oder »ich brauche dich« gedacht haben? Bitteschön: sie hörte auf
ihr Blut und strömte ins kleine Vorhangzimmer, brach durch die Hügel der
Manuskriptseiten, Wörterbücher, Zettel, Notizen, über Apponyis Memoiren, den
gesammelten Mikszáth, den Däumling, über das Heft mit dem Titel »Besuch in den
entwickeltsten Ländern der Erde«, einen Asterix-Komik (großes Format), das
Gewürzbuch, Sándor Nemeskéri-Kissens Jagdgeschichten, über die Ausgabe der
»Lieder der Freien Völker«, über einige katholische Zeitschriften
(Vigilias), welche einer heißen Frau gleich von zwei Sexy-
Magazinen (was für eine zielgerichtete Frivolität!) umrahmt werden wie ein Sandwich
aus südlichen Gefilden: Frühlingszwiebeln, Tomate, Olive, Fisch, Krebse, Salat,
Salat, Salat! - über und durch all dieses hindurch brach sie, um auf dem Schoß Péter
Esterházys, ihres amtlich anerkannten Lebenspartners, anzukommen; woraufhin der
Meister irrsinnig aus der Haut fuhr, sich wunderte und nicht verstand, wie die Frau
so plötzlich hierher, dorthin, gekommen war: »Was zum Kuckuck! Hier kann man aber endgültig nicht mehr
arbeiten!« Doch die Zeit verblasst; 4-5 Jahre Ehe sind 4-5 Jahre Ehe: die Frau
macht sich also auf, »die mollige Fee«, bricht durch die neuen Vigilias und
die zwei alten Sexys (»gefällig!«), hinauf auf den
Schoß ihres amtlich anerkannten Lebenspartners, und sie versehen einander mit Küssen;
der Hand des Meisters entgleitet die Pelikan-Feder (für welche er die Patronen Stück
á 2 Forint in Herrn Járays Fachgeschäft besorgt), das Klopfen, das auf das Fallen
folgt, bringt den Schaffenden wieder zu sich und er fordert die schöne Frau auf, sich
zu entfernen, welche dieser Bitte zögernd - denn der Meister zog sie an sich -
nachkommt. (»Die Frau ist gut für die Liebe, solange sie schön ist - und gut
fürs Hacken, wenn sie alt ist.«)
Dies geschah, doch auch er sprang alsbald auf. Die Pflicht rief ihn: das
Fußballspiel. Nachdem die große innere Anspannung nachgelassen hatte, stellte sich
heraus, dass ihm der Kopf weh tat. Noch dazu hatte auch sein gutes Orlow’sches
Ross einen Ausfluss - vielleicht der Benzinhahn?, wer weiß es? (»Der Jóska Bór
weiß es, aber wo ist der Jóska Bór? Wer weiß es?«), so kamen der Bus und
anschließend die HÉV zu ihrem Einsatz.
Getreu einer »unwillkürlichen Gewohnheit des zwanzigsten Jahrhunderts «
hatte er die Zeit eng bemessen; es war nichts Neues, dass er als einer der Letzten
zum Training kam. Die Jungs lehnten am Eisengeländer. Er hätte dennoch nicht sagen
können, was anders war, was es war, das sich zu seinem Nachteile gewendet hatte, aber
er spürte gleich die Spannung, wofür das einzige Zeichen die Steife der Begrüßungen
war. Feierlich drückte ihm ein jeder die Hand, obwohl das nur sonntags üblich war,
beziehungsweise wochentags nur seitens des Linken Verteidigers. »Was ist
los?«, fragte er geradeheraus. Die Truppe johlte los, als Alibi, wie in der
Schule, wegen was anderem. »Was soll die Zeremonie
?!« Paff. Stille.
Der große Geist nahm zugleich drei Dinge wahr, die Klammer zwischen diesen ist die
Zeit, als solche locker, aber unheilschwanger. Im Geräteraum saß, die Arme unter dem
»riesigen Gehör« verschränkt, Frau Süsann, die Gerätewartin. Sie saß so,
dass man sie von draußen nicht grüßen konnte. Ad eins. Die Knurrigkeit der riesigen
Frau war ihm nicht unbekannt, aber jetzt war es doch irgendwie anders …
»Endgültiger?« Ad zwei: wie sich der Meister gerade weiter nach innen in
den Geräteraum beugte, um dieser Frauen-Sache auf den Grund zu gehen (oder ob man innen angelangt vielleicht grüßen könnte), hier, wie ein
plötzlicher Traum: es gibt keine Umkleide mehr.
Aber so, wie ich es sage; das ist nicht der Stil! Die Personen und der Geräteraum
befanden sich diesseits (Verzeihung) einer hervorspringenden, das heißt aus der
Längsachse des Gebäudes hervorspringenden Ziegelsteinmauer; um die Situation in ihrer
Geschichte (ihrer Vergangenheit) zu erklären: der Geräteraum war nachträglich an das
Originalgebäude angeklebt worden; diese Ziegelsteinmauer war seinerzeit die Außenwand
jenes Gebäudes - in dem sich also die Umkleideräume und die Duschen befanden. Hinter
diese Mauer fiel nun der Blick des Künstlers! Um anschließend bestürzt
herunterzuparadieren. Denn wo »gestern« noch eine bescheiden abblätternde
Umkleide sowie die Duschen mit dem immer wieder verstopften Abfluss standen, war nun
… nichts, im Grunde. Ai, der verräterische Ausdruck seines Gesichts! »Was ist
los, Kumpel«, die Sport treibenden Jungmänner lächelten gezwungen. Sie waren
besser informiert, nicht nur, weil sie eher am Platz angekommen waren, sondern weil
so ein Einsturz, Maßnahme und Vernichtung seine Wurzeln drinnen, in der Fabrik hat,
wo ein Großteil der »Kinder« arbeitet, je nachdem für Leistungsoder
Stundenlohn. Der Meister durfte also nur noch die schwere, honigsüß-fettige Frucht
konstatieren, das tausendfache Säuseln der Baumkronen, die zitternd brillierende
Bewegung der Blätter, das »sommerliche Zittern«, doch dort in der Tiefe, wo
die Rede von sinistren Möglichkeiten der Mineralsalze und Wasseradern geht, ist er
ein Fremder. Ein seltener Fall bei ihm, der sonst doch so zu Hause ist in der Welt.
Die vorangegangene Sache ward ihm bei einer späteren Gelegenheit auch vorgeworfen,
was den vortrefflichen Mann in eine sehr depressive Stimmung trieb. - Um irgendwo zu
Hause sein zu können, müssen wir woanders fremd sein. »Gefällig.«
Als hätte eine Bombe in das Jenseitige der Ziegelsteinmauer eingeschlagen.
»Jessas«, sagte natürlich der pazifistische Meister und tat nun - nachdem
er sich aus seiner Steifheit losgewandt - einen Schritt beiseite, um sich alles genau
anzuschauen. Die anderen mögen nicht viel früher so und dort gestanden haben.
»Hier hatten gewisse Zwischenwände gestanden, ohne Zweifel.« So viel. So
viel war er in der Lage zu sagen, er, Herr und Sklave des Wortes, »so
viel«. Der Anblick war keiner, der die Zunge löste; der charakteristische Effekt
war eher die Lähmung. Man hat die Decke heruntergeschlagen, nun in Form von
Mauersteinen unten zu sehen, an die einst darüber thronende Tribüne erinnerten nur
mehr die magere Kläglichkeit der Eisentraversen und die Anhäufung des Brettmaterials
auf dem Boden. Mit den Mauersteinen war der Mörtel heruntergefallen. Alles war von
Staub bedeckt. Das ist ein sehr bezeichnender Moment. Aus den wegen ihrer statischen
Rolle so wichtigen Betonstreben standen die dünnen Eisenstäbe heraus, wie erstarrte
Gedärme. »Wo ist der Schmäh von gestern?«, brummte er gebildet. Außen hing,
halb heruntergefallen, verrenkt, die Tafel mit der roten Schrift: Achte auch die Mannschaft des Gegners! Ein rostiger,
trockener großer Nagel hing aus der Tafel. Wände waren verschwunden, und mit ihrem
Verschwinden veränderte sich der ganze Grundriss. Der Meister kannte sich nicht mehr
aus. Das schmerzte ihn am meisten; so konnte es passieren, dass er, als er sich
zurückwandte, statt menschlicher Worte also sprach: »Wo waren die Duschen?« Eine große Stille war die Antwort und das starke
Lachen der Gerätewartin.
Hier kam es zur dritten Beobachtung. Auf das gerätewartliche Gelächter, welches eher
zynisch denn freudenvoll oder überrascht war, ruckte der Meister nervös mit dem Kopf,
wie das Pferd an der Kandare, wenn es daran gezogen wird; diese plötzliche Geste
führte zum Effekt: hinten am Heizkessel erblickte er die Herren Öschen und Armand.
Der kräftig gebaute Herr Armand und der schmächtige und betagte Herr Öschen, wie sie
sich hin und her windend emporreckten, wie eine Mischung aus Strauch und Fichte
n
,
und was ist wessen Arm, wenn es denn gerade um den Arm ging, das zu sagen wäre
schwierig gewesen.
Jegyzet Wir verwenden das Wort hier in seiner botanischen Bedeutung.
Die kurzsichtigen Augen des Meisters sowie seine lebhafte Assoziationsbasis verband
das mit einem uralten Vorkommnis, welches sich anno dazumal nicht selten wiederholt
hatte, und wenn sie, die kleinen Jungnickel, die sie waren, an langen Sommerabenden
auf dem Platz blieben, um der A-Mannschaft zuzuschauen und naserümpfend die übrig
gebliebenen bitteren Biere zu trinken, konnten auch sie sehen, wie Herr Öschen,
dieses bisschen von einem Mann, winselnd an dieser urmütterlichen Hand biss, welche
ihm in den Bisspausen liebevoll über die seidigen Löckchen strich. Frau Süsann war
riesig wie eine Statue auf einem öffentlichen Platz, die Schinken, der Brustkorb, die
Schultern - die Üppigkeit einer Königin! Sie hob die Säcke voll mit (nassen) Monturen
oder Medizinbällen wie ein Mann.
Aber sie war eine Frau. Der Meister kann sich gut an einen Fall erinnern, noch vom
Anfang der sechziger Jahre, welcher sich tief in seine pubertierende Seele eingrub.
Eine Strandszene ist ihm von ähnlich sinnlicher Kraft erhalten geblieben (der Wind
wehte): wie er sein Knie gegen J.s Rücken drückt, die mit ihrem Rückgrat dagegenhält,
obwohl ihr Verlobter anwesend ist, neben ihnen am blauen Geländer. (Oder damals noch
Minium?) Die Geschichte ist nicht sehr ergiebig, doch der Druck von J.s Rückgrat
bleibt ihm für immer im Gefühl seines Knies erhalten, die Glätte ihres Rückens, die
Spur der Badehose an ihrer Hüfte. Im Nachhinein unauthentisch durchdacht: J. war ein
ziemlich schmächtiges Persönchen. Von Frau Süsann können wir sagen, was wir wollen,
mäkeln etc., doch zu so einem Ergebnis werden wir keinesfalls kommen. An ihrer
wundergleichen Fraulichkeit konnte es keinen Zweifel geben; noch nicht einmal jetzt,
da sie bereits auf den Renten-Briefträger wartet. Welcher im Übrigen nunmehr der
Rechte Verteidiger ist, »der Glückspilz«.
Doch zurück zu den sechziger Jahren, zum Urerlebnis! (»Mir ist, bevor ich 10
war, alles widerfahren«, sagte Herr Sándor, der Dichter.) An einem Montagmorgen,
im Sommer, ging der Meister auf den Platz hinaus, schob in einem kleinen Zugkarren
die verbrauchte Montur vom Gáz-Platz, denn anders konnte man es nicht organisieren,
er hatte sowieso schon Ferien und ist abgesehen davon ein hilfsbereiter Mensch.
Überdies ist ihm zu Hause der Boden unter den Füßen heiß geworden. Bedauerlicherweise
hatte es sich nämlich ergeben, dass das vehemente abendliche Spiel der vier
Teufelsbraten (»der Heuschrecken «) eine derartige Wendung nahm, dass Herrn
Marcis Fuß unter die Lehne des Sofas geriet, während die anderen drei, nicht wahr,
auf dem Sofa. Woraufhin Herrn Marcis Fuß, krach, zerbrach. (Wenn ihm also der eine
oder andere Ball verspringt, kennt man den Grund. Der Meister nimmt die Verantwortung
auf sich.) Doch die Brüder befahlen ihm, zu schweigen wie ein Grab. - Die Eltern
nahmen an einem Luftschutzlehrgang teil. - Herr Marci schluchzte, war aber zur Genüge
eingeschüchtert. Die Kinder gingen brav ins Bett, und der gute Meister kassierte das
Lob der heimkehrenden Eltern ein. Doch bis zum Morgen war Herrn Marcis Fuß heiß
angeschwollen, er bekam Fieber und jaulte, was kein gutes Licht auf den Meister warf.
Sic transit gloria … Es schien besser zu sein, das Zuhause vorübergehend
aufzugeben.
Er zerrte und schob die zwei riesigen Säcke auf dem zweirädrigen kleinen Karren.
Woher kam der Karren? Hatte er ihn vielleicht vom Onkel Tocska bekommen oder vom
Leibwächter? Oder gab es damals noch einen Familienkarren? Jedenfalls quietschte er
auf charakteristische Weise. Schlimmer, er quietschte lächerlich; so zerstob die
Freude, die das Lenken und die sich windende Parallele der beiden Radspuren mit sich brachte, schlimmer, vor dem ABC-Laden, wo beim winterlichen Aufwärmen die Große Kurve
Richtung Berg hinauf geht, erfasste ihn ein ausgesprochenes Schamgefühl, obwohl die
Verkäufer- Fräuleins (manche von ihnen im heiratsfähigen Alter; »mannbar, mein
Freund, mannbar!«) diesmal gar nicht höhnisch kicherten.
Die Große Kurve erfreute sich keiner Popularität. »Sie ist ein wen’g länger, als es sein müsste. Wissen Sie, mein Freund, man hat das
Gefühl, man schafft es gerade nicht, sie bis zum Ende zu
laufen. Und die Situation verbessert sich auch nicht, wenn man sie zu Ende gelaufen
ist, denn man denkt es weiterhin. Ja, mon ami, es ist nicht möglich, Erfahrungen zu
sammeln.« Es waren die Mädchen und die Hunde, die sie über das Laufen um den
Platz herum erhoben. »Wessen Sie, mein Freund, sie existiert.« Sie
existiert, diese Art geheime Verbindung zwischen den Läufern und den Hunden, deren
Trautheit durch die Anwesenheit von Herrchen und Trainern keinesfalls bedroht werden
kann und welche durch nichts anderes angezeigt wird, außer von Zeit zu Zeit durch
einen missbilligenden Blick, eine vorbeihuschende Hand, Gekläff und Gekeuch.
»Ruhig Blut, Opa, seien S’ froh, dass der Schoßhund bellt.« -
»Wenn der dich in den Arsch beißen würde, hättest du nicht mehr so eine große
Klappe!« - »Na. Das ist doch das, was ich sage, Opa.«
Und wenn dann die Truppe - leider in einer recht späten Phase - mit keuchenden Lungen
und vom Beton bereits hart gewordenen Waden vor dem ABC
ankommt, warten dort die Verkäufer-Fräuleins, auf sie, aneinandergekuschelt in der
großen Kälte - als wären es seit ihrer Zeit in der U14 dieselben 4 Mädchen: die
Zigeunerhafte, die Kleine mit dem gelben Trikot, mit dem spannenden Trikot (wie viele obszöne Wortverfälle wurden hier ausgenutzt!;
»Wie viele? Einer!«), die Blonde mit dem Mäuschengesicht und den langen
Tänzerinnenbeinen und die Mollige mit den Pferdezähnen, die »Mollieinheit«
- die Sohlen schlagen immer fühlloser auf, und die Mädchen lachen sie interessiert
aus, worauf sie eine kurze, mit Luft unterstützbare Antwort geben, eine konkrete.
Jetzt, damals, stand keine draußen, die kleine Schwarzhaarige war an der Kasse, das
Schmettern des Kassenautomaten war bis nach draußen zu hören, dies machte sie, das
Mädchen, in den Augen des kleinen Jungen (das war er) klug; die Mausgesichtige sprach
mit jemandem, durch das spiegelnde Glas war nur ihr ewiges Grimassieren zu sehen, sie
grimassierte ständig - dennoch beeilte er sich so, mit dem jämmerlichen Quietschen zu
verschwinden, als hätten die vier jeden seiner Schritte beobachtet. Irgendwie war es
so, als wäre er selbst es gewesen, der da so quietschte. »Beschämend. Auf
offener Straße! Auf offener Straße!«
Er fing zu rennen an, der Wagen hinter ihm machte große Bocksprünge, die Säcke
taumelten hin und her wie Betrunkene, ihre Lage in den Kurven war keine
beneidenswerte. Keuchend, sich hetzendtreibend, als wäre es die entscheidende Phase
in einem wichtigen Spiel, lief er mit einem wagemutigen Schlenker vor dem Geräteraum
auf, ließ den Karren mit einem fröhlichen Plumpser nach vorne fallen - ein
funktionsfeindliches Einschlagen der Stange wurde von einer Halterung glücklich
verhindert, welche jetzt auch bremsend wirkte -, und er, mit der Selbstvergessenheit
von einem, der sich auf einer großen, grünfarbenen Wiese (»wo geflochtene Stühle
und Frühstücksbutter in Röllchen etc.«) mit ausgebreiteten Armen auf den Rücken
fallend dem blauen Himmel zuwendet, neigte sich nach hinten gegen die Säcke, als
dritter Betrunkener, und japste, schnauchte, keuchte. »Ich spiele die
Traurigkeit aus mir heraus«, wie der Künstler von nationalem Rang vor manchem
Spiel zu sagen pflegt, und jetzt war im Wesentlichen dasselbe passiert: er hatte die
Scham aus sich herausgelaufen. (Manchmal entsteht die schlechte Laune natürlich auch
nach dem Spiel, quasi durch es. Dann sitzen sie, Herr Csucsu und er, auf irgendeiner
»Turnbank«, sitzen nur da und schauen sich das Trikot oder die Hose an, die
unter ihren Füßen knautscht. Ein Sitzen.)
Und auf einmal, hopp!, klopf!, war die Rückenlehne, der Sack, weg, und er, mit dem
Kopf hintenüber, fiel um, bumstili!, der Karren kippte gefährlich, den Körper des
Jünglings mit sich reißend, welcher auf dem harten, körnigen
Brett auf den Rücken fiel und sich mit ausgebreiteten Armen dem Himmel zuwandte. Doch
als er die Augen wieder öffnete - denn er hatte sie geschlossen -, erhob sich eine
riesige Wolke über ihm: Frau Süsann. Der Meister eilte, sich schnell wieder
zurückzusetzen, doch die Frau, den großen Sack auf der Schulter, welcher ein
physikalischer Auslöser war, reckte lachend eine Hand vor, als der Meister an den
kritischen Punkt kam, berührte ihn nur mit den Fingerspitzen, und das Knäblein
plumpste flugs in die Ausgangslage zurück. Das wiederholte sich etwa dreimal,
begleitet von Frau Süsanns anschwellendem Lachen. Der Sack bebte nur so. Jene
umgekehrte Perspektive, in die der Meister dort geriet, brannte seinem Gehirn die
Bögen, die Schnittlinien, Kehlen und Aushöhlungen ziemlich ein, angefangen bei der
komplizierten Abgetragenheit der ihm am nächsten liegenden Trainingshose (und eine
extreme Wahrnehmung am Sichtpunkt: seine Stirn berührte die schwabbelige Hose am
Knie!) und dann weiter oben …! Was ganz oben war, konnte sich erst später
herausstellen! Denn zunächst - und besonders, da sie im Gegenlicht stand - kam es ihm
so vor, als wäre die Frau nackt ( » nackt!« ) :
er sah ganz sicher ihren bloßen Bauch, welcher sich flaumig wölbte (fast wie ein
Bierbauch, oder vielleicht war er es ganz), das viele Fleisch darüber war funkelnd
missverständlich, die Schultern klar, die Achselhöhle, das »Baumeln« der
Achselhöhlen: nackt!
Aber nein. »Stehen Sie doch auf, Péterchen, die Sonne scheint Ihnen auf den
Bauch oder wohin«, sagte sie und beendete das merkwürdige Spiel, ergriff den
zweiten Sack am Hals, und einen über die Schulter geworfen, einen hinter sich
herzerrend ging sie in den Geräteraum. Er sah ihr sogleich hinterher und konnte den
Bogen sehen, der den Rücken in Höhe der Schulterblätter teilte: sie war also nicht
nackt. Aber dass das ein Büstenhalter sein könnte, daran hatte
er keine Sekunde gedacht. »Ein Badeanzug. Zweiteilig. Und das war das Oberteil. « Dabei war es ein Büstenhalter.
Der Junge hockte wieder vorne auf dem Karren, er traute sich nicht, beim Ausladen zu
helfen, und wollte es auch nicht. Die Frau war mit der Arbeit fertig. Sie nahm zwei
Handtücher aus einem Regal und schwang sie sich über die Schulter, so wie es der
Meister selbst auch getan hätte. »Baba, Péterchen. Danke, dass Sie sie gebracht
haben. Ich geh jetzt baden, ich hab noch nicht gebadet. Baba.« -
»Küssdiehand. « Die Aufregung hielt auf eine Lösung zu. Was dort mit dem
Meister passierte, übertraf jede Vorstellung.
Als die königliche Dame mit einem erdbebengleichen Rucken ihrer Hüften zwischen den
kleinlichen Umständen, namentlich hinter einer Tür, verschwand - darüber die frisch
gepinselte Tafel: Respektiere auch die gegnerische
Mannschaft! - , begann das Schleichen des Meisters, sein Herz schlug ihm bis
in den Hals, wehe, es hätte nicht oder hätte woanders geschlagen!, vorsichtig ging er
um das Gebäude herum, damals heizte man den Kessel noch mit Kohle, nicht mit Öl, als
die Tür der Duschen ganz in der Nähe aufknarzte, warf er sich auf den Boden wie der
gute Pista Tüske des Herrn Banga, den unsere Feder bereits Gelegenheit hatte, leicht
»wie eine verirrte Faschistenkugel das Haar von Partisanenmädchen
n
« zu berühren. Seine Stirn berührte die Schlacke,
und wie er so vor Aufregung schnaufte, wirbelte er den Staub vor seinem Gesicht auf,
wovon ihn das Husten ankam. Seine Lenden presste er fest auf die Erde. Das Warten tat
ihm gut. Danach das sich Sichhochrecken bis zum kohlenstaubverschmierten, dunstigen
Fenster, diese Verflechtung, die Verflechtung von Wasser und Körper, und die Seife!
Die Seife, wie sie sich festsetzte in den schwarzen Falten! »Wie Raureif!«
Er besah sich gründlich die abgelegte schäbige Kernseife, von der er sich bislang
immer zimperlich zurückgehalten hatte, er konnte weder den Geruch noch die zähe
Konsistenz leiden, und seither lässt er mit großer Liebe das bräunlichgräuliche
Waschmittel von ungenügender Qualität an sich herumrutschen. »Sie hat es
gewusst.«
Jegyzet »Hast du Fieber, fragte erschrocken flüsternd Tanja und strich
mit der Hand über Nataschas heiße Stirn und Wange. Es ist nichts, aber, bitte, zu
Feri kein Wort darüber. (Feri ist der Partisane.) Doch der arme Feri! Aus seiner
Werghose fällt und fällt die Spreu. Der Eimer fällt um, im flüssigen
Aggregatzustand wird fester Aggregatzustand gespült. Die schwere Eisentür geht
auf. In der Ferne tropft etwas Licht herunter (als wäre es von einem männlichen
Glied). In Feris Augen blitzt die alte Heiterkeit auf. Er geht los. János ist
immer noch in Ketten. Die Handschellen klappern. Feri auf der Treppe. János
schreit auf.«
Zurück über den Assoziationsfaden purzelnd, wie die Spinne, welche das zu Spinnende
aus sich selbst spinnt, was gar objektiv ist - egal, ob sich eine Fliege darin
verfängt oder nicht -, kommen wir wieder bei dem Meister an, wie er das Gekabbel der
beiden Männer beschaut. Wie er näher herantrat, nahm der Zorn sein Ende. Herr Öschen
war noch blasser, Herr Armand noch röter, in seinem sich ins Graue neigenden Haar
Schweiß. Er war immer jünger als Herr Öschen gewesen, aber
nicht so sehr, dass es die Leidenschaft gebremst hätte. Herr Öschen sagte - während
seine knochigen, dünnen Beine in den weiten Klotthosen nervös vibrierten; Platz genug
war da —, er sagte also. »Wer zum Herrgott bezahlt mir das alles!« Herr
Armand schlug in die Luft, das war offensichtlich eine bekannte Wendung im Streit.
Herr Öschen drehte sich auf der Ferse um. »Servus, Péter«, sagte er ruhig,
als wäre er gar nicht aufgebracht, um anschließend natürlich aufgebracht loszugehen,
mit schwungvollen Schritten und Armbewegungen, der Mannschaft murrte er etwas zu,
winkte seiner Frau mit dem Kopf, »mir nach«, und die Frau folgte ihm ohne
ein Wort, zu der gerade mal lochgroßen Dienstwohnung. »Sie schlich nicht und sie
scherzte nicht: sie folgte ihm.« (Frau Süsann, wie eine pankratische Frau, und
Herr Öschen wie ein passgenauer Schoßhund. »Es schien: sie liebten
einander.«)
»Ach, Fichte«, Herr Armand winkte ab, nachdem man sich begrüßt hatte.
»Fichte.« - »Was ist los?«, sagte der Meister, dabei konnte er es
doch sehen. Die Konsequenz auf die Ursache zurückzuführen ist nicht mehr als eine
historische Verfahrensweise. Und wie der brave Herr Armand, » angeheizt durch
seine eigene partikuläre Wahrheit«, sich Luft machte, schien durch die
»feigen Eisentraversen «, durch die Risse im Dach, das sich über die
ehemalige Tribüne neigte, immer und immer wieder verzweifelt der Himmel auf.
»Ich hab mit dem neuen Generaldirektor geredet. Ist ganz in Ordnung, war früher
mal Fußballer. Wir haben gegeneinander gekickt, er konnte sich erinnern.« -
»Bestimmt hat er gesagt, du hättest ihn in dem Spiel ganz schön fertig gemacht
und hat gelacht.« Herr Armand flog daraufhin aus seinem Schwung. Der Meister
verneigte sich feinsinnig; seine Lebenskenntnis! Herr Armand fuhr etwas unsicherer
fort, doch er erreichte schnell wieder die vorangegangene Vehemenz, wie man das an
der Farbigkeit seines Gesichts sehen konnte. »Ich hab mit ihm geredet, er hat
versprochen, dass es Geld geben wird.« - »Und?« - »Und dann
könnte man diese Scheiße einreißen und was Neues an die Stelle bauen.« -
»Und, was ist dann jetzt das Problem?« - »Weil, die haben die Umkleide
schon am Montag auseinandergenommen, und es sind zwei Tage jetzt, dass die Maurer
nicht kommen. Der Herr Gerätewart, der hier, nicht wahr, bekanntlich das Totumfaktum
ist, denn wer sonst könnte das sein, weiß, dass sie gar nicht
kommen werden, weil das Ganze abgeblasen worden ist.« - »Und in
Wirklichkeit?« - »Was weiß denn ich! Was kommst du mir jetzt auch noch
damit! Sakrakruzitürken, wenn es ein paar kleine Schwierigkeiten gibt, muss man da
gleich flennen wie ein altes Klageweib? Gleich, dass es nicht geht? Und gleich, wer
das bezahlen soll? Wie soll man so was zustande bringen? Auf so eine
Her-damit-aber-gleich-Art? Wie?« Der Meister schwieg. Selbstverständlich war ihm
der Idealismus seines Trainers sympathisch, dieser ungebrochene Tatendrang, das
gemeinschaftliche Denken. »Dafür ist diese Generation zu beneiden. Genauer
gesagt, die Gemeinschaftserfahrung ihrer Jugend.« -
»Aber die Lage ist nicht so einfach.« Nein, denn dies hier ist Herrn
Öschens Arbeitsstelle, und weil kein Geld da ist, fehlen die entsprechenden
Arbeitsvoraussetzungen. Die Zentrifuge ist kaputt, der Rasenmäher wird immer
kaputter, die Walze …!, die Walze hat das letzte Mal vor 5 Jahren ein gewitzter
Jemand in Bewegung gesehen, der Abfluss in den Duschen ist ständig verstopft, das
Grundwasser kommt hoch, in welchem Fall ein Verkehren nur über auf Ziegelsteine
gelegte gefährliche Bohlen möglich ist, der Geräteraum ist
klein, die Wände sind feucht, der Putz bröckelt, die Kabel werden nass, der Rasen
verbrennt, der Sprenger ist mies, die Netze lösen sich auf, der Trainingsplatz ist
von mannshohem Unkraut überwuchert, die Turnschuhe gehen langsam zur Neige, es gibt
zu wenige und zu kleine Handtücher, mein Gott, wie klein die sind, die Jugend hat
kaum genug Trikots, die Trikots bringt keiner raus zur Meisterschaft oder er bringt
sie an den falschen Platz - »Auf den UFC-Platz statt
nach Solymár, weil der Laci Kohut sich um alles andere lieber kümmert als um das
Disponieren der Wagen« —, die Socken haben Löcher, das Warmwasser ist zu wenig,
zu wenig, zu wenig.
Also hörte sich der Meister verständnisvoll Herrn Armands Ausbruch an, aber er
stellte sich nicht auf dessen Wellenlänge ein und räsonierte daher auch nicht mit
ihm. Sondern wurde immer trauriger. »Es ist vollbracht…« Verlegen wühlte er
mit den Füßen in der Erde, sagte Hm-hm zu Herrn Armands glühenden Worten und fühlte
sich immer stärker in die bekannte Tragödie ein: die Verlierer zerfleischen sich
gegenseitig. »Die arme Leut.« Die Herren Öschen und Armand waren nicht in
der Position, auf andere wütend zu sein, »sie konnten
sich nur gegenseitig an den Kragen gehen«. Zum Zwecke der Beendigung seiner in
die Stille hineindringenden schlechten Laune bediente er sich einer nützlichen
Variante der Ersatzhandlung: er stellte sich vor die Regale und fing an, die Montur
auszugeben. Er suchte die Garnitur - Trikot, Hose, Stutzen, Schuhe, Handtuch - mit so
einer Umständlichkeit und in mehreren Anläufen zusammen, dass schon der bloße Anblick
(mit Mitgefühl oder ohne) eine Truppe wieder fröhlich machen konnte; obwohl er es
nicht deswegen tat.
36 Dem Meister nach hatte es schon am Nachmittag angefangen. »Wissen Sie, mein
Freund, ich stand da, in der Mitte von Zimmer Nr. 903, eine Fachzeitschrift in der
Hand, darin mein Fachartikel. Das war schrecklich, so in der
Mitte des Zimmers!« Die Tippfräulein kicherten, der Meister gefiel ihnen und
wieder nicht. Seine Vorrechte beim Portier nutzend kam er rechtzeitig auf dem Platz
an. Im Grunde fiel das Training aus, denn Herr Armand teilte mit, dass der
Mittelverteidiger am Tag zuvor verstorben war, also fand nur ein bisschen
Kleinfeldspiel statt, wobei die Mannschaft des Meisters 6:5 verlor; gerade so.
Der dunkle Vogel Nacht hatte sich schon gesenkt, als er läutete, distinguiert, sich
mit der Schulter gegen die Klingel lehnend. Dabei bemerkte er, dass etwas Weißes im
Briefkasten stak. Während der Meister selbstvergessen durch Europa spaziert war,
hatte Herr Marci den Schlüssel des Briefkastens verbummelt. (Aber, aber, Herr Marci!
’tschuldigung auch. Aber so viel Schonung werden die Energiereserven des
Meisters wohl verdienen!) Die Freilegung war selbst für die Miniaturhände des
Meisters keine einfache Angelegenheit. Nach mehreren
Anläufen gelang
es schließlich. Doch so stand Frau Gitti schon seit einer ganzen Weile in der Tür und
wartete ab, was ihr Gatte da »herumwurstelte «. »Wissen Sie, mein
Freund, ich weiß gar nicht, aber als ich sie darum bat, die Karte der Jolánka
anschauen zu dürfen, da war es schon ... Ach!«
»Warum? Warum musst du sie sofort lesen?!« - »Entschuldige, aber ich
bin so neugierig.« Angesichts des unverständlich wütenden Gesichts der Frau
fügte er unsicher hinzu: »Ich würde sie gerne lesen ...« Aber da die Frau
nicht nachgiebiger wurde, setzte er wütend fort: »Abgesehen davon, empfindest du
es nicht als abstoßend, dass ich die Karte so in der Hand halte, ein wenig nach außen gekippt?« Frau Gitti winkte ab. »Péterchen, mals nicht aus«, sagte die Furie. Der Meister fuhr
sensibel auf. »In dem Fall, sei so gut und sprich heut nicht mehr zu mir«,
sagte er sehr bestimmt. Und fügte noch mit leichter Stimme wie ein
»päderastischer Filmregisseur« hinzu: »Danke. Das wär’s für
heute.« Doch der leichte Ton brachte keine Leichtigkeit. Das
Herz sitzt tief. Sie gingen sich in der kleinen Wohnung aus dem Weg. (Sonst
konnte Mitocska ankommen und »nicht, nicht, Papilein« sagen. Und dann geht
er in sich und schickt Mitocska zu Frau Gitti, damit sie ihr sagen möge: »Du
bist wunderschön, Mamilein«, und dann käme das Mägdlein mit glücklichem,
schlingligem Gesicht zurück: »Hab’s ihr gesagt, Papali«, und würde
grinsen. Aber sie schlief schon.)
Als der Meister später zu Bett ging, war sein Platz im Bett neben Frau Gitti
verwaist. Er hatte sich halb dort eingenistet, als er sich zu einer selbstironischen
Annäherung entschloss, aber diese kam schlecht an. »Ich lese mal den ersten Satz
vor. Er ist ungeheuer nett.« - »Nein!«, rief die Frau aus, ein wahres
Wunder, das Mitovics Bulanscher nicht aufschreckte. »Interessiert mich nicht,
interessiert mich nicht, interessiert mich nicht!«
Am Morgen stand er früh auf, ging einkaufen, vergaß auch den
Säuglingsmilchbezugsschein nicht zu Hause - es war ein denkwürdiger Tag. Zu Hause
angekommen stellte er die Tasche in der Küche ab. Sie neigte sich ein wenig zur
Seite, aber zum Glück Richtung Wand. »Die Lage des Sauerrahms war auch so ... hm
... kritisch.«
Esterházy trug den Müll hinaus. Währenddessen bereitete Frau Gitti das Frühstück vor:
schnitt Brot, nahm einigen Käse hervor, Fromasch, was noch übrig war von der
Lesereise, sowie Radieschen (ein Geschenk des Herrn Noah Webster). »Was zum
Kuckuck hast du da reingetan?«, der Meister mit dem Abfalleimer kam gerannt.
»Es stinkt unbändig.« - »Das Letscho.« Er
stellte den Eimer naserümpfend in die Küchenecke. »Vielleicht wäschst du ihn mal
aus.« - »Warum muss man das Letscho da reintun?! Da kommt einem ja das
Kotzen«, sagte er und ließ einen kräftigen Strahl warmen Wassers in den gelben
Plastikeimer.
»Lass uns den Kaffee im Garten trinken«, schlug der Meister nach dem
Frühstück vor, das in großer, unguter Stille verlaufen war. »Mir egal.«
Aber sie gingen hinaus. Die kräftige Morgensonne veranlasste den Meister zum
Blinzeln, die Umrisse der Dinge waren zugleich schmerzlich eindeutig und dunstig
zitternd. (»Die übliche Vision.«) Alles war licht.
»Möglicherweise.« - »Ist Zucker im Kaffee?« - »Wieso, hast
du Geburtstag?« - »Im Übrigen: nein.« Der Meister sah zur Frau; sie
sagten es gleichzeitig, ohne Lachen. »Kein Vorwurf, nur eine Frage!«
Mitics »legte sich« gewaltig. Doch vorher hatten sich die Verhältnisse auch
formal wiederhergestellt, denn Frau Gitti sagte mit heiterem Ernst: »Ich lese
mal den ersten Satz von Tante Jolánkas Karte vor, er ist so
nett.« - »Lies vor«, der Mann gab seinen Segen und stellte
seine Kaffeetasse auf dem Baumstumpf ab. (Der Garten ist ein von Beton befreiter
Streifen; aber der Baumstumpf könnte auch in jenem Garten stehen! »Mein Lieber,
als ich den Brief anfing, war es ein heißer Sommer, und nun ist es schon
Spätsommer.« Der Meister legte seine Hand in ihre. »Liebste«, dachte
er. »Liebster«, sagte Frau Gitti keusch.
Miticsens Dreirad kippte bedauerlicherweise, und Dorko Mitics biss in eine
Betonkante. »Jessas!« Das Elternteil mit den schnelleren Reflexen sprang
auf, denn aus dem Munde des Kindes strömte in ei- nem dicken Strahl das Blut. Der
Meister freilich tastete sich von der Grammatik und der Geschichte her in die
Gegenwart vor. Blut muss fließen knüppeldick, vivat, hoch, die Republik!, murmelte er
und sprang ebenfalls auf, als Zweiter. Als Mitocska ihren Mund öffnete - die erste
Blutwelle war verebbt –, sahen sie voll Schrecken, dass sich die ganze untere
Zahnreihe nach außen neigte. Der Meister sah zu seiner Frau. »Einarmiger
Hebel«, er nickte. »Schlug hier dagegen, neigt sich nach da.« Frau
Gitti drückte wagemutig, mit einem Schwung, die Zähne zurück. Mitics schluchzte noch
lange: »Mamali, Mamali.«
37 (zuvor) »Der Knochenmann deckt dich.« Er sah einem angenehmen, aber um
einen sichtbaren Einsatz gehenden Spiel entgegen. Er zog hinter der Front der
Zuschauer vorbei, er war ein wenig spät dran und musste auch noch die sanitären
Anlagen aufsuchen. Plötzlich wandte sich einer aus der hinteren Reihe um -
»wieder die ungeheuer großen, schwarzen Mantelrücken« - und legte dem
Meister eine Hand auf die Schulter. Er, als wäre er gegen eine Wand gelaufen.
»Der Knochenmann deckt dich.« Der Meister hatte natürlich seinen üblichen
dichterischen Weg mit der sichtbaren, praktischen Bewegung verschmolzen, so kam er
nur langsam wieder dort an, wo sie beide standen. »Er
macht was?« Der andere lachte. »So ist’s recht, Péter! Nur nicht in
die Hosen machen!« Womit er den uninformierten Meister seines Weges gehen ließ.
Er lief mit immer höherer Geschwindigkeit weg, aufgeregt in die Umkleide hinein,
vorbei am friedlich Pfeife rauchenden, die Augen nur höchst selten,
schildkrötengleich öffnenden alten Gerätewart. (Es handelt sich um eine fremde,
jedoch vertraute Sportanlage.) »Nicht böse sein, Onkel Józsi«, sagte er,
bereits in Montur, und wie liebenswert er für diese Beschämtheit doch ist, »
aber ich musste so nötig Pipi, dass ich vergessen habe zu grüßen.« - »Was
muss, das muss«, antwortete der Alte und ließ sich gleichmütig von der lauen
Möglichkeit bescheinen. (Es gab einen Gerätewart auf dem G.-Platz, der gab nie etwas
heraus. Er hatte nur ein Auge. Freundlich blinzelte er immer und rang sogar mit den
Händen. »Hab keins, mein Junge, auch kein Strumpfband.« - »Der Mistkerl! Denn er hatte alles da!«) In der
benachbarten Kirche fing man an, zur Sechsuhrmesse zu läuten, das kolossale Gebimmel
war - mitten in der Kompliziertheit des beginnenden Spiels — kaum erträglich.
Manchmal zum Beispiel presste der Meister sich im Laufen beide Hände auf die Ohren;
man kann es sich vorstellen. Aber dann wurde es auch still.
ein »gespenstisch gleiches Wetter« - damals spielte
Herr György noch, ein großes Glück; dem Meister jagte man in Rudeln nach; er machte
seine zwei Dribbler, wie Bomben schlug neben ihm je ein Verteidiger ein und daraus
konnte er erraten: es ging ihm an den Kragen; er ließ den Ball wegtrudeln und brach
mit seinen langen, »musizierenden « Schritten aus dem Kreis aus, den
schmalen Pfad der Flucht auf Herrn György ausrichtend, der wie ein Naturphänomen an
der Strafraumgrenze herrschte; dabei eilte Herrn Györgys Karrierebogen zu jener Zeit
schon abwärtszu; z. B. spielte er mit einem Nierenwärmer - »lachhaft«;
rührend fürsorglich war Herr György dem älteren Bruder gegenüber, der sich mit seinen
fragilen Schritten sehr viele Feinde gemacht hatte, mochte er noch so sauber gespielt
haben: Ärger und Tore gebären Unmut, und Herr György brachte anschließend aus reiner
Geschwisterliebe jeden zu Fall (trat ihn in den Boden, kickte ihm ein Loch in die
Brust, faschierte ihn, plättete ihn, ließ ihn aufheulen, nahm ihn auseinander), der
vorher den Meister zu Fall gebracht etc. hatte. »Da gab’s vielleicht was
auf die Nüsse!«; einmal, ein anderes Mal, blitzte es auf dem Acél-Platz, und
Herr György verkündete, so könne er keinen Sport machen, denn da er der größte sei,
werde der Blitz am sichersten in ihn einschlagen, woraufhin der Meister seine
Kapitänswürde aufgab, denn schließlich war ihm das hypothetische Leben seines kleinen
Bruders lieb und teuer, und dem Schiedsrichter vorschlug, er möge seine beiden
Linienrichter auf die Schultern nehmen, damit sie die Stattlichsten wären, womit das
Mittelverteidigerdilemma gelöst wäre; »wissen Sie, mein Freund, selbst der
Torpfosten, selbst der letzte Linksverteidiger ist wichtiger, verstehen Sie es ruhig
so: substantieller als die Schiedsrichter«; so kam es dann, dass er den Platz
gar nicht erst betrat, denn all das passierte noch am Fuße einer der das Spielfeld
umgebenden Pappeln, schon wurde er mit einer Gelben Karte"
geahndet; diese errang er noch ein weiteres Mal, aus einer ähnlich marginalen
Situation heraus, aber wenigstens konnte der Meister sehen, wohin seine
»manchmal schon oberflächlichen Gags« führen; er stand am Spielfeldrand
herum, etwas weiter weg spielten die anderen Fußball, als er auf einmal sah, dass
sich die Erde bewegte, der Grasbüschel wippte und wackelte, und sieh an, schnüff,
schnüff, schnüff, ein Maulwurfshügel erhob sich dort, »Meister«, der
Meister richtete die Aufmerksamkeit des Linienrichters auf das Phänomen,
»Meister, winken S’ doch mal, der Maulwurf ist im Abseits«; »ich
weiß, es ist keine große Pointe, aber er war wirklich im Abseits«; der
Linienrichter rief den Hauptschiedsrichter heran, gemeinsam verhängten sie eine
Verwarnung mit Gelber Karte gegen den Meister, mit den Worten - Gott ist mein Zeuge
–: »machen Sie sich gefälligst nicht lustig über einen minderbemittelten Arbeiterverein« - »sehen Sie, sehen Sie, mon
ami, was für soziale Sensibilitäten dort grassierten« ----------- einmal war er
nach nur zwei Stunden Schlaf zum Spiel gezwungen (»hat sich so ergeben«);
zwei Stunden Schlaf sind für seinen in der Entwicklung begriffenen Organismus: wenig;
in solchen Fällen hat er das Gefühl, der Raum sei eingedellt
und er müsse sich seitwärts zwischen zwei unsichtbaren Etwassen hindurchquetschen;
seinen Bauch zog er, wie ein Yogi, ganz ein, den Kopf drehte er zur Seite, damit
seine Nase kein Hindernis bildete; wie ein ägyptisches Abbild! Jedoch die
Beschäftigung mit dem Ball ist in so einer Position keine geringe Mühe! Er hätte es
gerne gehabt, wenn Herr Banga oder Dóra, diese prachtgroße brave Frau, dieses
Eingedelltsein einmal zeichnen würde-----------lange, raumkneifende Übergabe
(danach) Der Meister blickte in den Spiegel der Glastür. Seine verschwitzten Locken
flammten auf, schön wie der Mondschein oder ein »Lagerfeuer«. - »Und
die vielen süßen kleinen Frauen in Trainings- hosen, mit Reisig in der Hand summen
sie, ein wenig falsch, Lieder aus der Bewegung«, er brauste sofort weiter auf
dem dichterischen Bild, wie es seine Art war. Der Meister neigte den Kopf - »das
ist mein geliebter Sohn, an dem ich meine Freude habe« - , und ohne dass er
seine schnelle Eile verlangsamt hätte, stopfte er sich das entlaufene Trikot in die
Hose, machte dann einen korrigierenden Rückzieher und zog es wieder heraus, wischte
sich die Stirn und zwang es abermals zurück. Ein leichter Sieg wurde davongetragen
und er hatte dabei eine gute Figur gemacht. »Mindestens eine Eins
plusplus.«
Er tappte mit seinen wehen Füßen bereits auf dem hinuntergeworfenen, gestreiften
Trikot, eine Gewohnheit, der er trotz vieler mahnender Worte nicht entsagen konnte
(oder wollte?!), als der Knochenmann neben ihm das Wort ergriff. (Er wusste es
schon.) »Wissen Sie, mein Freund, vor dem Spiel vermag ich von jedem bis ins Innerste zu denken, wie gut er
sei.« Tatsächlich: Einen Milchbart wähnt er für einen
Titanen, welcher vor Kraft nur so strotzt und einen plattläuft, im tattrigen Alten
erblickt er das Hirn, »der muss nicht einmal mehr laufen, verteilt die Bälle aus
dem Knöchel und wir können uns abhetzen, kommen für alles zu spät«. - »Das
gemeine Aas, das«, sagte der Gegner, der sein Haar wie der frühe Elvis Presley
kämmte. »Wie ein Hahnenkamm.« Der Meister war äußerst interessiert zu
erfahren, es hielt ihn quasi gefangen, ob die Frisur hinten ausrasiert war. Deswegen
rutschte er ein paarmal zur Seite mit dem Trikot, ganz wie eine bohnernde Frau.
(Renoir: Die bohnernde Frau) »Das gemeine Aas«, der
andere schäumte weiter. »Tatsächlich«, der Meister stimmte unerwartet zu,
und als der Knochenmann daraufhin den Kopf hob, schlug er mit seinem Blick, wie ein
gedungener Mörder, blitzschnell zu, auf den Nacken des Knochenmanns nieder; doch
umsonst und vergebens: die seichte Beleuchtung (nicht stark genug, nicht blendfrei
etc.) sowie die fehlende eine oder doch eher anderthalb Dioptrie(n) zeigten nichts
Sicheres, aber natürlich widerlegten sie auch nichts. Er hätte sich gewünscht, dass
er ausrasiert sei. Selten einmal wurde der Meister so in die Mangel genommen wie bei
diesem Spiel. »In den ersten 5 Minuten war ich 3-mal auf dem Boden.« Der
Knochenmann war, was seine Mittel anbelangte, nicht wählerisch. »Hat mich hübsch
faschiert.« Das war es nicht, was den Meister in Aufregung versetzte, ein paar
Ekelhaftigkeiten nimmt er durchaus hin. »Das ist der Job eines
Verteidigers.« Zum Beispiel ist er ausgesprochen gereizt, wenn ihr eigener
Verteidiger ein »Hasenfuß« ist und »nicht hinlangt«. Nun wurde
bei ihm hingelangt, so weit, so gut, aber der alte Verteidiger war teilweise stolz
darauf, das hatte er dem Meister nämlich gesagt, und teilweise überschritt er dabei
gewisse Grenzen (versetzte dem liegenden Meister einen Tritt, zwickte ihn in die
Seite etc.). Dem Meister war der Zorn also anzusehen - sein ästhetisches Interesse
für das Haar hat davon nichts verwaschen! -, dennoch sagte er freundlich: »Der
Schiri war wirklich ein Aas.« Der Knochenmann warf ihm daraufhin einen
misstrauischen Blick zu, während er langsam - wie einer, der sich auf einen Schlag
vorbereitet, einen symbolischen - seine Hose herunterzog. Der Meister versetzte:
»Ein Aas, dass er dich nicht eher vom Platz gestellt hat.« Er traute sich
nicht, näher zu treten, dabei spürte er, dass er nun die lokale Wahrheit hätte
erfahren können. Der Gegner kam dahinter, woher der Wind wehte, dass er Opfer eines
arglistigen Spiels geworden war.
»Was willst du«, der Knochenmann griff sofort scharf an, »glaubst du,
du bist der Big Player?« Der Meister antwortete ehrlich: »Also das bestimmt
nicht.« Der Gesprächspartner war ausgesprochen feindselig. »Bei mir hättest
du nicht einen versenkt.« - »Erlaube mal, Alter«, sagte er mit der
Seele einer Brandotter, »bei wem hab ich denn welche versenkt?« -
»Erst, als man mich schon rausgestellt hat.« Die Sache wurde zunehmend
wilder. »Kann sein, Kumpel«, sagte er mit »Messer-Lippen«,
»aber bis dahin bist du auch nur über den Platz gekrochen.« - »Worauf
bist du so obenauf ? Dass du der Macker in einem fünftklassigen Team bist? Könntest
froh sein, wenn du mal in einer Mannschaft gespielt hättest, wo ich war.« Dem
Knochenmann war anzusehen, dass er einer glorreichen Vergangenheit entgegenblickte.
»Kumpel, von Erinnerungen kann man sich nichts kaufen.« Der andere
sortierte sich wütend, hob sein Handtuch hoch und schmiss es wieder hin. »Denk
bloß nicht, dass du nie alt werst.« Der Meister zuckte die Schultern, tat einen
Schritt zur unmittelbar neben der Umkleide befindlichen Dusche, welche gerade
okkupierbar erschien. »Und du werst nie, verstehst du, nie in einer Mannschaft
spielen, in der wo ich gespielt hab.« Der Meister drehte sich mit all seiner
Persönlichkeit um. (Die Duschchance war so natürlich dahin.) »Wieso. Wo hast du
denn gespielt.« - »Egal wo. Guck nach. Kann man nachlesen.« Der Gegner
keuchte, schaute ihn blitzend an. »Gut«, sagte der Meister mit einer
augenblicklich sich auftuenden Traurigkeit, »ich werde nachschauen. Wie heißt
du?« - »Das kannst du auch nachlesen!!« - »Ist gut, Kumpel«,
sagte er und ging in die Dusche. Als er zurückkam, war der alte Spieler schon im
Aufbruch begriffen. »Servus«, sagte er allgemein. »Servus«,
antwortete der Meister ebenso.
Sie gingen schon draußen durch die klamme, kühle Luft, eine Gruppe nasser Locken
schlug ihm gegen die Stirn, eine andere, veranlasst durch die Kapuze des Mantels,
neckte ihn am Hals; sie standen an der Ecke neben der Kirche, er schupfte mit der
Schuhsohle über den schmierigen Asphalt und sagte bereits zum wiederholten Male zu
Herrn Icsi, er habe das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben, seine
Unerbittlichkeit gegen die in die Vergangenheit gerichteten Illusionen des
Knochenmanns sei - hier - nicht angezeigt gewesen. »Bestimmt fängt er einen
Riesenstreit mit seiner Frau an.« - »Was will der von der Frau?«, Herr
Icsi zeigte auf den Meister und wandte sich den anderen zu. Herr Icsi war nicht
einmal bereit, die Grundbrutalität der Verteidiger hinzunehmen, dementsprechend
bewertete er also diese Tragödie, welche auch vor einem guten Torhüter nicht
verborgen bleiben konnte.
(Der Meister knabberte noch eine ganze Weile an dieser dissonanten Angelegenheit, besonders, da er das Gefühl hatte, der Alte sei anno dazumal
tatsächlich ein »besserer Player« gewesen als er selbst. Er erzählte die
Geschichte Baum und Strauch, farbig, psychologisierend Frau Gitti, seiner Mutter,
Herrn György, seinem Vater, er versuchte sogar, den Fall in einen literarischen
Rahmen zu heben. »Ein Aas«, sagte er traurig.)
38 Der Meister kräuselte die Stirn. Dabei schnalzte er mit der Zunge, spitzte den
Mund, zischelte, und bei alldem lauschte er auch noch. Frau Gitti sah mehrfach
herein, ob Hülfe erwünscht sei. »Nein! Und ich bitte dich sehr, flüstere nicht
mit dem Kind, wenn ich arbeite! Ihr könnt ruhig randalieren, Hauptsache, ihr seid
still! Still!« Doch wie sich die Lösung einstellte, stellte sich auch die Ruhe
der Familie wieder her; so ist die Verflechtung. (»Gitti, an einer Stelle, wo
deine menschliche Größe herauskommt, würde ich hinschreiben, dass du Schweißfüße
hast. Als eine Art künstlerischen Kontrapunkt.« - »Nein. Dann weine ich und
benetze deine Dinte mit meinen Tränen.«) Furchtbare Gräben taten sich über den
Augenbrauen auf, wo Frau Gittis Finger mit so einer schmerzlichen Liebe
entlanggleiten konnten. Die Gräben sind ein väterliches Erbe: wie jene Stirn lang
ist! Wie ein kleinerer Fußballplatz.
Das viele »Sssss!« und »Ssssch!« brachte schließlich den Frieden,
die Stille der Lippen und des Geistes. »Sssss. Hören Sie, mon ami? Ssssch. - Man
kann den Klang-Effect ausprobieren. - Wie der Wind. Kalt ist der Wind und er
sssäuselt. Produktionssssroman. Na, natürlich gibt es überall
einen Konvektor, oder wenigstens einen Kamin!« Wahr, wie wahr! Bei seinen
knackenden Lauten und dem freundlichen rötlichen Lichte schwirren nur so die vielen
Gedanken! »Was wir, unter uns gesagt, mein Freund, mehr als gut gebrauchen
können.« Ich erlaubte mir noch einzuwerfen, dass das ungarische Wort für
Kurrrzroman, »kisssregeny«, das auf englischem Sprachgebiet heimische Wort
»kiss« beinhaltet ... »Hm, hm«, er mimte ein Nachdenken,
»dass das ein Kussroman wäre?!« Das gefiel ihm.
39 Mit profaner Verdrießlichkeit stellte der Meister fest, dass dadurch, dass sie der
Reihe nach alle das schwarze Trauerband über das weiße Trikot gezogen hatten, ein
jeder per Trauerband zum Mannschaftskapitän geworden war, dabei ist das nur der
Meister. Die Schweigeminute war am Anfang des Spiels. »Dieses Rindvieh von
Schiri hat die Minute genau abgemessen. Wissen Sie, mein Freund, wie lang so eine
Minute ist? Also ich weiß es jetzt.« 23 Mann stehen da, denn natürlich
gibt’s schon wieder keinen Linienrichter, und der Wind wirbelt die schwarze Schlacke auf! Was für eine Zeremonie! In diese
scharfe, tonlose Szene drang das realistische Geklapper eines
Müllwagens vom Hügel hinter dem einen Tor. »Die Töne, die Bilder und ich sind
auseinandergelaufen wie die Hühner.« - Sie spielten nicht schlecht, trotzdem
führte der Gegner glatt. Als schon alles verloren war, brach er überflüssigerweise in
den Strafraum ein, denn irgendwas musste er machen, wo er zu Fall gebracht worden
ist. Der Spielleiter pfiff, ohne zu zögern. Der Meister liegt in der
Sechzehnergegend, den Kopf auf der Erde, fast verbeißt er sich in sie, fast weint er,
und auf seinen Lippen nur schwarzer Staub, nur Staub.
40 »Der Veverka kommt sein großes aufgedunsenes gesicht gleitet gleitet verliert
seine festen umrisse fließt tritt über die ufer wie die rasende theiß bald drängt sich sein haariger bauch vorwärts hinein in ein
einsam stehendes zimmer nimmt seine form an füllt es aus sein schweres männerparfüm
streunt überallhin und die unheilschwange- ren wedler der Krawatte und die
gewalttätigen gut rasierten doppelkinne hopp wir sind grad auf einen sprung
vorbeigesprungen und dich insbesondere wollen wir nicht stören peterchen du peterchen
schreibe nur schönes edles aus dem tanze von dunkel und hell von weichem und hartem
springt er heraus wie ein fisch auf einmal ist mir zum weinen zumute aber das wirst
du mir büßen sein auge eine warze in seiner nase frostschutz sein mund ein morscher
bauschstupf in seinen nasenlöchern kreuzspinnen Veverka genau Jenő sage ich sagt
Veverka dieser lüster hat deine große ist auch schon gekauft wir sind auch schon weg
gieße den pandanus veitschii gieße den pandanus veitschii.«
41 Der Meister verlangsamte den Lauf seines Pferds, besah sich blinzelnd die schmale
Gestalt, die sich ihm auf dem Gehsteig näherte, über dessen Oberfläche sie etwa einen
halben Meter schwebte wie ein Engel. Als er in der Erscheinung - wie gewöhnlich im
letzten Moment - den Dichter Herrn Sándor erkannte, trat der Meister auf die Bremse
und das treue Orlow’sche Ross schlug beinahe Wurzeln in dem sich in einem
ziemlich schlechten Zustand befindenden Asphalt. Geschickt entwand er seinen Fuß dem
Steigbügel, sprang federnd - der sportliche Körper! - ab, und sie begrüßten einander.
Er freute sich sehr über das Zusammentreffen, denn schon längere Zeit schob er ein
»Vorbeischauen« bei Herrn Sándor vor sich her, und so hatte er immer
häufiger an ihn gedacht. Nach den schnellen Gesten der Begrüßung setzte Herr Sándor
sein engelhaftes Preschen fort, der Meister sputete sich neben ihm, mit schnellen
Schritten. »Wissen Sie, mein Freund, ich bin noch nie so schnell gegangen, ohne dass ich gelaufen wäre
... Das heißt, einmal doch. Mit einer Stenotypistin bis zum Marx- Platz ... Wie die
rannte! Und Slalom zwischen den Leuten lief! Ihr wunderbares Katzenschnäuzchen!«
Das stattfindende Gespräch war dennoch so, als würden sie gemütlich flanieren bei
herbstlichem Malso- mal-so-Wetter. Herr Sándor stellte dem Meister Fragen bezüglich
dessen Familie und Arbeit, und er antwortete wahrheitsgetreu. (Frau Gitti krank,
Mitocska wunderprächtig, der Roman immer dicker. »Die Quantitätsanzeiger sind
beruhigend.«) Als sie dann am Ziel des Dichters (»welches ihn
findet«), am ABC, angekommen waren, hub der Meister zu einem nicht sehr
minutiösen, nichtsdestotrotz herzlichen Abschied an. Doch Herr Sándor widersetzte
sich - ohne dass er in die Richtung geschaut hätte, in der sich der Kopf des
Prosaautors befand, so dass dieser, wie schon so häufig, das Gefühl haben konnte,
Herr Sándor sei nicht da, oder wenn doch, dann sei er selbst er nicht.
»Warte mal, warte mal, wir kaufen der kleinen Dóri was ...« - »Aber
nicht doch, Sándor ...«, brummelte der Meister (die 3 Punkte sind hier die
charakteristischste Redewendung), doch Herr Sándor war da
schon wie ein Aal in die üppige Warenauswahl hineingeschlüpft. Sie gerieten zwischen
die Waschmittel; Tomi Star, Tomi Super. »Vielleicht etwas von hier«, sagte
Herr Sándor leise im gemeinsamen interregalen Dahinjagen. »Nicht doch, Sándor
... ich rufe dich an und dann kommen wir mit der Dóra zusammen ...« Herr Sándor
nahm eine Packung Eierteigwaren (Tarhonya) zur Hand, der
Meister winkte automatisch ab. Das Glück führte sie zu den Schokoladen. Der Meister,
wie einer, dem bereits alles egal ist, zeigte auf die (ungefüllte!) Tafel mit den
Haselnüssen, die er (!) am liebsten mag, sie mögen das für die Tochter kaufen.
Angesichts der Schlange, die vor der Kasse feststand, wurde er ganz verzagt.
»Aber Sándor ... das abzuwarten.« Und fast hätte er zu flennen
angefangen.
Doch Herr Sándor drängelte sich mit einer Entschlossenheit, die man ihm nicht
zugetraut hätte, zur Kassiererin vor, die stark schwitzte, auf den Kassenautomaten
eindrosch, die Augen nur bis zu den Körben hob und mit zauberischer Schnelligkeit
wieder und wieder das Geld zählte. Herr Sándor sprach sie in seiner interessanten
Modulation an, zeigte auf die beiden Tafeln Schokolade (denn natürlich ließ ihn seine
große Geberlaune gleich zwei kaufen): »Die zählen Sie dann bitte dazu.« Die
Kassiererin sah nicht einmal auf, und wozu auch? Herr Sándor reichte dem Meister die
Hand, gab seiner Freude ob des Treffens Ausdruck, und als er sich im Kreuzfeuer der
ihn erkennenden Blicke am Ende der vollständigen Schlange einreihte, blieb der
Meister mutterseelenallein zurück, in einer Art Auslieferung.
(»Warenauslieferung, ha-ha.«) Er trat eine Weile auf der Stelle und machte
sich schließlich aus dem Staub.
»Wissen Sie, mein Freund, ich stand da auf dem Hügel, drückte die beiden
Haselnussschokoladen an mich - etwas weiter weg scharrte ungeduldig das Pferd — und
war vollkommen gebrochen.« Auch später dachte er immer wieder an diese
»unmenschliche Szene«. »Dieses Rasen! Wie ich aus meiner Zeit
vertrieben worden bin!« Manchmal war ihm also Herrn Sándors Größe einfach
unheimlich.
An der mit X bezeichneten Stelle saß der Meister mit Vasa aufs Vorzüglichste, während
die Sonne unterging und ihm ins Auge schien, am Fuße dreier junger Fichten, in einem
einfachen, grünen Viereck.
»Wissen Sie, mein Freund, ein Gespräch mit dem Vasa bedeutet eine intensive,
Entschuldigung, Lebenserfahrung. Als wäre der Vasa ein funkelnder Eisblock, nur eben
nicht aus Eis, sondern aus Zeit.« So schön kann der Meister auch sprechen.
»Ich kann die Antwort für dich deswegen nicht bagatellisieren, weil ich mit dir
so rede, als würde ich mit mir selbst reden.« (Edit ist wunderschön)
Drüben, im Hof des Nachbarn, steht ein Essigbaum mit großer Krone, Sonne und Mond im
Weg. In den letzten Jahren konnte ich immer besser durch das Netz der Äste blicken,
da er blattlos geworden war, laublos; er ist vom Schlag getroffen. Er lebt noch. Legt
seinen Schatten über die große, manchmal ungestörte Stille unseres Hofs. Er duftet
nicht, sein Geruch ist säuerlich, fast stinkt er. Besonders im Herbst, wenn er einen
gelben Staub verstreut. Aber nach unten, sagt man, treibt er Wurzeln, die größer sind
als seine Krone.
- der Meister spürte noch die Wärme ihrer Hände in seiner Handfläche, und er konnte
sich darüber nicht von Herzen freuen*
n
, Frau Gitti war verführerisch in die Badewanne geklettert, und schon
klingelte Herr Imre, denn er war der, der klingeln sollte. Neben ihm kläffte sein
verspielter Vierbeiner. Doch Herrn Imres Hund mit dem Namen Pam oder Pami - der
verspielte Vierbeiner! - ward nicht hereingelassen, denn Frau Gitti fürchtet Hunde
wie das Feuer! (An wie viele, oh, wie viele knorrige
Umklammerungen seiner Gattin kann er sich erinnern, von denen ihm wirklich der Arm zu
schmerzen begann, und an die leise Panik, welche er gereizt abwehrte. »Nur ein
Hund.« - »Das würde ich auch sagen«, konnte die angstvolle Frau noch
sagen.) »Wissen Sie, lieber Imre«, sagte die schöne junge Frau zu einem
späteren Terminus, »ich kann mir einen Hund nur vor einem Gartenhintergrund vorstellen.« Darüber amüsierte sich Herr Imre
prächtig, während er Nüsse knackte.
Jegyzet Das war typisch für jenen
turbulenten
Tag.
Doch zunächst einmal wurde der Hund ausgewiesen. »Ist das dein Hund?« -
»Klar.« Sie standen angespannt in der Tür. Der Hund grassierte ein und aus,
Frau Gitti noch verängstigt im Badezimmer. (»In Splitterfaserangst!«)
»Sie ist nackt«, flüsterte der Meister dem Dichter zu. »Brav«,
nickte dieser und wartete auf immer neue Fragen, die auch nicht lange auf sich warten
ließen. »Und, kann er parieren? « - »Nein«, antwortete Herr Imre
hart. Der Meister nickte, er hatte das erwartet. »Ein Glück, dass er wenigstens
nicht reinrassig ist.« Anschließend fügte er besserwisserisch hinzu: »Echt
Promenadenmischung ... Und wie heißt er?« (Das wird eine recht interessante
Passage:) Herr Imre antwortete in der ihm eigenen trockenen, doch so lebensprallen
Art: »Pam oder Pami.« Der Meister hob, wie man das auf einigen
hinterbliebenen Fotos seines Großvaters sehen kann, eine Doch zunächst einmal wurde
der Hund ausgewiesen. »Ist das dein Hund?« - »Klar.« Sie standen
angespannt in der Tür. Der Hund grassierte ein und aus, Frau Gitti noch verängstigt
im Badezimmer. (»In Splitterfaserangst!«) »Sie ist nackt«,
flüsterte der Meister dem Dichter zu. »Brav«, nickte dieser und wartete auf
immer neue Fragen, die auch nicht lange auf sich warten ließen. »Und, kann er
parieren? « - »Nein«, antwortete Herr Imre hart. Der Meister nickte,
er hatte das erwartet. »Ein Glück, dass er wenigstens nicht reinrassig
ist.« Anschließend fügte er besserwisserisch hinzu: »Echt
Promenadenmischung ... Und wie heißt er?« (Das wird eine recht interessante
Passage:) Herr Imre antwortete in der ihm eigenen trockenen, doch so lebensprallen
Art: »Pam oder Pami.« Der Meister hob, wie man das auf einigen
hinterbliebenen Fotos seines Großvaters sehen kann, eine Augenbraue. »So heißt
er? Pamoderpami?« Herr Imre kannte sich sofort aus (das heißt, begriff sofort
den versteckten Sinn), was das Problem war. »Er hört sowohl auf Pam als auch auf
Pami.« Der Meister winkte ab, wie einer, der gerade eine sehr unwichtige Sache
erfahren hat. »Aber sein Name? Was ist sein Name?« Hierüber lief der Hund
hinaus in den äußeren Raum, unter den Himmel. Herr Imre, die gute Mutter, rief ihm
hinterher: »Pa-am!« - »Ach so«, der Meister zog sein Wissen
daraus. Eine kurze Weile später war Pam zurückgekehrt, und Herr Imre fragte ernst:
»Und ich«, hier zeigte er mit einer blassschönen, französischen Geste auf
sich selbst, »darf ich hinein?« -
»Ja.«
Doch hier stellte sich eine plötzliche Wende ein, sie gingen doch nicht hinein,
sondern hinaus, nachdem der Gast also sprach: »Hast du eine Taschenlampe?«
Hinaus gingen also die beiden Männer, dieses Zwillingsgestirn der Prosa und der
Dichtung, um nachzusehen, was für ein Öl aus dem Schiguli lief. Da lagen sie platt
auf ihren Bäuchen und analysierten die Lage, während Pam in der sanft ansteigenden,
jedoch umso kurvenreicheren Straße, ordentlich randalierte. »Das Fließen hat
eine radiale Richtung«, stellte der Meister fest. Es sei hinzugefügt: richtig.
Auf den staubigen, schlammigen Reifen beinahe regelmäßige, »zehenweise«
dunklere Verdunkelungen! »Das ist das Ol«, sagte Herr Imre finster.
»Vielleicht aus dem Differential«, der Meister versuchte sich bestimmt.
Jetzt erst verstand Herr Imre, mit wem er unter einem Schiguli lag: mit einem - bitte
um Nachsicht für das Wort, ich benutze es in einer speziellen Richtung - Antitalent.
»Es ist nicht symmetrisch«, sagte er noch bedeutsam und ließ die Lampe,
diesen kurzschlüssigen Apparat, hin und her blitzen. Ratlos erhoben sie sich. Pam
sprang auf den Rücksitz. »Ich bin in irgendein Schlagloch gefahren.« -
»In einen Ausbruch«, er benutzte sein Lieblingswort.
»Es gibt viele Frostschäden.« Herr Imre war der Meinung, nachdem er die
Autotür bereits abgeschlossen hatte, dass Pam vielleicht permanent frische Luft
brauchen könnte (selbst um den Preis der Kälte), und öffnete - um an der Kurbel
drehen zu können - die Autotür. Gerade, als die Tür des Schigulis aufging, kam die
Feuerwehr an der Ecke an, in ihrem süßen kleinen roten Wagen. »Verständlich,
mein Freund, irgendwo kann es manchmal immer Feuer geben.«
(Einmal hatten der Meister und seine treue Gefährtin eine kleine Feuersbrunst
verursacht. Sie werkelten am Abendessen, die Schlinglige Banditin schlummerte
bereits. Der Meister ließ sich von einer surrealen Bildfolge hinreißen. Die
Auswirkung war auf das Teeausgießen nicht wünschenswert. Ein ehefrauliches Auffahren
machte ihn auf das übersprudelnde heiße Wasser aufmerksam. Die Bildfolge war aber aus
dem von uns unterstützten, oberflächlichen Aspekt der Praxis her dennoch nützlich.
Jawohl!
Die damalige Dichtung startete mit einer gut definierbaren, frühmorgendlichen
Schweineschlachtszene; und dass man Blut essen kann: das war die Lehre daraus! — Die
versengte Schweineschwarte führte in eine österliche Kirche, die Flamme der Kerze,
welche der Meister hielt, erfasste das nach vorne schwingende Segel des damaligen
Haars des Meisters; inmitten des jammernden Lamentos der Frauen seine, man kann es so
sagen, heilige Ruhe, wie er die Flamme in die Faust nahm, ihr auf diese Weise
wissenschaftlich den Sauerstoff entziehend. - Weihrauchgeruch, Silber, festlicher
Wind. Hier allerdings stockte der Meister, denn die zeitliche Einordnung des Bildes
und besonders die der Gerüche bereitete ihm Sorgen. Plötzlich stellte sich aber
heraus, dass es um das Jetzt ging!
Sie sprangen auf, der Meister wollte ratlos mal hierhin, mal dorthin laufen.
Schließlich blickte er bedrückt zur Teekanne zurück: »Auch die ist nur mehr
lauwarm.« Was für eine Sensibilität für das Lauwarme, während doch Feuer dort
loderte! Frau Gitti entdeckte den Brandherd. Das Laken neben dem Gasboiler brannte.
Die Dusche! Das Gespritz! Und der Geruch!! Der Meister machte sich alsdann viele
Umstände. »Die Asche«, jammerte er. »Die Nachbarn«, jammerte er,
denn er fürchtete taktlose Fragen, welche auf das Lüften hätten folgen können.
»Jetzt hör schon auf«, sagte die Gattin, die die Aufräumarbeiten
leitete.)
Die Türen des Feuerwehrfahrzeugs schwangen auf, zwei sprangen heraus, und nachdem sie
die halbe Strecke in angestrengtem Marsch zurückgelegt hatten, setzten sie ihren Weg
weiterhin bestimmt, doch schon etwas gemütlicher fort, auf die
beiden jungen Männer zu. Der dritte Fahrgast des kleinen roten Autos hatte sich
Zivilkleidung über den jungen Körper gestreift und begann, sobald er aus dem Auto
ausgestiegen war, herumzulungern. Das Auto hatte keine 20
Meter von unseren beiden Helden angehalten, der Zivilgekleidete lungerte dennoch ohne
jede Befangenheit herum. »Lungerte dort herum, mein Freund, abends um drei
viertel zehn. Wüssten Sie dafür eine Erklärung, wenn man gerade eine bräuchte?«
Was könnte ich, aus meiner engen Rolle heraus, dazu sagen? (Das schwarze, kräftige
Haar des Herumlungerers wehte mit bläulichem Licht, ein paar hin und her schwankende
Haare auf seinem Schädeldach erweckten den Eindruck von Jungenhaftigkeit.)
»Wildschäden«, sagte Herr Imre unwillig und, noch auf die Frostgräben zurückverweisend, mehrschichtig.
»Wem gehört der Wagen?«, der Uniformierte stellte die zielgerichtete
Erkundigung an und heftete seinen Blick auf die beiden herausragenden Mannspersonen.
Der Meister und Herr Imre sahen sich an und antworteten gleichzeitig. Der Meister
sagte: »Meinem Freund.« Denn Herr Imre war ihm ein solcher (siehe S. 187);
eine ganze Weile war er ihm fast ein Freund, schon das
beurteilte er als einen sehr günstigen Zustand, aber dann, als Herrn Imres Fehlen
irgendwann endgültig erschien, wovon er sich - wenn auch nicht als Ganzes, aber in
Form von einer Art Loch - leer fühlte, beschloss er: Herr Imre sei: sein Freund. Und
Herr Imre sagte: »Meinem Vater«, denn der Schiguli gehörte seinem
Vater.
»Aha«, sagte der Fragesteller und sein Blick hüpfte hin und her.
»Aha.« Nun erkannte er in den beiden Geständnissen (!) den Widerspruch und
schlug, keine Zeit lassend, zu. »Die Ausweise!« Der Meister schaute zur
Erde, auf seine Pantoffeln, denn er war bereits in Pantoffeln zu dieser späten
Stunde. Nun hob er ein wenig die Zehen und zog sich, die Ferse aufstützend, ein wenig
aus dem Pantoffel zurück.
»Mein Freund! Ein Motiv!« Anschließend hob er das
Doppel aus Fuß und Pantoffel vom Boden ab und ließ Letzteren über einen Zeh,
namentlich über den großen, schaukeln. Hier fing Pam (nicht deswegen) zu kläffen
an.
Diese beiden Ereignisse - Äußerungen von Heimeligkeit und Besitzverhältnis - setzten
im Fragenden eine ganze Reihe an Gedanken in Gang. »Aha.« Sie beide
brachten kein Wort heraus, ihre Aktionsfähigkeit war in dieser Richtung, glaube ich,
langsamer als die des Durchschnitts. »Aha«, sprach der Uniformierte weiter,
wie in einem Monolog; es war ihm anzusehen, er bedenkt vieles, wägt ab, entscheidet,
manches Ereignis lässt er als unwesentlich beiseite, ein anderes erfindet er: er
denkt. Seine Gedanken kamen - und ich muss wohl nicht betonen: wie beruhigend das
allgemein ist! - am richtigen Ziel an. »Aha. Dann ist das wohl tatsächlich Ihr
Wagen ... Dass der Hund darin so ... Gehört Ihnen ...« Herr Imre nickte, obwohl
der Wagen seinem Vater gehörte. »Na dann, Wiederschau’n«, sagte des
Meisters und Herrn Imres Mann fürs Feuer und trat an den inzwischen herbeigeflitzten,
kleinen, süßen roten Wagen. Der nette bel ami mit seinem
bläulichen Schopf saß schon drin.
Herr Imre wiegte humanistisch den Kopf. »Dass ihm gar nicht einfällt, dass es
irgendein Problem geben könnte! Nur, dass wir ihn hätten geklaut haben können!«
Er wiegte ihn weiter. »Und wir freuen uns noch, dass wir davongekommen
sind!« In diesem Moment fiel aber der Pantoffel vom großen Zeh des Meisters, er
schreckte zugleich auf und sagte zum Fremden (obwohl, wer ist wem kein Fremder?,
wer?): »Verzeihung, Chef. Könnten Sie sich nicht mal anschauen, was hier läuft?« Die üppige Zweideutigkeit, die sich hier zwischen
dem auslaufenden Öl und einer neuerlichen Sauerei hervortat!
Ausreichend! Herrn Imre tuschelte er dergestalt zu: »Er wird herumkriechen, wie
der Rechtsverteidiger des Volán SC!« — »Was ist das Problem?« Die
offizielle Person schluckte den Haken und wandte sich um. »Als würde Öl
ausfließen ... Und wir wissen nicht: ist das gefährlich oder nicht gefährlich?«
Der andere bückte sich. Der Meister spürte regelrecht, wie sich das Pistolenhalfter
in den Bauch drückte. »Na, so kann man aber nichts sehen«, hielt er fest.
»Ich mach’ mal Licht.« Und er hielt Wort: er beleuchtete: zuerst den
einen Reifen, dann, um den kniend positionierten Menschen »tiefer
hinunterzulassen«, hinten etwas, und schließlich - um über jeden Zweifel erhaben
zu sein - den anderen Reifen. »Radial ölig«, sagte der Meister. Als der
Uniformierte schnaufend wieder hervorkroch, glänzte sein Gesicht, seine Mütze hatte
er schon zuvor abgesetzt, nun fiel ihm das hellbraune Haar nach vorne, so sagte er:
»Ach, das ist nichts, wissen Sie, nur ein bisschen Fett. Zu viel geschmiert, ist
aber nichts.« Da erschien es dem Meister so, als spräche er mit einem Fachmann,
einem alltäglichen Monteur, der sein Fach versteht und verlässlich arbeitet. Doch
dann verscheuchte er den Gedanken, was dadurch erleichtert wurde, dass der Mann sich
den Gürtel richtete und das Schapo wieder aufsetzte. »Alles Gute«, sagte
dieser ungerührt. »Danke.« Als dann das kleine rote Autochen leise über die
kurvenreiche, nächtliche Straße davongeschlichen war, rieb er - wenig sympathisch -
seine beiden Blumenhändchen zusammen: »Hihihi. Herumgekrochen.«
»Aber, mein Freund, was soll dieser Unsinn!?« Bitte um Verzeihung, aber was
ein Happyend ist, das weiß ich wohl ... Und was wäre das für eine Geschichte, die mit
einem »die Ausweise bitte« endet und fertig. »Eine sehr schöne kleine
Geschichte.« Und war es etwa nicht der Meister, der gesagt hat, was darin wahr
ist, ist alles nicht wahrscheinlich, nur das ist wahrscheinlich, was ich
hineingedacht habe, also das, was nicht geschehen ist. »Das habe nicht ich
gesagt.« Und überhaupt, wenn in der Kunst nichts Künstliches ist, was bliebe
dann? Er parierte enerviert: »Nichts.« Zu einem weisen Terminus sprach er
dann also: »Dichtung und Wahrheit«, und er wusste, wieso. Alsdann
charakterisierte er künstlerische Bestrebungen so: »Der Drang nach Wahrheit und
die Lust am Trug«, dass diese beiden die Künste hervorbrächten. Paff.
Zurück nun aber in der ursprünglichen Situation, war Esterházy
äußerst zufrieden mit sich, was für ein hervorragender Mensch er sei, doch als Belami
durch das hintere große Fenster des sich entfernenden Autos zurückblickte und sein
Gesicht, auf halbem Wege zwischen Weinen und Lächeln stehend, ganz und gar so aussah
wie das des Conferenciers in Cabaret, legte er die Hand auf die Schulter des bereits
auf den Eingang zuhaltenden Dichters und sagte: »Phu, Fichte*
n
, das hätte auch schiefgehen können.«
Jegyzet Wir verwenden das Wort hier auch im dichterischen
Sinne.
Währenddessen zog Frau Gitti in einen langen Schlafrock ein und erkundigte sich
sorgenvoll nach dem Hund. Herr Imre hielt die hübsche junge Frau durch die bravouröse
Handhabung seiner Stimme lange Zeit im Zweifel, damit diese - nachdem sich der
Schabernack aufgeklärt hatte — in eine umso fröhlichere Laune geraten konnte.
Mehr noch: die Zurückkehrenden erwartete bereits eine Reihe von Salzgebäck und Äpfeln
auf dem kleinen Tisch. Herr Imre fiel das auch auf. Doch der Meister winkte nur:
»Sie ist eine Perle«, flüsterte er. Als Herr Imre anfing, am Aschenbecher
zu fimmeln, drohte ihm die Frau regelrecht. »Wenn Sie auf den Boden aschen
...!« — »Aber ich rauche nicht.« — »In dem Fall wäre es einfach
unverzeihlich, wenn Sie auf den Boden aschen würden«, die Frau lächelte in ihrer
profunden Klugheit. »Honignüsse sind auch da.« Darüber freute sich Herr
Imre; seinen schmalen Intellektuellenkopf, welcher unten durch einen Bart Abwechslung
erhielt, hob er mit Schwung. Wie er später - bereits enttäuscht — mitteilte, dachte
er, es handele sich um eine Delikatesse (aus Marokko), mit Honig gefüllte Nüsse oder
so was. Nach so einer Ausgangsstellung kann man sich die Entrüstung vorstellen, als
der Meister — der sich im Laufe der Zusammenkunft ganz als Familienvater zeigte, er
legte alle Gerichte vor, tranchierte, und zwar mit besonderem Geschick, und verfehlte
auch nicht, mitunter einzuschenken - die Nüsse und in einem extra Fayencetöpfchen den
Honig hereinbrachte. »Wieso heißt das Honignüsse? Nüsse
essen, Honig essen, wieso?« — »Der Zeit-Faktor.« — »Aha«,
der Dichter griff das Wort auf. »Wie Flachs und
Hanf.« - »Dick und Doof.« - »Fancsikó und Pinta.« -
»Na!«, röhrte er heraus.
Herr Imre redete nicht lange um den heißen Brei herum, er zückte seine Gedichte und
drückte sie dem Meister in die Hand. Er wusste sofort, was er zu tun hatte, und
machte sich an die Arbeit. Sein Gesicht war streng und wurde schön. (Mit einem Ohr
nur hörte er dem neckischen Wortwechsel zwischen Frau Gitti und Herrn Imre zu; Herr
Imre stellte, in ungeheuer schwache Scherze gekleidet - welche der Meister neuerdings
immer mehr mag -, die Vaterschaft des Meisters in Frage - der Mann von den Gaswerken
etc. -, so dass dieser, ans Ende gekommen mit dem Lesen der Gedichte, als Erstes
folgende Worte zwischen den Lippen hervorpressionierte: »Ich will seinen Namen!
Den Namen des schurkischen Tohuwabohu!« Die Gattin lachte nur. »Amen«,
antwortete sie, oder etwas Ähnliches. Die Erklärung für Herrn Imres traurige
Fremdheit ist hier die folgende: zum Teil nahm er, zu Recht,
übel, dass die Aufmerksamkeit des Meisters geteilt war, zum Teil verspürte er, da er
der - sich zwangsläufig entwickelnden - innerehelichen Sprache lauschte, jene
Befangenheit, welche eine nahe Verwandte der Wut ist.)
Er las. Wenn sein strenges Gesicht auch keine Maske war, doch in sein Herz zog Wärme
ein. Er dachte daran, was es für eine beruhigende Sache ist, dass es Herrn Imre gibt;
er haftet für die Sachen. »Mich jedenfalls beruhigt er sehr«, er drehte die
Flamme etwas zurück. Dieses denkt der Meister über nicht sehr viele Menschen, aber
einige gibt es doch. Sodann, nachdem er die Blätter wie Karten aufgefächert und sie
auf einmal betrachtet hatte, um sie anschließend wieder einzeln zu betrachten, dann
von der Rückseite, und sie schließlich wieder hintereinander getätschelt hatte, legte
er seine gespreizte Hand, als würde er den Segen erteilen, auf die Blätter und
improvisierte eine kleine Rede. »Schön.« Anschließend gab er das Dossier
zurück, akkurat geschlossen. (Wie einmal ein Jemand, ein Filmregisseur, anmerkte:
»Wie liebevoll du mit Papieren umgehst! Wie du ein Heft öffnest oder
schließt.« Der Meister wurde sehr ärgerlich deswegen, aber er zeigte es
nicht.)
Sie aßen Datteln, dann Äpfel, schwatzten locker über dies und das und fühlten sich
äußerst. Bei einer Wendung nahm er ein Buch Frau Galgóczys in die Hand, an die er
stets mit großem Respekt dachte, und sagte kopfschüttelnd: »Ihre Vergänglichkeit
ist so mitreißend.« Doch da standen sie schon, verabschiedeten sich.
Draußen am Auto setzte Herr Imre seine Brille auf. »Wie viele Dioptrien?«,
fragte der Meister auf dem Fuße. »Warum?«, der hochgewachsene Mann wandte
sich mit dem Gesicht zu ihm. »Wieso fragt mich das jeder?« Doch der Meister
gab frappant zurück: »Ich habe auch eine! Ich frage dich wie eine Krähe die
andere!«
Herr Imre wärmte lange, peinlich sorgsam den Motor an, was der Meister nicht mehr
abwarten konnte, denn er fing regelrecht zu schlottern an. Herr Imre beugte sich noch
ein letztes Mal aus dem Auto und rief dem bibbernden Prosaautor ein Artmann-Zitat zu,
über den Mond, aktuell, denn von droben lächelte ihnen das große, gelbe Tellergesicht
freundlich zu. »Lange Schatten. Lange Schatten.« (Das ist nicht das Zitat,
das ist ein Gedanke.)
42 »Er ist gestorben«, sagte der Trainer beim Freitagstraining. Sie standen
da. Und ein wenig währenddessen: »Bitte zwei Runden zu laufen!« Während des
Laufens winselte er wie die Hunde. Sein Mund geschlossen; hörte sein tonloses Weinen
von innen. Er wich den Blicken aus, wie die anderen dem seinen. Sie liefen, schneller
als sonst. Er hatte den Mittelverteidiger nicht wirklich gemocht, denn er war kein
guter Fachmann; Positionierung, Schussbereitschaft etc. Auch die Tore am Sonntag
gingen einzig und allein ... (»Auf sein Konto. Bei der Wirtschaftslage!«)
Ihre Beziehung beschränkte sich also auf Witzeleien vor dem Spiel (der
Mittelverteidiger hatte einen guten Humor, zumindest war er witzig) und auf
Herumgemoser danach. Sie kannten einander nicht. Aber diese Oberflächlichkeit machte
das Ganze noch brutaler. Nach den zwei Runden spielten sie Kleinfeld, im Grunde fiel
das Training aus, sie spielten langsam den Schrecken aus sich heraus (so wie er
regelmäßig die schlechte Laune), auf das vierte Tor, das sie kassierten, folgte
bereits eine ziemlich große Auseinandersetzung. Sie verloren gerade so, 6:5.
»Aber was ist denn passiert?«, fragte jemand, als sie unter der Dusche
standen, weil er das Schweigen nicht mehr aushielt. »Nichts ist passiert!«,
rief der Mittelstürmer aus (er wohnte in einem Haus mit dem Mittelverteidiger; sie
hatten sogar mal eine gemeinsame Frau). »Nichts!« Er stellte sich unter die
Dusche und sein blondes Haar trieb langsam, durchnässt nach vorne. Das Wasser rannte
in Streifen an seinem Gesicht herunter. (War ein bisschen angetütert, wie sonst auch,
backschwalbte die Ági, wie sonst auch, aß zu Hause ein halbes Kilo Brot auf,
knabberte viel Picksalami dazu, wie sonst auch, dann stritt er sich auch noch mit
seiner Mutter, schmiss die Tür und rief zurück, er würde für immer weggehen; das lief
jede Woche so ab, mit geringen Modifikationen.)------------ Nächsten Sonntag hatte er
schon die Strümpfe an, gut kann er sich an den kalten Steinfußboden erinnern und an
das Loch im Strumpf, als der Linke Verteidiger mit ernster Miene die Trauerflore
hervorholte. »Sie lagen neben den Gummis für die Stutzen! Da lagen sie!!«
Zuvor, sich noch mit dem Beinkleid plagend - welche Lochpositionierung die
vorteilhafteste sei -, hatte er noch daran gedacht, dass es sich geziemt hätte,
Trauerflore zu nähen oder nähen zu lassen, doch sofort - durch eine Zeiteinheit
untrennbar - fiel ihm auch ein, dass es so wohl besser sei, »wenigstens bekommen
wir keinen Krampf, jedes Mal, wenn wir einander ansehen.« Aber es gab
Trauerflore. Die ganze Zeit, während der Linke Verteidiger ihm das Band mit einer Sicherhejznadel am linken Arm befestigte (die Nadel sprang
ständig aus dem zusammengekniffenen Stoff heraus, der Linke Verteidiger schob sie mit
dem Fingernagel durch), die ganze Zeit über verspürte er eine animalische Angst, die Nadel würde seine Ader
durchstoßen.
Nach dem Anstoß - es war abgesprochen - schoss der Gegner den Ball hinaus zur Ecke
und der Schiedsrichter pfiff. Es waren viele Zuschauer gekommen, meist aus der
Ziegelfabrik, sie erzeugten eine aufgeheizte Stimmung; sie verstanden nur langsam,
worum’s ging, bis da- hin flogen leider auch unpassende Bemerkungen auf, doch
dann wurde es still. »Ich stand am Mittelkreis und konnte gut sehen, wie der in
Habacht stehende Schiri ganz langsam sein Handgelenk drehte und hinunterschielte, wie
viel noch übrig ist von der Minute. Weil das Rindvieh sie genau stoppte. Ich wusste
nicht, wohin ich schauen sollte. Geradezu kaute der Mittelstürmer des Gegners
Kaugummi.« Der Meister blickte auf seine Schuhe hinunter. Bewegte seine Füße
darin. (Seitdem ihm Herr György mit grandseigneurhafter Nonchalance
bezeichnenderweise zwei Paar Schuhe geschenkt hatte, ein Paar »scharfe« und
ein Paar »Übungs-«, war er kaum mehr in der Lage zu entscheiden, welche er
konkret anziehen sollte; rutschiges Gras, harter Boden, harter Gegner - die Abarten
der Stollen.) In der schwarzen Schlacke glitzerten Glasscherben. Der Wind frischte
auf: raschelnd flog die schwarze Schlacke und raschelnd flog das Haar vor den Stirnen
der Jungs. Er hörte sein eigenes Schnaufen, als hätte er Nasenpolypen. Hinten, auf
der riesigen Müllhalde hinter den Toren, lärmte ein ZIL. »Hier blickte ich zur
Eckfahne.« (Zum Zwecke nicht in Tränen auszubrechen.)
43 »Hahohoho, das Dohorilein, unser kleines Mädchen, hallo.« Die Stimme
ergoss sich hinter den Sieben Bergen hervor zu ihnen herein und traf ihn, wie immer:
wie mit dem Holzhammer. Wieder schob sich Veverkas großes, gepflegtes Gesicht herein.
Der Meister saß in Gesellschaft seiner Hefte in seinem herrlichen kleinen
Vorhangzimmer, ermattet vom ganzen Tag (nur die Windeln, die zu schmierenden Brote
und die Mülleimer boten ihm Erholungspausen), dem ganzen Tag, der jetzt zur Neige zu
gehen schien. Jozef Veverka stand bereits ausladend vor ihm in seinem neuen
Schafspelz! »Hab ihn mir in Vonyarcvashegy machen lassen.«
(»Ehrenwort.« Und?!) Er zwinkerte dem Meister zu, der von so etwas
Gänsehaut bekommt: »So ist es billiger.« In ihm erwachte das Teufelchen:
»Um wie viel?« - »Ich könnt’s nachrechnen und dann wäre das so
viel wie, lange Rede, kurzer Sinn, Péterchen, es hat sich gelohnt. Natürlich das
Benzin mit ein- gerechnet.« - »Dann ist’s ja gut.« Und bot den
Eheleuten Platz an. »Wir bleiben zwar nicht lang, aber die Mäntel würden wir
doch ausziehen. « Alles lachte, ihm wurde väterlich auf den Rücken geklopft und
er durfte wie begossen dastehen. »Gitti hat auch gelacht.« (Die Ärmste, sie
wurde dort zwischen zwei Feuern aufgerieben, in einer klassischen
Konfliktsituation.)
Er half also Frau Veverka aus dem Mantel. »Wie fesch Sie heute sind,
Teuerste«, raunte er der kleinen Frau müde ins Haar. Eine zerbrechliche Person,
Arbeit und Männer hinter sich. »Ach, Péter, Péter, erzähl’ doch keinen
Unfug!« (Die Ärmste - auch sie -, wie sie dem Meister listig, erniedrigt - der
Veverka! -, erbärmlich, verschmitzt das weiße Laken - ein Halblaken - unter die
Kehrseite zu schieben pflegte, damit der Schutzüberzug des neuen Kolonials nicht
schmutzig wurde. Einmal erwähnte sie ihren Jozef als gutes Beispiel, der wasche
frühmorgens sogar seine Socken eigenhändig, da der Meister sich gerade selbstgefällig
darüber grämte, er selbst könne nicht einmal einen Knopf annähen. Oh ja! »Na
ja«, sagte er, »wenn meine Füße so schwitzen würden, wie die vom
Jozef« - darauf ist er sehr stolz; dass seine Füße nicht schwitzen -, »dann
würde auch ich in einen Waschbären übergehen.« - »Aber nicht doch.«
Frau Veverka wurde rot. Offensichtlich stimmte die meisterliche Behauptung.
»Stimmt es etwa nicht?!« Gleich schoss er über das Ziel hinaus, wie schon
so oft, wenn es um Scherze ging, darauf wurde er auch schon hingewiesen, diesmal
übernahm konkret Frau Gitti diese undankbare Aufgabe. - »Dabei beklagt sich doch
die ganze S.-Straße darüber bei mir. Und wenn wir schon dabei sind, hör auf, mich zu
kneifen, Gitti« - denn die gute Seele beabsichtigte, das taktlose dichterische
Strömen zu beenden, doch er antwortete, wie ihm einst durch Herrn György geantwortet
worden war, wenn er bei ihm, irgendwie in vornehme Gesellschaft geraten, als guter
Bruder unter dem Tisch durch Beingrabbeln den ordnungsgemäßen Gebrauch eines
Schneidwerkzeugs anmahnte oder ihn zu einer nuancierteren Ausdrucksweise ermunterte
etc., und das Ergebnis war: Herrn Györgys rohe Zurückweisung, welche stets gro- ßen
Erfolg in Erwachsenenkreisen nach sich zog; der Meister war zeit seines Lebens ein
einfacher, ordentlicher Einserschüler, wohlerzogen durch dick und dünn, aber das ward
ihm im Grunde nicht entsprechend honoriert —, »und wenn wir schon dabei sind, in
der Straße wird auch übel genommen, dass der Jozef seine Socken auf die
Straßenbahnstromleitung hängt, die Strecke bekommt davon einen Kurzschluss, eventuell
kommen die Leute sogar zu spät zur Arbeit, und wer entschädigt sie dann dafür? Ich
glaube, das ist verständlich. Sagen Sie, Mamachen, aber ganz ehrlich, entschädigen
Sie sie dafür?!« Man kann sich die Szene vorstellen.)
Der Meister, dahingestreut in seinem Trumm von Armsessel, war nicht gerade comme il
faut. Jozef Veverka sagte daraufhin schnell hintereinander: »Warum drehst du,
Péter, den Pandanus veitschii nicht in die Sonne?«, »Wo ist die Vase für
die Blumen?« Der Meister schüttelte mit zusammengebissener Freundlichkeit die
Fragen von sich wie der Hund das Wasser, und hernach wuchs die Stille nur und wuchs.
(Frau Veverka ging Frau Gitti in der Küche zur Hand, sie hatten, wie gewöhnlich,
sagen wir 6 x 10k Eier mitgebracht, 3 kg Rüben, Sellerie, ein
wenig Fleischsuppe und in einem Zöger Kartoffeln. »Süßer Schatz«,
kommentierte er den kulinarischen Anblick nach dem Ende der Dinge, »wieso hast
du nicht gesagt, dass wir von den 100, die sie das letzte Mal... Ach, hol’s der
Teufel!« Entschuldigung. Einmal charakterisierte er in einer intimen Situation
die Sache wie folgt: »Gitti, irgendwie ist das aber doch eine Mäsallianz!<<) In der Stille moserte Veverka fortgesetzt. Beleidigt
moserte er. Der sensible Meister strich sich über die Schläfen, sprang auf und
röhrte: »Was wollen Sie von mir, lieber Jozef Veverka?! Ich habe zwei Kinder,
ich habe gedient und die Népszabadság hat über mich
geschrieben*
n
. Lecken Sie mich doch bitte am
Arsch mit Ihrem Pandanus veitschii!!«
Jegyzet Negatives
45 Das war keine einfache Sache, dass die Umkleide, die es nicht gab, dort stand.
»Paradoxa, mein Freund, tun Menschen bei Sinn und Verstand nicht gut.« Den
Verfall so eins zu eins zu sehen hatte etwas angeknackst, und er spürte, dass die
Mannschaft im Begriff war, langsam auseinanderzubersten. Ein Klubhaus, die Ordnung
der Umkleiden: das waren äußere Zeichen, die den Eindruck eines Klubs, einer
Mannschaft vermittelten. »Aber wissen Sie, Katzenpfötchen, diese Armut
verstärkte die Amateurhaftigkeit.« Aus Fußballspielern wurden Bolzer. Der
Meister selbst auch ...! Dass er das noch erleben musste! Er zum Beispiel hat sich
nie gegiftet, wenn die Umkleide (jene alte) feucht war, und wenn er sich dort auf der
wackligen Bank, deren Sitzbretter, wenn sie sich gegeneinanderbewegten, mit
Leichtigkeit das Fleisch einzwickten, unaufmerksam nach hinten lehnte, fiel ihm der
Putz auf den Kopf, in sein großes, buschiges Haar, und noch 3-4 Tage später fanden
sich Mauerreste unter dem ein selbstvergessenes Kratzen vollführenden Fingernagel,
und wenn zur Frühlingsschmelze oder durch den Herbstregen oder aus einem anderen
triftigen Grund das Grundwasser hochstieg, balancierte er ohne ein Wort der Klage
über die auf kippelige Ziegelsteine aufgebockten Bohlen. »Wir sind ein kleiner
Verein.« Er stand dazu.
Aber dass man sich um einen großen Weidling versammelt Umstände machen muss, plus der
Gartenschlauch: und das soll das Duschen sein! Das war zu viel. Dafür konnte sie
nicht einmal mehr die Tatsache entschädigen, dass hinter dem Kesselhaus die
Handballspielerinnen um einen anderen Weidling herumflatterten! - Natürlich nicht,
denn diese Möglichkeit bestand im Falle eines vorhandenen Bades noch viel
potenzierter! Eine Umkleidekabine oder ein Bad, in die oder das man nicht hätte
hineinspähen können, ist noch nicht auf diese Welt gekommen. Dort oben zum Beispiel,
wo das Ofenrohr herauskam! »Ab ins Kino«, sagte ein »Großer«
dazumal und stellte sich auf die Bank (dieselbe Bank), lockerte einen Ziegelstein,
schob das Rohr beiseite und los ging’s. »Ist erst die Wochenschau!«
Doch der Meister ging nie mit ins Kino. Er wäre sehr gerne, aber leider taten ihm die
Mädchen leid. »Wissen Sie, mein Freund, wie sie sich so wuschen, da taten sie
mir leid.« Und wahr ist auch, dass er damals erst ziemlich spät an die Reihe
gekommen wäre. Herr Holubka fragte ihn häufig über die Mädchen aus. »Besonders
über eine namens Móni.« - »Wir schicken ihnen ein paar Möhren! Als
Geschenk«, versprach er immer wieder. »Und wenn sie verlieren, schicken wir
geriebene!« Aber er versprach’s immer nur. Seine schlechten Zähne bewegten
sich dabei dunkel und der Speichel stob zwischen ihnen hervor. Der Meister mochte
Herrn Holubka, aber nicht, wenn er so war, und verstehen tat er schon gar nichts. So
war das damals mit dem Kinogehen. Und was war jetzt, da sich seine Persönlichkeit
voll entfaltet hatte? »Lass uns die Mädels ausspannen«, sagte der Junge
Manndecker, der in einem Alter war, als man natürlich denken könnte: er wird
Fußballer, ein großer. Er war phlegmatisch und trickste ein bisschen viel.
»Töröcskei, mein Junge«, sagte er mahnend, »zähl mit. Zähl mit und
beim (n-1)sten Dribbler gib ab.« Na, der Effekt war ... »Aber die sind ja
noch gar nicht behaart«, der talentierte Nachwuchs machte seinen eigenen Plan
madig. Als der Meister daraufhin den Blick hob - das war ehedem auch sein
Lieblingsproblemkreis -, wurde er rot. Der Meister wiegte den Kopf, winkte weise und
mit leiser Traurigkeit ab; er ging vor, um einen guten Ball herauszusuchen: einen,
der relativ rund war - viele unter ihnen haben schnuckelige kleine Beulen; über diese
streichelt die Grasmücke mit den Worten: »Der kleine Sancho!« - das heißt
mehr oder weniger rund, nicht zu leicht, nicht zu schwer, aber ein wenig weicher, als
er sein müsste, denn der Meister mag ihn so.
Herr Armand stand am Spielfeldrand, seine kräftige Statur warf einen stumpfen
Schatten aufs grüne Gras. Der Meister daddelte mit dem
ausgewählten Ball, näherte sich so dem Trainer. Auf dessen behaartem Unterarm
funkelte das Licht, ausgenommen am Handgelenk, an dem seine Uhr Platz nahm, an einem
dicken, schäbigen, rissigen Armband, wie es auch der Vater des Meisters trug. In der
Hand des Trainers das obligate Spiralheft - Spiralheft!, was für gute-schlechte
Bekannte des Meisters diese doch sind, wieder eine Nuance, aus deren freudigem Anlass
wir unsere Fähigkeiten erwecken, auch er, der Meister, schreibt in Hefte, wie zum
Beispiel Herr Tibor Déry, um es mit einem Beispiel zu beleuchten, und oh, er tippt
nicht, nein, er spielt auf Bettel in dieser technokratischen Welt, lauscht den ewig
schönen Melodien des Zeisigs, der Ammer und der Maulwürfe, während er mit seinem
verantwortungsbewussten Skeptizismus über die (sozialistische) Welt nachdenkt -, eine
Art Trainingstagebuch, und der Stift in seiner Hand bewegte sich zögerlich, klimperte
über die Spiralbindung etc. - auch das kannte er.
»Ist nicht gerade viel los«, sagte Esterházy. Der Trainer winkte vehement
ab, und der Wind des Winkes reichte, wie es seine Absicht war, auch bis zum Meister,
da dessen Bemerkung ein wenig leger war. Für Herrn Armand war
alles, was wichtig war: heilig. Sein ansonsten anschaulicher Humor, sein
(donau)schwäbischer Schalk, kam nur in nebensächlichen Dingen an die Oberfläche. Z.
B.: »Du bist schön wie ein Dudelsack, von weitem und bei Nacht«, sagte er
zu einem Spielleiter, um anschließend für ein halbes Jahr gesperrt zu werden. Der
Meister hielt es anders mit den Scherzen, wie wir das mit wehem und ängstlichem
Herzen von Seite zu Seite konstatieren können.
Der Meister probierte am Ball herum. Sein Blick fiel auf seine Turnschuhe, und wie
der Ball periodisch verflog (oder die Gravitation, ha, ha, ha), daran konnte er die
Abnutzung der Schuhe sehen, besonders links, darunter die Socke, darunter, wenn er
ihn auch nicht sehen konnte, er wusste um seinen geschundenen großen Zeh: die
Abnutzung drang durch alle Schichten nach unten. Der Ball flog
immer höher - die Produktion wurde schwieriger; man sagt, da sieht man, wo überall
einer nachschaut, der mit Fleiß vorangeht, man sagt, Herr Titi Göröcs hätte ihn bis
zu 30-mal 20-30 Meter hoch geschossen –, ihm blieb Zeit, Herrn Armand anzusehen, ob
dieser etwas sagen wollte, doch dieser schrieb nur mit schweigsamer Eigenwilligkeit
in das Heft (der Meister brach fast in Tränen aus angesichts der disproportionalen - aber nicht überflüssigen! Hoho! Aber nein! - Bemühung:
»Um Gottes willen, was schreibst du da, mein Ärmster!«, und dieser Satz war
für Personen so schön verallgemeinerbar), also glitt sein
großes, durchdringendes Auge weiter in den Hintergrund, zu den Schutthaufen und den
aufgeschichteten Ziegelsteinen. Aus dem abgerissenen Gebäude ragten ziellose Eisen in
die Außenwelt, alles war dick mit Staub bedeckt. Auch trockene Schilfstückchen gab
es, in Büscheln. »Woher, wozu?« - »Besonders diese speckigen
Ziegelsteine!« Die Mörtelreste auf den Steinen deprimierten den Meister so
ziemlich. Die Socke rutschte auf den Schuh hinunter. Er mochte es, wenn die Socke -
auch im Training - das Schienbein bedeckte, er war kein Anhänger des
»Herunterkrempelns «, aber die Socken wurden im Laufe der langen Jahre so
kurz, dass der (unumgehbare) Gebrauch des Einmachgummis beschwerlich und schmerzlich
gewesen wäre: wir denken dabei an die durch den Gummi verursachten tiefen, rötlichen
Gräben. Neben dem Eingang, dem ehemaligen Eingang, lag ein Heer aus Turnschuhen. Die
Umbauten hatten einen Einfluss auf den Geräteraum (es gab keinen mehr), diese
Ausstellung war ein Ergebnis der Umgestaltung. »Was für gewrungene Schuhe!« Wer schon mal abgetragene Turnschuhe in großen
Mengen gesehen hat - durchgewalkt, zertreten, mit im Wind flatterndem Innenleben -,
weiß, was für ein jämmerlicher Anblick so etwas ist! Wie ein Sammelgrab.
Der Trainer schlug sein Heft zu. Der Stift wäre zwischen zwei leichten, dünnen Seiten
fast geborsten. »Ich hab ihnen gesagt, dass das eine fiese Nummer ist.«
Herr Armand sprach so, als hätten sie sich bis jetzt unterhalten. Die Sonne schien,
der Wind wehte; dank der Kühle der Luft waren die Konturen - die des verkrüppelten
Gebäudes, des Berges dahinter, der sich rekelnden Bäume - bedeutend. Der Rauch aus
dem Kesselhaus wurde unangenehm niedergedrückt. Das durch den Wind verursachte
Säuseln ergab einen Effekt, als würde ein Filmaufnahmegerät surren; als würde auf
einen Amateurschmalfilm gerade der Text aufgesprochen; die Synchronisation; es gab
also eine kleine »Abweichung«. »Ich hab ihnen gesagt, das ist eine
fiese Nummer, und dass man so was nicht machen darf.« Hier ließ der Meister von
seinem geliebten Werkzeug, dem Ball, ab: wie eine Träne rollte dieser von seinem
Spann. »Wie?« Der Stürmer schüttelte den Kopf. Herr Armand, als er sah,
dass er nicht au fait in der Korrespondenz war, lachte heraus. »Was sind die
Neuigkeiten? Greifen wir an, oder verteidigen wir?« - »Angriff ist die
beste Verteidigung«, sagte er schmollend, da man ihn so zurechtgestutzt hatte
(denn so konnte man das auch auffassen: als Zurechtstutzen). Doch dann, plötzlich,
wie in ökonomischen Dingen so häufig, ging ihm ein Licht auf: »Ist kein Geld da
?« Selbst die oberflächliche gute Laune Herrn Armands war jetzt dahin, erneut
bemächtigte sich die finstere Ehrbarkeit seiner. »Ich weiß nicht, was sich so
ein Direktor denkt? Was ist ein Direktor? Und ich bin Werkführer.« Der Meister
nickte ein wenig dekadent; was für ein Glück, dass er dies nicht mit einem
Klangeffekt begleitete! »Verstehst du, das ist die Gemeinheit, markiert den
Kumpel, oder meinetwegen, lass uns Kumpel sein, und heute sagt er, tut ihm leid, ohne
Erklärung. Es tut ihm leid.« - »Was? Dass er den Kumpel markiert hat?«
- »Schmarrn. Wegen dem Geld. Dass kein Geld da ist. Aber, Kruzitürken, dann soll
er doch das beschissene Alte nicht abreißen lassen.« Herrn Armands individuelle
Aufgebrachtheit ist durch die Wortwahl gut charakterisiert, die vulgäre Erwähnung des
Verdauungsprodukts: ansonsten vermied er hässliche Wörter mit großer Sorgfalt; von
Zeit zu Zeit tadelte er sogar den Meister, der im Eifer des Gefechts oder ein manches
Mal aus Stilgründen den Einsatz dieser nicht verschmähte. »Lässt es niederreißen
und sagt dann, es täte ihm leid.« Der Meister überwand seine Voreingenommenheit
und fragte schwer: »Kann Kacsoh kein Geld beschaffen?« Er sprach es aus,
die große Seele. »Er wurde abgesetzt. Leider«, sagte Herr Armand. (Ihre
Meinung über Kacsoh war ähnlich; in was für einem Hinausgestoßensein sie sich nun
wiederfanden.) Der brave Mensch blies heftig die Luft aus und wedelte mit den Händen;
Herr Armand war Werkzeugmacher und sehr stolz auf seine beiden Hände: »Zwei
feiiiine Stücke«, äffte er liebevoll den Meister nach (es war dessen Gewohnheit,
feiner Text, feine Schnecke, feiner Spieler zu sagen - um die Prioritäten rasch Revue
passieren zu lassen), »zwei feine Stücke«, sagte er und drehte die beiden
stumpfen, massigen Hände, in deren tiefen Falten ur-schwarzer Schmutz und Öl saßen;
jetzt wedelte er mit diesen nämlichen beiden Händen.
Nach einem Quäntchen des Zögerns - ob er es laut sagen sollte oder nicht - sagte der
Meister laut: »Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.«
Herr Armand tat nicht so, als würde er glauben, dass der Meister scherzte (es gibt
trennende Momente und welche, die auf eine Übereinstimmung hindeuten!), und winkte
ab. Hier sahen sie sich an. »Schön wär’s. Na. Weißt du überhaupt, mit wem
ich Tag für Tag kämpfen muss? Dass man die Jungs an Trainingstagen eher gehen lässt,
dass man den Sportfonds dafür einsetzt, wofür er da ist, damit es wenigstens Schuhe
gibt und jemand die Montur rausbringt, wann und wo man sie braucht, damit man nicht
dasteht wie bepinkelt.« Ja: das ist auch so was wie das Baden im Weidling. Die
Montur muss draußen sein. Das sollte vielleicht doch nicht die Aufgabe der Spieler
sein!!
»Mit dem Laci.« Der Meister gab sich ungläubig. »Dem Kohut Laci?«
Von den »Kindern« - ja, langsam wurde der Meister zum Majoresko! - hatte er
schon gehört, dass es »ein Problem« mit dem Laci Kohut gab. Dass er ein
»Eiterbatzen und ein Aas« (Pardon) sei, wie es der stille Linksverteidiger
formuliert hatte; aber dieser ist befangen oder eben sachlich, denn Herr Kohut hatte
was mit der Frau des Linksverteidigers angefangen. »Dabei war das Material schon
im 3. Monat.« Das Mädel mit dem farblosen Haar aus dem ABC-Laden. »Was ist,
mein Junge, war das Aufbautraining doch nicht ganz umsonst ?«, spottete der
Meister, als er von der Hochzeit hörte. Die kleine Frühgeburt mit ihren 4 Kilos! Doch
dann wurde er traurig. Einmal fragte er sogar — auf ziemlich ungehobelte Weise —
unter der Dusche: »Sag mal, Kumpel, hättest du sie auch so geheiratet?«
Denn das ist die verdammte Frage, die immer im Raum steht. Der Junge drehte den
Wasserhahn zu. Nur noch sie beide duschten. Der Meister kann nur schwer unter einem
wunderbaren, schmerzlich-heißen Wasserstrahl hervorkommen. Es wurde still.
»Außerhalb des Platzes ein kluger Junge, mein Freund. Ansonsten ein präziser,
harter Verteidiger.« Er schaute auf die Stirn des Meisters (also nicht in die
Augen ...) und sagte klug: »Die Frage hat sich so nicht
gestellt.« - Und lachte meckernd auf, was der Meister ihm wiederum
herzlich gern erlassen hätte. Die Version ging so, dass die Gattin des
Linksverteidigers, das frischgebackene Frauchen, Herrn Kohut gerade noch so
zurückgewiesen hatte.
Der Meister hatte noch mit Herrn Kohut gespielt. »Er konnte gut
ranklotzen.« Die Herren Armand und Kohut waren wie Gog und Magog (um auch diesem
Kulturkreis zu schmeicheln) oder wie Honignüsse etc. Sie
spielten von der Jugend an zusammen, waren das Deckungspaar - »der Lacika und
der Armand!« -, ihr großer, lokaler Ruhm flog nur so von einem Vorstadtplatz zum
nächsten. »Sie nahmen den Platz huckepack, wie der Gyuszi Rakosi.« -
»Wir sind noch füreinander gestorben auf dem Platz«, das durften sie sich
häufig anhören. Und dem Meister dämmerte auch so etwas; wie ihn einmal auf dem
Zwirn-Platz der damals noch aktive Spieler Herr Kohut fast außer sich anschrie:
»Junge, stirb hier oder geh brausen.« - »So sagte er es:
brausen.« Er begleitete das Heraufbeschwören mit einem säuerlichen Lächeln, wie
jemand, der seine eigenen Grenzen erkannt hat. »Deswegen
nur erinnere ich mich daran.«
»Genosse Kohut ist ein guter Genosse«, sagte der Trainer knapp.
»Abteilungsleiter und treibt quer, wo er nur kann.« - »Aber
wieso«, fragte er kindlicher Art. Der Trainer zuckte verbittert die Achseln.
»So ist es einfacher. Nichts machen scheint immer einfacher zu sein. Und weil
alles, was er gegen mich oder eben gegen euch macht, Geld bedeutet, das nicht
ausgezahlt werden muss, ist er bei denen auch noch beliebt.« - »Aber wie
viel Geld ist das schon? Nichts.« - »Das habe ich auch gesagt. Kleinvieh
macht auch Mist, hat er darauf gesagt. Da hab ich die Tür hinter mir zugeschmissen,
dass sich die kleine Sekretärin da, aber sicher ... an ihrer Wurst- oder was Semmel
verschluckt hat, als ich auf der Treppe wieder herumgekommen bin, hab ich sie immer
noch hüsteln gehört, und wie sie immer sagt: Naha so wahas, Genosse Kohut, naha so
wahas ...«
Der Meister hub wieder an, den Ball hochzuhalten, fein und
leise, um nicht zu stören. »Lehrgänge, da ist er groß drin.« Der Meister
lauschte dem Rauschen des Windes, welches sich einfügte in jene unvergleichliche,
geometrische Ästhetik (Torpfosten, rechter Winkel, Fahnenflattern, der Wellengang des
Netzes, Grüntöne etc.), zu der ihm jeder Sportplatz verhalf. »Ach so. Du hast
den Kohut in wärmere Gefilde geschickt. Vorhin hab ich’s so verstanden, es wäre
der Direktor gewesen.« - »Davon verstehst du nichts. Man sieht’s,
dass du dein Leben lang nur gelernt hast.« Unter uns gesagt, respektierte er den
Meister dafür, das war hier zum Teil eine Redensart, teils der Ausdruck einer
tatsächlichen Kritik statt einer differenzierteren Analyse seitens des Herrn Armand.
»Mir wurde eine Bearbeitung in mehreren Stufen zuteil. Zuerst hat mich, nicht
wahr, der Genosse Kohut zu sich bestellt. « - »Mach keine Witze. Dich lässt
er auch bestellen?« - »Er hat angerufen, von wegen,
komm doch mal kurz hoch, Alter.« Der Meister nickte beruhigt. »Worüber
freust du dich so? Was ist dadurch anders? So hab ich ihm die Tür duzend geschmissen!
Höflich sein, das ist am leichtesten. Alter Freund hier, alter Freund da.« Darin
stimmten sie überein. »Gut. Und danach ließ dich also der Direktor rufen, mit
dem du seit frühester Kindheit...« - »Nein. Ich bin gleich brühwarm zu ihm
hoch ...« - »Haben sie dich vorgelassen?«, fragte er in bewanderter
Weise. »Die Mumme, die alte Sekretärin, wollte anfangen
herumzufiepen, aber die Polstertür war offen und ich hab gesehen, dass er drin saß
und dass keiner bei ihm war.«
»Und ihr habt die alten Zeiten wieder ...«, sagte er trivial und verstummte
ähnlicherweise. Herr Armand schwang stolz seinen großen Kopf. »Ah-ah. Da hieß es
diesmal Genosse von hinten und von vorn und Siezen und alles ...« -
»Und?« - »Ich hab zu ihm gesagt, Moment mal. Ich bin nicht
hierhergekommen, um mir was über Engpässe anzuhören und Bemessungsgrundlage hier und
Jahresbudget da. Ich will nur sagen, dass das eine fiese Nummer ist und
Punktum.«
»Das glaube ich nicht«, sagte der Meister, denn das war es, was er dachte.
Der Ball blieb stehen. Herr Armand lachte heraus. Es war kein sehr spontanes Lachen,
aber es war angebracht - beides war ihm anzusehen. »Ich bin ganz ruhig. Ich trau
mich alles zu sagen. Die können’s drehen, wie sie’s wollen, ich bin der
Malocher.« - »Hm, hm«, sagte er. »Verstehst du. Malochen muss man
immer.« - »Einen Direktor muss es auch immer geben«, sagte er leise,
es war ihm eben eingefallen. »Natürlich«, Herr Armand lachte und es wurde
klar, dass der Werkzeugmacher diesen Einwand schon erwartet hatte, und der Meister
war lediglich in diese Erwartung hineinspaziert. »Natürlich muss es immer einen
Direktor geben. Nur nicht immer denselben.« - »Dich können sie auch
feuern.« Herr Armand amüsierte sich die ganze Zeit. »Klar. Aber ich bleibe
trotzdem, wer ich bin. Ein Werkzeugmacher.«
Der Meister senkte die Lider. (»Wenn wir nichts zu verlieren haben, das ist ein sittlicher Zustand«, er rieb sich ein anderes
Mal die Lippen.) Der zu kurze Strumpf war zusammengerollt auf seinen Schuh gerutscht.
Plötzlich, er wusste selbst nicht, wieso, bückte er sich, als würde er sich die
Schuhbänder binden wollen, und strich über sein knorriges Schienbein. Herr Armand,
der sich über den zusammengekauerten Meister erhob, hätte man wie eine riesige Eiche
oder sogar eine lebende Statue fotografieren können - man hätte nur auf die Sonne
achten müssen, die hinter ihm vorbeizog, aber das ist, nehme ich an, eine einfache
technische Angelegenheit.
46 - ! (Man darf es noch einmal lesen: [Imre] hat plötzlich das Gefühl, alles hier zu
lieben, sich über alles zu freuen: über [Jankas] Nähe, die Gräser, den Platz, die
verblassten Zebrastreifen, die versifften Toiletteneingänge, die blassen
Feuerwehrautos, den Sieg der Osmanen bei Mohacs, die Kapitulation
bei Kápolna, die einsamen Telefonzellen, die Grimmigkeit der Passanten und
die weißen Schäfchenwolken am Horizont.) (Siehe auch Fußnote Nr. 54, S. 472)
Gestern habe ich Ihren Brief mit den Fotos erhalten. Das Grinsebäckchen Dóra ist zum
Anbeißen, der kleine Marcell wunderschön. In meinem Traum war er nicht so schön. -
Leider ist schon wieder eine große Husche im Anzug, ein leichter Wind weht dazu. Die
Kellner sind sehr nett, obwohl es mir so scheint, als würden sie an der Zitrone
sparen. Sie denken, ich bin schon so alt. Heute Mittag erkundigte ich mich nach den
Zitronen. Listig fragte ich es so, als hätte ich gute Absichten. Der Kellnerjunge
wurde nicht rot, dabei war ich mir sicher.
Ich kann auf der Terrasse liegen, ein Kirschbaum. Diese Paar Zeilen schreibe ich bei
Orgelmusik, deswegen ist meine Schrift so schlecht. Niki ist hier gewesen!, war hier!
Selbstverständlich redeten wir Ungarisch. Er arbeitet in Sidney mit 11 Gehilfen, und
alle sind Ungarn.
Das Nachtschwester-Zimmer war mir von Anfang an nicht sympathisch. Der Maschinenraum
ist nebenan. Ich weiß nicht, ob ich mich damit abfinden soll. Wissen Sie, Péter, ich
bin schon auf dem Weg hinaus aus allem, und ich weiß nicht, ob ich noch das Recht auf
Veränderungen habe. Doch lieber zu meinem Traum:
Ich hielt fest, dass es ja doch eine Unmöglichkeit sei, was ich da tat. Nicht zu
ihnen hinunterzugehen, obwohl sie hier wohnen. Ich ging hinunter. Ich klingelte. Die
Stimme Ihrer Gitti von weitem: Ich komme schon! Ich habe Sie schon erwartet! Im Park
neben dem Eingang lagen kaum bekleidete Frauen im Gras. Pfui, wie hässlich ihr seid!,
sagte ich in Ruhe auf Ungarisch. Zu meiner Verblüffung gab mir die eine Widerworte
... auf Ungarisch. Da ging das Tor auf. Péter liegt drin, sagt Gitti und gibt mir das
Kind. Ich wusste nicht, dass das kleine Kind Marcell war. Ich stellte es nur anhand
seiner Augen fest. Es waren Ihre Augen. Wir gingen hinein. Ich setzte den Kleinen auf
Ihrer Brust ab und küsste Sie auf die Stirn. Sie wollten mich begrüßen, aber Sie
konnten sich nicht aufsetzen wegen dem Kind auf Ihrer Brust. Sie murmelten etwas, was
Ihnen oder Ihrem Stil sehr ähnlich war. Ich habe es nicht gut verstanden, aber ich
reimte mir aus dem Gemurmel etwas wie: Zum Teufel aber auch!, zusammen. Das bedeutete
von Ihrer Seite eine Rüge gegen sich selbst. Die nackten Frauen klopften ans Fenster.
Sie wummerten dagegen und schüttelten Nüsse in ihren Fäusten! Daraufhin kam Gitti
herein und nahm das kleine Kind mit. Ich wachte auf... Das Erlebnis war fast
greifbar.
Endlich bin ich wieder zu Hause, gehe in der Wohnung auf und ab. Ohne Stock!!! Aber
ich bin noch schwach. Der Appetit ist gut. Ich lese Kishon-Erzählungen, wenn ich
nicht gerade einschlafe.
50 Des Meisters Tage sind repräsentativ; das ist schmeichelhaft für ihn, diese
Mischung aus Erhabenem und Trivialem, aus ewigen Dingen und Vergänglichkeiten. Denn
was war noch mal an jenem trüben, klammen Nachmittag geschehen? Er wollte gerade zum
Begräbnis des Mittelverteidigers aufbrechen, an dem die Mannschaft gemeinschaft- lieh
teilnehmen sollte, als Herr Kisteleki, ein Mittelfeldspieler, der schon bessere Tage
gesehen hatte*
n
, an
ihn herantrat und den Meister bat, ihn irgendwie in seine Notizen aufzunehmen (in
meine Notizen! - E.), das würde ihm jetzt, noch vor der Winterpause (denn die
Mannschaften werden sich in die Winterpause begeben), in Sachen Publizität sehr
guttun, nachdem er letztens den Platz mit Carbamid-Kunstdünger bestreut hatte, worauf
wegen der Lücken in der Abdeckung hässliche, große Narben diesseits, jenseits und auf
der Strafraumgrenze entstanden sind, was ihm - obwohl Herr Kisteleki gut im Umgang
mit dem Ball ist - angekreidet wurde, mehr noch, wenn er auf den Platz kommt, fliegen
ihm schon die höhnischen Bemerkungen der LPG-Mitglieder entgegen. Der Meister
erglänzte ob des Wirkungsgrades von Literatur. (»Also wissen Sie, gnädige
Frau«, sagte einmal Máriácska, die dabei hilft, das elterliche Haus ein wenig in Ordnung zu halten, nachdem die Mutter ihr, um
ihren Stolz zu kanalisieren, ein kleines Meisterstück des Meisters zu lesen gegeben
hatte, »wissen Sie, Frau Gräfin, ich finde keine Worte. Was zu viel ist, ist zu
viel. Ich bin nun wirklich keine unbelesene Person« - das ist sie tatsächlich
nicht -, »aber das hier hat weder Hand noch Fuß. Wie sich die Welt doch
gewandelt hat! Dass man so was heutzutage Kunst nennt! Nehmen Sie’s mir nicht
übel,gnä Frau, aber ich bin so wütend geworden.« Der
Meister lernte, wie es seine Gewohnheit ist, nicht besonders
aus dem Fall, aber als Mensch gab es ihm natürlich zu denken. - Übrigens ist das sein
Trick. - »Was kann die Máriácska dazu veranlasst haben, so freiheraus zu werden?
Wieso mäkelt sie nicht um den heißen Brei herum? Unbegreiflich.« Die Frau ist
sonst nämlich ziemlich duckmäuserisch. Sie ist noch vor 45 gebrochen worden in der
Knechtschaft; so was gibt’s; und es gibt andere. »Wieso ist sie so
geradeheraus wie der Kalinin-Prospekt?!«)
Jegyzet Seitdem sieht er wieder bessere Tage.
Bei einer späteren Gelegenheit erzählte der Meister Herrn Csaba ein wenig
aufschneiderisch, dass er, da Herr Kisteleki ihn - basierend auf seinen
Vasas-Verbindungen - zum letzten Zweierspiel ins Sta- dion hineingeschleust hatte,
diesen in seinen Roman eingebaut habe. Herr Csaba, ein Prosaautor aus Decs, der seine
Kindheit im örtlichen (Decser) Fotografenatelier zwischen den Fotografien fremder
Gesichter verbracht hatte, zwischen Porträts, die den von außen sichtbaren Menschen
zeigten, gab seinen Bedenken Ausdruck. »Es gibt so viele Spiele. Nimmst du jetzt
jeden Kartenschieber mit auf?« Der Meister grinste verwundert. »Aber es
gibt doch so viele Romane! - Es wird so viele geben. - Und aber die entstehen doch
genau so.« (Die Zeichen mehren sich:)
Er ging auf die Beerdigung. Sein abgewetzter Trenchcoat stach etwas hervor. Es waren
viele da. Die schlammverschmierten Blätter pressten sich aufeinander. Die Blechbläser
schüttelten zwischen zwei Darbietungen den Speichel aus ihrem Instrument. Die
Betriebsleitung stand abseits in einem Halbkreis, zufällig. Herr Kohut grüßte den
Meister herzlich, als wär’s in einem Park. Er grüßte zurück. Das Vaterunser
wurde von den Frauen gebetet und vom Meister. »Das ist eine komplizierte Sache,
mon ami.« Als sich die Prozession in Gang setzte, fing es zu regnen an. Er
senkte den Kopf, trotz des aufgestellten Kragens erreichte die Feuchte seinen
ungeschützt-warmen Nacken. Der Meister achtete nur noch darauf, in keine Pfütze zu
treten. Selbstredend trat er ständig darein. »Wochenlang
blieb der Schlamm an meinen Schuhen haften.« Um das Grab herum überall frischer
Lehm.------
: als dann bei dem gewissenhaften Arbeiten sich die Zeiten hinzogen - die Sache
eskalierte etwas, und langsam aber sicher bekam jedes Ereignis seinen Platz im
Spiralheft, konkret passierte Folgendes, der Meister geriet in eine
Auseinandersetzung mit einem A.er Bürger namens János Apró (für den Namen stehe ich
nicht gerade), seines Zeichens Villenbesitzer, von dem er für gutes Geld über den
Gästezimmerservice der IBUSZ-Agentur die Villa gemietet hatte, denn er wollte, dass
Gittilein - wenn ich mich dieses Ausdrucks »Gittilein« bedienen darf - ein
wenig Erholung zuteilwird, denn unter uns gesagt, die Behauptung: der Meister ist ein
Mustergatte, besagt nichts, denn das Gros der Arbeit teilte sich allein die Frau, und
der Roman führte dazu, dass die Zahl der vom Meister ausgeführten Abwäsche geradezu
beschämend gering war*
n
, es kam also zu einer Auseinandersetzung, denn der
Villenbesitzer, übrigens augenscheinlich ein Mensch, der das Befehlen gewohnt war,
ging davon aus, der Meister und seine Gattin würden bereits Sonntag abreisen, aber er
hatte extra so gebucht, dass sie nicht abends mit den vielen Sonntagsfahrern
zurückfahren mussten, sondern »locker und entspannt« erst am Montag, er
zeigte also den Zimmeranweisungsschein mit der Seriennummer 205 189, technisches
Zeichen: 211, vor, aus dem die Situation mit 1oo%iger Klarheit abzulesen war, was den
Villenbesitzer aber zum großen Erstaunen des Meisters nicht überzeugte, der warf nur
einen flüchtigen Blick darauf und sprach beim zweiten Wortwechsel bereits auf eine
für den Meister sehr empfindliche und zusetzende Weise so, wie der Feldwebel mit
seinem Untergebenen (wobei der Meister der Untergebene sein sollte), und der Meister
ertappte sich dabei, dass er »beispiellos kindisch« zurückgiftete
(»man konnte es nicht umgehen, alle glauben sie, die Welt gehöre ihnen!«)
und nah dran war zu sagen: »Fichte, pass bloß auf, ich sag’ meinen Brüdern
Bescheid!«, aber dann, als der Besitzer Verwünschungen ausstoßend davonging und
dem Meister versicherte, er würde ihn Montag in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett
klingeln, sprach er ihm mit folgenden Worten zu, in Ordnung, aber dann würde er sich
mit kaltem Essen für zwei Tage in der Wohnung einschließen und fertig, und da der
Patron daraufhin nur hämisch lachte, sagte er: »Und noch was, Chef. Achten Sie
mal auf die sogenannten Literaturzeitschriften. Denn dass ich Sie in irgendwas
reinschreiben werde, dass es nur so kracht, das ist so fix wie das Amen in der
Kirche«, was die gebührende Wirkung erzielte, denn zwar wurde nichts davon
verstanden (die Popularität des Meisters hat noch nicht alle Barrieren durchbrochen),
aber der gezeigte belämmerte Gesichtsausdruck war genau das, was der Große Geist
»an diesem geistigen Tiefpunkt« brauchte,
Jegyzet o; in vierteljährlicher Aufschlüsselung: o;
o; o; o. »M e in Freund, also das ist doch etwas
übertrieben.«
sagte er, während er ergeben sein Spiralheft ausbreitete und sich von der flüchtigen
und sich im Abschluss befindlichen Situation abwandte: »Gittis, das kann so
nicht weitergehen. Das ist linear (?) nicht auszuhalten. Von jetzt an werde ich nur
noch schreiben und Fußball spielen, bis ich fertig bin. Ich mach Schluss mit dem, was
da ist.« Und das tat er auch. (Dem kann man nachforschen. Natürlich lebt er,
während der Leser dies liest, bereits wieder sein totales Leben - wenn es auch ein
anderes ist als jenes »vorher«.)
51 (vom Verräter zur erhaltenden Kraft - Verzeihung, Verzeihung) Da er sah, dass sich
die Verhältnisse gefährlich und vor allem über die Maßen verschlechterten - die
Auflösung der Jugendmannschaft wegen Ausrüstungsmangel, die Streichung der Zwei aus
der Reservemeisterschaft, der Rückgang der Besucherzahlen bei den im
sonnendurchwobenen Schatten der niedergerissenen Umkleide stattfindenden
Trainingsstunden, die hoffnungslosen Streitereien der Herren Öschen und Armand -,
reiften im Inneren des Meisters bewusste positive Verpflichtungen heran. Und er, der
den Sommer im Zeichen des Verrats - bitte um Vergebung - hatte vergehen lassen, oder
zumindest in dem der Treulosigkeit, und wie wir wissen: es lag nicht an ihm!, er nun
zähneknirschend ...! Wie ein Band umschlang er die laufenden Ereignisse und die
laufenden Ereignislosigkeiten; die Mannschaft, den Platz. Dabei dürfen wir an nichts
Spektakuläres denken, kein strahlendes Wunder, welches »zu den Klängen der
Internationale« von oben herabschwebt, sondern an die kleinen Begeisterungen des
Alltags; an die Arbeit, welche kein Jungmädchentraum. Der Meister hielt es so, dass
diese Begeisterung keinem zur Hülfe war außer ihm, dem Meister, selbst, er zog seine
Kraft daraus - »das Volk ist immer gleich stark«. Tja, nun, etwas
vereinfacht, das heißt von der komplizierten Praxis her betrachtet, hätte der
Mannschaft nur noch eine Sache helfen können: Ziegelsteine.
(Ziegelsteine!, aber ja.) Denn wenn erst die kühleren Zeiten kommen würden, und sie
würden kommen, war der Weidling nicht mehr haltbar ... Das Gastgeberrecht haben sie
für die der ersten 5 Heimspiele getauscht. Beziehungsweise ein Klub, der Mahart,
machte nicht mit. Oder die Brüderlichkeit. Woraufhin man sich in der nahe gelegenen
Schule umziehen musste; und über den Zaun klettern! Man kann es sich vorstellen! Eine
Mannschaft! Auf den Zäunen! Wie gemeine Pfirsichdiebe! Und das Klacken der Schuhe auf
dem Asphalt! Letzteres bezeichnete der Meister als: Widerlich. Jedes Mal, wenn ihm
diese Szene einfiel, in der Hauptsache das Klacken, drängte sich ihm dieses Wort auf
die Lippen. Bedeutung (deutsch): zuwider, ekelerregend, abstoßend. Aus Rache hatte es
Herr Öschen so arrangiert, dass für die Maharter kein warmes Wasser übrig blieb.
Dabei stand es ihnen zu, ohne das kann man kein Match spielen, aber da war es schon
gespielt. Die haben vielleicht geflucht! »So was kommt vor, Kumpel«, und
sie plinselten durch die Tür der provisorischen Umkleide, während ihr Rücken
schelmischer Weise noch vom warmen Wasser dampfte.
Nun, auf einmal, an einem trockenen Herbsttag, erschien Herr
Öschen griesgrämig mit einer Wagenladung Ziegelsteine. Onkel Farkas saß auf dem Bock
und beruhigte die Pferde. »Hooh, na, hooh!« Herr Öschen eilte schmollend in
den Geräteraum. Onkel Farkas schnippte mit dem Finger. »Jungchen. Man müsst
abladen.« Herr Armand überschritt die persönlichen Grenzen - indem er auf die
Frage, »wer hat die Steine gebracht«, pfiff - und schwang sich sogleich zum
Herrn der Lage auf. Er formte eine Schützenkette aus den Jungs (auch aus den
Verteidigern, ha, ha, ha), und schon flogen die Ziegel wie gedrungene Vögel an ihren
Platz. Aus der Schlagfertigkeit der Anordnung konnte man schließen, dass Herr Armand
sich schon viele Gedanken über das Was-wohin gemacht hatte. Obwohl, dass Herr Öschen
den Wagen dorthin geführt hatte, wohin er ihn geführt hatte, zeigte wiederum dessen
Vorausdenken. Wie tragisch doch diese Übereinstimmung war! Dabei mag sein, dass sie
selbst als Ergebnis doch der Grund waren: sie, bezüglich des Auseinanderfallens der
Dinge; weil sie so entschlossen gegeneinander gifteten, dass das dahin geführt hatte!
Weil der eine aufgeben muss! Herr Armand stand auf der theoretischen Ebene, seine
Chancen waren so ...! Und eine Mannschaft ohne Trainer?! Natürlich würde sich früher
oder später ein anderer finden! Aber wer ersetzt diese manische Liebe zum Sport,
welche in Herrn Armand, diesem Herzensmenschen, wohnt, dessen Ausstrahlung so wichtig
war...
Der Meister stand in seinen neuen Schuhen in der Reihe, ein Geschenk von Herrn
György; gerade heute wollte er die Fußbekleidung einlaufen. Die Schuhe funkelten
blitzeblank, das hemmte ihn. Puma Pele King. » Zu
schade für dich.« - »Zu schade«, er nickte zwischen zwei
Ziegelsteinen. Er tat die Arbeit mit großer Hingabe, nicht dass noch die Katze aus
dem Sack hüpft, dass er keine Ahnung von derselben hatte. (Neulich hatte er Herrn
Icsi geholfen, dort hatte er dieses Erlebnis: dass er noch nie im Leben gearbeitet
hatte! Was sich dann auch deutlich zeigte. Dabei handelte es sich um eine einfache
Trägerarbeit. Bis zu Herrn Icsis Wohnung. Einmal musste z. B. Schutt abtransportiert
werden, ca. 10 m3. Und das war sehr interessant und
herzergreifend, wie an jenem Abend die Jungs einer nach dem anderen auftauchten, von
hier und von da, auch ehemalige Klassenkameraden, jemand aus der Mannschaft, ein
anderer von irgendeiner Bolz [ein Gegner] etc., und schleppten, einander ablösend,
den vielen Schutt. Das war schön.)
Aber dann, in den Ziegel-Pausen, beäugte er so schmerzlich und verzweifelt seine vom
Ziegelstaub rosaroten und ganz allmählich ausfasernden Handflächen, dass es früher
oder später ins Auge fiel (die Katze kam aus dem Sack). »Du«, sagte jemand
freundlich, »du, zeig mal, wie groß ist deine Hand?« Der Meister zeigte sie
hin, aber jener Stolz, mit dem er sie für die Frauen drehte und wendete, anlässlich
jener Wetten, war nun ordentlich verflogen. Der, der gefragt hatte, schüttelte
ungläubig den Kopf. »Das ist deine richtige Hand?«
Und betastete vorsichtig, wie ein Wunder, das abgeschürfte, staubige, ge- quälte
Händchen des Meisters. Die Ordnung hatte sich aufgelöst, die Schützenkette war
zerrissen. »Tuttelt mal nicht so viel«, sagte der kleine Rechtsaußen
gereizt. Er hätte nicht gedacht, dass es statt des Trainings hinterrücks so was geben
würde; dabei mochte er nicht einmal das Training mehr. Eine analoge Antwort wäre
schon parat gewesen, vielleicht von Seiten Herrn Öschens, und dann hätte auch Herr
Armand nicht länger geschwiegen - sie arbeiteten an zwei Enden der Kette, Herr Öschen
hatte sich nämlich kaum merklich aus dem Geräteraum gestohlen und stellte sich an den
Wagen, um herunterzureichen, Onkel Farkas stand da, paffte an seiner schwarz
gewordenen Pfeife und sprach mit seinem Pferd, wie es heute die wenigsten mehr tun -
es hätte sich also ein Donnerwetter ergeben, unter dessen Ägide sie sowieso die ganze
Zeit zu Gange waren, als Herr Icsi die eh schon ziemlich aufgelöste Reihe noch weiter
auflöste, indem er vorsprang, sich vor den Meister hinkniete (lange noch war auf
seinem Knie der erstaunliche Abdruck des höckerigen Bodens zu sehen;
»pockig«; sogar beim Umziehen sah er noch ein kleines Kieselstückchen, das
sich in die Haut gepresst hatte), die im Mittelpunkt stehende Hand, die Hand des
Meisters, über sich ergriff und seufzte also: »Und sag, Kumpel, führst du
damit... damit die Feder?«
»Marsch ab«, rief der Meister parodistisch bei dieser improvisierten
Dichterbegegnung, entriss seine Hand den Händen und machte sie somit frei für die
Steine. Was für eine feine Symbolhaftigkeit war das von seiner
Seite, plus die Arbeit, die auch wieder in Schwung kam ... Und die federführende Hand
- denn ich muss nicht extra erwähnen, dass sie das war; Herr Icsi hatte es richtig
erahnt - faserte und faserte nur weiter aus (im Dienste) ...
Die Ziegelsteine nahmen allmählich ab - die Hälfte musste neu aufgeschichtet werden,
weil sie sie an der falschen Stelle abgeladen hatten, umsonst das doppelte Denken! -
und langsam legte sich graues Zwielicht auf das Ensemble. Der Flug der Steine flaute
ab, die Zungen lockerten sich, wie abends in der Spinnstube ...
»Gestern waren wir mit diesem Fichte Józsi beim Feri.« - »Wer hat den
Schlüssel? Der Fähri«, warf er ein und errang damit einen beispiellosen Erfolg,
als gutes Beispiel dafür, dass eine Gemeinschaft auch eine solche Wortkargheit
erträgt (Sommeraufbautraining, KISZ-Lager mit Mädchen, Holzhäuser, Holzhäuser mit
Schlüsseln, Schlüsseln, Schlüsseln; und den Schlüssel hat der Fähri). »Wir gehen
rein. Kommt der Feri, ist ein großes Tier da, Schlips ...« -
»Brillantine.« - »Der Feri ist ein richtiger Herr.« - »Kommt
an, was steht an, Jungens. Woraufhin der Fichte Józsi mittenmang der ganzen Figuren
sagt,fichteeyferimeinlieber (Verzeihung), ich
bräucht’ne gute italienische Bux, die eng ist, Fichte, aber mir nicht die Eier
abquetscht. Das so, Wort für Wort, über die Köpfe der Kundschaft hinweg.« -
»Der gute Ferenc wird sich gefreut haben.« - »Er hatte die Hosen voll.
Bei jedem Fichte guckte er sich erschrocken um und sagte: Ichbittdich.« -
»Um wie mit Löschpapier die vorangegangenen bösen Worte quasi verschwinden zu
lassen«, dachte er verständnisvoll. »Und dann, ichbittdich, hat er uns ganz
schnell, ichbittdich, in diese Mantelgassen hineingetrieben. « - »Und gab
es eine Bux?« - »Klar, hat eine unterm Ladentisch organisiert und uns
schnell rausgeschoben. Und draußen auf der Straße hat er uns ordentlich
runtergefichtet.« Man kann es sich vorstellen. »Er hat bloß gezeigt, dass
er es auch kann.« - »Das kannst du laut sagen.«
Der eine oder andere Stein machte sich auf den Weg, wurde angehalten, früher oder
später kam er aber am Ziel an, in den kompetenten Händen des Herrn Armand.
»Stellt euch vor, der Sneci. Hat von irgendwo her das Geweih vom Direktor
gemopst, wisst ihr, was der geschossen hat, hat sich’s an den Kopf gehalten und
ist damit über den Fabrikhof gerannt und hat rumgebrüllt, selbst den hat man für den
alten Fichte angebunden, selbst den hat man für den alten Fichte angebunden! Und wir,
Fichte, haben uns schön in einer Reihe vor der Werkstatt aufgestellt und haben
gejohlt. Und von oben haben sich die Miezen aus den Bürofenstern gelehnt, und wir
haben raufgeschrien, aber sie haben die Fenster schnell wieder zugemacht. War eine
gute Hetz.« - »Und was ist? Hat man den Sneci gegrillt?« - »Hat
einen Verweis bekommen.« Der Halblinks verstummte geheimnisvoll. Sie drängten
ihn pflichtgemäß. »Er bekam einen Verweis, weil er oft zu spät kommt.« -
»Schweinerei.« - »Er kommt wirklich zu spät«, der Halblinks
lachte. »Hoppala.«
Der Rechtsverteidiger erzählte, erst leise, dann im (direkten) Verhältnis zur
wachsenden Aufmerksamkeit immer lauter, jedoch mit konstanter Schadenfreude, wie sie
- an einem großen Fest der Arbeiterbewegung - mit Wasser gefüllte
»Luftballons« auf der Kranschiene aufgehängt hatten, und wenn eine gute
oder schlechte oder mittelmäßige Frau dort vorbeikam, paff, mit dem Katapult, in den
Nacken! »Aber einmal, gottistmeinzeuge aus Versehen, kam ausgerechnet der Laci
Kohut...« - »Irren ist menschlich«, gaben sie ihrem Bedauern Ausdruck.
Und ein anderes Mal kam es vor, dass, weil der Herr Kohut gerne vor Schichtende
unerwartet in der Dusche auftaucht und wenn die Jungs dann gerne schon duschen, also
es kam mal vor, dass sie warteten, bis Herr Kohut nach hinten gegangen war, und dann
drehten sich die Rücken auf einmal nach außen, damit das herunterprasselnde heiße
Wasser in die entsprechende Richtung abprallte, und Herr Kohut wurde nass gepladdert
mit seinem Schlips, und nicht einmal flüchten war leicht, weil einige in der Mitte
tüchtig geseift hatten. »Leider, leider.« - »Die Frauen in der
Werkstatt sind aber auch ihr Geld wert.« - »Du meinst, sie verlangen Geld
dafür?« - »Blödsinn. Als ich als Lehrling hinkam, stand ich nur da, mit
offenem Mund, das sind aber viele Muttis ... Quasi eine neben der anderen. Als ich
das erste Mal reinkam, verschwamm’s mir vor den Augen; sie saßen in zwei
Reihen, und dann, wie wir den Mädels hinterher, haben sie mir auf zwei Fingern gleich
zugepfiffen. Ich ging los, mich beim Werkführer melden, und der war am anderen Ende
des Saals ... Die gucken mich alle an, ich geh an ihnen vorbei, und dann stellt eine
ein Bein raus ...« - »Elfmeter! Wenn es einen Gott gibt, gibt er ihn
...« - »Er hat ihn gegeben. Aber als hätten sie sich abgesprochen, denn wie
ich nach vorne falle, dreht sich die nächste mitsamt Stuhl raus, die Moni, ein
riesiges Ding von einem Weib, und ich ihr mit dem Gesicht in den Schoß.« -
»Eins zu null.« - »Und die streichelt mir über den Kopf, ist gut, hier
bist du richtig. Und alle lachen. Aber sie haben mich nicht ausgelacht. Ich bekam
kaum Luft. Beziehungsweise, die Luft, die ich bekam, war schon einmal zwischen den
Schenkeln der Frau durch. War ganz schön heiß.«
Als dann auch der letzte Stein an seinem vorläufigen Platz
war, blieb die Schützenkette für einen merkwürdigen Augenblick intakt, die Hände
fielen müde herunter, die Schultern krümmten sich, die Finger mühten sich, nicht
aneinander zu geraten, stachen angespannt in die dunkle Luft, Knie erzitterten, und
die selbstsicheren Grätschen strahlten auch keine Kraft mehr aus. Gerade rechtzeitig
- noch bevor man sich hätte erklären müssen - schrillte Herrn Armands Trillerpfeife.
»Sein Speichel spritzte.«
Und, als wären sie am Ende eines tatsächlichen Trainings angelangt, liefen sie noch
eine abschließende Runde. Die Mehrheit legte die Vierhundert gewohnheitsgemäß
galoppierend zurück, um eher mit dem Duschen fertig zu werden, der Meister trabte wie
gewohnt nur »locker« vor sich hin und dachte sich jetzt noch schadenfroh:
»Bah! Duschen! Weidling, meine Lieben, Weidling.« Mit doppelter Überlegung
zog er so über die Runde.
Da er durch aus fachlicher Sicht viel zu hohes Gras lief, zeichneten die Grashalme
dünne, schlängelnde Streifen auf die staubige Spitze der Puma Pele King. »Als
wären magere Schnecken darübergekrochen.« Als hätten sie
dort ihr Rendezvous gehabt. Manchmal stellte er den ohnehin schon langsamen Lauf ein
und tauschte ihn gegen Spazieren. Der Abend summte, und je größer der Abstand zu den
anderen wurde, die in törichter Weise das Laufen gewählt hatten, desto stärker spürte
er das Alleinsein in diesem Tiefdunkeln und gleichzeitig eine Art kühne Verwobenheit
mit der Natur. (Der Herr Vater des Meisters hält es damit ganz gegenteilig: wie
dieser Mensch von der einen Schreibmaschine zur nächsten anlangt - wie ein
Schlafwandler.) An der Gegenkurve fand er sich dem Berg gegenüber, diesem großen,
schwarzen Block, der beinahe mit dem Himmel verschmolz, in Letzterem sorgten Sterne,
an Ersterem der Schein schwankender Lampen für Abwechslung und Unterschiedlichkeit.
Von oben war das Gekläff von Hunden zu hören. Die elegische
Runde nahm mit einem kurzen Sprint ihr Ende.
Drinnen schlüpfte er mit einer unerwarteten Wendung in seine Kleidung (das beim
Waschen eingelaufene Hemd, das er von Herrn György bekommen hatte etc.), die er
direkt auf seinen verschwitzten und ein wenig juckenden Körper zog. »Diese Woche
schon gebadet?« Er hob seinen Lehrfinger (auf dem noch weniger Nagel zu finden
ist als auf den anderen; vielleicht wegen der Aufgabe, deswegen), es wurde still im
Winkel der Geräteraum genannten ehemaligen kleinen Umkleide, die heute die Umkleide
war. »Man kann sich an den Dreck gewöhnen«, sagte er bedeutungsvoll, was er
schon von anderer Stelle wissen mochte. Auf welch bittere Weise sollte er recht
behalten!
52 Frau Gitti sank krank zu Bette. Der Motor der Familie. Eines Abends setzte sie
sich plötzlich auf im Bett, der Engel, der die Träume verteilt, saß ihr noch im
Gesicht, ihre Züge dösig pressend, und sie sagte zum Meister, der gerade das Buch des
peruanischen Herrn Vargas Llosa las: »Du, Fichte (!), der Sattler Tabacskó ist
so eine Art Künstlermensch. Er malt, sammelt Bücher. Liebt die Kunst.« (Bei V.
L. fällt mir ein: der Meister hatte noch in der Grundschule einen Klassenkameraden
namens Varga Jóska, Torhüter der Klassenmannschaft. Er war ein Torhüter mit guten
Reflexen, aber nicht verlässlich. Jedenfalls hatte er von Zeit zu Zeit große Paraden.
Wenn das der Fall war, »duckmäuserte « er händeringend auf und ab und gab
sich unzufrieden. Da musste man zu ihm hingehen und ihm ehrlich Folgendes sagen:
»Aber nein, Józsi, du hast ausgesprochen gut
gehalten.« - »Meint ihr?« In Varga József keimte wieder die Hoffnung.
»Das ist der Vargajóska- Effekt.« Der Meister setzt ihn manchmal Frau Gitti
gegenüber ein. - Wie wir sehen können, Effekte hat er wie Sand am Meer.)
Er sprang zu der Frau hin, strich ihr die verschwitzten Haare aus dem Gesicht.
Streichelte sie. »Armes Ding.« Und ging in die Apotheke. Die Kassiererin
fragte den Meister, ob er 50 Fillér hätte. Er antwortete: »Hab ich«, und
fing an, in der komfortablen Tasche seines Lodenmantels - Herrn Györgys freigiebiges
Herz! - zu kramen, und fand tatsächlich 50 Fillér, was er selbst nicht gedacht hätte,
als er die Währungseinheit überreichte, sprach er also lächelnd: »Dabei meinte
ich es gar nicht ernst.« Er verließ das auf diese Weise in eine Freundschaft
mündende Gebiet, und, wie üblich, stellte er sich von der Seite an den Anfang der
Kassenschlange. Hier sprach ihn jemand feindselig an: »Stellen Sie sich bitte
hinten an.« - »Wer schon bezahlt hat, soll sich vorne hinstellen«, zu
Hilfe kam ihm die Apothekerin, die dem Meister sehr gefiel. (»Was ist das denn
für eine?«, fragte Frau Gitti. Der Meister winkte schönfärberisch ab.
»Kumpelchen, ich bin ein lyrisches Ich.«) Er wollte
sich schon geschlagen trollen, denn leider ist er so ein Typus, als mehrere
bemerkten, dass hier alle schon gezahlt hätten. Daraufhin erhellte sich sein Gesicht,
sein Sprachgefühl bahnte sich seinen Weg, und er sagte zufrieden zu der vor ihm
stehenden betagten Dame: »Dann ist das hier die Schlange der
Nichtschlangestehenden. « Er sah, dass der junge Mann, der zwei vor ihm stand,
lächelte, und dass der, der ihn zuerst nach hinten geschickt hatte, die Schultern
zuckte--------
Auf den Meister wälzten sich Verpflichtungen. »Alles kam ziemlich
zusammen.« (Die Dinge mehrten sich ...) In aller Herrgottsfrühe wird der Meister
gefragt, ob er noch schlafe; und je mehr Zeit vergeht, umso weniger kann er die
sybillische Gewitztheit der Frage genießen. »Papali, schläfst du?« Er
drehte sich auf die andere Seite, das Dilemma auf diese Weise von sich scheuchend;
und er wusste sehr wohl um den nächsten Trick des kleinen Frauchens, erwartete ihn
mit angespannten Muskeln. »Papali! Aa! Aa!«, kicherte Genannte
freudestrahlend. So was habe ich noch nie gesehen: als wäre sie von einer Feder
hochgeschleudert, sprang die soeben noch bleierne Seele auf und machte sich
schlaftrunken daran, das Nachtgeschirr zu holen; und als er dann aus der Küche
taumelte, denn beim Anblick der abscheu- lichen Mengen von schmutzigem Geschirr war
er schier in Ohnmacht gefallen, insbesondere bei dem eines Silber- oder eher
Alpaka-Tabletts, auf dem in dicker Schicht gelbe Eierreste klebten, und als er ins
Badezimmer kam, konnte er nichts finden, nicht einmal sein Gesicht im Spiegel, und
als er dann in das hintere Zimmer geschwankt kam, sah er dort sein zerwühltes Bett,
darin die kleine Frau mit dem gelben Haar, die sich wie eine Katze zusammengerollt
hatte, und da trat er an das Bett heran, beugte sich ein wenig darüber und stützte
sich gleichzeitig auf, und dann sah er Mitovics scharf in die Augen (das Laken
dunkelte feucht, die Lippen des Mädchens waren geschürzt) und er sagte: »Der
Hochmut, Chef, hat dich übermannt.«
(Man darf lächeln. Aber diese Situation - wie der Meister auf das Bett und sein Kind
niedersinkend ohnmächtig den Blick umherschweifen lässt, um schnellstmöglich das
Nachtgeschirr in der Nähe zu finden, und mit hoffnungsloser
Wut und Liebe den kleinen Schlingel anschaut sowie seine süß schlummernde Gattin,
während die emsigen Nachbarn schon die Rollos hochziehen und ihre quengelig langsamen
Kinder auf den Hinterkopf klapsen, damit die nicht zu spät in den Kindergarten und
sie anschließend zur Arbeit kommen -, nun, diese Situation zeigt, die entfremdende
Wirkung der Gerüche mit einberechnet, die aussichtslosen Einsamkeitsräume eines
Lebens, worüber schon andere geschrieben haben, und auch ich an anderer Stelle.)
Getrieben von seiner großen Lebenskraft schusterte der Meister die Kleine schließlich
auf das Geschirr, als gäbe es das geschehene Malheur gar nicht
in der ihm eigenen Gelbheit neben der süßen Frau, »wie ein perverser
Ehemann«.
Er sah sich gerührt um, das Mägdlein thronte, Frau Gitti schlummerte süß.
»Wissen Sie, mein Freund, da trat ich ans Fenster, drückte die Stirn ans Glas,
hinterließ eine Spur, und mir fiel ein, dass ich mich immer an diese Zeiten erinnern
sollte, denn ich war ...« - hier räusperte er sich mit verschämtem Zaudern -
»denn ich war glücklich.« Hei!
Doch dieser kleine Ausblick durch das Fenster auf größere Zusammenhänge reichte aus,
damit ihm die Arbeit bereits auf den Nägeln (!) brannte. Der Spross heulte auf, weil
der Rand nass war, und die Gattin sprach mir nichts, dir nichts: »Hast du das
Teewasser aufgesetzt?« Er hatte es noch nicht aufgesetzt. »Ja«,
antwortete er und wetzte in die Küche. Hier begann das große Tohuwabohu! Was für eine
einer Rache ähnliche Verkettung von Orten, Gleichzeitigkeiten, Veränderungen und
Angleichungen!
Da das unabgewaschene Geschirr strebsamen Wettkämpfern gleich nahezu bis zum
Wasserhahn hinaufgelangt konnte man die Kanne nur in Schieflage an ihren Platz
bugsieren aber da sie auf diese Weise nur halb voll zu bekommen war musste man sie
ein wenig gerader halten woraufhin einige Geschirrteile auf dem Grunde des
Abwaschbeckens zu klirren anfingen da sie nachrutschten als der Meister als der
präzise Mensch der er ist bemerkte dass das laufende Wasser kalt war beabsichtigte er
dieses auszugießen und plante es durch Inanspruchnahme des Gasboilers gegen warmes zu
tauschen doch irgendwie geriet das Rohr des Wasserhahns mittlerweile in die Kanne
hinein wo er weder vor noch zurück nur wenn er sie ankippte aber dann würde das
Wasser das er gerade erst eingefüllt hatte wieder hinausfließen doch da kam es ihm
wie ein Blitzschlag dass er genau das wollte.
»Mir fiel ein, mein Freund ... Es ist doch was anderes: wenn man es gießt und
wenn es von allein ausläuft.« Sein Stolz schien unbrechbar zu sein. Da die
Platzierung des warmen Wassers eine Verschiebung in der Zeit zur Folge hatte,
beschloss er, das Gas auf große Flamme zu drehen. Aber vorher musste es noch
angezündet werden. Wir wollen nicht ins Detail gehen, jemand könnte denken, ich will
mich über ihn amüsieren. Es seien lediglich ein paar zerbrochene Streichhölzer, ein
peinvoller (Ssssss!-) Gesichtsausdruck und der Ausruf »Herrgottsakrakruxitürken
nochmal!« in Inventur genommen; sowie der Gasgeruch: da er zunächst ein anderes
aufgedreht hatte als das, das er anzünden wollte.
Da er anschließend - wie man sagt, vollkommen überflüssigerweise - das Asbestgitter
unter dem Kandl gelassen hatte, fing dieses nach kurzer Zeit zu glühen an und brachte
spektakuläre Schattierungen von Rosa- bis Feuerrot auf die Oberfläche. Er betrachtete
dies zunächst unter ästhetischen Gesichtspunkten, später fiel bei ihm der Groschen.
Runter mit der Kanne. Anschließend ein fehlerhafter Versuch mit der bloßen Hand! Der
Schmerz. Dann der Topflappen - ein eigenhändiges Meisterwerk
Frau Gittis –, und damit! zum Gasgeruch jetzt auch noch der Geruch der angesengten
Wolle! (»Keine Wolle, Péterchen, Teppichfaden.«)
Als er damit fertig war, setzte er sich hin, um sich auszuruhen. Und gerade jetzt kam
die Gattin in die Küche. Die das Bett nicht aus Jux und Dollerei hütete, aber sie
hatte so einen Verdacht. »Mieze«, hatte er voller Charme bei Beginn der
Krankheit gesagt, »du bist auf der Liste der Verletzten.« - »Vor dem
Spiel, nach dem Spiel«, sich ein Lächeln abzwingend, das von Fieberrosen
gefärbte Gesicht hatte genickt. Aber jetzt war sie schon auf dem Weg der Besserung.
»Was tust du hier, mein einziger Schatz?« Einziger sagte sie so, dass sich
ihre Zähne dabei nicht voneinander lösten. Kann man sich das vorstellen? Und
versuchen: einziger. Es gab dafür einen gewissen Grund, welcher sich nach dem Anblick
richtete: nach dem Meister, der kopfnickend dem brüllenden Radio zuhörte
(»Pa-rampa-rampapa-apahlavi! Karel Gott! Erkennst du ihn?«), dem schamlos
offen stehenden Kühlschrank, dem immer noch aus dem Wasserhahn strömenden Warmwasser,
dem »irrationalen Rasseln« des Boilergedröhns, dem im Aufruhr befindlichen
Teewasser.
»Das Wasser ist völlig verkocht.« Die durch
Krankheit abgezehrte Frau hielt sich an diesem formulierbaren Konkretum fest. Der
große Mann erschrak sofort, möglicherweise umsonst in aller Frühe aufgestanden zu
sein ... Er packte also von unten an das »weibliche Fleisch« und lenkte die
sich matt wehrende Gattin zurück ins Bett. Mit der Frau im Arm blieb er schnaufend am
Bett stehen, um, bumstili!, die Hand unter dem Körper wegzuziehen, welcher mit großer
Umsicht ins Bett plumpste. »Du Hinterhältiger!« - »Du bleibst
hier«, befahl das Oberhaupt der Familie. »Eine falsche Bewegung ...«
Und zeigte das traditionelle Zack an.
Wieder hinaus in die Küche aus Prestige! Kurze Zeit später hielt er mit einem Tablett
Einzug, darauf die Produkte. »Das Frühstück, gnä Frau.« - »Danke,
guter Mann. Die Tagespresse?« - »Ist in Verspätung, habe die Ehre, genau
dort!« Der Gatte rieb seine von Butter, Salami, rußigem Kerzenende, Teestückchen
und Heißwasser mitgenommenen Händchen aneinander. »Na bitte, es läuft doch, wie
ein Frühstück im Bett«, sagte er schließlich.
Frau Gitti, aus ihrer nächtlichen Beschäftigung, dem Schlafen, aufschreckend,
versäumt nicht, mit milchigen Lippen zu erwähnen: »Liebster!« Und das sanft
schwingende Wort, die Schwingungen im Raum, aufsteigend wie Lampions, oh Schmerz,
niemand sieht sie, denn er, wie ein Murmeltier-------- errötend blickt er Frau Gitti
an! Oh, diese Wärme!, diese Härte!, diese unbeirrbare Sanftmut!, Freude und
Bitterkeit!, die Unendlichkeit der Alltage und jene kleine Chance!-------- Du bist
alt, alt, alt, alt*
n
, deine Hüften werden immer breiter,
deine Schultern sind muskulös, ich hasse dich**Jegyzet Ein verspielt verblüffender Gedanke ist das
über eine Frau in ihren Zwanzigern.
n
, du läufst wie ein Schwimmer; du wackelst! dein Gesicht ist groß, um die Augen hast du
Krähenfüße, deine Nase ist so ein Nichts, du bist hässlich, du bist gemein, ich hab
genug. Ja: ein Künstler - »oder ein Ehemann, mon ami, oder ein Ehemann« -
kann mit seinem Instinkt-Bewusstsein auch in einem Augenblick verdichtet die
Verwüstung des Alltags begreifen! All die Monotonie unseres verdorbenen Daseins!, du
Teure, wie wunderschön fraulich du wirst, eine Grandedame wirst du, du bist immer
anders, das Bouquet deiner Krähenfüße ist mein, selbst der kleinste Fettkräusel an
deinem Bauch bist du, mein Einundalliges, mein Gott, und was mag Frau Gitti davon
erspüren, und umgekehrt*Jegyzet Na, na, nicht
doch, na: mein süßer Kleiner.
n
;
von diesem Alpha und Omega?!**Jegyzet !!!!!!!
n
Jegyzet » Schön und wahr«, sagte
Frau Gitti, bei einer gnadenvollen Gelegenheit, als alles hervorkam in seiner
rabiaten Art mit einer Träne im Auge.
53 Er schob und schob die zahnärztliche Pflicht vor sich her. Er fürchtete sich zwar
kein bisschen (denn die Kindheitsfälle sind dank des Onkels mit den goldenen Händen
nicht zu verkrampften Erinnerungen geworden, sondern blieben Familienbesuche - mehr
noch, es gab dort auch noch das Bild einer nackten Frau als ausgesprochenes Plus), er
fürchtete sich also nicht, sondern hatte sich abgefunden, denn die anfängliche
Gefahrensituation war gewichen, obwohl sich manchmal rechts hinten etwas entzündete,
dabei entstand auch ein winziger Eitersack, an dem er mit derselben gnadenlosen
Neugier herumdrückte wie als Teenager, wenn man unerbittlich den Schorf hier und da
abpult, aber im Grunde war der Zahn - abgesehen vom morgendlichen unangenehmen
Mundgeruch - erträglich. Tja nun, der Zahn war zwar erträglich, aber er fing an, abzunehmen. (Vom Gebrauch hatten sich kleine Splitter gelöst.
Am nächsten Tag versuchte dann die Zunge das abgesplittert-scharfe Gebiet zu meiden.
Dann gewöhnte sie sich daran. Oder der Zahn wurde wieder runder. Unterhalb - oberhalb
- eines gewissen Niveaus ist das egal.) Das Abhandenkommen war kein Kinderspiel mehr,
er suchte die Zahnärztin auf.
Die schöne Zahnärztin stopfte seinen Mund mit Gaze, Spreizern, allem Möglichen voll.
Hier stellt sich immer eine sehr interessante Situation ein (schon wieder eine, die
dadurch aufhört, dass sie entsteht): sobald das Vollstopfen erledigt ist, würde er,
der bis dahin schmal, die Hände zwischen den Knien, im monströsen Sessel gesessen
hatte, nun anfangen, befreit zu reden, leichthin und inhaltsreich zu plaudern über
dies und das (es sei angemerkt - oder ist das dasselbe? -, dass auch die Frau Doktor
ab diesem Punkt anfängt, Sachen zu sagen, auf die man antworten kann), mehr noch, er
begnügt sich nicht mit dem Wunsch, sondern fängt, wie er es geplant hatte, an (siehe
oben). Aber das kann man sich schon vorstellen: »Aöaeiaöo!« - so, nur so.
Die Frau Doktor erzählte, ihr Sohn sei der Meinung, Herr Marci und der Meister seien
wie Kasparek und Cserniczky. Er, mit seinem aufgespreizten verknebelten Mund in der
großen, blassen Leuchtkraft, musste eine verzweifelte Erscheinung abgeben. Deswegen
oder nicht sagte die Frau Doktor: »Natürlich lesen Sie keinen Mikszáth.« -
»Iaöao.« - »Sie sind natürlich ein moderner Autor.« -
»Auöeoi.« Der Speichelabsauger gab ein sympathisches (unerträgliches)
Schlürfgeräusch von sich. »Blutgeschmack.« - »Sagen Sie, mein Freund,
wie kommt es, dass unter manchen weißen Kitteln ein Schlüpfer zu erahnen ist und
unter manchen nicht?« Ich weiß es nicht.
54 Vor der Portierskabine hängte er sorgfältig die Schlüssel auf und wechselte ein
paar freundliche Worte mit dem alten Portier, zu dem er bereits ein gutes Verhältnis aufgebaut hatte, als er noch keinen unbefristeten Ausgang hatte.
Jung und dynamisch - der Jugend gehört die Zukunft! (»Oh nein, mein Freund, die
Zukunft gehört meinem Altsein, beziehungsweise vorher noch meinem
Mittelaltsein!«) - schwang er sich auf den Rücken seines Orlow’schen
Rappen und machte sich auf... nirgendwohin. Er startete noch einmal. Als er jenes
charakteristische, immer brüchiger werdende, zermanschte und leise Wiehern vernahm,
wurde ihm eng ums Herz. Nach zwei weiteren Versuchen war das Ergebnis nur noch ein
hoffnungsloses Wichhh. Unbeholfen stand er herum, sein Rappe sah ihn traurig an, und
er war auf einmal erfüllt von unbegründeten Minderwertigkeitsgefühlen, wie er sie
zuletzt Frau Gitti gegenüber empfunden hatte. Schließlich überwand er sich und sprach
jemanden an.
»Entschuldigt, würdet ihr mich anschieben?« - Die beiden jun- gen Burschen
grinsten sich an, weil er das so missverständlich formuliert hatte. Anschließend
schoben sie ihn und schoben ihn, vergebens. Der Meister hörte ihr Keuchen.
Schließlich baten sie den Meister etwas gereizt um Vergebung und verschwanden.
»Ich glaube, sie müssen unterwegs ins Kossuth-Kino gewesen sein.« Er
lavierte beschwerlich zwischen zwei Autos, nahm seine Satteltasche vom Sattelknopf
und stand da! Wer schon einmal so stehen geblieben ist, weiß, wie demütigend das ist.
Den Gesetzen der Seele treu, schlug die Selbstzerfleischung in aktive Wut um. Der
arme Meister fletschte regelrecht die Zähne gegen die vorbeihuschenden Autos.
»Meine Zähne knirschten. «
Langsam machte er sich auf zur Bushaltestelle. Wie anders waren nun die entwaffnend
gleichförmigen, schweren grauen Blöcke der Häuser, als sie es noch am Morgen gewesen
waren. Einheitlicher, selbstbewusster. - Der Meister bevorzugt kleine, schmächtige
frühmorgendliche Straßen. Die Sonne scheint schräg zwischen den Häusern herein.
»Irgendwie sind auch die Häuser selbst schräg. Die Linie, die durch das
Aufeinandertreffen zweier berechtigter Hauswände entsteht, genießt Freiheit:
irgendeine hat immer den Mut, die Perspektiven zu ruinieren.« Der schmutzige
Gehsteig ist schon gespritzt worden, aber nicht so schön »gestäubt«, wie
das der Vater des Meisters tut, man hat eher nur so hingekleckert - damit es gemacht
ist. Auch diese Oberflächlichkeit gereichte ihm zur Freude. Und die Gerüche. Des
Gemüseladens, des zum Müllabladeplatz gewordenen Grunds, an
dem immer dann die große Frau im Jeansrock vorbeikommt, wenn der Meister auf den
kleinen Pfad einbiegt, der am Grund vorbeischleicht, und wenn
der Meister sich am struppigen Stamm der Pappel umwendet und zurückschaut (ein-,
zweimal hatte er das bereits getan), macht sich der zwielichtig dreinblickende
Schäferhund, den die Frau nicht lange davor von der Leine genommen haben musste,
gerade daran, sein Geschäft zu erledigen (dass die Frau noch kein einziges Mal den
Meister angesehen hätte, ist vollkommen unwahrscheinlich; doch da es wahr ist, ist es
»hoffnungserweckend«), der Geruch der Bettwäsche, die in manch ein offenes
Fenster gelegt worden ist, dahinter sind verschlossene Frauengesichter zu sehen, der
Geruch des Selbstbedienungsrestaurants im Eckhaus gleich neben dem Grund, der alten Frau in der Selbstbedienung, die, während sie sich unter
den Baumwollstrumpf fasst und an der Wade kratzt, über die Briefe von Josephus
Flavius spricht, und alle, auch der Meister, einen Schritt weg machen, des Trafikers,
der den Kaugummi kaufenden Meister jedes Mal um 20-30 Fillér übervorteilt, was dieser
auch jedes Mal anmerkt, doch der Trafiker ist mit einer frappanten Erklärung zur
Stelle, der Straßenbahn, der Schienen und besonders der der Weichen (die Weichen
verströmen einen unverwechselbaren Geruch),
des Reifendienstes, wo ein gewisser Herr Tamás (wir durften ihm bei der Wandtafel
begegnen) einmal die Zuverlässigkeit des dortigen Druckmessers in Zweifel zog, und
als sich der Besitzer darauf berief, der Druckmesser sei ein englisches Produkt, zog
der vorzügliche Rechentechnikexperte einen manuellen Druckmesser aus der Innentasche
seines feschen Sakkos, »englisch oder nicht, der hier arbeitet mit Wasser und
der da mit einer Feder«, was dem Meister, der als Augenzeuge dabei war, wahrlich
unangenehm war, denn er hatte das Gefühl, der »alte Spezi« könne allein
schon vom Ansehen her sagen, was wie viel Atmo hat, darüber hinaus - ein emotionelles
Motiv - war er gerührt ob des zerfurchten Gesichts des Alten, seiner Hände, in die
sich das Öl hineingefressen hatte, der jahrzehntealte Schmutz, und neben diesen
Händen (»hier ist die Verschiebung, mein Freund, in die wir hineinspaziert
sind«) waren er und sein Kollege (der übrigens +0,1 atm. Abweichung nachwies!!!)
peinlich gut gekleidet, weswegen er nach dem Grund lieber
nicht geradeaus, sondern nach rechts geht, also zwischen je zwei Seiten eines
Rechtecks wählt, was eine symmetrische Möglichkeit ist*
n
, und nichts spricht für oder gegen die eine oder andere Wegführung -
die Summe der sonnigen und schattigen Intervalle differiert nicht,
Parkierungsmöglichkeiten sind irrelevant, der Bettwäschegeruch wird kompensiert durch
den des geschlossenen Gemüseladens, die Menschen auf dem Bürgersteig sind
zufällig.
Jegyzet a + b = b
+ a
Der Wind puffte die Straße entlang, trieb Papierfetzen und Blätter in die Luft,
(enthusiastische Beschreibung von Pest) (Einmal hatte der Meister unter den Pappeln
gestanden, vor dem Haus, dort, wo man zwischen Oma Tocskas O-Beinen bis zur
HEV-Haltestelle schauen kann, und seine Frau Mutter fuhr den Meister an, er möge
sofort einen Zettel suchen, den ihrer Ansicht nach der Meister verloren hatte - das
hatte er tatsächlich -, und da puffte der Wind die Straße entlang, er schloss die
Augen, seine Tränen und der Staub brannten, er streckte die Hand vor wie tatsächliche
Blinde, und es war jener Zettel!)
55 Die Umkleide wurde wieder aufgebaut und man bekam auch einen neuen Duschraum,
besser als der alte. Jetzt stellte sich heraus, was eine Umkleide und ein Duschraum
sind. Nichts. »Milch und Brot.« Und der Meister spürte ganz richtig -
schließlich schnappte er dieselbe Luft (und wie er nach ihr, ha-ha-ha, schnappte!) -
diese nach unten tendierende Atmosphäre; als wäre alles nach außen geraten; es sei
hinzugefügt: fälschlicherweise. »Fortwursteln«, murmelte er hoffnungsvoll,
somit seine Träume rationalisierend; und es fiel ihm nichts Besseres zu tun ein, als
- »in den Spuren der Vorangegangenen, mon ami« - auf dem Platz zu sterben,
um es mit einem poetischen Bild zu sagen. Jede Woche konnte man denken: jetzt ist
Schluss. Jeder geht nach Hause und die Herren Öschen und Armand liegen mit
zertrümmertem Schädel neben der Seitenlinie, mit Schädel zertrümmernden Werkzeugen in
der Hand. Und die Aasgeier bohren ihre Krallen in die Querlatte. »Das ist
schön.« Aber wie die Zeit verging, denn sie verging, gewöhnten sie sich an die
neue Situation, sie verlor ihren Giftzahn: die alte Situation stellte sich wieder
ein. Doch das ist wieder deprimierender, als am untersten Grund der Dinge zu sein:
wegen des Fernbleibens der Katharsis.
»Wissen Sie, mein Freund, es gibt zwei Dinge, die ich sicher in meinem Leben
erreichen möchte (auf die ich scharf bin): Einmal den Ball vom Goli-Platz in die
Donau schießen.« - Herrn György ist dies bereits einmal Anfang der 70er Jahre
gelungen. Und einem gewissen Herrn Tibor gleich dreimal! Während ein und desselben
Spiels. Er wurde fast vom Platz gestellt. Aber das wäre ein bereits unerreichbarer
Wunschtraum. Das ist die eine Sache. Und die andere wäre, in einer unbestreitbaren
Fair-Play-Situation, in der er den Einwurf pflichtgemäß zurückgeben müsste, würde er,
bimm, über die Seite davonwetzen und dann »mitten hinein, zwischen die
Augen«! - »Und sich hinterher, natürlich, entschuldigen.
Wunderschön.«---------- Einmal ergab es sich, dass er und Herr Marci an der
Mittellinie spazierten. Man hatte sie vorgeschoben. Zwei einsame Spitzen. Sie
stromerten auf und ab (Platzwechsel etc.), ein paar Verteidiger begleiteten sie. Herr
Marci nahm den Gedanken an die Tarnkappe auf. Dabei handelte
es sich um ein gemeinsames Kindheitserlebnis, und die beiden Brüder wurden nun durch
dieses katalysiert. Mit großer Laune und Erfindungsgeist wälzten sie die Nutzbarkeit
der Kappe. Z. B. am 11-Meter- Punkt den Ball nicht vorm Gegner
wegschnippen, sondern den Fuß davorhalten, was so wäre, als würde der Gegner gegen
Beton treten! »Und der Ball, wie einer, dem man in den Arsch getreten hat,
plumpst zur Seite weg.« Sie kicherten am Mittelkreis vor
sich hin. Die Verteidiger wechselten Blicke, die Zeit verging (90 Minuten).
Als die Umkleide und der Duschraum aufgebaut waren, hielten sie ein Speckbraten ab,
ein feierliches Speckbraten nach dem Training. Es war eine komplexe Situation. - Er
mochte es sehr, wenn man von Zeit zu Zeit im großen Garten der Familie zum
Speckbraten zusammenkam! Das aufziehende Übelsein wegen des rußigen Fetts, der
Gegenangriff des Rotweins, der verbrannt-süßliche Geruch des Specks noch tagelang in
der Jeans - im Hintergrund der alte Zigeuner mit dem Il Silencio, im Unterhemd, wie ein gewitzter
Italiener!
»Meister«, der Meister log Herrn Armand vor dem Training an, »ich bin
schmerzhaft.« - »Was ist?« - »Knöchel gerissen.« Dieser
ländliche Ausdruck rief Heiterkeit hervor. Seitens Herrn Armands hob folgende
Frage-Feststellung sein Haupt: »Was ist, Pepe, ist dir der Stift auf den Fuß
gefallen?« Alle lachten über alle. Diese Leichtigkeit des Herrn Armand war, wenn
man Herrn Armand kannte, zum Weinen.
Das Training - lockeres Durchbewegen - begann und der Meister ging los, um ein paar
verlässliche Spieße zu erjagen. Er nahm seinen Weg bedauerlicherweis’ zum
Akazienwäldchen; doch er hielt tapfer durch. Obwohl, ohne die Aushilfe des Rechten
Verteidigers hätte er vielleicht aufgegeben. Der Rechte Verteidiger war mit
Verspätung gekommen, entschuldigt, er musste seine zwei Kinder ins Krankenhaus
bringen, weil sie keine Luft bekamen. »Péter, mein Lieber, also so was hab ich
noch nicht gesehen. Haben sich nur so herumgeworfen. Die Frau und ich haben eine
Weile zugeschaut, ich hab meinen freien Tag, weißt du, da lieg ich manchmal den
ganzen Tag im Bett, ich steh nur auf, um mir den Wanst vollzuhauen, aber manchmal
bringt mir die Frau das Essen auch rein und dann behalte ich sie gleich da, verstehst
du?! ... Fraulein deck dich, wie im Märchen.« Der Rechte Verteidiger schnitzte
mit geübter Hand. »Musst das dickere Ende anspitzen, Gräflein.« -
»Wissen Sie, mein Freund, diese Spieße waren so mickrig, da gab es kein dicker
oder dünner!« Und was der Meister da noch gar nicht wusste: der Gewinn, das
künftige Qualmen bei der Berührung mit dem Feuer, das Zischen, das Perlen! Dieses
dickere Ende war sowieso eine ganz neue Information für ihn! Denn was nützte die
Routine im Garten mit Il Silencio, dort hatte Herr György, der Teure, alles
professionell vorbereitet. (Der kleine Meister ging einmal mit Herrn György über die
Zigeunerzeile, sie waren einer wertvollen, verrosteten Fahrradkette hinterher. Doch
auf das Kreischen einer zahnlosen, verfetteten, wenn auch mit tausendschönem Haar
ausgestatteten Frau hin fingen sie zu rennen an. Sie wurden auch gejagt, weil sie
rannten. Herr György vollführte ein seitdem zum Klassiker avanciertes Geschrei:
»Brave Leut, zu Hilfe! Brave Leut! Zu Hilfe!« Die- ses
»Braveleut« kehrte jahrelang zurück, als Spott. Der Meister war genauso
dabei, Fersengeld zu geben. Hier hatte angeblich einer aus der Verfolgergruppe der
Zigeuner gerufen, die Mutter des Meisters und des noch knirpsigeren Herrn Györgys sei
eine Grafsche. Hier sollen sich die beiden eingeschüchterten
Kinder angeblickt haben, gleichzeitig verlangsamten sie. Sie warteten, dass die
anderen sie einholten. »Deine Mutter ist ’ne
Grafsche«, sollen sie zu irgendeinem schmuddelgesichtigen, nichtsdestotrotz so
im Nachhinein liebenswürdigen Knäblein gesagt haben und schlugen ihm die Fresse ein,
und umgekehrt.)
»Ich dachte, sie machen nur Theater, deswegen werfen sie sich so herum. Der
Größere ist so. Aber dann, du, das ist viehisch interessant, Peti, wir liegen so da
mit der Frau, du, Alter, ich weiß nicht, wie’s bei dir ist, aber ich bin seit 7
Jahren verheiratet, und mich überkommt’s immer noch heiß, wenn ich die Frau
sehe.« - »Mich überkommt’s auch heiß«, sagte der Meister
mitfühlend und wurde rot. »Ganz plötzlich sind wir erschrocken, und völlig
gleichzeitig. Zum Kuckuck aber auch!« Der Meister hörte
zufrieden sein Wort, das Lehrergebnis. »Hoch mit der Bux, die zwei Kinder untern
Arm, die Treppe runter, das waren vielleicht viele Treppen, wie ein Aufbautraining,
hin zum Motorrad, ab ins Krankenhaus. Ein Glück, dass es nah dran ist.« -
»Hast du noch deine gehäkelte Bux?« - »Bist du
deppert?«
Sie arbeiteten wortlos, der Meister zischelte, wenn er in Dornen griff. Der Rechte
Verteidiger erklärte geduldig die Tricks des Entlaubens und Rutenschneidens.
»Ich habe dein Buch da gelesen«, brummte der Rechte Verteidiger. Der
Meister nickte traurig. Der andere schnitzte. »Ich lese so was normalerweise
nicht (tu so was nicht lesen). Ich rackere mich ab für die Knete, hab wen, für den
ich’s ausgeben kann, und danach schlafe ich. Ich verdiene es, oder etwa
nicht?!« - »Ich kann’s mir vorstellen«, sagte er verschlossen.
Er befreite den Ast von den Zweigen. Das Messer rutschte immer wieder ab, er erschrak
jedes Mal ein bisschen. »Paar Sachen haben mir gefallen, ’n paar
nicht.« - »So ist das meistens.« Der Rechte Verteidiger schüt- telte
den Kopf, auch die Antwort gefiel nicht, und vielleicht hatte auch der Meister etwas
anderes sagen wollen. (»So geht das.«) »Warte mal.« Er kniff
seine winzigen Augen noch mehr zusammen, fast schon schielte er. »Warte mal. Es
ist nicht so, dass ich es nicht verstanden hätte, Pepe, natürlich hab ich’s
auch nicht verstanden, aber ich hab mich vor allem selbst nicht verstanden.«
In der Hand des Meisters blieb das gefährliche Werkzeug stehen, er sah sich diesen
langsam Fett ansetzenden, konsolidierten, fast dreißigjährigen jungen Mann an. (Dem
er gerade zu dieser Zeit etwas gram war, denn dieser hielt ihn
bereits seit Monaten hin, er würde ihm ein Buch über Taubenzucht mitbringen, das er
unabdingbar benötigte. - Er ließ seine Mannschaftskameraden für sich arbeiten. Er
ließ sie nicht nur langen und ausschließlich nach einem ausdauernden Laufen als
unerreichbar einschätzbaren Bällen hinterherrennen, sondern auch Daten. Der Halblinks
musste über die Vergütung der Weberinnen Nachricht bringen. »Sie verdienen gut,
aber es ist eine Scheißmaloche «, sagte der Halblinks. »Genauer, mein
Junge, ich brauche es ganz genau.« - »Wozu?« - »Wozu, wozu?!
Dazu.« Womit der Faden abgeschnitten gewesen wäre. Doch die Beauftragten
arbeiteten mangels einer Motivation ziemlich faul. Das gab dann auch ein Anfahren.
Giftig sprach er einen Schwänzer an: »Fichte, ich mach einen [-]Helden aus dir,
dass es nur so kracht!« Die Jungs lachten nur und lachten
- aber ein bisschen waren sie schon eingeschüchtert.)
Das Messer hielt also inne, des Meisters Blick glitt über die verräterische, füllige
Figur des Rechten Verteidigers, und er sagte leise: »Danke.« Um seine
Rührung zu verbergen, rief er aus: »Guck mal, Kumpel.« Doch dazu bedurfte
es des Glücks, »und diese Glücksfälle, mein Freund, habe ich bisher immer
erhalten von der Welt*
n
«, nämlich, dass gerade
zwei Handballerinnen vorbeikamen. Die zwei besten Torschützinnen. »Was für ein
Fichte Sport«, manches Mal schnitt der Meister das dankbare Thema an, »wo
eine Regelwidrigkeit eine gebräuchliche Form der Ballabnahme
ist?!« (Das ist tatsächlich so. - E.) »Was ist los, Schönheiten, seid ihr
Zwillinge?«, rief der Rechte Verteidiger, während er dem Meister zuzwinkerte.
Die Kleinere war drauf und dran, etwas zu antworten (sie hätte: ja gesagt, oder:
nein, oder: ein bisschen sind wir Zwillinge), aber die Größere, obwohl sie auch
lachte, stieß sie mit dem Ellbogen an, so dass sie nichts sagte. Sie hatten
Kattunkleider mit roten Rosen an und die gleichen grünen Schuhe. Sie sahen furchtbar
aus: sie waren wunderschön. »Wieso froren sie nicht?«
Jegyzet Ungarn
»Seid ihr Zwillinge?... Weil wir, mit dem Petyka, sind Zwillinge.«
Daraufhin hielt sogar die Größere an. Das hätten sie nicht gedacht. »Ihr?«
Der Rechte Verteidiger umarmte wie ein schlechter Schauspieler - »wie ein guter
Schauspieler, mein Freund, der spielt, dass er ein schlechter Schauspieler ist«
- den Meister. »Klar, wir. Nicht wahr, Petyka? Wir sind ein Zwillingspaar.«
Das betonte er so - ein, Paar - , als sähe er einen
Widerspruch hinter den Dingen. Der Meister lachte vor sich hin. Für die Mädchen wurde
alles plötzlich nicht mehr so interessant. »Schön für euch«, sagte die
Größere und ging los. Doch der Rechte Verteidiger wollte das Abenteuer nicht so
einfach verplätschern lassen, er gellte ihnen mit großer
Stimme hinterher: »Klar ist’s schön für uns. Aber zusammen wär’s
auch schön! Na?!« So wendete sich alles wieder zum Guten:
die Mädchen drehten sich um und lachten, die Kleine wie die Große. »Die sind
total verliebt in uns«, sagte noch der Verteidiger wie nebenher und fing an, die
Spieße zu zählen.
Der Meister warf einen Blick auf seine Uhr. Er musste gehen. (Was hatte er zu tun?
Was konnte wichtiger sein? Vielleicht ... vielleicht musste er schreiben? Und was?
Bestimmt haben wir nicht so ein Glück, dass er ausgerechnet das aufschreiben ging, aber im Grunde ist das auch egal. Es ist, als wäre er
tatsächlich deswegen gegangen ... Die immergrüne Tragödie, und wie flach!) Die Jungs
hatten sich schon angezogen, taxierten misstrauisch die Spieße. »Die feinsten
Stücke, aus der Herstellung namhafter Meister ...« - »Welchen hast du ge-
macht?«, fragte Herr Icsi vorsichtig. »Oh, die schönsten habe ich hergestellt. « - »Trotzdem, konkret, welche?« -
»Du wirst schon sehen, die mit dem ästhetischen Schwung ...« - »Und
dann: Krach«, warf Herr Icsi ein. Der Meister nickte glücklich zu dieser
versteckten Ars poetica: »Ja, ja. Und dann: Krach.«
Die Speckstreifen kamen auf die Spieße und vorne, auf die Spitze, wie eine
»kleine, kokette, molette Dame«: die Zwiebel. »Ich muss gehen.«
Doch der Geruch des frischen Brotkantens - des Scherzl -
machte ihn ganz wild. Er säbelte ein bisschen Speck ab. Stützte ihn mit dem Daumen
ab. Der Block erzitterte, sein Finger sank ein, das Material wurde dichter, auf der
Seite glänzte, wie Schweiß, das Fett auf. Sein Messer arbeitete sich beschwerlich
nach unten, bocksprang, scheute wie ein störrisches Pferd, die Speckspalte schaukelte
im Rhythmus seiner Bewegungen, es war zu befürchten: sie zerreißt.
Grob, mit einer für andere typischen Eile, zerpflückte er eine Zwiebel, aß einen Teil
»auf der Stelle« auf, legte einige nicht unversehrte Ringe auf den Speck,
anschließend alles zusammen auf den Scherzl. Er schlang. Die anderen steckten
entweder noch in den Vorbereitungen oder ließen, bereits am Feuer sitzend,
amateurhaft die Spieße in die Flammen hängen. »Über der Glut, ausschließlich
über der Glut.« Gemeinsam war ihnen, dass sie nicht aßen. Der Meister stand im
Hintergrund am verrosteten Geländer und stopfte sich hastig schlingend den Stoff
hinein. Eine dissonante Erscheinung, der Situation würdig. »Eine der
erbärmlichsten Sachen überhaupt, mein Freund, ist es, beim Speckbraten rohen Speck zu
essen. Eine der erbärmlichsten ... Vielleicht nur noch vergleichbar mit Tee mit Puderzucker.«
Zu einem alles entscheidenden Spiel kann man auf zwei Arten gelangen:
und
. (»Das Happyend
warf seinen Schatten voraus. Seinen großen, schwarzen Schatten.«)
Das Spiel war noch in vollem Gange, aber es war schon entschieden. Herumgelaufen
wurde natürlich noch. Auch der Meister selbst, obwohl er nicht am Ball war,
»heizte los«, nicht gerade ohne Sinn und Verstand, aber möglicherweise:
unnötig, machte Platz für den Halblinks, der das - der Meister kennt ihn gut - ohne
Zögern wahrnehmen und (in einem sanften Bogen) an den verwaisten Platz des Meisters
laufen würde: was für Konsequenzen wiederum Herr Csucsu, möglicherweise gerade in
Ballbesitz, daraus ziehen würde: das war überaus nebulös. Doch bevor Zweifel und
Hoffnung erblüht wären, kam ein Verteidiger heran und warf Esterházy in seinem
endgültigen Elend hin. - Wohin, mag ein Outsider fragen; der Verfasser dieser Zeilen
setzt eine gewisse Bewandertheit voraus. - Eine groteske
Szene! Er, der er ist, wer und was er ist, wird nach kurzem Straucheln auf die
Schlacke stürzen, und um die - ich sage es, wie es ist! - Lächerlichkeit seines
Sturzes zu mindern, streckt er beide Hände vor, damit es fast schon so scheinen möge,
als würde sich die Haut nur an der Handfläche hie und da öffnen (dass sich die
»schöne Schlacke« »zugleich« dorthin »traute«), doch
dann, als etwas später und von einer unbekannten Stelle die Beine ankommen°, wird
sich mindestens ein Unterarm nach außen biegen, welchen der Brustkorb entweder sofort
unter sich begraben wird, oder es wird zuerst der Körper über seinen kurzen
Kreisbogen rollen: so oder so: der Ellbogen wird aus mehreren Wunden bluten.
°Für die Bequemlichkeit des gebeugten Lesers schalte ich hier eine kleine Geschichte
ein, nicht als Fußnote, obwohl es, Gott ist mein Zeuge, gerade
hier stilvoll wäre, eine kleine Geschichte, welche sowohl den Meister als auch die
Welt beschreibt. Es geschah, dass ich wusste: wir werden uns irgendwann, irgendwo
begegnen - die zerklüfteten Wege der Seele! -, und ich dachte, ich werde ihm zu
Gefallen sein und besorgte ihm »Kanonendonner und Jungfrauen im weißen Chorhemd
«, zumindest behaupteten sie, welche zu sein, und ich hatte keinen Grund, zu
zweifeln. - Niemals, und sei es auf noch so taktvolle Weise, spielte ich ihm
gegenüber auf das jus primae noctis an. - Doch er wies diese puritanisch von sich.
»Mein Freund, beruhigt Euch. Ich bin jetzt als Privatperson hier. So zittert
nicht wie Espenlaub.« Er hob den Fuß und drehte ihn aus dem Gelenk. Es gab einen
eigentümlichen Ton von sich, als würden jedes Mal sämtliche Knochen dort zu Staub
zerbersten. »Das ist beim Danuvia-Spiel passiert ... Ich hätte sofort vom Platz
sollen ... Sofort, nachdem es gekracht hatte ...« Mit Inbrunst - »mein
Freund, dieses narzisstische Selbstgefallen, wie ich es aus der Feder der Gräfin
Hahn-Hahn lese, ist das angebracht?« -, mit Inbrunst lauschte ich ihm. Was für
Details, was für Details! Doch hier versteckte er plötzlich seine Füße, zog sie unter
sich, so gierig und mit solcher Hast, als würde er sich ärgern, und zwar über sich,
weil er zu viel von sich »herausgegeben« hatte - »ha-ha-ha: der
Magvető Verlag!, der war’s!« -, und nahm mit einer energischen Bewegung
sein Campari-Glas zur Hand. (»Mein Freund«, sprach
er mich an, an einem der letzten Tage, als die kühnen Stapel der Durchschlag- und
Schreibpapiere bereits in Bereitschaft lagen, »mein Freund«, fragte er mich
mit lockerer Zunge, während sein Herz von einem eisigen
Schrecken durchdrungen ward. »Still«, sagte ich respektvoll, selbst
ebenfalls auf die Papiere schauend. Denn tatsächlich bin ich
ihm ein Staudamm, doch er, wie die Flut, stürzt über mich hinweg. Sein Fleisch-und-Blut! Der Ärmste.)
Reden wir über etwas anderes. Er drehte das Glas gegen das Licht. »Wir reden
immer über anderes.« - »Gefällig.« Doch anstatt der befangenen Stille
folgte der Schwung. »Erinnern Sie sich, mein Freund,
während des Krieges, simmm-summm, sssch, paff, plumpsten die Bomben hernieder und auf
einmal rief einer heraus: Es sind Unsere!, und zerlumpte
Soldatenmützen und zivile Kopfbedeckungen flogen gemeinsam hoch, hoch!« Ja, der
Luftdruck ... »Einen Schmarrn, der Luftdruck. Äch, Sie ... Nicht der Luftdruck: die Freude!« Das Campari-Glas perlte vor Kälte.
»Na, sehen Sie, wenn ich also durch das leichte Aneinanderstupsen meiner Beine
oder durch eine andere, eventuell gröbere Idee auf dem Boden lande, während von einer
unbekannten Stelle die Füße ankommen, rufe ich beinahe aus: Es sind
Unsere! Und dieses Gefühl ist unabhängig davon, ob der Fall sich innerhalb
oder außerhalb des Strafraumes zugetragen hat oder vielleicht genau auf der
Linie.«
56 (Parthenogenese) In seinem vom Maschineschreiben herrührenden Elend bat der
Meister seinen Vater, für ihn zu tippen. Zu seinem Unglück war gerade eine einschlägige Passage dran. Der Vater meldete Kritik an.
»Zweifellos gebildet; man hat ihn studieren lassen, undsoweiter... « -
»Was soll das heißen, Kleppervogel? Was soll das heißen,
Kleppervogel?« Er war getroffen. »Fattachen«, die Hölle brach los,
»halt deine Bildung zurück und tippe.« Ohne Frage: das waren harte Worte!
Dann, als das Tippen bei der Stelle angelangt war, wo es hieß: »ich liebe den
Vater des Meisters, schließlich ist er der Vater des Meisters«, sagte der
Meister, der auch die Satzzeichen ansagte: »Der Vater des Meisters, zwei
Ausrufezeichen.« - »Damit kann man mich nicht bestechen«, schnaubte
der Vater des Meisters. Der Herr der (seiner) Welt winkte ab. »In Ordnung.
Sollen es drei Ausrufezeichen sein!!!«*
n
- »Sehen
Sie, mein Freund, hier kann man mit Recht sagen: das ist keiner, der weder Vater noch Mutter kennt.«------------ Er
durchforstete den Berg der Fahnen. Doch das geschah bereits zu einem so späten
Terminus, dass es kaum mehr registriert werden konnte. Nur so, im Nachhinein, zum
Ärger (und auf Kosten) der Druckerei. Wir sind nach Art einer spät reifenden,
saftigen, spätsommerlichen Frucht. »Die Zeichen mehren sich, mein Freund, dass
etwas anfängt, sich aufzufressen. Die Dekadenz der Jetzt-Zeit, Täubchen; und wenn
unser Milieu ein anderes wäre, würden wir eine harte, traurige Orgie veranstalten,
zechten bis zum Morgengrauen, wie im untergehenden Rom ... Die
Vehergähänglichihkeit«, trällerte er noch. Diese Aussage hatte etwas von einer selbstgeißlerischen Traurigkeit; sehet, das Leben des
problematischen Individuums. (Wir lesen.) Ja, das sind bereits die Farben des Abends:
sie sind reicher, harmonischer als die Farben des Tages, der Schatten der Nacht
dunkelt bereits in ihnen. Die Korrekturfahnen also. »Schau, Gittu, wie viele
Frauen mich gesetzt haben!« Denn über der Fahne stand zum
Beispiel: 78 8943 0017 001 Veronika Bursits 78 8943,17. Produktionsroman VII. 31. 9.
masch - woraus er herausfilterte, dass am 31. Juli und am 1. August 9 Frauen auf ihn angesetzt worden waren. Éva H., Magdi Sz., Éva Urbán,
J. Ács, Fr. Sziklafi, Judit Bellér, Fr. Szabó, Irén Gombos, Veronika Bursits.
»Ich hoffe, Jot Ács ist auch eine Frau«, murmelte er und freute sich gar
sehr über diese ganze Sache, schwenkte glücklich die Abzüge
mit dem Damenkranz. »Judit Bellér ist bestimmt groß«, kalmäuserte er.
»Oder klein.« - »Oder eine sog. Mittelgroße«, Frau Gitti gab sich
pikiert. »Hmm«, Esterházy zog sich zurück in innere, fachliche Gefilde,
»das hier gilt, lediglich, für die erste Ausgabe. Wie gebunden
wir uns fühlen!« Und der Horicont, guter
Herr!?-----------»Bodoni halbfett«, sagte er einmal über eine
»beleibte, sinnliche Tschechin« auf dem Platz der Solymárer
Ziegel.------------Es wurde auf die begrenzte Korrektur aufmerksam gemacht. Gehemmt
trat er aus dem Paternoster, dabei muss er immer an den Sohn des Linksaußen Herrn
Kocsis denken, dessen Knöchel von so einem Apparat mitgenommen worden sein soll, und
von da an ging es abwärts mit Herrn Kocsis Laufbahn, das Kinn des Meisters knisterte
vor Bartstoppeln, und er blickte liebenswürdigerschrocken umher, ob es jemand gehört
habe, »wie das Wachsen der Gräser«. Blinzelnd fand er die entsprechende
Verlegertür; die er suchte, telefonierte gerade, beim Anblick des Meisters hielt sie
den Hörer von ihrem Mund weg. »Nur ein Scherz«, flüsterte sie und senkte
für einen Moment die Wimpern. Der Lippenstift war frisch aufgetragen, amtlich.
»Was schauen Sie«, fragte die, die der Meister suchte. »Sie«,
flüsterte er geschickt, so dass alle lachten, nur die nicht, die der Meister suchte.
Man redete über dies und das, währenddessen er listig herausbekam, dass: »pro
Wort, Satzzeichen, Wortzwischenraum drei dreißig Forint, in den Fahnen, im Umbruch
sechs fünfzig«. Es wurde für selt- sam befunden, dass er dies aufschrieb. (Für
viele ist er keine Perle.) »All dies ist vielleicht nicht ganz genau so
wahr.« - »Wahr ist, was voranbringt.« - » Siehe , so ergötzt sich ein ungarischer Sorgfalter!" «
------------Wussten Sie, mein Freund, dass Claude Garamond 1480 das Licht der Welt
erblickte und sein fackelgleich loderndes Leben 1561 aushauchte!?« Er stolpert
zwar, doch fällt er nicht.
Jegyzet Sagen wir Dank , dass
dies - bzw. das da oben - nicht
der Vater des Meisters tippt. D a könnten wir was erleben ...
57 Dass er in notwendiger Weise zur Feder greift, kann auf tausendfache Weise
passieren und es passiert auch. Dennoch ist ein In-Verwirrung- Geraten spürbar, wenn
dies durch etwas Unerwartetes »zusammengebracht «
wird, das eventuelle Vorstellungen über den Haufen werfen
könnte. Das können wir hier auf Schritt und Tritt verfolgen. Das Fass lief (zum
zweiten Mal) über, als wegen, nach einem wegen einer aufgeregten Nachricht eilig
besorgten Telefonats, erneut ein Zur- Feder-Greifen erfolgte.
»Mein Freund«, es brach mit ehrlichem Minderwertigkeitsgefühl aus ihm
heraus, »das ist furchtbar. Es wird dicker als ...« Er wagte es gar nicht
auszusprechen.*
n
Ein
anderes Mal jedoch legt er dasselbe mit jungenhafter Oberflächlichkeit trocken:
»Hey. In uns ist ein Mór Jókai nicht verloren
gegangen.« (Heimisch im Himmel wie in der Hölle sind sie!) Doch nach jenem
Telefonat sagte er: »Sehen Sie, mein Freund, wie zufällig alles ist! Der Roman,
der sich selbst schreibt.« Er sann nach. »Wo trennen sich wohl Philosophie
und Klatsch?«
Jegyzet Verschleiern wir es nicht: Er dachte an das
Buch des Herrn Géza. (Ottlik, Die Schule an der Grenze.) Er
liest periodenweise darin, damit er weiß, »wo es langgeht «.
bei einer für mich angenehmen Gelegenheit fragten Sie mich nach Methoden, die
Mathematizität etc. Ich wich Ihnen auf meine übliche Art aus. (Die natürliche
Musikalität, brabbelte ich.) Auch jetzt zwingt mich nur die Not dazu; doch ich will
nicht klagen, sondern eine prinzipielle Grundlage schaffen. Pardon. Was nun folgt,
ist keine »Erkenntnis «, sondern »die Stimmung einer
Periode«.
Was ich sage, gilt leider sogar für Meisterwerke. (Obligatorisch: geschweige denn
...) Dass »das Gleiche« tausendfach gemacht werden kann, und es wird gleich gut. Diesem »Toben der Beliebigkeit« meinte
ich zu begegnen, indem ich zuließ, dass es sich selbst vorantreibt, soll sich die
Schrift selber schreiben, soll die Willkürlichkeit des »persönlichen Tages«
sie gestalten. Tatsächlich löst das die Frage der »Einstellung « (das ist
nicht wenig, hoho!, keineswegs), doch nicht die der Praxis. Die Welt muss ihren
Beschreibungen entsprechen, durfte ich unlängst gerade von Herrn Imre hören. Aber
damit wäre ich wieder bei der Beschreibung angelangt.
Dass es sich stets lediglich um eine Version handeln kann, war
natürlich immer offensichtlich - wenn einer auch nur ein bisschen Verstand besaß - ,
und ich kann mit meinem verdammten Sprachgefühl neben den Wörtern sitzen und kann
mich blind schreiben, wie mein studierter Freund Herr James (der Ire), und kann ein
Wort gegen ein anderes austauschen, und das ist dann entweder besser oder schlechter,
genauer gesagt: nicht besser. Dort - bis jetzt, einschließlich dieses Buchs - wird
die »Einstellung« so gelöst, dass man auf die
»Selbstformulierung«, das Entstehen einer Stille
(usw. usw.) hoffen kann, welche - über den Text huschend - im Nachhinein den Platz
des einen oder anderen Wortes mehr oder weniger irrelevant macht.
Ein anderes Mal (deswegen sage ich, dass es keine »Wahrheit« ist, was ich
sage, sondern »Empfindelei«), ein anderes Mal aber bleibt eine Gereiztheit
wegen dieser Freiheit zurück; da diese die Welt (gar nicht mich!) mit einer
unerwünschten Verantwortungslosigkeit kleidet. Das war dieses Mal der Fall. Jetzt
sehe ich die Lösung in einer Art »Zwangsstand«, in einer »unserem
Herzen nahestehenden Funktion « (die die Zuordnung zwischen einem gewissen
Wortarsenal und einer gut definierbaren Totalität bestimmen würde). Was ich erzählt
habe, ist für mich die Praxis. (Heißt: ist keine Theorie, und: heißt: sie wird eine.)
(All dies ist offensichtlich keine »Form«, das heißt, wenn es »und
Inhalt« gibt.) - Bemerkung: die Sache mit der Funktion ist nicht so
erschreckend: das Herz will jenseits allem doch nur hoffen.
59 Eine Gegend vor dem Spiel ist leicht zu erkennen. Langsames
Rieseln der schwarzen - denn aus entsprechender Entfernung sind sie schwarz -
Menschen. »Ein liegender Schneefall, aber wirklich!« Natürlich ist nicht
von den unmittelbar vorangehenden Minuten die Rede, nicht von den drängelnden
Laufschritten! Nein, eher von »gegen Ende« der ersten Halbzeit des
Vorspiels! Vor sich hin spazieren, einkehren auf einen Schluck Bier, ein Wort mit
einem Bekannten wechseln, der am Gartentor steht, im Bad ostdeutschen Fräuleins
hinterherpfeifen, den Kindern Schäferhunde und Schäfchenwolken zeigen. »Na,
Murkel, das ist eine Schäfchenwolke ... Den Häcksler kennst du jetzt auch
schon.«
Um dem Adabeitum zu entgehen, das ihm durch ein Hinzustoßen zu
diesem lockeren Zug zuteilgeworden wäre, legte der Meister mit seinen langen,
»musizierenden« Schritten beachtlich zu. An der Ecke, vor ihm, hob ein
Unbekannter die Hand zum Gruß. Auch er stellte zur Erwiderung seine offene Handfläche
auf. Der so Gegrüßte rührte sich aber nicht (in vier Richtungen: nach vorne Richtung
Feld, nach hinten Richtung HÉV, weg und zum Meister hin); was so viel bedeutete, dass
der Unbekannte: ein Bekannter (!) war und auf den Meister wartete.
Es war der Linke Verteidiger. »Grüß dich, Pepe.« - »Servus, mein
Junge.« Sie gaben sich die Hand, kraftvoll, männlich. Der Linke Verteidiger war
ein sehr zeremonieller Bursche, beim Händeschütteln spannte sich sein Gesicht an, die
braune Haut glänzte regelrecht feierlich. Und er gab immer jedem die Hand. Ein
ernsthafter Mensch mit einem eisernen Griff. (Gegeben ist ein Richter, er hat schon
viele ihrer Spiele geleitet. »Ein Aas.« Er [der Meister] wurde so manches
Mal gefragt, wieso er dem einen oder anderen Schiedsrichter-Sportskameraden die Hand
gegeben habe. Er sagte einfach: »Das ist mein Job.« [Er ist der
Mannschaftskapitän.] Zurück nun zum erwähnten Schiri. Dem Meister fiel bei der der
Spielhälftenwahl vorangehenden Zeremonie auf, was für einen laschen Händedruck
Genannter hatte. »Wie Schmelzkäse. Mir troff die Hand, Alter, von dem
Händedruck.« Nach dem Spiel nahm ihm dann der Meister, nachdem er für sich eine
negative Meinung über dessen Wirken formuliert hatte, besonders übel, dass: »er
in meinem Alter war, mein Freund, und wissen Sie, wie er sprach ... er sprach wie ein
... und er war in meinem Alter«, nun, hier heckte der
Meister einen teuflischen Plan aus. Er schickte den Linken Verteidiger hin und sagte
ihm auch, wieso. Also das hätte man sehen müssen! »Danke«, der Linke
Verteidiger nickte und zapp! schnappte die eiserne Hand zu. Der andere jaulte fast
los, zappelte, lief rot an und sie sahen zu. »Danke,
Schiedsrichter-Sportskamerad.« - Bezeichnenderweise hielt Letzterer die
Bierflasche später in der anderen Hand, während diese leblos
herunterbaumelte. Doch den Meister beschäftigte zu diesem Zeitpunkt bereits, wieso
man dem ein Bier gab; er war dagegen und andere auch.)
Dem Linken Verteidiger war gerade ein Sohn geboren worden. Die beiden Väter tauschten
stölzliche Erfahrungen aus! Hierbei lachte der Verteidiger groß heraus, sein breites
Zahnfleisch war auffällig zu sehen, und er schlug sich auf die Schenkel. Und bei
einer Gelegenheit brachten sie die Grasmücke gemeinsam ins Krankenhaus. Der Meister
trös- tete den linksfüßigen Stürmer. »Du hattest recht, Alter, ein echter Stürmer musste da rein!« Es gab auch einiges zum
Trösten an der Grasmücke: seine Nase war jetzt weiter rechts
platziert, als hinge sie ihm aus dem rechten Auge heraus. Der Meister beobachtete die
Wanderung der Nase mit besonderem Mitgefühl. Was verständlich ist. Er tröstete, doch
er bewahrte sich einen ehrlichen Zug. »Ja, ein echter Stürmer, zweifellos.«
Er schwenkte den Kopf. »Aber, Fichte, wer auch nur ein bisschen Verstand
hat!« Der Linke Verteidiger schlug sich auf die Schenkel. Der Orlow’sche
Rappe war gut beladen. Selbst die Frau des Linken Verteidigers saß mit drauf. Wenn
der Meister im Sattel in den Rückspiegel blickte, waren die hell-lichternen
Änderungen des Straßenverkehrs das Letzte, was er dort zu sehen bekam. Stattdessen
was? Vor allem nichts anderes als das Schnütchen der Frau des Linken Verteidigers!
»Hmm«, sagte er bedächtig blinzelnd, »wie gut der Spiegel heute ist!
Selten, dass er so ein blendendes Bild zeigt!« Der Meister als Schöntuer; dazu
sagt er, dass er ein Ehemann-Typ sei! Doch die Frau des Linken Verteidigers fing zu
kichern an. Der Meister fragte schnell: »Tut’s weh?« Die Grasmücke
nickte-------- vor dem Spiel stützte er sich mit dem Ellbogen auf das Geländer auf,
die Zuschauer versammelten sich schon, die »B« war schon im Gange, und man
sprach ihn immer wieder an. »Peti, mein Lieber, werdet ihr gewinnen? « -
»Ich darf mich nicht äußern«, antwortete er scherzhaft und unaufmerksam;
alle vertrauten allen; da er ins Gesicht des neben ihm stehenden, die rigide
Eisenstange umklammernden Herrn Csucsu blickte, sah er dort dieselbe Angespanntheit
wie in seinem eigenen, und er sprach zärtlich: »Csucsulein, sag, drückt dich
hier dasselbe wie mich?!«, und zeigte irgendwohin zwischen Herz und Magengrube.
Herr Csucsu lachte ein bisschen, ein bisschen.
62 Das Dunkel senkte sich hernieder. Der Meister fühlte sich irgendwie
»unten«. Von dort aus sah er, dass die Pappeln gegenüber keine Ausdehnung
hatten, als wären sie aus Papier ausgeschnitten. An ihren
Stämmen zog sich die Fabrikmauer entlang, lang, weiß, still. Still wegen des
Sonntags. An der Mauer war keine Schrift zu sehen, aber er wusste, dass dort s lebe ie beiterklass stand. Alsdann sah er Riesenbesen in
den Bäumen. »Wer wohl so große braucht?« Er konnte es sich nicht
vorstellen. Ihn schmerzte der Reitmuskel.
Rechter Hand tauchte die Kneipe auf und er - quasi eilig, damit er es noch vor der
Ankunft hinter sich gebracht hätte - sagte zum neben ihm hertrottenden Libero:
»Du, es ist so leer hier drin, ich kriege kaum Luft.« Er zeigte auch drauf.
Der Libero war schon in der Tür, nickte. »Fichte.«
Sie setzten sich um den Zweiertisch, und die Biere kamen nur und kamen, als hätten
sie gewonnen. Er saß wortlos da; aber, damit ihn keiner danach fragte, sagte er
manchmal dies oder das. »Wer ist älter, der Bobiorr oder der Filesposito?«
Solche Sachen. Und selbst das in 3 Raten. »Ich gehe«, sagte er 1 Stunde
später, »Mitics muss gebadet werden.« Er stand schon im Mantel da, hielt
den gekreuzten Schal mit dem gesenkten Kinn bzw. dem Doppelkinn, als ihn jemand laut
fragte, ob denn der Meister wisse, auf welche Weise man messe, ob das Badewassser die
richtige Temperatur habe? Er hob mit unbewegter Miene seinen Ellbogen, schob sich,
von tosendem Applaus begleitet, zwischen den Stühlen hinaus und ging nach Hause.
»Du riechst vielleicht nach Kneipe«, schnaufte zu Hause Frau Gitti
liebevoll in die Luft. »Sprich nicht mit mir«, sagte er wild. (So viel
Kraft hatte er inzwischen gesammelt! Ich muss schon sagen!) Frau Gitti schwieg
verständnisvoll. Sie trat an ihren Gatten heran, strich ihm mit großem Mitgefühl und
Hilfsbereitschaft über die Stirn. »Wissen Sie, mein Freund, das war zu viel.
Dieses Betutteln.« In großer Erregung krallte er sich eine Nagyvilág - irgendwie fallen immer die zum Opfer - und jagte ohne ein Wort
aus der Wohnung, setzte sich draußen an den kalten Fuß des Zauns, von dorten starrte
er in den Himmel. Später schlich er zurück. »Entschuldige«, sagte einer von
ihnen------»Gittu«, sagte er, durch die Küche marodierend, bezüglich des
mittäglichen Huhns, »das ist aber kein Beefsteak!«
63 Der Meister saß in verzagter seelischer Verfassung auf der Ersatzbank. Mit ihr
verwachsen war er; jedenfalls wies nichts daraufhin, dass er jemals wieder aufstehen
würde. Das Spiel war längst vorbei, ein paar Leute standen beim Bier und schimpften
auf die Welt. Er knautschte seinen schmutzigen Frühlingsmantel - in diesem schlechten
Herbst - unter sich! Noch nie hatte ein Mensch ihn einen Mantel unter sich
zurechtrücken gesehen! Die Ersatzbank! Das Holz! - Einmal, als er gerade einen
Verteidiger von sich abgeschält hatte*
n
, blickte er zur Bank hinaus, wo die
Ersatzspieler das bittere Brot der Ersatzspieler aßen, und die im Licht
herausfordernd aufblitzenden gelben Trainingsjacken sowie die Dank der Kunstfasern
sowieso schon glänzenden Hosen - nahmen ihn gefangen. Als er dann einmal in einem gelben Trikot und einer blauen Hose
hatte spielen dürfen - gut oder schlecht -, freute er sich minutenlang wie ein Kind.
»In Gelb und Blau?«, fragte am Nachmittag der Vater des Meisters und
lächelte zart (der Zahnstein).
Jegyzet
(Aus seinem Gesumm an der
Strafraumgrenze; in bestechender Form!)
3 Engel wachen über mich
einer am Kopfe
der zweite am Fuße,
der dritte erwartet meine sündige Seele.
Er sah zu Boden, in seiner Hand hing eine Flasche Bier. Sein Gesicht wurde dünner,
die Haut klebte ihm an den Knochen, er fühlte seine Gesichtszüge in seinem Mund.
Dadurch wies die Zeichnung des Mundes etwas nach unten. Diese Tragik stand ihm gut zu
Gesicht. (Herr Péter - es gibt so viele von ihnen! - machte einmal ein Bild davon. Es
war ein großer Nachmittag. Mauernd hatte er den »Schmalblendenfotografen «
geschmäht, doch dieser fotografierte wirklich. Das Foto [siehe Foto nächste Seite]
machte dem Meister später große Freude. »Ein gekreuzigtes Gesicht«, sagte
Herr Vasa; er liebt christliche Vergleiche von großer Kraft.)
Er schüttelte den Kopf, wie einer, der ein Selbstgespräch führt und sich gerade
widerspricht. (Kleppervogel - das konnte man nun auch von ihm sagen.) »Mehr
Licht!« Der schwungvolle Bogen seiner natürlichen Locken und die spontanen
Gruppen seiner Haare, die sonst beweglichen Büschel, wurden nun von etwas beschwert,
einem schwer formulierbaren Etwas, das man so nicht nennen kann: Schmutz; nicht, dass
es (das Haar) sauber gewesen wäre - nach vergangenen zwei
Wochen konnte davon nicht die Rede sein - ; doch die Steifheit des einzelnen Haars,
seine traurige Brüchigkeit, die Angst der aneinanderklebenden Locken, das auf diese
Weise hervorblitzende Ohr, »es gibt nichts, mein Freund, das verlassener wäre,
als eine aus dem Haarbusche hervorblitzende nackte
Ohrmuschel!« - wie ungreifbar ist all das! So, wie man auch den Wind am Haar
spüren kann: nicht die Zerzaustheit, der Griff! Es kam nicht selten vor, dass sie mit
Herrn Csucsu irgendwo standen, unweit einer grimmig flatternden Eckfahne, und
abhängig davon, ob sie als Zuschauer oder als Spieler dort standen, zog er das Trikot
um sich zusammen, es in die Faust nehmend und ein wenig anhebend, nach oben, zum Hals
hin, oder er stellte den Kragen seines abgetragenen Mantels hoch, und wie sie sich im
pfeifenden Wind zusammenzogen, mehr noch, ihre Münder auseinanderspreizend sozusagen
die Zähne fletschten, strich sich der Meister übers Haar, hielt anschließend betont
die Handfläche vor sich, die dazugehörigen Finger (»die Eigen-Finger, mein
Freund, die Eigen-Finger!«) wölbten sich zurückfallend über genannte Handfläche,
und er sagte: »Der Wind weht.« Voilá, ein Beweis.
Er spürte die Feuchte der vermoderten Sitzfläche. »Feuchte, feucht.« Seine
unbewusst kratzende Hand löste ein Stück Holz heraus. Es
zerfiel zwischen seinen Fingern. Ein »Farb-Plättchen« blieb an seinem
Finger kleben; er wischte es hinunter. Währenddessen fing das Etikett an der
Bierflasche an, hin und her zu rutschen. Auch dieses, hinunter: 10,5 B° 0,51 PN 8761
n
.
Jegyzet Verbraucherpreis in Verk- auf und Ausschank: 5,20 nicht
pasteurisiert haltbar : 8 Tage
Er hatte keine Lust, nach hinten, zu den Nebengelassen zu gehen, andererseits musste
er gehen. Das war kein Gehen, sondern ein Schleichen. Er blieb auf dem Lehmhügel
stehen, hinten, am Kesselhaus. Hier entstand folgende Aufnahme.
(Ich will gewiss kein Museum errichten, wo eventuell der Saalaufseher seinen Speck
verzehrt und seine fettige Hand an seiner dicken, warmen Flanellhose abwischt, ich
begreife den Meister als Menschen und gebe ihn in seiner Hinfälligkeit und seiner
Titangröße; ich bemühe mich, drängle, ziehe mich zurück, breite mich aus, beobachte,
halte durch! Verzeihung: schon wieder rede ich von mir!, ganz wie Herr Babits.) Auf
dem Bild sehen wir den Meister, wie er ein Kőbányaer Helles hochhebt, im Hintergrund
der Fußballplatz - »das furchtbare Viereck! «, rechts der aus der Zeit des
Aufbautrainings gut bekannte Berg. Die Große Kurve! »Wissen Sie, mein Freund,
der Sinn des Aufbautrainings ist, dass man das zu bewältigende Material gerade so
nicht schafft .« Der Meister wünscht sich die Große Kurve nicht einmal in seinen
Träumen. Schauen wir uns sein Gesicht an! Über allen Gipfeln ist Ruh. Selbst nach
solchen 90 Minuten war er in der Lage, etwas von den finalen Heiterkeiten aufblitzen
zu lassen! Neben ihm der gebrochene Herr Pék.
64 Er musste seine Frau Mutter anrufen, denn diese hatte angefangen, sich - als Folge
einer Telefonnachricht neutralen Inhalts von einer gewissen Stelle (»Seien Sie
so pett und sagen Sie dem Péter, er solle mich zurückrufen. Möglichst heute
noch.«) - aktiv und konkret Sorgen um ihren Sohn zu machen. Er präpelte lange
mit Gabel, Handgriff und Wählscheibe. Und dabei die Busse, Kräne und Zils im
Berggang! Während er dergestalt mit der Reihenfolge zu tricksen versuchte, erschien
in seinem peripherischen Sehen (Herrn Armands Wort) eine Frau.
Des Meisters großer und durchdringender Blick löste sich vom mattschwarzen, nach
Zigaretten riechenden klammen Hörer und er fragte mit ausladenden, konventionellen
Gesten, ob die Frau telefonieren wolle. Die Frau nickte taktvoll und fein ein
»Ja«, wie jemand, der nicht stören will, dabei hatte er noch nicht einmal
ein Freizeichen. Später hatte er eins, er wählte und sagte anschließend, während er
darauf wartete, dass sich der angewählte Anschluss meldete - »ich weiß nicht,
mein Freund, ob Sie es schon beobachtet haben, aber das ist so
ein verantwortungsloser Moment!« –: »Ich wäre nicht darauf gekommen, dass
Sie aufs Telefon warten. Sie stehen«, hier begann das Klingeln am anderen Ende
und er beschleunigte, »so bescheiden. Hier.« Das Gesicht der Frau verriet
nichts. »Wissen Sie, ich bin ein wenig kurzsichtig, und so konnte ich
nicht...« Hier meldete sich des Meisters Vater. »Ja!« - »Ich bin
es, wart ein bisschen, Alter«, und er flüs- terte überhastet der Frau zu:
»... so konnte ich nicht in Ihren Augen lesen!«
Dementsprechend fing der Vater das Telefongespräch mit einer verständlichen
Gereiztheit an. Doch wer denkt, dass der Meister sehr viel ruhiger gewesen wäre:
irrt. Er sagte etwas in der Art, dass er genug mit seinem eigenen Schrecken zu tun
habe, er habe keinen Bedarf am Familienschrecken. Der Vater des Meisters war
beleidigt, wie es auf seine alten Tage seine Gewohnheit geworden war, und sagte, was
das für Reden seien, ob es denn besser wäre, wenn sie sich keine Sorgen machten: wäre
das vielleicht besser? »Gib mir die Mam«, sagte er beileibe nicht
versöhnlich. »Hallo«, sagte die liebe Mutter mit einer vorurteilsvollen
Kühle. (Sie hatte den vorangegangenen Zank zweifellos gehört.) Der Meister war
plötzlich von Wärme überflutet, wie nach dem Nasenbluten. »Seht, Mamachen, kein
Wort«, denn er spürte genau, dass die Mutter dies oder jenes zu beanstanden
hätte, »es ist alles in Ordnung, das wollte ich nur sagen. Kuss, Kuss,
Kuss.« - »Auf Wiedersehen, mein Sohn«, sagte die Mutter, reserviert,
aber auch gelöst.
Er schwieg heftig. Der Schiedsrichter hatte schon das zweite Mal gepfiffen, drängend.
»Mein Freund, was schassieren Sie hier von keinem her in Ihrem eigenen und
anderer Leute geraden Winkel? Grätschen Sie nicht Ihre schützende Hand über
mich!« Sein Blick beschlug. »Sehen Sie, mon ami, ich habe mich der Wahrheit
verpflichtet. Deswegen bekomme ich mein Geld vom Staat...« Er richtete seinen
Stutzen, den er nie in der Lage war, ordentlich »anzulegen«: Er zog ihn
hoch wie einen Strumpf und den Zubinder fädelte er unter den Gummi. Tja ... Seine
Lippen wurden ein wenig weiß. Der Meister ist eine lebenslustige Figur, aber manchmal
wird er weiß. »Und für den Schrecken, den Sie in den Augen meiner lieben Mutter
sehen können, zum Beispiel jetzt, mein Freund, in diesem Augenblick, jetzt, da ich
ihr diese Zeilen zeige, in ihren grüngrauen wunderbaren Augen, verdient jene Zeit
doch jede Rücksichtslosigkeit! Jede, auch von mir.« Ich würde gerne sagen, dass
... »Nein!« Er trat aus der Tür der winzigen Ankleide, zog instinktiv den
Kopf ein - wenn sich hier einer stößt, bricht das ganze Gebäude zusammen –, und bei
seinem Heraustreten ertönte das enthusiastische, magere »Los, Jungs!«, und
der Vater des Liberos nahm das Bier von seinem Mund: »Peti, mein Lieber, haut
ihnen zwei rein, dann können sie nach Hause. Zu Mutti.«
65 Der Libero erzählte dem Meister gerade, dass er eine Puppe in Pécs habe, dass die
die beste Braut in ganz Pécs sei. »Ich sag nur eins: sie
hat einen schwarzen BH.« Der Meister ging wortlos vor sich hin. »Sie wartet
mit ’nem Schiguli am Bahnhof auf mich. Und sie bezahlt alles.« -
»Aha.« Und dann fing der Meister - Verzeihung - zu johlen an.
»Geht’s deiner Frau gut?« Doch der gewünschte Effekt wurde nicht
erzielt, der Junge sah den Meister befremdet an, warum es denn »lustig«
sei, dass seine Frau krank ist. »Nein, leider. Marika geht es nicht gut. Die
Niere.« - »Ja, ich weiß.« Er wusste es, denn die Mutter des Meisters
hatte dem Libero geholfen, ausländische Medikamente zu besorgen. Im Grunde
interessierte sich der Meister für die Frau in Pécs und er fragte nach einer
angemessenen Pause. »Wie ist sie?« - »So«, zeigte der Libero mit
zur Faust geballten Hand, er blieb also auf der alten Wellenlänge. »Weißt du,
Pepe, ich liebe diese reifen Frauen.« Der Meister hielt
seine wachsende schlechte Laune mit Scherzen im Zaum. »Sie ist also alt.«
Dem Meister erschien das Gesicht der Gattin des Liberos: das Puppengesichtchen, das
kleine Doppelkinn - »der Anfang vom Breitwerden« -, ihre glatte Haut und
die müden Augen. »Ein Mädchen mit erwachsenen Augen.« - »Die
Arme«, sagte er halblaut. Der Libero lachte über das »Sie ist also
alt« und konnte so dieses »Die Arme« nicht hören; die Sache hätte sich
weiter verkompliziert, ohne das Versprechen auf eine Lösung.
Sie gingen an einer langen Fabrikmauer entlang. An der geweißten Wand standen rote,
verblasste, brüchige Buchstaben. So aus der Nähe waren sie unlesbar. Eine andere
Frage ist, dass der Meister die Originalaufschrift kannte.
»Ich habe ältere Frauen immer schon gemocht!«, sagte der Libero
herausfordernd. Er streckte beide Hände nach vorne, als würde er in etwas
hineingreifen. »Haben Sie es schon beobachtet, mein Freund«, sagte er zu
einem späteren Terminus, »was für ein unendliches Ding die Handfläche ist? Ich
dächte nämlich nicht, dass es einen Frauenhintern, eine gutmütige Hanke gäbe, deren
Wölbung sie nicht aufnehmen könnte!«
Früher hätte er sich vielleicht - sich ein wenig gezwungen fühlend - einspannen
lassen in eine wenig geschmackvolle Konversation bezüglich der Positiva betagter
Frauen, doch wie er sich auf anderen Gebieten »radikalisiert« hatte, so
auch auf diesem, und überhaupt: er hätte es gerne gehabt, wenn er das Volk zu einigen
Sachen hätte bewegen können. Das ist sowieso die Aufgabe für sie beide. (Der
zeitgenössische ungarische Schriftsteller kann von den Höhen der Zukunft ins Heute
blicken: überall sieht er die Großartigkeit und unbezwingbare Kraft des Neuen. Um wie
viel leidenschaftlicher muss er also den Kampf mit allem Überholten aufnehmen im
Interesse dieser geplanten Zukunft. »Usw. usw.«) Also sagte er leise am
Eingang des Ausschanks: »Ich bin Pro-Ehefrau.« - »Erspar mir bitte das
Gesums «, sagte der Libero. »So ist es nun mal, Kumpel«, sagte er
bescheiden.
Sie setzten sich an einen Tisch, das heißt, zuerst schoben sie zwei zusammen und
setzten sich so dazu. Die Hand des guten Herrn György, diese riesige Schaufel mit den
tektonischen Rissen, umflocht je einen Krug und ließ sie ihnen sogleich zutrudeln.
»Da habt ihr’s.« Kurz darauf kamen auch die anderen an, der
Rechtsaußen ließ sich entschuldigen, er »hatte eine Verabredung«. Biere auf
Biere, wie bei großen Lustbarkeiten. Langsam liefen die Worte und Gesten auseinander,
der Libero erzählte, er habe am Freitag »mit dem Kumpel zwei Hühner
aufgegriffen«, aber »der Kumpel hat die Muffe gekriegt«, umsonst
suchte der Libero nach seinem Freund, »der Kumpel hatte Licht bekommen «,
und er blieb mit den zwei Frauen zurück, und vergeblich bat er die eine, die andere
nach Hause zu schicken, keine gab klein bei, so hatte er beide an der Fichte (am
Hals), aber das 2. Mal war »nur mehr Rauch und Asche«, »mein
Sexualleben war wie ein mittelmäßiges Volksstück: bumm, bäng - und dann gemeinsam
Trübsal« (was für ein Geschreib, was für ein Wasistdas!); in der einen Ecke
erhob sich wehmütiger Gesang, Herr Armand murmelte gleichsam vor sich hin, was er so
oft zu murmeln pflegte (»Bei bestimmten Mannschaften hat jeder die moralische
Pflicht, sie windelweich zu schlagen.«*
n
), auch die Augen des Meisters
waren leicht unterlaufen, sein Schweigen war zittriger als
sonst, als er sich an Armand wandte und hoffend-bangend fragte: »Was wird jetzt? « Herr Armand sah den Meister an. Er
drehte seinen Krug hin und her. »Was soll schon werden.«--------- Was wird
jetzt ? Was soll schon werden. Was wird jetzt ? Was soll schon werden. Was wird
jetzt? Was soll schon werden.-------- Als er sich auf den Nachhauseweg machen wollte
- das Kind baden! -, hielt ihn Herr György auf und zwinkerte ihm zu. »Pass mal
auf hier!« Und er schrie, den Rumor überschreiend: »Papa! ... Sie! Sie da!
Passen Sie mal auf, Papa! So viel wie Sie in Ihrem Leben schon getrunken haben,
könnte man damit eine kleinere Wassermühle betreiben?!« Ein Alter erhob sich
zwischen den Rücken. »Ach so, der alte Farkas.« - »Gyuri, mein Lieber!
Von wegen Wassermühle!? Das große russische Schleppboot könnte
darin wenden.« - »Ist gut, Papa.« Der Wirt winkte die Szene ab; der
Meister dankte seinem jüngeren Bruder für die Produktion, und Herr György schlug
freundschaftlich auf des Meisters Schulter. »Hab’s direkt für dich
erzählen lassen.« - »Danke.« - »Du kannst es verwenden.«
(Denn bis dahin hatte der Meister schon alle infiziert.)
Jegyzet Er hat recht. Aber um
seine Behauptung überprüfen zu können, müsste ich wissen, wer der Gegner ist.
»Na , wer schon?! Die Ziegelei Buda .« - »W ir verwickeln uns in
einfache Scherze, zu unserer Freude.«
66 Der Meister legte seine Hände statt eines Schlummerkissens unter den Nacken.
»Gittu«, schnaufte er, »ich habe heute so viele tolle Weiber
gesehen.« - »Ist gut, alter Schwerenöter«, die Frau lobte den Mann und
verpasste ihm, summ!, wie eine Ohrfeige, einen Kuss auf den Mund. Der Meister ward -
und zwar bis ins kleinste Glied! - von der bekannten, heißen Blutwelle überflutet.
Aufdringlich wendete er, zurück zur Frau, und sie stießen frontal zusammen, aber
nicht nur so halb-halb, ihr Fleisch klatschte nur so aufeinander, und sie wurden
zutiefst erschüttert von alledem. Für den Moment des auf den Unfall folgenden Schocks
verharrten sie bewegungslos ineinander verflochten, aber nur, damit es hinterher umso
wirbelnder weitergehen konnte.
Die Beine der Frau brachen plötzlich aus, besonders der Weg der starken, straffen
Schenkel war deutlich vernehmbar, da der Meister, nachdem sich diese an seine Taille
anknüpften, ja sogar etwas an die Rippen, krachend, kaum mehr Luft bekam; doch wie er
sich erbost losreißen wollte - gab es kein »los« mehr: stattdessen
klammerte sich »jemand« (natürlich war Frau Gitti dieser Jemand) an seine
Schultern, dem Meister in den Kragen schnaufend und nestelnd. Undsoweiter,
undsoweiter, man kann sich eine Vorstellung machen.
Aber diese Gedrängtheit! Das Zusammen-Atmen und die Hitze im Zeitalter der
Andrängungen, Zurücksenkungen, das Toben, das Dringen, die Zurückziehungen,
Verlassungen, Erhebungen, Entfernungen und Verbeugungen, Rundungen und krampfartigen
Versteifungen! Und das müde, schmerzliche Sichhingießen in einen wie ohnmächtigen
Schlaf. »Große Chefin, ich liebe dich«, sagte er zur schlafenden Frau.
»Ich liebe dich, weil du wunderschön bist, eine Menge Grips hast und dein Arsch
ziiiemlich heeervorragend ist.« (Hoi! Hier konnte ich mich nicht, aus Kontra,
vor der Treue unter dem Rock der Wahrheit verstecken, wo große Dunkelheit herrscht,
noch nicht einmal zwischen den Schenkeln scheint die Sonne herein!)
Der frische Weihnachtsbaum erbebte dunkel. »Der letzte
Zeitpunkt ist Weihnachten.« Ein aufgehängtes Bonbon zwirbelte um die
eigene Achse. Der Meister legte eine Hand unter seinen Nacken, denn die andere war
von heißen Schenkeln gedrückt, nicht etwa mit Kraft, einfach vom eigenen Gewicht
her---------Zu einer morgendlichen Stunde stand er bereits im Mantel da, gehbereit,
als er durchaus nicht absichtlich Folgendes aus der Nachbarwohnung hörte: »Um
Gottes willen, was druckst du hier im Zimmer herum?« Der
Meister liebte es sehr zu lauschen. Die Musikakademie war sein bevorzugtes Feld. Ein
Pfadfinder auf Zehenspitzen mit einem Lachssandwich in der Hand ist er. Und wenn ihm
der Boden unter den Füßen zu heiß wird, weil sämtliche Elemente der ausgespähten
Gesellschaft nicht nur mit forschendem Blick zu ihm zurückgeschaut haben, sondern
auch schon ein gewisses befangen machendes Gewisper angehoben hat, sagt er sehr
bescheiden, doch mit nicht wenig Elementarismus - natürlich: an alle und keinen -:
Jungens , ich glaube , György Kroó könnte STERBEN FÜR SO EINE
MUSIK.
Er trat aus der Wohnungstür, die Nachbarn auch gerade, vorne stürmte der Ehemann,
hinter ihm, groß, elegant, die Frau; ein großer, grüner Hut
beschattete ihr Gesicht. (»Eine angesagte Friseuse.« - »Angesagt,
angesagt«, sagte daraufhin Frau Gitti und winkte ab.) - Einmal hatte er ihr die
Hand geküsst, hatte die Hand der Frau lange in seiner eigenen platziert, drückte sie,
nicht zu frech, doch zärtlich, und hauchte dann einen heißen und parodistischen Kuss
auf die wohlriechende Hand. Doch die Frau wurde rot, und wie sie ihn unter langen,
dichten Wimpern hervor ansah, überlief es ihn kalt oder warm, und der Meister
erschrak, denn er dachte, das Offensichtliche wäre offensichtlich gewesen. Und wenn
auch die Frau nur einen Scherz machte? »Aha«, er dachte darüber nach,
»tatsächlich. Das kann sein, tatsächlich, dass sie es nur scherzhaft ernst
genommen hat.« Übrigens hing dieser Dankeskuss (oder wie ich ihn nennen soll)
nicht nur einfach so in der Luft, es gab einen Grund dafür. Der Meister hatte nämlich
- »nachdem nach einer erinnerungswürdigen Nacht das Bett zusammengebrochen
war« - sich einen Hammer aus der Nachbarschaft geborgt. Was Werkzeuge anbelangt,
nahm die Familie des Meisters keine elegant vornehme Stellung ein. Sie hatten einen
sog. Bildernageleinschlaghammer - mit dem nämlich Frau Gitti die »Original
Csontváry- Repros« an der Wand zu befestigen pflegte. (Nach einer gewissen
passierten Fischsuppe hatten der Meister und Co am Wasser gestanden. Der Spiegel des
Sees bewegte sich kaum, nur er und Kapitän András schlugen einige Bewegung. In der
dunstigen Ferne bot sich ein Panorama zur Betrachtung an ... Da sagte er, an nichts
anknüpfend, plötzlich: »Weißt du, was ich besorgen werde, mein lieber
András?« Der hohe Mann hob sich. »Na?« - »Ein riesiges
James-Joyce-Bild.« Und dann so, wie Herr Marci die Bärte anzeigt: »Wumm!
Über die ganze Zimmerwand!« Kapitän András nickte und blickte fachkundig auf
einen aufzappelnden Fisch: »Amur, das war ein Amur.« - »Frisst die
Schilfkolben, nespa?«, sagte der Meister wie ein Kind. »Genau, genau
«, der Kapitän nickte heftig. Das liebte er sehr an ihm: dass er sich so freute,
wenn jemand ein wenig recht hatte. »Statt dass er den Tang fräße. Der wächst nur
so vor sich hin ... Aber er hat sehr gutes Fleisch.«)
Doch zurück zum Hämmerchen, als dieses den Praxistest nicht bestand - dabei ist,
vielleicht ist es kein Sakrileg, das zu erwähnen, die Praxis der Prüfstein eines
jeden Hammers - und der echte, etwas rostige, jedoch gerade Nagel im Bettrahmen sich
nicht einmal rührte, schmetterte der Meister, nachdem er sich mit einem sogenannten
Danebenhauen in den entsprechenden Schwung gebracht hatte, das zu niedliche Werkzeug
zu Boden, so dass es dort zerbrach. (Bis zum heutigen Tag ist der Hammerkopf mit dem
kurzen Restgriff zu bewundern, welcher so schön-splitterig abbrach, wie ein Kristall.
Wahrhaftig wie ein Kaktus!)
Die Friseuse mühte sich mit dem Schlüssel ab, beobachtete mit einem Auge den Meister,
dem sie sichtlich aus dem Weg gehen wollte. Der hervorsprudelnde Mann war schon fast
aus dem Treppenhaus, als ihn der Gruß des Meisters einholte, von dort auch die
Antwort, doch der Nachbar war bereits ab. Die Frau blieb allein zurück. Und nachdem
der Mann so spektakulär davongebraust war - »unabhängig davon, mein Freund, wer
im Streit im Recht war, wenn es überhaupt einer war!« -, blieb die Frau
unterlegen zurück, in ausgelieferter Weise! Meine an der Literatur geschliffene
Phantasie denkt: dass die Frau sich ein wenig entblößt
vorgekommen sein muss.
Er »schlüsselte« noch etwas länger vor sich hin, ließ das Ehepaar komplett
vorneweg gehen. »Wissen Sie, mein Freund, es gibt wenige Dinge, über die ich
mich so freue, wie wenn morgens einer vor mir zur Garage kommt und nicht ich mit
steifen Fingern mit dem Schlüssel des Vorhängeschlosses herummurksen und mich gegen die Schiebetür stemmen muss ... Obwohl die
Schiebetür ja noch angeht.« Eine ähnlich einfache Freude erfasst ihn, wenn er
ein literarisches Blatt geschenkt bekommt. Das kommt nicht häufig vor, aber manchmal
gibt ihm der eine oder der andere Redaktor aus vergesslicher Höflichkeit eines.
Hinterher ist er für Stunden nicht zu bremsen! »Mein Freund! Umsonst! Haben Sie
gehört, umsonst!« Und er schüttelt die Faust. »Denn sonst hätte ich, dieses, leider gekauft!«
Beim Verschwindenlassen des Schlüssels in der Tasche blickte er hoch, die Frau
passierte gerade die Gartentür: von der Seite war das stark gefärbte Augenlid zu
sehen (»Ein Profi!«) sowie der herunterlappende Hutrand, wie ein zweites Profil. Dem Blick der Frau war
anzusehen, dass sie sich absichtlich nicht umsah. »Albern. Als wäre Hinsehen und
gerade Nicht-Hinsehen nicht das Gleiche.« Als die gertenschöne Figur
verschwunden war, schoss ihm ein »Ob die wohl herumdruckst?« durch den
Kopf, und er wiegte ihn kraftvoll.
Nun beeilte er sich umsonst; denn die vollständige Quelle der Freude ist es, wenn wir
»vor der vor uns hinausgelassenen Person losziehen und diese sich noch mit dem
Anwärmen ihres wassergekühlten Viertaktkraftfahrzeugs beschäftigen muss«. Der
Meister winkte dem aus der Garage ausfahrenden Ehepaar dennoch fröhlich zu; das
geschminkte Auge und die Geschwindigkeit: als wäre es aus einem Zug! »Der Auszug
des geschminkten Auges.«
Als er in die Box seines treuen Pferdes trat und das Pferd gelangweilt nach einer
Prise Heu langte, glaubte der Meister seinen Augen nicht. »Mein Freund, die
Zündung war noch an.« Darüber freut sich natürlich kein Ross ostentativ.
»Das Aas bewegte sich auch keinen Zoll.« Er zuckte einmal mit den Schultern
und nahm seinen Weg Richtung Bus. Doch Glück hatte er (technisch gesehen) nicht viel,
denn der Busfahrer war gerade dabei, sein Fahrzeug zu reparieren.
Und dort eine ausgesprochene Frau Süsann im Kleide einer Dame! »Ein Dromedar,
mein Freund. Und dennoch ...« Nun, ja: denn die Frau war
zwar groß, jedoch von ansprechender Form! Unter dem hoch
geschlitzten, leichten grünen Wintermantel blitzte die
kräftige Linie der Wade hervor, um dann, weiter oben, in der gemeinsamen Deckung des
ebenfalls sichtbaren Rocks und des faul schwingenden Mantels zu verschwinden, wie ein
Pfeil: zielgerichtet, energisch. »Mein Freund: Er zeigte den Weg an für die
Verirrten und die Zauderer!« Nicht die Ausmaße waren verblüffend, obwohl sie es
hätten sein können: was für eine Hanke!, und vorne die Ausströmung!, nicht nur das
üppige Barock der Linien, aber »das ist ein Heiligtum, mon ami, ein Heiligtum
« !, »sondern dass der Mantel genauso spannte wie
eine Bluse oder ein Rock«. Das war ein großes Erlebnis.
Der Chauffeur montierte etwas neben dem Sitz der Frau; hob eine Gummiabdeckung hoch,
schob eine Metallplatte beiseite, und als sich der Meister nach vorne beugte - denn,
ich muss es nicht extra erwähnen, er hatte sein Lager irgendwo
in der Nähe der Frau aufgeschlagen -, konnte er durch die Öffnung auf die Erde
darunter gucken. Das erschien ihm so lächerlich.
Der Chauffeur, ein dünner, trockener Mensch, langte mit einem Schraubenzieher in
dieses Loch hinein, wodurch kleine Funken aufstoben, ein Himmelswagen bei Tage!
Woraufhin diese »Ur-Frau«, diese »Bauern-Venus« hysterisch
herauskrisch, der Mann möge sofort dieses Funkensprühen einstellen, sie sei schon 40
Jahre alt und ihr Nervensystem sei ohnehin strapaziert. Der
Chauffeur hatte die Metallplatte bereits wieder zurückgeschoben und stopfte die
Gummiabdeckung mit der Fußsohle zurück. Er sah die Frau an. »Dass Ihr
Nervensystem strapaziert ist, konnte ich nicht wissen.« Und er ging nach vorne
zum Lenkrad; sie fuhren los.
Der traurige Herzensbrecher« stieg später in einen 15er-Bus um und hielt auf das
Herz der Stadt zu, da er dort letztens einen Baum- verkaufsplatz gesehen hatte, der
sein Gefallen fand. »Er fand mein Gefallen. So was gibt es. Jemand sieht etwas,
und Schluss: aus: es hat angefangen. « Eine große NESCAFÉ-Überschrift brachte
ihm Herrn Péter in Erinnerung. (Herr Péter - mit seinen selbstmörderischen
Telefongesprächen! »Der Junge ist wieder im Lot«, sagte er dem taktlosen
Meister über jemanden, den er, der Meister, gar nicht kannte, nur bei einer
Gelegenheit »abgehört« hatte. »Ich vermute immer stärker, dass ich
unter Wirklichkeit das verstehe, was durch die Polizei
ermittelt werden kann. Alles oder nichts.« Bedauerlich.) Herrn Péters Neskaffees
sind höchstens noch mit Herrn Bangas Maus-Kaffees vergleichbar. Sie planten schon
seit langem, sich in ein Stück Terrassenraum hinauszusetzen
und bei einem Bierchen miteinander zu schwatzen. »Seitdem, alter Freund«,
sagte er zu dem stillen Mann, »schaue ich mir jedes Objekt (Gastronomieobj. -
E.) danach an, ob man sich darin mit dir raussetzen kann oder nicht. Mehr noch. Ich
berücksichtige sogar schon die Temperaturfaktoren. Ob, wenn die Sonne hinschiene und
der Mantel warm genug wäre, ob man dann vielleicht und so weiter; es gibt viele Variablen ...« - »Es wird schon wieder warm«,
sagte Herr Péter.
Der Himmel zog sich zu, eine seltsame Vormittagsdunkelheit entstand: feierlich und
furchteinflößend. »Mein Freund, das ist, wie der Deutsche es sehr nett
ausdrückt: doppelt gemoppelt. (? - E.) Das Feierliche ist immer
furchteinflößend.« Denken wir nur an die schrillen Drapierungen, und oben auf
dem abgedeckten Tisch auf einem Plastikteller der Krug nebst sechs Wassergläsern!
»Mein Freund, die Wassergläser! Hat jemals einer aus denen getrunken?!«
Dass das Material des Festtagsweihnachtsbaums dem des Kreuzes
gleich sein kann...
Doch weiter in der Beschreibung der Natur: an diesem größten Fest der Christenheit
legte auch die Winternatur eine festliche Kapuze an. Übergangsschwierigkeiten
bestanden: der Schnee war eher Schneeregen, aber wenigstens war überhaupt welcher da.
Die Geschäfte und die Auslagen erglänzten in einem feengleichen Licht vor lauter
vielen Geschenken. In der Váci-Straße promenierten elegante Frauen. »Und dann,
mein Freund, dieser Vorfall mit jener Frau mit dem breitkrempigen, phänomenalen
dunkelblauen Hut!« Breitkrempige Hüte sind seine Schwäche, besonders wegen des Schattens, der über die halbe
Nase und die Wangen geworfen wird! (Mein Gott, so viele Motive! Wäre ich ein anderer, würde ich aufbegehren: das sind doch gar keine
Motive mehr, das ist ein Hut-Salon! Ich
bin , der ich bin.)
Die Rank- und Schlankheit der Frau, der Einsatz von Puder und Farbe, das
selbstbewusste Wogen - machten den Eindruck einer sogenannten
unerreichbaren Frau. »Männerschönheit, mein
Freund«, er gab das verdiente Wissen weiter, »Männerschönheit ist nichts
anderes als ein gewisses Aufblitzen des Blicks! Aber diese Frau! Was soll ich sagen,
sie war so schön ... dass ich sie mir nur klug vorzustellen vermochte. « Das ist
kein einfacher Scherz, sondern das Ausstrahlen der Totalität, also eine tiefe
Sache.
Der Meister tauchte quasi mit einem Mal aus der Régiposta-Straße auf. Das sage ich
nicht als Entschuldigung. Der Schneefall oder der Schneeregen waren so richtig nichts
Besonderes, abschläglich dessen, dass Weihnachten war. Die erwähnte Frau schritt
gerade jetzt an ihm vorbei. Ihr Gesicht war ruhig, heiter und fern; das fiel auf in
jenem heiligen Gemenge! Sie summte leise vor sich hin. »Mein Freund, schnallen
Sie sich fest, und werden Sie nicht ohnmächtig ... Sie sang leise, was eher ein
rhythmisches Psalmodieren denn wahrhaftiger Gesang war: Zicke, zacke, Hühnerkacke,
zicke, zacke, Hühnerkacke ...«)
Im Meister rissen die Landschaften der Kindheit auf, besonders das tausendfältige
Gesicht seiner Großmutter kam hervor, wie der Schnee auf es fällt und er sieht, wie
die Flocken schmelzen und die Niederungen der Falten mit »echtem Wasser«
füllen, wie die Gräben am Straßenrand. Viele Ferien hatte er im Laufe der Zeit bei
der immer gebeugter werdenden, betagten Frau verbracht. Der schwarze, schmutzige
Trenchcoat spannte sich auf ihrem Rücken wie bei den Hexen. Die Großmutter war die
Erste, die dem Meister das Arbeiten beigebracht hatte. Wasserholen 50 Fillér - das
war das beste Geschäft, nur leider endlich! Holzstämme gab es - je nach Dicke und
Härtegrad - für 1o Fillér, 20 Fillér, 50 Fillér, 1 Forint und 2 Forint. Der kleine
Meister und Herr György wussten nach dem Augenmaß, wie viel das jeweilige Holz wert
war; und sie betrogen niemals. Sie überwachten einander sogar ein bisschen. (Aus
dieser Zeit stammt folgendes rührendes Dokument: im Buch Viktor Szombathys mit dem
Titel Vértes- Gerecse, Bp. Gondolat 1960, erschienen in 2400 Exemplaren, ist auf
einem der Fotos der blond gelockte kleine Meister zu sehen, vor ihm zwei schwere
Krüge. Die Unterschrift der Aufnahme lautet: Ein Wappen über der Klause. Die Aufnahme
hatte Zoltán Tildy d. J. gemacht.) Auch an die Strenge erinnert er sich, besonders
daran, wie konsequent diese war. Einmal wurde, wie man erzählte, vergessen, den
Sauerampfer mit heißem Wasser zu überbrühen, weswegen dieser - das nun ist sicher -
so bitter geworden war wie Galle. Der Meister versuchte, ihn unter Aufwendung
Unmengen Brots hinunterzubringen, doch alle naselang erfasste ihn der Brechreiz, so
dass er schließlich sagte, er fühle sich nicht wohl. Was zugleich also wahr war, aber
auch falsch; im Wesentlichen war es eine Lüge. »Du bist krank?« Die
Großmutter sah ihn an. Um den Sparherd herum Rauch, Dampf. Von den Stühlen sprangen
Katzen herunter. Denn das war noch eine Attraktion für sich! Wie man dort mit den
Katzen umging! Wie mit Lebewesen! Der Meister war bei einer Gelegenheit Zeuge, wie
sein eigener Vater eine Katze, nachdem diese in einem unbeobachteten Moment ihre
Zunge in die wässrige Suppe gesteckt hatte, sie am Schwanz packend in den Hof
hinausschleuderte. Das gab ein derartiges Pladauz, dass er in Lachen ausbrach, ebenso
sein Vater, laut. Doch da kam es zu einer bösen Auseinandersetzung zwischen dem Vater
des Meisters und der Großmutter des Meisters. »Ja, ich bin krank«,
antwortete er, obwohl er bereits etwas vom Fallencharakter der Frage ahnte. Welche
ihn dann auch gefangen nahm: denn er musste drei Tage im Bett liegen, was aber im
Grunde ein Hausarrest war. Das erwies sich besonders deswegen als großer Aderlass,
weil die Fallschirmspringerschau zur gleichen Zeit stattfand. Vom Hof aus hätte man
sie (ein bisschen) sehen können. Es kamen immer viele zu Besuch: sie war sehr
gastfreundlich. Es gab ein denkwürdiges Gästebuch! Mit allen möglichen berühmten
Leuten drin! Auch der Meister schrieb sich mehrmals ein. Und jedes Enkelkind am
Türpfosten gemessen; regelmäßig. Beim Abschiedskuss zeichnete sie mit ihrem rechten
Daumen ein Kreuz an die Stirn. »Dabei war sie wie ein Priester.« In ihre
Rede mischte sie, gleichsam wie Herr Gyula, Füllwörter - bei Herrn Gyula: gö-gö, und bei Großmutter: dn-dn -, was
die Enkelkinder anfangs immer zum Lachen angespornt hatte (sehr viel später erst
bemerkte er das Herzgewinnende daran, zum einen den unwillkürlichen Ausdruck einer
»fehlenden Behauptung « sowie zum anderen in den Stammel-Pausen dieses
seltsamen Stammelns: die Schutzlosigkeit). Der Herr Vater des Meisters erzürnte sich
jedes Mal sehr. - Ähnlich unbegreiflich war die Heftigkeit, als anlässlich eines in
der Umgebung unternommenen Ausflugs Herr Marci angesichts des großen bronzenen
Turul-Vogels, der, die Pracht und Herrlichkeit (?) des Tausendjährigen Ungarns zu
verkünden, dort auf einem Bergkamme stand, gefragt hatte, was dieses Ding denn
darstellen sollte. »Eine Turul-Ziege«, antwortete der schalkhafte Meister.
»Da bewegten sich die Wangenknochen.« - »Das will ich nie wieder
hören.« - »Aber wieso«, gab er Widerworte. »Es gibt Dinge, mit
denen macht man keine Scherze«, sagte der Vater und blieb aufgebracht.
»Darin, mein Freund, war etwas sehr Ungarisches.«
Der Meister erblickte sofort Den Baum. Er wusste: den oder keinen. Der kleine Baum
zeigte sich sowohl aus der blinzelnden Ferne als auch aus der kontrollierenden Nähe
als wohlgeformt, die Proportionen deuteten Heimeligkeit an, nicht irgendeine
Niedrigkeit, er hatte Haltung, nicht Stolz, jedoch Ethos; mit dieser bescheidenen
Selbstbewusstheit lehnte er in der Umarmung einer Ecke, allein, verlassen. Daneben
weder Baum noch Mensch! Wie glücklich sich doch auch das fügte. Etwas weiter fand
großes Gemenge statt. »Die Mildherzigkeit - Paff, da hast du’s! - stahl
Tränen in die Augen der Anwesenden - Und wie lange ich erst, Alter! -, das edle
Augenwasser der Rührung waren diese - Sie Schwein! Nehmen Sie wenigstens auf ihren
Zustand Rücksicht! –, sie erzählten beredt darüber, wie schön doch die Mildherzigkeit
ist; und dennoch, wie wenige praktizieren sie!« Hierzu kann Herrn Marcis kleine
Maxime zitiert werden: »Du, du Tier im Menschen!« (Denn bei einer
Gelegenheit - »langsam schließen wir den Kreis« - hatte Herr Marci noch
seine morgendliche Siesta verbracht, ein Schlafbedürfnis, das
hat er!, als der Meister sich in sein Zimmer schlich und mit großer Umsicht,
»nicht dass er einen Splitter in die Hand bekommt«, über Herrn Marcis
Schienbein strich, wobei er gerührt flüsterte: »Mein süßes, kleines
Holzbein!« Herr Marci sprang auf eine Weise auf - der Meister zitterte später
noch lange angsterfüllt. Der Mittelstürmer, der von so vielen geliebt und gehasst
wurde, brüllte die o. g. Knappheit heraus. Er bezog sie auf den Meister.)
Um Den Baum herum herrschte Stille. Der Meister zerrieb, es nah an seine Nase
heranholend, eine Tannennadel zwischen zwei Fingern, der Insel-Frieden, den der gute
Geruch und der Baum bedeuteten, war da: Weihnachten. Der Meister stand entschlossen
neben dem »fetten Fang«, bewegte sich kein Jota. Der Verkäufer, ein
hochgewachsener junger Bursche mit einem Zollstock in der Hand, bemerkte den Menschen neben dem Baum ums Verrecken nicht. (»Voilá un
homme!« hatte am Höhepunkt des Sommers der Präsident jenes Klubs ausgerufen, in
dem der Meister eine Probe gab; voilá, ein Mensch: und darin ist das Wichtigste
enthalten, was man über Esterházy sagen kann! Er ist wie ein Mensch.)
Er lupfte seinen hohen Zeigefinger ein ums andere Mal, vergebens. Er winkte, wie man
einem Kellner winkt; das mag der Fehler gewesen sein. Doch eine Bezahlung wird früher
oder später vonstattengegangen sein, anschließend drehte und wendete er sich so
lange, bis er sich durch die wirbelnde Menschheit hindurchgeschubst hatte und im Bus
hinten stehen konnte: er und sein Baum. Die Menschen sahen ihn sich an, nickten, ein
jeder mit einem Lächeln. »Die Anerkennung!« Später würde er die solcherart
erstandene Reserve noch sehr gut gebrauchen können.
»Was. Ist das?«, fragte die Gattin mit einer unheilschwangeren Pause.
»Was soll es schon sein?« - »Was ist dieses kümmerliche, verkrüppelte
Gestrüpp ?« Auf den Lippen des Meisters lag bereits ein Gekränktsein parat;
sintemal letztes Jahr Jozef Veverka mit einem Baum hereingeplatzt war, so groß wie
ein ganzer Wald. »Sind wir denn der Prunksaal des Parlaments?«, hatte er
damals die junge Frau gefragt. Doch eine junge Frau ist in solchen Fällen
voreingenommen. Jetzt hingegen war Frau Gitti nicht auf den Kopf gefallen, sie hatte
die psychische Situation des Meisters durchschaut. »Willst du es so egalisieren?
... Nimm zur Kenntnis, dass das ein sehr strammer Baum
war!« - »Allerdings. Wir haben 1,5 Meter abgeschnitten und er war immer
noch stramm «, konterte der Meister, während er sehr
gerissener Weise den Spagat entknotete, damit die Gattin für die Größe durch die Form
entschädigt würde. »Schau, Liebchen. Was für ein Format!« Und er löste auch
noch den letzten Knoten und enthüllte das Werk. Ließ den Baum sogar noch eine
Pirouette drehen und verbeugte sich.
Wie er dort stand, gekrümmt, der Gürtel der Hose drängte in seinen Bauch,
beziehungsweise die Schnalle, wie er so auf den anerkennenden und erstaunten Ausruf
wartete, fiel sein Blick auf das Parkett, das unter dem Teppich hervorgerutscht war,
auf die geheimnisvolle Gitterzeichnung und die Lücken, welche - das war der Gewinn in
der schweren Betrachtung! - sich in genau demselben Winkel legten wie die Latten
selbst. Hier war ein ehefraulicher Seufzer zu vernehmen, er schnippte hoch »wie
ein Schnappmesser aus Balmazújvaros«. »Siehst du«, sagte er sofort.
Die Siegestrunkenheit erwies sich als Eintagsfliege. »Was ist das, Péterchen?
Aus diesem Baum ist ein Stück herausgebissen worden.« Er sah zum Bäumchen -
»perrrrfekt!« -, dann fragend zur Frau. »Dreh ihn mal, mein
Hübscher«, ihre Stimme tönte zynisch. Er handelte, als da plötzlich ...!
»Mein Freund, da gab es einen Teil, den es nicht gab.« (Wie die Umkleide,
wenn ich mich recht entsinne.) In eine Tanne beißen! So was aber auch! Er nickte; er
war Körper gewordenes ...; man kann es sich vorstellen. Daraufhin war wiederum Frau
Gitti aufwärts! »Macht nichts, wir drehen es zur Wand ...« -
»Gipsengel«, murrte der begossene Schaffende. » Gipsengel,
Gipsengel«, blödelte seine Hälfte. »Aber er gehört uns!« Womit sie das
entscheidende Wort gesprochen hatte---------Nach dem mageren Mittag wurde er in
seinen riesigen Fauteuil befohlen, aber nicht, damit er literarische Delikatessen
nachlese oder unter lebhaftem Kratzen seines Kopfes ein Grundbett für eine neue
Geschichte bemesse, oder ein altes vertiefte oder verflachte oder damit er einfach
nur pausierte; nein! Dabei versteht er es sehr, zu solchen Gelegenheiten mit einem
literarischen Blatt zu winken!
»Festbinden!«, sagte Frau Gitti zum postierten Meister und zeigte auf die
Bonbons in Rauschepapier. Er vernahm das mit großer Freude, zeit seines Lebens liebte
er Hausarbeiten, für die er seinen Verstand nicht zu benutzen brauchte. Deswegen ist
der erschrockene kleine Oberton seiner Frage verständlich: »Und die
Fisseln?« Frau Gitti war gerade dabei, geschmackvolle Pakete anzufertigen.
(Letztes Jahr zu Weihnachten hatte es ein großes Paket gegeben, jederlei Anmut bar:
Spagat und Packpapier! Nichtsdestotrotz, das war eine sehr gute Tat. Namentlich
handelte es sich um das Verdienst der Frau, zwar fehlt es auch dem Meister nicht an
gutem Willen, wohl jedoch an der Fähigkeit der Durchführung. Gitti hatte Kenntnis
davon erhalten, dass es einen Ingenieur gab, der seine 7 Töchter allein erzog. Da
machte sich Frau Gitti auf den Weg, von Hinz zu Kunz, wer etwas übrig hätte. Dann kam
der große Tag. Aber so, wie sie das geplant hatten! Das Geschenk sollte persönlich
sein, aber nicht bedrückend! Damit der Ingenieur sich nicht mehr als knapp zu
bedanken brauchte! Sie versteckten das Pferd in einer dunklen Seitengasse, der
Meister trug ihm auf, auf der Hut zu sein. Das kam ihnen noch gelegen! Denn nach ein
paar schnellen Ungelenkheiten kamen sie freudig, doch mit eiligen Schritten zurück.
»Du, Süßeste«, sagte er, während sein Fuß, der Blinde, den Steigbügel
suchte. »Ich will auch 7 Töchter. Auch die würden so dastehen nebeneinander wie
die Orgelpfeifen, du, und jede hätte eine unerschröckbar große
Nase!« - Wir wissen, es kam anders etc.)
»Hstd Fslln gsgt?« Die Frau riss das Verbandszeug für das Paket mit dem
Mund ab. »Ja, die. Die Fisseln«, sagte der Meister verzweifelt.
»Worauf wartest du, um Gottes willen, da hast du das Knäuel, die Schere, und fertig!« Aus der Partnerin brach die
Verzagtheit hervor, denn gerade war ihr das Verbandszeug gerissen, aber, wie ich
anfügen muss: nicht dort, wo es hätte sollen. Doch der Meister wollte gerade das Abwägen vermeiden, wie lang soll der Bindfaden sein, reicht es,
ihn einfach zu nehmen, und er wollte auch die Fingerfertigkeit vermeiden: denn die
Wollfäden kleben aneinander, kräuseln sich ein und aus etc. »Wenn Kraft vonnöten
ist, und nur die, bin ich bereit«, pflegte er stolz zu sagen. (Obwohl die
Entrümpelung des Schutts bei Herrn Icsi dem zu widersprechen scheint ... »Da war
ich auch noch kümmerlich .« Na, da kann ich nur sagen, dass dann nicht mehr
allzu viel bleibt...)
Als Frau Gitti die Wurzeln der Unseligkeit erkannte, streichelte sie den Meister und
erweckte ihn damit aus seiner scheintoten Hoffnungslosigkeit,
so dass dieser nur noch konstatieren konnte, dass die auf Maß geschnittenen Fisseln
bereits eng beieinander dalagen, wie »tote Würmer «, die Armlehne mit
Streifen verzierend. Er rieb tatbereit die Händchen aneinander und sagte in
undankbarer Weise: »Sind die nicht etwas lang?« Er sorgte sich ein wenig.
»Doch, Péter, sie sind lang.« - »Ja, nicht wahr. Na, macht nichts. Wir lassen uns schon was einfallen.« - »Sie sind
lang, Péter«, setzte Frau Gitti gemessen fort. »Genau so lang, wie sie sein
sollen.« Er band und band.
Damit fertig geworden ging er hinaus auf die Loggia, um den Baum zu holen, blieb mit
ihm mehr als einmal (zweimal) an der Tür hängen, zu einem Bruch kam es nicht, nur zu
einem neuerlichen Blätterfall. Dann stellte sich heraus, dass der kleine Baum unten
zu dick war und nicht in die Halterung passte. »Kleine Männer gehen mit großen
Stöcken«, ließ der Meister kleinlaut verlauten. Die Frau beugte sich vor, besah
sich das Problem, ihr Kleid flammte vorne auf und der Meister bohrte sofort seinen
großen und durchdringenden Blick dorthin, in dieses nicht offizielle Dekollete.
»Gittu, du bist meine Busenfreun- din.« - Einmal
hatten sie beide einen Obenohnestrand besucht. Er wanderte sofort herum, um, zu
seiner Frau zurückgekehrt, dieser mitzuteilen, sie sei seiner Meinung nach »gut
im Rennen«, »sicheres Mittelfeld « beziehungsweise »untere
Oberliga«, was »nicht wenig« sei. Nach einem weiteren Spaziergang kam
der große Mann voll wilder Hast gerannt. »Süßeste«, keuchte er, »schau
dir das an.« Der Meister hatte nämlich eine bombastische schwarze Frau gesehen,
in sitzender Weise an der Open-Air-Bar. »Wie Ihr Kopf, mein Freund! Aber Sie
müssen es sich so vorstellen, als wäre Ihr Kopf gefedert!« Die brave Frau ging
los, sich das schwarze Wunder anzuschauen, doch als sie zurückkam, sagte sie:
»Ich hab sie nicht gefunden.« - »Nicht so wichtig «, sagte der im
Sand eingegrabene Meister, ohne auch nur die Augen zu öffnen.
Er säbelte an dem Bäumchen herum, balgte es, dass es ein Wunder war, dass am Ende
noch immergrüne Blätter daran waren. »Ein guter, kleiner, mickeriger Baum ist
das«, sagte er schließlich siegreich, und die Frau widersprach nicht-------- Die
Natur hatte sich - trotz ihres vormittäglichen Anlaufs - doch nicht festlich
gekleidet. Große, ohnmächtige Schneewolken dienten als Verdunkelungsvorhänge.
»Wissen Sie, mein Freund, als ich in die Küche hinausging, um meine Tochter zu
holen, damit wir mit dem Erklingen der >Engelsglöckchen< das Fest beginnen konnten, und ich auf eine verstauchte Fliese trat,
ging mir plötzlich auf, dass schon längst Weihnachten war.« Vielleicht war er
unaufmerksam gewesen, oder es mag ein Trick allgemein der Zeit beziehungsweise des
Festes gewesen sein, Fakt ist, er war schon mittendrin im Weihnachten.
»Gittu!«, rief er hinein, während er sich bückte, um den brüchigen Stein zu
richten, »Gittu, es ist Weihnachten!« Doch da die Frau bei dem Gedankengang
außen vor geblieben war, dachte sie, sie würde aufgezogen, und antwortete
entsprechend. Der Meister, missvergnügt ob des ihn umgebenden Unverständnisses,
montierte Mitocska vom Geschirr ab und flüsterte ihr dabei wieder und wieder ins
kleine Ohr, »skizzierte die Lage«, erwähnte, dass Weihnachten eine
unerschöpfliche Fundgrube der Dich- tung sei; wie vieles fällt auf diesen Tag!, das
kleine Jesuskind bringt den Kindern Geschenke, selbst wenn in den Wochen davor der
Nikolaus sie sehr erschreckt hatte, beziehungsweise der Krampus, und während die
liebe Mama alles, was ihre Speisekammer an Schätzen zu bieten hat, aufstellt,
Waffeln, Nüsse, Äpfel undsow., ertönt das Lied der Sternsinger unter dem Fenster. -
Auch der Meister war einst Sternsinger gewesen, wenn er es auch nur bis zum III.
Hirten gebracht hatte. Sie gingen von einer katholischen Familie zur nächsten.
Einmal, als er, seiner Rolle gemäß, herausjauchzte:
dasjesuskindistgeborenfrohlocketihrchristen, und dabei einen Ausfallschritt nach
vorne durchführte, spürte er, dass der Dielenboden unter ihm nachließ, quasi unter
ihm heraussprang. »Das Parkett schlug praktisch Wellen.« Das allein hätte
noch kein Unheil nach sich gezogen, denn sie waren eine disziplinierte kleine
Mannschaft, wenn die Erwachsenen, die lampenfiebernd im Kreis standen, nicht so getan
hätten, als wäre nichts passiert. »Sie winkten ohne Worte, ermunternd, nichts passiert, macht nur ruhig ... Von wegen, es ist nichts
passiert! Der arme Heiligejosef (leider ist er seitdem in die BRD dissidiert; nicht
deswegen - E.) schwankte wie ein betrunkener Matrose zwischen den Heiligen und
Königen, in kippender Weise fast die Jungfraumaria niederschmetternd!« Woraufhin
Esterházy mit seiner dünnen Knäblein-Stimme aufjohlte! »Irgendwie lief dann die
Sache bis zum Ende durch. Aber ich erinnere mich nur noch an die furchtbare Hitze,
aber nicht wegen des Schafspelzes - der III. Hirte ohne Schafspelz: unvorstellbar! -,
sondern wegen meines Gesichts. Wie nach einer Ohrfeige.« Davon oder von einer
anderen war er auch nicht weit entfernt: es schien, dem jungen, rotbäckigen Kaplan
juckte gehörig die Hand!
»Na, mein Kind«, sagte der Meister müde, denn das Wickeln hatte ihn, so
dastehend, mitgenommen; desgleichen das Opfer: das insuffiziente Einknüllen hatte zu vollständiger Durchnässung geführt, »na, jetzt wird
gleich das Engelchen klingeln, das heißt in seinem Auftrag deine Mutter, und wir
gehen rein.« Da warteten sie, Vater und Tochter, im stechenden Gestank, aber
nicht in dem von Weihnachten, das Geschirr war auf dem Hocker geblieben. »Engel
kling«, sagte das kleine Mädchen. »Ich sage gerade zur Mitocs«,
brüllte er hinein, »wenn er klingelt, Gittu, wenn er
klingelt!, der Engel, dann gehen wir los.« - »Ist gut, ist
gut.« Er war regelrecht frappiert.
» De Kling .« Das kindliche Gesicht erhellte sich und sie zogen ein. Das
junge Paar sah sich gerührt die Kleine an, in deren Augen sich die vielen Kerzen und
die schwingenden-knisternden Wunderkerzen spiegelten. »Dann werden wir jetzt
beten.« - »Beti, beti«, sagte Mitocska. »Papali ockt, Mamali
ockt.« D. h. sie mögen sich hinknien. Tatsächlich. »Vater unser, der Du
bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie
im Himmel, so auch auf Erden. Unser täglich Brot gib uns heute und vergib uns unsere
Schuld, so wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in
Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.«
»De Baum.« Kasimir Mitovics zeigte auf den Baum, nachdem sie flugs die
Ritapüppchen, Großteddys und Nackentleos untersucht hatte. »Fehlerlos
kombiniert«, dachte er und hob das kleine Geschöpf hoch und wirbelte es, drehte
sich mit ihm bis zum Himmel. Nachdem er es wieder abgestellt hatte und sie beide vor
Schwindligsein quakelig hin und her tapsten, hob die Kleine eine Nadel in ihre
pummeliggepolsterte Hand. »Papali! Klein Papali«, sie sah ihren Vater
bittend an, »zurück!« Und sie reichte die Nadel zum Baum. Der Meister
streichelte machtlos das goldene Köpfchen. »Verzeih.«-------- Fürwahr,
jedes Jahr macht sich Groß und Klein im Haus auf den Weg, um gut bestiefelt den
knirschenden Schnee bis zum Gotteshaus zu beschreiten; Klein und Groß können kaum die
Augen offen halten vor lauter Schläfrigkeit, doch nicht um die Welt würden sie
wegbleiben und dem Jesulein nicht für das Geschenk danken und den extra zu diesem
Zwecke gefangenen Spatzen nicht in der Kirche freilassen. Ein wunderschönes,
idyllisches Bild - so naiv es ist, so erhaben ist es auch. Bahh, knirschender Schnee!
Wo ist der Schnee von
vorgestern?
Doch sie
»beschritten die Zeit« bis zur kleinen Kathedrale, die Posi- tiva einer
Weißen Weihnacht dabei erwähnend - doch schließlich: Das Fest muss man jedes Jahr ins
gegebene Wetter dareingeben. Die Kirche ist von innen sowieso so, wie sie immer ist;
bestimmt haargenau. Unterwegs trafen sie die Geschwister und den Vater. Die Mutter
des Meisters hatte immer noch ein wehes Bein, diese Heilige von einer Frau ist
sowieso etwas zimperlich, was Menschenmengen anbelangt. »Das ist so turbulent, mein Sohn.« Die Männer vertraten sich draußen
vor der Kirche die Beine, summten um Frau Gitti herum, Herr György schlug ihr
respektlos auf den Rücken, Herr Marci etc. Der ergraute Zeitungsschreiber sorgte
sich. »Wissen Sie, mein Freund, dem Genannten kann einiges vorgeworfen werden,
nur keine Kursive, mein Freund, aber so viel ist fix: in zwei Dingen ist er
unschlagbar: wie er die Stirn in Wellen legt und im Sichsorgen.« Sein Sichsorgen
müsste man in der Schule unterrichten. »Kinder, vielleicht wäre es angebracht,
hineinzugehen, dann bekäme man sogar noch einen Platz.« - »Keine Panik,
Alter«, sagte kraftvoll Herr György.
Schließlich war für alle ein Platz da, nur für den Meister und Herrn Marci: zum
Stehen. Es kam viel Volk dahin, zur Charakterisierung der Dichte sei nur so viel
gesagt, dass man sich bei der Elevation nicht hinknien konnte. Sein geliebter
jüngerer Bruder verschränkte seinen Arm mit dem seinen und stützte ihn, fast schon
liebkosend, und wie er im Heer der ordentlich-katholischen Menschen stand, hätte es
ihm vor lauter Gemeinschaftsgefühl eng werden können in der Brust (die Chancen dafür
standen gut, eine winzige Drängelei, das winzige, schicksalhafte Trippeln als Folge
der Eigenbewegung der Masse, es reicht, wenn die Tür des Beichtstuhls aufgeht, mehr
noch, selbst ein tieferer Seufzer ob der versäumten Beichten reicht schon - die
Anlehnungen, die Reibungen und das Geraschel, das auf all diese Bewegungen folgte,
war quasi der physische Ausdruck dieses Gemeinschaftsgefühls - »46 mag das so
gewesen sein, mein Freund, in dem einen oder anderen Internatszimmer« –, er hat
eine große Neigung zu diesem Gefühl, am prägnantesten lässt es sich am Strand erleben
- was für eine mondäne Kulisse! -, man muss auf dem Rasen sitzen, man muss müde sein
von einem gewissen Ballspiel, es gibt zu wenig Decken, so dass einige auf dem Gras
sitzen müssen, er muss schweigen, aber man fragt ihn auch nicht, man kennt ihn gerade
mal so, dann muss ihm einer ein Krügerl hinschieben und sprechen : »Hier,
Fichte, hast gut gespielt«, natürlich muss man a priori
etwas von jenem Ballspiel verstehen und man muss ranklotzen, damit der Körper klebrig
vom Schweiße werde und auch die Hand am gedrungenen Körper des Kruges zunächst
verrutsche, aus demselben Grund), doch statt all dem - möge man mir die
komödiantische Wendung verzeihen - wurde es ihm eng in der Brust vor Einsamkeit,
»sein Blick löste sich von seinem Auge «, er sah dort alles und jeden,
»und er hätte nur noch wenig Gründe nennen
können«.
Doch das Wort kommt: »Wissen Sie, mein Freund, jedes Existierende ist ein
Analogon alles Existierenden; daher erscheint uns das Dasein immer zu gleicher Zeit
gesondert und verknüpft. Folgt man der Analogie zu sehr, so fällt alles identisch
zusammen; meidet man sie, so zerstreut sich alles ins Unendliche. In beiden Fällen
stagniert die Betrachtung, einmal als überlebendig, das andere Mal als
getötet.«
Mit verständlichem Entsetzen begann er zu beten, woraus ihn ein sehr alltägliches
Vorkommnis beim Abendmahl herausriss, eine unrichtige und unangebrachte Bemerkung
seitens Herrn Marci, apropos eines eventuellen »Wunsches«, ein »lila
Häschen zu entführen«. Das war eines Herrn Marcis unwürdig und ich spreche es
rundheraus aus: auch unwürdig des Meisters - besonders jenes unterdrückte,
pennälerhafte Lachen, angezeigt durch das kraftvolle Beben des Rückens, welches sich
dann auch auf den Herrn Marci übertrug und ein missgelauntes Empören im sitzenden
Vater auslöste. »Reg dich ab, Alter«, sagte diesmal Herr Marci respektlos,
bereits vor der Kirche, und, paff!, versetzte er dem Rücken des ergrauten
Zeitungsschreibers einen tüchtigen Schlag. »Das tat weh«, sagte der Vater.
»Was hast du erwartet? «
Eine Weile standen sie noch dort herum, wechselten ein paar Worte mit den Nachbarn.
Herr Marci wurde von jemandem begrüßt, von Herrn Hús. »Hús und Basa kamen die
Treppen herunter.« Der rechte Flügel bei der Christmette! »Die sind gut
eingespielt, was?« Herr Marci grinste nach der Grußerwiderung den Meister an.
»Alter«, sagte dieser gerade zu seinem Vater, »ich hab dir eine kleine
Delikatesse besorgt.« Und er erzählte, ihm sei es gelungen, echte Bitter
zu besorgen, sogenannte
Zartbitterschokolade. Er hatte die Stadt dafür auf den Kopf gestellt. Er konnte sich
gut aus den Jahren der Kindheit erinnern, dass der Vater: die Bitterschokolade bekam,
weil er die mag. Genauso war es mit der Mutter und dem Rücken des Huhns. Mit
erwachsenem Verstand und Geschmack kam es ihm etwas seltsam vor, aber Gott! Wenn sie
das mögen! »Ich werd’ dir gleich sagen, wer das mag«, die Bitternis
(ein Scherz - E.) der vielen Jahre brach gutgelaunt aus dem Vater heraus. Was für
eine Verdeckung der Wahrheit! So stellt sich also, fast durch Zufall, heraus, obwohl,
das hätte man schon anderswoher wissen können, dass die Eltern des Meisters
aufopferungsvolle Menschen sind. »Ich will ausschließlich Brust und Keule«,
sagte die liebe Mutter anlässlich einer späteren Überprüfung.
Die beiden Familien nahmen voneinander Abschied, die einen hierhin, die anderen
dorthin, verschlafen. Frau Gitti hängte sich bei dem Meister ein; welcher wie ein
Fremder. Der schneelose Heiligabend näherte sich seinem Ende; doch in der kleinen
Küche - deren kalter Stein von verabscheuenswerter Temperatur war;
»häslich«, pflegte Dorko Mitics zu trampeln - blitzte er noch ein letztes
Mal auf, um seinen Platz, dem ewigen Gesetz der Natur folgend, dem Morgen zu
überlassen. Barfuß, im verdrehten Pyjama, zerpflückte er die Sulz, als
Frau
Gitti (in Pantoffeln!) als Element eines bereits im
Gange befindlichen, doch dem Meister unbekannten Gesprächs Folgendes sagte:
»Hoffentlich ist nicht zu viel Fleisch drin.« Es gehörte sich, dass der
Meister etwas antwortete, aber er wusste nicht genau, worauf sich das Wort bezogen
hatte. »Wir schwelgen nicht zu knapp«, sagte er
schließlich zurückhaltend und griff nach dem Essig. Er stieß die Gabel in die Sulz,
öffnete die Oberfläche mit kleinen Hin-und-her-Bewegungen und goss Essig in den
furchtbaren Riss.
67 »Wir besorgen ein wenig Wein, Weib und Gesang und lassen’s ein bisschen
krachen«, sagte der Meister bitter. (Das letzte Abendmahl.) Sie standen nach dem
letzten Training vor dem Geräteraum. Den Meister nahm der ganze Prozess sehr mit,
jener nämlich, dass man nach jedem Training die Ausrüstung zurückbringen musste.
Fangen wir damit an, dass er es immer vergisst. »So was gibt es. Ich hab’s
einfach nicht im Blut.« Gemeinhin aber gibt es einen, der ihn, während er gerade
dabei ist, den Kopf wegen der Niedrigkeit des Eingangs der kleinen Umkleide gesenkt,
dieselbe zu verlassen, darauf aufmerksam macht. Das stößt ihm übel auf. Und dann, wie
er sie trägt! Als würde er einen Umzug machen! Dabei, worum geht es schon groß: eine
Hose, ein Trikot, zwei Socken und ein Paar Schuhe! Sozusagen: gar nichts. Und
dennoch, die Schuhe in seiner Hand springen herum wie eine feurige Chinchilla, die Socken ringeln sich wie »verweste Schals« um sein
Handgelenk - und er kommt ans Ziel: das ist schon was! Und auf die Zweckmäßigkeit,
wie die Hose in das Trikot eingerollt ist - »zwei Fliegen, mein Freund, nicht
weniger!« —, ist er ausgesprochen stolz. Und dann die Sortiererei!! Die
Sortiererei lässt er weg. Er schaut sich um wie ein kleiner Festredner, und wenn Herr
Öschen gerade nicht herschaut, versteckt er das kleine Knäuel schnell in einem der
Haufen. Herr Öschen kennt natürlich die Meisterstücke des Meisters (Wortspiel)
haargenau und: »lacht sich ins Fäustchen«. Mit seiner zierlichen Hand
tätschelt er den Meister: »Ist gut, Péter, klotzt nur ordentlich ran!« Er
fährt hoch: »Wochentags, mein lieber Öschen? Da ist kein Match.« Der
Gerätewart senkt demütig den Kopf: »Immer. « Gefällig.
Die Mannschaft trat im überheizten Geräteraum von einem Fuß auf den anderen, wollte
gehen, wollte auch bleiben. Die Einzelheiten des saisonabschließenden Abendessens
mussten besprochen werden. »Wohin wollen wir gehen?« - »Jungens«,
er breitete betriebsam die Hände aus. Herr Armand - sonst Herr aller Lagen - kramte
im Hintergrund, wie schon seit einer Weile, von wegen, die Dinge liefen nicht, sie
stünden still. Etwas war zerbrochen in Herrn Armand. Ein Trainer ist, mögen sich die
Umfelder wie auch immer verändern, für seine Mannschaft verantwortlich. Und sie waren
jetzt... »Wissen Sie, mein lieber Freund, mehr noch, mon ami, meine
Ausgangsposition ist eine viel günstigere. Ich habe kein kollektives
Schuldbewusstsein.« Ja: der Meister ist die Verheißung selbst. Herr Armand
vertrat zu vieles, das gescheitert war, und obwohl Herr Armand persönlich ohne Makel
war, hatte dies (»deswegen!«) zu einem Bruch in ihm geführt, also
verschwand er auch jetzt betont zwischen den Regalen, es schien ihm sehr wichtig zu sein, die Ausrüstung in Ordnung zu bringen. »Das ist
die Lage der Väter.«
So also der Meister weiter. »Jungens. Geht in die Stadt. Dort werdet ihr einen
Menschen treffen, der einen Krug Bier tragen wird. Dem geht hinterher, und wo er
hineingeht, dort sagt dem Hausherrn: der Meister lässt fragen, wo ist jener Saal, wo
ich mit meinen Mannschaftskameraden das Abendessen verzehren kann? Er wird euch einen
geräumigen, zur Mahlzeit hergerichteten Saal zeigen.« Diese Worte erklangen am
Fuße der verwüsteten und kleinlich neu erbauten Umkleidekabinen. Der Rechtsaußen
verzog das Gesicht. Als er den Blick rasch dorthin lenkte, sagte dieser: »Peti,
mein Lieber.«----------- Die Lösung wurde, wie schon so häufig, Herrn Györgys
Kneipe. Er kam verfrüht, saß mit Herrn György neben dem »toten« Flipper.
Der große Bruder war müde. »Ich habe Fleisch besorgt und billige Kartoffeln.
« - »Und Salat? Wird’s auch Salat geben?« (Egal, was für ein
gemeinsames Abendessen in Aussicht gestellt wird, er forscht sogleich nach dem Salat.
Z. B.: »Wenn ihr die Tesi schlagt, kriegt ihr ein Abendessen im Bárány!« -
»Danke, Herr Pék! Wird’s auch Salat geben? « - »Wenn, dann
ja.« - »Gurkensalatchen?« etc.) Herr György antwortete nicht. Manchmal
langweilte ihn der Meister.
Eine Frau kam herein. »Guck mal, die Mama«, sagte der Schenk, »sie ist
verliebt in mich.« — »Natürlich.« Aber vielleicht war tatsächlich
etwas dran an der Sache, denn die Frau rückte Herrn György ziemlich auf die Pelle.
Als sie gegangen war, sie beeilte sich zurück in ihre Trafik, sagte der Meister:
»Die redete mit dir wie ein Ehe- drachen.« - »Hast du’s
gesehen?«, antwortete Herr György mit infantiler Begeisterung, die den Meister
freute, doch dann bemerkte er einen unachtsamen schnellen Seitenblick des Jüngeren
und begriff, dass es diesen langweilte, die Gefühlsflut zeigte er wohl eher nur, um
den Meister aufzuheitern. »Hast du’s gesehen? So versucht sie’s zu
verbergen. « - »Wie’s halt üblich ist«, brummte der landesweit
bekannte Schriftsteller. Neben ihnen blieb das Mütterchen mit dem Eimer und dem
Aufwaschtuch stehen. Ihr Kopf wackelte stark. »Für einen Zwanziger macht sie das
Klo sauber«, flüsterte Herr György. »Das lohnt sich. Weißt du, was das für
eine entsetzliche Maloche ist?« Der Meister verriet seine bitteren
militaristischen Erfahrungen nicht. Das Mütterchen grinste Herrn György zahnlos an.
(Nachdem die Greisin gegangen war, konnte der Meister nicht an sich halten und
bemerkte: »Kumpel, ich glaube, auch die ... auch die mag dich.« - »Ein
honettes Frauenzimmer «, sagte der junge Mann und zwinkerte, als der Scherze
liebende Mensch, der er war, mit dem Auge.) Das Mütterchen redete und schüttelte
währenddessen im Takt der Rede sowie ihres Kopfzitterns den Eimer, welcher »zum
Gotterbarmen quietschte«. - »Gyuri, mein Lieber, mich wundert’s gar
nicht, dass Se de Frau nicht wollen ...« Die Aussprache
der Kackmutter ähnelte gespenstisch der des Herrn Kassák.
»Gyuri, mein Lieber, ich sags Ihnen, Sie haben recht. Wenn ich ein Mann
wär’ und wenn ich tausend Knüttel hätte« - hier
wieherte sie, dass es ihnen kalt die Rücken hinunterlief -, »wenn ich tausend
Knüttel hätte, diese Frau würde ich nicht einmal dem 1001sten anvertrauen. « -
»Ist gut, Mutter, geben Sie sich eine halbe Kirsche und dann ab nach
Hause.« - »Nach Hause, nach Hause«, präppelte die Alte wieder in sich
versunken, doch Herr György trieb sie erbarmungslos zum Tresen. Der Meister atmete
schuldbewusst auf.
Er schickte sich an aufzustehen, doch da Herr György seine Handfläche auf seiner
Schulter hielt, schlug diese Vorstellung fehl. »Bleib sitzen, lass uns ein
bisschen reden.« Der Meister wusste wirklich nicht, ob er weinen sollte oder
lachen. »Das oder, mein Freund, genau das ist es.« - »Ich mach ein
äußerst schniekes Beisl aus dem Loch«, sagte Herr György und zeigte herum.
»Die Hälfte meines Königreichs «, übersetzte der Meister die Armbewegung in
die Sprache der Menschen. »Als Erstes lasse ich die Brandmauer mit Feuerbohnen
beranken. Ich hab schon die Mam gefragt, wann man Feuerbohnen setzen muss.« -
»Und, wusste sie es?« - »Sie druckste herum, aber als ich dann gesagt
habe, sie solle nicht herummähren, sondern heraus damit, war sie beleidigt und hat
mich rausgejagt, ich sollte nicht so frech sein.« Der Meister holte Luft, um mit
der Kette seiner Einwände anzuheben, welche, gewohnheitsgemäß, auf Herrn Györgys
Beziehung zur Welt abgezielt hätten, doch erneut traf er auf den schnellen
Seitenblick, so dass er die Luft wieder herausließ. »Ffff.« Herrn György
lassen die unangenehmen Sachen konsequent kalt. »Aber beim Abendessen war schon
wieder Friede, und sie hat versprochen, den langen Lulatsch zu fragen, der wüsste
Bescheid.« Wirklich erstaunlich, wen Herr György alles kennt - verglichen mit
dem Meister. »Der Große, der früher Gendarm war, glaube ich.« Ihm schwante
etwas. »War er nicht Leibgardist?« - »Ja.« - »Ein echtes
Muskel- Tier.« (So ist er seinen Deutschübersetzern zu Gefallen. Ein Gentleman.)
»Jedenfalls ist er ein alter Verehrer der Familie.« - »Also zuerst die
Feuerbohnen, dann eine Klavierspielerin.« Mit dem Meister gingen die Pferde
durch: »Eine kleine, verdorrte alte Frau, eine zigarettenrauchige, französische
Stimme, im Fenster eine Tafel: Jeden Abend Margó, in
großen, goldenen Lettern ...« - »Irgendwie so in der Art«, versetzte
sich Herr György hinein. »Und sie hat es sehr drauf zu
spielen.« Der Meister hat, nach eigenen Angaben, was das Wort
»draufhaben« anbelangt, sein Sprachgefühl verloren. Betrachten wir diese
seine sprachliche Voreingenommenheit in statu nascendi: Sagen wir, er und Herr Csucsu
sind den ganzen Nachmittag unterwegs, ohne ein Wort zu wechseln, denn mit Herrn
Csucsu vermag er sehr gut (er hat’s drauf!) zu schweigen, doch dann, am Rand
irgendeines Sportplatzes, in einem Betonhalbkreis oder auf Betontreppen oder nur auf
dem Betonbalken eines umgestürzten Strommastes — Letzterer steht auf dem hinter dem
Spielfeld gelegenen Hügel wie ein riesiger Zahnstocher –, sagt einer von ihnen,
während er mit dem Kopf auf einen verdienten Spieler deutet: »Der hat’s
drauf.« Der andere (wenn also etc.) nickt: »Hat er.« Und das Werk
dreht seinen Lauf.
»Und hat’s sehr gut drauf, zu spielen«, er begeisterte sich also für
die zukünftige Musikerin, doch Herr György goss Wasser in seinen Wein. »Das ist
egal«, sagte er grau. »Hauptsache, es gibt Musik. Das gibt einen anderen
Satz.« Der Meister war schon bereit, seine gute Laune gegen eine schlechte zu
tauschen, als ihm Herr György ein Papier in die Hand drückte. »Erst mal nur ins
Unreine geschrieben. Schau’s dir an, schließlich bist du ein großer Stilist«, und er unterdrückte ein Lachen. Der Meister fing
an.
Hiermit möchten wir beantragen, die Öffnungszeiten unseres Geschäfts von bisher 10-22
auf 10-23 zu ändern. Zur Begründung: Der Umsatz des Geschäfts beträgt nach unserem
Ermessen zwischen 10 und 12 h max. 500 Ft. Dieser enorme Rückgang der Einnahmen ist
auf die Umsatz reduzierende Wirkung des vor kurzem eröffneten Büfés zurückzuführen.
Unsere Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Einnahmen des Geschäfts zwischen 22 und 23
h größer wären, und wir damit gewissermaßen den vormittäglichen Einnahmerückgang
ausgleichen könnten.
Nun war er es, der von quickem Desinteresse erfasst ward, er gab es nickend zurück;
er sagte nur so viel: »Vor dem und muss kein Komma
hin.« - »Verreck doch.«
Wie die Jungs langsam eintrudelten, so nahmen Herrn Györgys Pflichten innerhalb
seines Arbeitsbereichs zu, und im Verhältnis dazu »zerbleichte« die innige,
wenn auch von Spannungen nicht freie Zweisamkeit der beiden Brüder. »Meine
Herren«, der stellvertretende Objektleiter verbeugte sich, »es ist uns
gelungen, das Separée für Sie zu reservieren.« Und er zeigte in die Ecke, wo
drei zusammengeschobene Tische standen. Die zurückgenommene Heiterkeit ob dieses
Scherzes war noch gar nicht verklungen, als ihnen Herr György schon mit einem neuen
schmeichelte. Denn der Alte Farkas war an ihn herangetreten, er habe ein Haar in
seinem Krug. »Wo?«, fragte Herr György mit lautstarker Gutmütigkeit. Der
Alte zeigte es. »Papa, das ist kein Haar, sondern eine Markierung am Glas.«
- »Markierung? Von innen?« - »Natürlich, die Markierung, dass man bis
dahin einschenken soll.« - »Na, Brüderchen, dann trag’s hübsch zurück
und schenk bis dahin ein.« Herr György musste dastehen
wie ein begossener Pudel und dem berechtigten Anspruch nachkommen. Der Meister hatte
das Gefühl, sein Bruder kannte dieses Ende schon von Anfang an. »Die Töchter des
alten Farkas!«, er spann dann den Gedanken weiter. Edit und Klári. Lange Zeit
war der Meister von nagenden Gewissensbissen verfolgt worden. Es handelte sich um
immergrüne katholische Gewissensbisse: er ging noch nicht zur Schule, als er mit den
beiden Mädchen in einen Sack schlüpfte! Zuerst mit der einen, dann mit der anderen.
Das war ein sehr gutes Spiel, »Selbstmörderer- Spiel oder was«, er bekam
rote Wangen davon, an die Hitze kann er sich erinnern. Doch dann tauchte die
Möglichkeit auf, dass es sich um eine Sünde handeln könnte und das Geplänkel fand ein
Ende. Bedripst war er lange Zeit; »leider«. - Später geriet der Alte Farkas
in eine schlechte Form, er vertrank alles. Und als er beim Abiturbankett der beiden
Mädchen aufkreuzte, zwischen all den aufgeputzten, beturnürten Pester Damen! Man mag
glauben, was für eine Szene, sie verlangt nach der Feder eines Schriftstellers.
»Die Szene, die skandalöse, verlangte nach der Feder eines früheren (älteren?)
Schriftstellers ... Wissen Sie, mon ami, der alte Farkas war majestätisch. Es sei
angemerkt, das ist er auch heute. Mir gegenüber zum Beispiel bewahrt er sich das auch
noch.« - Er respektiert ihn auch sehr dafür! - »Wie er da auftauchte,
zerlumpt, abgemagert, unrasiert, und dennoch irgendwie so, dass er keine Rechenschaft
für nichts verlangte, weder Salami noch Schinken, wie wir sagen. Ich bin ich und ihr
seid: ihr; ich bin euch nicht gram. So einer war er. Konkret wollte er natürlich
essen, Salami, Schinken. Zu behaupten, die Mädchen hätten vor
Freude getanzt, wäre sicher eine Übertreibung. Und natürlich gab es auch ein
Skandalon; auf der Oberfläche gibt es ständig Skandale«, sagte er und kappte den
bunten Faden.
Unterdessen war Herr Armand eingetroffen, wie einer unter vielen. Er setzte sich an
den Tisch, wo schon einige saßen, unter ihnen auch der Meister. Doch das Sichsetzen
ging nicht als gutes Beispiel voran, mancher stand wieder auf, um sich die
Flipperspieler anzuschauen, oder spielte selber mit, oder er palaverte mit Herrn
György, während dieser den Krug hypnotisierte, währenddessen kamen andere an, mit
demselben Schicksal. Am Flipper stand ein Mädchen. »Mürbe.« Aber Herr
Csucsu sagte: »Wir gingen zusammen zur Grundschule.« Der Meister war
taktvoll (wie ein Markgraf, ha, ha, ha). »Aber jetzt, als würde sie selbst gegen
eine geringe Vergütung...« - »Ein Krug. Aber wenn du sie darum bittest,
auch mal nur so aus der Laune heraus.« - »Sie ist ziemlich herunter.«
- »Wir sind gleichaltrig«, wiederholte, wie ein Argument, Herr Csucsu.
»Eine Nympho?« - »Iwo. Ordentliche Hure.«
Der Tisch befand sich in einem Zustand ständiger Wandlung. Der Meister ließ den Blick
beunruhigt über diese »Formlosigkeit« schweifen. Ich sage ehrlich, wie es
ist - das ist ein charakteristischer »Tick« von ihm -, er befürchtete, dass
das Abschiedsabendessen nicht beginnen würde. Jemand hatte
eine Flasche rumänischen Cognac besorgt, diese machte die Runde. (Der Verletzte
Linksaußen wurde schnell beschwipst.) »Ich weiß nicht, mon ami, wie es anderen
damit ging, aber ich wartete auf etwas.« (»Darf zitiert werden.«)
Dieses, das Erstere, natürlich, teilte der Meister dem
Linksverteidiger mit, der es gutmütig missverstand und Herrn György wegen des
Abendessens antrieb.
Die Biere kamen automatisch, die Wangen röteten sich, auch die des Herrn Armand.
Unglücksschwangerer Frohmut verbreitete sich. Der Meister hoffte darauf, dass das
Abendessen — »die elementare Kraft der Biologie« - die Menschen
zusammentreiben, und Herr Armand dann aufstehen würde, sich räuspern, und, ein
kleines bisschen gerührt - was, wie wir sehen konnten, ihm nicht fremd ist, und die
Aufgaben in der Gemeinschaft holen das auch immer schön aus ihm heraus -, seine
Jahresendrede halten würde, das heißt, die Leistungen bewerten, die Statistiken
mitteilen, die beste Durchschnittsleistung; den erfolgreichsten Torschützen (das wäre
der Meister mit 24 Toren), und dann würde er ankündigen ... Ja, er würde ankündigen,
ob er zurücktritt oder nicht zurücktritt. Denn auch das war irgendwie nicht klar.
Doch der Meister wurde schnöde enttäuscht. In der ersten Etappe von sich selbst, dann
von der Entwicklung. »Eine redliche Reihenfolge. « - »Meine Herren,
die Menage«, schallte Herr György, auf seinem Arm, wie eine Perlenschnur, die
Teller. »Du, wie ein echter Kellner!«, er staunte voller Bewunderung über
seinen kleinen Bruder. Er hat eine hohe Affinität zu Kellnern. »Das Saure«,
sagte der Kellner und zauberte kleine grauweiße Porzellantellerchen mit Essigpaprika
und gemischtem sauren Gemüse hervor. »Schön stark. Der Holubka schickt es der
Mannschaft.« - »Es geht los.« Er rieb sich die Hände, denn auf die
Düfte hin hob das Strömen der Jungs an, das Zurückströmen. Er sah, wie Herr Armand
aus der Außen(»!«)tasche seines kurzen (jedoch neuen) Ledersakkos das
karierte Blatt hervornahm, es auseinanderfaltete, es glättete, es wieder
zusammenfaltete und sich räusperte.
Die Teller kamen mit beruhigender Stetigkeit, es handelte sich also nicht nur um eine
Anfütterung wie sonst so oft, und mit einer Schnelligkeit, dass der, der schon Essen
vor sich hatte, natürlicherweise wartete. So entstand eine echte Harmonie, denn auch
der, der nichts vor sich hatte, wartete natürlicherweise. Doch wie auf jede Harmonie
folgte auch auf diese Wirrnis.
Unerwartet war ein Plumpsen zu vernehmen, sofort gefolgt von einem Aufschrei der
ehemaligen Klassenkameradin des Herrn Csucsu (»Wissen Sie, es war wie in einem
Film, und als ob das eine synchronisierte Stimme wäre.«)
und auch noch von einem Krachen. »Als wäre ein Kleid zerrissen, nur schwerer.
Oder, sagen wir: als wäre ein sehr teures Kleid aufgerissen.«
Anhand seiner bisherigen Praxis ging der Meister davon aus, sich gut auszukennen in
der Welt der unrasierten Kinne, der umherwirbelnden Hüften, der flachen und
angehobenen Brüste, des WCs mit den geteerten Wänden, des sich über dem verstopften
Abfluss erhebenden trüben, gelben Sees, der verwischten Augenbrauen, der
aufgerissenen, blutenden Lippen, des von Adern umkreisten Augapfels, des säuerlichen
Mund- und abgestandenen Achselgeruchs, der weggerollten Hosenstallknöpfe, der sich
nie schließenden Zipper und der vielen weiblichen Steiße - laute humanistische
Requisiten - , doch jetzt, als er das Gesicht des Mannes sah, der auf dem Boden lag,
und den anderen, von hinten, nur die breite Schulter, unter
denen manchmal die Beine herausklafften, um zuzutreten, und sie taten es auch, traten
in das auf der Erde liegende Gesicht, konnte er sich nicht einmal rühren. Dabei war
seine Position die günstigste. »Wissen Sie, mein Freund, ich hatte Angst. So ein
Gesicht ... und besonders das Krachen ...« Herr Armand stieß den Stuhl unter
sich zurück und stand schon bei der Schlägerei, doch da ergriff plötzlich Herr György
- nachdem er sich auf magische Weise von seinem Geschirr befreit hatte - die breiten
Schultern, und hob, als wenn er eine Katze wäre, den untersetzten Angreifer weg vom
Opfer; er drehte ihn zu sich um und hielt ihn gleichzeitig vorsichtig auf Distanz.
»Sei nicht dumm«, sagte der baumgroße Mensch. »Ein netter
Taxifahrerjunge«, sagte Herr György zu einem späteren Terminus, »er hat
mich oft nach Hause gebracht, wenn ich einen Affen hatte.« - »Aber so
zutreten«, sagte er, vor Schreck pingelig geworden. »Du weißt, wie das ist.
Das Blut ist ihm ins Gehirn geschossen.«
Die Szene zog sich noch eine Weile hin; ein bezeichnender Beleg dafür ist, dass der
Meister eine halbe Stunde später einen Knopf mittlerer Größe neben seinem Schuh
entdeckte. Er hob ihn auf. »Ein Hosenstallknopf«, sagte er mit skandalöser
Offenheit. »Gib ihn der Mieze«, sagte jemand ein wenig boshaft. Er
erweiterte diese Kleinig- keit respektvoll, indem er »Reliquie. Piff« sagte
und den Knopf davonschnippte. Was jeder verstehen mag, wie er will. (Behändes
Heranzitieren eines Ottlik-Satzes.)
Auf dem Tisch standen, mit wenigen Ausnahmen, die Fleischsorten und kühlten vor sich
hin. Schnitzel nature und paniert, sowie Kartoffeln. »Die besten
Stampfkartoffeln, wo gibt.« - »Gyuri, mein Lieber, ich hätte dich
umgebracht, wenn du Reis gebracht hättest!«, sagte der Libero. »So haben
wir’s da.« Herr György war dem Libero nicht besonders zugetan, um es mal
so zu sagen.
Hier ergriff der Meister, wie es seine Gewohnheit war, und sei es in den vornehmsten
Restaurants, eine kleine Kartoffel mit der Hand und verschlang sie auf einen Happs.
»Die Etikette bin ich«, sagte er, unterspreizt von der Zeit, der
historischen. Doch nun war ein großer Fehler passiert. Auf seine Bewegung hin waren
die Leidenschaften nicht mehr im Zaum zu halten: die Jungs fingen zu essen an.
»Lasst uns doch warten «, er versuchte sich. Und dabei, das ist das
Phantastischste, griff er - offenbar unbewusst - nach einer neuen Kartoffel, mehr
noch, er sprach quasi mit vollem Mund.
Nun war das Durcheinander perfekt. Es gab welche, die nicht mehr aßen, welche, die
noch nicht aßen, sowie welche, die gerade anfingen. Der Libero sammelte Knochen für
seinen Hund. Der Junge Manndecker klaute scherzeshalber eins von Herrn Icsis
Schnitzeln, der das nicht bemerkte, so dass es ein großes Gelächter gab, als der
Junge Manndecker Herrn Icsi mit vollem Mund fragte: »Reicht’s?« Herr
Icsi war, wie immer, höflich, strich sich über das charakteristische, drahtige Haar:
»Danke der Nachfrage. Sowohl quantitativ wie qualitativ ...« -
»Idiot.« (Es war allgemein bekannt: »Herr Icsi trägt seine
Geschmacksknospen auf der Fußsohle.«)
Da es mancherorts nichts mehr zu tun gab, entstanden kleine Gruppen, die sich
unterhielten. Der Meister perzipierte versteinert, während sich auch um ihn eine
Gruppe rundete, dass der Abend nicht nur angefangen hatte, er war bereits über seinen
Zenit hinaus. Nach allen möglichen Reden bemerkte er, dass neben ihm geflüstert
wurde, konspirativ geflüstert. »Über die Modalitäten.« Ob sie verkünden
sollten, dass sie, wenn Herr Armand nicht Trainer bleiben kann, zurücktreten.
»Was soll das heißen, zurücktreten?« Er wurde nachdenklich. »Das wäre
nur, um ihnen einen Schreck einzujagen«, man klärte ihn leise auf, »man
müsste bloß bezeugen, dass der Öschen so und so.« - »Aber das stimmt
nicht«, sagte er bestürzt. »Also Wort für Wort ist es so nicht
passiert«, sagte der Halblinks, » aber im Wesentlichen geht der Armand
wegen dem Öschen.« - »Das stimmt.« - »Das war eine ernsthafte
Niederlage, mein Freund. Zum einen das Flüstern ... Wir gruppierten uns und
flüsterten um einer guten Sache willen, aber keiner stand auf, um am Tisch eins zu
eins zu sagen ... Und das viele Reden tat den Kindern nicht gut. In ihren Taten sind sie fassbar: zum Beispiel sind sie hart oder
duckmäuserisch, der eine so, der andere so. Aber wissen Sie, mon ami, diese Theorien, mit denen sie daherkamen
...!«
Nichtsdestotrotz wurde sein Herz, für ein kurzes Intervall, von Wärme geflutet, weil
doch er derjenige war, um den herum diese streitbare Gruppierung entstanden war; wenn
er auch anders ist, so ist er doch auch einer von ihnen. (Hoho, da erwartet ihn noch
eine Überraschung!) Sie fingen an, das Schnippspiel zu spielen; was auf den
vorangeschrittenen Zustand der Getränke hinwies. »Wissen Sie, mein Lieber,
zwischen zwei Bierflaschen herauszuschauen, so, dass keine dabei umfällt, ist keine
leichte Sache.«
Der Meister ging zu Herrn Armand hinüber, um schließlich und endlich Klarheit zu
haben. Er nahm den gequälten Trainer beiseite und fing an, leise auf ihn einzureden. »Komm, Armand, bleib doch.« Das Gespräch
nahm ein schnelles Ende. »Lassen wir das, Péter.« Sie sahen einander an.
Vielleicht hatten auch andere etwas von diesem Moment gespürt, aber das Bier nahm
weiter ab und die Schnippspieler schnippten. »Versucht es. Halte sie
zusammen.« Der Meister schlug wütend in die Luft. »Lassen wir das«,
sagte nun er. Und wieder standen sie da. Trotz ihrer Wut zürnten sie einander nicht:
sie kannten einander. »Wissen Sie, mein Freund, ich bin in einer glücklich leichten Lage: ich spiele!« Mein Gott, wie
leicht! Das kann man sagen!
Er trottete an seinen Platz zurück. Auf den fettigen Tellern die Knäuel zerknüllter
Servietten. Der Rechtsaußen erwartete ihn schon. »Was kapazitierst du ihn! Es
wird Zeit, dass er geht.« Ihm verschlug es die Sprache. Er hätte nicht gedacht,
dass Herr Armand auch Feinde hatte! Aus den Flüstereien schien es ihm, als stünden
sie wie ein Mann hinter dem Trainer. (»Aber das ist ja die Eigenheit von
Flüstereien!«) Er sagte das dem Rechtsaußen. Dieser lachte dünn auf. »Peti,
mein Lieber! Was weißt du schon groß!« - »Wie, was«, stammelte er.
»Halt so! Du bist zum Training hier und zu den Spielen, und aus, gehst nach
Hause.« - »Wieso? Was gibt es noch?«, fragte er beleidigt. Der kleine,
schwarzhaarige Junge sah zum Libero hinüber. Er auch? »Was es noch gibt? Wir
schieben die ganze Woche Galeerendienst in der Fabrik.« Er wartete ein wenig,
bevor er fortfuhr: »Was glaubst du denn?! Dass du keine Feinde hast? Dass über
dich nicht geredet wird?« Er stand da. »Das ist überall so, Péter«,
sagte der Libero.
68 Herr György drängte zum Ende. »Feierabend!« Als Herr Armand die Hand
hob. Stille herrschte alsdann. Péter Esterházys Herz machte einen Satz. Ein wenig
vergebens, wie meist. »Zeitpunkt des ersten Trainings: der erste Sonntag im
Januar, zehn Uhr Vormittag«, sagte Herr Armand, wobei er den Blick auf den Tisch
gerichtet hielt. »Seid da.«